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Vorlesung Entwicklungspsychologie I Frühe Eltern-Kind- Interaktion, Bindungstheorie J. Gowert Masche 17.05.2006

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Vorlesung Entwicklungspsychologie IFrühe Eltern-Kind-Interaktion,

Bindungstheorie

J. Gowert Masche17.05.2006

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Organisatorisches

Prüfungsvorbesprechung Diplomstudiengang Psychologie: Montag, 22.05., 13:00 Uhr s.t., Dekanatssaal

Zugang zu Vorlesungsmaterialien: http://web.uni-marburg.de/psychologie Lehre/Veranstaltungen Dokus zu Lehrveranstaltungen PD Dr. Jan Gowert Masche Benutzername: „mr04stud“, Kennwort: „philipp“

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Erratum: Reizleitung im Neuron

Signalaufnahme

Übertragung annächste Nerven-zelle

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Laufenlernen• körperliche Voraussetzungen: veränderte

Proportionen, beweglichere Gelenke, Muskelkraft, Balance, Integration von Informationen aus Gleichgewichtssinn und aus eigenen Bewegungen

• Problem, wie man zu einem Ziel kommt, anfänglich sehr unterschiedlich gelöst, späteres Laufen dagegen sehr ähnlich. wohl mehr Problemlösen als reiner Reifungsvorgang

• Entwicklungsaufgabe: Babies, die das Laufenlernen früh bewältigten, in der Regel unternehmungslustiger und weniger ängstlich

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Semesterüberblick26.04.: Grundbegriffe der Entwicklungspsychologie10.05.: Vorgeburtliche Entwicklung, Entwicklung von

Wahrnehmung und Psychomotorik17.05.: Frühe Eltern-Kind-Interaktion, Bindungstheorie24.05.: Soziale Kognition31.05.: Kognitive Entwicklung nach Jean Piaget07.06.: Begriffliches Wissen, Problemlösen14.06.: Lerntheorien21.06.: Motivation, Emotion, Handlungsregulation05.07.: Entwicklung unter ökologischer Perspektive12.07.: Familienentwicklung19.07.: „Zurück zur Natur“: Biologische

Entwicklungsgrundlagen

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17.05.: Frühe Eltern-Kind-Interaktion, Bindungstheorie

• Frühe vokale Kommunikation• Weitere Aspekte früher Kommunikation• Film!• Unterschiede in Kommunikation und

Bindung

Literatur zu heute: Teile von Kapitel 5 sowie weitere Texte, die nicht Prüfungsliteratur sind.

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Frühe vokale Kommunikation

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Typische Signale mit 0;2

SchreienZeit

Frequenz

Intensität

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Typische Signale mit 0;2

Schreien

Wohlbehagen

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Typische Signale mit 0;2

Schreien

Wohlbehagen Missbehagen

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Typische Signale mit 0;2

Schreien

Wohlbehagen Missbehagen

Freudenschrei

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Typische Signale mit 0;2

Freudenschrei Wohlbehagen neutral Missbehagen Schreien

Niedrigste Frequenz wenig unterschiedlichSignal umso länger, je erregterHöchste Grundfrequenz umso höher, je erregterOberton mit größter Amplitude ebenfalls umso höher, je erregter,

Obertöne bei negativem Affekt lauter

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Verstehen „die Großen“?

• Zuverlässige Unterscheidung der Signale durch Mütter aus Deutschland, USA und China; deutsche Väter, Mütter von Neugeborenen mit älteren Kindern, Sprachtherapeuten.

• Erstmütter von Neugeborenen und 8-jährige Kinder missinterpretierten öfter Freudenschreie als Schreien.

Offenbar angeborenes Programm + Erfahrung.

• Reizspezifische, kulturell universelle Reaktionen, auch emotional.

• Einzelne Mütter reagierten jedoch auf alle Reize ähnlich; vermutlich zu sehr von eigenen Ängsten/Ablehnung negativer Lautäußerungen bestimmt.

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Wie reagieren Mütter?• “Motherese” („Ammensprache“): kurz, langsam; hohe Töne,

mit großer Variationsbreite; vereinfachte und sich wiederholende Intonationskonturen.

• Reaktionen zielen auf Regulation der Erregung des Kindes: Ermuntern, Beruhigen usw.

• Typische Intonationskonturen, z. B. am Ende ansteigende Intonation zur Ermunterung, am Ende abfallende Intonation zur Beruhigung, Bestätigung, Missbilligung.

• Feine Unterschiede: Missbilligung/Warnung kürzer und höher als Bestätigung.

• Grundmuster in verschiedenen Kulturen gleich, obwohl z. B. im chinesischen Mandarin sprachlich falsch.

• Unterschiede: In USA melodischer; individuelle Nuancen.

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Verstehen „die Kleinen“?• Säuglinge sahen auf Porträtfotos und erhielten Stimmen

gleicher Lautstärke und Frequenzbereich vorgespielt, aber unterschiedlich in Länge, Intonationskontur und relativer Energie in unterschiedlichen Frequenzbereichen.

Längeres Schauen auf Foto bei ermunternder Äußerung, kürzeres Schauen bei missbilligender Äußerung, kein Effekt von rückwärts abgespielten Äußerungen.

Erstaunliche, intuitive Abstimmung der Erwachsenenäußerungen und der kommunikativen Kompetenz der Säuglinge

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Weitere Aspekte früher Kommunikation

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„Schloss und Schlüssel“ von Eltern und Kind (1)

• Auf Kommunikation „angelegt“:– Bereits mit 0;2 Bevorzugung bewegter Gesichter– In „still-face“-Situation eigene Aktivität: Blickkontakt, Vokalisieren,

Lächeln, Bewegungen– Irritiert bei ausbleibender oder zeitversetzter Reaktion (Video-

manipuliert)

• Soziales Lächeln– ab 5-8 Wochen nach erwartetem Geburtstermin, Höhepunkt 0;3-

0;4– Wiederlächeln: „volles Lächeln mit offenem Mund und

leuchtenden Augen“ (Rauh, 2002, S. 157)– Reaktion auf Stimme, später Gesicht, dann bewegtes Gesicht

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„Schloss und Schlüssel“ von Eltern und Kind (2)

• Intuitives Elternverhalten– motherese (siehe voriger Abschnitt der Vorlesung)– optimaler Abstand von 25 cm– Reaktion nach 0,2-0,6 sek: Augengruß und Stimme– Regulieren des Erregungszustandes des Kindes– Herstellen von Blickkontakt: Rufen, optimaler Abstand,

Augengruß– Herstellen der Kommunikationssituation: stets ähnliches

Verhalten, Übertreibung von Mimik und Gestik, Abwechseln mit Kind und Imitieren, „Spielton“ und Lachen als Signal für Kommunikation mit Kind

– Angemessene Stimulation nach Menge/Intensität, Struktur (motherese), Bedeutungsgehalt (konkretes Hier und Jetzt)

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Nachahmung und Turn-Taking• Nachahmung

– Bereits unmittelbar nach Geburt Nachahmen: Zunge-Herausstrecken, Fingerbewegungen, Stirnrunzeln usw.: transmodal, d.h. Kind sieht Erwachsenen, aber fühlt eigene Bewegungen.

– Fähigkeit geht später vorübergehend verloren; zeitweise nur intramodale Nachahmung

– Stadien (Piaget, Uzgiris):• bis 0;4: Erwachsener ahmt Kind nach, Kind wiederholt

Abwechseln• 0;5-0;8: Kind ahmt Lall-Laute nach• ab 0;8: intramodale Nachahmung• Ende 1. Lebensjahr: Transmodale Nachahmung von Mimik

• Turn-Taking– anfangs vokalisiert Kind oft gleichzeitig mit Erwachsenem– Imitation des Kindes durch Erwachsenen führt zu ersten „Proto-

Konversationen“: Abwechseln von „Rede“ und „Gegenrede“

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Ausrichtung der Aufmerksamkeit

• Shared Attention: ab 0;3-0;8 folgen Kinder Blickrichtung der Erwachsenen, ab 0;6 unwillkürliches Abwechseln zwischen Objekt und Person

• Joint Attention: ab 0;8-0;9 gemeinsame Ausrichtung auf Objekt und Kommunikation darüber, auch joint activities wie Ballspiel

• Aufmerksamkeitslenkung: ab 0;9 Verstehen und z. T. Anwenden der Zeigegeste

• Social Referencing: Prüfen, ob Erwachsener auch wirklich dorthin schaut. Lässt evtl. auf „Theory of Mind“ schließen.

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Emotionsverständnis und Emotionsausdruck

• Emotionsverständnis– 6 Wochen bis 4 Monate: Unterscheidung von

Gesichtsausdrücken; Bevorzugung fröhlicher Gesichter– 4-9 Monate: Bei bewegten Darstellungen Schauen auf ein zur

Stimme passendes Gesicht, Gefühlsansteckung– ab 9 Monate: Kinder erkennen Hinweischarakter: z. B.

ängstliches Gesicht gefährliches Objekt• Emotionsausdruck (siehe auch Film)

– in ersten Wochen emotionale Reaktion wie Weinen, Schreien– 0;6: Gesichtsausdrücke von Freude, Erstaunen, Kummer, Ärger

lassen sich situationsunabhängig zuordnen– 0;8-1;0 zunehmend ausdrucksvollere Mimik– um 1;0 gezieltes Intensivieren oder Vermindern des

Gefühlsausdrucks– 2-3: Sprechen über Gefühle

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Unterschiede in Kommunikation und Bindung

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Bindung als Verhaltenssystem

BindungsverhaltenSignalverhalten - Schreien - Lächeln - Arm-Ausstrecken - ...Annäherungsverhalten - Anklammern - Saugen - Nachfolgen - ...

KindPflegeverhalten- Zurückholen- Körperkontakt- „Zuwendung“

Bezugsperson

Bindungsverhaltenssystem (Bowlby)

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Bindung als Verhaltenssystem

BindungsverhaltenSignalverhaltenAnnäherungsverhalten

KindPflegeverhalten- Zurückholen- Körperkontakt- „Zuwendung“

Bezugsperson

Bindungsverhaltenssystem (Bowlby)

Explorationsverhalten Zur Pflege inkompatiblesVerhalten

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Bindungsentwicklung• Attachment: emotionale Bindung und Anhänglichkeit des

Kindes an Bezugsperson• Bonding: emotionale Bindung der Eltern an das Kind.• Attachment und Bonding nicht geprägt (anders als Graugänse).• Phasen der Bindungsentwicklung

– Vorphase: keine spezifische Bindung, sondern Kommunikation mit allen Personen

– ab 0;3 personenunterscheidende Ansprechbarkeit: Bevorzugung bestimmter Personen

– ab 0;7-0;8, Höhepunkt mit 1-1;6: eigentliche Bindung: Vermissen der Bezugsperson, aktive Regulation von Nähe und Entfernung. Fremdeln mit 0;8-1;0.

– ab 3: zielkorrigierte Partnerschaft: wechselseitige Beeinflussung des Verhaltens

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Bindungsunterschiede• Fremde Situation: Mutter und Kind in unbekanntem Labor; Kind

zunehmend unter Stress gesetzt, indem fremde Person sich Kind zuwendet, während Mutter z. T. sogar abwesend.

• Entscheidend ist Verhalten, wenn Mutter zurückkehrt

• Bindungsstil B: sicher, balanciert: ggf. offenes Zeigen von Kummer, lassen sich leicht beruhigen, spielen weiter

• Bindungsstil A: unsicher-vermeidend: scheinen Mutter nicht zu vermissen, reagieren kaum, wenn diese wiederkehrt. Aber starke Ausschüttung von Stresshormonen.

• Bindungsstil C: unsicher-ambivalent: starkes Fremdeln, starkes Bindungsverhalten, aber oft auch Abwehr der Mutter

• D-Komponente (zusätzlich): desorganisiert, desorientiert: seltsames und bizarres Verhalten wie Grimassieren, Erstarren

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Bedingungen von Bindungsunterschieden

• Feinfühligkeit der Bezugsperson:– prompte und angemessene Reaktionen, im Gegensatz zu kalten,

gleichförmigen (damit situationsunangepasst) oder inkonsistentem Verhalten (mal zugewandt, mal nicht).

– Mangel an Feinfühligkeit z. B. durch psychische Belastungen, Depression, eigene unsichere Bindung

• Kindliche Merkmale:– Risikokinder: Frühgeburt, neurologische Auffälligkeiten, häufige

Krankheiten usw. Irritierbarkeit, häufiges Schreien, wenig positive Reaktionen schwer, feinfühlig zu sein: kein Verhalten ist „angemessen“

• Kritische Lebensereignisse wie Scheidung der Eltern führen oft zu Änderung der Bindungsqualität.

• Ansonsten gewisse Stabilität bis Jugendalter. Vorhersage von sozialer Kompetenz in Kindergarten und Grundschule.