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589 Bemerkungen fiber die Vermehrung der Blut- k6rperchen an hochgelegenen Orten. Von A. ]Fick~ Wiirzburg. Durch die tibereinstimmenden Ergebnisse der Beobachtungen verschiedener Forscher ist die merkwtirdige Thatsache tiber allen Zweifel festgestellt, dass durch den Aufenthalt an hoch iiber dem Meeresspiegel gelegenen Orten der Gehalt des Blutes an rothen Kiirperchen uud an Hiimoglobin sehr merklich gesteigert wird. Im Originale liegt mir nut die Arbeit F. Egger's 1) vor. Von den Untersuchungen, die V i a u It iu Stidamerika und in Frankreich, und die A. Mtintz ebenfalls in Frankreich angestellt hat, habe ich nur soweit Kenntniss, als sie bei Egger citirt sind. Egger hat seine Untersuchungen in A ro s a (Kanton Graubtinden 1800 Meter tiber dem Meeresspiegel) angestellt. Er land, dass sich schon nach 14tagigem Aufenthalte in Arosa bei einer Anzahl yon Personen, die aus dem Tieflande gekommen waren, die Zahl der BlutkSrperchen im mm 3 yon durchschnittlich 5,4 auf durchschnittlich 6,29 Millionen gesteigert hatte. Er beobachtete ausserdem, dass die durchschnittliche Zahl der rothen BlutkSrper im mm 3 bei den Eingeborenen yon Arosa fund 7 Millionen betr~gt, also den Durchschnitt bei den Tieflandsbe- wohnern sehr erheblich iibersteigt. Auch an Kaninchen wurden Versuche mit ganz gleichem Ergebnisse angestellt. Bei den Thier- versuchen wurde ausserdem festgestellt, dass die Zunahme der KSrperchenzahl nicht etwa auf Eindickung des Blutes beruhe, und es wurde auch eine Zunahme des Hiimoglobingehaltes erwiesen. Als Ursache der Erseheinung betrachtet Egg e r -- und wohl mit Reeht--den Untersehied zwischen der Sauerstoffspannung der Lungenalveolenluft im Tieflande und auf der Hiihe. bTach einer in der Abhandlung angegebenen Schatzung Miescher's soll die 1) Verhandlungen des Congresses fiir innere Medicin. Wiesbaden. 1893.

Bemerkungen über die Vermehrung der Blutkörperchen an hochgelegenen Orten

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Page 1: Bemerkungen über die Vermehrung der Blutkörperchen an hochgelegenen Orten

589

B e m e r k u n g e n f i b e r d ie V e r m e h r u n g d e r B l u t -

k 6 r p e r c h e n a n h o c h g e l e g e n e n O r t e n .

Von

A. ]Fick~ Wiirzburg.

Durch die tibereinstimmenden Ergebnisse der Beobachtungen verschiedener Forscher ist die merkwtirdige Thatsache tiber allen Zweifel festgestellt, dass durch den Aufenthalt an hoch iiber dem Meeresspiegel gelegenen Orten der Gehalt des Blutes an rothen Kiirperchen uud an Hiimoglobin sehr merklich gesteigert wird. Im Originale liegt mir nut die Arbeit F. Egge r ' s 1) vor. Von den Untersuchungen, die V i a u It iu Stidamerika und in Frankreich, und die A. Mtintz ebenfalls in Frankreich angestellt hat, habe ich nur soweit Kenntniss, als sie bei E g g e r citirt sind. E g g e r hat seine Untersuchungen in A ro s a (Kanton Graubtinden 1800 Meter tiber dem Meeresspiegel) angestellt. Er land, dass sich schon nach 14tagigem Aufenthalte in Arosa bei einer Anzahl yon Personen, die aus dem Tieflande gekommen waren, die Zahl der BlutkSrperchen im mm 3 yon durchschnittlich 5,4 auf durchschnittlich 6,29 Millionen gesteigert hatte. Er beobachtete ausserdem, dass die durchschnittliche Zahl der rothen BlutkSrper im mm 3 bei den Eingeborenen yon Arosa fund 7 Millionen betr~gt, also den Durchschnitt bei den Tieflandsbe- wohnern sehr erheblich iibersteigt. Auch an Kaninchen wurden Versuche mit ganz gleichem Ergebnisse angestellt. Bei den Thier- versuchen wurde ausserdem festgestellt, dass die Zunahme der KSrperchenzahl nicht etwa auf Eindickung des Blutes beruhe, und es wurde auch eine Zunahme des Hiimoglobingehaltes erwiesen.

Als Ursache der Erseheinung betrachtet Egg e r - - und wohl mit Reeht - -den Untersehied zwischen der Sauerstoffspannung der Lungenalveolenluft im Tieflande und auf der Hiihe. bTach einer in der Abhandlung angegebenen Schatzung M i e s c h e r ' s soll die

1) Verhandlungen des Congresses fiir innere Medicin. Wiesbaden. 1893.

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590 A. F i ck :

Sauerstoffspannung der Lungenluft in Basel beim mittleren Baro- meterstande yon 738 mm etwa 99,1 mm Queeksilber betragen, in Arosa bei mittlerem Barometerstande yon 606 mm nut 71,7 mm.

Es ware in der That eine h~ichst zweekmiissige Einrichtung des Organismus, wenn Erniedrigung der Sauerstoftspannung in der Lungenlnft eine Vermehrung des H~moglobingehaltes zur Folge hiitte, denn das hi~moglobinreichere Blur wfirde eben aus der dtinneren Sauerstoftatmosph~re ohne sonstige Veranstaltungen in der Zeiteinheit ebenso viel Sauerstoft absorbiren kiinnen, als das hi~moglobiniirmere aus der diehteren.

E g g e r scheint es nun fUr selbstverstiindlieh zu halten, dass die Steigerung der Blutkiirperchenzahl durch eine Steigerung der Thiitigkeit des hiimatopo~tisehen Apparates, also beim erwaehsenen Mensehen des rothen Knochenmarkes bedingt sei. Er hebt es als sehr merkwUrdig hervor, dass eben zuniichst d i e s e r Apparat auf die Er- sehwerung der Arterialisirung des Blutes reagire und ,,nicht das Athemcentrum, welches man sonst ftlr alle F~tlle gestiirten Gas- austausches als das empfindliehste Reagens auf Venosit~t des Blutes betrachtete". In der That wird niimlich weder die Zahl noch die Tiefe dcr Athemztige durch Versetzung des Kiirpers an einen hiiher gelegenen Ort merklich vermehrt.

Mir scheint nun die Annahme E g g e r ' s , dass die Vermeh- rung der BlutkiSrperzahl auf hoch gelegenen Orten durch Vermeh- rung der bTeubildung yon Blutkiirperchen mit anderen Worten durch intensivere Th~tigkeit des rothen Knochenmarkes, bedingt sei, keineswegs selbstverstandlich. Mir scheint, dass uns noch ein anderer Weg der Erkl~rung often steht. Bei der grossen Wichtig- keit des Gegenstandes erlaube ich mir, diese andere M~glichkeit hier zu entwickeln und zur Diskussion zu stellen, obgleieh ich nicht in der Lage bin das thatsiichliche Material dutch eigene Be- obaehtungen zu bereichern. Ich schicke noch ausdrtickiich die Be- merkung voraus, dass ich keineswegs die sogleieh zu entwiekelnde Hypothese ffir wesentlich wahrscheinlicher halte als die andere, aber in Betracht sollte sie doch gezogen werdeu.

Stellen wit uns den K~rper und das Blur insbcsondere in einem stationi~ren Erniihrungszustande vor, dann mUssen t@lich ebenso viele Blutki~rperchen zu Grunde gehen, als neu gebildet werden. Ihre Zahl sei n. Es sei ferner m die durchschnitt- liche Lebensdauer eines Blutkiirperchens in Tagen. Dann ist often-

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Bemerkungen fiber die Vermehrung der BlutkSrperchen etc. 591

bar n X m die sich constant haltende Anzahl der BlutkSrperchen im ganzen Kiirper.

Der angenommene Beharrungszustand und damit die Gesammt- zahl der in jedem Augenblicka vorhandanen BlutkSrperchan kann nun auf verschiedene Art verandert werden, namlich durch Ver- andarung das ainen oder des anderen Faktors des Produktes n X m oder endlich durch Ver~inderung haidar Faktoren. E g g e r halt es ftir selbstverstandlich, dass die Vermehrung des BlutkSrperchen- bcstandes dutch VargrSsserung des Faktors n hervorgebracht werden mtissa, sie kann aber offenbar auch hervorgebracht werdan dutch VergrSsserung des Faktors m, d. h. dutch Verlangerung der Lebensdaaer des einzelnen BlutkSrperchens.

Sollte uicht gerade diesa zweita Annahme atwas Ansprechen- des haben? In der That ware as ja wohl begreifiich, dass die BlutkSrperchen bai der langsameren Sauarstoffaufnahme aus einer an Sauerstoff armeran Atmosphare mehr geschont werden. Bei dieser Annahme hatten wir as zu thun mit einer ganz u n m i t t e l - b a r e n Wirkung der Sauerstoffverdiinnung in der Lunge an Ort und Stelle, bei der anderen Annahme mit einer an einem ent- fcrnten Orte ausgetibten Wirkung, die jedesfalls durch ganz un- tiberschbare Zwischanglieder vermittelt sein mtisste.

In der Arbeit yon E g g e r ist freilieh eine Thatsache ange- geben, die sich mit der soeben ausgesprochenen Annahme nicht zu vertragen scheint, wanigstens nicht ohna eine besondere Hilfs- annahme. Es ist die Thatsache, dass das Wachsthum des Hamo~ globingahaltes hinter dem Wachsthume der Blutk(irperchenzahl zunachst merkliah zurtickbleibt undes, soweit E g g a r ' s Beob- achtungen gehen, aueh spater nicht erreicht. Wenn die Blutkiirper- chenzahl (n Xm)wachst durch l~ingere Labensdauer des einzelnen BlutkSrperchens, dann mtisste -- so scheint es -- der Hamoglobin- gehalt stets der Zahl der KSrperchen proportional bleiben. Wie man leieht sieht, liessa sich aber das Zurtickbleiben des Hamoglo- bingehaltes hinter der Vermahrung der Zahl mit der in Rede stehen- den Annahme doch wohl vereinigen, wenn man die weitere An- nahme machte, dass in der zur frtiheren Lebensdauer hinzug'eftigten Zeit die Blutk(irperchen etwas yon ihrem Hamoglobingehalte ein- btissten und dass diesa Hamoglobinmenge auch immar sogleich aus dem Blute herausginge. Da nach den yon E g g e r mitgetheilten Thatsachen das Zurtickblaiben der Hamoglobinmenge in der ersten

E. Pflfiger, hrchiv f f r Physiologie. Bd, 60. 38

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592 A. Fick: Bemerkungen tiber die Ve,'n~ehr,~ng der Blutk~irperchen etc

Zeit besonders stark hervortritt, miisste man cben noch wetter annehmen, dass die gedachte Wirkung gerade in der ersten Zeit verminderter Sauerstoffspannung besonders stark w~re.

Es ist fiir eine Hypothese immer eiu sehr misslicher Umstand, wenn sic zur Erkl~rung verschiedener Einzelheiten immer noch durch besondere Hilfsannahmen ad hoc erg~tnzt werden muss.

Von diesem Uebelstand ist abet die Hypothesc Eg g c r ' s auch nicht fret, denn wenn s ie das Zurtickbleiben des Hiimog'lobingehalfes hinter der 'Blutkiirperchenzahl erklaren sell, so muss eben auch eine Hilfsannahme gemacht werden, namlich die, dass die mehr erzeugten BlutkSrperchen h~imoglobinih'mer- etwa z. B. k l e i n e r - w~tren als die bis zur Minderung der Sauerstoffspanuuug erzeugten, und dass dicse Verschiedenheit anch zu Aufang am stitrksten her- vortr~ite.

Schliesslich will ich noch darauf aufmerksam machen, dass es einen Weg gibt, zwischen den beiden Annahmen tiber die Ursache der Vermehrung der BlutkSrpercheu und des Hiimog'lobins experimentell zu entscheiden.

Auf die Mange des t~iglich zerstiirten, mithin bet station:~i~rem Erniihrungszustande taglich auch neugebildeten H:,tmoglohins liisst sich ein Schluss ziehen aus der Meng'e des t~glich ausgeschiedencn Gallenfarhstoffes. Beruht also die Vermehrung der Blutk(irperchen auf Mehrung der tiiglichen P r o d u c t i o n , so mtisstc ein Thief an dem hochgelegenen Orte t:,iglich mehr Gallenfarbstoff liefern als im Tiefiande. Beruht abet die Mehruug der Zahl auf Verliingerung der Lehensdauer, so mt|sste die t~igliche Gallenfarbstoffmenge auf der Hiihe dieselbe bleiben wie im Tiefiande. Freilich ist wenig" Aussicht vorhanden, auf diesem Wege einc ~ichere Entschcidung' herbeizufiihreu, da die quantitative Bestimmung des Gallenfarb- stoffes schwerlich mit hinlitnglieher Genauigkeit ausfiihrbar ist.