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DPW-DG33 01.11.2014 1 Aus der Dieselgeschichten-Sammlung der Dieselpensionierten Winterthur Rettung einer Kurbelwelle „Eine geradezu geniale Improvisation“ Eine Dieselgeschichte nach einem Bericht von Walter Bisegger im 1977 Die Idee Es war während des Zweiten Weltkrieges, in der Dieselzentrale der French Concession in Shanghai: Eine Kurbel der Kurbelwelle eines grossen doppelwirkenden Dieselmotors 8DZL76 war gebrochen. Herr Bisegger, damals Platzmonteur in Kobe (Japan), wurde nach Shanghai beordert, wo er feststellte, dass der der Motor schon weitgehend demontiert war, und erfuhr, dass der Motor so rasch als möglich wieder in Betrieb genommen werden müsse. Bald stellte sich heraus, dass eine vollständige Wellenhälfte mit vier Kurbeln (Gewicht 33 t) innert nützlicher Frisst nicht zu beschaffen war. Damit hatte die Leitung der Zentrale auch bereits gerechnet und sich einen Plan für eine fast unmögliche erscheinende Reparatur zurechtgelegt: Man wolle ein altes Wellenstück mit drei Kurbeln, das aufgetrieben worden war, dazu verwenden, den beschädigten Teil der gebrochenen Wellenhälfte zu ergänzen. Dazu waren die beschädigten Stücke der havarierten Welle erst einmal abzutrennen und dann die beiden gesunden Stücke durch einen neuen Wellenzapfen zu verbinden. Da man sich in Winterthur auf einen bewährten Fachmann verlassen konnte, stimmte man im Stammhaus diesem Vorschlag zu und lieferte sofort die nötigen Instruktionen. Die havarierte Kurbelwelle sowie ab- und ausgebohrte Teile

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Aus der Dieselgeschichten-Sammlung der Dieselpensionierten Winterthur

Rettung einer Kurbelwelle

„Eine geradezu geniale Improvisation“

Eine Dieselgeschichte nach einem Bericht von Walter Bisegger im 1977

Die Idee

Es war während des Zweiten Weltkrieges, in der Dieselzentrale der French Concession in Shanghai: Eine Kurbel der Kurbelwelle eines grossen doppelwirkenden Dieselmotors 8DZL76 war gebrochen. Herr Bisegger, damals Platzmonteur in Kobe (Japan), wurde nach Shanghai beordert, wo er feststellte, dass der der Motor schon weitgehend demontiert war, und erfuhr, dass der Motor so rasch als möglich wieder in Betrieb genommen werden müsse.

Bald stellte sich heraus, dass eine vollständige Wellenhälfte mit vier Kurbeln (Gewicht 33 t) innert nützlicher Frisst nicht zu beschaffen war. Damit hatte die Leitung der Zentrale auch bereits gerechnet und sich einen Plan für eine fast unmögliche erscheinende Reparatur zurechtgelegt: Man wolle ein altes Wellenstück mit drei Kurbeln, das aufgetrieben worden war, dazu verwenden, den beschädigten Teil der gebrochenen Wellenhälfte zu ergänzen. Dazu waren die beschädigten Stücke der havarierten Welle erst einmal abzutrennen und dann die beiden gesunden Stücke durch einen neuen Wellenzapfen zu verbinden. Da man sich in Winterthur auf einen bewährten Fachmann verlassen konnte, stimmte man im Stammhaus diesem Vorschlag zu und lieferte sofort die nötigen Instruktionen.

Die havarierte Kurbelwelle sowie ab- und ausgebohrte Teile

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Ausschleifen des Schrumpfloches an der in der Grundplatte rotierenden Kurbelwelle

Die Ausführung

So wurde das beschädigte Stück vom intakten Teil der Kurbelwelle mit vielen längs- und quergebohrten Löchern abgelöst und ein neuer Wellenzapfen hergestellt. Das Schwierigste an der ganzen Reparatur war das Ausschleifen des exzentrischen und leicht schrägen Schrumpfloches in der intakten Kurbel und das zentrisch und achsparallele Schleifen des entsprechenden Endes des einseitig schon eingeschrumpften neuen Wellenzapfens. Schwierig deshalb, weil dazu geeignete Maschinen fehlten.

Nach dem Einschrumpfen wurde der Wellenzapfen wieder in der Grundplatte fertiggeschliffen. Man sieht im Bild den improvisierten Antrieb der eingesetzten kleinen Drehbank mit Schleifsupport

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Aber in der Not fand sich die Lösung: Eine geradezu geniale Improvisation. Die Grundplatte des Dieselmotors wurde zur Innen- und Aussenschleifmaschine gemacht: Die in ihren Lagern liegende Kurbelwelle wurde langsam gedreht. Diese Rotation wurde durch eine einfache Riementransmission auf die aufgesetzten Supportschleifapparate übertragen und bewirkte bei diesen den Vorschub. Auf diese Weise liessen sich Schrumpfloch und Wellenzapfen so genau bearbeiten, dass nach dem Aufschrumpfen der Kurbel der Rundlauf am Kupplungsflansch in der zulässigen Grössenordnung von +/- 1/10 mm lag. Was angesichts der Improvisation ein wahrhaft erstaunliches Ergebnis war. Auf ebenso ungewöhnliche Weise erfolgte das Einschrumpfen des neuen Wellenzapfens: Aufgeheizt wurde elektrisch mittels Kupferschienen.

Aufschrumpfen der elektrisch erwärmten Ersatzkurbel Am Bildrand rechts: Walter Bisegger

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Die auf ungewöhnliche Art instand gestellte Kurbelwelle

Es war überwältigend, zu sehen, mit welchem Eifer sich die Fachleute an die für sie völlig ungewohnte Aufgabe heranwagten, erzählt Walter Bisegger. Aber der Einsatz habe sich gelohnt, denn die Reparatur sei gelungen, und innert dreier Monate habe die 11'000 PS Maschine wieder in Betrieb genommen werden können. Am abschliessenden Freudenfest habe sogar der französische Botschafter aus Nanking teilgenommen.

Der Erzähler Walter Bisegger, Jahrgang 1897 (?), auch „Bisi“ genannt, war während vielen Jahren als Dieselmonteur für die damalige Abteilung 7 von Sulzer Winterthur unterwegs. Er wechselte später als Chefmonteur zu den Sulzer Gasturbinen.

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Walter Bisegger – Rettung einer Kurbelwelle –1. Ausgabe 01.11.2014

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Anmerkung Koordinator:

Geschrieben wurde die Geschichte von H. Hauri, Redaktor der Sulzer Werkmitteilungen im März 1977 unter Beifügung der folgenden zwei Anmerkungen:

Herr Bisegger stellte uns seinen Bericht mit Fotos zur Verfügung. Den gerafften Bericht darüber, mit welch ungewöhnlichen behelfsmässigen Mitteln man 1941, während des Zweiten Weltkrieges, in China den Bruch an eine Dieselkurbelwelle „heilte“, legten wir unseren heute zuständigen Fachleuten vor. Sie bestätigten, die damals an der Reparatur Beteiligten hätten „nicht nur Erstaunliches, sondern geradezu Geniales geleistet“.

Wir sind mit Recht stolz auf unsere Produkte. Es gibt nichts, das völlig gegen Havarien gefeit wäre. Und sollte eine solche eintreten, kann ein Kunde sich darauf verlassen, dass wir einen Kundendienst haben, dessen Qualität ebenso beachtlich ist wie jene der Pro-dukte. In solchen Fällen ist für unser Personal im Aussendienst Raschheit und Ingeniösi-tät oberstes Gebot. Und zum Zweitgenannten gehört in hohem Mass die Fähigkeit zu improvisieren. Ein Beispiel, in dem das ganz besonders zum Ausdruck kam, wusste der 1962 pensionierte ehemalige Monteur Walter Bisegger zu erzählen.