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60 Somitng, 17. Januar 1971. Nr. 25 (Femausgabe Nr. 13) WOCHENENDE State Jitrf)er3efomg Arbeit mit alten und neuen Fässern ewr. Alle Welt verpackt alles in Kunststoff und Metall) von den alten Verpackungen sind nicht mehr viele übriggeblieben. Um so überraschender ist es, einen richtigen Küfer kennenzulernen, wie Jost Stübi im aargauischen Dietwil, im obersten Zipfel des Oberfreiamtes, einer ist. Ihm geht auch im Zeitalter der Wegwerf- packungen und der großen Tanks die Arbeit nicht aus, und zwar nicht bloß der aus geschmacklichen Gründen geschätzten Eichen- rasser wegen. Besonders vor der Erntezeit flickt er ungezählte F8sser jeder Größenordnung. Im Hof stehen viele alte Fässer herum. Sie bedeuten für den Küfer etwa das, was der Autofrlcdhof für einen Mechaniker, der betagte Vehikel wieder zum Laufen bringen will; ein eigentliches v^; * \rA;"" i ' ; -i \ "v ,**,»' v t \ '" -s V-'" ;" *w-"'^4 V'.;<;t>;">; 1 "* 4S;ViS<;:; ' .V, X-t'v *>;<; Veber 100 Jahre alt Ist dieser Zirkel und noch Immer In Gebrauch. Mit dem Hanl umwickelt der Küler die Schrauben, damit sie lest sitzen. Ersatzteillager. Jost Stübi hat ein großes Einzugsgebiet, denn Holz- küfer lernt heutzutage kaum mehr ein junger Mann. Jost Stübi macht neue Fässer, flickt alte Fässer und handelt mit Fässern, Kübeln und Töpfen. Er schreinert rustikale Fäßlibars, macht Zier- fässer und baut riesige Fässer um, für die Liebhaber origineller Gartenhäuser. Um defekte Fässer zu flicken, schlägt er große alte Fässer zusammen und biegt und hobelt die mächtigen Dauben zu- recht, bis sie zum defekten Faß passen. Es rentiert nicht, dafür neues Holz zu nehmen. Und im Winter, wenn die Flickaufträge turückgehen, arbeitet Küfer Stübi auf Vorrat. Er kttfert neue Fässer, die die Bauern vor allem für den Süßmost brauchen. Und für das Baugewerbe verarbeitet Jost Stübi hitzebeständiges Hart- holz zu Asphaltkübeln, in die die Bauarbeiter den heißen Teer für Fiachdachbelägo am liebsten leeren. Neben den modernen Maschinen braucht der Küfer viel antik aussehendes SpezialWerkzeug. Hobelmaschine und Bandsäge, Drehbank und Bohrmaschine stehen in der Werkstatt. Das Haupt- gerät ist aber das Setzgeschirr, eine Art Hammer. Damit treibt der Küfer die Reifen am Faß an, bis sie sitzen; zum Flicken löst er sie damit wieder. Wichtig sind auch Feuerkratten und Biegbock: Im Biegbock werden die Dauben eingespannt, darunter wird ein Holz- leuer gemacht, und die Dauben werden mit Wasser bespritzt. Wenn es richtig dampft, kann man die Schrauben drehen und die Dauben in die richtige Form drücken. In der Werkstatt sind viele Kiiler Josl Slübl schraubt an einem gellicklcn Faß den Deckel lest. Model für Faßdauben säuberlich aufgehängt. Ein Büschel Hanf hängt am gleichen Nagel wie ein großer Holzzirkel, der etwa hun- dert Jahre alt ist. Wenn der Küfer für eine Schraube ein Loch bohren muß, macht er es etwas zu groß, damit die Schraube das Holz nicht sprengt. Damit sie dennoch fest sitzt, umwickelt er sie mit Hanf. Apropos Ungeschriebene Briefe und Schimpfkalender oe. Die Flut der Neujahrskarten war dieses Jahr kleiner als früher, aber doch noch so groß, daß die Couverts meinem Brief- kasten aus dem Maul hingen, sich zwischen die Zeitungsseiten verkrochen, beim Frühstück am Honigtopf und danach an meinem Hosenbein klebten. Wer in England wohnt ... nein, das ist typisch kontinentale Unfairness ... nicht nur wer in England wohnt, ver- schickte Karten, auf. denen alles, für Massen von Empfängern vor- fabriziert war: die Landschaft mit dem glitzernden Schnee und den farbigen Häuschen, die besten Wünsche für 1971; zum Teil war selbst der Name des Absenders schon gedruckt. Wozu, möchte ich wissen, haben solche Leute ihren Namen oder sogar mehr schrei- ben gelernt? Sie wollen zwar zeigen, daß sie beim Jahreswechsel an einen denken, aber sie lassen es so gerne beim Zeigen be- wenden. Das Denken überlassen sie lieber dem Empfänger, So denke ich nun eben, daß ein Briefschreiber offenbar heute als so altvaterisch gilt wie sein» Wange ohne Backenbart, falls er mit oder zwischen seinen Zeilen keine geschäftliche, politische oder andere Absicht verfolgt, sich weder um ein ersehntes Logis noch um ein Fräulein bewirbt kurz, wenn er nichts erreichen, nur wissen will: «Wie geht's Dir eigentlich, abgesehen von der erfreulichen Tatsache, daß dio Post bei Dir vorläufig noch Haus- besuche macht, wie die Ankunft dieses Schreibens beweist.» Ich trauro also der alten Sitte des Briefschreibens um seiner selbst willen und ohne materiellen Nutzen nach. Man wird mir des- halb vorhalten, daß ich keinen Sinn für den «modern way of Swiss life» und sein Streben nach «efficiency» besitze. Von anderer Seite dürfte man mir vorwerfen, mein Klagelied über ungeschrie- bene Briefe passe schlecht zum munteren Geist der heutigen ge- walt- oder sonstwie täligen Jugend und werde im übrigen zum Glück vom energischen Gehämmer der Jungen am schon mor- schen Balkengerüst des «establishment» übertönt, Das eine wie das andere werde ich hinnehmen müssen. «Preyburg» anno 1642 Hingegen gebe ich gerne zu: Was mich an diesem Neujahr am meisten freute, waren keine Schreibebriefe, sondern zwei Drucke. f Der Basler Pädagoge und Historiker Martin H, Müller versandte zu diesem Jahreswechsel als neuestes einer Reihe von schönen Blättern das Faksimile einer Ansicht der Stadt Freiburg aus Merlans «Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesine». Der eben- falls wiedergegebenen Beschreibung der «Statt im Nüchtland / oder Nuithlandia, gelegen» und der einst dort geltenden Ordnung entnehme ich: «Wann ein Schuldner auff bestimpten Tag nicht bezahlt / so mag der Gläubiger / ein / zween vnd mehr Diener / sampt jhren Pferdten / ins offene Wirtshauß schicken / die der Schuldner alle / biß er bezahlt / außhalten muß,» So amüsant belehrend lasse ich mir eine gedruckte Neujahrs- karte gerne gefallen. Für Jeden Tag einen Kraltausdruck Auf ganz andere Art machte der Stuttgarter Schriftsteller Thaddäus Troll einein Pläsier. Er gab für 1971 einen «Schwäbi- schen Schimpfkalender» heraus. Für jeden Tag des Jahres fand er einen Kraftausdruck seiner näheren und weiteren Heimat und verschaffte damit dem Kalenderempfänger die Möglichkeit, «Ag- gressionen unblutig und bilderreich abzureagieren». Mit manchen dieser Ausdrücke kann man hierzulande beim schlechtesten Wil- len niemanden beleidigen; andere Schöpfungen dürften auch in Helvetien einigermaßen verstanden werden, so der «Mordsdackel», die «Salatschneck» und die «Schnapperbichs», vermutlich auch der .Altstadtlatsche» und der «Heidcsakramenter», ferner der etwas freundlichere «Erbsazähler», der «Sauriebeleskopf» und der «Muggeschnapper» sowie der wiederum kräftigere «Fetzalomp» und der «Hennadrecksziager». Nicht zu sprechen Von Jean 'Pierre Gos AVfc^ij) ' Neue Zürcher Zeitung vom 17.01.1971

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60 Somitng, 17. Januar 1971. Nr. 25 (Femausgabe Nr. 13) WOCHENENDE State Jitrf)er3efomg

Arbeit mit alten und neuen Fässern

ewr. Alle Welt verpackt alles in Kunststoff und Metall) vonden alten Verpackungen sind nicht mehr viele übriggeblieben. Umso überraschender ist es, einen richtigen Küfer kennenzulernen,wie Jost Stübi im aargauischen Dietwil, im obersten Zipfel desOberfreiamtes, einer ist. Ihm geht auch im Zeitalter der Wegwerf-packungen und der großen Tanks die Arbeit nicht aus, und zwarnicht bloß der aus geschmacklichen Gründen geschätzten Eichen-rasser wegen. Besonders vor der Erntezeit flickt er ungezählte

F8sser jeder Größenordnung.

Im Hof stehen viele alte Fässer herum. Sie bedeuten für denKüfer etwa das, was der Autofrlcdhof für einen Mechaniker, derbetagte Vehikel wieder zum Laufen bringen will; ein eigentliches

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Veber 100 Jahre alt Ist dieser Zirkel und noch Immer In Gebrauch. Mitdem Hanl umwickelt der Küler die Schrauben, damit sie lest sitzen.

Ersatzteillager. Jost Stübi hat ein großes Einzugsgebiet, denn Holz-küfer lernt heutzutage kaum mehr ein junger Mann. Jost Stübimacht neue Fässer, flickt alte Fässer und handelt mit Fässern,

Kübeln und Töpfen. Er schreinert rustikale Fäßlibars, macht Zier-fässer und baut riesige Fässer um, für die Liebhaber originellerGartenhäuser. Um defekte Fässer zu flicken, schlägt er große alteFässer zusammen und biegt und hobelt die mächtigen Dauben zu-recht, bis sie zum defekten Faß passen. Es rentiert nicht, dafürneues Holz zu nehmen. Und im Winter, wenn die Flickaufträgeturückgehen, arbeitet Küfer Stübi auf Vorrat. Er kttfert neue

Fässer, die die Bauern vor allem für den Süßmost brauchen. Undfür das Baugewerbe verarbeitet Jost Stübi hitzebeständiges Hart-holz zu Asphaltkübeln, in die die Bauarbeiter den heißen Teer fürFiachdachbelägo am liebsten leeren.

Neben den modernen Maschinen braucht der Küfer viel antikaussehendes SpezialWerkzeug. Hobelmaschine und Bandsäge,

Drehbank und Bohrmaschine stehen in der Werkstatt. Das Haupt-gerät ist aber das Setzgeschirr, eine Art Hammer. Damit treibt derKüfer die Reifen am Faß an, bis sie sitzen; zum Flicken löst er siedamit wieder. Wichtig sind auch Feuerkratten und Biegbock: ImBiegbock werden die Dauben eingespannt, darunter wird ein Holz-leuer gemacht, und die Dauben werden mit Wasser bespritzt. Wennes richtig dampft, kann man die Schrauben drehen und dieDauben in die richtige Form drücken. In der Werkstatt sind viele

Kiiler Josl Slübl schraubt an einem gellicklcn Faß den Deckel lest.

Model für Faßdauben säuberlich aufgehängt. Ein Büschel Hanfhängt am gleichen Nagel wie ein großer Holzzirkel, der etwa hun-dert Jahre alt ist. Wenn der Küfer für eine Schraube ein Lochbohren muß, macht er es etwas zu groß, damit die Schraube dasHolz nicht sprengt. Damit sie dennoch fest sitzt, umwickelt er siemit Hanf.

Apropos

Ungeschriebene Briefe und Schimpfkalender

oe. Die Flut der Neujahrskarten war dieses Jahr kleiner alsfrüher, aber doch noch so groß, daß die Couverts meinem Brief-kasten aus dem Maul hingen, sich zwischen die Zeitungsseitenverkrochen, beim Frühstück am Honigtopf und danach an meinemHosenbein klebten. Wer in England wohnt . . . nein, das ist typisch

kontinentale Unfairness ... nicht nur wer in England wohnt, ver-schickte Karten, auf. denen alles, für Massen von Empfängern vor-fabriziert war: die Landschaft mit dem glitzernden Schnee und denfarbigen Häuschen, die besten Wünsche für 1971; zum Teil war

selbst der Name des Absenders schon gedruckt. Wozu, möchte ichwissen, haben solche Leute ihren Namen oder sogar mehr schrei-ben gelernt? Sie wollen zwar zeigen, daß sie beim Jahreswechselan einen denken, aber sie lassen es so gerne beim Zeigen be-wenden. Das Denken überlassen sie lieber dem Empfänger,

So denke ich nun eben, daß ein Briefschreiber offenbar heuteals so altvaterisch gilt wie sein» Wange ohne Backenbart, fallser mit oder zwischen seinen Zeilen keine geschäftliche, politischeoder andere Absicht verfolgt, sich weder um ein ersehntes Logis

noch um ein Fräulein bewirbt kurz, wenn er nichts erreichen,nur wissen will: «Wie geht's Dir eigentlich, abgesehen von dererfreulichen Tatsache, daß dio Post bei Dir vorläufig noch Haus-besuche macht, wie die Ankunft dieses Schreibens beweist.»

Ich trauro also der alten Sitte des Briefschreibens um seinerselbst willen und ohne materiellen Nutzen nach. Man wird mir des-halb vorhalten, daß ich keinen Sinn für den «modern way ofSwiss life» und sein Streben nach «efficiency» besitze. Von andererSeite dürfte man mir vorwerfen, mein Klagelied über ungeschrie-bene Briefe passe schlecht zum munteren Geist der heutigen ge-walt- oder sonstwie täligen Jugend und werde im übrigen zumGlück vom energischen Gehämmer der Jungen am schon mor-schen Balkengerüst des «establishment» übertönt, Das eine wiedas andere werde ich hinnehmen müssen.

«Preyburg» anno 1642

Hingegen gebe ich gerne zu: Was mich an diesem Neujahr ammeisten freute, waren keine Schreibebriefe, sondern zwei Drucke. f

Der Basler Pädagoge und Historiker Martin H, Müller versandtezu diesem Jahreswechsel als neuestes einer Reihe von schönenBlättern das Faksimile einer Ansicht der Stadt Freiburg ausMerlans «Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesine». Der eben-falls wiedergegebenen Beschreibung der «Statt im Nüchtland /oder Nuithlandia, gelegen» und der einst dort geltenden Ordnungentnehme ich:

«Wann ein Schuldner auff bestimpten Tag nicht bezahlt /so mag der Gläubiger / ein / zween vnd mehr Diener / samptjhren Pferdten / ins offene Wirtshauß schicken / die derSchuldner alle / biß er bezahlt / außhalten muß,»

So amüsant belehrend lasse ich mir eine gedruckte Neujahrs-karte gerne gefallen.

Für Jeden Tag einen Kraltausdruck

Auf ganz andere Art machte der Stuttgarter SchriftstellerThaddäus Troll einein Pläsier. Er gab für 1971 einen «Schwäbi-schen Schimpfkalender» heraus. Für jeden Tag des Jahres fand ereinen Kraftausdruck seiner näheren und weiteren Heimat undverschaffte damit dem Kalenderempfänger die Möglichkeit, «Ag-gressionen unblutig und bilderreich abzureagieren». Mit manchendieser Ausdrücke kann man hierzulande beim schlechtesten Wil-len niemanden beleidigen; andere Schöpfungen dürften auch inHelvetien einigermaßen verstanden werden, so der «Mordsdackel»,die «Salatschneck» und die «Schnapperbichs», vermutlich auch der.Altstadtlatsche» und der «Heidcsakramenter», ferner der etwas

freundlichere «Erbsazähler», der «Sauriebeleskopf» und der«Muggeschnapper» sowie der wiederum kräftigere «Fetzalomp»

und der «Hennadrecksziager».

Nicht zu sprechen

Von Jean 'Pierre Gos

AVfc^ij)

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Neue Zürcher Zeitung vom 17.01.1971