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Allgemeine und operative Gynfikologie Bakteriologie und Chemotherapie: Nosokomiale Infektionen Moderatorenbericht: H. A. Hirsch, Tiibingen Teilnehmer des Arbeitskreises: Brfihl (Bonn), Fleiner (Tfibingen), Granitzka (Frankfurt), Hirsch (Tfibingen), Hoyme (T~bingen), Niehues (Tfibingen), Richter (Basel), Werner (Mainz) Unter nosokomialen Infektionen versteht man alle Infektionen, die wfihrend der Hospitalisierung entstehen, gleichgfiltig, ob sie durch Hospitalkeime, Keime aus der K6rperflora des Patienten oder Keime anderer Herkunft verursacht werden [2]. Ffir das Fachgebiet Gynfikologie und Geburtshilfe haben sie folgende Bedeutung: a) Sie sind die hfiufigsten Infektionen bei stationfir behandelten Patientinnen: Rund 80% aller Infektionen und rund 72% der schweren Infektionen an der Universitfits-Frauenklinik Tiibingen geh6ren in diese Kategorie. b) Sie sind die hfiufigsten postoperativen Komplikationen nach gynfikologischen und geburtshilflichen Eingriffen. c) Sie haben einen wesentlichen Anteil an der Letalitfit gynfikologischer und geburtshilflicher Patienten. In den Jahren 1968-1977 waren 13 der miitterlichen Todesffille nach Kaiserschnittentbindung in Hamburg dutch eine Peritonitis oder Sepsis bedingt [3]. d) Somit sind nosokomiale Infektionen ein wichtiger Aspekt der Qualitfitssi- cherung. e) Da nosokomiale Infektionen auch unter optimalen Bedingungen nicht v611ig vermeidbar sind, ist dieses Risiko als ein Faktor bei der Indikationsstellung zu operativen Eingriffen zu berficksichtigen. Genese Nosokomiale Infektionen sind nicht monokausaler, sondern multifaktorer Genese. Im Vordergrund steht die Abwehrschwfiche des Patienten, sei sie generell durch konsumierende Krankheiten, Narkose oder Operation oder lokal durch Operationswunden, Haut und Schleimhautlfisionen oder Blasensprung. Deshalb mtissen unter diesen Bedingungen alle Keime als potentiell pathogen betrachtet werden, so auch die k6rpereigene Schutzflora des Menschen, die bei 719

Bakteriologie und Chemotherapie: Nosokomiale Infektionen

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Page 1: Bakteriologie und Chemotherapie: Nosokomiale Infektionen

Allgemeine und operative Gynfikologie

Bakteriologie und Chemotherapie: Nosokomiale Infektionen

Moderatorenbericht: H. A. Hirsch, Tiibingen

Teilnehmer des Arbeitskreises: Brfihl (Bonn), Fleiner (Tfibingen), Granitzka (Frankfurt), Hirsch (Tfibingen), Hoyme (T~bingen), Niehues (Tfibingen), Richter (Basel), Werner (Mainz)

Unter nosokomialen Infektionen versteht man alle Infektionen, die wfihrend der Hospitalisierung entstehen, gleichgfiltig, ob sie durch Hospitalkeime, Keime aus der K6rperflora des Patienten oder Keime anderer Herkunft verursacht werden [2].

Ffir das Fachgebiet Gynfikologie und Geburtshilfe haben sie folgende Bedeutung: a) Sie sind die hfiufigsten Infektionen bei stationfir behandelten Patientinnen:

Rund 80% aller Infektionen und rund 72% der schweren Infektionen an der Universitfits-Frauenklinik Tiibingen geh6ren in diese Kategorie.

b) Sie sind die hfiufigsten postoperativen Komplikationen nach gynfikologischen und geburtshilflichen Eingriffen.

c) Sie haben einen wesentlichen Anteil an der Letalitfit gynfikologischer und geburtshilflicher Patienten. In den Jahren 1968-1977 waren 13 der miitterlichen Todesffille nach Kaiserschnittentbindung in Hamburg dutch eine Peritonitis oder Sepsis bedingt [3].

d) Somit sind nosokomiale Infektionen ein wichtiger Aspekt der Qualitfitssi- cherung.

e) Da nosokomiale Infektionen auch unter optimalen Bedingungen nicht v611ig vermeidbar sind, ist dieses Risiko als ein Faktor bei der Indikationsstellung zu operativen Eingriffen zu berficksichtigen.

Genese

Nosokomiale Infektionen sind nicht monokausaler, sondern multifaktorer Genese. Im Vordergrund steht die Abwehrschwfiche des Patienten, sei sie generell durch konsumierende Krankheiten, Narkose oder Operation oder lokal durch Operationswunden, Haut und Schleimhautlfisionen oder Blasensprung. Deshalb mtissen unter diesen Bedingungen alle Keime als potentiell pathogen betrachtet werden, so auch die k6rpereigene Schutzflora des Menschen, die bei

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besonderer Disposition oder in einer anderen als der normalen Umgebung (z. B. Operationswunde) krankheitsverursachend wirken.

Die Erreger nosokomialer Infektionen k6nnen exogener Herkunft (Um- gebung, Operationsteam) oder endogener Herkunft (Haut, Respirationstrakt, Darmtrakt oder Genitaltrakt des Patienten) sein.

Die endogenen Infektionen tiberwiegen in unserem Fachgebiet bei wei- tern.

Erfassung

Bei der modernen Krankenhaushygiene werden nicht Keime, sondern Infek- tionen erfagt. Vielerorts, so auch in Ttibingen, haben sich dabei Hygienefach- schwestern bew/ihrt [8]. Ihre Augaben sind: a) Erfassung und Registrierung nosokomialer Infektionen bei Patienten und

Personal nach allgemeing/iltigen Richtlinien [2]. Die Hfiufigkeit von nosokomialen Infektionen wird entscheidend durch die Art der Erfassung beeinfluI3t. In amerikanischen Studien haben Hygienefachschwestern zehn- real mehr nosokomiale Infektionen erfal3t als von )krzten gemeldet wurden [6, 7].

b) Erstellung von Arbeitsprogrammen (Katheterismus, Pflege intraven6ser Zugfinge, Vorbereitung intraven6ser Infusionen, Verbandwechsel, Pflege yon Wunddrainagen etc.).

c) Hygieneberatung der Arzte und des Pflegepersonals, Erstellung von abteilungsadaptierten Desinfektionsplfinen.

d) Hygienekontrolle. e) Fortbildung des Personals im pers6nlichen Gesprfich und durch Vortrfige.

Arten nosokomialer Infektionen

Die hfiufigsten Infektionen in unserem Fachgebiet sind Harnweginfektionen (Tabelle 1). Der gr6gte Teil davon sind asymptomatische Bakteriurien. Ihre H/iufigkeit h/ingt vonder Intensitfit des postoperativen Screenings ab. Die Zahlen in Tabelle 1 beruhen auf einem laufenden prospektiven Infektionser- fassungsprogramm der Universitfits-Frauenklinik Tiibingen [5], das sich in einem Zeitraum von 4 Jahren auf insgesamt 25581 hospitalisierte Patientinnen erstreckt.

Harnwegsinfektionen 71,7% Pelvine Infektionen 6,7% Phlebitiden 6,5% Abdominale Wundinfektionen 4,2% Endometritiden 4,2% Hautinfektionen 2,6% Infektionen der Atemwege 1,2% Andere 3,0%

Alle 100,0%

Tabelle 1. Verteilung nosokomialer Infektionen an der Universitfits-Frauenklinik Tfibingen vom 1. April 1976 bis 31. Mfirz 1980

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Vermeidung yon nosokomialen Infektionen

Effektivitiit yon Hygienemafinahmen: Die Effektivitat von Hygienemal3nahmen kann man nur bei einigen als bewiesen oder als hinlfinglich bewiesen ansehen, bei vielen anderen mug man sie als nicht bewiesen bezeichnen [9]. Die wichtigsten Hygienemal3nahmen sind in Tabelle 2 aufgelistet. In dieser Reihenfolge und mit dieser Gewichtung sollten sie auch zur Anwendung kommen.

In Ergfinzung dazu wurde festgestellt: Eine Trennung von aseptischen und septischen Patienten auf Pflegestationen und Operationssfilen hat sich als nicht sinnvoll erwiesen [4]. Keime der normalen K6rperflora eines Patienten k6nnen ebenso wie Infektionskeime bei der nachstfolgenden Operation Infektionen verursachen und andererseits besteht auch bei septischen Operationen die Gefahr einer Superinfektion. Es gibt keine stichhaltigen hygienischen Grtinde, die gegen die gemeinsame Unterbringung von gynakologischen und geburtshilflichen Patientinnen auf einer Station sprechen. In der Universitats-Frauenklinik Tiibingen wird sie seit Jahren ohne erkennbaren Nachteil praktiziert.

Harnweginfektionen: Nosokomiale Harnweginfektionen sind vor allem durch den Katherismus bedingt. Er lal3t sich mit vertretbarer Miihe in vielen Fallen vermeiden. Zur Infektionsverhtitung ist es wichtig, die Asepsis beim Kathe- terismus wie bei einem chirurgischen Eingriff zu beachten [1]. Der intermit- tierenden Katheterisierung ist, wenn m6glich, gegeniiber einem Verweilkathe- t e rde r Vorzug zu geben. Ein Verweilkatheter sollte mit einem geschlossenen Urinableitungssystem mit Antirefluxventil und Auslag6ffnung am Urinbeutel verbunden werden. Eine suprapubische Drainage verringert zwar die Haufigkeit von Harnweginfektionen, vermeidet sie jedoch nicht vollstandig. In unserem

Tabelle 2. Effektivit/it von Hygienemal3nahmen (nach H. P. Werner)

I. Gruppe: Bewiesen Hygienische H/indedesinfektion (bzw. ,,Nichtkont amination") Sterilisation Aufbereitung von medizinischen Gerfiten Geschlossene Harndrainage Wunddrainage Aseptische Infusionstechnik Aseptische Absaugtechnik

II. Gruppe: Hinlfinglich bewiesen Isoliermethoden Fortbildnng

III. Gruppe: Nicht bewiesen (= unbekannt) Desinfektion von B6den, Wfinden, Ausgul3 usw. UV-Bestrahlung Raumdesinfektion Laminar Air Flow u. a.

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Tabelle 3. Hfiufigkeit nosokomialer Infektionen an der Universitfits- Frauenklinik Tttbingen in 4 Jahresabschnitten yore 1. April 1976 bis 31. M~irz 1980

Alle nosokomialen Infektionen

Nosokomiale Infektionen ohne Harnweginfektionen

1. Jahr 16,5% 5,3% 2. Jahr 14,2% 3,7% 3. Jahr 10,4% 2,7% 4. Jahr 8,1% 2,2%

Fachgebiet ist sie vor allem bei lfingerdauernder Urinableitung zu empfeh- len.

Mafinahmen zur Vermeidung yon postoperativen Infektionen: An der Univer- sitfits-Frauenklinik Ttibingen wurden in den letzten 4 Jahren die folgenden Magnahmen zur Verhtitung von Infektionen eingeffihrt bzw. forciert [5]: a) Kurze prfioperative Hospitalisierung, b) Prfioperative Vorbereitung: Kein Abftihren auger vor Enterotomien,

Depilation der Schamhaare mit Enthaarungscreme an Stelle yon Rasie- ren,

c) Atraumatische Operationstechniken, Verwendung yon diJnnem syntheti- schem Nahtmaterial, keine Elektroinzision,

d) Hfiufige, aber kurzdauernde Anwendung yon Saugdrainagen bei den meisten Operationen,

e) Konsequente Verwendung yon Einmalmaterialien: Handschuhe bei allen Verrichtungen am Patienten, z.B. bei der Entleerung von Urinbeuteln etc.,

f) Asepsis bei der Urinableitung, m6glichst kurze Verweildauer der Urindrai- nage, geschlossenes Ableitungssystem, abgepackte Sets ftir den Katheteris- mus,

g) Antibiotikarestriktion: Antibiotikaprophylaxe nur bei seltenen Ausnahmen und dann nur fiir wenige Stunden perioperativ, Chemotherapeutika an Stelle yon Antibiotika bei Harnweginfektionen.

Unter den genannten Magnahmen kam es zu einer allmfihlichen Abnahme von allen nosokomialen Infektionen auf weniger als die Hfilfte (Tabelle 3).

Behandlung

Postoperative Harnweginfektionen sollten durch routinemfigiges Screening erfagt und antibakteriell behandelt werden. Dabei sind, wenn m6glich, Chemotherapeutika mit hohen Harnspiegeln (Nitrofurantoin, Naledixinsfiure) gegentiber Antibiotika zu bevorzugen, da sie die k6rpereigene Flora am wenigsten beeintrfichtigen.

Schwere Infektionen erfordern eine intensive intraven6se Chemotherapie mit Antibiotika oder einer Kombination von Antibiotika, die gegen Entero- bakterien, Strepto- und Staphylokokken und gegen anaerobe Keime wirksam

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sind. Gut bewfihrt haben sich die Kombination von Gentamicin und Clinda- mycin, Cefoxitin und Mezlocillin. H/iufig ist neben der Chemotherapie ein chirurgischer Eingriff z.B. Er6ffnung, Drainage oder Entfernung eines Abzesses efforderlich. Das war in den letzten Jahren bei 96 (55%) yon 174 schweren nosokomialen Infektionen der Universitfits-Frauenklinik Ttibingen der Fall.

Literatur 1. Brfihl P (1978) Katheterdrainage der Harnblase. In: Just OH (Hrsg) Praxis der klinischen

Hygiene in An~isthesie und Intensivpflege. Thieme, Stuttgart 2. Center for Disease Control (1974) Outline for surveillance and control of nosocomial infections.

US Department of Health, Education and Welfare, Atlanta 3. Dietel H, Keding G (1980) Miittersterblichkeit - was brachte uns die Senkung? Ergebnisse der

Hamburger Landesstatistik 1973-1977. Geburtshilfe Frauenheilkd 40:487-495 4. Gr6schel D, Fahlberg WJ (1978) Die Trennung von septischen und aseptischen Patienten in

Krankenhfiusern tier USA. Hyg Med 3:365-369 5. Hirsch HA, Niehues U, Decker K, Marget W (1979) Nosokomiale Infektionen; Erfassung und

Kontrolle in einer gynfikologisch-geburtshilflichen Klinik. Dtsch Med Wochenschr 104:1559-1563

6. Meleney FL (1935) Infection in clean operative wounds. A nine year study. Surg Gynecol Obstet 60 : 264-276

7. Mulholland SG, Bruun JN, Coriell LL, Blakemore WS (1973) Experience with intensive surveillance of urinary tract infection. Surg Gynecol Obstet 137:789-793

8. Niehues U (1980) Aufgaben und M6glichkeiten der Hygienefachkraft bei der Bek/impfung von Krankenhausinfektionen - Ein Erfahrungsbericht. Hyg Med 5:179-185

9. Werner HP (1977) Bewertung der Infektionsursachen und Prfiventivmagnahmen. In: Just OH (Hrsg) Praxis der klinischen Hygiene in An/isthesie und Intensivmedizin, INA Bd 9. Thieme, Stuttgart

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