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Bau und Entwicklung der Labyrinthkapsel beim Menschen und beim Huhn. Erwiderung auf eine Kritik Otto Mayors. Von C1. F. Werner, Hamburg. (Eingegange~ am 11. Januar 1933.) In einer gegell Wittmaack gerichteten polemischen Publikation unter- zieht Otto Mayer auf einigen Seiten (s. dieses Archly 1932, S. 269--272) auch meine Arbeit fiber ,,Wachstumsprozesse in der normalen Labyrinth- kapsel und ihre Beziehungen zur Otosklerose" einer Kritik. Meine Arbeit erscheint dabei in so falscher Beleuchtung, da6 ich zu einer Richtig- stellung genStigt bin. Ich kann die Angriffe kaum anders zurfickweisen, als dab ich Herrn Professor Mayer und die Leser seiner Kritik um eine aufmerksame Lektfire meiner Arbeit bitte. In dieser Arbeit hatte ich die einzelnen Probleme, die sich um die sog. experimentelle Hfihneroto- sklerose Wittmaaclcs gruppieren, im Interesse einer fruchtbaren Diskussion getrennt. Die Fragen der normalen Entwicklung und der vergleichenden Anatomie mfissen meines Erachtens ffir sich gelSst werden, ohne yon vornherein mit dem Streit der Hypothesen verquick~ zu sein. Leider bringt Mayer wieder alles in Verwirrung. Ein wesentlicher Tell meiner Richtigstellung besteht also darin, die Trennung der Teilfragen von neuem zu betonen. 1. Die Entwicklung der Labyrinthkapsel beim Huhn. Auf S. 137--39 meiner Arbeit hatte ich die Entwicklung des Laby- rinthkapselknochens beim Huhn beschrieben und die charakteristischen Merkmale der Entwicklungsstadien angegeben. Mayer geht darfiber so hinweg, als ob er das alles gar nicht gelesen hs Denn er fiihrt meine Abb. 7, die laut Unterschrift nach dem Pr~10arat eines 4 Wochen alten Hfihnchens angefertigt ist, gegen meine Beschreibung der er- wachsenen Labyrinthkapsel ins Feld. Was Mayer aus meiner Abbildung entnimmt (als ob es gegen reich spr/~che), habe ich selbst als Zeichen yon Entwicklungsvorgs beschrieben. Als Beweis ffir seine eigene Auffassung bringt Mayer in Abb. 1 und 2 Bilder yon einem Huhn, das (naeh den 25 normalen Hfihnern der Wittmaackschen Sammlung zu

Bau und Entwicklung der Labyrinthkapsel beim Menschen und beim Huhn

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Bau und Entwicklung der Labyrinthkapsel beim Menschen und beim Huhn.

Erwiderung auf eine Kritik Otto Mayors.

Von

C1. F. Werner, Hamburg.

(Eingegange~ am 11. Januar 1933.)

In einer gegell Wittmaack gerichteten polemischen Publikation unter- zieht Otto Mayer auf einigen Seiten (s. dieses Archly 1932, S. 269--272) auch meine Arbeit fiber ,,Wachstumsprozesse in der normalen Labyrinth- kapsel und ihre Beziehungen zur Otosklerose" einer Kritik. Meine Arbeit erscheint dabei in so falscher Beleuchtung, da6 ich zu einer Richtig- stellung genStigt bin. Ich kann die Angriffe kaum anders zurfickweisen, als dab ich Herrn Professor Mayer und die Leser seiner Kritik um eine aufmerksame Lektfire meiner Arbeit bitte. In dieser Arbeit hatte ich die einzelnen Probleme, die sich um die sog. experimentelle Hfihneroto- sklerose Wittmaaclcs gruppieren, im Interesse einer fruchtbaren Diskussion getrennt. Die Fragen der normalen Entwicklung und der vergleichenden Anatomie mfissen meines Erachtens ffir sich gelSst werden, ohne yon vornherein mit dem Streit der Hypothesen verquick~ zu sein. Leider bringt Mayer wieder alles in Verwirrung. Ein wesentlicher Tell meiner Richtigstellung besteht also darin, die Trennung der Teilfragen von neuem zu betonen.

1. Die Entwicklung der Labyrinthkapsel beim Huhn. Auf S. 137--39 meiner Arbeit hatte ich die Entwicklung des Laby-

rinthkapselknochens beim Huhn beschrieben und die charakteristischen Merkmale der Entwicklungsstadien angegeben. Mayer geht darfiber so hinweg, als ob er das alles gar nicht gelesen hs Denn er fiihrt meine Abb. 7, die laut Unterschrift nach dem Pr~10arat eines 4 Wochen alten Hfihnchens angefertigt ist, gegen meine Beschreibung der er- wachsenen Labyrinthkapsel ins Feld. Was Mayer aus meiner Abbildung entnimmt (als ob es gegen reich spr/~che), habe ich selbst als Zeichen yon Entwicklungsvorgs beschrieben. Als Beweis ffir seine eigene Auffassung bringt Mayer in Abb. 1 und 2 Bilder yon einem Huhn, das (naeh den 25 normalen Hfihnern der Wittmaackschen Sammlung zu

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urteilen) die typischen Merkmale eines sehr jungen Huhnes aufweist: die gro6en Knorpelfugen, bzw. Verbindungsstiicke, grSl3ere zerstreute Knorpelreste, die noch relativ gro6en )/[arkrs und das Fehlen der ,,periostalen" Schichten. Nach der Unterschrift soil das Pr~Lparat abet yon einem ausgewachsenen Huhn stammen. Leider gibt Mayer keine VergrSi~erung an, aus der man ein Urteil fiber die absolute GrSi3e des Pr~tparates gewinnen k5nnte. Es ist natiirlich nicht ausgeschlossen, dal~ bei manchen Rassen die Knorpelfugen ls als bei dem hiesigen Material bestehen bleiben. Jedoch nliii3te Mayer, wenn er ftir sein Pr/~parat Beweiskraft beansprucht, erst darlegen und begrfinden, da6 meine Darstellung der Entwicklung far sein Material - - und zwar fiir ein ent- sprechend ausreichendes Material aller Stadien - - nicht zutrifft. Eine Niehtbeachtung ist aber wirklich keine Widerlegung.

2. Vergleichende Anatomie der Labyrinthkapsel yon Mensch und Huhn. Mayer sagt, er habe ,,festgestellt, da6 die Labyrinthkapse] des Huhnes

ganz anders gebaut ist wie die menschliche". Ich bitte ihn um Angabe, wo er yon dieser Feststellung Belege und Begriindung verSffentlicht hat. Mayer behauptet, die Labyrinthkapsel des Huhnes habe nur eine, die des Menschen drei Schichten. Er stellt diese Behauptung auf, ohne meine diesbezfiglichen Feststellungen einer Beachtung zu wiirdigen. Ich habe in Ubereinstimmung mit anderen Autoren (Eckert-Mgbius, Max Meyer) festgestellt, daI~ die ,,endostale Kapsel" auch beim Melaschen an einigen Stellen fehlt (siehe meine Abb. 2 und 5). Wenn Mayer eine Stelle abbildet, wo sie vorhanden ist, so zeigt er nur al tbekannte Dinge, die niemand bezweifelt hat. Auch Nager und Meyer i vertreten die Ansicht, da6 die ,,inhere Belegschicht" in engstem Zusammenhang mit der enchondralen Kapsel entsteht, aber keine Selbstgndigkeit als ,,endostale Kapsel" besitzt. Iqattirlich entsteht auch beim Huhn im Zu- sammenhang mit der enchondralen VerknScherung eine diinne Klmchen- schicht, die auch im Pr~parat der Abb. 7, wie ich ausdrficklich gesagt habe, vorhanden ist. Sie wird beim Menschen und beim Huhn an einigen Stellen verst~trkt und ist in meinen Abb. 9 und 10b sehr deutlich zu sehen.

Was die ,,periostalen Schichten" anbelangt, so sind sie beim jungen Huhn natiirlich noeh nicht vorhanden, abet beim s Huhn sind sie an ihrer charakteristischen Lagerung und Beschaffenheit ohne weiteres zu erkennen. Meine Abb. 8 und 9 zeigen sie deutlich genug. Wenn Mayer apodiktisch behauptet, meine Behauptung sei ,,ganz und gar unrichtig", so muir ich von ihm Beweise bzw. eine andere Erkli~rung meiner Bilder verlangen. I m iibrigen habe ich gesagt (S. 139), dal] diese guBeren, vom Endost der Spongiosar~tume gebildeten Schichten zwar die gleiche Rolle wie die periostale Labyrinthkapsel beim Menschen

1 Nager u. Meyer: Passow-Schaefers Beitr. 30, 48 (1932).

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spielen, aber dieser keineswegs homolog sind. Ich bin gegen dig Unter- schiede nicht blind, sondern babe sie auf S. 145 meiner Arbeit aus- drficklich hervorgehoben.

3. Die Wanderung der Bogeng~tnge bei Mensch und Huhn.

Meine Theorie, dab die Bogengangslumina peripherw/~rts wandern, lehnt Mayer ,,nut nebenbei bemerkt" und ohne sachliche Begrfindung ffir den )/[enschen ab. Ich mOchte bei dieser Gelegenheit auf einige )/[iB- verst/~ndnisse yon T. H. Bast (1932) eingehen, der in einer Arbeit fiber die Entwicklung der LabyI'inthkapsel auch meine Theorie erw/~hnt. Er hat Bilder, wie ich sie beschreibe, bei /~lteren menschlichen Feten gesehen, abet er meint, dab daffir die Ausdehnung des Labyrinthes als Ganzes, abet nicht das Wachstum der einzelnen Kan~le verantwortlich zu machen sei. Ich habe nun nicht etwa aus dem histologischen Bild ein Wachstum der Bogeng/~nge gefolgert, sondern reich auf Autoren berufen, die dutch Messungen an Metallausgiissen eine Verl/~ngerung und Verlagerung dec Bogeng/~nge festgestellt hat ten (Sato, Tremble). Bast hat Recht, wenn er die LSsung der Frage yon weiteren ~essungen abh/~ngig macht. :Fiir reich kam es zun~chst auf eine Deutung der histologischen Bilder an, die mir bei der Durchsieht von Schnittserien zuf/~llig aufgefallen waren. Da auf der einen Seite des Bogengangs Anlagerung yon Knochen, auf der anderen Zeichen yon Resorption zu sehen sind, ist die Verschiebung des Lumens eine sehr naheliegende Fo]gerung. ])a[3 diese Wanderung beim Menschen nur eine sehr kurze Strecke durchl/~uft, ist auch mir selbst klar.

Natiirlich stfitze ich meine Annahme fiir den Menschen auch auf die analogen, aber sehr viel ausgesprocheneren Befunde bei Hiihnern. Ich bitte um Belehrung, wie die Bilder beim Huhn etwa in meiner Abb. 9 anders als dutch eine Verschiebung des Lumens erkl/h't werden sollen.

Mayer bezeichnet meine vergleichende Abb. 10 als ,,irreffihrend" und behauptet, dab die Ahnlichkeit ,,nur dadurch hervorgerufen wird, dab die Bogengangskapsel des Menschen nicht im selben GrSBenverh/~ltnis neben die des Huhnes gestellt wird". Laut Unterschrift und Text wird in dieser Abbildung die unsymmetrische Anlagerung der endostalen Schicht verglichen, also eine bei jedem VergrSBerungsverh/~ltnis ohne weiteres erkennbare Besonderheit, die mit dem absoluten Durchmesser des Bogengangs nichts zu tun hat. Im iibrigen habe ich unter den Abbildungen die VergrSBerungen genau angegeben, so dab meines Er- achtens niemand irregeffihrt werden kann. Mayer macht es sich wirklich ein biBchen zu leicht, wenn er die yon mir gefundenen Tatsachen auf eine solche unsachliche Art und Weise abtun zu kOnnen glaubt.

4. Die Beziehungen der normalen Struktur zum pathologischen ProzeB.

Man muB natiirlich die normale Labyrinthkapsel des Huhnes in den verschiedenen Entwicklungsstadien kennen, um die ,,experimentelle

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Hfihnerotosklerose" zu beurteilen. Es hat abet keinen Zweck, irgend- welche anatomischen Besonderheiten polemisch auszuschlachten, bevor man untersucht hat, ob sic ffir den pathologischen 1)rozel~ iiberhaupt eine Bedeutung haben. Der Streit um Kittlinien und Knorpelreste ist meines Erachtens fiir die Frage der Hfihnerotosklerose belanglos. In meiner Arbeit habe ich auf S. 144 gesagt : ,,Selbst wenn die ganze normale Labyrinthkapsel des Huhnes wie jeder andere Knochen des KSrpers total umgebaut w/~re, so wiirde das an sieh aoch nichts gegen die MSglich- keit einer venSsen Stauung beweisen. Es kommt - - ganz allgemein gesprochen - - nur darauf an, ob es experimentell gelingt, den gr56ten Tell der Abflu6bahnen eines bestimmten Knochenbezirks unwegsam zu machen. Alle anatomischen Besonderheiten, die sich nicht auf diese Frage beziehen, sind unwesentlieh."

Ich selbst habe mich beziiglich der Stauungstheorie auf die zuli~ssigen Folgerungen beschr/~nkt und bin, wie ich ausdrficklich betonte, nicht auf den pathologischen l)roze6 als solchen eingegangen. Wenr~ ich also gesagt habe ,,aus den Experimenten Wittmaacks geht ferner hervor, dal~ die Ursache der erzielten Knochenver/inderungen in der operativ erzeugten Stauung besteht", so kann das nicht als Schlul~folgerung aus normal- anatomischen Befunden, sondern nut als Zitat aufgefaf~t werden. Denn da$ Wittmaack seine Hfihnerexperimente schon lange vor meiner Arbeit mehrmals publiziert hat, d~'fte auch Herrn Prof. Mayer bekannt sein. Nach Mayers Ansicht soll ich durch dieses Zitat ,,ganz offenherzig" zugegeben haben, dab die Stauungshypothese Zweck und Voraussetzung meiner Arbeit gewesen sei. Ich kann es mir wohl ersparen, auf dieses seltsame ,,Argument" zu antworten, weiles in den Rahmen einer sachlichen Kritik nicht mehr hineingehSrt.

Literatur. Bast, T. H.: Development of the otic capsule I. l~esorption of the Cartilage in

the Canal Portion usw. Arch. of Otolaryng. 16, 19--38 (1932). -- Werner, C1. F.: ~ber Waehstumsprozesse irt der normalen Labyrinthkapsel und ihre Beziehungen zur Otosklerose. Arch. Ohr- usw. I-Ieilk. 129, 128--149 (1931).