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~264 KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. i. JAHRGANG. Nr. 2 5 xT. JUNI 1922 Ersch6pfung tritt gleichzeitig mit dem Tode auf; ob dieser unmittelbar durch den Lipoidmangel hervorgerufen wird, oder ob es sich nur urn ParaUelvorg~nge mit eillesteils weniger eill- greifender Natur handelt, mag zun/ichst dahingestellt bleiben. In einer zweiten Versuchsreihe bin ich dann dazu fiber- gegangen, je zwei gleichaltrige Versuchstiere auf Hafer- nahrung zu setzen und nach dem Tode des ersten, dessen Nebennieren ich zu Vergleichszwecken ben6tigte, das andere in gew6hnlicher Weise wieder mit Grfinfutter zu ern/~hren. Schon naeh kurzer Zeit -- bereits nach 14 Tagen -- sah man nun bei dem letzten Tier eille sehr auff~llige Erscheinung: die /~uBersten Schichtell der Fasciculata (F/~rbung nach Sudan III) sind in ein goldrot aufleuchtendes, nach innen ziemlich scharf abgeschnittelles, schmales Band voll Lipoid- k6rperchell verwandelt, aus dem die Zellkonturen welliger deutlich hervortreten. Es hat bier elne ganz enorme Zell, i~berlad~ng mit Lipoid stattgehabt, wie man sie 5hnlich bei lci~nstlicher Fi~tterung oder In#ktion yon Cholesterin (versg) an normalen Tieren auftreten sieht. Die zentraler gelegenen Rindenteile weisell eine den Verh~ltllissen am Vergleichstier entsprechende, hochgradige Lipoidverarmung auf. Doch er- strecken sich aus der hyperlipoidell Zone, bald mehr, bald weniger ausgesprochen, wie Finger, Gruppen yon lipoid- reichen Zellen bis in die mittleren Teile der Fasciculata, dem Verlauf der RindengefgBe Iolgend. Es hat so den Anschein, ats ob nach dem Wechsel des Erndihrungsregimes das mlt neuem Lipoid versehene Blut dieses zundichst an die diuflersten Zell- lagen der Rinde (vor allem die s Schichten der Fas- ciculata) abgibt, nach deren maxlmaler Fiillung die zentraleren, den Gefdiflen unmittelbar anliegenden Ballcenzellen, zuerst ge- spelst werden. Bin Vordringen yon neugebildetell Zellen nach innen (das Rindenwachstum geht yon der Peripherie aus), die ullter gfillstigeren Bedingungen neu entstanden ulld ihr Lipoid in sich neu gebildet h~tten, dfirfte kaum vorliegen; dagegen spricht einrnal die Kfirze der Zeit, in der diese hyper- lipoide Zone entstanden sein mfiBte; danll lieB sich aber auch eine Verbreiterung der Rillde nicht erkennell, nnd schlieB- lich sprach auch die Art der Verteilung des in den tieferen Schichten der Fasciculata restierenden Zellipoids dagegen. Diese Beobachtungen sprechen somit gegen dle Theorle des an Zellgranula gebundenen Entstehens des Nebennierenlipoids. Ich habe hier lediglich die Frage nach dell Ver~nderullgell des Nebennierenlipoids, soweit ich sie aus meinell bisherigen Ulltersuchungen ableiten kollnte, behandelt. Sonstige struk- turelle Ver~nderungen yon Rinde ulld Mark sind hier zun~chst unberficksichtigt geblieben, obwohl auch diese vorhanden sind. Gerade in diesen Punkten sei auf die Arbeit yon IFA~UCHI verwiesen. Wie weit die hier beobachteten Vorg~nge ffir die Idinische Pathologie des menschlichen Skorbuts yon Bedeu- tung silld, l~Bt Sich, solange unsere Kenntnisse yon den Fullktionen der Nebennierellrinde -- zweifellos gibt es mlehr wie eine Funktion -- noch so ungekl~rte wie zur Zeit sind, nicht sicher erkennen. Bei der von BIEDL festgestellten absoluten Lebellsnotwendigkeit der Nebennierenrinde silld sie abet zweifellos nicht irrelevant. (Aus der chirurgischen Univ.- Klinile, Franle]urt a. M. Direktor: Prof. Schmleden. ) PRAKTISCHE ERGEBNISSE. BEHANDLUNG DER EPILEPSIE. Von Prof. Dr. KEHRER. Oberarzt der Psychiatrischen und Nervenklinik Breslau. (Direktor : Geheimrat WOLLENBERG.) Alle Erw~gungell, die bei der Eillleitung eiller sach- ulld fachgem~Ben Behandlung epileptischer Krankheitsfltlle an- zustellen sind, haben voll der klaren Erfassung der Tatsache auszugehen, dab es eine Epilepsie in dem Sinne, wie man von einem Diabetes, eiller Gicht, einer Paralyse spricht, nicht gibt. Je mehr die wissenschaffliche Erkenntnis fort- geschritten ist, um so klarer ergab sich, dab das elementare Geschehell, mit welchem die Bezeichnung Epilepsie yon jeher verkniipft ist, nicht das einsinllige Kennzeichen einer nach Ursache, Symptom, Verlauf und Ausgang einheitlichen Krankheit darstellt. Wer Epilepsie nur da annehmen wollte, wo der klassische Allfall yon Kr~mpfen mit Bewul3tlosigkeit /~uftritt, wfirde yon der Unm6glichkeit eines derartigell dia- gnostischen Verfahrens sehr bald durch eine doppelte Er- fahrung belehrt: Einmal, dab zwischen diesem ,,groBen, Anfall und den Anf~llen leisesten Versagens nur des BewuBt- seins oder gerillgffigiger St6rungell nur des Bewegungs, oder nur der Sinnesapparate alle erdenMichen l~lbergi~nge vor- kommen llnd zllm allderll, dab derselbe groBe Krampfanfall gellau so gut Ausdruck einer eill einziges Mal im Leben au~- tretelldell Hirnsch~digung wie das hervorstechelldste Merk- mal einer unaufhaltsam zum Schwachsinn ffihrenden Er- krallkung sein kann. Wer umgekehrt jedes anfallsweise Versagen der h6chsten nerv6sen Funktiollen schon als epi- leptisch ansprechen wollte, mfil3te sehlieBlich auch jeden Ohnmachtsanfall, den ein Killd in einer fiberffillten Kirche bekommt, so nennen usf. Die Ursache all dieser klassifikatorischen N6te ist in letzter Linie ill der Unkenntnis der wahren Atiologie solcher KrankheitsfAlle zu suchen. Man hat dieser Unkenntnis ein positiveres Gesicht gegeben, indem man von einer epilepti- schen Reaktionsf~higkeit des Gehirns oder voll eillem bio- logisch vorgebildeten nerv6sen Mechanismus gesproehen hat, der durch die verschiedensten k6rperlichen St6rungen zum Ablaut gebracht werden kann. Ist diese F0rmulierung auch nicht falsch, so miissell wir doch nicht vergessen, dab sie viel zu allgemein ist, um praktische Bedeutung zu erlangen. Die Eillsicht, dab zur Zeit eille scharfe Umgrenzullg des Epilepsiebegriffs nicht m6glich ist, braucht aber doch nicht allf ullser therapeutisches Handelll l~hmelld zu wirken sein. Woher sind nun aber dann die Richtlilliell ftir dies prak- tische Halldeln zu llehmeI1 ? Zun~chst einmal ist wie fiberall ill der Medizill die Feststellung zu treffell, dab ein fraglicher Anfall yon Kr~mpfell oder Bewul3tseinstrfibung oder beiden zugleich nicht in irgelldeiller Weise rein seelisch bedingt sei. So theoretisch scharf dieser Unterschied zwischen psychogen ulld organisch erfaBbar ist, so macht seine Elltscheidung yon Fall zll Fall viel h~ufiger a]s wfinschenswert deshalb groBe Schwierigkeiten, weil der epileptische Krampflnechanismns, in dem mall trotz seines elemelltaren tonisch-klollischen Ab- laufs doch das vergr6berte Modell der Ausdrucksbewegungen h6chster Wutverhaltung erkennen kann, besonders hysterie- fithig ist, daher gar nicht so selten ganz einwandfreie epilep- tische IZrampfanf~]le vom selben Illdividuum hysterisch k0piert werden oder seelische Erschfifterungen irgendwelcher Art einell in orgallischer Vorbereitullg begriffenen Anfall zur verfrtihten Ausl6sung bringen. Oft nicht weniger schwie- rig gestaltet sich die •ntscheidung bei den versehiedenarfigen Formen kleiner Anf~lle der seit GOWERS sehr zweckm~Big als ,,Grenzgebiet der Epilepsie" bezeichlleten Gruppe voll An- fMlen getrtibten BewuBtseins. Auf der einen Seite stehen bier die Anti, lie, die zwar nach Bild und Ablaut als tonisch- klonische Krgmpfe imponieren -- ,,epileptiform" sind --, aber vorwiegend unmittelbar auf seelische AuBenreize auf- treten (psychasthenische Kr~tmpfe [OPPENHEIM], Affekt- epilepsie oder t~eakfivepilepsie [13ONHOEFFER]), d.h. also dutch ihre psychogelle Ausl6sbarkeit die Brficke zll den hysterischen tframpfanf~llen schlagen; auf der anderen die- jenigell Zuf~lle, die auf dem Boden der Panasthenie resp. Psychopathie vorwiegend in der Jllgendzeit auftreten ulld sich symptomafisch bald mehr als reille Schlafanf~klle (Narko- lepsie), bald mehr als kurzdauernde Anf~lle yon Versagen resp. Erstarrung des Denkens oder Handellls (FRIEDMANN- sche Anf~lle, wegen ihres gehguffen Auftretens auch Pykno- lepsie genannt) darstellen. Bei einer anderell Reihe von ZufMle n, die nicht mit ausgesprochenen Krampferschei-

Behandlung der Epilepsie

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~264 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . i. J A H R G A N G . N r . 2 5 xT. JUNI 1922

Ersch6pfung t r i t t gleichzeitig mit dem Tode auf; ob dieser unmit te lbar durch den Lipoidmangel hervorgerufen wird, oder ob es sich nur urn ParaUelvorg~nge mi t eillesteils weniger eill- greifender Na tu r handelt , mag zun/ichst dahingestell t bleiben.

In einer zweiten Versuchsreihe bin ich dann dazu fiber- gegangen, je zwei gleichaltrige Versuchstiere auf Hafer- nahrung zu setzen und nach dem Tode des ersten, dessen Nebennieren ich zu Vergleichszwecken ben6tigte, das andere in gew6hnlicher Weise wieder mit Grfinfutter zu ern/~hren. Schon naeh kurzer Zeit -- bereits nach 14 Tagen -- sah man nun bei dem letzten Tier eille sehr auff~llige Erscheinung: die /~uBersten Schichtell der Fasciculata (F/~rbung nach Sudan I I I ) sind in ein goldrot aufleuchtendes, nach innen ziemlich scharf abgeschnittelles, schmales Band voll Lipoid- k6rperchell verwandelt , aus dem die Zellkonturen welliger deutlich hervortreten. Es hat bier elne ganz enorme Zell, i~berlad~ng mit Lipoid stattgehabt, wie man sie 5hnlich bei lci~nstlicher Fi~tterung oder In#k t ion yon Cholesterin (versg) an normalen Tieren auftreten sieht. Die zentraler gelegenen Rindenteile weisell eine den Verh~ltllissen am Vergleichstier entsprechende, hochgradige Lipoidverarmung auf. Doch er- strecken sich aus der hyperlipoidell Zone, bald mehr, bald weniger ausgesprochen, wie Finger, Gruppen yon lipoid- reichen Zellen bis in die mit t leren Teile der Fasciculata, dem Verlauf der RindengefgBe Iolgend. Es hat so den Anschein, ats ob nach dem Wechsel des Erndihrungsregimes das mlt neuem Lipoid versehene Blut dieses zundichst an die diuflersten Zell- lagen der Rinde (vor allem die s Schichten der Fas-

ciculata) abgibt, nach deren maxlmaler Fiillung die zentraleren, den Gefdiflen unmittelbar anliegenden Ballcenzellen, zuerst ge- spelst werden. Bin Vordringen yon neugebildetell Zellen nach innen (das Rindenwachstum geht yon der Peripherie aus), die ull ter gfillstigeren Bedingungen neu ents tanden ulld ihr Lipoid in sich neu gebildet h~tten, dfirfte kaum vorliegen; dagegen spricht einrnal die Kfirze der Zeit, in der diese hyper- lipoide Zone entstanden sein mfiBte; danll lieB sich aber auch eine Verbreiterung der Rillde nicht erkennell, nnd schlieB- lich sprach auch die Ar t der Verteilung des in den tieferen Schichten der Fasciculata restierenden Zellipoids dagegen. Diese Beobachtungen sprechen somit gegen dle Theorle des an Zellgranula gebundenen Entstehens des Nebennierenlipoids.

Ich habe hier lediglich die Frage nach dell Ver~nderullgell des Nebennierenlipoids, soweit ich sie aus meinell bisherigen Ulltersuchungen ableiten kollnte, behandelt . Sonstige struk- turelle Ver~nderungen yon Rinde ulld Mark sind hier zun~chst unberficksichtigt geblieben, obwohl auch diese vorhanden sind. Gerade in diesen Punkten sei auf die Arbei t yon IFA~UCHI verwiesen. Wie weit die hier beobachteten Vorg~nge ffir die Idinische Pathologie des menschlichen Skorbuts yon Bedeu- tung silld, l~Bt Sich, solange unsere Kenntnisse yon den Fullkt ionen der Nebennierellrinde -- zweifellos gibt es mlehr wie eine Funkt ion -- noch so ungekl~rte wie zur Zeit sind, nicht sicher erkennen. Bei der von BIEDL festgestellten absoluten Lebellsnotwendigkeit der Nebennierenrinde silld sie abe t zweifellos nicht irrelevant. (Aus der chirurgischen Univ.- Klinile, Franle]urt a. M. Direktor: Prof. Schmleden. )

P R A K T I S C H E ERGEBNISSE. BEHANDLUNG DER EPILEPSIE.

Von

Prof. Dr. KEHRER. Oberarzt der Psychiatrischen und Nervenklinik Breslau.

(Direktor : Geheimrat WOLLENBERG.)

Alle Erw~gungell, die bei der Eill lei tung eiller sach- ulld fachgem~Ben Behandlung epileptischer Krankheitsfltl le an- zustellen sind, haben voll der klaren Erfassung der Tatsache auszugehen, dab es eine Epilepsie in dem Sinne, wie man von einem Diabetes, eiller Gicht, einer Paralyse spricht, nicht gibt. Je mehr die wissenschaffliche Erkenntnis fort- geschrit ten ist, um so klarer ergab sich, dab das elementare Geschehell, mi t welchem die Bezeichnung Epilepsie yon jeher verkniipft ist, n icht das einsinllige Kennzeichen einer nach Ursache, Symptom, Verlauf und Ausgang einheitlichen Krankhe i t darstell t . Wer Epilepsie nur da annehmen wollte, wo der klassische Allfall yon Kr~mpfen mi t Bewul3tlosigkeit /~uftritt, wfirde yon der Unm6glichkeit eines derartigell dia- gnostischen Verfahrens sehr bald durch eine doppelte Er- fahrung belehrt : Einmal, dab zwischen diesem ,,groBen, Anfall und den Anf~llen leisesten Versagens nur des BewuBt- seins oder gerillgffigiger St6rungell nur des Bewegungs, oder nur der Sinnesapparate alle erdenMichen l~lbergi~nge vor- kommen llnd zllm allderll, dab derselbe groBe Krampfanfa l l gellau so g u t Ausdruck einer eill einziges Mal im Leben au~- tretelldell Hirnsch~digung wie das hervorstechelldste Merk- mal einer unaufhal tsam zum Schwachsinn ffihrenden Er- kral lkung sein kann. Wer umgekehrt jedes anfallsweise Versagen der h6chsten nerv6sen Funkt iol len schon als epi- leptisch ansprechen wollte, mfil3te sehlieBlich auch jeden Ohnmachtsanfall , den ein Killd in einer fiberffillten Kirche bekommt , so nennen usf.

Die Ursache all dieser klassifikatorischen N6te ist in letzter Linie ill der Unkenntnis der wahren Atiologie solcher KrankheitsfAlle zu suchen. Man ha t dieser Unkenntnis ein positiveres Gesicht gegeben, indem man von einer epilepti- schen Reaktionsf~higkeit des Gehirns oder voll eillem bio- logisch vorgebildeten nerv6sen Mechanismus gesproehen hat, der durch die verschiedensten k6rperlichen St6rungen zum Ablaut gebracht werden kann. Is t diese F0rmulierung auch

nicht falsch, so miissell wir doch nicht vergessen, dab sie viel zu allgemein ist, um praktische Bedeutung zu erlangen. Die Eillsicht, dab zur Zeit eille scharfe Umgrenzullg des Epilepsiebegriffs nicht m6glich ist, b raucht aber doch nicht allf ullser therapeutisches Handell l l~hmelld zu wirken sein.

Woher sind nun aber dann die Richtlilliell ftir dies prak- tische Halldeln zu llehmeI1 ? Zun~chst einmal ist wie fiberall ill der Medizill die Feststel lung zu treffell, dab ein fraglicher Anfall yon Kr~mpfell oder Bewul3tseinstrfibung oder beiden zugleich nicht in irgelldeiller Weise rein seelisch bedingt sei. So theoretisch scharf dieser Unterschied zwischen psychogen ulld organisch erfaBbar ist, so macht seine Ell tscheidung yon Fal l zll Fal l viel h~ufiger a]s wfinschenswert deshalb groBe Schwierigkeiten, weil der epileptische Krampflnechanismns, in dem mall t rotz seines elemelltaren tonisch-klollischen Ab- laufs doch das vergr6berte Modell der Ausdrucksbewegungen h6chster Wutverha l tung erkennen kann, besonders hysterie- fithig ist, daher gar nicht so selten ganz einwandfreie epilep- tische IZrampfanf~]le vom selben I l ldividuum hysterisch k0piert werden oder seelische Erschfifterungen irgendwelcher Ar t einell in orgallischer Vorbereitullg begriffenen Anfall zur verfrtihten Ausl6sung bringen. Oft nicht weniger schwie- rig gestal tet sich die •ntscheidung bei den versehiedenarfigen Formen kleiner Anf~lle der seit GOWERS sehr zweckm~Big als , ,Grenzgebiet der Epilepsie" bezeichlleten Gruppe voll An- fMlen getrt ibten BewuBtseins. Auf der einen Seite stehen bier die Anti, lie, die zwar nach Bild und Ablaut als tonisch- klonische Krgmpfe imponieren -- , ,epileptiform" sind -- , aber vorwiegend unmit te lbar auf seelische AuBenreize auf- t re ten (psychasthenische Kr~tmpfe [OPPENHEIM], Affekt- epilepsie oder t~eakfivepilepsie [13ONHOEFFER]), d . h . also dutch ihre psychogelle Ausl6sbarkeit die Brficke zll den hysterischen tframpfanf~llen schlagen; auf der anderen die- jenigell Zuf~lle, die auf dem Boden der Panasthenie resp. Psychopathie vorwiegend in der Jllgendzeit auftreten ulld sich symptomafisch bald mehr als reille Schlafanf~klle (Narko- lepsie), bald mehr als kurzdauernde Anf~lle yon Versagen resp. Ers tar rung des Denkens oder Handellls (FRIEDMANN- sche Anf~lle, wegen ihres gehguffen Auftretens auch Pykno- lepsie genannt) darstellen. Bei einer anderell Reihe von ZufMle n, die nicht mit ausgesprochenen Krampferschei-

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nungen einhergehen, treteli kompliziertere Paroxysmen einer im einzelnen noch recht unklaren St6rung des sympathisch- parasympathischen Gleichgewichts (daher vielleicht zweck- mi~Biger als , ,vegetat ive Anf~lle" zu bezeichnen) auf (Vertigo- synkopale, vagovasale Anf~lle [GowEas] usw.). Unbedenk- lich lassen sich bier auch best immte Migr~nef~lle anreihen. Das Charakter is t ikum all dieser AnfAlle is t , dab sie zwar fiberwiegend ohne erkennbareli ~uBeren AnlaB in die Er- scheinung treten, daneben aber doch besonders psychotrop sind, d .h . bei ein und demselben Individuum gelegentlich auch reakt iv auf seelische Erschi i t terungen irgendwelcher Ar t sich einstellen. Mit dem Nachweis einer besonderen Bereitschaft des AnfaUmechanismus gegeni!ber seelischen Einfltissen ist auch therapeutisch der Weg gewiesen. Viel- fach fallen hier diagnostische und therapeutische Mal3nahmen zusammen: Die seelische Analyse wird zumeist dadurch der erste Schri t t der seelischen Behandlung, dab sie zur Auf- deckung eines untermerklichen Konflikts in weiter zuriick- tiegenden Jahren, besonders in der Kindhei t des Kranken ffihrt: als eine im wahrsten Sinne des Wortes psychische Orthop~die zei t igt sie oft bessere Resultate als die an sich meist ebenso angezeigte Behandlung der vegetat iven Labi- lit/~t, die nach den Gesichtspunkten der modernen Pharma- kologie des autonomen Nervensystems zu erfolgen hat. Bei der Mehrzahl dieser Kranken mtissen wir uns vorlAufig an- gesichts des ulifertigen Stands dieses Zweigs der IIei lkunde mit tastenden Versuchen begntigen. Als charakterist isch kann nur gelten, dab hier - - was sich aus der Auffassung des Leidens als einer Sonderform reizbarer Schw~che des Nervensystems fast yon selbst ergibt - - alle Mittel, die bei der echten Epilepsie zur dauernden Herabsetzung der Erreg- barkei t der GroBhirnrinde angewandt werden: Brom, Lu- minal usf. (s.u.) nicht al igebracht sind, Man ha t wohl aus der UnbeeinfluBbarkeit yon pe t i t mal-Zust~nden durch eine sachgemiiBe Durchffihrung einer Bromkur direkt die dia- gnostische SchluBiolgerung gezogen: Also handel t es sich hier nicht um )kquivalente echter Epilepsie. Inwieweit dies berecht igt ist, muB dahingestell t bleiben.

Aus der Tatsache der bald auf k6rperlichem, bald auf seelischem Gebiete s tarker ausgepr~tgten Asthenie dieser jugendlichen Persolien ergibt sich, daB hier eine Hebung des allgemeinen KrAftezustands und des psychische n Tonus; roborierende Kost, Eisenarsen, Phosphor und besonders Fernhal tung sch~dlicher AuBenweltseilifltisse, zu denen sehr h~ufig das famili~re" Milieu zu rechnen ist, und J~hliliches in individualisierender Auswahl angestrebt werden muB.

Mit Erfolg pflegen wir bier, ohne eine ganz klare phar- makologische 13egrtindung geben zu k6nnenl), eine 1Angere Zeit fortgesetzte Kalkbehandlung (Calc. lactic., Calzan, Stibenyl, Transannon) anzuwenden. Bei weiblichen Indi- viduen wird eventuell a u c h eine Organotherapie (Ovara- dentriferrin, Ovoglandol, letzteres init Bromkur, kombiniert im Ovobrol (LA lZocI~) versucht werden k6nnen. In jedem Falle wird hier der Gesichtspunkt des individualisierenden Vorgehens, das Vermeiden eines schematischen Aneinander- vorbeiordinierens in kSrperlicher und seelischer Richtung und eilie Untersch~tzung des seelischen Moments besonders im Auge zu behalten se in . All diese Einzelindikationeli zusammen lassen es daher fast framer geboten erscheinen, eine Behand- lulig derart iger Kranker in einer Nervenheilanstal t durch- zuffihren.

I s t im gegebenen Falle die diagnostische Vorfrage dahin beantwortet , dab es sich um sicher endogene, d .h . ohne jedes psychogene Hilfsm0ment entstehende Anf~lle handelt , so bleibt nun IIoch zu entscheiden, ob die Anf/~11e nur das, wenn auch vielleicht dem Kranken und seiner Umwelt ein- drucksvollste Symptom aus einem Komplex yon Symptomen oder der einzige Ausdruck gest6rter Hirnfunktionen sind; es handel t sich um die Alternat ive: symptomatische oder essentielle (,,genuine", , ,echte") Epilepsie? Diese Entschei- dung ist ffir die therapeutische Indikat ion yon ausschlag-

~) VielIeicht handelt es sich um eine giinstige Beeinflussung der vasomotorischen l~ber. erregbarkeit, die wit uns ja in engerer Verbindung zur aflektiven 13berempfindlichkeit stehend dexlken dfa:fen.

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gebender Bedeutung. Denn es ist ohne weiteres klar: Im ersteren Falle wird man zwar den epileptischen Krampf- anfall oder seinen ~quiva lenten um der rein mechanischen Begleit- und Folgeerscheinungen eines so elementaren Er- eignisses willen, also aus prophylakt ischen Grtinden nicht ignorieren diirfen; fiir eine tunlichst kausale Therapie kommt aber in erster Linie die Behebung des Grundleidens in Be- tracht . Unter diesem Grundleiden figurieren nun alle er- denklichen, k6rperlich faBbaren Alterat ionen des Gehirns, yon der molekularen oder mikrochemischen Sch/~digung einer Commotio oder einer chronischen Alkohol- oder Bleivergif- tung bis zu der faustgroBen Hirngeschwulst oder -blutung, yon der seliilen Sph/~rotrichie oder parMytischen Hirnver/~n- derung bis zu den leichteren Graden diffuser Arteriosclerosis cerebri. Es ist ein Grundproblem der Epilepsiefrage, warum bei allen diesen bekannten Hirnleiden das ,,epileptische Syn- drom des Krampf-, Schwindel-, Ohnmachtsanfalls oder D/~mmerzustands nur in einer yon den einzelnen Unter- suchern recht verschieden angegebenen Minorit/~t der F~lle auftri t t , welches also das ausschlaggebende ~tiologisehe Hilfsmoment ist, das bei einem Hirligesch~digten auch epileptische Anf~lle entstehen l~Bt. Die Frage ist aufs engste mi t der nach dem Weseli der echten Epilepsie verknfipft, die diagnostisch durch die negative Feststel lung bes t immt wird, dab fiir alle diese bekannteren Hirnleiden keili Anhalts- punkt sich l inden l~Bt und dab auch nachtr~glich im histo- logischen ]3ilde nut solche Ver/~nderungen sich nachweisen lassen, die entweder wie eine Reihe feinster Entwicklungs- st6rungen (CAJALSChe Zellen, Dystopien usw.) vim zu un- regelm~Big auftreten, um ~tiologisch h6her denn als stig- mata degenerationis cerebri bewertet werden zu k6nnen, oder aber wohl als anatomi~sche Begleit- oder Folgeerscheinungen der Anf~tlle gedeutet werden mtissen (Gliose usw.). Wenn nun auch bei dieser ,,Epilepsie unklarer Atiologie" im Laufe der Jahre sich h6chst charakterist ische Abweiehungen im seelischen Bilde einzustellen pflegen, w i e wit sie bei an- deren Kranken nicht antreffen, so bietet dies doch keinen Hinweis auf das Wesen des hier vor sich gehenden Prozesses. Und so muB denn die Behandlung dieser epileptischen Kranken bis auf weiteres eine rein symptomatisehe, prohi- bi t ive sein.

Die Reakt ion der Prakt iker auf diese in den ein- schl~gigen Lehrbuchdarstel lungen zumeist nicht so pre- gnant formulierte Erkenntnis war zumeist ein 6der Schema- tismus nach der gedankenlosen Formel: Epilepsie, also Brom in den bekannten Dosen. Die Erfolge waren natiirlich dem- entsprechend und haben selbstverst~udlich zur Diskreditie- rung dieser Behandlungsmethode als einer Vergiftung, Ver- bl6dung usw. herbeiffihrenden nieht wenig beigetragen. Uiid doch sind sich nur sehr wenige Prakt ike T bewuBt, dab der Grund solcher MiBerfolge einfach darin liegt, dab eine unseren wissen- sehaftlichen Ansprtichen gerechtwerdende Durchfiihrung einer Bromkur auBerhalb eines Anstaltsregimes in der Mehrzahl der F~Ule an e igenar t igen Schwierigkeiten, an dem Wider- willen gegen eine salzarme Kost, an der Indolenz, die durch die Vorurteile gegen das Brom geschfirt wird, usf. scheitert. Wir wissen heute vor Mlem dutch ULriCH und LIPSCH/3Tz, dab der Grundgedanke des yon TooLous~ und I~ICHET 1899 angegebelien , ,metatropischen Verfahrens" richtig ist: DaB eine Brombehandtung, die nicht gleichzeitig auf den Koch- salzgehalt der Nahrung Rficksicht nimmt, bald mehr eine Arzneiversehwendung ist, bald mehr eine Gef~hrdung des Kranken durch Bromvergiftung bedeutet . (Es beruht d i e s auf dem theoretisch h6chst interessanten und pharmako- logisch einzigartigen Antagonismus yon Chlor und Brom im K6rperhaushMt.) " Es muB daher einmal mit Best immthei t ausgesprochen werden, dab niemand berechtigt ist, yon einem Versagen der Bromkur bei Epilepsie zu sprechen, wenn dar- fiber keine GewiBheit besteht, dag die Gesamtkochsalzzufuhr auf das lebensnotwendige und dem Kranken subjekt iv er- tr~gliche Minimmn eingeschr/~nkt war. Man verf~thrt in praxi so, dab man unter strenger Inneha l tung dieses Kochsalz- regimes von 5 g der ]3roma'lkalieli steigend diejer[ige Dosis ausfindig macht, welche, ohne Bromismus zu erzeugen

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- - der fibrigens nie durch Bromentzug, sondern durch geringe I(ochsalzzufuhr in einfaehster Weise zu beheben is t --, Anfallfreiheit bewirkt. Diese Dosis soll der Kranke jahrelang, auch naeh Ausbleiben der Anf~ille strenge bei- behalten. Line grol3e Erleichterung der Durchfiihrung salz- armen Regimes hat der yon ULRICH angegebene Ersatz der t3romalkalien durch das Sedobrol-,,Rocm~" (i Wiirfel I , I NABr, o,I NaC1, sowie Extraktivstoffe pflanzliehen Ei- weiBes innerhalb 3 W0chen steigend yon I auf 3--5 Wiirfel am Tag) gebracht. Indem durch die Eingabe der mit Sedo- brol hergestellten schmackhaften Suppe die .Hauptquelle des Kochsalzes aus dem Speisezettel beseitigt wird, l~Bt sich, wie ULRICH in absolut iiberzeugender Weise gezeigt hat, das ,,metatropische Verfahren" subjektiv und objektiv in gleieh befriedigender Weise durchffihren.

Vereinzelte F~ille werden aber auch durch Sedobr01, selbst wenn die ffir jede Epilepsiekur selbstverst~indliehe Regelung der Lebensweise, der Kost und des Stuhlgangs, Ruhehal tung und Alkoholabstinenz vom Kranken inne- gehalten werden, nicht dauernd anfallfrei. In diesen F~llen hat sich das Luminal (Phenyl~thylbarbiturs~ure), aui dessen antiepileptische Wirkung zuerst HAUPTMANN aufmerksam gemacht hat , so bewiihrt, dab dies Mittel heute schon wegen der Einfachheit der Darreichung, der relativen Unabh~tngigkeit yon der I(ochsalzzufuhr usL bei jeder echten Epilepsie als der ernsthafteste Konkurrent der Bromkur angesehen werden muB. Ob das Luminal dazu berufen sein wird, diese ganz zu ersetzen, bedarf freilieh noch grfindlicher Nachprfifungl). Denn auch bei diesem Mittel zeigen sich gelegentlich eine Reihe yon toxischen Neben- wirkungen, die freilich bei richtiger Medikation -- ,,Ein- schleichen" mit der Dosierung, yon je 0,05 g morgens u nd abends, individualisierende Steigerung bis zur antiparoxys- mellen Tagesmenge yon 0, 3 pro die, Verabreichung in 3 und mehr Einzelgaben -- nicht schwerer zu vermeiden sind, wie diejenigen der Brombehandlung. I n k6rperlicher Beziehung wird hier das Auftreten yon Exanthemen und Urticaria, ferner yon Nierenreizung und Odemen angegeben. Unter richtiger Dosierung haben wit dergleichen bei Epileptikern Hie beobachtet~). Unerfreulicher sind demgegenfiber die ge- legentlichen psychischen Nebenerseheinungen der Luminal- behandlung, die sich bei Jugendlichen 8) und bei weibliehen Personen auch noch jenseits der Pubert~it schon bei re- lativ niederen Dosen, bei letzteren unter Umst~inden nach 2 • o,I pro die, einstellen. Es sind dies die narkotischen

W i r k u n g e n des 1Viitte!s, Kopfdruek, Schl~frigkeit, Benommen- heir, Schwindel, evtl. auch hypomanische, oft erotisch ge- f~irbte Erregtheits- und Verwirrtheitszust~inde% Linen Vor- zug gegeniiber der Bromkur werden wit mit HAUPTMANN der reinen Luminalbehandlung bei denjenigen I4ranken zuer- kennen miissen, bei denen die Anf~lle regelm~iBig in Ab- st~inden yon Wochen an einem mehr oder minder genau best immbaren Tage auftreten, insofern, als bier das Luminal nur 2-- 3 Tage vor dem vermeintlichen Eint r i t t des.Anfalls eingenommen werden braucht, Welter heben ROCHE und HAUPTMANN mit Recht die giinstige Wirkung kleiner Lu- minaldosen (2 • 0,o 5 pro die) gerade bei der ausschlieBlich

t) Insbesondexe bedarf die Frage der Entseheidung, ob in den F~illen, bei denen nach Augabe der Literatur das Luminal allein wesentlieh besser wirken soll als die isolierte Bromkur, diese auch unter exakter Koehsalzregulierung durchgeffihrt wurde. Tr~fen die aueh neuerdings wieder gemachten Angaben fiber die StSrung des NaC1-Stoffweehsels bei genuiner Epilepsie zu, so wfirde zweife]los das metatropische Verfahren nieht wie die Luminalbehandlung rein als antisymptomatische, sondern im gewissen Sinne als gt~o- tTop~sche Behandlungsar t anzusprechen sein. u) Vereinzelte Exantheme, die wir naeh dem yon uns sehr reiehlieh als Sedat ivum und Schlafmittel verwendeten Mittel gesel/en haben, betrafen immer Patienten mi t sehr starker vasomotorischer f3bererregbarkeit, keine Epileptiker. Die anderen StSrungen (Nierenreizung, 0dem) haben wit auch bei Nieht-Epileptikern naeh L umina l Hie be- obachtet. ~) Nur kleine Kinder zeigen nach Angabe der Kinder~rzte wie gegeniiber den meis ten Pharmaka auch gegenfiber Luminal eine relative Giftresistenz, so dab bei ihnen Dosen von 2 x o,x bei der Eclampsia infantum gebr~iuchlich sind. *) Manchmal ist die Entscheidung, ob derartige Zust~inde wirklieh auf diese Medikation zuriickzuffihren sind, recht schwierig, da ja gerade das Grundleiden auch ohne Behand- lung derlei erzeugen kann. Sobald diese Zustlinde anfallsartig auftreten, ist zu erw~igen, ob es~'sieh"nicht um ~ndirekte therapeutisehe l~olgewirktmgen des Mittels: Versehiebung des I~ntladungstermins nnd der Ent ladungsform (Umwandlnng der iKrampfanf~ile in Aquivalente) handelt.

R I F T . I. J A H R G A N G . Nr. 25 IT. JUNII922

in Form yon petit-mal und Absencen auffretenden Epilepsie hervor. Doch sahen wir gelegentlich denselben pharmako- logisch nicht recht durchsichtigen Erfolg yon der isolierten Sedobro!kur, und HoPPE berichtet gleiches sogar yon einer k0mbinierten Brom-Veronal-Codein-Medikafion (in Form des aus Brom und Somnacetin zusammengesetzten ,,Somnospas- mosan!'). Im iibrigen haben die Vergleichsversuche, Veronal selbst und andere Veronalabk6mmlinge, wie z. B. dem Acetyl-Nirvanol (= Acetyl-Phenylhydantoin) an Stelle des Luminals zu verwenden, keine gfinstigen Ergebnisse geliefert, so dab wir tr0tz der chemischen Verwandtschaft dieser Niittel untereinander, doch der Phenyl-Athylgruppe im Luminal eine gewisse spezifische Wirkung zuschreiben miissen. Wie die Dinge heute liegen, werden wit jedenfalls die kombinierte Sedobrol- und Luminalkur als die Methode der Wahl bei der echten Epilepsie bezeichnen miissen. DaB wir abet auch da- mit in einer noch nicht fibersehbaren Zahl yon FAllen keine Heilung erwarten diirfen, versteht s ich bei der unklaren Jktiologie der ,,echten Epilepsie" yon selbst. Bei nicht we- nigen Kranken beschr~nkt sich der Erfolg dieser Behandlung auf eine Umwandlung der groBen AnfMle in die verschiedenen k6rperlichen oder seelischen kleinen Anf~lle.

Aus diesem Tatbestand wird psychologisch verst~indlich, dab die Zahl der Geheim- und Phantasiemittel gegen Epi- lepsie gr6Ber ist als gegen irgendeine andere Erkrankung.

Aus der Zahl der Phantasiemittel erw~hnen wir u m d e r Autorit~it des Autors wil len nu t das Epileptol, y o n dem REDLICH angibt, dab es sich i n sons t refrakt~ren F~llen (3mal 20--4o Tropfen) noch ais erfolgreich bewahrt habe. Von dell neuerdings sehr propagierten Xifal-Mi!ch-Injektionen haben wir im Gegensatz zu D(3LKEN keinen Erfolg gesehen, vielmehr bei einer Pat ient in in mehr als zufallig erscheinenden post hoc an 3 hintereinanderfolg enden Tagen Sonst wochen- lang ausgebliebene Anf/itle auftreten sehen.

Neben der Sedobrol-Luminaibehandlung bedarf auf Grund theoretischer Vorstellungen noch weiterer Nachprfifung die Brom-Calcium- (HoPPE) und die Magnesiumsulfat-(Du- SCHAK)-Therapie.

Ftir die Behandlung des Status epilepticus, der geh~uften groBen Anf~lle bei stunden- bis tagelang fortdauernder Be- wuBtlosigkeit, empfehlen sich noch immer Isopral- (4 g), Amylen- (4--6 g) oder Chloralhydratklistiere mit evtl. Zu- satz eines Diuretikums; bei sehlechter Herzt~tigkeit schl~gt REDLICI-I AderlaB und intraven6se in jekt ion e ines Kar- diacum (Digifolin) vor, HAUPTMANN empfiehlt auch hier das Luminal, und zwar in Dosen yon 2--3real 03--0, 5 in 18 bis 24 Stunden.

Line Sonderstellung unter den scheinbar echten Epilepsien nehmen dlejenigen F~ille ein, bei denen die Krankheit erst in sp~teren Lebensjahren beginnt. In der iiberwiegenden Mehr- zahl der nach dem 40.--45 . Jahr beginnenden Epilepsien, die man auch unter dem etwas unbest immten Begriff der ,,Spdit- Epilepsie" zusammenzufassen pflegt, lassen sich jedoch ur- s~ichliche Momente nachweisen, die AnlaB zu ihrer Anglie- derung an die symptomatische Epilepsie geben. Ihre Be- handlung richtet sich daher gegen das Grundleiden. In erster Linie ist bier die Arteriosklerose, die Senile Hirninvolut ion in ihren verschiedenen Formen, die klimakterische Umbildung, der Alkoholismus und die Metalues zu nennenl).

Alle nosologischen und therapeutischen ]~rfahrt.mgen bei den F~llen yon ,,Epilepsie unklarer Herkunft" haben immer mehr z u d e r Einsicht gefiihrt, dab die rein hirnpathologische Betrachtungsweise der Epilepsie dem ~itiologischen Problem allein nicht n~her kommt, dab wit es bei ihr vielmehr mit einer konstitutionellen Erkrankung des Stoffwechsels im weitesten Sinne zu tun haben, die biologisch fast eben- so~iel Analogien einerseits zum Diabetes, andererseits zur Schizophrenie aufweist, wie zu den reinen Hirnerkrankungen.

~) Line Durchsicht des Epilepsiematefials der Breslauer Klinik aus den Ietzten. IO J ahren ergibt unter x2o F~llen echter Epilepsie 9 F~lle mi t Beginn der Anf~lle jenseits des 4 o. Lebensjahres. Die ~tiologische Formel wies hier bei Frauen ant: Metalues und epileptische Disposition, Arteriosklerose und Klimax, Klimax und. epileptische Dispo- sition; bei M~nnern zwischen 4o--5 ~ immer ant Alkoholismus oder Arteriosklerose (xmal formr frtlst~ yon ,,Parkinson", kein Fall yon Metalues).

~7. JUNI i922 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . z. J A H R G A N G . Nr. 2~ 1267 In einem anderen Sinne, als es noch vor einem Jahrzehnt yon BINSWANGER gemeint war, erscheint es daher heute be- rechtigt, bet der. Epilepsie unklarer Herkunft yon einer ]constitutionellen Ep~lepsie Zu sprechen. Es kann wohl heute kein Zweifel mehr bestehen, dal3 wit es in diesen F~llen mit ether Erkrankung zu tun haben, bet der nicht bloB das Ge- h im irgendwie beteiligt ist, sondern die Ursache in ether auBerordentlich komplizierten Verbindung zwisehen einer kon- stitutionellen St6rung des Gehirns mit einer solchen im endo- krinen Organsystem zu suchen ist, wie wir sie:vergleichsweise bet der Spasmophilie, der Tetanie usf. schon n~her kennen. Wie die kfinftige Erforschung der echten Epilepsie eine Organopathologie, so wird auch ihre Behandlung in einem besonderen Sinne Organotherapie sein miissen. Welche Drtisen mit innerer Sekretion Haupt- und Nebenrolle dabei spielen, wissen wir freilich noch gar nicht. Vor Jahren hat BOLTEN in allerdings ganz vager Weise in dem System der Schild- Had Nebenschilddrfise die letzte Ursache gesucht und dutch rectale Einfuhr des PreBsaftes dieser Organe eine Besserung der Epilepsie erstrebt und angeblich auch tat- s~kchlich erreicht. Auch an die Genera~donsdrfisen hat man natfirlich gedaeht, ohne dab aber die klinischen Erfahrungen beim weiblichen Geschlecht ffir diese Anschauungen eine genfigende Handhabe bStenl).

Von" ganz anderem Ausgangspunkte ist dann neuerdings H. FlSCHnR an die Erforschung des endokrinen Ursachen- komplexes des epi lept ischen Krampfanfalls herangetreten und bereits hat man (BRi3NING, "BuMKE und KOTTNER) seine tierexperimentellen Studien fiber die Krampfbedin- gungen bei S~ngetieren ffir die Behandlung der echten Epi- lepsie fruchtbar zu machen versucht.

FISCHER geht von dem Gedanken aus; dab zwischen Muskel- und Nebennierensystem ein enger funktioneller Zusammenhang als erwiesen angesehen werden dfirfe; er will nun gefunden haben, dab mit experimenteller Reduzierung der Nebennieren(-rinde) die underweitig durch Amylnitrit oder traum~tische (elektrische u. a.) Bearbeitung der Hirnrinde gesteigerte ,,Krampff~higkeit" so ver- mindert wlrd, dab auf den sonst krampferzeugenden Reiz hin an Stetle des tonisch-klonischen Krampfs nut ein grobschl~giges Wackeln eintritt. Da nun andererseits nach FISCHER die Neben- nierenrinde nach Kastration~%der chronischer Alkoholvergiftung, yon denen jede ffir sich gelegentlich eine dauernde Steigerung der Krampffs hervorruft, eine Vergr6f3erung zeigen soll, wtirde daraus eine unmittelbare Beziehung zwischen tier Menge des Neben- nierenrindengewebes und der tonischen Krampffs der quer- gestreiften Muskulatur angenommen und der Nebennierenrinde eine Sensibilisierung dieses Tonus zugesprochen werden mfissen. Inwieweit alle diese Deduktionen zutreffen, ob sie gegenflber den auBerordentlich k0mplizierten Korrelafionen, Welche insbesondere fflr die tonische Krarnpfbereitschaft in Betracht kommen, nicht viel zu geradlinig gedacht sind, bedarf noch grfindlichster experi- menteller Nachpr/ifung. Ein Haupteinwand scheint uns vorweg der zu sein, daB, wenn FlSCHERS Theorie zutreffend w~re, sie viel mehr fiir die reinen~, nicht mit sonstigen Hirnerscheinungen einher.- gehenden tonischen Anf~lle, insbesondere der Tetanie, eine Unter- lage bilden wiirde, als wie fiir den komptizierten Mechanismus des tonisch-klonischen Krampfanfalls mit Bewul3tlosigkeit. Wie die yon FISCHER gemachte Beobachtung, dab bet nebennierenlosen Tieren auf sonst krampfbildende Einfltisse gleichzeitig mit dem Krampf auch die Bewul3tlosigkeit ausbleibt, zu verwerten ist, steht dahin.

Die Versuche, durch eine Exsfirpation einer Nebenniere beim MensChen die Epilepsie zu beeiHflussen, haben bisher zu keinem e rmut igenden Ergebnis gefiihrt. Ob die Yon K~3T~NER geplante weitere Reduktion der Nebennierenstib- stanz - - Entfernung ether H~lfte der zweiten Nebenniere -- bessere Erfolge bringen wird, bleibt abzuwarten.

Wenn auch die moderne Auffassung vom WeseH der essentiellen Epilepsie gewissermal3en eine Ent thronung des Gehirns als des eigentlicheri Krantcheitssitzes gebracht hat, so finder zur Zeit doch noch der Gedanke einer operative n Be-

. . . ~) Bet 28 yon 40 ira gleichen Jahrzehnt in der Brestauer Klinik zur Beobaehtung gekoramenell weiblichen Epileptikcrn, bet denen Angaben tiber Beziehungen der Men- struation zu den Anf~llen vorlagen, wurden I3raal positive Angabei1 gemacht, 8raal fielen die Allf~ille in den Menstruationstcrmin, 4 raal wurde fiber verep~tcte oder dauernd unregelm~il3ige Menses berichtet, i ram t ra t der i . Anfall beira Einsetzen d e r i . Periode auf.

handlung des Hirns und seiner HAute unter dell Chirurgen energische Vertreter. Bestimmend ist hierffir einmal die Tat- sache, dab bet vielen scheinbar echten Epileptikern die Vor- geschichte mit mehr oder minder grol3er Bestimmtheit auf einen zeitlichen Zus~mmenhang des Krampfleidens mit irgendeiner in der Kindheit erfolgten Hirnsch~digung hin- weist und dab auch sonst bet diesen Kranken nicht selten eine vorzugsweise Beteiligung einer, und zwar h~ufiger der rechten K6rperseite im Ablaufe des Krampfes zutage tritt . Die Indikat ion zum operativen Vorgehen in diesen F~llen fraglicher ,,Residualepilepsie" ist angesichts der so h~ufigen UnmSglichkeit, Angaben fiber solche zeitliche Zusammen- h~nge, die vor vielen Jahrei1 gespielt haben, sicherzustellen, aul3erordenflich unbest immt und noch viel zu sehr yon dem Temperament and der ganzen Einstellullg zur Epilepsiefrage abhi~ngig.

Jktiologisch kommen unter diesen Residualepilepsien zwei Gruppen in Betracht : Diejenigen F~lle, in denen die Ana- mHese ant eine in dem ersten Lebensjahr durchgemachte HirH- bzw. Hirnhautentzi indung und diejeHigen, bet denen sie auf einen in der Jugendzeit erlittenen Sch~delunfall hinweist. W~hrend bet den Epileptikern, bet denen eine ausgesprochene cerebrale Kinderldihmung ohne weiteres auf schwere Sch~di- gungen ether Hirnkugel deutet, erfahrene Hirnoperateure VOH einer vollkommenen Heilung der Anf~lle durch operative Eingriffe in ca. lO% und yon zahlreichen Besserungen be- richten, ist der gleiche Prozentsatz bei den wahrscheinlich postencephalitischeH F~llen, in denen fiberwiegende Halb- seitigkeit oder JAcKso~-Charakter der AHf~lle allein auf einen Hirnherd weisenA so gering, dab man geradezu yon Zufalltreffern sprechen kann. Wie aus der bedeutsamsten aus neuerer Zeit von neurologischer Seite rfihrenden Zu- sammensteHung der Ergebnisse yon Sch~deltrepanationen bet Epileptikern -- der von VOLLAND -- hervorgeht, stehen den dauernden Heilungen oder Besserungen bet dieser Gruppe ebensoviele Verschlechterungen durch die Operation gegen- fiber und auch die ganz vereinzelten Heilungen wurden mit kaum ether Ausnahme nur bet weiterer Fortsetzung der Be- handlung in ether Epilepfikeranstalt erzielt. Ob bet den F~llen postencephalitischer Epi]epsie im Kindesalter die In- dikation zu mSglichst frtihzeitigem operativem Vorgehen:ge- geben ist, sofern konservativ e Therapie versagt hat, bedarf noch sehr kritischer Nachpriifung.

Bessere Erfolge dutch operative Eingriffe am Sch~dM, voran die Ventilbildung, werden VOli der zweiten Gruppe yon wahrscheinlicher Residualepilepsie, n~mlich yon den F~llen berichtet , in denen anamnestisch eta Kop]un]all in der Zeit zwischen Geburt and Pubert~t in urs~chlichem Zusammen- hang mit ~ dem Beginu oder Fortschreiten der Epilepsir ge- bracht wird.

Die Schwierigkeit einer ~tiologischen Kl~rung liegt bet diesen F~llen vor allem :in der bedauerlicherweise sehr h~u~ figen UnmSglichkeit, sicher zu entscheiden, ob das angegebene Kopftrauma Ursache oder, was oft vim wahrscheinlicher, night selbst schon unmittelbare Folge des ersten grol3en oder kleinen epileptischen Anfalls gewesen ist. Selbst bet optimistischer Beurteilung derartiger Angaben wird man nach vollkommenem Versagen einer kunstgerecht durchge- ffihrten konservativen Therapie eine Indikat ion zum opera- riven Eingriff nu t dann ffir gegeben halten, wenn sich irgend- welche kSrperlich greifbare Folgen eines Traumas -- evtl. gar Hirndruckerscheinungen -- l inden lassenl).

Gr613er ist der Indikationsbereich ffir EiHgriffe am Sch~del- dach resp. Sch~delinnern naturgem~13 doff, wo die Epilepsie

1) Das zeigt sehr deuflich die Stat is t ik VOLLANDS: Von 6 unter 25 F~llen, in dencn aus tier Zeit zwischen Gebttrt Had 25. Lebensjahr ein Sch~idelunfall a ngegeben wurde, gibt VOLLAND an, ,,eine entschiedene Besserung dutch die Entlastungw gesehen zu habell. Zu diesen 6 F~llen gehSren nicht die 5 F~lle, in denen ein Gebnrt~- t rauma vorlag; deranach wiirde in cinera eine Besscrung erzielt worden sein llnd gerade ill diesera Fallc lag ira Gegensatze zu den 4 anderen, wo nut das Geburtstrauraa iitio- logiseh beschuldigt wurde, eine Korabillation mi t kindlicher Encephalitis vor. Bei den 6 gebesserten F~illen war bet einem die Epilepsie I Stunde nach Schlag auf den Kopf mittels eincs Bticherpaketcs eingetreten (!); 2 raal handelte es sich urn alte Himschtisse, i ram ura Knoehenverdickullg nach Steillwurf, I raal lag eine Hcraiparese vor, .der letzte Fail war iitiologiseh ullklar.

1268 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . I. J A H R G A N G . Nr. 2 5 ~7. jUNII922

die einwandfreie Folgeerscheinung einer zeithch nicht welt zurfickliegenden greifbaren I(opfverletzung dars te l l t : der sieher und re in t r a u m a t i s c h e n E~oilelgsie, die wir prakt isch in die Gruppe der sog. symptomat ischen Epilepsie einzureihen pfiegen, wel l aul3er dem Trauma, naeh welchem mehr oder minder bald die ersten Anf~lle auftreten, sons~ kein mal3- gebendes ~tiologisches Moment nachzuweisen ist. Es ist die ffir die pathogenetische Deutung der Anf~lle f iberhaupt un- erfreulichste Tatsache, dab ein Hi rn t rauma Epilepsie. bei Menschen auszul6sen vermag, bei denen sich t rotz genauer Nachforschung keinerlei Anhal tspunkte ffir eine epileptische Disposition l inden lassen. Ffir solche F~lle wtirde der Ge- sichtspunkt, durch irgendwelche operat ive Mal3nahmen eine tunlichste Wiederherstel lung des s tatus quo ante herbeizu- ftihren, also einer urs~Lchlichen Behandlung entsprechen und tier Eingrfff daher eine absolute Indika t ion sein. Leider herrscht fiber die H~ufigkeit dieser F~lle ebenso grol3e Un- gewit3heit, wie fiber die Frage der H~ufigkeit epileptischer Erscheinungen nach Hirnverletzungen zwischen den Autoren grol3e Meinungsverschiedenheiten bestehen~). Im allgemeinen wird bier ein Anlal3 zum Eingriff da gegeben sein, wo die Schwere der Verletzung oder Komplikat ionen des Wund- verlaufs an sieh zum akt iven Vorgehen dr~ngen, wo also ein solches unter Umst~nden selbst dann Pla tz greifen wfirde, wenn keine epileptischen Erscheinungen bestiinden. Die eigentliche Crux der operafiven Indikafionsstel lung geben daher diejenigen F~lle ab, in denen -- einerlei ob es sich um frtih- oder sp~t t raumatische Kr~mpte hande l t - - keine oder nur geringffigige Knochennarben und klinisch nut epileptische Erscheinungen vorliegen.

Nicht blo13 die Wahl des Ver~ahrens (Narbenkorrektur, Rindenaus- oder Unterschneidung des Krampfzentrums, Ent -

lastungstrepanation, Lfickenverschlul3), sondern schon die Frage eines Eingriffs fiberhaupt, 1AJ3t sich hier vorl~ufig nur in tu i t iv entscheiden. Dementsprechend spielt auch hier Tem- perament und Einstel lung des Operateurs noch eine sehr grof3e Rolle. Man kann daher einem der jfingsten Bearbei ter der operat iven Behandlung der Epilepsie 1) nicht nur ro l l zusfimmen, wenn er ,,an der Hand der Erfahrungen im Inter- esse der Sache vor kri t iklosem Vorgehen dringend warnt" , sondern darfiber hinaus nur wfinschen, dal3 bei solchen Ent- scheidungen mi t ghnlicher Rigorosi t~t vorgegangen wfirde, wie es z. B. hinsichtlich der Frage nach der Unterbrechung der Schwangerschaft bei Seelenst6rungen zwischen Psychiater und Gyn~kologen 1Angst fiblich ist, derart , dab der Eingrfff nur erfolgt, wenn das Konsilium eines Chirurgen mi t einem Hirnpathologen zu einer Einigung geffihrt hat.

Nachdem die Frage naeh dem Vorkommen einer sog. Re]lexepi le losie - - einer durch extradurale Reizgebilde, Narben u. dgl. an hirnfernen Stellen verursachten Epflepsie -- durch die Massenerfahrungen des Krieges endgfiltig i m negativen Sinne entschieden ist2), b le ibt hinsichtlich der chirurgischen Indi- kat ion bei epilepfischern Zustande nur noch der H ~ r n t u m o r zu besprechen. Die Anf~lle als solche, sofern sie nicht JACKSON- Charakter tragen, geben hier Anlal3 zum Eingreifen genau so wie jedes schwere aUgelneine Hirndrucksymptom. Besonders zu berficksichtigen ist beim Fehlen yon Herderscheinungen die auff~llige Tatsache, dal3 unter den Geschwfilsten der , ,slum- m e n " Hirnteile mi t Vorliebe die sehr schleichend wachsenden Gliome des rechten SchlMenlappens, welche infolge ihrer Einordnung in die Rindenarchi tektonik selbst bei de r Au- topsie in vivo meist kaum zu erkennen sind, jahrelang -- ohne sonstige Hirnsymptome -- ganz unter dem Bilde der genuinen Epilepsie veflaufen k6nnen.

)FFENTLICHES GESUNDHEITSWESEN. SOZIALHYGIENISCHE A U S W I R K U N G DES

GESETZES O B E R DAS BRANNTWEINMONOPOL.

W o n

Dr. reed. e t phil . E. G. DRESEL, a. o. Professor fflr Hygiene.

Aus dem hygienischen Institut in Heidelberg (Direktor: Geh. Hofrat Prof. Dr. H. KOSSEL.)

ELSTER~) schreibt in seiner Chronik der sozialen Hygiene: ,,Das Gesetz vom 6. Dezember 1919 fiber Anderung des Branntweinmonopolgesetzes, das die Einfuhr von Brannt- wein, auf3er Rum, Arrak, Kognak und LikSren der Reichs- monopolverwaltung vorbeh~lt, ist sozialhygienisch ohne I n t e r e s s e . "

Gegenstand des Branntweinmonopols is t die Ubernahme des im Monopolgebiete hergestellten Branntweins aus den Brennereien, die Herstel lung yon Branntwein aus Zellstoffen, einschliel31ich der Ablaugen der Zellstoffgewinnung, aus Calciumcarbid oder aus anderen Stoffen, aus denen Brannt- wein im Monopolgebiet vor dem I. Oktober 1914 gewerblich nicht gewonnen worden ist, die Einfuhr yon Branntwein aus dem Auslande, die Reinigung von Branntwein und die Ver- wertung yon Branntwein und Branntweinhandel ; nach dieser Feststel lung beschMtigt sich das Reiehsbranntweinmonopol- gesetz mit der gesamten Bewirtschaftung des Branntweins. Und dennoeh wird kein sozialhygienisches Interesse berfihrt! Man h/itte hoffen k6nnen, dab durch die jetzige neue Fassung des Branntweinmonopols hygienische Forderungen berfick- sichtigt w~ren, doch meint DIETRICH3), dab ,,das Hauptziel

i ! t

~) WXhrend z. B. POPPELRRUTTER J allerdings doch wohl unter erheblieher fJberspannung des Beg, riffs ,epileptiseh" - - die Ansehauung vertrift , dab b e i Beriiek- sichtigung aller nerv~Ssen and seelisehen, der dauernden wie der anfallsweise auftreten- den Abweiehungen kein Hirnverletzter ohne Epilepsie gehmden werde, seh~tzt VOSS bei Berficksiehfigung auch der nichtparoxysmelleu epileptisehen Erseheinungen die H~ufigkeit der posttraumatisehen Epilepsie nach Seh~delsehfissen nut aui 40%. ~) A. ELSTER, Chronik der sozialen Hygiene. 0Ifentliehe Gesundheitspflege, 5. Jahrg., S. 141. x920. ~) H. DIETRICH, Das BranntweinmonopoI. Heideiberger Tageblatt Nr. 73]74. I922.

der Gesetzesgnderung ein finanzielles sei". Das heif3t mit dfirren Worten, wghrend das siegreiche Nordamerika am i. Dezember 1918 die Bierbrauerei v611ig eingestellt ha t und ein v611iges Verbot yon Herstellung und VerkauI geistiger Getrgnke beschlossen hat, ist das deutsche Reich bestrebt, sich aus der Bewirtschaftung des Branntweins (vom Bier soll hier ganz abgesehen werden) erh6hte Einnahmen zu ver- schaffen. Also, 6konomisch betriebene Volksvergiftung d u r c h Branntwein zum Nutzen der Staatskasse, ohne jede Berfick- sichtigung hygienischer Forderungen. Doch nein, ein zier- liehes hygienisches Sch6nheitspflgsterchen wurde dem Brannt- weinrnonopol aufgedrfickt in w 118, auf den nocll zurfick- zukommen ist.

Es wurden im deutschen Reich verbrannt nach Anlage 20 der Reichstagsschrift Nr. 2281 (Entwurf eines Gesetzes fiber das Branntweinmonopol):

In IOOO kg 1917/18 I 009 138 Kartoffeln yon 24 360 396 Erntemenge;

in ~ooo kg 1918/19 483 464 I(artoffeln yon 20987 766 Erntemenge.

Von Getreide und sonstigen mehligen Stoffen in der gleichen Zeit 6o 226 und 65 915. Verbraucht wurden zu Trinkzwecken nach Anlage 22 1918/19 97 802 111 Weingeist, auf den Kopf der Bev61kerung o, I6 1 Weingeist ; 1919/2o 285 500 hl Wein- geist, auf den Kopf der Bev61kerung 0,43 1 Weingeist. Die letzten Mengen beruhen auf vorl~ufigen Ermittelungen. W~h- rend die inl~ndische Erzeugung des Branntweins zu Trink- und gewerblichen Zweeken 1919/2o gegen den Jahresdurch- schnit t des Jahrffinfts 19O9/lO bis 1913/14 auf rund ein Viertel sank, stieg im gleichen Zeitraum die Einfuhr nm das 2ofache, der Kopfverbrauch sank auf 1/7. Doch stieg der Kopfverbrauch, der im Jahre 1918/19 mit o, i6 den fiefsten Stand erreicht hat te im Jahre 1919/2o auf 0,43 1 Weingeist,

~) WEIL, Handb. d. prakt. Chirurgle, 5. Aufl. 2) Wo die Aura des Anfalls yore Kranken in einen narbeutragenden K~rperteil lokali- siert wird, handelt es sich'entweder um Suggestion oder um ein zuflilliges Nebenein- ander einer irrelevanten Narbe und einer anderweitig veru~sachten Epilepsie.