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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 59 SMS tippen kann er nicht, E-Mails sind ihm suspekt. Er schreibt von Hand. Mit Vogelfeder und selbst gemixter Tinte schafft Bauer FRITZ TSCHANZ kalligrafische Kunstwerke. Sogar Royals und Staatspräsidenten gehören zu seinen Kunden. Fritz Tschanz, 59, aus Signau BE hat den Titel dieser Reportage grad selbst von Hand gestaltet. Wie in einem Gotthelf-Film Die ehemalige Knechtenkammer ist Tschanz’ Schön- schreib-Werkstatt.

Bauer FRITZ TSCHANZ - Gueti Gschichteverkehr von Computer und Dru-cker erschaffen wird, sind von Fritz Tschanz’ Hand mit Tinte und Feder gestaltete Briefum-schläge rare und darum

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Page 1: Bauer FRITZ TSCHANZ - Gueti Gschichteverkehr von Computer und Dru-cker erschaffen wird, sind von Fritz Tschanz’ Hand mit Tinte und Feder gestaltete Briefum-schläge rare und darum

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SMS tippen kann er nicht, E-Mails sind ihm suspekt. Er schreibt von Hand. Mit Vogelfeder und selbst gemixter Tinte schafft Bauer FRITZ TSCHANZ kalligrafische Kunstwerke. Sogar

Royals und Staatspräsidenten gehören zu seinen Kunden.

Fritz Tschanz, 59, aus Signau BE hat den Titel dieser Reportage grad selbst von Hand gestaltet.

Wie in einem Gotthelf-Film Die ehemalige Knechtenkammer ist Tschanz’ Schön-schreib-Werkstatt.

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Sammlung Nebst Vogel-federn verwendet er auch solche aus Stahl. Ein paar davon präsentiert er in einem Rahmen.

Einsichten Sieben Tage die Woche, von morgens bis Mitternacht, sitzt der Schriften-meister an seinem Pult.

Die Moosmatt Der Hof, Bau-jahr 1730, steht weit und breit allein. Er gehört seit Generatio-nen der Familie Tschanz.

Das Geräusch Jeder Strich mit der Vogelfeder tönt anders. Es schabt, kerbt, scharrt und kratzt auf dem Papier.

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In vielen, kleinen

Tintengütterlilagert Fritz den Schreibsaft

Fläschligalerie Seine Tinte stellt Tschanz selbst her oder bezieht sie beim Tinten-macher-Laden Abraxas in Basel.

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Ruhige Hand und viel Geduld: 13 Jahre Arbeit an einem StammbaumPost Selbst das Schild an Tschanz’ Brief-kasten ist ein kalligrafisches Müsterchen.

Opulent Manche Initialen verziert der Schönschreiber besonders üppig.

Stammbaum An solchen aufwendigen Werken arbei-tet Tschanz oft jahrelang.

Palette Eine Auswahl der Schrift- typen, die Tschanz beherrscht.

Malerisch Nicht nur schreiben, auch zeichnen und malen kann er wunderschön.

Hand-Werk Das Tunken der Feder ins Tintenfass – eine Geste wie anno dazumal.

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TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS REMO NÄGELI

Seit Fritz Tschanz beruf-lich schönschreibt, ist seine private Hand-schrift schludriger ge-worden. An manchen

Tagen kann er nicht einmal mehr entziffern, was er auf dem Posti-zettel notiert hat. Vierzig Jahre lang war Tschanz Bauer, besass sechs Hektaren Land und sechs Milchkühe. Dann, in den Neu-jahrstagen 2014, verpachtet er seinen Boden, verkauft das Vieh und macht sein Hobby zum Beruf

– er wird Kalligraf. Einer der bes-ten im Land. Er selbst mag das Wort nicht besonders: Kalligraf sei für «d Lüüt hiä» unverständ-lich, sagt er, zu abgehoben, ohne Bodenhaftung – was im boden-ständigen Emmental schlecht an-kommt. «Mir ist ein Titel lieber, der grad erklärt, was ich bin – Schönschreiber.»

Ein Sehrschönschreiber.Abgelegener wohnen geht

nicht. Von Signau im oberen Em-mental fährt man gegen Süden «ds Loch uf u ds Loch ab», hat Tschanz tags zuvor am Telefon die Anfahrt erklärt. Vorbei an Weiden, Wäldern, Weilern (das Navi im Auto rät andauernd zur Umkehr), steht da schliesslich, weit und breit allein auf einem Hoger, der Bauernhof.

Ein Riegelhaus von 1730, das Heim mehrerer Generationen Tschanz. Zimtbraune Holzbalken durchkreuzen das weisse Mauer-werk, das Dach so breit und beschützend wie eine Pelerine, vor den Sprossenfenstern blühen Geranien. Und der Briefkasten ist auffallend kunstvoll beschrif-tet. Moosmatt heisst der Ort. «Was man bedauert, wenn man hier bauert», sagt Tschanz, 59. Er lacht. Und die Augen hinter seiner Chu-

gelibrille zwinkern. Manchmal kichert er auch, dann vibrieren seine grauen Schnauzhaare. Sich selbst nicht zu ernst nehmen, sagt er, sei das Geheimnis eines fröhlichen Lebens. «Auch wenn man auf der Moosmatt wohnt» – die ihren Namen vom vielen Moos hat, weil die Matten so schattig und nass sind. «Selbst im trockensten Sommer, auf dem trockensten Pflanzblätz liegen die Kartoffeln im Wasser.»

Tschanz betritt das Haus. In der Küche macht seine Frau Monika, 57, einen Hörnlisalat zum Zmittag. Ihr Mann will «hur-tig zeegä», wie und wo er schön-schreibt. Er steigt die Treppe hoch und betritt eine Kammer, kaum grösser als ein Gäste-WC. Hier schlief früher der Knecht. Jetzt ist es Tschanz’ Schönschreib-stube. Nur hier könne er arbeiten, sagt er und setzt sich an sein Pult, das einem Gotthelf-Film entstam-men könnte. In Tonbechern ste-cken Vogelfedern und Holzgriffel mit Stahlfedern, da hats mit ro-tem Lack versiegelte Tinten-Güt-terli, Messerchen, Muschelscha-len (sie dienen als Farbtöpfchen), Pinsel, Löschpapier, farbfleckige Lümpli und Pipetten.

An die Wand geheftet sind mit-telalterlich anmutende Postkar-ten mit üppig verzierten Initialen, Bibelsprüche mit Blattgoldsujets oder Notationen von gregoriani-schen Chorälen. Und das kleine Foto mit Albert Ankers «Der Gemeindeschreiber» hing nie an einem passenderen Ort. «Ich brauche diese Atmosphäre.» Fritz Tschanz zupft sein halbleinenes Gilet zu-recht. «Das Nos-talgische hier drin bringt mich in die richtige Stimmung.»

Und dann – schreibt er schön.Macht «Musik», wie er es nennt.

Das Geräusch. Wenn die Feder aus Stahl oder der Vogelkiel auf dem Büttenpapier aufkantet und die Tinte verstreicht.

Das Geräusch. Je nach Ana-tomie des Buchstabens, je nach Schwung und Druck und Zug.

Das Geräusch. Ein Scharren der Deckstrich, ein Schaben der Bogen, ein Kerben der Auslauf. Und der Grundstrich, ein so tiefer, schnurrender Kratzton, als zer-reisse man behutsam und lang-sam ein dickes Stück Flanellstoff.

15 alte Schriften beherrscht Tschanz, am liebsten sind ihm Gotic, Fraktur, Kursiv, Unziale und die Spitzfederschrift. Nein, er sei kein Künstler. Was er mache, sei «ganz eefach» nur Hand- werk. Er macht: Glückwunsch-karten, Familienwappen, Urkun-den, Stammbäume, Etiketten für Kaffeebohnen und Wein- und Schnapsflaschen, Visitenkarten, Tischkarten und Taufzettel, die man falten und darin den Götti-batzen überreichen kann.

Tschanz’ Kunst ist längst welt-weit gefragt. Im Auftrag von Pri-va ten, Firmen und Event-Agen-turen beschriftet er Hunderte Briefumschläge. Einladungen für deren Kunden und Gäste, für Ver-nis sagen, Kongresse, Tagungen und hochexklusive Anlässe. Heut-zutage, wo sämtlicher Schrift-verkehr von Computer und Dru-cker erschaffen wird, sind von Fritz Tschanz’ Hand mit Tinte und Feder gestaltete Briefum-schläge rare und darum augen-fällige Kostbarkeiten. Sie signa-

lisieren dem Empfänger: Ich bin von Hand an geschrieben,

ich bin Kunst – folg-lich steckt in mir eine

ganz besonders wichti-ge Botschaft. Für Staats-

präsidenten von Welt-

Abrechnung Sogar seine Rechnungen machen Freude. Der Name der Kundin auf dem Couvert in Schönschrift.

Detailgetreu Beim Schreiben trägt er seine «Uniform» aus Halbleinen, um in «historische Stimmung» zu kommen.

Lieber analog Mit Computern will Fritz nichts zu tun haben. Diese Arbeit erledigt seine Frau Monika, 57, für ihn.

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mächten hat Tschanz schon Briefe verfasst und für den euro-päischen Hochadel und posthum königlichen Dank für seine Küns-te geerntet. Später am Tag, am Küchentisch, bei Guetsli und Nes-café Gold, wird Tschanz uns zwar die Namen seiner weltberühmten Kunden verraten, aber um Dis kre-tion bitten. Lieber keine Namen von Königinnen und Spitzen poli-tikern. «Süsch chonnts am Änd no lätz!»

Am 16. September 1960 wird der Bauernfamilie Tschanz ein zweiter Sohn geboren. Der Jüngs-te soll – so ist es hier Brauch – der-einst den Hof übernehmen. Das Bauern auf der Moosmatt ist streng, gemäht und gemolken wird von Hand, die Tage sind lang und hart, das Auskommen gering. Das prägt die Menschen. Hier ver-plempert keiner Zeit mit tiefen Gedanken, grossen Wünschen oder schönen Künsten.

Oder passenden Vornamen. Und so marschiert Vater Tschanz ins Tal nach Signau und meldet auf der Kanzlei sein neustes Familienmitglied an. Und merkt erst dort, dass seine Frau und er sich nicht überlegt haben, wie das Kind heissen soll. Ein Name muss her, sofort, der Kanzlist wartet mit gezückter Füllfeder. Und so nennt Vater Tschanz – aus einer zufälli-gen Laune heraus und gleich un-gerührt, wie er frischgeborenen Kälbern Namen vergibt – seinen Neugeborenen halt einfach Fritz.

Schon als Bub kann Fritz wunderschön malen und zeich-nen. Später fällt seinem Lehrer auf, wie exakt der Schüler die Schnüerlischrift beherrscht. Un-gewöhnlich, wo die Buben doch sonst eine Sauklaue haben und ihre Hefte verschmieren.

Fritz wird Bauer. Und über-nimmt die Moosmatt. Mit 25 Jah-ren sieht er in der Zeitung einen

Bericht über Kalligrafie und weiss: Das will ich auch. Im Selbststudium bringt er sich die Kunst bei, in langen Winter-nächten übt er, probiert verschie-dene Vogelfedern aus, stellt selbst Tinte her. Seine Eltern schauen dem Treiben misstrauisch zu, vom Schönschreiben hat noch keiner gelebt. Sein erster Kunde ist dann der Briefträger. Diesem ist aufgefallen, wie wundervoll Fritz seine Briefe adressiert – und er bestellt bei ihm eine Glück-wunschkarte. Die Aufträge meh-ren sich, die «Spinnerei» beginnt sich zu lohnen. Wird nach Jahren zu einem wichtigen Nebenerwerb. Schliesslich zum Beruf.

Heute kann Tschanz von sei-ner Kunst leben. Bei den Stamm-bäumen ist er für die nächsten drei Jahre ausgebucht. «Es geht nur, weil Monika mir hilft. Vor allem mit dem Computerzeugs.» Denn Schönschreiber Fritz ist kein Modernschreiber. Ein SMS hat er noch nie verfasst, Com puter sind ihm suspekt, Tastaturen ein Graus, und die E-Mails für Kun-den verfasst Monika.

Viel lieber tüftelt Fritz an noch ausgefeilterer Schönschreib-technik. Und am Material. Es müssen Federn von Pfau, Schwan, Gans und Truthahn sein. Mit ei-nem «hauigen» Messer schnei-det er deren Kielspitzen zu. Die Schreibfarben kauft er bei einem Basler Tintenmacher oder mixt sie selber. Aus Kornblumen-blütenblättern lässt sich ein Königsblau herstellen, aus Safran-fäden ein kräftiges Gelb, zu Pul-ver verriebene Galläpfel gibt Schwarz, und aus den Frucht-

hüllen der Baumnüsse gewinnt man ein lichtechtes Braun. Und Tschanz’ Geheimtipp, falls die Tinte nicht von der Feder fliesst: «Spoitz dra!»

Was war Ihr speziellster Auf-trag, Herr Tschanz?

«Die Vorlage für ein Tattoo. Leider durfte ich es nicht selbst stechen. Das hätte mich noch in-teressiert.»

Ihr grösster Auftrag?«An einem Stammbaum habe

ich 13 Jahre gearbeitet.»Ihr schönstes Kundenerlebnis?«Ein Genfer lud mich in sein

Schloss ein und liess mich von sei-nem Butler abholen. Zum Glück hörte ich auf meine Monika und zog schöne Hosen an.»

Fritz Tschanz ist ein stiller Mensch mit einer ruhigen Hand. «Sollte ich im Alter den Schlot teri bekommen, müsste ich halt auf-hören.» Sieben Tage die Woche arbeitet er bis oft nach Mitter-nacht. «Ich habe meinen Mann schon schlafend, mit dem Kopf auf dem Pult, vorgefunden», er-zählt Monika Tschanz.

1978 lernte sie den Jungbauern Fritz kennen, zehn Jahre später heiratete das Paar. «Eine schöne Schrift kann das ganze Leben ver-ändern», sagt Monika. Sie kne- tet ihre Chnödli und lächelt ver-legen. «Sonst sässe ich jetzt nicht hier.» In ihrer Stube, in der Schub-lade einer Kommode, bewahrt sie sie noch immer auf: über hundert kalligrafische Kunstwerke eines entflammten jungen Mannes an seinen Schwarm – die Liebes-briefe ihres Schönschreibers.

Die Finger sind sein verkleckstes Schreibzeug

Fokussiert Gute Augen sind wichtig. Fritz Tschanz’ Chugelibrille ist sein Marken-zeichen.

Experten-Tipp So bringt man Tintenhände sauber: am brachialsten mit Zitronensaft oder Nagellack-entferner.

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