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(Aus der Deutschen Forschungsanstalt filer Psychiatric [Kaiser Wilhelm-Institut] in Mfinchen.) Beitr~ige zur pathologisehen Anatomie des Kleinhirns. I. Mitteilung. Die lokalen Veriinderungen der Kleinhirnrinde. Von Hans-Joachim Scherer. Mit 21 Textabbildungen. (Eingegangen am 10. Juni 1931.) Inhaltsverzeiehnis. Einleitung. Vorkommen, Morphologie und Pathogenese der lokalen Kleinhirnrindenver/inde- rungen. 1. Material. 2. Vorkommen. 3. Die Ausfallserscheinungen. 4. Die reaktiven Ver~nderungen. 5. Die Endzust/~nde. Lokalisation der lokalen Kleinhirnrindenver~nderungen in bezug auf das Gesamt- organ. ScMuB. Literaturverzeiclmis. Einleitung. W/~hrend die angeborenen Kleinhirndefekte und systematischen Degenerationen in der Literatur besonders yon franz6sischer und holl~ndischer Seite eine sehr ausfiihrliche t~esprechung erfahren haben, hat man die lokalen erworbenen Ver/mderungen bis in die jiingste Zeit stark vernachl/~ssigt. Erst seit der ersten Besprechung des Gliastrauch- werkes in der Molekularschicht der Kleinhirnrinde durch Spielmeyer 34, 35 haben sich zahlreiche Ver6ffentlichungen wenigstens mit dieser einen Form lokaler Kleinhirnerkrankung besch~ftigt. Es handelt sich jedoch dabei meist um Arbeiten, in denen die Strauchwerkbildung bei einigen F/~llen einer bestimmten Erkrankung festgestellt und in ihrer Pathogenese beleuch~et wurde, so bei einigen aku~en Ildek~ion~krarrkheiten (Typhus,

Beiträge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns

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Page 1: Beiträge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns

(Aus der Deutschen Forschungsanstalt filer Psychiatric [Kaiser Wilhelm-Institut] in Mfinchen.)

Beitr~ige zur pathologisehen Anatomie des Kleinhirns.

I. Mitteilung.

Die lokalen Veriinderungen der Kleinhirnrinde.

Von

Hans-Joachim Scherer.

Mit 21 Textabbildungen.

(Eingegangen am 10. Juni 1931.)

Inhaltsverzeiehnis. Einleitung. Vorkommen, Morphologie und Pathogenese der lokalen Kleinhirnrindenver/inde-

rungen. 1. Material. 2. Vorkommen. 3. Die Ausfallserscheinungen. 4. Die reaktiven Ver~nderungen. 5. Die Endzust/~nde.

Lokalisation der lokalen Kleinhirnrindenver~nderungen in bezug auf das Gesamt- organ.

ScMuB. Literaturverzeiclmis.

Einleitung. W/~hrend die angeborenen Kleinhirndefekte und systematischen

Degenerationen in der Literatur besonders yon franz6sischer und holl~ndischer Seite eine sehr ausfiihrliche t~esprechung erfahren haben, hat man die lokalen erworbenen Ver/mderungen bis in die jiingste Zeit stark vernachl/~ssigt. Erst seit der ersten Besprechung des Gliastrauch- werkes in der Molekularschicht der Kleinhirnrinde durch Spie lmeyer 34, 35 haben sich zahlreiche Ver6ffentlichungen wenigstens mit dieser einen Form lokaler Kleinhirnerkrankung besch~ftigt. Es handelt sich jedoch dabei meist um Arbeiten, in denen die Strauchwerkbildung bei einigen F/~llen einer bestimmten Erkrankung festgestellt und in ihrer Pathogenese beleuch~et wurde, so bei einigen aku~en Ildek~ion~krarrkheiten (Typhus,

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Fleckfieber, Malaria) and bei akuten Schfiben chronischer Rinden- prozesse (Paralyse and Epilepsien), ferner bei tuberkul(iser Meningitis (Bodeehtel and Opalski6), bei Narkoseto4 nach Lumbalan~thesie (Bodechtel4), in der Umgebung vasculs bedingter Herde (Tschernysche/] and Grigorows]ci 41) und anderes. Bei den zuletzt beschriebenen Ver- ~nderungen finden sich die Strauchwerke als Begleiterscheinung mehr oder weniger ausgedehnter atrophischer Prozesse, die als Li~ppchen- atrophien bzw. -sklerosen bezeichnet wer4en. Derartige Bilder sind zwar auch in der Literatur unter verschiedensten Namen schon beschrieben worden (Casper 9, Hanon 11, Henschen la, Huber 14, Lehoczky 21, Liebers 32, Storch aT, Strdu[31er as, Tschernysche// und Grigorowslci ). Eine zusammen- fassende Nachprfifung eines grSl3eren Materials verschiedenster Er- krankangen auf das Vorkommen derartiger lokaler Kleinhirnver~nde- rungen (Strauchwerke und Atrophien) hin liegt aber noch nicht vor. Wenn man auch heute nicht mehr wie zur Zeit ihrer Entdeckung dazu neigt, derartige Prozesse als irgendwie ~tiologisch spezifisch aufzufassen, so erscheint doch eine weitere Kl~rung ihrer Atiologie und Patho- genese erwfinscht. Diese ist aber nur an Hand eines grSl3eren differenten Materiales zu erwarten, sehr sorgfiiltige Einzeluntersuchungen liegen ja schon in grSl3erer Zahl vor.

Es wird deshalb im ersten Teil dieser Arbeit zun~chst ein Uberblick fiber die Erkrankungen gegeben werden, bei denen wir lokale Kleinhirn- rindenver~nderungen nachweisen konnten. Die vergleichende Betrachtang der verschiedenen Morphologie der einzelnen Prozesse bei verschiedenen Krankheiten li~13t interessante Ausblicke auf 4ie Pathogenese erwarten. Dabei soll 4ie Herausarbeitung einzelner Typen nach Form un4 Aus- breitung der Atrophien an Einzelschnitten und Serien versucht werden. Im 2. Teil 1 soll dann untersuchtwerden, ob es m6glich ist, f fir diese lokalen Kleinhirnvers Gesetzmdflig]ceiten der Lolcalisation in bezug au/ das Gesamtorgan herauszuarbeiten, wie das z. B. bei der Ammonshornsch~di- gang zweifelsfrei gelungen ist (Spielmeyer, Uchimura 42, Bodechtel s). In dieser Richtung liegen in der Literatur, abgesehen yon 4er fiberall be- haupteten Vulnerabilit~t des Neocerebellums nut vereinzelte Bemer- kungen fiber wenige F~lle vor (Strdufller, Takase, Tschernysche// and Grigorows]ci). Eine systematische Untersuchung unter diesem Gesichts- punkt ist noch nicht angestellt worden. Eingehen4 besch~ftigt hat man sich unter phylo- und ontogenetischen Gesichtspunkten nut mit der Topik der Mfl3bildungen (Agenesien, Hypoplasien) and primer chronischen progredienten Degenerationen (Atrophie lamelleuse, olivo-ponto-c~rd-

1 Ffir den lokalisatorischen Tell der Arbeit wurden yon Frau Dr. Rippenbach. Fischer wertvolle Vorarbeiten geleistet. Frau Dr. Rippenbach-Fischer war aus ~uBeren Griinden an der Weiterffihrung der Arbeit verhindert und hat mir freund- licherweise ihr wertvolles Material zur Verfiigung gestellt, wofiir ich ihr an dieser Stelle bestens danke.

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belleuse, olivo-rubro-cdrdbelleuse). Wir haben hier yon der Besprechung derartiger Ver~nderungen absichtlich Abstand genommen und be- schr/~nken uns in dieser Publikation auf die lokalen Kleinhiracrkrankungen des postfetalen Lebensabschnittes. Nut soweit ffir deren Versti~ndnis nStig, sollen auch die ,,primi~ren" Kleinhirnatrophien in den Kreis der Betrachtungen gezogen werden.

Geplant ist in weiteren VerSffentlichungen eine/~hnliche Besprechung der Erkrankungen des Kleinhimmarks und seiner Kerne, besonders des Nucleus dentatus, und der hier auger Acht gelassenen genuinen un4 generalisierten Kleinhirnatrophien. Es soil aueh in diesen folgenden Arbeiten ausschlie61ieh das in der Forschungsanstalt vorliegende Material Verwendung linden.

u Morphologie und Pathogenese der lokalen Kleinhirn- rindenveriinderungen.

1. Material.

Ffir die Untersuchung fiber 4as Vorkommen 4er hier zu besprechenden Veriinderungea wurde die groile Sammlung der Forschungsanstalt syste- matisch auf Kleinhirnpr/iparate bin durchsucht, die lokale Ver/inderungen in der Rinde aufwiesen. In einem grol~en Teil der F/~lle stand uns fiber- haupt nur ein Schnitt zur Verffigung. Bei 4ieser Art des Untersuchungs- materials mu6ten selbstversti~ndlich alle F/~lle, in denen wir keine Ver- /~nderungen fanden, fiberhaupt unberficksichtigt bleiben; denn bei genauer Untersuchung h/~tte man sicher in noch viel mehr F/~llen Ver- /~,nderungen gefunden. Wir k6nnen also keine H/iufigkeitsstatistik auf Grund positiver und negativer Befunde ffir die verschiedenen Krank- heiten aufstellen. In s~mtlichen bier verwerteten Fi~llen handelt es sich um Nisslpr/~parate, in einem Teil der F/~lle standen uns au6erdem auch Gliafaserf/~rbungen zur Verffigung (Weigert oder Holzer).

2. Vorkommen.

Es fanden sich lokale Kleinhirnver~nderungen in ungef~hr 140 F~llen bei fiber 30 verschiedenen Krankheitsprozessen: Epilepsien (genuine und symptomatische), Paralysen (juvenile un4 erwachsene), Arteriosklerosen, Ur~mien, Herzinsuffizienzen, Endokarditiden, Embolien verschie4ener Art, Infektionskrankheiten (Typhus, Fleckfieber, Ruhr, Malaria), perni- zi6ser Ani~mie, verschiedenen Meningitiden, Encephalitiden, Sepsis, Hirnpurpura, verschiedenen cxogenen Intoxikationen (Kohlenoxy4, Alkoholismus, Lumbalan/isthesie), multiplen un4 diffusen Sklerosen, Schizophrenien, Tumoren, H~matomyelie usw. Mit anderen Worten: Es gibt kaum eine Erkrankung, bei 4er sich nicht gelegentlich Kleinhirn- ver/~nderungen finden k6rmen.

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Je genauer man ein Kleinhirn untersucht, um so sicherer /indet man, je nach der Art des Prozesses, Strauehwer]ce und Ldppchenatrophien an irgendeiner umsehriebenen Stelle. Diese lo]calen Kleinhirnveriinderungen sind also etwas auflerordentlich hdu/iges. DaB yon irgendeiner iitiologischen Spezifiti~t keine Rede sein kann, braucht nach dieser Zusammenstellung wohl nicht mehr betont zu werden. Eindringlicher als vielleicht irgend- ein anderer ProzeB zeigen uns diese Ver~nderungen, dab dem Gewebe eben nur einige wenige ReaktionsmSglichkeiten auf Schiidigungen aller Art zukommen. Trotzdem aber bekommen wir morphologisch keineswegs irgendwie uniforme Bilder zu sehen, denn gerade ein so groBes Material zeigt in Ausdehnung, Intensit~t, Form und verschiedenen Kombinations- mSglichkeiten der einzeinen, qualitativ gleichartigen Ver~nderungen eine Verschiedenheit, die eine verwirrende Mannigfaltigkeit der Bilder mit sich bringt.

Wenn wir bei der oben gegebenen Zusammenstellung gesagt haben, dab lokale Kleinhirnver~ndertmgen bei dieser und jener Erkrankung vorkommen, so soll damit nicht etwa behauptet werden, dab nun wirklich in jedem einzelnen Falle die Grundkrankheit die direkte Ursache des Klein_kirnprozesses sei. Das scheint uns ein Fehler zu sein, dem man in der Literatur nicht setten begegnet. So schreibt z. B. Casper 9, dab er boi Carcinomkranken 6fters Li~ppchenatrophien fand und ist geneigt, diese auf toxische Sch~digungen (lurch den Tumor zu beziehen 1

])as ist denkbar; es wiire aber dabei in jedem einzelnen Falle zu untersuchen, ob nicht gleichzeitig vorhandene arteriosklerotische Ver- iinderungen, Herzinsuffizienz, An~mie, terminale septische Erkrankungen usw. eine ebenso gute, oft viclleicht n~herliegende Erkl~xung gebenkBnnten. Wir betonen dies ausdrficklich, Ca man mit i~tiologischen Erkl~rungen gar nicht vorsichtig genug sein kann, solange wir die Faktorenkonstella- tionen, die diesen Veriinderungen zugrunde liegen, im Einzelfalle noch so wenig fibersehen kBnnen.

Da es uns in dieser Arbeit darauf ankommt zu zeigen, dab die hier zu besprechenden Ver~nderungen ~tiologisch unspezifisch sind und eine sehr beschr~nkte Symptomatologie der Gewebsver~nderungen auf- weisen, sollen sie auch nicht nach ~tiologischen Gesichtspunkten geordnet besprochen werden. Wir gehen aus von dem morphologischen Bild, wie wires unter dem Mikroskop sehen, und werden Hinweise in bezug auf Besonderheiten bei den verschiedenen Krankheiten mehr in Parenthese bringen. DaB dabei viele interessante Einzelheiten unberiicksichtigt

1 Auch Hanon 12 spricht bei seinen F~llcn yon ,,lamell~rer Sklerose" ohne weiteres yon ,,toxischer" ~tio]ogie. Wir sind yon der Existenz derartiger toxischer Einflfisse fiberzeugt und neigen bcsonders bei Jugendlichen zu dieser Erklarung, wenn andere urs~chliche Momente nicht nachzuweisen sind. Aber diese miissen zumindest auch in Erw~gung gezogen werden, und besonders bei alten Leuten ist eben in erster Linie an Gef~flver~nderungen zu denken.

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bleiben mfissen, ist bei der Ffille des Materials nicht zu vermeiden, im Interesse einer fibersichtlichen Darstellung aber geboten.

Wir wollen die Besprechung der Morphologie lokaler Kleinhirn- vers von vornherein ,,pathogenetisch" gliedern in Aus]alls. erscheinungen, reaktive Ver~inderungen und (tie resultierenden Endzus~nde, eben die Atrophie bzw. Sklerose; denn diese resultiert aus einer durch die (numerische) Atrophie dos Parenchyms verursachten reaktiven Glia- wucherung.

3. Aus]allserscheinungen. Die Ausfallserscheinungen sind am deutlichsten an den Purkinje-

und K6rnerzellen, an letzteren entweder herc[f6rmig umschrieben oder di]]us fiber were Streeken hin, in diesem Falle meist schon makroskopisch am Sehnitte als ,,Erbleichung" erkennbar. Ausf/~lle der fibrigen Ganglien- zellelemente der Kleinhirnrinde (Korbzellen, Golgizellon der K6rner- sehicht) sind in den Anfangsstadien auBerordentlich schwer zu beurteilen, die hier in der Literatur vielfach gemachten Angaben sind mit groBer Vorsicht aufzunehmen. Bei v611iger L/~ppchensklerose sind natfirlich auch diese Elemente immer geschwunden. Beziiglich der Vulnerabilitiit der Purkinjezellen sei bier auf einen oft nieht geniigend beaehteten Umstand hingewiesen. Bei der Gr61]e, regelm/~Bigen Verteilung und relativ goringen Zahl der Pruskinjezellen f~llt selbstverst/~ndlich schon ein Ausfall auch weniger Zellen in die Augen, w~hrend ein Ausfall von K6rnerzellen erst bei Untergang einer unvergleichlieh gr6Beren Zahl yon Zellelementen wahrnehmbar wird.

Wir wenden uns jetzt zun/~chst den Purkinjezellen zu. Da der Aus- fall einer Zello letzten Endes das Resultat irgendeiner Form yon Zell- erkrankung ist, seien zun/~chst kurz die wiehtigsten Erkrankungsformen der Purkinjezellen besproehen. Durch die Untersuchungen Spiel. meyers 35, 36 ist die homogonisierende Erkrankung der Purkinjezellen als eine ffir diese Zellart eharakteristisehe Reaktionsform ~llgemein bekannt geworden. Spielmeyer neigte yon vornherein dazu, diese Zellerkrankung als einen Gerinnungsvorgang,/~hnlieh der iseh/~mischen Ver~nderung anderer Ganglienzellen, aufzufassen. Diese Auffassung hat sich in der Folgezeit best/~tigt. Auch wir sahen die homogenisierende Erkrankung sehr haufig bei sicher vascul/~r bedingten Sch/~digungen: bei Embolien, Arterio- sklerosen, in der Umgeburtg yon Erweiehungsherden, bei Epilepsien usw. Andererseits finder man sie aber auch bei h6ehst wahrscheinlich toxischen Einflfissen, so besonders bei akuten Infektionskrankheiten (Typhus, Fleckfieber, Sepsis), exogenen (Alkoholismus) und endogenen (Ur~mie) In- toxikationen usw. Neben der homogenisierenden kommt sehr h/~ufig aueh eine andere Erkrankungsform der Purkinjezellen vor, die sehon in der/~lteren Literatur (Str~iu/31er) als ,,Schrumpfung" oder ,,Sklerose" der Purkinjezellen besehriebene Ver/~nderung. Die Zelle ist dabei

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geschrumpft, entrundet, oft 1/~nglich, dabei im ganzen sehr dankel gef~rbt, so dab Kern und Plasma oft nicht mehr unterscimidbar sind. Wir sahen diese Form besonders bei iilteren Atrophien, am h/iufigsten bei juvenilen und erwachsenen Paralysen, etwas seltener bei Epilepsien, Erweichungs- herden, Idiotien, Meningitis luica, Dysenterie, in der Umgebung yon Solit/~rtuberkeln usw. Wie gesagt, finden sich diese Schrumpfungen besonders in bereits atrophierenden L/~ppchen. Vielleicht handelt es sich zum Teil nur um ein sp/~teres Stadium der homogenisierenden Erkrankung, denn bei offenbar frischen, durch akute Erkrankungen her- vorgerufenen Ver/inderungen sahen wir sie nie. Damit sind wit aber auch schon am Ende der Purkinjezellerkrankungen; gewiB findet man noch verschiedene Formen des Zellzerfalls (Inkrustationen, Verkalkungen) usw., aber irgendwie charakteristische Bilder waren in unserem Materialwenigstens nicht mehr festzustellen. Dies zeigt, dab (vielleicht mit Ausnahme der isch/~misch homogenisierenden) aus der Zellerkrankungsform Schlfisse auf die J~tiologie nicht gezogen werden k6nnen, da offenbar weitgehend die Art der Zelle dafiir maBgeben4 ist.

Zur Frage der Vulnerabiliti~t der Purkinjezellen ist auf Grand unseres groBen Materials folgendes zu bemerken: In der iiberwiegenden Mehrzahl der Fiille ist sie auBerordentlich deutlich, auch werm man die oben angedeutete MSglichkeit beriicksichtigt, dal~ ein Ausfall dieser Elemente leicht fibersch/~tzt wird. Denn sehr oft sieht man einen vSlligen Schwund der Purkinjezellen auf weite Strecken hin, wenn an der KSrnerschicht noch keine Spur yon Atrophie wahrzunehmen ist. Auch konnten wir an Serien sehr schSn sehen, wie gelegentlich ein reiner Ausfall an Parkinjezellen einer zunehmenden KSrnerlichtung vorausgeht, die erst mehrere Schnitte welter deutlich wird. Bezfiglich der Ursachen dieser Erscheinung sei auf die Arbeiten Spielmeyers, Uchimuras 4a u. a. verwiesen. Andererseits aber trafen wir auch F/~lle, die eine unzweifelhafte ,,Resistenz" der Purkinjezellen zeigen. SchonStrdu[3ler as, der im iibrigen yon ihrer elektiven Valnerabilit/~t fiberzeugt war, erwi~hnt einen solchen Fall in seiner Paralysearbeit. Die bei betri~chtlicher Kfrnerlichtung noch erhaltenen Purkinjezellen sind, wie oben erw/~hnt, h/~ufiggeschrumpft (s. auch Huber 14), es linden sich aber nicht selten auch noch viele gut erhaltene Exemplare. DieUrsachen dieser Erscheinung sind unklar ; da sie sich bei sehr verschiedenen Prozessen findet, ist der Grund wohl nicht in der Art der Schiidlichkeit, sondern vielleicht mehr in individuellen anlagem/~Bigen Faktoren zu suchen. Purkinjezellen, die in die Molekular- schicht verlagert sind, sahen wir nicht sehr h/iufig. Diese Erscheinung hat in der Literatur schon eine so ausgedehnte Besprechung erfahren, dab wir hier nicht eigens noch einmal darauf eingehen wollen.

Ausf/~lle der K6rnerschicht kommen lokal umschrieben and di//us vor. Im letzteren Falle bilden sie meist schon eine Teilerseheinung tier L/~pp- chenatrophie, da dann gewShnlich auch schon Schwund der Purkinje-

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Abb. 1. FleckfOrmig umschriebene Ausfiille der KOrnerschicht bei Arteriosklerose.

2~bb. 2. Diffuse KSrnerlichtung als Teilerscheinung einer L~ppchenatrophie bei Epilepsie. Ausfall der Purkinjezellen, Wucherung der Bergmannzellen. Verschmi~ler~mg und Kern- arm~t der Molekularsehieht;. In der angrenzenden Windung S~rauehwerke und ~usf~lle

der Purkinjezellen.

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zellen, beginnende Verschm/~lerung tier Molekularschicht und reaktive Wucherung der Bergmannzellen besteht. Dagegen linden sich flock- f6rmige Ausf/~lle gelegentlich auch isoliert, d. h. ohne Sch/idigung auderer Zellelemente. Im allgemeinen aber reichen diese eng umschriebenen Ausf/~lle bis an die AuSenseite tier K6rnersehicht und wir haben dann fiber dieser Stelle gleichfalls umschriebene Ausf~lle der Purkinjezellen und umschriebene Bergmannzellwucherung (Abb. 1). Sehon nach tier Form dieser fleckf6rmigen K6rnerausf/ille kann an ihrer vascul/~ren Genese nieht gezweifelt werden, und die J~tiologie best/~tigt dies. Wit linden sie ziemlich oft bei Arteriosklerosen, Embolien und Ur/imien (die ja einerseits mit Gef/~l~wandveranderungen infolge des Hoch- druckes einhergehen und andererseits meist unter den Folgen tier sekun- d/~ren KreislaufstSrung ad exitum kommen), ferner bei Meningitis luica - - hier besonders scharf begrenzt - - , dagegen unter 27 Epilepsien mit lokalen Kleinhirnver~nderungen nut ein einziges Mal, d. h. also, wit sehen diese Ausf/~lle besonders bei Prozessen, die zu organischen oder funktio- nellen Verschlfissen kleinster Gef/~Be fiihren. Bei Epilepsien dagegen sehen wit vorwiegend die andere Form der K6rnersch/~digung, namlich die diffuse Lichtung (Abb. 2): nach unseren heutigen Anschauungen die Folge eines auf gr6$ere Gebiete ausgebreiteten Gef/~$spasmus. Es sei abet noehmals betont, dal~ diese diffuse KSrnerlichtung v611ig isoliert kaum vorkommt, sondern zumindest kombiniert mit einer Er- krankung, meist mit ausgedehntem Ausfall der Purkinjeelemente und beginnender Wucherung der Bergmannzellen, dl h. also als Teilerscheinung einer L/~ppchenatrophie. Als solehe findet sie sich bei den verschiedensten Prozessen, darauf soil jedoch erst bei Besprechung tier L~ppchenatrophien eingegangen werden. Hier seien nut kurz noch einige Einzelheiten dieses diffusen K6rnerschwundes besprochen. Wit haben uns nicht davon fiberzeugen k6nnen, dal] dieser meist yon auSen her erfolge (Striiufller) ; im Gegenteil fanden wit sehr h/~ufig einen Schwund yon der Markgrenze her nach au$en fortschreitend, was auch Huber betont. Nut in einem einzigen Falle (Epilepsie) sahen wit einen ausgesprochenen Sehwund tier KSrner yon aul~en her, w/~hrend die darfiber gelegene Purkinjezellschicht auffallend gut erhalten war (Abb. 3). Es sei abet hier ausdrfieklieh darauf aufmerksam gemaeht, dal~ dieses seltene Bild nichts zu tun hat mit der h/iufig zu beobachtenden , ,AblSsung" der Purkinje- und Berg- mannzellschicht, die besonders an den Kuppen als ganz normaler Befund (vielleicht Fixationsartefakt) bei intakter KSrnerschicht zu beobaehten ist. Die yon Huber beschriebenen Ausf/~lle in Form runder Lficken, die er als ,,Status spongiosus" der KSrnerschicht bezeiehnet, hubert wit niemals gesehen. Dagegen sahen wit ein derartiges Bild in einem Falle als Kunstprodukt, offenbar eine F/~ulniserscheinung, den~ es waren bier weder an den Purkinjezellen noch an don KSrnerzellen Erscheinungen einer Erkrankung wahrnehmbar, sondern die gauze Schicht war einfach

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yon leeren rund.en Lficken durchsetzt, ohne dab irgendwo Zerfallspro- dukte oder reaktive Erseheinungen yon seiten der Glia zu sehen waren. Ein einzigartiges Bild (Abb. 4) bot aueh ein Fall yon schwerer Herz- insuffizienz 1. Hier sah die KSrnerschieht im ganzen Kleinhirn durch- 15chert wie ein Sieb aus. Die Ursache abet waren nur die Lumina der enorm gestauten Gef/~ile (auch die der Molekularschicht waren stark gestaut). Die Gef~Bw/inde selbst zeigten keinerlei pathologische Ver/inderungen, ebenso war auch im Kleinhirngewebe keine Spur yon Ausfallserscheinungen

Abb. 3. Sehwund der K f r n e r yon auBen her. Resistenz der Purkinjezel len. Epilepsie.

oder reaktiven Ver/~nderungen zu sehen. Die Purkinjezellen waren in diesem Falle tadellos erhalten. Am h/~ufigsten sieht man, besonders in Anfangs- stadien, einen gleichma$igen, fiber die ganze Breite der KSrnerschieht verteilten Ausfall der Zellen. Dabei scheint es tats/~chlich so, als ob die Golgizellen auffallend resistent w/iren, da sie meist sehr deutlich hervor~reten. Diese Resistenz tier Golgizellen wird fiberall in tier Literatur (Huber, Ku/s, Jacob 16, Liebers ~, Str~iufller 3s u. a.) betont. Es handelt sich abet hier wieder urn eine auBerordentlich schwer zu beurteilende Erscheinung. Bei normaler Dichte der K6rnerschicht sieht man eben yon den Golgizellen sehr wenig, da sie yon den Kfrnern vielfach fiber- lagert sind. Bei K6rnerausfall t reten sie natfirlich viel deutlicher hervor,

1 Dieser Fall wird in einer demn/~chst erscheinenden Arbeit Bodechtels fiber Gehirnver/~nderungen bei Herzkrankheiten n/~her besproehen.

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ohne dab man daraus mit Sicherheit schliel~en kann, dab nicht auch Golgizellen ausgefallen w~ren. Die Beurteilung quantitativer Unter- schiede der Zellzahl, die schon an der GroBhirnrinde oft unmSglich ist

Abb. 4. Enorme Stauung der GofaBe, kein Paronchymausfall, Purkinjezellen gut erhalten. Herzinsuffizie~z bei kongenitalem Vitium cordis. Kind.

(s. Spielmeyer), ist unter solchen Umsti~nden erst recht erschwert. Tscher- nysche//and Grigorowski bestreiten auf Grund ihrer Befunde die Resistenz der Golgizellen.

4. Realctive Verdnderungen.

Damit kommen wir zu den reaktiven Ver~nderungen, die sich gliedern lassen 1. in zellige Gliawucherungen in der Molekularzone, entweder be- 4ingt dutch Purkinjezellausfall in Form des syncytialen Strauchwerks oder durch Reizwirkung mit oder ohne Zellausfall in Form nicht- syncytialer Gliaproliferation; 2. in Wucherung der Bergmannschen Zollschicht mit isomorpher Fasergliose, die zur Sklerose fiihrt. Dabei ist die Voraussetzung fiir das Zustandekommen 4er gli6sen Reaktion natfirlich eine intakte Glia. So zeigte uns ein Fall yon Embolie bei Endo- karditis frische ,,Erbleichung" eines grSBeren Kleinhirnabschnittes (Abb. 5) mit Ausfall s~mtlicher Purkinjezellen und Zeichen eben beginnender Erweichung (starke Gef~Bproliferation, beginnende AblSsung yon Gitterzellen), aber keine Spur yon Strauchwerkbildung oder sonstigen Zeichen proliferativer Gliavers Ein ~hnliches Bfld als Folge schwerer Gliasch~digung beschreibt Villaverde 4~ bei Bleivergiftung.

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Die Unterscheidung zwischen eehtem Gliastrauchwerk und mehr diffuser Gliawucherung in der Molekularzone ist wegen der oben an- gedeuteten M6gliehkeit pathogenetiseher Versehiedenheitenbeider Formen wichtig. Wir halten uns bei der Bezeichnung ,,Strauchwerk" streng an die yon Spielmeyer a5 gegebene Definition. Darnach versteht man unter Strauchwerk eine in der Molekularschieht auftretende syncytiale Gliawucherung, die eine Sch/idigung der Purkinjezellen zur Voraussetzung hat 1, sich an den Verlauf ihrer Dendriten h/~lt und daher je nach der

Abb . 5. Eben beg innende E r w e i c h u n g ; Aus fa l l der Purk in jeze l l en , L i c h t u n g der K 6 r n e r , GefaBprol i fera~ion. Ke ine r e a k t i v e G l i a w u c h e r u n g . (Embol ie bei Endoca rd i t i s . )

Sehnittrichtung (die Purkinjezelldendriten sind bekanntlieh alle in der Sagittalebene orientiert) versehieden verlaufend im Pr/iparat er- seheint (s. die sehr instruktiven Abbildungen bei Spielmeyer). Das /rische Strauchwerk ist zellreieh, zeigt helle, gut differenzierte Kerne, viel Mitosen, stark angef~rbtes Syneytium; das regressive ist viel zell- /~rmer, zeigt dunkle, entrundete, regressiv ver~nderte Kerne und diirftige, wie ausgetrocknet aussehende Plasmastrukturen (Sagel27). Nach

1 Zumindest Sch/idigung der Dendriten, also eines Zellteiles. Liebers 32 glaubt auch eine Strauehwerkbildung ohne diese Zellsch~,digung, an Gef/~Be gebunden, annehmen zu miissen; dies ist eine Frage der Nomenklatur. Wir reehnen nur die an die Dendritenseh/~digung gebundene Gliawucherung zu den Strauchwerken. DaB sieh umgekehrt auch oft Purkinjezellerkrankungen olme Strauchwerk finden, wird aueh yon Spiel~neyer betont; die Ursachen dieser Inkongruenz zwisehen Zell- ver/~nderung und gli6ser Reaktion sind noch ganz unklar.

Z. f. d, g. Neur . u. P sych . 136. 37

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Sittig al kann ein voll ausgebildetes Strauchwerk bereits nach 2 Tagen zu finden sein.

~ber das Vorkommen von Strauchwerken existiert bereits eine gro~e kasuistische Literatur. Alle Autoren stimmen darin fiberein, dab es sich um eine Reaktion auf akute Sch~digungen handelt. Demnach ist das Strauchwerk auch in erster Linie beschrieben bei akuten In- fektionskrankheiten, a]cuten ZirkulationsstSrungen, Vergiftungen und bei akuten Schfiben chronischer Riadenprozesse, in erster Linie Epilepsie (Status) und Paralyse. Unser Material best~tigt dies vollkommen. Wir fanden frische Strauchwerke z.B. in je 6 Fiillen yon Typhus ab- dominalis m:d Fleckfieber, dagegen bei 2 F~llen yon Dysenterie Liippchen- atrophic, aber keine Strauchwerke. Unter den Epilepsien scheinen sich frische Strauchwerke besonders bDi im Status ad exitum gekommenen F~llen in groBer Ausdehnung zu finden, bei den Paralysen h~ufiger bei juvenilen als bei erwachsenen. Frische Strauchwerke fanden sich auch bei multipler und diffuser Sklerose (gleichfalls schubweise verlaufenden Prozessen), bei Encephalitiden, Sepsis, verschiedenen exogenen In- toxikationen, fast stets bei tuberkul6sen, aber sehr selten bei luischen Meningitiden. Ferner fanden wir Straucttwerke in je einem Falle yon Luft- und Fettembolie, also sicher vascular bedingt. Dies ist wichtig, da wir bei einer grSBeren Anzahl anderer, sicher vasculgr bedingter Kleinhiraver~nderungen (Li~ppchenatrophie bei arteriosklerotischen Er- weichungen, Embolie, KreislaufstSrungen aller Art) keine Strauchwerke fan@n, was zu der falschen Annahme fiihren kSnnte, dab die Zirkulations- stSrung allein ohne toxischen Reiz nicht zur Strauchwerkentwicklung genfigt. Das Fehlen der Strauchwerke in unseren FKllen erkl~rt sich aber zwanglos daraus, dab es sich schon um ls zurfickliegende Veriinde- rungen handelt 1. Denn dab die Strauchwerke v611ig rfickbildungsf~,hig sind, ist wohl nicht zu bezweifeln da man ja alle Stadien regressiver Ver- s an ihneu beobachten kann (s. auch Liebers); wie wir be- sonders auch an unserem grol3en Material yon Epilepsien und Para- lysen beobachten konnten zeigt die Mehrzahlder F~lle mit ausgesprochener Atrophic und Sklero3e keine Strauchwerke, da es sich eben um alte Prozesse handelt. Nicht selten finden sich aber bei einem Fall beide Ver- s in verschiedenen Kleinhirnteilen (s. auch Abb. 2). Hier rfihren sic eben offenbar yon zeitlich auseinanderliegenden Schiiben (epileptischen AnfMlen bzw. Status, paralytischen Schiiben, itlteren und frischeren Embolien) her. Nur selten fanden sich in bereits starker atro- phischen L~ppchen noeh regressive Strauchwerke, jedoch soll auf diese Fragen der pathogenetisehen Beziehungen zwischen Strauchwerk und L~ppchensklerosen erst bei Besprechung der letzteren eingegangen werden. Hier sei nut noch daran erinnert, dab sich nach den Untersuchungen

1 Auch Tschernysche// u. Grigorowski haben schon Strauchwerke in der Um- gebung yon rein vascular bedingten Herden beschrieben.

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yon Sagel das Strauchwerksyncytium vorwiegend aus Hortegazellen entwickelt und in erster Linie dem fixen Abbau dient (Beziehungen zu den Gef/iBen), ffir Gliafaserbildung kommt es nicht in Betracht. Aller- dings spielt es nach Sagel sicher auch die Rolle eines lfickenffillenden Gewebes, bevor es zurAusbildung der Berffmannschen Gliose kommt. DaB die Strauchwerke immer den /~ul3eren Saum freilassen (Liebers), k6nnen wir nicht best/ttigen. Im Gegenteil sahen wir an einem Falte eine un- gew6hnlich starke Ausbildung gerade in der/~ul~ersten Zone. Ein weiteres, sehr eigenartiges Bild bot eine Epilepsie, wo sicla innerhalb der frisch aufgeschossenen Strauchwerke Leukocyten fanden. Liebers beobachtete auch einmal Leukocyten in einem Gliakn6tchen bei Epilepsie und fal~te dies als Diapedese infolge der bestehenden Stase auf. Bei uns war ,con einer Stase nichts zu sehen, man k6nnte eventuell in den Leukocyten eine Reaktion auf den Gewebszerfall selaen, wie man ihn nach Spiel- meyer bei rasch verlaufenden regressiven Umwandhmgen gelegentlich beobachtet.

Fassen wir kurz zusammen, so zeigb auch unser Material folgendes: Das Strauchwerk ist eine Reaktion der Glia auf akute Sch/idigungen der Purkinjezellen dutch toxische (Infektionen, Gifte) Einfliisse oder lokale Zirkulationsstfrungen verschiedenster J~tiologie, vorausgesetzt, dab die Noxe nicht auch die Glia schwer gesch/~dig~ hat. Bei bereits li~nger zuriickliegenden Sch/idigungen linden wir keine oder nur mehr stark regressiv ver~nderte Strauchwerke. Finden sich in verschiedenen Teilen eines Kleinhirns sowohl ~ltere L/ippchensklerosen als aucla frische Strauchwerke, so haben wir bier die Folgen zeitlich auseinanderliegender Noxen, sei es /~tiologisch gleicher oder verschiedener Art, vor uns.

Bei tier Durchsicht unserer Pr/iparate fiel uns in verschiedenen FMlen eine Form der Gliawucherung in der Molekularschieht auf, die so deutlich v o n d e r typisehen Strauchwerkstruktur abweicht, dal~ uns eine gesonderte .Besprechung gerechtfertigt erscheint, obwohl die beob- achteten Bilder unter sich keineswegs einheitlich sind. An dieser Stelle sehen wir dabei yon der bereits yon Liebers erw/~hnten Tatsache ab, dab wir in beginnenden Lappchenatrophien meist eine sehr gliareicke Molekularschicht haben, wahrend sie sieh bei vollendeten Sklerosen ge- w61mlich durch gro2e Kernarmut auszeiehnet. Auch alas bei manchen (keineswegs allen) Paralysen die Molekularschicht sehr viel gewucherte St/~bchenzellen entMlt, sei nur kurz erwghnt, ebenso, da$ ein Fall yon Peliziius-Merzbacher auch in nicht atrophischen Bezirken eine sehr zellreiche Molekularsehicht zeigte. Hier kommt es uns viel mehr auf die F/file an, in denen wir eine frische, auf kleinere Bezirke beschr/~nkte, aber nieht herdf6rmige Gliawucherung fanden, die yon der typischen Strauchwerkform und -struktur abwieh, d. h. in ihrer Ausbreitung keine Beziehungen zu den Purkinjezelldendriten verriet und vor allem den Charakter des Syncytiums vermissen liel~.

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Derartige Gliawucherungen sahen wir in einigen F/fllen von perni- ziSser Ani~mie mit funikularer Spinalerkrankung. Es handelte sieh dabei meist um progressive Ver/~nderungen der Hortega- und Oligodendro- gliazellen an umschriebenen Stellen, in denen die Purkinjezellen meist veri~ndert oder ausgefallen waren. Dabei lieSen interessanterweise einige Fiille eine Wucherung der Bergmannschen Sehicht an den betreffen- den Stellen vSllig vermissen, ja, in einem Falle waren die Bergmannzellen an der Stelle der Gtiawueherung (die hier im Bereiche einer beginnenden

Abb. 6. Nicht s trauchwerkmal~ige , ,diffuse" Gl iawucher tmg und Ausfal l der Bergrnann- zellen. PerniziOse Anamie und funikulfire Spinalerkrankung.

L/~ppchenatrophie bestand) sogar v611ig verschwunden, w/~hrend sie in den angrenzenden normalen Bezirken tadellos ausgebfldet waren (Abb. 6). Eine Gesetzm/~Bigkeit 1/~$t sich daraus wohl nicht ableiten, denn in einem Falle sahen wir auch eine Wucherung tier Bergmannschicht bei uncharakteristischer Gliaproliferation der Molekularschicht. Ferner fanden wir derartige, nicht strauchwerkm/iBige Gliosen in der Um- gebung yon Soliti~rtuberkeln und Tumoren, als Reaktion auf eine Blutung in die Molekularschicht bei einem Falle yon Epilepsie 1 (Abb. 7) und in 3 F/~llen yon Meningitis purulenta, bei der echte Strauchwerke auffallender- weise selten zu sein scheinen (bei der tuberkul5sen sind sie h~tufig). In diesen F/illen bestand iibrigens gleichzeitig auch eine Wucherung der

x ,,Narbcn" in den Kuppen als Folge eincr Blutung werdcn auch beschrieben yon Strtiufller u. Spiegel und Sommer 33.

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Abb. 7. Nicht s~rauehwerkartige Gliawueherung bei Blutlmg in die Molekularsehieht. Epilepsie.

Abb. 8. ,,Atypisehe" Wueherung der Makroglia bei eitriger Meningitis, 6 Monate alter S~ugling.

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Bergmannzellen, die Purkinjezellen waren in 2 Fgllen nicht ausgefallen. Der 3. Fall zeigt ein auBergewShnliches Bild insoferne, als bier eine aus- gesprochene Wucherung der Makroglia mit Bildung groBer proto- plasmatischer Zellen bestand. Allerdings handelte es sich bier um einen 6 Monate alten Sgugling, der noch deutlich die embryonale K6rnerschicht zeigte (Abb. 8). In diesem Falle liegt es natiirlich nahe, die atypische Wucherung auf das Alter zu beziehen. Ffir die anderen Fglle kSnnen wit bei der Kleinheit des Materials noch keine stichhaltige Erklgrung geben, bier mfissen weitere Untersuchungen abgewartet werden.

Zusammenfassen4 ist zu betonen, dab es auBer den Strauehwerken, wenn auch entschieden wesentlich seltener, noch andere Formen der Gliawucherung in tier Molekularschicht gibt, die nicht an die Schgdigung der Purkinjezelldendriten gebunden zu sein scheinen, fiber deren Ent- stehungsbedingungen wit abet noch nichts aussagen kSnnen.

In die Gruppe der nicht strauchwerkm/~Bigen Gliareaktionen der Kleinhirnrinde geh6ren auch die FleckfieberknStchen, die ja nach Spielmeyer a~ in der Molekularschicht des Kleinhirns geradezu eine Prg- dilektionsstelle haben. Da wit kein neues Material za dieser Frage bringen kSnnen, sei bier auf die klassische Schilderung Spielmeyers verwiesen, in der auch die scharfe Abgrenzung gegen die echten Strauehwerke durch- geffihrt wir4, obwohl deren Charakter damals noch unbekannt war.

Im AnschluB an die reaktiven Erscheimmgen seien hier attch mehr anhangsweise die entziindlichen Ver~inderungen in der Kleinhirarinde angeffihrt. Wir wictmen ihnen keinen eigenen Abschnitt, da sic in unserem Material wenigstens nut einen sehr geringen Raum einnehmen. Wir sahen entziindliche Prozesse bei Paralysen, beim Fleckfieber und bei einem Falle yon septischer metastatischer Encephalitis, wenn wit yon tier Rinden- beteiligang bei Meningitiden im Sinne tier Meningoencephalitis ab- sehen, die fibrigens auch gewShnlich relativ geringffigig zu sein scheint. Bei der Paralyse zeigte sich in tier Kleinhirarinde besonders schSn die Diskrepanz zwischen entzfindlichen und degenerativen Prozessen : Wghrend die letzteren hgufig und oft sehr aasgedehnt sind, ist die Beteiligung tier RindengefgBe auffallenc[ selten und schwach entwickelt. Beziiglich des Fleckfiebers verweisen wit auf Spielmeyers Darstellung, der keine neuen Beobachtungen hinzuzuf~igen sind. Bei Encephalitis epidemica ist nach Spatz a2 die Kleinhirnrinde frei yon entzfindlichen Vergnderuagen, w/~hrend die Dachkerne meist stark betroffen sind. Auch bei einigen septischen Encephalitiden und bei Encephalitis postvaccinalis fiel uns das Verschontbleiben der Kleinhirnrinde auf. Nur in einem Falle embolischer Encephalitis sahen wir ziemlich viel rundliche Herde proliferierender Glia in der Molekularzone, die vielfach mit Leukocyten durchsetzt waren (Abb. 9). Es k6nnte demnach so scheinen, dab ent- zfindliche Prozesse in der Kleinhirnrinde eine auffallend geringe Rolle spielen. Wit verzichten aber vorl~ufig darauf, hieraus weitgehende

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Schlfisse zu ziehen, sondern halten die exakte Untersuchung eines gr6i3eren Materials ftir erforderlich.

Wesentlich besser als fiber die ,,diffusen" Gliawucherungen der Mole- kularschicht sin4 wir fiber die Wucherung der Bergmannschen Zell- schicht (Epithelialzellen Cajals) orientiert. Darfiber, da6 wir es in den Bergmannzellen mit Glia, und zwar mit Makrogliazellen zu tun haben, herrscht heute wohl allgemeine Einigkeit, nackdem Vogt und Astwaza- turow 45 versucht hatten, sie als Ganglienzellen zu deuten, die Reste

Abb. 9. R u n d | i c h e r , yon L e u k o c y t e n durchse tz te r Gl iaherd in der Molekularschicht bei sept i scher Encephal i t i s . An der Per ipher ie des Herdes eine Alzheimersche Gliazelle.

der embryonalen K6rnerschicht darstellen sollten. Nach B~riel a, Huber 14, Liebers 32, Pollalc, Sagel 37, Spielmeyer a6, Schroeder 3s u. v. a. handelt es sich zweifellos um faserbildende Astrocyten, die schon normaler- weise mehrschichtig zwisehen den Purkinjezellen liegen. Diese regel- ms schichtweise Anordnung ist das einzig auffallende an diesen Zellen, die im fibrigen typische Makroglia darstellen. Unter Wucherung der Bergmannzellenverstehenwirhier einmal eine progressive Ver~nderung des Einzelelementes (das Plasma ist auch bei pathologischer Wucherung nur spiirlich, wie auch Schroeder betont, im Vordergrund steht dic Fascr- bildung), dann aber vor allem eine starke Vermehrung der Zellzahl, so dab die Bergmannzellen oft 4--6reihig liegen. Es ist durch Sagel nachgewiesen, da6 die Bergmannzellen ffir die isomorphe Fascrgliose der Molekularsehieht verantwortlich zu machen sind, die eines dcr

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wesentlichsten Charakteristika der L~ppchensklerose ist 1. Und so ffihrt uns die Wucherung der Bergmannschen Zellschicht zu den End- zust~nden, deren integrierender Bestandteil sie ist. Da sie abet anderer- seits geradezu ein Musterbeispiel reaktiver und zwar bier ausgesprochen reparativer Gliawucherung darstellt, seien einige Besonderheiten unter den reaktiven Prozessen besprochen. Es liel3e sich zun/ichst die Frage stellen, welche Elemente gesch/idigt sein mfissen, damit es zur Wucherung kommt. Eine Antwort darauf ist abet kaum zu geben, denn, wie wir bereits betont haben, ist auch bei anscheinend isolierten Ausfi~llen der Purkinjezellen ein nicht unerheblicher Ausfall an KSrnerzellen nie sicher auszuschliel3en, so dal3 wir auch in solchen Fi~llen nicht berechtigt sind, fiir die Bergmannzellwucherung allein den Purkinjezellausfall verantwortlich zu machen. Sicher ist dagegen, dab wir bei sti~rkerer KSrnerlichtung auch in den Fiillen eine Gliawucherung haben, in denen die Purkinjezellen auffallend resistent sind. Wir kSnnen also nur sagen, dab sie bei Ausfall der nervSsen Elemente wuchern, ohne dies nigher analysieren zu k5nnen. Nun ergibt aber die Durchsicht eines grol3en Materials yon L/ippchenatrophien, dal3 sich der Grad der Bergmannzell- wucherung aul3erordentlich verschieden verhalten kann bei quantitativ gleich starkem Zellausfall. Auch Vogt und Astwazaturow betonen diese Tatsache. Eine Erkliirung kSnnen wir suchen in/~tiologischen Momenten, in individuellen Anlagefaktoren, im Alter des Individuums und schliel3- lich im Sitze der Ver/~nderungen in dem Sinne, daf~ in den verschiedenen Kleinhirnabschnitten verschiedene ,,gliaarchitektonische" Verh/~ltnisse vorliegen k(innen. Es sei gleich bemerkt, da6 keine dieser Erkl/@ungs- mSglichkeiten ffir unser Material widerspruchslos in Frage kommt; mit Sicherheit auszuschlie6en sind /itiologische Besonderheiten. So sahen wir bei Paralysen, also Fiillen mit gleicher ~_tiologie, auBerordentliche Verschiedenheiten, indem z.B. ein Fall schon bei geringer K6rner- lichtung eine starke Wuchertmg der Bergmannzellen zeigte, ein anderer dagegen trotz erheblicher L/~ppchenatrophie nur eine sehr geringe. Der tetztere Fall zeigte aber an anderer, allerdings v511ig sklerotischer Stelle eine sehr starke Wucherung. Eine derartige Beobachtung scheint uns gegen konstitutionelle Momente zu sprechen. Andererseits aber scheint doch die Art der pathologisehen Ver/mderungen der Bergmann- zellen mit ihrer normalen Anlage im Einzelfall zusammenzuhangen. So bildeten sie in einem Falle, bei dem sie in den normalen Partien, besonders an den Kuppen, auffallend stark hervortraten, in atrophischen L/tppchen eigenartige vielschichtige Ringe um die freibleibenden R/~ume der ausgefallenen Purkinjezellen herum (Abb. 10). Auch Sagel be- schreibt das gelegentliche Vorkommen ,,kapselartiger Wueherungen"

z Die gefiederten Zellen yon Fa~auas sind nach Schroeder auch zur Faser- bildung befi~higt, sie spielen aber gegentiber den Bergmannzellen nur eine geringe Rolle.

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der Bergmannzellen um den leeren Hohlraum herum. Allerdings scheint es uns besonders fiir unseren Fall recht zweifelhaft, ob es sich tats/~chlich um eine ,,Ringbildung" durch aktive Wueherung handelt oder ob diese Form nieht durch irgendwelche Schrumpfungs- und Quellungsvorg/~nge im Gewebe erst nachtr/~glieh entstanden ist. Ftir die Annahme, dal~ die ver- schiedene Reaktionsweise vom Alter abhinge, gibt unser Material keine Anhaltspunkte; im Gegenteil spricht z .B. der oben erw/~hnte Fall mit verschieden starker Reaktion in verschiedenen Teilen dagegerL

Abb. 10. ,,l~ingbildung" der gewucherten Bergmannzellcn um die ausgefallenen Purkinje- zellen hemun. Paralyse.

Damit kommen wir zur letzten MSglichkeit, da6 der Sitz der Ver- /~nderungen in bezug auf das Gesamtorgan die Ursache dieser quantitativen Unterschiede darstellt. Zur Entscheidung dieser Frage reieht unser Material nicht aus, wir miissen sie often lassen. Schroeder behauptet, dal~ gliaarchitektonische Untersehiede im Kleinhirn nieht bestehen; darnach w/~re auch diese Annahme sehr unwahrscheinlich. Wir miissen diese Erscheinung also registrieren, ohne vorl/s eine Erkl/~rung geben zu kSnnen. Anhangsweise sei noeh daratff hingewiesen, dal3 das st~rkere Hervortreten der Bergmannzellen an den L/~ppchenkuppen eine vSllig normale Erscheinung ist, die mit Unrecht gelegentlich als pathologisch gewertet wird.

5. Endzustdnde.

Damit kommen wir zur Bespreehung der Endzust~nde. Einen Endzustand im eigentlichen Sirme stellt allerdings nur das dar, was

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wir als Ldppchensklerose bezeichnen: den Zustand (fast) vSlligen Fehlens der KSrner- und der Purkinjezellen bei hochgradiger Verschmiilerung der zellarmen Molekularschicht mit Vermehrung der Bergmannzellen und isomorpher Fasergliose im Bereich mindestens eines L~ippchens. Dabei erfatn'en die normal polygonalen, also eckigen Konturen der L~ippchen meist eine sehr ausgesprochene Abrundung. Die Gliose ist am st~irksten in der Molekularschicht, aber meist auch im Markstrahl und der Zone der verschwundenen KSrner sehr ausgesprochen (s. die Bilder yon Liebers). Dieses Bild der Sklerose entspricht vSllig den Bildern bei ,,genuinen" Atrophien. Unter Ldppchenatrophie dagegen wollen wit hier ein Bild verstehen, das diffuse Lichtung der KSrner, Verschm~lerung der Molekularschicht, Ausfall oder Erkrankung der Purkinjezellen und meist schon beginnende Wucherang der Bergmannzellen zeigt. Dies kann ein Endzustand sein, oft aber ist es sicher nut ein Entwicklungs- stadium der L~ppchenslderose, das durch den Tod unterbrochen wurde. Da sich zwischen den beiden Bildern natfirlich alle l~bergitnge fin@n, ist eine gewisse Willkiir der Abgrenzung 1 nicht zu vermeiden, ffir die uns bier interessierenden Fragen aber ohne Bedeutung. Von um- schriebener Slderose sprechen wir bei Befallensein eines oder weniger L~ippchen, yon ausgedehnter, wenn grSllere Abschnitte befallen sind.

Hier wollen wir die Unterschiede in der Ausbreitung der Sklerosen erSrtern, die au6erordentlich mannigfaltig sind. Zun~chst sei die/Idchen- ha/te Ausbreitung besproehen, wie wir sie im einzelnen Schnittpr~parat sehen, dann die r~umliche, wie sie sich an Hand yon Serien rekonstruieren l~llt. In der Literatur finden sich beziiglich der fl~tchenhaften Aus- dehnung vor allem Angaben dariiber, ob der Prozell mehr die Kuppen (bzw. Peripherie) oder T~iler (bzw. zentralere Abschnitte) bevorzugt. So hat vor allem Strdu/31er bei der Paralyse eine elektive Bevorzugung der peripheren Kleinhirnpartien beschrieben. Es kann nun auch nach unserem Material kein Zweifel bestehen, dal~ in der fiberwiegenden Mehr- zahl aller F~lle mit ausgedehnteren Ver~inderungen die Atrophien an den Kuppen der einzelnen L~ppchen und hier wieder besonders an den peripheren L~ippchen beginnen. Eine Gesetzmd[3ittlceit, wie Strdufller meint, stellt aber diese Bevorzugung der Peripherie nicht dar, vielmehr sahen wir gelegentlich auch gerade das gegenteilige Verhalten, und zwar auch bei Paralysen: Ein Fall zeigte eine elektiv zentrale Sch~digung (Li~ppchenatrophie) bei intakter Peripherie. Keineswegs aber kann die Bevorzugung der peripheren Lamellenteile als charakteristisch fiir die Paralyse gelten, da wir sie h~iufig (wenn vielleicht auch etwas seltener als bei Paralyse) auch bei Epilepsien fanden, ferner b e i j e einem Fall

1 Diese Unterscheidung hat nichts zu tun mit den 2 Stadien der Atrophie, die Huber unterscheidet. Sein 1. Stadium entspricht unserer Sklerose, das 2. ,,fakul- tative" besteht in einer starken Aufsplitterung und peripheren Verschiebung der Bergmannzellen (gclegentlich mit heteromorpher Gliose).

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yon Alkoholismus, perniziSser An/~mie, Hirnpurpura und anderen. Die in bezug auf die Paralyse yon anderen Autoren gegebenen Erkliirungen werden damit hinf/~llig ~. Eine Erkl/~rung fiir diese Erscheinung kSnnen wir nieht geben. Man kSnnte an Verschiedenheiten der Gef/~l~versorgung denken, abet diese sind bisher nieht nachgewiesen. Zweifellos selten ist das gegenteilige Verhalten, eine elektiv zentral gelegene, ausgedehnte L~ppchensklerose, wie wir sie in einem Falle yon Leuchtgasvergiftung fanden, der diese 13 Jahre fiberlebt hatte (Abb. 11)~. Auch in einem Falle

Abb . 11. E l ek t i v zentrale L~ppchensk le rose bei a l t e r CO-Verg i f t ung ,

frischer Leuchtgasvergiftung fand sich eine Bevorzugung der zentralen Partien (bier natfirlich noch keine Sklerose, sondern frische Strauchwerke). Auf diese Besonderheit der Lokalisation hat auch M e y e r 34 schon auf- merksam gemacht. Natiirlich ist das vorliegende Material zu klein, um daraus etwa ~tiologische Besonderheiten abzuleiten. Wesentlich seltener als die Bevorzugung der Kuppen (Abb. 12) sieht man eine weitere Aus- dehnung der L~ppchenatrophie in der Form, dab sie an der Kuppe einer

1 Str~iufller spricht yon Intoxikation yore Liquor her, Takase erwi~hnt die an der Oberfl~che st~rkere Infiltration der Meningen, wi~hrend wir meist gerade in der Tiefe eine sti~rkere Meningitis fanden. Wir sahen selbst bei F$11en, in denen die Meningealinfiltration in den T~lern viel starker war als in der Peripherie, aus- gesprochen periphere L~ppehenatrophie bei zentral unversehrtem Gewebe. Wir sind daher ebenso wie auch Takase eher geneigt, die Sch~ligung als primer degenerativ auf das paralytische Virus zu beziehen.

2 Es handelt sich hier um die yon Meyer 24 publizierten Fhlle.

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Lamelle beginnend einige weitere Lamellen in der ganzen Ausdehnung ergreift, am dann wieder mehr oder weniger scharf in das gesunde Gewebe fiberzugehen (Abb. 13).

Abb . 12. B e v o r z u g u n g dot K u p p e n . (Die schwarz geze ichne ten P a r t i e n sollen den L~ppehen - sk le rosen en t sp reehen . )

Abb . 13. A u s b r e i t u n g der Sklerosen fiber die ganze HShe m e h r e r e r Lamel l en .

Die oben erwiihnte Bevorzugung 4er Peripherie linden wir nieht bei Arteriosklerose (fleckf6rmige K6rnerlichtung !), Embolien und anderen, organisch bedingten Kreislaufst6rungen (Meningitiden), die ja nur um- schriebene L~ppchenatrophien hervorrufen, die wakllos in allen mSg- lichen Teilen lokMisiert sein k6nnen. Die so entstehenden Formen sind

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Beitr/~ge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. I. 581

natiirlich auBerordentlich mannigfaltig. An Hand einiger schematischer Zeichnungen i seien nur die wichtigsten, immer wiederkehrenden Bilder gezeigt. Oft sitzt eine solche Sklerose nur an der Kuppe, manchmal an

Abb. 14. , ,Abkla t schar t ige" Sklerosen an gegeniiberl iegenden Stellen zweier L~ppchen.

Abb. 15. , ,Manschot tenfSrmige" Sklerose u m eine %Vindung he rum.

2 direkt gegeniiberliegenden Kuppen, h/~ttfiger findet man an 2 gegeniiber- liegenden Windungen auf den einander zugekehrten Seiten abklatschart ige Sklerosen (Abb. 14), w/~hrend wir eine manschettenfSrmige Ausbrei tung

1 Die Entwiirfe zu diesen Bildern stammen yon Frau Dr. Rippenbach-Fischer. Ieh bin ihr fiir die t~berlassung der Skizzen zu grof~em Dank verpflichtet, ebenso fiir die L~berlassung der Sorien zum Studium der r/~umlichen Ausbreitung der Skle- rosen.

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582 Hans-Joachim Scherer:

um eine Windung herum viel seltener sahen multiple Sklerose).

(Abb. 15, Epilepsie,

Abb. 16. Schn i t t 4.

Abb. 17. Schn i t t 32.

Die rdumliche Ausbreitung der Sklerosen wurde an Hand von 4 Serien untersucht, die yon je einer symptomatischen Epilepsie, einer Pons- blutung unklarer -~tiologie, einer Pellagra und einer Lumbalan~sthesie (vgl. Bodechtel) s~ammten. Diese Serien zeigten n/~mlich, 4a6 die Ausf~lte eine recht betr~chtliche Tiefenausdehnung aufweisen k6nnen, in den

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Beitr~ge zar pathologischen Anatomie des Kleinhirns. I. 5S8

4 untersuchten F/~llen 5--6 mm. I m Verhgltnis zur gesamten Breite einer Lamelle, die ja an manchen Stellen mehrere Zentimeter betriigt, ist das natiirlich noch recht wenig. Hier ist der Hinweis angebracht~ dab es natiirlich absolut unzul~ssig ist, derartige, relativ geringfiigige Paren- chymausf~lle mit irgendwelchen klinisch beobachteten Funktionsst6rungen in Zusammenhang zu bringen, wie es oft geschieht. So hat man sogar die paralytische Sprachst6rung auf 4iese L/~ppchenatrophie bezogen, obwohl sie bei 4er Paralyse keineswegs als konstant anzusehen ist.

Abb. 18. Schnitt 42. Abb. 16--18. , ,Wandern" des Prozesses ill der Serie.

Weiterhin zeigten die Serien settr schSn alas , ,Wandern" des Pro- zesses yon einer Lamelle auf die andere, was an Stelle einer ausfiihrlichen Beschreibung auch wieder durch einige Zeichnungen illustriert werden soll (Abb. 16--18), und schliel31ich best~tigen sie - - was pathogenetisch wichtig ist - - das, was wir hs auch schon in der F1/~che des Einzel- pr/iparates sehen: n/~mlich, dab die Atrophien oder Sklerosen in den sel- tensten Fiillen mit scharfer Grenze 1 ins Gesunde fibergehen, sondern fast stets allm/~hlich fliel~ende Ubergiinge zeigen, die sich ,,konzentrisch" um den sklerotischen ,,Herd" anordnen. So sieht man z. B. an einer Stelle zun/~chst nur Strauchwerke, dann kommen Ausf/tlle der Purkinje- zellen, darauf macht sich einige Schnitte welter bereits eine unverkenn- bare Lichtung 4er KSrnerschicht geltend, die auf weiteren Schnitten unter gleichzeitiger Bergmannzellwucherung und Verschmiilerung der Mole- kularschicht immer st/~rker wird, his wir schlie61ich auf Bilder der

z Wir sahen derart ig scharf begrenzte Uberg~nge bei Lucs cerebrospinalis, w o e s ~ich eben um Verschlul3 kleinster Gef/s handel t , und bei einer mul t ip len Sklerose.

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5S4 Hans-Joachim Scherer:

vollendeten Sklerose treffen. Wir k6nnen hier zeitlich aufeinanderfolgende Vorg/mge an 6rtlieh aufeinanderfolgenden Schnitten der Reihe naeh ab- lesen. Ein solches Bild kann einem progredienten Proze$ entsprechen, und man wird dies annehmen, wenn sich in der Peripherie eines solchen atrophierenden ,,Herdes" noch frische Strauchwerke und erkrankte Purkinjezellen linden. Natiirlieh dtirfen wir keinen progredienten Herd annehmen, werm wir diese fliel3enden t3berg/~nge ohne frische Er- scheinungen in tier Peripherie, z.B. in der Umgebung einer alten Er- weichung sehen; wit fanden hierbei niemals Strauchwerke. Diese Bilder (deren Morphologie schon yon Strdiufller sehr anschaulich beschrieben wurde) erkl/~ren sieh vielmehr daraus, dab in der Umgebung des Er- weichungsherdes die Ern~hrungsstSrung dureh Kollateralen nur partiell ausgeglichen wird.

Damit w/~ren wit bereits bei den Ursachen der L~ppchenatrophie. Es sind, mit Ausnahme wohl tier Inaktivit/~tsatrophie 1, alle die Ursachen, die auch sonst fiir Atrophien in Frage kommen, d .h . fiir numerische Atrophien, die einen Untergang von funktionstragenden Zellelementen zur Voraussetzung haben. In erster Linie, wie wir gesehen haben, Ern~hrungsstSrungen durch irgendwie geartete Behinderung der Zirku- lation oder auch Verschlechterung tier Blutbesehaffenheit (auf die Wichtigkeit dieses Gesiehtspunktes hat besonders Meyer bei der CO- Vergiftung aufmerksam gemacht), ferner toxisehe Einfliisse und schliel31ich (Umgebung yon Tumoren, Gummen, Tuberkeln) Druekatrophien, viel- leicht gepaart mit toxischer Sch/~digung. t3brigens ist die Druckatrophie wohl auch gro2enteils als Ern/~hrungsst6rung aufzufassen, insoferne als durch den Druck eben auch in erster Linie die Zirkulation leidet. Ent- ztindliehe Momente seheinen, wie wir gesehen haben, in der Patho- genese der L~ppehenatrophie eine relativ geringe Rolle zu spielen; dabei ist zu beriicksichtigen, dab sich arts dem Komplex der Entziindung (soweit sie wenigstens infekti6s bedingt ist) die oben genannten Faktoren heraus- 15sen lassen; sie sch/~digt das Gewebe entweder dutch die Zirkulations- stSrung (s. tuberkul6se Meningitis, Bodechtel und Opalski) oder bakterielle Toxine in mehr oder weniger starkem Grade.

Auf histologische Einzelheiten brauchen wit bier nicht noch einmal einzugehen, da wit diese ja groBenteils schon bei Sehilderung der Aus- falls- und reaktiven Vorgange besprochen haben, so dab nut weniges noch nachzutragen ist. Einmal die Frage, wie sich der oft erhebliche Gliareich- tum in der Molekularschicht atrophierender L/~ppehen erkl/~rt (wir spre- chen hier nicht von frischer Gliaproliferation, sondern von dem Reichtum an normalen oder regressiven Kernen); vielfach ist dieser Kernreich- turn sicher nut relativ, bedingt durch die starke Verschm/~lerung der Molekularsehicht (s. auch Lehoczky 2z). In vielen F/~llen aber sind die

z l~ber deren Vorkommen im Zentralnervensystem beimMenschen wir allerdings nichts wissen.

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Gliakerne ihrer ganzen Anordmmg nach unschwer als Reste regressiver Strauchwerke zu erkennen. Wit kommen bier zur Frage nach den patho- genetisehen Beziehungen zwischen Strauchwerk und Li~ppchensklerose, Da die Slderose alas Produkt einer Fasergliose der Bergmannzellen ist, die Strauchwerke aber fiir Faserbildung nicht in Betraeht kommen, so k6nnen wit yon vornherein nut an indirekte Beziehungen denken. Wie oben bereits gesagt, sehlieBen sich vollendete Sklerosen und Strauch- werke aus, wir linden aber einerseits bei schubweise verlaufenden Pro- zessen in versehiedenen Teilen des gleiehen Kleinhirns Sklerosen, mehr oder weniger fortgeschrittene Atrophien und Strauchwerke, und anderer- seits in atrophierenden L/~ppchen regressive Strauehwerke. Die Straueh- werke kSnnen sozusagen alas erste Anzeichen eines Prozesses sein, dessen Ende die Li~ppchensklerose ist. Nach allem, was wir also bei Bespreehung tier Ausfalls- and reaktiven Erscheinungen und besonders der Dureh- musterung der Serien gesehen haben, stellt sich die Entwicklung der L/~ppchensklerose kurz zusammengefaBt folgendermaBen dar : Auf irgend- eine Sch/idigung bin zeigt sich uns als erste erkennbare Reaktion in den meisten F/~llen eine Erkrankung der Purkinjezellen, die die Glia dot Mole- kularschicht mit dem AufschieBen frischer Strauchwerke beantwortet, die in erster Linie dem fixen Transport tier Abbauprodukte dienen. Es kommt weiterhin zu einer fortschreitenden Liehtung der K6rner- schieht. Hand in Hand damit geht eine Wucherung der Bergmannschen Zellschicht, die dutch eine starke Gliafaserbildung reparatorisch in den ProzeB eingreift und die eigentliehe Sklerose des L/~ppehens nach sieh zieht. Die Molekularschicht schrumpft mehr und mehr zusammen (bis auf etwa ein Viertel ihrer normalen Breite), und gleichzeitig bilden sich die Strauchwerke zuriick, Purkinje- und K6rnerzellen verschwinden v611ig, so dab am SchluB der (infolge sekundi~rer Degeneration gleichfalls verschm/~lerte und sklerosierte) Markstrahl nut yon der 4 6sehiehtigen Lage yon Bergmaimzellen bekleidet ist, fiber tier die sehmale, zellarme und faserreiehe Molekularsehicht liegt: das Bild tier totalen Sklerose mit vSlligem Schwund dos funktionierenden Parenehyms. Dieser ProzeB kann auf jeder Stufe durch den Ted unterbrochen werden. Er kann aber auch ohne dies je nach Art und Dauer tier Sch/~digung auf irgend- einem friiheren Stadium stehen bleiben. Andererseits wird er in tier oben geschilderten Form nut dann ablaufen, wenn die Noxe nicht gar zu massiv war, denn) wie wit gesehen haben, ffihrt natfirlich eine plStzlich einsetzende, vSllige Absperrung der Zirktflation (Embolie) hier wie fiberall zur Nekrose, in welcher die Glia nicht mehr reaktionsfi~hig ist. In solchen F/~llen kommt es dann gelegentlich auch im Kleinhirn dazu, dab der Defekt spi~ter nicht mehr vollsti~ndig dutch Glia gedeckt wird, sondern dab Liicken im Gewebe persistieren. Wit sahen mehrere Bilder ausgesprochen alter Erweichung (Fehlen yon Gitterzellen), die diese ,,Liickenfeld- bfldung" zeigten, allerdings ganz wahllos veto Mark auf d ie 1%inde

Z. f. d. g. Neltr. 11. Psysch. 136. 38

Page 28: Beiträge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns

586 Hans-Joachim Scherer:

tibergreifend, nicht irgendwie an Schichten gebundeu, wie h~ufig in der Groi]hirnrinde (Abb. 19). Da es ira Kleinhirn derartige Schichten nicht gibt, ist das selbstverst/mdlich. Ein sehr eigenartiges Bild zeigte ein Fall yon Arteriosklerose. Hier bestand eine schwere, ziemlich gleichmiiBige Liippchenatrophie ausgedehnter Kleinhirnpartien. Das Mark dieser Partien war zugrunde gegangen und bildete einen einzigen groBen ,,Status spongiosus" (Abb. 20). Das Fettbild zeigte keine Spur yon Abbau. produkten mehr, w/~hrend das Holzerbflct (Abb. 21) eine ausgesprochen

2~bb, 19. L i i ckenb i ldung a ls Res t e iner a,lten E r w e i c h u n g . I n der U m g e b u n g L/~ppchen- skleroson, L/i, p p c h e n a t r o p h i e n u n d f leckfSrmigo K 6 r n e r l i c h t u n g e n . Lues eerebr i .

spongiSse Gliose im Mark zeigte. Die Rinde war, wie gesagt, in der fiblichen Weise sklerosiert. Eine Erkl/~rung dieses seltenen Bildes ist uns vorl/~ufig nicht mSglich.

Zum Schlu] seien noch einige Vergleiche gezogen zwischen den hier geschilderten Prozessen in der Kleinhirnrinde un4 entsprechenden Vorg/~ngen in der des GroBhirns. Gemeinsam ist beiden das Erhalten- bleiben ur~d die relativ scharfe Abgrenzung der Molekular- bzw. ersten Schicht, auch bei hochgradiger Atrophie der Hirnrinde; die ~ul]erste Schicht karm stark schrumpfen, ist abet immer deutlich und scharf be- grenzt erkennbar. Ein grundlegender Unterschied aber besteht in der weitaus besseren gli6sen Reparationsf/~higkeit 4er Kleinhirnrinde. Diese ist eben bedingt 4urch die eigenartige mehrschichtige Anordnung faser- bildender Gliazellen zwischen KSrner- un4 Molekularschicht, der gegen-

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Beitr~ge zur l~athologischen Anatomie des Kleinhirns. I. 587

Abb. 20. Eigenartiger ,,Status spongiosus" des Marks, Lhppchenatrophie der Rinde, Nisslbild.

Abb. 21. Der glelche FalI wle Abb. 20. tIolz~rbil4.

38*

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5 8 $ Hans -Joachim- Scherer:

fiber die Groghirnrinde niehts /~hnliehes aufzuweisen hat. Und ihr ver- dankt die Kleinhirnrinde die rascho Umwandlung in das Bild der L/ipp- ehensklerose mit Erhaltung der/iul~oren Form selbst bei offenbar raschem Parenehymuntergang, der in der Groghirnrinde das Bild des Status spon- giosus hervorruft. Es sei hier zur Beleuehtung der zeitliehen Momente daran erinnort, dal~ in dem yon Bodechtel besehriebenen Falle yon Ted naeh Lumbalan~sthesie sieh bereits 16 Tage naeh Einsetzen der Seh~di- guD.g L/ippehensklerosen fanden. Diese Tatsache beleuehtet eindrueks- yell die Bedeutung des ,,lokalen Faktors". Da0 andererseits das Tempo und die Intensit/~t des Prozesses den Ablauf der gewebliehen Reaktion mit entseheidet, zeigt uns die Tatsaehe, dab wir bei pl6tzliehem Gef/~g- versehlug im Kleinhirn genau dasselbe Bild der Erweiehung bekommen wie im GroBhirn, und daB, wie wit gesehon haben, in solehen F/illen aueh ausgesproehene Lfiekenfelder persistieren.

Lokalisation tier lokalen Kleinhirnrindenver~inderungen in bezug auf das Gesamtorgan.

Der 2. Toil dieser Arbeit befaBt sich mit der Frage, ob eine be- stimmte Lokalisation der im 1. Teil geschilderten Ver~nderungen in bezug auf das gesamte Kleinhirn mit einer gewissen Gesetzm/il~igkeit festzustellen isti Mit anderen Worten: ob bestimmte Kleinhirnpartien dutch eine bosondore Vulnorabilit/~t eharakterisiert sind, wie wit sie z. B. im Sommersehen Sektor des Ammonshorns kennen. Ffir diesen Fall ist es ja dureh die Untersuehungen der Spielmeyersehon Sehulo ge- lungen, in Besonderheiten dor Gef/tBversorgung eine Ursaehe tier hohen Vulnerabilit/it zu linden. Bei den anderon ,,vulnerablen" Stollen des Zentralnervensystems (z. B. den vulnerablon Systemen des Rfieken- markes), sind wit ja bisher fiber die Registrierung der Tatsaehe eben dieser Vulnorabilit/it kaum hinausgekommen und k6nnen eine irgendwie stieh- haltige Erkl/trung dieses Verhaltens nieht geben.

Ffir das Kleinhirn besteht eino ausgedehnte Literatur in bezug auf die Lokalisation angeboroner St6rungen im Sinno von Mil3bildungen, Entwieklungshemmungon, Heredodegenerationen usw. Dabei seheint eine Bevorzugung der neoeerobellaren Teile auger Zwoifel zu stehen (s. Brouwer 7, 8, Jalcob 16, Jelgersma 17 u.a.). So seheint kS, wie Brouwer betont, ein biologisehos Gesetz zu seir, dag das phylogenetisch Jfingere weniger widerstandsfiihig ist als das Alto. Wir haben uns in dieser Arbeit nicht mit don genuinen Atrophien des Kleinhirns zu befassen. Es ergibt sieh aber die Frage, ob die eben genannte Regel aueh ffir die uns inter- essierenden erworbenen lokalen Kleinhirnseh/idigungen Geltung besitzt. Das wird zwar vielfaeh aueh angenommen, ist aber in keiner Weise n/~her untersueht worden. Hier mfissen wir kurz die Frage berfihren, welehe Teile dos Cerebellums als phylogenetiseh Mt und jung zu golten

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Peitr/~ge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. I. 589

haben. Die alte Einteilung unterscheidet einfach zwischen dem phylo- genetisch alten unpaaren Warm und den neuen, durch Apposition ange- lagerten Hemisph/~ren. An Stelle dieses alten Schemas warden dann yon Bolk, Jngvar 15 u . a . kompliziertere longitudinale Einteilungen gesetzt. Auf Einzelheiten dieser Fragen brauchen wir hier nicht einzu- gehen. Nach Jakob steht es heute lest, dab die Kleinhirnentwicklang sich nicht durch einfache Apposition vollzogen hat, sondern dal3 auch Intussusceptionen verwickelter Art eine Rolle gespielt haben. Auf diese Weise erkl/irt es sich, dal~ auch der Wurm in seinem NIittelabschnitt phylogenetisch jfingere Bezirke in sich tr/~gt, w/Lhrend andererseits die vor dem Sulcus primarius gelegenen Bezirke der Hemisph/~ren pali~o- cerebellar sind, ebenso wie auch die Flocculi. Ffir unsere Untersuchungen genfigt es, wenn wir zwischen Wurm, Flocculi und vor dem Sulcus pri- marius gelegenen, pal~ocerebellaren Teilen der Hemisph/iren einerseits und dem ganzen iibrigen neocerebellaren Anteil andererseits unter- scheiden.

Man nahm dabei frfiher an, dab die Kleinhirnrinde cytoarchitektonisch und funktionell eine Einheit darstelle. Sp/iter ring man dann an, zun/~chst Unterschiede in der Funktion und in jfingster Zeit auch im Bau des Kleinhirns herauszuarbeiten. Auch dies ist ffir die uns hier besch/~ftigende Frage der Lokalisation im Hinblick auf die Pathoklisetheorie yon Be- deutung. Nun liegen allerdings bisher mit Sicherheit verwertbare Re- sultate in bezug auf funktionelle Unterschiede der einzelnen Teile noeh nicht vor. Diese Fragen sind offenbar noch ganz im FluB, und viele der bereits vorgenommenen Lokalisationen (besonders die ausgedehnten Untersuchungen Baranys) sind noeh immer umstritten (s. Goldstein xo). Sicher scheint nur zu sein, da$ die asymmetrischen Koordinationen in den Hemisph/iren, die symmetrischen im Warm lokalisiert sind (Bolk, Jelgersma). In bezug auf regionale Unterschiede im Bau sind die Arbeiten Jakobs zu erw/~hnen, nach denen sich Flocculus, unterer and oberer Warm yon dem fibrigen Kleinhirn (einschliel31ich Mittelwurm) myelo- architektonisch unterscheiden, eine Differenz also, die sich im wesent- lichen mit den phylogenetischen Unterschieden deckt. Ffir die Cyto- architektonik hat Landau 19, 2o darauf aufmerksam gemacht, dab die grol3en Sternzellen der K6rnerschicht aaBerordentlich ungleichm/~Big verteilt sind and dab sich hier bei genauerem Studium vielleicht wichtige Unterschiede ergeben wiirden. Die Gliaarchitektonik soll nach Schroeder im ganzen Kleinhirn einheitlich sein, and fiber vasoarchitektonische Unterschiede ist auch nichts bekannt. Somit scheinen die Unterschiede im Bau der Kleinhirnrinde verglichen mit denen des Grol3hirns doch relativ so geringffigig zu sein, dab wir nach wie vor berechtigt sind, yon einer weitgehenden Einheit zu sprechen.

Bei der groSen Rolle, die, wie wir gesehen haben, gerade vascul/~re Prozesse ftir die lokalen Kleinhirnerkrankungen spielen, ist na$firlich

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590 Hans-Joachim Scherer:

die Gefi~Bversorgung yon groBer Bedeutung ; ihr ist eine sehr umfangreiche und exakte Arbeit yon Tschernysche H und Grigorowski gewidmet. Auf diese Arbeit sei in bezug auf alle Einzelheiten verwiesen. Fiir uns ist die Feststellung wichtig, dab groBe und zahlreiche Variationen sowohl in Ursprung und Verlauf, als auch im Versorgungsbereich der groSen Ar- terien (Arteria cerebelli superior, inferior anterior, media und posterior) vorkommen. Die Arteria cerebelli inferior posterior entspringt dabei in 68,5~ der F/~lle nicht aus der Basilaris, sondern aus tier Vertebralis (sog. tiefer Ursprung). Ihr Versorgungsgebiet sind die hinteren, unteren Partien: Biventer, Gracilis, Semilunaris inferior und die hinteren Teile des Superior.

ScklieBlich kSnnte noch ein weiterer Punkt ffir eine besondere Vul- nerabilit/~t in Frage kommen, der fiir das Kleinhirn eine weit grSBere Rolle spielen dfirfte, als fiir das GroBhirn: n/~mlich die direkte oder in- direkte mechanische Sch/~digung, der einige seiner Teile ausgesetzt sein k6nnen. Als deutlichstes Beispiel sei daran erinnert, dab das Kleinhirn mit seiner Unterfl/~che bei raumbeengenden Prozessen in der Sch/~del- h6hle gegen das Foramen occipitale magnum, bzw. direkt in den Wirbel- kanal hineingepreBt werden kann. Seit der Beschreibung der ,,zapfen- fSrmigen Forts/itze" des Cerebellums in den Wirbelkanal hinein durch Chiari, Ophiils ~ u. a. hat dieser Gesichtspunkt viel Beachtung in der Literatur gefunden. Ophiils erhob dabei folgende wiehtige Feststellungen : das Kleinhirn ruht normalerweise nur mit den lateralen Partien seiner Unterfl~che auf dem Boden der hinteren Sehiidelgruppe ; diemedialenTeile schweben frei fiber einem zwischen Medulla oblongata und oberer Wand des Wirbelkanals gelegenem Hohlraum. Zur Zapfenbildung infolge Steigerung des intrakranialen Druckes kann es nur bei weitem Foramen occipitale kommen, das sehr variabel zu sein scheint. Auch sind die Forts~tze hie symmetrisch, sondern asymmetrisch doppelseitig oder einseitig. Diese groBe Variabilit/~t der Verh/~ltnisse ist natfirlich auch weitgehend zu berficksichtigen. Anton 1, 2 bezeichnet das menschliche Kleinhirn als eines der variabelsten Gehirnorgane. Strdiu[31er weist ferner darauf bin, dab die unteren Kleinhirnpartien durch die dauernden Druckschwankungen des Liquors bei Husten, Pressen und sehlieBlich jeder Bewegung immer getroffen werden und so durch diesen ,,Wellen- schlag" einem gewissen Reiz ausgesetzt sind. Und umgekehrt hat nach Anton wieder die normale Kleinhirnpulsation (die durch die seiner Ansicht nach h~ufige Synostose des Atlas mit dem Hinterhaupt behindert wird) im subtentoriellen Raum EinfluB auf die Auf- und Abw/irtsbewegung des Liquors im Wirbelkanal (Saugwirkung, Stopp); bei Beriicksichtigung dieser Verh/iltnisse k6nnte man daran den_ken, dab die unten liegenden Kleinhirateile einen Locus minoris resistentiae darstellen k6rmten.

Die wenigen Beobachtungen, die wit in der Literatur tiber bestimmte Lokalisationen lokaler Prozesse finden, seheinen in diesem Sinne zu spre-

Page 33: Beiträge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns

Beitrage zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. I. 591

then. So sagt Strdiufller, da$ die lokalen Kleinhirnseh/~digungen bei der Paralyse am st/~rksten an den Tonsillen und am Lobus biventer seien und erkl/~rt diese Lokalisation eben damit, dab die bei Paralyse h/~ufige Hirnsehwellung zu einem Druck dieser Teile gegen den Zentralkanal und damit zu ZirkulationsstSrungen fiihre, die fiir eine st/~rkere Erkrankung die giinstigen Bedingungen sehaffen. Takase gibt an, dal~ bei der Paralyse die KSrner am st/~rksten im Nodulus und Floeculus geseh/~digt seien (die Purkinjezellen allerdings mehr im Lobus semilu- naris). Tsehernysche]] und Grigorowski fanden endlieh bei 6 ihrer durch (arteriosklerotisch oder luiseh bedingten) Versehlu{~ grSl~erer Ge- f/~l~/~ste hervorgerufenen Herde diese 5mal im Gebiet cter Arteria cere- belli inferior posterior, also auch in den hinteren unteren Teilen.

Zur weiteren Untersuchung dieser Fragen wurden Kleinhirne in Sagittalscheiben zerlegt. Bei dieser Sehnittriehtung mul~ten vorhandene Strauehwerke bei der sagittalen Orientierung der Purkinjezelldendriten sieh am sehSnsten darstellen und au~erdem erschien die Bestimmung der Lokalisation pathologiseher Befunde bei dieser Schnittrichtung am ein- faehsten 1. Es wurden auf diese Weise in jedem Falle ein Medialsehnitt sowie mehrere doppelseitige, mediale und laterale Sagittalschnitte unter- sucht, die das Organ jeweils im ganzen antero-posterioren Durehmesser zeigten. Es sei ausdriieklich betont, da$ natiirlich auch diese Methode nur ein Notbehelf ist, und dal3 man aueh bei derartigen Untersuehungen lokale Ver/~nderungen iibersehen kann. Davor sehiitzt aber mit Sieherheit eben nur die fiir ein grol~es Material undurchfiihrbare Methode, das ganze Kleinhirn in Seriensehnitten zu untersuehen. Da sich aber, wie wir gesehen haben, aueh lokal umsehriebene L/~ppchensklerosen iiber ~ 6 mm auszuctehnen pflegen, so wird man bei Untersuehung mehrerer Sagittal- schnitte mit einer groBen Wahrscheinliehkeit derartige Ver/~nderungen zu Gesicht bekommen. AuBer den Gehirnen, die in dieser Weise (Tabelle 1) untersucht wurden (14, davon 3 ohne Befund, so dal~ wir nur 11 anfiihren kSnnen), bringen wir noeh die Lokalisation in 11 weiterenF/~llen (Tabelle 2), in denen das Kleinhirn zwar nicht so systematiseh untersueht war, wo aber ein oder mehrere vorhandene grol~e Schnitte eine sichere Lokali- sation der Vers erlaubten. Natiirlieh besteht hier eine hShere Wahrseheinliehkeit, dal~ gleiehzeitig in anderen Teilen vorhandene Ver- /~nderungen iibersehen wurden.

Was zeigen uns nun unsere Tabellen ? In erster Linie, d~$ yon irgendeiner Gesetzm@igkeit der Lokalisation, wie sie im Ammonshorn ohne weiteres deutlich ist, gar keine Rede sein kann. Schon bei einer so ge- ringen Zahl yon F/~llen trifft man in jedem Teil des Cerebellums lokale Ver/~nderungen. Dies ist aber such die einzige sichere Feststellung, die uns unsere F~lle erlauben. Denn um eine Bevorzugung bestimmter Teile nun

1 Wir verwenden dabei noch die alte Nomenklatur.

Page 34: Beiträge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns

592 Hans-Joachim Scherer:

5

6

7

8

9

10 11

Tabolle 1. Vollstdndig untersuchte FdUe.

Diagnose

Paxalyse Paralyse

Paxalyse

Epilepsie, genuin.

Epilepsie, genuin.

Epilepsie, genuin.

Epilepsie, sympt.

Epilepsie, sympt.

Arteriosklerose

Arteriosklerose Lumbalan~sthesie

Nr. des Fal les

88/28 98/28

96/28

2/28

123/28

128/28

9/28

99/28

95/28

86/28 2780i

Sitz der V e r a n d e r u n g

Wurm (Monticulus). Semilunaris inf. reehts

und links Peripher am ganzen

Kleinhirn, im Gra- cilis und Biventer auch zentral

Quadrangularis ant. u. post., vordererWurm, vorderer Semilunaris sup.

Semilunaris inf. rechts und links

Graeilis rechts

Quadrangularis

Quadrangularis ant. u. vorderer Wurm

Semilunaris sup., links lateral

Flocculus Semilunaxis sup. rechts,

Semilunaxis sup. und Quadrangulaxis links

A r t der Ver/~nderung

Strauchwerke Sklerosen und Atro-

phien Atrophie

Atrophie

Sklerose rechts, P.- Zellausfall links

Blutung mit Glia- wucherung

Sklerosen, Strauch- werke

KSrnerlichtung, P.- Zellen erhalten

Sklerose

Atrophie Sklerosen und dichte

Strauchwerke

statistisch zahlenmgBig festzulegen, wgre eine systematische Untersuchung yon Hunderten yon Fgllen erforderlich. Wir k6nnen nut mit Vorbehalt noch gewisse Schlfisse aus unserem Material im Hinblick auf die oben genannten Theorien ziehen. So fgllt bei Berficksichtigung des Dogmas yon der erh6hten Vulnerabilit/~t des Neocerebellums auf, dab von unseren 11 systematisch untersuchten F/~llen 3 Ver/inderungen im Wurm und 1 im Flocculus zeigten. Ftir die yon an4eren Autoren gelegentlich festgestellte und auch yon uns aus den oben dargelegten Griinden erwartete Bevor- zugung der unteren hinteren Kleinhirnpartien gibt unser Material keinerlei Hinweise; eine Ausrechnung der verschiedenen Hgufigkeiten in Pro- zenten unterlassen wir absichtlich, da sie bei einer so kleinen Zahl yon F~llen natiirlich gar keinen Sinn hat. Nur bei sehr gro~em Material sind genaue, mit Sicherheit verwertbare Zahlen zu erhalten. Da es uns aber nicht darauf ankam, festzustellen, ob die Vergnderungen in diesem oder jenem Tell um einige Prozent h~ufiger sind als im anderen, sondern das Vorliegen einer gesetzmdfligen Lokalisation an bestimmten Stellen zu bejahen oder zu negieren, so geniigt unser Material ffir unsere Frage- stellung. Es erlaubt uns die Feststellung, daft eine elektive Vulnerabili~t bestimmter Kleinhirnpartien im aUgemeinen nicht besteht. Die Sch/idigungen lokalisieren sich ganz ,,wahllos", d .h . wir k6nnen die Konstellation der offenbar sehr zahlreichen Faktoren, die die jeweilige Lokalisation

Page 35: Beiträge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns

Beitr~ge zur pathologisehen Anatomie des Kleinhirns. L 593

Tabelle 2. Fdille m6glicher Lokalisation, in denen nicht das 9anze Kleinhirn untersucht wurde.

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4

5

6

7

8 9

10 11

Diagnose Nr. des Falles Sitz der VerRnderung Art der VerRnderung

Paralyse Paralyse

125/3o 167/30

Epflepsie 339/29

Arteriosklerose 74/28

Arteriosklerose, Menin- 198/29 gitis pur.

Meningitis pur. 249/29

Pernizifse An~,mie 342/29

Pernizifse An~mie 293]29 Encephalitis 1171 Multiple Sklerose 2225 Arteriosklerose 118/30

Semilunaris sup. Semflunaris inf. peri.

pher, Quadrangularis zentral

Quadrangularis ant.

Semilunaris sup., inf., Quadrangularis post.

Biventer

Semilunaris sup. und inf.

Biventer

Semilunaris sup. Quadrangularis Semilunaris sup. Semilunaris inf.

Atrophien Atrophien

Strauchwerke mit Leukocyten

Sklerosen

Sklerosen

Atypische Glia- wucherung

K6rnerlichtung, Gliawucherung

K6rnerliehtung Strauchwerke Sklerose Sklerosen

bedingen, nicht iibersehen. Damit soll natiirlich nieht gesagt werden, dab in bestimmten, giinstig gelagerten F/~llen der Sitz einer Ver/~nderung nicht erkl~rbar sein k6nnte. Wenn wir z. B. bei einem Tumor mit intra- eerebraler Drucksteigerung eine L/~ppchenatrophie in den hinteren, unten gelegenen Abschnitten linden, so wird uns das im Hinbliek auf die oben geschilderten Verh/~ltnisse erkl~rlich erscheinen. Aber eine eigentliche Vulnerabilit/~t bestimmter Kleinhirnteile im Sinne einer im Bau des Organs begriindeten, yon der ~tiologie unabh/~ngigen Neigung zu Er- krankungen, besteht jedenfalls nicht. Eine andere Frage ist es, ob das Kleinhirn in seiner Gesamtheit ein besonders vulnerabler Gehirnteil ist. Die Bejahung dieser Frage liegt sehr nahe da, wie wir gesehen haben, Kleinhirnschadigungen eminent haufig sin& Andererseits lieBen uns die oben besprochenen Momente eine solche besondere Empfindlichkeit des Cerebellums leicht erklarIich erscheinen. Trotzdem m6chten wir mit der positiven Beantwortung dieser Frage sehr zurfickhaltend sein, denn wir miissen bedenken, da~ wir selbst bei Untersuchung nur eines mittelgro2en Kleinhirnschnittes relativ viel mehr yon dem Gesamt- organ zu sehen bekommen, als bei der fiblichen Untersuchung des GroB- hirns am einigen gleich gro~en Schnitten. Mit anderen Worten: wenn wit im Kleinhirn viel haufiger Veranderungen finden, als im GroShirn, so kann diese scheinbare Haufigkeit in Wirklichkeit dadurch bedingt sein, dab wir eben das viel kleinere Cerebellum relativ genauer untersuchen, als das GroBhirn. Wir wollen die MSglichkeit einer besonderen Emp- findlichkeit des Kleinhirns keineswegs in Abrede stellen, sondern neigen im Gegenteil dazu, sie anzunehmen ; aber mit Sieherheit beweisen k6nnen wit sie vorl~ufig noeh nieht.

Page 36: Beiträge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns

594 Hans.Joachim Scherer:

Schlufl.

Eine Zusammenfassung unserer Ergebnisse in der fiblichen Form kann aus naheliegenden Grfinden nicht gegeben werden. Deshalb soil nut noch in grol]en Zfigen hier zusammengestellt werden, welchen Zweck diese Arbeit verfolgte und welche allgemeinen Sctdfisse wir daraus ziehen k6nnen. Es sollte durch Untersuchung eines grSl]eren Materials festgestellt werden, bei welchen Erkrankungen wir fiberhaupt lokale Kleinhirnvergnderungen finden, ob diese hitufig sind, ob sich irgendwelche ~tiologischen Schlfisse aus dem morphologischen Bil4 ziehen lassen, was uns ein so grol~es Material fiber die pathogenetischen Fragen lehrt und ob sich Gesetzmi~l~igkeiten in der Lokalisation ergeben.

Wir haben gesehen, dab die Erkrankungen der Kleirfftirnrinde auBer- ordentlich h~ufig sind, bei fast allen Krarddaeiten vorkommen k6nnen, und dal3 yon irgendwelchen ~tiologisch spezifischen Bildern fiberhaupt keine Rede sein kann. Die Pathogenese wurde gegliedert nach Ausfall, reaktiven Ver~nderungen und Endzust~nden art Hand zahlreicher einzelner Bilder ohne Rficksicht auf die Atiologie besprochen. Die Untersuchung der Lokalisation ergab eindeutig, dal~ eine ausgesprochene Vulnerabilitiit irgendeines Kleinhirnabschnittes, die zu einer gesetzmiil]igen Lokalisation umschriebener Schgdigungen ffihrt, nicht vorliegt.

Zuletzt sei nochmals betont, dab die Konstruktion eines Zusammen- hanges zwischen klinischen Symptomen urtd den yon uns geschflderten Kleinhirnerkrankungen lokalen Charakters absolut unbegrfindet ist. Das geht aus einer sehr grol~en Zahl yon F~ilen, die klinisch keine Sym- ptome cerebellarer Erkrankung 1 boten, zweifellos hervor; undes erscheint bei der Kleimheit der Veriinderungen gegenfiber der GrSBe des Gesamt- organs und seiner offenbar weitgehend einheitlichen Funktion fast selbst- verst~ndlich.

Literaturverzeiehnis. 1 Anton: ~ber Ersatz der Bewegungsleistungen beim Menschen und Entwi.c. klungs-

st6rungen des Kleinhirns. Dtseh. Z. Nervenheilk. 77 (1923). -- 2 Anton: Uber die Bedeutung der Syaostose des crsten ttalswirbels mit dem Hinterhaupt bei Epilepsien. Dtseh. Z. Nervenheilk. 89 (1926). -- 3 Bgriel: Die sog. ,,~uBere K6rnerschicht" ( Vogt u. Astwazaturow) in acquirierten Kleinhirnerkrankungen. Arch. f. Psychiatr. 51 (1913). -- 4 Bodechtel, G. : Befunde am Zentralnervcnsystem bci Sp/~tnarkose- todesf~llen und bei Todesfgllen naeh Lumbalan~sthesie. Z. Neur. 117 (1928). -- 5 Bodechtel, G.: Zur Topik der Ammonshornseh/~digung. Z. Neur. 123 (1930). -- e Bodechtel, G. u. A. Opalski: Gef~flbedingte Herde bei der tuberkul6sen Meningitis. Z. Neur. 125 (1930). -- 7 Brouwer, B.: ~ber Hemiatrophia neocerebellaris. Arch. f. Psychiatr. 51, 3 (1913). -- s Brouwer, B.: Beitrag zur Kenntnis der chronischen

1 Allerdings ist zu berficksichtigen, dab eventuell vorhandene Symptome von Kleinhirnsch~digungen, die im Yerlauf yon Allgemeinerkrankungen auftreten, in dem allgemcinen sehweren Krankheitsbild leicht untergehen und so iibersehen werden k6nnen.

Page 37: Beiträge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns

Beitr~ge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. I. 595

diffusen Kleinhirnerkrankung. Neur. Zbl. 88 (1919). -- 9 Casper: Toxisehe Kleinhirn- atrophie bei Brustkrebs. Zbl. Neut. 53, 854 (1929). - - 10 Goldstein: Das Kleinhirn. Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie yon Bethe und Embden, Bd. 10. 1927. -- 11 Hanon, Julio L.: Die Kleinllirnsklerose bei Erwachsenen. Rev. otol. etc. yCir . neur. (span.) 1, 5 (1927). Ref. Zbl. Neur. 49, 776. - - 12 Hanon, JulioL.: Die lamell~re Sklerose des Kleinhirns. Semana m~d. 85, 3 (1928) (span.). Ref. Zbl. Neur. 52, 95. -- 13 Hensehen, F.: SerSse Cyste des Kleinhirns. Z. klin. Med. 63 (1907). - - 11 Huber, W.: Partielle und generalisierte Kleinhirnsklerosen. J . f . Psychiatr . 37 (1929). -- 15 Ingvar: Beitrag zur Kenntnis der Lokalisation im Klein- h im. Psychiatr . B1. (holl.) Festbandel 1918. -- le Jakob, A.: Das Kleinhirn. Hand- buch der mikroskopischen Anatomie des Menschen yon M6llendor], Bd. 4. 1928. -- 17 Jelgersma, G.: Die Funkt ion des Kleinhirns. J . f . Psychiatr . 28 (1918). - - 18 Ke. siunaitg, D.: Quelques mots sur la s t ructure de la couche granuleuse du cervelet. Bull. Histol. appl. 7 (1930). Ref. Zbl. Neur. 57, 511. - - 19 Landau, E.: Beitrag zur Kenntnis der KSrnerschiehtdesKleinhirns. Anat. Anz. 62 (1926/27). -- 3~ E.: ~ b e r cytoarchitektonische Unterschiede in der KSrnerschicht des Kleinhirns. Z. Anat. 87 (1928). -- 31 v. Lehoezky: Zwei Falle yon Angioma racemosum im Klein- hirn, zugleich ein Beitrag zur exogenen Kleinhirnatrophie. Virchows Arch. 250 (1924). -- 23 Liebers, M.: l~ber Kleinhirnatrophien bei Epilepsie nach epileptischen Krampfanf~llen. Z. Neur. 113 (1928). -- 33 Li~thy, J.: Rindenatrophien des Klein- hirns im sp~teren Alter. Zbl. Neur. 57, 319 (1930). -- ~4 Meyer, A.: ~ b e r die Wirkung der Kohlenoxydvergif tung auf das Zentralnervensystem. Z. Neur. 10O (1926). -- 36 Mi~ller, G. : Zur Frage der Altersbest immung yon histologisehen Ver~ndertmgen im Zentralnervensystem. Z. ~%ur. 124 (1930). -- 23 Ophi~ls: Zur _~tiologie der zapfenfSrmigen Forts~tze am Kleinhirn. Virehows Arch. 151 (1898). -- 37 Sagel, W.: Zur histologischen Analyse des Gliastrauchwerkes der Kleinhirnrinde. Z. Neur. 71 (1924). -- 33 Schroeder, .4. H.: Die Gliaarchitektonik des menschliehen Klein- hirns. J . f . Psychiatr . 38 (1929). -- ~9 Schuster: Die im hSheren Lebensalter vorkom- menden Kleinhirnerkrankungen. Z. Neur. 91 (1924). -- 33 Schweiger, L.: Zur Kennt- his der Kleinhirnsklerose. Arb. neur. Inst . Wien 13 (1906). - - 31 Sittig, 0.: ~ b e r Gliastrauchwerk und andere Ver~nderungen bei einem Fall yon t raumat ischer Epilepsie nach Kopfschu~. Z. Neur. ~8 (1920). -- 3~ Spatz: Encephalitis. Hand- buch der Geisteskrankheiten yon Bu~nlce. Bd. 7. 1930. -- 33 Spiegel u. Sommer: ~ b e r die histologischen Ver~nderungen des Kleinhirns im normalen Senium. Arb. neut . Inst . Wien 22 (1917). -- 84 Spielmeyer, W.: Die zentralen Ver~nderungen beim Fleckfieber und ihre Bedcutung fiir die Histopathologie der Hirnrinde. Z. Neur. 47 (1919). -- 33 Spielmeyer, W.: ~ b e r einige Beziehungen zwischcn Ganglienzell- ver~nderungen und gliSsen Erseheinungen, besonders am Kleinhirn. Z. lqeur. 54(1920). -- 33Spielmeyer, W.: Histopathologie des Nervensystems. Berlin 1922. -- 3~ Storch: ~ b e r die pathologisch-anatomischen Vorg~age am Stiitzgerfist des Zentral- nervensystems. Virchows Arch. 157 (1899). -- 33 Strgu[31er: Die histopathologischen Ver~nderungen des Kleinhirns bei der progressiven Paralyse mit Beriicksiehtigung des klinisehen Verlaufs und der Differentialdiagnose. Jb. Psyehiatr . 27 (1906). - - 39 Tal~ase, Kiyoshi: Zur Pathologie des Kleinhirns bei progressiver Paralyse. Arb. neur. Inst . Wien 26 (1924). -- ao Tendeloo: Allgemeine Pathologie. Berlin 1925. -- al Tschernysche]], A. u. I. Grigorowski: ~ b e r die arterielle Versorgung des Klein- hirns. Arch. f. Psychiatr . 89 (1930); 92 (1930). -- as Uehimura: ~ b e r die GefM3- versorgung des Ammonshorns. Z. Neur. 112 (1928). - - a~ Uehi~nnra: ~ b e r die Blutversorgung der Kleinhirurinde. Z. Neur. 120 (1929). -- 4~ Villaverde, Jos$ Maria de: L~sions du cervelet dans l ' intoxication par le plomb. Tray. Labor. Recher. Biol. Madrid 25, I (1927). l~ef. Zbl. ~/eur. 51, 16. - - 45 Vogt, H. u. M. Astwazaturow: ~ b e r angeborene Kleinhirnerkrankungen. Arch. f. Psychiatr . 49 (1912).