29
Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 1 Bäume an der Grenze IV. Essener Baumtag – Erfahrungsaustausch Rhein-Ruhr-Lippe, 5. November 2013 Dr. Hans-Joachim Schulz, Sachverständiger Düsseldorf/Waldbröl, Von der Landwirtschaftskammer NRW öffentl. bestellter und vereidigter Sachverständiger u. a. für: Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau, Teilbereiche: Garten- und Landschaftsbau, Herstellung und Unterhaltung, Wertermittlung von Freianlagen, Gärten, Grünanlagen, Gehölze, Baumpflege, Verkehrssicherheit von Bäumen, Baumwertermittlung. Leitung der FLL-Regelwerksausschüsse und –Arbeitskreise: → Richtlinien zur Verkehrssicherheit von Bäumen - Regelkontrollen → Richtlinien zur Verkehrssicherheit von Bäumen - Baumuntersuchungen → Richtlinien zur Gehölzwertermittlung Erwachsenenweiterbildung: Deutsche Akademie Sachverständige für Grün – dasgrün.de, www.dasgruen.de Sachverständigenbüro Dr. Hans-Joachim Schulz, Sonnengarten 7, D-51545 Waldbröl, Tel. +49 (0)2291-90 76 105, [email protected], www.baumwert-methodekoch.de Inhalt 0 Vorbemerkungen 1 Grundsätzliches .................................................................... 2 1.1 Rechtliches aus sachverständiger Sicht ........................ 2 1.2 Grundsätze zum Verständnis ............................................. 2 1.2.1 Das Herrschaftsrecht des Grundeigentümers ............. 2 1.2.2 Die ökologische Bedeutung der Grünbestände .......... 3 1.2.3 Die Begrünung von Grundstücken als Wertfaktor ...... 3 1.2.4 Die Bedeutung von Baumschutzregelungen ................ 4 2 Grenzabstände ....................................................................... 5 2.1 Abstandsregelungen gelten nur für Gehölze ................ 6 2.1.1 Gehölze ....................................................................................... 6 2.1.1.1 Bäume ......................................................................................... 6 2.1.1.2 Sträucher .................................................................................... 6 2.1.1.3 Hecken ........................................................................................ 7 2.2 Die wichtigsten Abstandsregeln, NachbG NRW......... 7 2.2.1 Abstände für Wald (ァ 40) ..................................................... 7 2.2.2 Abstände für Bäume (ァ 41) ................................................. 8 2.2.3 Abstände Sträucher (ァ 41) .................................................. 8 2.2.4 Abstände für Obstgehölze (ァ 41) ...................................... 8 2.2.5 Abstände für Rebstöcke (ァ 41) .......................................... 9 2.2.6 Abstände für Hecken (ァ 42) ................................................ 9 2.2.7 Abstände für Baumschulflächen (ァ 44) .......................... 9 2.2.8 Ausnahmen (ァ 45) ..................................................................10 2.2.9 Ausschluss des Beseitigungsanspruchs (ァ 47)...........10 2.2.10 Nachträgliche Grenzänderungen (ァ 48) .........................10 3 ワberhang durch Bäume in Grenznähe ......................11 3.1 ァ 910 BGB ワberhang ............................................................11 3.1.1 Beeinträchtigungen einer Grundstücksnutzung ..........11 3.1.2 Keine Beeinträchtigungen der G-Nutzung ....................12 3.1.3 Kostenerstattung .....................................................................13 3.1.4 Schadensmitverursachung ..................................................14 3.1.5 Zur Schadensberechnung bei rechtswidrig abgeschnittenen Wurzeln und Zweigen..........................14 3.2 Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis .................................. 15 3.2.1 Was für das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis gilt ......................................................... 15 3.2.2 Nachbarrechtliches Gemeinschaftsverhältnis ist kein Schuldverhältnis ................................................................. 16 3.2.3 Beispielfall ............................................................................................ 16 4 Beeinträchtigungen durch Bäume vom Nachbarn........ 18 4.1 Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch (LEMKE) .............. 19 4.1.1 Anspruchsvoraussetzungen.......................................................... 19 4.1.2 Einwirkung ........................................................................................... 20 4.1.3 Wesentliche Beeinträchtigung der G-Benutzung ................. 20 4.1.4 Ortsübliche Benutzung des emittierenden Grundstücks...21 4.1.5 Unverhinderbarkeit der Beeinträchtigung ................................ 21 4.1.6 Ortsübliche Benutzung des betroffenen Grundstücks ........ 22 4.1.7 Unzumutbare Beeinträchtigung der Nutzung oder des Ertrags des betroffenen Grundstücks............................... 22 4.1.8 Anspruchsberechtigter und Anspruchsverpflichteter .......... 22 4.1.9 Anspruchsinhalt ................................................................................. 22 4.1.10 Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch analog ァ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ................................................ 23 4.1.11 Störer ..................................................................................................... 23 4.1.12 Naturbedingte Schadensfälle ....................................................... 24 4.1.13 BGH 2004, 1037 und BGH V ZR 99/03 ................................... 25 4.1.14 Fazit ........................................................................................................ 26 5 Baum (Strauch) als Grenzbaum .............................................. 26 5.1 ァ 923 BGB Grenzbaum .................................................................. 26 5.2 Verkehrssicherungspflicht für Grenzbäume ........................... 27 5.2.1 Konsequenzen für Sachverständige.......................................... 27 5.2.2 Folgen für Baumpfleger .................................................................. 28 5.2.3 Häufigkeit der Baumkontrollen ..................................................... 28 6 Grenzanlagen/-einrichtungen................................................... 29 6.1 ァ 921 BGB Gemeinschaftliche Benutzung von Grenzanlagen ..................................................................................... 29 6.2 ァ 922 Art der Benutzung und Unterhaltung ............................ 28

Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

  • Upload
    leanh

  • View
    248

  • Download
    1

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 1

Bäume an der GrenzeIV. Essener Baumtag – Erfahrungsaustausch Rhein-Ruhr-Lippe, 5. November 2013

Dr. Hans-Joachim Schulz, Sachverständiger Düsseldorf/Waldbröl,

Von der Landwirtschaftskammer NRW öffentl. bestellter und vereidigter Sachverständiger u. a. für:Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau, Teilbereiche: Garten- und Landschaftsbau, Herstellungund Unterhaltung, Wertermittlung von Freianlagen, Gärten, Grünanlagen, Gehölze, Baumpflege,Verkehrssicherheit von Bäumen, Baumwertermittlung.Leitung der FLL-Regelwerksausschüsse und –Arbeitskreise:→ Richtlinien zur Verkehrssicherheit von Bäumen - Regelkontrollen→ Richtlinien zur Verkehrssicherheit von Bäumen - Baumuntersuchungen→ Richtlinien zur GehölzwertermittlungErwachsenenweiterbildung: Deutsche Akademie Sachverständige für Grün – dasgrün.de,www.dasgruen.deSachverständigenbüro Dr. Hans-Joachim Schulz, Sonnengarten 7, D-51545 Waldbröl,Tel. +49 (0)2291-90 76 105, [email protected], www.baumwert-methodekoch.de

Inhalt0 Vorbemerkungen1 Grundsätzliches .................................................................... 21.1 Rechtliches aus sachverständiger Sicht ........................ 21.2 Grundsätze zum Verständnis ............................................. 21.2.1 Das Herrschaftsrecht des Grundeigentümers ............. 21.2.2 Die ökologische Bedeutung der Grünbestände .......... 31.2.3 Die Begrünung von Grundstücken als Wertfaktor ...... 31.2.4 Die Bedeutung von Baumschutzregelungen ................ 42 Grenzabstände ....................................................................... 52.1 Abstandsregelungen gelten nur für Gehölze ................ 62.1.1 Gehölze....................................................................................... 62.1.1.1 Bäume ......................................................................................... 62.1.1.2 Sträucher .................................................................................... 62.1.1.3 Hecken ........................................................................................ 72.2 Die wichtigsten Abstandsregeln, NachbG NRW......... 72.2.1 Abstände für Wald (§ 40) ..................................................... 72.2.2 Abstände für Bäume (§ 41) ................................................. 82.2.3 Abstände Sträucher (§ 41) .................................................. 82.2.4 Abstände für Obstgehölze (§ 41) ...................................... 82.2.5 Abstände für Rebstöcke (§ 41) .......................................... 92.2.6 Abstände für Hecken (§ 42) ................................................ 92.2.7 Abstände für Baumschulflächen (§ 44) .......................... 92.2.8 Ausnahmen (§ 45) ..................................................................102.2.9 Ausschluss des Beseitigungsanspruchs (§ 47)...........102.2.10 Nachträgliche Grenzänderungen (§ 48).........................103 Überhang durch Bäume in Grenznähe ......................113.1 § 910 BGB Überhang ............................................................113.1.1 Beeinträchtigungen einer Grundstücksnutzung ..........113.1.2 Keine Beeinträchtigungen der G-Nutzung ....................123.1.3 Kostenerstattung .....................................................................133.1.4 Schadensmitverursachung ..................................................143.1.5 Zur Schadensberechnung bei rechtswidrig

abgeschnittenen Wurzeln und Zweigen..........................14

3.2 Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis.................................. 153.2.1 Was für das nachbarrechtliche

Gemeinschaftsverhältnis gilt......................................................... 153.2.2 Nachbarrechtliches Gemeinschaftsverhältnis

ist kein Schuldverhältnis ................................................................. 163.2.3 Beispielfall ............................................................................................ 164 Beeinträchtigungen durch Bäume vom Nachbarn........ 184.1 Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch (LEMKE).............. 194.1.1 Anspruchsvoraussetzungen.......................................................... 194.1.2 Einwirkung ........................................................................................... 204.1.3 Wesentliche Beeinträchtigung der G-Benutzung ................. 204.1.4 Ortsübliche Benutzung des emittierenden Grundstücks...214.1.5 Unverhinderbarkeit der Beeinträchtigung ................................ 214.1.6 Ortsübliche Benutzung des betroffenen Grundstücks ........ 224.1.7 Unzumutbare Beeinträchtigung der Nutzung oder

des Ertrags des betroffenen Grundstücks............................... 224.1.8 Anspruchsberechtigter und Anspruchsverpflichteter .......... 224.1.9 Anspruchsinhalt ................................................................................. 224.1.10 Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch

analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ................................................ 234.1.11 Störer ..................................................................................................... 234.1.12 Naturbedingte Schadensfälle ....................................................... 244.1.13 BGH 2004, 1037 und BGH V ZR 99/03 ................................... 254.1.14 Fazit ........................................................................................................ 265 Baum (Strauch) als Grenzbaum .............................................. 265.1 § 923 BGB Grenzbaum .................................................................. 265.2 Verkehrssicherungspflicht für Grenzbäume ........................... 275.2.1 Konsequenzen für Sachverständige.......................................... 275.2.2 Folgen für Baumpfleger .................................................................. 285.2.3 Häufigkeit der Baumkontrollen..................................................... 286 Grenzanlagen/-einrichtungen................................................... 296.1 § 921 BGB Gemeinschaftliche Benutzung von

Grenzanlagen ..................................................................................... 296.2 § 922 Art der Benutzung und Unterhaltung ............................ 28

Page 2: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 2

0. Vorbemerkungen

Bäume begrünen als wesentliche Grundstücksbestandteile (§ 94 BGB) allenthalben

Liegenschaften. Sie machen z. B. im urbanen Bereich unser Dasein erträglich, gestalten

Stadtlandschaften und die Feldflur, klimatisieren an heißen Tagen mit ihrem Laub-

/Nadelkleid und regeln bei Sturm sowie bei Kälte. Menschen haben eine tiefe Verbindung

zu Bäumen (SCHULZ 2001)1, mit und von denen sie seit jeher leben und deren Holz sie

nutzen.

Die Gartengestaltung benachbarter Grundstücke gibt immer wieder Anlass für Nachbar-

streitigkeiten. Zwar lieben alle die Natur, aber jeder eben auf seine Weise.

Der eine pflanzt auf seinem Grundstück Laubbäume und Sträucher oder legt einen Öko-

garten an, um ein Refugium für die Tier- und vor allem die Vogelwelt zu schaffen und

sich an selbst geernteten Früchten zu erfreuen. Für den anderen besteht ein Hausgarten

aus einer Thujahecke und kurzgeschorenem Rasen, bei dem jedes Blatt von Nachbars

Laubbäumen stört, herübergewehter Unkrautsamen eine kleine Katastrophe ist und der

Schatten grenznaher Bäume nur beim Sonnenbaden stört.

Heute wird zwar intensiv um den Erhalt von Bäumen gekämpft und i. d. R. schätzt man

sie grundsätzlich hoch ein, solange sie keinen Schatten zu Unzeiten werfen, dem eigenen

Grundstück nicht die Aussicht nehmen, kein Laub fallen lassen und sonst wie eigene (oft

seltsame) Befindlichkeiten stören. Bei Nachbarschaftsstreitigkeiten schaut man in den

Abgrund der menschlichen Eitelkeiten der Parteien. Und der ist tief.

1 Grundsätzliches

1.1 Rechtliches aus sachverständiger Sicht

Sachverständige sollen sich nur zu Fachlichem äußern und Rechtliches Juristen überlas-

sen. Da das Rechtliche auf das Fachliche wirkt und umgekehrt, müssen Sachverständige

das Recht kennen und berücksichtigen, anderenfalls werden die Gutachten wertlos. Zu-

dem kann es helfen, wenn Juristen das Fachliche von Sachverständigen transparent ge-

macht wird. Folglich muss der Hinweis erfolgen, dass nachstehende Ausführungen aus

sachverständiger Sicht gemacht werden.

1.2 Grundsätze zum Verständnis

Wenn Nachbarn wegen der Bepflanzung ihrer Grundstücke in Streit geraten, sollten eini-

ge Grundsätze bekannt sein, die auch von der Rechtsprechung berücksichtigt werden.

Diese Kenntnis kann dazu beitragen, Auseinandersetzungen zu versachlichen.

1.2.1 Das Herrschaftsrecht des Grundeigentümers

Hierzu muss man wissen, dass es an sich keinen Eingriff in die Rechte des Nachbarn dar-

stellt, wenn jemand auf seinem Grundstück Bäume, Sträucher oder Hecken anpflanzt,

eine bunte Wiese anstelle eines gepflegten Rasens ansät oder gegen einen natürlich ge-

wachsenen Pflanzenbestand auf seinem Grundstück nichts unternimmt. Hierzu ist er, so

weit nicht das Gesetz (vor allem die Grenzabstandsregelungen für Bäume, Sträucher und

1 SCHULZ, H.-J. Entwicklung und Stand der Wirksamkeit von Baumschutzsatzungen, WF 2001, 154

Page 3: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 3

Hecken in den Landesnachbarrechtsgesetzen) oder Rechte Dritter (aus Vertrag oder

Grunddienstbarkeit) entgegenstehen, als Grundstückseigentümer aus eigenem Recht und

als Grundstücksbesitzer (Mieter oder Pächter) aus vom Eigentümer abgeleiteten Recht

nach § 903 BGB 2 befugt.

Inwieweit das Gesetz diesem Herrschaftsrecht entgegensteht, wird in den folgenden Aus-

führungen erläutert.

1.2.2 Die ökologische Bedeutung der Grünbestände

Es kommt hinzu, dass das allseits gestiegene Umweltbewusstsein einen Konsens dahin

bewirkt hat, die Natur in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen zu schützen und zu

bewahren sowie bereits eingetretene Schäden des Naturhaushalts weitestgehend wieder

rückgängig zu machen. Vor allem die Erhaltung der innerstädtischen Grünbestände liegt

im öffentlichen Interesse.

Dies gilt in besonderem Maße für die Erhaltung des Baumbestands. Ein Baum, der als

Sauerstofflieferant etwa 1200 Liter Sauerstoff in der Stunde erzeugt, als Luftbefeuchter

rd. 400 Liter Wasser pro Tag produziert, als „Entgaser“ rd. 2,4 kg Kohlendioxid in der

Stunde abbaut und der darüber hinaus noch als Kühlaggregat, Windbremser und Schall-

isolierer wirkt, hat nach der Rechtsprechung gerade (aber nicht nur) in einer Großstadt

nicht nur eine das gemeinschaftliche Leben fördernde soziale Funktion, sondern er über-

nimmt schon eine nahezu lebenserhaltende Aufgabe, die bei der gerichtlichen Würdigung

der von Bäumen ausgehenden Störungen (in der Regel zum Nachteil des Gestörten) in

die Wertung einbezogen wird.

Diese besondere ökologische Bedeutung von Bäumen, die entsprechend auch für Sträu-

cher gilt, ist auch die sachliche Rechtfertigung für Baumschutzsatzungen bzw. Baum-

schutzverordnungen, nach deren Vorgaben Grundstückseigentümer zum Erhalt des

Baum- und Strauchbestands auf ihren Grundstücken nicht nur nach Maßgabe des § 903

BGB berechtigt sind, sondern darüber hinaus sogar rechtlich verpflichtet sein können.

1.2.3 Die Begrünung von Grundstücken als Wertfaktor

Schließlich hat der allgemeine Bewusstseinswandel im Verhältnis zur natürlichen Umwelt

auch dazu geführt, dass die Begrünung der Umgebung in die Wertung von Grundstücken

eingeflossen ist. So wird jedenfalls in heutiger Zeit das konkrete Umfeld eines Haus-

grundstücks dann als besonders wertvoll erachtet, wenn es unmittelbar an Grünanlagen

oder begrünte Grundstücke angrenzt. Dem entspricht es, dass Grundstücke in derartiger

Lage begehrter sind, als ähnliche im sonstigen Stadtbereich und dass deshalb für solche

Grundstücke höhere Preise erzielt werden.

Diesem Gesichtspunkt wird von der Rechtsprechung bei der Beurteilung der Zumutbar-

keit von Beeinträchtigungen durch den Pflanzenbewuchs auf Nachbargrundstücken nach

2 § 903 Befugnisse des EigentümersDer Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sachenach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Der Eigentümer eines Tieres hat beider Ausübung seiner Befugnisse die besonderen Vorschriften zum Schutz der Tiere zu beachten.

Page 4: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 4

dem Motto Rechnung getragen, dass derjenige, der aus seiner begrünten Umgebung Vor-

teile zieht, auch gewisse damit verbundene Nachteile etwa durch Laubfall hinzunehmen

hat.

1.2.4 Die Bedeutung von Baumschutzregelungen

Wegen der ökologischen Bedeutung der innerstädtischen Grünbestände haben inzwischen

viele Städte und Gemeinden Baumschutzregelungen erlassen. Derartige Regelungen er-

gehen entweder in Form von Rechtsverordnungen (so in Bayern, Berlin, Bremen, Ham-

burg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen) oder als Satzungen (so in Ba-

den-Württemberg, Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz,

dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein).

In den Baumschutzsatzungen oder Baumschutzverordnungen sind regelmäßig alle Hand-

lungen verboten, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung der geschütz-

ten Bäume (und Sträucher) im Kronen- oder Wurzelbereich führen können (Verände-

rungsverbote). Dies bedeutet eine öffentlich-rechtliche Sperre für die Geltendmachung

von zivilrechtlichen Nachbarabwehrrechten.

Praxis-Tipp 1 Deshalb muss zunächst bei der Gemeinde- oder Stadtverwaltung eine na-

turschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung beantragt und bei Ablehnung verwaltungsge-

richtlich durchgesetzt werden, bevor vom Nachbarn die Beseitigung oder der Rückschnitt

eines schattenwerfenden Baumes verlangt oder von dem Selbsthilferecht zum Abschnei-

den von über die Grenze wachsenden Wurzeln und Zweigen Gebrauch gemacht werden

kann.

Andernfalls riskiert man ein klageabweisendes Urteil im Zivilrechtsstreit oder bei der un-

zulässigen Ausübung des Selbsthilferechts eine Schadenersatzklage wegen der abge-

schnittenen Wurzeln oder Zweige. Außerdem kann man sich bei der ungenehmigten Be-

seitigung oder Beschädigung geschützter Bäume ein saftiges Bußgeld einhandeln (in

Bayern etwa bis 50.000 EUR).

Der Antrag auf naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung kann sowohl vom Eigentü-

mer des streitgegenständlichen Baums (oder Strauches) als auch vom Nachbarn gestellt

werden.

Praxis-Tipp 2 Als erster Schritt bei einem Nachbarstreit über Bäume oder Sträucher soll-

te zunächst geklärt werden, ob die fraglichen Gehölze durch eine Baumschutzsatzung

oder Baumschutzverordnung geschützt sind. Trifft dies zu, ist bei der Gemeinde- bzw.

Stadtverwaltung eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zu beantragen, wenn

in die Substanz der Gehölze eingegriffen werden soll. Erst wenn hierzu eine positive Ent-

scheidung vorliegt, sollte als letzter Schritt eine Zivilklage in Erwägung gezogen werden,

wenn eine Einigung mit dem Nachbar nicht möglich ist.

Auch von dem Selbsthilferecht, über die Grenze wachsende Wurzeln oder Zweige ab-

schneiden zu dürfen, darf bei geschützten Bäumen und Sträuchern erst nach Vorliegen

einer naturschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung Gebrauch gemacht werden.

Page 5: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 5

2 Grenzabstände

Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt keine Grenzabstände für Bäume, Sträucher und He-

cken. Der Eigentümer hat daher an sich das Recht, auf seinem Grundstück beliebig viele

Bäume und Sträucher anzupflanzen oder wachsen zu lassen, auch wenn dadurch Nach-

bargrundstücke verschattet werden (§ 903 BGB). Die Tatsache, dass durch den

Pflanzenbewuchs auf dem einen Grundstück einem Nachbargrundstück das Sonnenlicht

entzogen wird, ist nach ständiger Rechtsprechung im Allgemeinen keine unzulässige

Einwirkung, die den betroffenen Nachbarn berechtigen könnte, die Beseitigung oder den

Rückschnitt der Schatten spendenden Gehölze zu verlangen (Näheres hierzu in

Abschnitt 3).Dem nachbarlichen Interessenausgleich dienen hier die Vorschriften über die Grenzab-

stände für Bäume, Sträucher und Hecken in den Nachbarrechtsgesetzen der Bundeslän-

der. Zusätzlich gibt es auch noch Grenzabstandsvorschriften für Waldungen und teilweise

für Hopfenpflanzungen und Weinstöcke. Weil diese Vorschriften aber für den durch-

schnittlichen Haus- und Grundeigentümer nicht von Bedeutung sind, bleiben sie im Fol-

genden außer Betracht.

Grenzabstandsvorschriften für Bäume, Sträucher und Hecken finden sich in Baden-

Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-West-

falen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und

Thüringen.

Keine nachbarrechtlichen Grenzabstandsvorschriften für Bäume, Sträucher und Hecken

gibt es in Bremen und Hamburg, beides Länder, die traditionell keine Nachbarrechtsge-

setze kennen, und (bisher noch nicht) in Mecklenburg-Vorpommern. In diesen Bundes-

ländern muss man sich im Streitfall entweder mit dem nachbarlichen Gemeinschaftsver-

hältnis behelfen oder prüfen, ob Vorschriften des Baurechts einschlägig sind.

Wegen der Unübersichtlichkeit und erstaunlichen Vielfalt der von den Landesgesetzge-

bern gefundenen Lösungen ist es verständlich, dass Grenzabstandsvorschriften in der

Bevölkerung weitgehend unbekannt sind. Insbesondere in Baden-Württemberg, Berlin,

Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Thüringen haben sich

die Landesgesetzgeber so richtig ausgetobt bei dem Versuch, für nahezu jede Baum- und

Strauchart besondere Grenzabstände vorzuschreiben. Deshalb geraten nicht nur Gerich-

te, sondern auch Botaniker ins Grübeln, was denn klein-, mittelgroß- oder großwüchsige

Bäume und Sträucher im konkreten Fall sind.

Außerdem sind die gefundenen Definitionen auch nicht einheitlich, wie das Beispiel der

Rosskastanie zeigt. Diese Baumart gilt in Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und

Thüringen als sehr stark wachsend, dagegen in Berlin und Nordrhein-Westfalen nur als

stark wachsend und in Baden-Württemberg schließlich als großwüchsig. Auch die Platane

ist in Baden-Württemberg großwüchsig, in Berlin stark wachsend, in Hessen sehr stark

wachsend, in Nordrhein- Westfalen wieder stark wachsend und in Rheinland-Pfalz, dem

Saarland und Thüringen ebenfalls wie in Hessen sehr stark wachsend.

Das hat mit einer eindeutigen botanischen Zuordnung nichts zu tun und zeigt auch keine

besonders glückliche Hand der Landesgesetzgeber bei der Auswahl der als Beispiele für

die unterschiedlichen Wuchsarten ausgewählten Bäume. Immerhin hängt von der jeweili-

gen Zuordnung die Entscheidung ab, ob ein Grenzabstand von 4 m (bei sehr stark wach-

senden Bäumen) oder nur von 2 m (bei stark wachsenden Bäumen – oder „alle übrigen

Bäume“ in NRW) einzuhalten ist (so etwa als Beispiel das NRG von Thüringen).

Page 6: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 6

Nur in den Bundesländern Bayern, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-

Anhalt und Schleswig-Holstein haben die Landesgesetzgeber Mut zur Vereinfachung ge-

zeigt, sodass auch der Nichtfachmann den Sinn der gesetzlichen Regelung begreift. Hier

gilt die einfache Faustregel: Je höher der Baum oder Strauch, desto größer der Grenzab-

stand.

Praxis-Tipp 3 Wenn Sie unter dem Schattenwurf hoher Bäume auf dem Nachbargrund-

stück leiden oder sich über herüberwachsende Wurzeln und Zweige ärgern, dann prüfen

Sie als erstes immer, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzabstände eingehalten sind

und die Fristen auf Beseitigung nach den Nachbargesetzen der Länder noch nicht abge-

laufen sind. Wenn das nicht der Fall ist, haben Sie vor Gericht gute Chancen. Und warten

Sie nicht zu lange mit einer Klage, denn der Anspruch auf Beseitigung oder Rückschnitt

von Gehölzen unterliegt der Verjährung (z. B. in NRW 6 Jahre)

Vergessen Sie andererseits nicht eine Anfrage bei Ihrer Gemeinde- oder Stadtverwal-

tung, ob Ihr und Ihres Nachbarn Grundstück im Geltungsbereich einer Baumschutzsat-

zung bzw. Baumschutzverordnung liegen. Die streitigen Bäume oder Sträucher könnten

geschützt sein.

Die Grenzabstandsvorschriften der Nachbarrechtsgesetze dienen dem Schutz von Nach-

bargrundstücken vor Verschattung. Dieser Gesichtspunkt spielt für den öffentlichen Stra-

ßengrund keine Rolle. Hier kann es allenfalls von Bedeutung sein, dass die Verkehrssi-

cherheit durch Gehölzbewuchs auf Straßenanliegergrundstücken beeinträchtigt wird. Der

aus diesem Grund notwendige Grenzabstand zu öffentlichen Straßen richtet sich allein

nach den straßenrechtlichen Vorschriften.

2.1 Grenzabstandsregelungen gelten nur für Gehölze

2.1.1 Gehölze

Die Grenzabstände der Nachbarrechtsgesetze sind nur für Gehölze (Bäume, Sträucher

und Hecken), nicht dagegen für andere Pflanzen (Stauden, Gräser) zu beachten. Bei den

Gehölzen ist eine eindeutige Zuordnung wichtig, weil jeweils unterschiedliche Grenzab-

stände gelten.

2.1.1.1 Bäume

Einen Baum wird jedermann erkennen können. Wesentliches Definitionsmerkmal ist, dass

er einen oder mehrere Stämme besitzt, die eine Krone aufweisen.

2.1.1.2 Sträucher

Die Unterscheidung zwischen Bäumen und Sträuchern ist wichtig, weil für Bäume im All-

gemeinen größere Grenzabstände gelten als für Sträucher. Ausschlaggebend für die

Unterscheidung ist immer das Verzweigungssystem. Während der Baum einen oder

mehrere Stämme mit Krone bildet, verzweigt sich der Strauch mehr oder weniger

gleichmäßig vom Boden aus.

Page 7: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 7

2.1.1.3 Hecken

Die meisten Nachbarrechtsgesetze sehen für Hecken andere Grenzabstände als für Bäu-

me und Sträucher vor. Deshalb ist die Unterscheidung wichtig, ob es sich im konkreten

Fall um eine allgemeine Anpflanzung aus Bäumen bzw. Sträuchern handelt oder aber um

eine Hecke. Für eine Hecke können nach der Rechtsprechung die verschiedensten Baum-

und Straucharten verwendet werden, sofern sie so gepflanzt sind, dass die Geschlossen-

heit der Pflanzenkörper unter sich und ihr Verbund eine wandartige Formation ergeben.

Weiteres Kriterium ist, dass die Hecke durch Pflege und Rückschnitt in einer bestimmten

Form und Höhe gehalten wird.

Deshalb kann auch eine Fichtenreihe als Hecke gelten, wenn sie diesen Anforderungen

entspricht. Hat aber eine Fichtenreihe, die zunächst als Hecke gepflanzt und gepflegt

wurde, eine bestimmte Höhe überschritten, dann kann sie damit ihren Heckencharakter

verlieren und ist als Baumreihe anzusehen sein, sodass dann die Abstandsregelungen für

Bäume gelten.

2.2 Die wichtigsten Abstandsregeln nach NachbG NRW

Die wichtigsten Abstandsregelungen finden sich in Nachbargesetz von Nordrhein-

Westfalen (NachbG NRW) im XI. Abschnitt: Grenzabstände für Pflanzen.

2.2.1 Abstände für Wald (§ 40 NachbG NRW)

(1) Auf Waldgrundstücken ist freizuhalten

a) zu benachbarten Waldgrundstücken, Ödländereien oder Heidegrundstücken

1. ein Streifen von 1 m Breite von jedem Baumwuchs und

2. ein weiterer Streifen von 2 m Breite von Nadelholz über 2 m Höhe mit Aus-

nahme der Lärche,

b) zu Wegen ein Streifen von 1 m Breite von Baumwuchs über 2 m Höhe,

c) zu benachbarten landwirtschaftlich, gärtnerisch oder durch Weinbau genutzten

oder zu diesen Zwecken vorübergehend nicht genutzten Grundstücken

1. ein Streifen von 1 m Breite von jedem Baumwuchs und

2. ein weiterer Streifen von 3 m Breite von Baumwuchs über 2 m Höhe.

Mit Pappelwald ist gegenüber den unter Buchstabe c) genannten Grundstücken ein

Abstand von 6 m einzuhalten.

(2) Mit erstmalig begründetem Wald ist zu benachbarten erwerbsgärtnerisch oder durch

Weinbau genutzten oder zu diesen Zwecken vorübergehend nicht genutzten Grundstü-

cken für die Dauer von 30 Jahren das Doppelte der in Absatz 1 Buchstabe c) vorge-

schriebenen Abstände einzuhalten. Für Pappelwald hat der Abstand in diesem Falle 8 m

zu betragen.

(3) Durch schriftlichen Vertrag, in dem die Katasterbezeichnungen der Grundstücke an-

zugeben sind, kann ein von Absatz 1 und 2 abweichender Abstand des Baumwuchses von

der Grenze, jedoch kein geringerer Abstand als 1 m für einen in dem Vertrag festzule-

genden Zeitraum vereinbart werden. Wird ein Grundstück, auf das sich eine solche Ver-

einbarung bezieht, während der Dauer der Vereinbarung veräußert oder geht es durch

Erbfolge oder in anderer Weise auf einen Rechtsnachfolger über, so tritt der Erwerber in

die Rechte und Verpflichtungen aus der Vereinbarung ein.

Page 8: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 8

2.2.2 Abstände für Bäume (§ 41 NachbG NRW)

Absatz (1) Ziff. 1 § 41 NachbG NRW regelt die Abstände von Bäumen außerhalb des Wal-

des, vorbehaltlich des § 43 (Verdoppelung der Abstände)3. Der Gesetzgeber unterschei-

det stark wachsende und alle übrigen Bäume außer Obstgehölze.

4 m Abstand für

a) stark wachsenden Bäumen, insbesondere der Rotbuche (Fagus silvatica) und sämtliche

Arten der Linde (Tilia), der Platane (Platanus), der Roßkastanie (Aesculus), der Eiche

(Quercus) und der Pappel (Populus)

2 m Abstand für

b) allen übrigen Bäumen

2.2.3 Abstände Sträucher (§ 41 NachbG NRW)

Absatz (1) Ziff. 2 § 41 NachbG NRW regelt die Abstände von Sträuchern außerhalb des

Waldes, vorbehaltlich des § 43 (Verdoppelung der Abstände)4. Der Gesetzgeber unter-

scheidet stark wachsende und alle übrigen Ziersträucher außer Obstgehölze.

1,00 m Abstand für

a) stark wachsenden Ziersträuchern, insbesondere dem Feldahorn (Acer campestre),

dem Flieder (Syringa vulgaris), dem Goldglöckchen (Forsythia intermedia), der Haselnuß

(Corylus avellana), den Pfeifensträuchern - falscher Jasmin - (Philadelphus coronarius)

0,50 m Abstand für

allen übrigen Ziersträuchern

Nach § 41 Absatz (2) NachbG dürfen Zier- und Beerenobststräucher in ihrer Höhe das

Dreifache ihres Abstandes zum Nachbargrundstück nicht überschreiten. Strauchtriebe,

die in einem geringeren als der Hälfte des vorgeschriebenen Abstandes aus dem Boden

austreten, sind zu entfernen.

2.2.4 Abstände für Obstgehölze (§ 41 NachbG NRW)

Absatz (1) Ziff. 3 § 41 NachbG NRW regelt die Abstände von Obstgehölzen außerhalb des

Waldes, vorbehaltlich des § 43 (Verdoppelung der Abstände)5.

2,00 m Abstand für

a) Kernobstbäumen, soweit sie auf stark wachsender Unterlage veredelt sind, sowie Süß-

kirschbäumen, Walnußbäumen und Esskastanienbäumen

3 § 43 Verdoppelung der AbständeDie doppelten Abstände nach den §§ 41 und 42, höchstens jedoch 6 m, sind einzuhalten gegenüber Grundstü-cken, diea) landwirtschaftlich, gärtnerisch oder durch Weinbau genutzt oder zu diesen Zwecken vorübergehend nichtgenutzt sind und im Außenbereich (§ 19 Abs. 2 des Bundesbaugesetzes) liegen oderb) durch Bebauungsplan der landwirtschaftlichen, gärtnerischen oder weinbaulichen Nutzung vorbehalten sind.4 Siehe Fußnote 25 Siehe Fußnote 2

Page 9: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 9

1,50 m Abstand für

b) Kernobstbäumen, soweit sie auf mittelstark wachsender Unterlage veredelt sind, sowie

Steinobstbäumen, ausgenommen die Süßkirschbäume

1,00 m Abstand für

c) Kernobstbäumen, soweit sie auf schwach wachsender Unterlage veredelt sind

1,00 m Abstand für

d) Brombeersträuchern

0,50 m Abstand für

e) allen übrigen Beerenobststräuchern

2.2.5 Abstände für Rebstöcke (§ 41 NachbG NRW)

Absatz (1) Ziff. 4 § 41 NachbG NRW regelt die Abstände von Rebstöcken vorbehaltlich

des § 43 (Verdoppelung der Abstände)6.

1,50 m Abstand für

a) in geschlossenen Rebanlagen, deren Gesamthöhe 1,80 m übersteigt (Weitraumanla-

gen)

0,75 m Abstand für

b) in allen übrigen geschlossenen Rebanlagen

1,50 m Abstand für

c) einzelnen Rebstöcken

Gemäß § 46 Satz 1 NachbG NRW wird der Abstand von der Mitte des Baumstammes, des

Strauches oder des Rebstockes waagerecht und rechtwinklig zur Grenze gemessen, und

zwar an der Stelle, an der der Baum, der Strauch oder der Rebstock aus dem Boden aus-

tritt.

2.2.6 Abstände für Hecken (§ 42 NachbG NRW)

Der Gesetzgeber unterscheidet Hecken bis von solchen über 2 m Höhe. Wenn nicht das

öffentliche Recht andere Grenzabstände vorschreibt, sind - vorbehaltlich des § 43 (Ver-

doppelung der Abstände)7 - folgende Abstände von der Grenze einzuhalten:

1,00 m Abstand für Hecken

a) über 2 m Höhe

0,50 m Abstand für Hecken

b) bis zu 2 m Höhe

2.2.7 Abstände für Baumschulflächen (§ 44 NachbG NRW)

Mit Baumschulbeständen belegte Flächen haben gemäß § 44 NachbG NRW folgende Ab-

stände zu Nachbargrundstücken einzuhalten:

6 S. Fußnote 27 S. Fußnote 2

Page 10: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 10

2,00 m Abstand für Gehölzbestände

a) über 2 m Höhe

1,00 m Abstand für Gehölzbestände

b) bis zu 2 m Höhe

0,50 m Abstand für Gehölzbestände

c) bis zu 1 m Höhe

2.2.8 Ausnahmen (§ 45 NachbG NRW)

(1) Die §§ 40 bis 44 gelten nicht für

a) Anpflanzungen an den Grenzen zu öffentlichen Verkehrsflächen, zu öffentlichen

Grünflächen und zu oberirdischen Gewässern von mehr als 4 m Breite (Mittelwas-

serstand),

b) Anpflanzungen auf öffentlichen Verkehrsflächen,

c) Anpflanzungen, die hinter einer geschlossenen Einfriedigung vorgenommen wer-

den und diese nicht überragen; als geschlossen im Sinne dieser Vorschrift gilt

auch eine Einfriedigung, deren Bauteile breiter sind als die Zwischenräume,

d) Windschutzstreifen und ähnliche, dem gleichen Zweck dienende Hecken und

Baumbestände außerhalb von Waldungen,

e) Anpflanzungen, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes vorhanden sind und deren

Abstand dem bisherigen Recht entspricht.

f) die in einem auf Grund des Landschaftsgesetzes erlassenen rechtsverbindlichen

Landschaftsplan vorgesehenen Anpflanzungen von Flurgehölzen, Hecken, Schutz-

pflanzungen, Alleen, Baumgruppen und Einzelbäumen.

(2) § 40 Abs. 1 Buchstabe a) Nr. 1 und 2 gilt nicht, soweit gemäß dem Forstrecht nach

gemeinsamen Betriebsplänen unabhängig von den Eigentumsgrenzen gewirtschaftet

wird.

(3) Wird für die in Absatz 1 Buchstabe e) genannten Anpflanzungen eine Ersatzanpflan-

zung vorgenommen, so gelten die §§ 40 bis 44 und 46.

(4) Absätze 1 und 2 gelten auch für Bewuchs, der durch Aussamung oder Auswuchs ent-

standen ist.

2.2.9 Ausschluss des Beseitigungsanspruchs (§ 47 NachbG NRW)

(1) Der Anspruch auf Beseitigung einer Anpflanzung, mit der ein geringerer als der inden

§§ 40 bis 44 und 46 vorgeschriebene Abstand eingehalten wird, ist ausgeschlossen, wenn

der Nachbar nicht binnen sechs Jahren nach dem Anpflanzen Klage auf Beseitigung erho-

ben hat. Der Anspruch unterliegt nicht der Verjährung.

(2) § 45 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.

2.2.10 Nachträgliche Grenzänderungen (§ 48 NachbG NRW)

Die Rechtmäßigkeit des Abstandes wird durch nachträgliche Grenzänderungen nicht be-

rührt; jedoch gilt § 45 Abs. 3 und 4 entsprechend (s. unter Pos. 2.2.8).

Page 11: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 11

3 Überhang durch Bäume in Grenznähe

Möglich ist ober- und unterirdische „Überhang“. Wurzeln wachsen in das Nachbargrund-

stück ein, Äste erstrecken ihr Wachstum in den meist freien Luftraum der Nachbarparzel-

le über die Grenzlinie hinaus. Es ergibt sich für diese Situationen Regelbedarf, den § 910

BGB vornimmt.

3.1 § 910 BGB Überhang

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann Wurzeln eines Baumes oder eines Strauches, die

von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind, abschneiden und behalten. Das Gleiche gilt

von herüberragenden Zweigen, wenn der Eigentümer dem Besitzer des Nachbargrundstücks

eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der

Frist erfolgt.

(2) Dem Eigentümer steht dieses Recht nicht zu, wenn die Wurzeln oder die Zweige die Be-

nutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen.

Vom Wortlaut des Absatz (1) her, darf man (der Eigentümer, nicht der Mieter oder Päch-

ter) erst einmal Wurzeln, die die Grenzlinie überwachsen sofort abschneiden. Für Ast-

überhang muss man dem Baumeigentümer eine Frist zu Beseitigung aufgeben. Ver-

streicht diese ohne Reaktion kann man den Astüberhang entfernen (selbst oder durch

eine Fachfirma). Beauftragte Astentfernung kann man dem Baumeigentümer in Rech-

nung stellen.

Häufig wird Absatz (2) § 910 BGB nicht ge- oder überlesen, denn ein „Abschneiderecht“

nach Absatz (1) hat man nur, wenn „die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des

Grundstücks … beeinträchtigen“. Die oberen Instanzgerichte haben die „Hürden für die

Durchsetzung von Abschneiderechten“ noch höher gelegt. Es reicht nicht, dass man in

der Nutzung seines Grundstücks beeinträchtigt ist. Vorraussetzung ist eine wesentliche

Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks.

3.1.1 Beeinträchtigungen einer Grundstücksnutzung

Eine konkrete Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung in dem dargestellten Sinn wird

man etwa dann annehmen können, wenn bei einem Nutzgarten eine ordnungsgemäße

und störungsfreie Pflege der an der Grundstücksgrenze gelegenen Beete durch tief lie-

gende überwachsende Äste nicht möglich ist oder tief liegende Baumzweige rund einen

Meter in die Garageneinfahrt oder über den Rasen hinüberragen 8. Ebenso muss es ein

Nachbar nicht hinnehmen, wenn überragende Äste mit Bauteilen (z. B. Hausgiebel, Gara-

ge, Pergola) seines Grundstücks in Kontakt kommen. Des Weiteren liegt eine konkrete

Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung vor, wenn

Baumwurzeln in eine Abwasserleitung eindringen und diese verstopfen9,

8 Zu Letzterem vgl. LG Gießen, Urteil v. 2.10.1996, 1 S 230/96, NJW-RR 1997, 655.9 Vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Urteil v. 11.6.1986, 9 U 51/86, NJW 1986, 2648; BGH, Urteil v.7.3.1986, V ZR 92/85, NJW 1986, 2640 (zur Haftung einer Gemeinde); BGH, Urteil v. 2.12.1988, VZR 26/88, NJW 1989, 1032 (zur Haftung einer Gemeinde); OVG Lüneburg, Urteil v. 31.5.1990, 9 L93/89, NvWZ 1991, 81 (zur Haftung einer Gemeinde); BGH, Urteil v. 26.4.1991, V ZR 346/89, NJW1991, 2826 (zur Haftung einer Gemeinde); BGH, Urteil v. 21.10.1994, V ZR 12/94, NJW 1995, 395(zur Haftung einer Gemeinde)

Page 12: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 12

die Standfestigkeit einer Grundstücksmauer durch Baumwurzeln beeinträchtigt wird 10,

durch Wurzelwachstum Bodenaufbrüche in einer Garage und dem anschließenden Teil

einer Hoffläche verursacht werden 11 oder

die Teerdecke einer Grundstücksauffahrt durch das Wurzelwachstum angehoben wird 12.

Hinweis In Baden-Württemberg ist landesgesetzlich geregelt, in welchen Fällen man sich

gegen das Wurzelwachstum von Nachbarbäumen zur Wehr setzen kann 13.

Nicht ausreichend ist nach der Rechtsprechung eine nur abstrakte Grundstücksbeein-

trächtigung etwa in dem Sinn, dass die Wurzeln eines Nachbarbaums rein theoretisch in

eine Abwasserleitung eindringen könnten, ohne dass es hierfür bisher konkrete Anhalts-

punkte gibt 14.

3.1.2 Keine Beeinträchtigungen einer Grundstücksnutzung

Ungeziefer, Schädlinge Befindlichkeiten bedingen, dass sich die Nachbarn wegen

Pflanzenschädlingen in die Haare geraten, die grenzüberschreitend aktiv werden.

Hierzu hat der BGH im so genannten Wollläusefall Stellung bezogen. Bei diesem Fall ging

es darum, dass Wollläuse eine Lärche befallen hatten und sich anschließend auf Kiefern

des Nachbargrundstücks ausbreiteten und diese beschädigten. Hier hat der BGH den

nachbarrechtlichen Vorschriften des BGB die gesetzgeberische Wertung entnommen,

dass abgesehen von der spezialgesetzlichen Regelung zum Überhang von Zweigen und

zu grenzüberschreitenden Wurzeln (§ 910 BGB) die natürlichen Auswirkungen von Bäu-

men und Sträuchern, die den landesgesetzlich vorgeschriebenen Grenzabstand einhalten,

regelmäßig keine abwehrfähige Eigentumsbeeinträchtigung darstellen. Dies gelte auch

für den Wollläusebefall der Lärche, der auf ein zufälliges Naturereignis zurückgeht, das

alle Grundstückseigentümer als allgemeines Risiko treffe und zur natürlichen Eigenart

jeder Art von Anpflanzung gehöre 15. Eine Störereigenschaft des Baumeigentümers oder -

besitzers käme daher nur dann in Betracht, wenn ihm ein pflichtwidriges Unterlassen

vorgeworfen werden könne, er mithin gegen eine Rechtspflicht zum Handeln verstoßen

habe. Eine solche Garantenstellung zum Schutz des Nachbarn hat der BGH aber ebenso

verneint, wie eine Pflicht zur Bekämpfung der Wollläuse aus dem Gesichtspunkt des

nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses (siehe Abschnitt 3.2). Vergleichbares gilt auch

bei Befall mit dem Eichenprozessionsspinner und alle Pollen.

10 BGH, Urteil v. 8.3.1990, III ZR 141/88, NJW 1990, 3195 (zur Haftung einer Gemeinde).11 OLG Köln, Urteil v. 17.5.1989, 13 U 113/88, NJW-RR 1989, 1177.12 LG Itzehoe, Urteil v. 9.2.1995, 4 S 154/94, NJW-RR 1995, 978.13 § 24 NRG Baden-Württemberg (eingedrungene Wurzeln)Abweichend von § 910 Abs. 1 BGB ist der Besitzer eines Obstbaumguts oder eines Grundstücks der in § 19Abs. 1 Satz 1 genannten Art, in das aus einem angrenzenden Obstbaumgut Wurzeln eines Obstbaums eingedrun-gen sind, zu deren Beseitigung nur insoweit befugt, als dies zur Herstellung und Unterhaltung eines Weges,eines Grabens, einer baulichen Anlage, eines Dräns oder einer sonstigen Leitung erforderlich ist.Die Beseitigung von sonstigen eingedrungenen Baumwurzeln ist bei einem Grundstück in Innerortslage nurdann zulässig, wenn durch die Wurzeln die Nutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigt wird, insbeson-dere Arbeiten der in Absatz 1 genannten Art die Beseitigung erfordern.14 LG Hannover, Urteil v. 25.3.1988, 10 S 89/87, NuR 1990, 45.15 BGH, Urteil v. 7.7.1995, V ZR 213/94, NJW 1995, 2633.

Page 13: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 13

Auch beim Blattlausbefall einer Eiche hat die Rechtsprechung ähnlich argumentiert und

festgestellt, dass der Blattlausbefall nicht auf eine Erkrankung des Baumes zurückzufüh-

ren sei, sondern zu den jahreszeitlich bedingten Vorgängen gehöre. Diese seien als

"normale" Folgeexistenz der Eiche hinzunehmen16.

Keine konkrete Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung sieht die Rechtsprechung etwa

in den Fällen, in denen ein Ziergarten durch den Zweigüberwuchs aus dem Nachbar-

grundstück (in etwa 2 m Höhe bis 2 m hineinwachsend) beeinträchtigt wird 17, der Über-

wuchs in 2,50 m Höhe über einer Garagenzufahrt beginnt und daher die Benutzung der

Zufahrt nicht behindert 18 oder die Beeinträchtigung durch Schattenwurf nicht durch den

Zweigüberwuchs entsteht, sondern durch das Vorhandensein hochgewachsener Bäume

auf dem Nachbargrundstück bedingt ist, woran sich durch die Beseitigung des Überwuch-

ses nichts ändern würde 19.

Schattenwurf (Entzug von Licht und Luft) Überhängende Äste ab einer Höhe von ca.

3,00 m beeinträchtigen i. d. R. die Grundstücksnutzung nicht wesentlich.

Laub- und Nadelfall Auch Laub- und Nadelfall sind übliche und natürliche Lebensäuße-

rungen von Bäumen, die sich beeinträchtigt fühlende Nachbarn i. d. R. ohne Abwehran-

spruch erdulden müssen

Früchte Für den Fruchtfall von Bäumen (Kastanien, Wallnüsse etc.) gilt Vorgesagtes.

3.1.3 Kostenerstattung

Beseitigt der beeinträchtigte Grundstückseigentümer die Wurzeln und die durch diese

verursachten Schäden auf eigene Kosten, steht ihm ein Kostenerstattungsanspruch ge-

gen den Grundstücksnachbarn nach § 812 BGB20, § 818 BGB21 zu, weil der Grundstücks-

16 OVG Münster, Urteil v. 15.4.1986, 11 A 938/84, NuR 1987, 187; a. A. OLG Köln, Urteil v.9.1.1991, 13 U 243/90, VersR 1991, 556 (zum Langwanzenbefall von Birken).17 So OLG Köln, Urteil v. 22.5.1996, 11 U 6/96, NJW-RR 1997, 656.18 So LG Hannover, Urteil v. 25.3.1988, 10 S 89/87, NuR 1990, 45.19 So LG Hannover, Urteil v. 25.3.1988, 10 S 89/87, NuR 1990, 45; OLG Oldenburg, Urteil v.25.7.1990, 4 U 89/89, NJW-RR 1991, 1367; OLG Köln, Urteil v. 22.5.1996, 11 U 6/96, NJW-RR1997, 656.20 § 812 Herausgabeanspruch(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichenGrund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtlicheGrund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nichteintritt.(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens einesSchuldverhältnisses.21 § 818 Umfang des Bereicherungsanspruchs(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was derEmpfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehungdes erlangten Gegenstands erwirbt.(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einemanderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfängernicht mehr bereichert ist.(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.

Page 14: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 14

nachbar auf Kosten des beeinträchtigten Grundstückseigentümers dadurch bereichert

wurde, dass dieser die zur Beseitigung der von den Wurzeln ausgehenden Störungen

erforderlichen Maßnahmen selbst durchgeführt hat 22.

3.1.4 Schadensmitverursachung

Durch eine Mitverantwortlichkeit des beeinträchtigten Grundstückseigentümers für den

eingetretenen Schaden kann sein Beseitigungs- oder Kostenerstattungsanspruch nach

der Rechtsprechung anteilig gemindert werden. Das ist etwa dann der Fall, wenn die An-

schlussmuffen einer Abwasserleitung fehlerhaft montiert wurden und erst ihre Undichtig-

keit das Eindringen von Wurzeln ermöglicht hat 23. Ebenso muss ein Tennisplatzbesitzer

die durch Baumwurzeln verursachte Beschädigung von Spielfeldern anteilig selbst tragen,

wenn er seine Tennisplätze in unmittelbarer Nähe einer auf dem Nachbargrundstück vor-

handenen Pappelreihe anlegt 24.

3.1.5 Zur Schadensberechnung bei rechtswidrigabgeschnittenen Wurzeln und Zweigen

Das Abschneiden der Wurzeln und Zweige von Nachbarbäumen oder -sträuchern bis zur

Grundstücksgrenze kann entweder bleibende Wuchsschäden verursachen oder aber eine

fachmännische Wundbehandlung der verbleibenden Wurzel- und Aststummel notwendig

machen. Hierbei bereitet vor allem die Wertermittlung von Bäumen und Sträuchern

Schwierigkeiten, bei denen wegen bleibender Wuchsschäden oder weil sie als Folge des

Eingriffs eingegangen sind, eine Ersatzbeschaffung erforderlich wird.

In diesen Fällen bedient sich die Rechtsprechung – falls kein Rechtsanspruch auch Wie-

derherstellung (Naturalrestitution) nach § 249 BGB 25 besteht - für die Wertermittlung bei

Totalverlust oder Teilbeschädigung der sog. Methode Koch. Danach umfasst etwa beim

Totalschaden der Ersatzanspruch den Kostenersatz für die Beseitigung des Baumrests

und des Erwerbs eines jüngeren Baumes in pflanzfähigem Alter (abhängig von der Funk-

tion) sowie dessen Transport, Anpflanzung und Anwachspflege sowie die Kosten für das

Aufwachsen dieses Baumes bis zum Alter des zerstörten26.

22 OLG Düsseldorf, Urteil v. 11.6.1986, 9 U 51/86, NJW 1986, 2648; BGH, Urteil v. 7.3.1986, V ZR92/85, NJW 1986, 2640; BGH, Urteil v. 2.12.1988, V ZR 26/88, NJW 1989, 1032; BGH, Urteil v.26.4.1991, V ZR 346/89, NJW 1991, 2826; BGH, Urteil v. 21.10.1994, V ZR 12/94, NJW 1995, 395.23 So BGH, Urteil v. 21.10.1994, V ZR 12/94, NJW 1995, 395.24 So BGH, Urteil v. 18.4.1997, V ZR 28/96, MDR 1997, 825.25 § 249 Art und Umfang des Schadensersatzes(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zumErsatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leis-ten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Beider Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nurmit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.26 Aus über 100 Entscheidungen: BGH, Urteil v. 13.5.1975, VI ZR 85/74, NJW 1975, 2061; BGH,Urteil vom 25.01.2013 – V ZR 225/12, Urteile & Recht, www.dasgrüne.de, OLG Karlsruhe, Urteil v.20.4.1988, 13 U 61/85, NuR 1991, 94; LG Mainz, Urteil v. 6.6.1989, 2 O 45/89, NuR 1991, 96; LGStuttgart, Urteil v. 20.11.1989, 15 O 188/89, AgrarR 1991, 280; OLG Celle, Urteil v. 14.2.1992, 4 U105/90, NuR 1992, 499; LG Arnsberg, Urteil v. 12.11.1993, 5 S 96/92, AgrarR 1995, 255; LG Berlin,

Page 15: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 15

Praxis-Tipp 6 Nach der Rechtsprechung müssen Geschädigte keine Billigangebote be-

stimmter Baumschulen akzeptieren27 . Man kann vielmehr grundsätzlich eine Wiederher-

stellung (Naturalrestitution gemäß § 249 BGB) verlangen, die ggf. gemäß § 251 BGB28

aufzugeben ist. In letzterem Fall wird die Schadenshöhe nach der Methode KOCH ermit-

telt, die der BGH sowohl in Fällen von Totalschäden wie bei Teilschäden anerkannt hat. §

251 bestimmt den Wert der beschädigten Sachen über das Sachwertverfahren für Gehöl-

ze ausgehend von "normalen Herstellungskosten". Ob für eine Schadensberechnung §

249 oder § 251 BGB anzuwenden ist, ist eine reine Rechtsfrage und nicht von Gutachtern

durch ausschließliche Anwendung der Methode KOCH sachverständig zu entscheiden.

3.2 Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis

Nachbarn stehen aufgrund des nahen Lebensverhältnisses in einer Sonderbeziehung.

Diese Sonderbeziehung wird durch das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis reflek-

tiert und ausgestaltet.

Das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis ist ein Rechtsinstitut, das auf § 242 BGB29, dem Grundsatz von Treu und Glauben, basiert. Durch die Rechtsprechung wurde die-

ser Grundsatz weiterentwickelt, so dass die eigenen Rechte ihre Grenzen dort finden, wo

sie beginnen, die Interessen anderer in einem Maße zu beeinträchtigen, das als unver-

hältnismäßig angesehen werden muss.

3.2.1 Was für das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis gilt

§ 242 BGB ist auch auf das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis anzuwenden. Da-

durch wird festgelegt, dass Nachbarn untereinander zur gegenseitigen Rücksichtnahme

verpflichtet sind. Dies kann unter Umständen Auswirkungen auf das eigene Eigentum

haben. § 903 BGB 30 legt die Befugnisse des Eigentümers einer Sache fest und sagt aus,

dass dieser mit der Sache nach Belieben verfahren kann. Dies gilt jedoch nur so lange

und so weit, wie keine Gesetze oder Rechte Dritter entgegenstehen. Das Eigentumsherr-

schaftsrecht nach § 903 BGB ist jedoch nur in Ausnahmefällen aufgrund des nachbar-

rechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses zu beschränken.

Urteil v. 11.1.1994, 31 O 266/93, AgrarR 1995, 272; OLG Düsseldorf, Urteil v. 12.12.1996, 18 U118/95, NJW-RR 1997, 856; LG Osnabrück, Urteil v. 28.4.1998, 7 O 368/97, AgrarR 1998, 417.27 So LG Arnsberg, Urteil v. 12.11.1993, 5 S 96/92, AgrarR 1995, 255.28 § 251 Schadensersatz in Geld ohne Fristsetzung(1) Soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist, hat derErsatzpflichtige den Gläubiger in Geld zu entschädigen.(2) Der Ersatzpflichtige kann den Gläubiger in Geld entschädigen, wenn die Herstellung nur mit unverhältnis-mäßigen Aufwendungen möglich ist. Die aus der Heilbehandlung eines verletzten Tieres entstandenen Aufwen-dungen sind nicht bereits dann unverhältnismäßig, wenn sie dessen Wert erheblich übersteigen.29 § 242 Leistung nach Treu und GlaubenDer Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Ver-kehrssitte es erfordern.30 § 903 Befugnisse des EigentümersDer Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mitder Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Der Eigentümereines Tieres hat bei der Ausübung seiner Befugnisse die besonderen Vorschriften zum Schutz der Tierezu beachten.

Page 16: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 16

3.2.2 Nachbarrechtliches Gemeinschaftsverhältnis ist kein Schuldverhältnis

Nachbarn stehen in keinem Schuldverhältnis zueinander. Dies bedeutet auch, dass ein

Verschulden dritter Personen, die an diesem Nachbarverhältnis nicht beteiligt sind, nicht

über § 278 BGB 31 zugerechnet werden kann.

3.2.3 Beispielfall

Das Landgericht Mainz (2002) hat bestimmt 32, dass das Schlagzeugspielen des Nachbarn

für etwa zwei Stunden zweimal wöchentlich hingenommen werden muss. In dem Fall

ging es um Musikproben, die der Beklagte regelmäßig in seinem Einfamilienhaus abhielt.

Die Probezeiten lagen dabei bei ein- bis zweimal werktags in der Zeit von ca. 18 bis 20

Uhr. Der Kläger trug vor Gericht vor, sich durch die Musikproben gestört zu fühlen und

wollte die Probezeiten gerichtlich einschränken lassen.

Dies wurde jedoch abgelehnt. Messungen hätten lediglich eine nicht zu beanstandende

Lärmbeeinträchtigung ergeben. Der Kläger müsse es hinnehmen, dass der Beklagte ein-

bis zweimal die Woche proben dürfe. Aufgrund des nachbarrechtlichen Gemeinschafts-

verhältnisses dürfen beide Parteien ihren Interessen nachgehen, müssen jedoch jeweils

auf die andere Seite Rücksicht nehmen. Dies hätte der Beklagte in diesem Fall getan, da

er weder mit der Länge der Proben, noch mit der Lautstärke übertrieben hat.

Prütting/Wegen/Weinreich (Kommentar zum BGB, § 903 BGB, Befugnisse des Eigentü-

mers) merken unter Randziffer 17 an: Beispiele aus der Rechtsprechung für die Be-

31 § 278 Verantwortlichkeit des Schuldners für DritteDer Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllungseiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des §276 Abs. 3 findet keine Anwendung.§ 276 Verantwortlichkeit des Schuldners(1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung wederbestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garan-tie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Die Vorschriften der §§ 827 und 828 finden entsprechendeAnwendung.(2) Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.(3) Die Haftung wegen Vorsatzes kann dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden.§ 827 Ausschluss und Minderung der VerantwortlichkeitWer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustandkrankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den Schaden nicht verantwort-lich. Hat er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Artversetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustand widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise ver-antwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohneVerschulden in den Zustand geraten ist.§ 828 Minderjährige(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nichtverantwortlich.(2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Un-fall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verant-wortlich. Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat.(3) Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit nicht nach Absatz 1oder 2 ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei derBegehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsichthat.32 LG Mainz, 12.11.2002, - 6 S 57/02

Page 17: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 17

schränkung der Eigentümerbefugnisse aus dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Ge-

meinschaftsverhältnisses

sind die Pflicht des Grundstückseigentümers, sein Gebäude weiter von der Grund-

stücksgrenze entfernt als beabsichtigt zu errichten, um die Fenster in der Giebelwand

des Nachbarhauses nicht zu verbauen (BGH BB 53, 373),

der Schadensersatzanspruch des Grundstückseigentümers, der sein Gebäude wegen

einer von dem Nachbargrundstück in den Luftraum seines Grundstücks hineinragen-

den Brandmauer nicht – wie zulässig – auf der Grundstücksgrenze, sondern in entspr

Abstand davon errichten muss (BGHZ 28, 110),

die Pflicht des Grundstückseigentümers, das Herabfallen von Steinbrocken auf sein

Grundstück von Sprengungen auf dem Nachbargrundstück gegen Entschädigung zu

dulden (BGHZ 28, 225)

oder von dem Abriss einer auf seinem Grundstück stehenden Grenzwand abzusehen,

weil anderenfalls das auf dem Nachbargrundstück an die Grenze gebaute Haus erheb-

lich beeinträchtigt würde (BGHZ 68, 350),

die Pflicht des Grundstückseigentümers zur Duldung einer nach § 909 an sich

unzulässigen Vertiefung auf dem Nachbargrundstück (BGHZ 101, 290),

der eingeschränkte Unterlassungsanspruch des geschädigten Eigentümers gegen den

Benutzer des Nachbargrundstücks, eine Deponie so anzulegen, dass sie den natürli-

chen Abfluss von Kaltluft von seinem Grundstück verhindert (BGHZ 113, 384),

die Auferlegung einer besonderen Handlungspflicht des Grundstückseigentümers zur

Verhinderung von Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks, wenn aus zwingen-

den Gründen ein billiger Interessenausgleich notwendig ist (BGH NJW-RR 01, 1208,

1209),

die Verpflichtung des Grundstückseigentümers, Änderungen an seinem Gebäude in

einer die Belange des Nachbarn möglichst wenig beeinträchtigenden Weise vorzu-

nehmen (BGH NJW-RR 03, 1313),

die Verpflichtung von Nachbarn, bei erkannter Grenzverwirrung keine vollendeten

Tatsachen zu schaffen und den Besitz an sich zu ziehen, um so eine Abgrenzung nach

der Regelung in § 920 I 1 zu erreichen, sondern die neue Grenzziehung abzuwarten

(BGH NJW-RR 08, 610, 611),

die Duldung kurzfristiger Beeinträchtigungen der Zufahrt zum Grundstück (BGH NJW-

RR 11, 1476, 1477),

die Unzulässigkeit des Verbietungsrechts des Eigentümers hinsichtlich des Betretens

seines Grundstücks durch eine auf dem Nachbargrundstück gehaltene Katze (Köln

NJW 85, 2328),

die Verpflichtung des Grundstückseigentümers, eine Parabolantenne auf seinem Haus

auf Verlangen des Nachbarn zu entfernen (Frankf NJW-RR 89, 464),

eine Baulast zu übernehmen (Frankf OLGR 96, 211),

seine Hecke herunter zu schneiden (Saarbr NJW-RR 91, 406),

nicht mehr als 100 Tauben auf seinem Grundstück zu halten (LG Itzehoe NJW-RR 95,

979)

oder seine an der Grundstücksgrenze stehenden Bäume zurück zu schneiden (AG

Mettmann WuM 91, 576).

Page 18: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 18

4 Beeinträchtigungen durch Bäume vom Nachbargrundstück

Grundstücksverschattungen durch hohe nicht über die Grenzlinie wachsende Bäume und

Sträucher sind immer wieder Anlass für Nachbarstreitigkeiten. Kein Wunder, kann doch

die Nutzung des betroffenen Grundstücks durch den Lichtentzug erheblich eingeschränkt

sein. Es liegt deshalb nahe, dass sich der Grundstückseigentümer (gemäß § 1004 BGB 33,

§ 906 BGB) bzw. der Grundstücksmieter oder -pächter (gemäß § 862 Abs. 1 BGB 34,

§ 906 BGB) dagegen zur Wehr setzen möchte und von seinem Nachbarn verlangt, die

Schatten werfenden Gehölze zu fällen oder wenigstens zurückzuschneiden.

Man ist klug beraten die Erfolgsaussicht einer Klage sehr zu prüfen, denn i. d. R. muss

man mit einer Klageabweisung rechnen.

Das liegt daran, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung und herrschenden

Lehre der Entzug von Licht durch Schatten spendende Bäume und Sträucher keine unzu-

lässige positive Einwirkung auf ein Grundstück im Sinn von § 903 BGB, § 906 BGB,

§ 1004 BGB ist, gegen die sich der Betroffene zur Wehr setzen kann. Vielmehr handelt es

sich um eine so genannte. negative Einwirkung, die nach diesen Vorschriften nicht ab-

wehrfähig ist 35.

Der Bundesgerichtshof 36 hat diese Rechtsauffassung unter Rückgriff auf die Entsteh-

ungsgeschichte des BGB damit begründet, dass ein beiderseitig unbeschränktes Recht,

mit dem Grundstück nach Belieben zu verfahren (§ 903 BGB, 1. Alternative), ebenso, wie

ein uneingeschränktes Recht, den jeweils anderen von jeden Einwirkungen auszuschlie-

ßen (§ 903 BGB, 2. Alternative), eine sinnvolle Nutzung beider Grundstücke unmöglich

machen würde. Der notwendige Interessenausgleich zwischen den Grundstücksnachbarn

werde deshalb erst durch die nachbarrechtlichen Bestimmungen, insbesondere durch

§ 906 BGB geschaffen. Nach dieser Vorschrift können aber nur positiv die Grundstücks-

grenze überschreitende und im Allgemeinen sinnlich wahrnehmbare Einwirkungen abge-

wehrt werden, wie Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusche, Erschütte-

rungen oder ähnliche Einwirkungen (sog. Imponderabilien), nicht dagegen Zustände oder

Handlungen auf dem Nachbargrundstück, die natürliche Vorteile wie Licht oder Sonnen-

schein vom eigenen Grundstück abhalten.

33 § 1004 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt,so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beein-trächtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.34 § 862 Anspruch wegen Besitzstörung(1) Wird der Besitzer durch verbotene Eigenmacht im Besitz gestört, so kann er von dem Störer die Beseitigungder Störung verlangen. Sind weitere Störungen zu besorgen, so kann der Besitzer auf Unterlassung klagen.(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Besitzer dem Störer oder dessen Rechtsvorgänger gegenüberfehlerhaft besitzt und der Besitz in dem letzten Jahre vor der Störung erlangt worden ist.35 So BGH, Urteil v. 15.6.1951, V ZR 55/50, MDR 1951, 726; OLG Hamburg, Beschluss v. 8.8.1962,8 U 44/62, MDR 1963, 135; BGH, Urteil v. 15.11.1974, V ZR 83/73, NJW 1975, 170; OLG Düssel-dorf, Urteil v. 6.7.1979, 4 U 18/79, NJW 1979, 2618; BGH, Urteil v. 22.2.1991, V ZR 308/89, NJW1991, 1671; BGH, Urteil v. 23.4.1993, V ZR 250/92, NJW 1993, 1855; VGH Mannheim, Urteil v.27.10.1995, 5 S 1023/95, NVwZ-RR 1996, 381 (zum Schattenwurf von Bäumen auf städtischemGrundstück); OLG Hamm, Urteil v. 28.9.1998, 5 U 67/98, MDR 1999, 930.36 So BGH, Urteil v. 21.10.1983, V ZR 166/82, BGHZ 88, 344.

Page 19: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 19

Die Nichterwähnung dieser so genannten negativen Einwirkungen in § 906 BGB erfolgte

nach den damaligen Vorstellungen des Gesetzgebers bewusst. Die Eigentumsfreiheit soll-

te nämlich nicht eingeschränkt werden, so lange die Grenze zum Nachbargrundstück

nicht durch die Zuführung von so genannten Imponderabilien überschritten wird. Denn

eine sich in den Grenzen des Grundstücks haltende Benutzung sollte nicht verboten sein.

So weit die Begründung durch den BGH. Ergänzend weist er noch darauf hin, dass das

BGB hinsichtlich der sog. negativen Einwirkungen keine Lücke enthält, sondern es inso-

weit bewusst bei der Freiheit des Grundeigentümers belässt, seine Sache im Rahmen der

Gesetze nach Belieben zu benutzen, so lange er die Grenzen zum Nachbargrundstück

nicht durch Zuführung von sog. Imponderabilien überschreitet. Mit diesem Ansatz ver-

neint der BGH grundsätzlich auch eine Anwendung des nachbarlichen Gemeinschaftsver-

hältnisses in Fällen sog. negativer Einwirkungen.

Eine Klage auf Beseitigung oder Rückschnitt von Schatten werfenden Bäumen oder

Sträuchern wird deshalb nur in extremen Ausnahmefällen erfolgreich sein, etwa bei voll-

ständiger Abschattung eines gesamten Grundstücks während des überwiegenden Teils

des Tages 37, einer derartigen Verschattung eines Wohnhauses, dass in Wohnräumen

selbst am Tag künstliches Licht eingeschaltet werden muss 38 oder wenn es sich bei der

Abschattung des Grundstücks um eine bewusste Schikanemaßnahme des Nachbarn

(§ 226 BGB 39) handelt 40.

Im Übrigen lösen Schatten werfende Bäume und Sträucher nur dann Ansprüche auf

Rückschnitt oder sogar auf Beseitigung aus, wenn sie unter Verletzung von Grenzab-

standsvorschriften in den Nachbarrechtsgesetzen der Länder gepflanzt wurden und ent-

sprechende Abwehransprüche zeitlich noch geltend gemacht werden können (Näheres

hierzu in Abschnitt 2).

4.1 Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch (LEMKE)

Die Passagen zum Nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch stammen von LEMKE (2012)41

4.1.1 Anspruchsvoraussetzungen

Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch hat seine gesetzliche Grundlage in § 906 Abs.

2 Satz 2 BGB 42. Er soll einen Ausgleich zwischen Nachbarn in dem Fall herbeiführen,

37 Vgl. hierzu OLG Hamm, Urteil v. 28.9.1998, 5 U 67/98, MDR 1999, 930.38 So AG Mettmann, Urteil v. 12.6.1991, 24 C 78/90, WM 1991, 576.39 § 226 SchikaneverbotDie Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufü-gen.40 Vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Urteil v. 6.7.1979, 4 U 18/79, NJW 1979, 2618.41 Dr. Reiner Lemke, Richter am Bundesgerichtshof, V. Zivilsenat42 § 906 BGB Zuführung unwägbarer Stoffe(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wär-me, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen inso-weit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beein-trächtigt. Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverord-nungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Ein-

Page 20: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 20

dass der beeinträchtigte Eigentümer in Anpassung an die sozialen und technischen Ände-

rungen in der Umgebung seines Grundstücks unter Umständen auch solche Einwirkun-

gen hinnehmen muss, welche die ortsübliche Benutzung seines Grundstücks beson-

ders schwer beeinträchtigen; der Ausgleich erfolgt in Geld und muss der Belastung, die

die Duldungspflicht mit sich bringt, angemessen sein. Der verschuldensunabhängige An-

spruch ist dann gegeben, wenn von einem emittierenden Grundstück aufgrund nicht-

hoheitlicher Tätigkeit und ortsüblicher Benutzung auf ein anderes, nicht unbedingt un-

mittelbar angrenzendes, Grundstück durch die Zuführung unwägbarer Stoffe so einge-

wirkt wird, dass dessen Benutzung wesentlich beeinträchtigt wird und diese Beeinträchti-

gung von dem Benutzer des emittierenden Grundstücks nicht durch wirtschaftlich zumut-

bare Maßnehmen verhindert werden kann. Diese Definition reiht alle gesetzlichen Tat-

bestandsmerkmale aneinander; sie ist kaum verständlich. Deshalb ist es notwendig, je-

des Merkmal einzeln zu beleuchten.

4.1.2 Einwirkung

Zunächst müssen Einwirkungen von einem Grundstück auf ein anderes Grundstück aus-

gehen. Als Art der Einwirkung nennt das Gesetz in § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB die Zufüh-

rung unwägbarer Stoffe, nämlich Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch, Ruß, Wärme, Geräu-

sche, Erschütterungen und ähnliches. Negative Einwirkungen, die durch Handlungen auf

dem eigenen Grundstück die natürlichen Vorteile und Zuführungen von dem Nachbar-

grundstück abhalten oder Ableitungen von diesem Verhindern, fallen nicht unter die Vor-

schrift. Dazu zählt z. B. die Verhinderung der Zufuhr von Licht, Luft und Wind oder des

Ausblicks und Luftabflusses, ebenso das Ablenken von Rundfunk- und Fernsehwellen

durch Gebäude oder Bäume, auch die Entziehung von Grundwasser durch Grundwasser-

förderung auf dem eigenen Grundstück. Dasselbe gilt für ideelle Einwirkungen, die durch

Handlungen auf dem eigenen Grundstück hervorgerufen werden, welche das ästhetische

Empfinden des Nachbarn verletzen und/oder den Verkehrswert des Nachbargrundstücks

mindern. Auf Einwirkungen, die durch die Zuführung so genannter Grobimmissionen, das

sind größere festkörperliche Gegenstände wie z. B. Flüssigkeiten, Steine, Schrotblei so-

wie Laub, Nadeln, Blüten und Zapfen von Bäumen und Sträuchern, kann die Vorschrift

nicht direkt angewendet werden.

4.1.3 Wesentliche Beeinträchtigung der Grundstücksbenutzung

Ob die in § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB genannten Einwirkungen zu einer wesentlichen Beein-

trächtigung der Benutzung des betroffenen Grundstücks führen, ist keine rechtliche, son-

dern eine tatsächliche Frage. Maßstab ist das Empfinden eines verständigen

Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks in seiner durch Natur, Gestaltung

und Zweckbestimmung geprägten konkreten Beschaffenheit und nicht das subjektive

wirkungen nicht überschritten werden. Gleiches gilt für Werte in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nach§ 48 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erlassen worden sind und den Stand der Technik wiedergeben.(2) Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des ande-ren Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieserArt wirtschaftlich zumutbar sind. Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von demBenutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eineortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.(3) Die Zuführung durch eine besondere Leitung ist unzulässig

Page 21: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 21

Zweckbestimmung geprägten konkreten Beschaffenheit und nicht das subjektive Empfin-

den des gestörten Nutzers. Daraus folgt, dass unabhängig von seiner persönlichen Ein-

stellung und Anschauung das in den letzten Jahrzehnten veränderte Umweltbewusstsein

weiter Kreise der Bevölkerung, das Allgemeininteresse an einer jugendfreundlichen Um-

gebung oder die berechtigten Belange Behinderter ebenso zu berücksichtigen sind wie

die Grundstückslage in einem Wohn- oder Gewerbegebiet, die Funktion des Grundstücks

als Wohn- oder Gewerbeimmobilie und die Ausstattung eines Hauses. Für ein Wohn-

grundstück ist maßgeblich, ob die Annehmlichkeit des Wohnens durch die Einwirkung

beeinträchtigt und der Grundstückwert dadurch gemindert wird. Die Überschreitung der

in Gesetzen, Rechtsverordnungen oder nach § 48 BImSchG erlassenen allgemeinen Ver-

waltungsvorschriften festgelegten Grenz- oder Richtwerte rechtfertigt es nicht, eine Be-

einträchtigung automatisch als wesentlich zu bewerten; sie gibt jedoch einen deutlichen

Hinweis auf die Wesentlichkeit. Gleiches gilt für das Fehlen einer notwendigen behördli-

chen Genehmigung, jedenfalls so lange nicht feststeht, dass die emittierende Anlage oh-

ne Einschränkung genehmigungsfähig ist.

4.1.4 Ortsübliche Benutzung des emittierenden Grundstücks

Ähnlich wie die Frage nach der Wesentlichkeit von Beeinträchtigungen ist auch die Frage

nach der ortsüblichen Benutzung des emittierenden Grundstücks nach tatsächlichen Ge-

sichtspunkten zu beantworten. Maßgeblich ist, ob eine Mehrheit von Grundstücken in der

Umgebung mit einer nach Art und Ausmaß einigermaßen gleich bleibenden Einwirkung

benutzt wird. Dabei gilt nur die Benutzung als ortsüblich, die in dem betreffenden Gebiet

keine stärker störenden Einwirkungen abgibt, als eben dort im allgemeinen üblich ist.

Somit ist in erster Linie auf den jeweiligen Gebietscharakter abzustellen. Als Vergleichs-

bezirk ist grundsätzlich das gesamte Gemeindegebiet, in welchem sich das betroffene

und das emittierende Grundstück befinden, zu berücksichtigen. In Regel müssen die Ein-

wirkungen einer länger andauernden Benutzung des Grundstücks herrühren; einmalige

Emissionen sind im allgemeinen nicht ortsüblich. Etwas anderes gilt dann, wenn mit ge-

wöhnlichen Herstellungs-, Unterhaltungs- der Umbaumaßnahmen zeitweise erhöhte Ein-

wirkungen verbunden sind. Sie sind, obwohl sie nur vorübergehend auftreten, ortsüblich,

wenn das Gebäude oder die Anlage, an denen die Arbeiten ausgeführt werden, selbst

ortsüblich sind. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Ortsüblichkeit ist die letz-

te mündliche Tatsachenverhandlung. Das schließt es jedoch nicht grundsätzlich aus, auch

die Priorität mit zu berücksichtigen. Anders als bei dem Abwehranspruch nach §§ 906

Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB kann es sich bei dem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch

nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auswirken, ob die beeinträchtigte Benutzung des betroffe-

nen Grundstücks später begonnen hat als die Benutzung des emittierenden Grundstücks.

Für die Begründung und Höhe des Anspruchs dürfen nämlich die Umstände nicht außer

Betracht gelassen werden, die den Interessenkonflikt zwischen dem beeinträchtigten und

dem beeinträchtigenden Grundstückseigentümer durch das Verhalten des einen oder des

anderen veranlasst oder verschärft haben.

4.1.5 Unverhinderbarkeit der Beeinträchtigung

Die von dem emittierenden Grundstück ausgehende Beeinträchtigung des betroffenen

Grundstücks darf nicht durch wirtschaftlich zumutbare organisatorische oder technische

Maßnahmen zu verhindern sein. Was zumutbar ist und was nicht, hängt von den nach-

Page 22: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 22

barlichen Verhältnissen, den Vor- und Nachteilen, den technisch/organisatorischen Mög-

lichkeiten und der Leistungsfähigkeit eines durchschnittlichen Benutzers des emittieren-

den Grundstücks ab. Auch hier kommt es also nicht auf die Belange und die Leistungsfä-

higkeit des konkreten Benutzers an. Die Zumutbarkeit ist zu verneinen, wenn die Maß-

nahmen, die erforderlich sind, um die Beeinträchtigung des betroffenen Grundstücks un-

wesentlich werden zu lassen, soviel Aufwendungen verursachen, dass die emittierende

Anlage langfristig nicht mehr rentabel geführt werden könnte. Welche Maßnahmen für die

Beseitigung oder wenigstens Reduzierung der Einwirkungen auf das Nachbargrundstück

erforderlich sind, hat der Benutzer des emittierenden Grundstücks zu entscheiden; wich-

tig ist, dass sie geeignet, notwendig und verhältnismäßig sind.

4.1.6 Ortsübliche Benutzung des betroffenen Grundstücks

Die auf die Benutzung des emittierenden Grundstücks zurückgehende Einwirkung auf das

betroffene Grundstück muss dessen ortsübliche Benutzung über das zumutbare Maß hin-

aus beeinträchtigen. Die Frage nach der Ortsüblichkeit beantwortet sich hier nach den-

selben Maßstäben wie bei der ortsüblichen Benutzung des emittierenden Grundstücks.

Auf das dort Gesagte kann ich deshalb Bezug nehmen.

4.1.7 Unzumutbare Beeinträchtigung der Nutzung oder des Ertrags des betrof-

fenen Grundstücks.

Bei der Beurteilung dieses Merkmals ist ebenfalls auf das Empfinden eines durchschnittli-

chen Benutzers des betroffenen Grundstücks in seiner örtlichen Beschaffenheit, Ausges-

taltung und Zweckbestimmung abzustellen. Die Belange und Verhältnisse des konkreten

Nutzers sind also nicht ausschlaggebend. Das kann dazu führen, dass dem Betroffenen

im Rahmen der Ortsüblichkeit auch aufwändige Schutzmaßnahmen zuzumuten sein kön-

nen.

4.1.8 Anspruchsberechtigter und Anspruchsverpflichteter

Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch steht neben dem Eigentümer auch dem Besit-

zer des betroffenen Grundstücks zu. Denn er dient als Kompensation für den Ausschluss

primärer Abwehransprüche, die nach § 862 Abs. 1 BGB auch dem Besitzer zustehen und

ihm einen den Rechten des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 BGB ähnlichen Schutz gegen

Störungen bieten.

Der Anspruch richtet sich nicht nur gegen den Eigentümer des beeinträchtigenden

Grundstücks, sondern auch gegen den Nutzer als denjenigen, der die Nutzungsart dieses

Grundstücks bestimmt. Wird ein Grundstück von mehreren Personen zu unterschiedli-

chen Zwecken benutzt, richtet sich der Ausgleichsanspruch ebenso wie der Abwehran-

spruch, an dessen Stelle er tritt, gegen denjenigen, der die beeinträchtigende Nutzungs-

art zu verantworten hat.

4.1.9 Anspruchsinhalt

Der Anspruch ist auf einen angemessenen Ausgleich in Geld gerichtet. Das ist etwas an-

deres als ein Schadensersatzanspruch. Dieser soll Einwirkungen auf eine Sache wirt-

schaftlich ungeschehen machen, indem der beeinträchtigte Eigentümer so zu stellen ist,

wie er ohne die Beeinträchtigung stünde. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch da-

Page 23: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 23

gegen soll die dem beeinträchtigten Grundstückseigentümer oder –nutzer in besonderen

Fällen auferlegte Duldungspflicht kompensieren. Ausgeglichen wird nur der unzumutbare

Teil der Beeinträchtigung, weil der Betroffene die Einwirkungen bis zur Grenze der Zu-

mutbarkeit entschädigungslos hinzunehmen hat. Der Höhe nach bemisst sich der An-

spruch nach den Grundsätzen, welche die Rechtsprechung zur Höhe der Enteignungsent-

schädigung herausgearbeitet hat. Das kann im Einzelfall die Höhe des Schadensersatzes

erreichen. So wird z. B. dem beeinträchtigten Grundstückseigentümer die volle Differenz

zwischen dem tatsächlichen Verkehrswert seines Grundstücks, den es infolge der Beein-

trächtigung hat, und dem fiktiven Verkehrswert, den das Grundstück bei einer noch zu-

mutbaren Beeinträchtigung hätte, ersetzt.

4.1.10 Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB

Ich komme jetzt zu den durch Richterrecht geschaffenen Erweiterungen des Anwen-

dungsbereichs des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Ihnen liegt die ständige Rechtsprechung des

Bundesgerichtshofes zugrunde, wonach der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch immer

dann gegeben ist, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benut-

zung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentü-

mer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen tat-

sächlichen oder rechtlichen Gründen jedoch nicht gemäß §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB

unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer

entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen.

Auf dieser Grundlage hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Anwendungs-

bereich über die in § 906 Abs. 1 BGB genannten Einwirkungen hinaus auf die durch und

Grobimmissionen wie z. B. natürliche Bestandteile von Bäumen und Sträuchern (Wurzeln,

Zweige, Laub, Nadeln, Blüten, Zapfen u.ä.) hervorgerufenen Einwirkungen erweitert. Es

kommt somit nicht auf die Art der Einwirkung an, sondern auf die von ihr ausgehen-

de unzumutbare Eigentumsbeeinträchtigung. Der Anspruch ist jedoch wie in den im Ge-

setz geregelten Fällen subsidiär, setzt also voraus, dass der beeinträchtigte Eigentümer

oder Besitzer aus besonderen Gründen gehindert ist, die Einwirkung rechtzeitig zu unter-

binden. Im Gegensatz zu der gesetzlichen Regelung, die dem Betroffenen aus Rechts-

gründen eine Duldungspflicht auferlegt, lässt der Bundesgerichtshof einen faktischen

Duldungszwang genügen. Er kann sich u.a. daraus ergeben, dass der Betroffene die ab-

zuwehrende Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hat und auch nicht erkennen konnte.

Diese Rechtsprechung ist in der Literatur teilweise auf heftige Kritik gestoßen. Dem Bun-

desgerichtshof wird vorgeworfen, in ungebremstem Mut zur Rechtsfortbildung das Sys-

tem des Schadensersatzrechts verlassen und zu einer Gefährdungshaftung gelangt zu

sein, oder ein unübersichtliches Spektrum an Haftungskriterien entworfen zu haben und

jedes geschlossene Konzept abzulehnen. Damit will ich mich jetzt ein wenig auseinander-

setzen und versuchen, die Fahne des Bundesgerichtshofes hoch zu halten. Eine besonde-

re Hervorhebung erfahren dabei die naturbedingten Schadensfälle.

4.1.11 Störer

Dreh- und Angelpunkt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der daran geüb-

ten Kritik ist die Störereigenschaft desjenigen, von dessen Grundstück die Beeinträch-

tigungen von Nachbargrundstücken ausgehen. Zwar setzt der nachbarrechtliche Aus-

gleichsanspruch kein Verschulden des Beeinträchtigenden voraus. Das führt jedoch (an-

Page 24: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 24

ders als bei der Gefährdungshaftung) nicht dazu, dass seine Verantwortlichkeit an das

Eigentum oder die Benutzung des Grundstücks anknüpft. Der V. Zivilsenat bejaht in

ständiger Rechtsprechung die Störereigenschaft vielmehr nur dann, wenn die Beeinträch-

tigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers

zurückgeht. Der Schwierigkeit, mit dieser Formel ein taugliches Abgrenzungsinstrument

zur Gefährdungshaftung in der Hand zu haben, begegnet er regelmäßig damit, dass sich

nach seiner Auffassung die Frage der Störereigenschaft nicht begrifflich, sondern nur in

wertender Betrachtung von Fall zu Fall klären lässt. Auf dieser Grundlage sieht er folge-

richtig z.B. den Eigentümer, von dessen Grundstück Baumwurzeln in die Abwasserleitung

des Nachbargrundstücks eindringen, als Störer hinsichtlich der dadurch hervorgerufenen

Eigentumsbeeinträchtigung des Nachbarn an. Hingegen wird die Störereigenschaft des

Grundstückseigentümers in dem Fall des Umstürzens eines Baumes auf das Nachbar-

grundstück infolge eines besonders heftigen Sturms oder beim Eindringen von Ungezie-

fer auf ein Nachbargrundstück verneint. Durch Naturereignisse ausgelöste Beeinträchti-

gungen sind dem Eigentümer nämlich allenfalls dann als Störer zuzurechnen, wenn er sie

durch eigene Handlungen ermöglicht hat oder wenn sie erst durch ein pflichtwidriges Un-

terlassen herbeigeführt worden sind, und wenn der vom Eigentümer geschaffene oder

geduldete Zustand eine konkrete Gefahrenquelle für das Nachbargrundstück bildet.

4.1.12 Naturbedingte Schadensfälle

(a) In dem Urteil vom 23. April 1993 (V ZR 250/92, BGHZ 122, 283) ging es um den Er-satz von Sturmschäden, die durch das Umstürzen eines in seiner Standfestigkeit nichtbeeinträchtigt gewesenen Baumes bei Sturmböen mit Windstärken 9 bis 10 auf demNachbargrundstück verursacht wurden. Hier verneinte der Bundesgerichtshof die Störer-eigenschaft des Eigentümers. Das bloße Anpflanzen und Aufziehen von widerstandsfähi-gen Bäumen begründe keine konkrete Gefahrenquelle. Daran ändere auch nichts, dassbei Naturkatastrophen Schäden nicht auszuschließen seien; denn derartige ganz unge-wöhnliche, von außen hinzutretende Ereignisse seien zwar denkbar, normalerweise abernicht zu erwarten. Im Zeitpunkt des Umstürzens des Baumes habe es nicht mehr in derMacht des Eigentümers gestanden, die Gefahrenlage zu beseitigen. Deswegen sei ihm dieBeeinträchtigung des Nachbargrundstücks nunmehr nicht als Störer zuzurechnen.

Nach meinem Verständnis der Entscheidungsgründe wird hier zwischen zwei verschiede-nen Zeiträumen für die Beurteilung der Störereigenschaft unterschieden. Für die Zeit biszum Umstürzen des Baumes fehlt jeglicher Anknüpfungspunkt für eine Haftung des Ei-gentümers. Das Umstürzen selbst, das erst zu der Beeinträchtigung des Nachbargrund-stücks führte, dauerte nur wenige Sekunden; deswegen war dem Eigentümer ein Eingrei-fen gar nicht möglich. Bei dieser Sachlage kann er nicht als Störer angesehen werden.

(b) Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Störerbegriff findet sich in dem Urteilvom 7. Juli 1995 (V ZR 213/94, NJW 1995, 2633), dem der folgende Sachverhaltzugrunde lag: Auf dem Grundstück des Beklagten stand seit 14 Jahren eine Lärche in ca.19 m Entfernung zu dem angrenzenden Grundstück des Klägers. Dieser hat behauptet,der Baum sei in erheblichem Umfang mit Wollläusen befallen, welche sich auf seinGrundstück verbreitet und dort stehende Kiefern befallen und geschädigt hätten. Er ver-langte von dem Beklagten, das Eindringen von Wollläusen auf sein (des Klägers) Grund-stück zu verhindern. Der Bundesgerichtshof verneinte die Störereigenschaft des Eigen-tümers mit der Begründung, er habe mit dem Pflanzen der Lärche keine konkrete Gefah-renquelle für das Nachbargrundstück geschaffen, die sich später verwirklicht habe; viel-mehr gingen die von dem Kläger beanstandeten Einwirkungen auf ein zufälliges und zu-

Page 25: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 25

sätzliches Naturereignis zurück, das alle Grundstückseigentümer als allgemeines Risikotreffe und zur natürlichen Eigenart jeder Art von Anpflanzung gehöre.

Diese Begründung liegt ebenfalls auf der Linie der ständigen Senatsrechtsprechung. Sieverdeutlicht in besonders anschaulicher Weise das Bemühen, über die Definition des Stö-rers eine Gefährdungshaftung des Eigentümers zu vermeiden.

(c) In seinem Urteil vom 16. Februar 2001 (V ZR 422/99, NJW-RR 2001, 1208) hat derBundesgerichtshof den Eigentümer eines nicht bewirtschafteten Weinberges für nichtersatzpflichtig für solche Schäden gehalten, die durch die Verbreitung von Mehltau aufeinem benachbarten Weinberg entstanden sind, obwohl diese Verbreitung erst durch dieNichtbewirtschaftung ermöglicht wurde. Der Eigentümer sei zur Bewirtschaftung nichtverpflichtet gewesen; sein Verhalten habe nicht gegen besondere Sicherungspflichten-verstoßen. Deshalb sei er nicht als Störer anzusehen.

Hier taucht erstmalig im Zusammenhang mit dem Störerbegriff des § 1004 BGB der Ge-sichtspunkt der Sicherungspflicht des beeinträchtigenden Eigentümers oder Nutzers auf.Erst ihre Verletzung macht den Verletzer zum Störer. Das ist die logische Konsequenz derbisherigen Rechtsprechung, wonach der Tatbestand des § 1004 BGB nicht erfüllt ist,wenn von einem Grundstück Beeinträchtigungen ausgehen, die ausschließlich auf Natur-kräfte zurückzuführen sind. Das schließt es zugleich aus, dass dem Nutzer in solchen Fäl-len besondere Sicherungspflichten auferlegt werden können.

(d) Grundlegend fortgeführt und näher konkretisiert hat der Bundesgerichtshof sein Ver-ständnis von der Störereigenschaft im Sinne des § 1004 BGB in zwei erst kürzlich ergan-genen Entscheidungen vom 14. und 28. November 2004 (V ZR 102/03, NJW

4.1.13 BGH 2004, 1037 und BGH V ZR 99/03, NJW 2004, 603

In dem ersten Fall war es zu Beeinträchtigungen eines Grundstücks infolge des Abfallensvon Laub, Nadeln und Zapfen zweier auf dem Nachbargrundstück stehender Kiefern ge-kommen. Eine Besonderheit bestand darin, dass beide Bäume den landesrechtlich vorge-schriebenen Grenzabstand nicht einhielten, ihr Zurückschneiden oder gar Entfernen aberwegen des Ablaufs der in dem Landesnachbarrechtsgesetz dafür vorgeschriebenen Aus-schlussfrist nicht mehr verlangt werden konnte. Der Bundesgerichtshof gewährte dembeeinträchtigten Grundstückseigentümer in analoger Anwendung des § 906 Abs.2 Satz 2BGB einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch für den erhöhten Reinigungsaufwand,den er auf seinem Grundstück hat, und zwar mit der Begründung, er sei wegen desFristablaufs rechtlich gehindert, den an sich bestehenden Anspruch auf Zurückschneidenoder Beseitigen der Bäume geltend zu machen. Der Eigentümer der Bäume wurde alsStörer angesehen, weil er sie unter Verletzung der Vorschriften über den Grenzabstandangepflanzt und gehalten hat. Das widersprach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßenBewirtschaftung des Grundstücks. Die Störung musste der beeinträchtigte Grundstücks-eigentümer grundsätzlich nicht hinnehmen, sondern konnte sie gemäß § 1004 Abs.1 BGBabwehren. Da aber eine andere wirtschaftlich zumutbare Art der Abwehr als Zurück-schneiden oder Beseitigen der Bäume nicht denkbar war, dies jedoch wegen des Ablaufsder Ausschlussfrist nicht mehr verlangt werden konnte, bestand für den beeinträchtig-ten Grundstückseigentümer ein rechtlicher Duldungszwang. Das führte entsprechend derlangjährigen ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu der analogen An-wendung des § 906 Abs.2 Satz 2 BGB. Allerdings findet sich in der Entscheidung keineAuseinandersetzung mit dem Problem, dass der Duldungszwang erst dadurch eintrat,dass der beeinträchtigte Grundstückseigentümer sein Recht, das Zurückschneiden oderBeseitigen der Bäume zu verlangen, nicht rechtzeitig geltend gemacht hat. Es liegt nicht

Page 26: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 26

allzu fern, in einem solchen Fall dem Beeinträchtigten den Ausgleichsanspruch zu versa-gen.

In dem zweiten Fall hatten die Wurzeln eines Kirschbaumes die Betonplatten eines Wegesauf dem Nachbargrundstück angehoben. Der dadurch beeinträchtigte Eigentümer hattedie Platten aufgebrochen, die Wurzeln abgeschnitten und den gesamten Weg mit Klein-pflaster neu befestigt. Die dafür angefallenen Kosten verlangte er von dem Nachbarnersetzt. Auch hier hat der Bundesgerichtshof die Störereigenschaft des Eigentümers desBaumes trotz der in erster Linie wirkenden Naturkräfte bejaht. Dabei hat er erneut anden Gedanken der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Grundstücks angeknüpft. Sieist nach dem Grundgedanken des

§ 903 BGB, der in der Spezialregelung des § 910 BGB, wonach der Eigentümer in seinGrundstück eingedrungene Wurzeln abschneiden und behalten darf, eine besondereAusprägung gefunden hat, nicht gegeben, wenn der Eigentümer des Baumes dessenWurzeln in das Nachbargrundstück hinüber wachsen lässt.

4.1.14 Fazit

Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ist ein klassischer Fall der allgemeinen bürger-lich-rechtlichen Aufopferung. Schon in der Rechtsprechung des Reichsgerichts war esanerkannt, dass demjenigen Eigentümer, dem im Interesse des Gemeinwohls Duldungs-pflichten hinsichtlich solcher Beeinträchtigungen der Benutzung seines Grundstücks auf-erlegt wurden, die er normalerweise verhindern durfte, ein angemessener Ausgleich inGeld zu zahlen war. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung ausgeweitet. ImRahmen richterlicher Rechtsfortbildung hat er den Anwendungsbereich des § 906 Abs. 2Satz 2 BGB ständig erweitert, und zwar auch noch nach dem Inkrafttreten der jetzigenFassung der Vorschrift im Jahr 1960. Heute kommt der Ausgleichsanspruch in allen Fällendes rechtlichen oder faktischen Duldungszwangs für den beeinträchtigten Grundstücks-eigentümer in Betracht, wenn für ihn die Zumutbarkeitsgrenze überschritten wird. Dasentspricht einem unabweisbaren praktischen Bedürfnis. Dem Beeinträchtigten steht der-jenige Eigentümer oder Nutzer gegenüber, der durch seine Handlung die Beeinträchti-gung veranlasst, die Quelle er Beeinträchtigung beherrscht und aus beidem Vorteilezieht. Mit Blick auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis erscheint es nur gerecht,ihn zu einem angemessenen Ausgleich zu verpflichten. Dogmatisch hält sich die heutigeRechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu dem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchanalog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem für das private Nachbarrecht maßgeblichen drei-teiligen Haftungssystem von Gefährdungshaftung, Verschuldenshaftung und verschulden-sunabhängiger Störerhaftung. Dieses System nicht zu verlassen, zwingt dazu, die Ver-antwortlichkeit des Beeinträchtigenden anhand des Störerbegriffs einzuschränken. Ande-renfalls käme man auch in diesem Bereich zu einer Gefährdungshaftung, welche der Ge-setzgeber jedoch nicht einführen wollte. Das zeigt die Grenzen einer richterlichen Rechts-fortbildung auf. Sie wurden bei der analogen Anwendung des § 906 Abs.2 Satz 2 BGBbisher vom Bundesgerichtshof nicht überschritten.

5 Baum (Strauch) als Grenzbaum

5.1 § 923 BGB Grenzbaum

(1) Steht auf der Grenze ein Baum, so gebühren die Früchte und, wenn der Baum gefällt wird,

auch der Baum den Nachbarn zu gleichen Teilen.

(2) Jeder der Nachbarn kann die Beseitigung des Baumes verlangen. Die Kosten der Beseiti-

gung fallen den Nachbarn zu gleichen Teilen zur Last. Der Nachbar, der die Beseitigung ver-

Page 27: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 27

langt, hat jedoch die Kosten allein zu tragen, wenn der andere auf sein Recht an dem Baume

verzichtet; er erwirbt in diesem Falle mit der Trennung das Alleineigentum. Der Anspruch auf

die Beseitigung ist ausgeschlossen, wenn der Baum als Grenzzeichen dient und den Umstän-

den nach nicht durch ein anderes zweckmäßiges Grenzzeichen ersetzt werden kann.

(3) Diese Vorschriften gelten auch für einen auf der Grenze stehenden Strauch.

Im Ergebnis kann sich ein Grundstücks-/Baumeigentümer, dessen Baumstamm von der

Grenzlinie (auch nur um einen Zentimeter) geschnitten wird und somit auch dem Nach-

bargrundstück steht, nicht dagegen wehren, wenn der Nachbar (auf eigene Kosten) die

Beseitigung dieses Baumes verlangt.

Hilfe bringen Baumschutzsatzung bzw. Naturdenkmal-Ausweisung.

5.2 Verkehrssicherungspflicht für Grenzbäume

Im Grenzbaum-Urteil des BGH vom 2. Juli 200443, in dem es unter anderem um die Ver-

kehrssicherungspflicht ging, hat der BGH jetzt entschieden, dass am Grenzbaum ein ver-

tikal geteiltes Eigentum der beiden Nachbarn besteht. Bildlich kann man sich den Baum

dabei wie einen auf der Grenzlinie von oben nach unten durchgeschnittenen Pilz vorstel-

len, dessen Schnitthälften je einem der Nachbarn gehören. Die Leitsätze des BGH-Urteils

lauten:

a) Ein Baum ist ein Grenzbaum im Sinn von § 923 BGB, wenn sein Stamm dort, wo er

aus dem Boden heraustritt, von der Grundstücksgrenze durchschnitten wird.

b) Jedem Grundstückseigentümer gehört der Teil des Grenzbaumes, der sich auf seinem

Grundstück befindet (vertikal geteiltes Eigentum).

c) Jeder Grundstückseigentümer ist für den ihm gehörenden Teil eines Grenzbaumes in

demselben Umfang verkehrssicherungspflichtig wie für einen vollständig auf seinem

Grundstück stehenden Baum.

d) Verletzt jeder Eigentümer die ihm hinsichtlich des ihm gehörenden Teils eines Grenz-

baums obliegende Verkehrssicherungspflicht, ist für den ihnen daraus entstandenen

Schaden eine Haftungsverteilung nach § 254 BGB vorzunehmen.

5.2.1 Konsequenzen für Sachverständige

Für den Sachverständigen bedeutet dieses Urteil eine völlig neue Herangehensweise bei

der Beurteilung der Vorhersehbarkeit des eingetretenen Schadens. Er muss zwar wie bis-

her zunächst den Baum in seiner Gesamtheit und in seinem gesamten Umfeld überprü-

fen. Wenn er dann die Ursachen des Baumversagens festgestellt hat, muss er für jeden

Nachbarn getrennt beurteilen, was dieser jeweils an dem Teil des Baumes auf seinem

Grundstück feststellen konnte. Kompliziert wird es, wenn ein Nachbar bestimmte Maß-

nahmen an dem Teil seines Baumes vorgenommen hat, die Spätfolgen an dem anderen

Teil hervorrufen müssen, denn der Baum reagiert als biologisches System naturgemäß

nur insgesamt. Was ist wem hinsichtlich der Vorhersehbarkeit zuzurechnen?

43 BGH, Urt. v. 2. Juli 2004, V ZR 33/04, AUR 2/2005, 34; Urteile & Recht, www.dasgrün.de

Page 28: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 28

In dem vom BGH zu entscheidenden Fall hatte die Beklagte an ihrem Teil des Baumes

eine Auslichtung der Krone vornehmen lassen, die Klägerin aber nicht. Der Baum war

später auf die Seite der Klägerin gestürzt. Der BGH stellte dazu fest: „Zwar war damit die

spätere Fallrichtung des Baumes vorgegeben; aber das allein hat, worauf es bei der Haf-

tungsverteilung ankommt, den Eintritt des Schadens nicht in wesentlich höherem Maße

wahrscheinlich gemacht.“ Schlussfolgerungen wie diese kann das Gericht aber letztlich

nur mit Hilfe von Sachverständigengutachten oder Sachverständigenäußerungen ma-

chen.

Hier haben die Sachverständigen eine neue verantwortungsvolle Aufgabe, um die Wei-

chen für eine auch aus fachlicher Sicht vertretbare Entscheidung zu stellen.

5.2.2 Folgen für Baumpfleger

Das Grenzbaum-Urteil des BGH hat für die Baumpfleger eine besondere Bedeutung. Sie

dürfen an Grenzbäumen keine Baumpflege insgesamt durchführen ohne Zustimmung

beider Nachbarn bzw. Baumeigentümer. Sie müssen streng darauf achten, wer ihr Auf-

traggeber ist und wieweit dieser ihnen den Auftrag erteilen kann - nämlich nur für seine

Baumhälfte. Auf die Folgen müssen sie den Auftraggeber hinweisen, denn sie müssen

auch darauf achten, welche Auswirkungen ihre Arbeiten, wenn sie nur an einem Teil des

Baumes tätig werden dürfen, für den anderen Teil des Baumes haben. Sie haben den

Baumeigentümer, d. h. ihren Auftraggeber, insoweit fachlich zu beraten.

5.2.3 Häufigkeit der Baumkontrollen

Der BGH hat in diesem Urteil noch weitere allgemeine Bemerkungen zur Verkehrssiche-

rungspflicht für Bäume gemacht. Er hat wie in vielen anderen Entscheidungen wieder das

Grundsatzurteil von 1965 44 zitiert und ist dabei auch auf die Häufigkeit der Baumkontrol-

len eingegangen. Der BGH stellt fest, dass beide Eigentümer bzw. Parteien verpflichtet

waren, den Grenzbaum in „angemessenen Abständen auf Krankheitsbefall zu überwa-

chen“. Wie bereits in seinem Urteil von 1965 und zuletzt im Pappelurteil von 200445 legt

der BGH den angemessenen Zeitabstand aber nicht fest, sondern weist hier darauf hin,

dass es sich jeweils um eine Einzelfallentscheidung handelt, indem er weiter ausführt:

„Wie oft und in welcher Intensität solche Baumkontrollen durchzuführen sind, lässt sich

nicht generell beantworten. Ihre Häufigkeit und ihr Umfang sind von dem Alter, und Zu-

stand des Baumes sowie seinem Standort abhängig (Breloer, Wertermittlungsforum

2004, 3, 8).“

44 BGH, Urt. v. 21. Januar 1965, III ZR 217/63, NJW 1965, 815; Urteile & Recht, www.dasgrün.de45 BGH, Urt. v. 4. März 2004, III ZR 225/03, AUR 12/2004, 413; Urteile & Recht, www.dasgrün.de

Page 29: Bäume an der Grenze - dasgruen.dedasgruen.de/tl_files/Downloads Aktuelles/Skript SCHULZ - Essener... · Hans-Joachim Schulz IV. Essener Baumtag 2013 Bäume an der Grenze 1 Bäume

Hans-Joachim Schulz – IV. Essener Baumtag 2013 – Bäume an der Grenze 29

6 Grenzanlagen/-einrichtungen

6.1 § 921 BGB Gemeinschaftliche Benutzung von Grenzanlagen

Werden zwei Grundstücke durch einen Zwischenraum, Rain, Winkel, einen Graben, eine Mau-

er, Hecke, Planke oder eine andere Einrichtung, die zum Vorteil beider Grundstücke dient,

voneinander geschieden, so wird vermutet, dass die Eigentümer der Grundstücke zur Benut-

zung der Einrichtung gemeinschaftlich berechtigt seien, sofern nicht äußere Merkmale darauf

hinweisen, dass die Einrichtung einem der Nachbarn allein gehört.

6.2 § 922 Art der Benutzung und Unterhaltung

Sind die Nachbarn zur Benutzung einer der in § 921 bezeichneten Einrichtungen gemein-

schaftlich berechtigt, so kann jeder sie zu dem Zwecke, der sich aus ihrer Beschaffenheit er-

gibt, insoweit benutzen, als nicht die Mitbenutzung des anderen beeinträchtigt wird. Die Un-

terhaltungskosten sind von den Nachbarn zu gleichen Teilen zu tragen. Solange einer der

Nachbarn an dem Fortbestand der Einrichtung ein Interesse hat, darf sie nicht ohne seine

Zustimmung beseitigt oder geändert werden. Im Übrigen bestimmt sich das Rechtsverhältnis

zwischen den Nachbarn nach den Vorschriften über die Gemeinschaft.

http://www.dasgruen.de/bgh-urteile-gehoelzwert.html

(9) BGH-Urteil vom 15.10.1999 - V ZR 77/99

(Thujahecken-Urteil) → Nachbarrecht → Schadensersatz