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WALTER BROCKER ARISTOTELES ZWEITE, UNVERANDERTE AUFLAGE VITTORIO KLOSTERMANN FRANKFURT AM MAIN

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  • WALTER BROCKER

    ARISTOTELES

    Z W E I T E , U N V E R A N D E R T E A U F L A G E

    V I T T O R I O K L O S T E R M A N N F R A N K F U R T AM MAIN

  • ALLE RECHTE VORBEHALTEN PRINTED IN GERMANY / 1957

  • INHALTScite

    Vorrede......................................................................................................... 5

    I. K A PITEL: Philosophie und Bewegung. 1. Philosophie ais Liebe zur tiefsten Einsicht......................... 9

    (Met. A 1 u. 2) 2. Philosophie ais eigentliches Menschsein-Wollen . . . . 23

    (Eth. Nic.) 3. Philosophie ais Frage nach der B ew egu n g .................... 39

    (Met. T u. E)

    II. KAPITEL: Bewegung und Sein. 1. Ursprung, Grund und B ew egung.................................... 50

    (Met. A 1 u. 2; Phys. A 7) 2. Bewegung ais Sein des Bew egten .....................................62 3. Bewegung, Wirklichkeit und M d glich k eit.................... 66

    (Met. 0 ; Phys. I" u. 0 4)S 4. Bewegung und Nichtigkeit.................................................81

    (Phys. A; Met. 0)

    III. KAPITEL: Bewegung und Zeit.(Phys. A 10 ff)

    1. Das Problem der Z e i t .........................................................88 2. Zeit und Bew egung.............................................................92 3. Das Wesen der Z e it .............................................................98

    4. Zeit und J e t z t ..................................................................... 102 5. Das In-der-Zeit-Sein.............................................................107

    IV. KAPITEL: Bewegung und Wesen.(Met. Z ; H)

    1. Die Frage nach dem W e s e n .............................................110 2. Das Wesen ais erstes Bewegliches.................................... 115 3. Das Wesen ais wesentliches W a s s e in ............................ 118 4. Das Wesen ais G ru n d .........................................................122

    3

  • V. K A PITEL: Bewegung und Seele.(De Anima)

    1. Die Frage nach der Seele.....................................................129 2. Die W ahrnehmung.............................................................132 3. Einbildungskraft und Vernunft.........................................149 4. Die ttige Vernunft.............................................................164

    VI. KA PITEL: Bewegung und Wort. 1. Das Wesen des Wortes.........................................................176

    (De Interpretatione) 2. Die Wesensbestimmung.....................................................185

    (Met. Z u. H) 3. Wesensbestimmung und Seiendes.....................................201

    (Met. Z u. H) 4. Wesentliches Wassein und E in z e ln e s .............................206

    (Met. Z 6)

    VII. K A PITEL: Bewegung und Gott. 1. Das erste Bew egliche.........................................................213 2. Der erste unbewegte B e w e g e r .........................................215

    (Met. A)

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  • VORREDE

    E s wird im Folgenden der Versuch gemacht, die aristotelische Philosophie in ihren Grndzgen ais Frage nach der Bewegung auszu- legen. Diese historische Aufgabe wird in systematischer Absicht ange- griffen. Nicht darauf kommt es an, den Aristteles historisch besser und richtiger zu verstehen ais andere, eine Absicht, die schon deshalb illusorisch wre, weil es d ie richtige Aristteles-Auslegung nicht gibt und nicht geben kann, was wir wollen ist vielmehr: den Aristteles wesentlich auslegen, ihn so verstehen, daB dies Verstnd- nis unserm eigenen Philosophieren einen neuen Antrieb geben kann.

    DaB die arist. Philosophie F rage ist, sol nicht sagen, daB sie nur Fragen aufwirft, ohne Antworten zu geben, sondern sol anzeigen, daB sie nicht aus der Kenntnisnahme ihrer Lehren, sondern im Nachver- folg ihrer fragenden Bewegung, aus der ihr die Ajitworten entspringen, allein zu verstehen ist. DaB sie Frage nach der Bewegung66 ist, sol weder sagen daB die Bewegung das ist, wobei sie anfragt das ist das Seiende noch das was sie erfragen will das sind die ersten Ur- sprnge und Grnde des Seienden sondern daB die Bewegung das am Seienden ist, was ais sein Rtsel das Fragen hervortreibt und in Atem hlt.

    Die berzeugung, daB die Frage nach der Bewegung die Grund- frage der Philosophie ist und werden muB, ist die treibende K raft dieses Versuchs. Die aristotelische Philosophie wurde deshalb zum Gegenstand der Auslegung gemacht, weil diese Fragerichtung hier am schrfsten und radikalsten vollzogen scheint.

    Was die Frage nach der Bewegung in der Philosophie leistet und leisten kann, und warum dieser Frage hier ein solches Gewicht beige- legt wird, darber sol hier nicht lange programmatisch geredet werden. Die durchgefhrte Auslegung muB das Recht dieser zunchst unbegrndeten Yormeinung erweisen.

    Nur eines sei hier bemerkt: Der Vf. erhielt den AnstoB zu diesen Untersuchungen durch die Forschungen seines Lehrers Heidegger ber ,,Sein und Zeit46. Im Yerfolg des Problems eines engen wesent- lichen Zusammenhangs von Sein und Zeit muBte sich das Rtsel der

    i 5

  • Bewegung, die in sich selbst gleichsam Sein und Zeit zumal ist, mit Notwendigkeit aufdrngen. Die Forschung und Lehre Heideggers, insbesondere seine Vorlesungen ber Aristteles haben die vorliegende Arbeit allererst ermoglicht. Yorzglich sein Verdienst ist daher alies, was hier etwa Belangreiches gesagt sein mag. D a von Heideggers Aristoteles-Interpretationen, von wenigen Andeutungen in seinen Schriften abgesehen, nichts verffentlicht ist, konnen hier keine Einzelverweise gegeben werden. Inwieweit diese Abhandlung zugleich der erste Yersuch einer Auseinandersetzung des Schlers mit seinem Lehrer ist, wird dem Kundigen zu erraten berlassen.

    Die im Grunde systematische Absicht der Untersuchung bringt es mit sich, daB sie sich zwar meist ais Auslegung von Texten vollzieht, daB sie aber gelegentlich, den Text ganz verlassend, die Sache selbst weiterentwickelt, nicht nur erklrt, was dasteht, sondern auch noch zu entdecken sucht, welche Horizonte das von A. Erarbeitete dem Weiterfragen noch zu offnen vermag. Die Willkr, die diesem Weiter- denken anhaftet, muB ais notwendiges Schicksal eines solchen Yer- suchs in K au f genommen werden.

    E s ist selbstverstndlich, daB der Vf. die alten und neuen Kommen- tatoren des A. zu Rate gezogen und sich die philologisch-historische Forschung zu Nutze gemacht hat. Um aber die leitende philoso- phische Frage nicht unter der Flle von philologischen und histo- rischen Problemen und der Diskussion von Auslegungsschwierig- keiten kontroverser Stellen verschwinden zu lassen, wurde jeder Bezug auf andere Arbeiten ber A. (von vereinzelten Ausnahmen abgesehen) vermieden. Damit will sich der philosophische Interpret nicht hochmtig ber die Philologen und Historiker berheben, vielmehr glaubt er ihnen so, indem er seine Sache redet und ihnen ihre zu reden berlBt, am besten zu dienen. Denn so wenig der system atische Ausleger die Lehren der Philologen und Historiker in den Wind schlagen darf, wenn seine Arbeit den Boden nicht verlieren will, so wenig konnen der Philologe und der Historiker auf die systematische Auslegung verzichten. Wenn diese Arbeit den Philologen und Histo- rikern fr ihre Arbeit von Nutzen ist, so ist das die beste Rechtferti- gung, die sie von ihnen erhalten kann.

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  • Die Arbeit wurde im Januar 1933 abgeschlossen. Im Sommer 1934 lag sie der philosophischen Fakultt der Universitt Freiburg i. Br. ais Habilitationsschrift vor.

    Freiburg i. Br., Ostern 1935. Brocker.

  • I. Kapitel

    PHILOSOPHIE UND BEWEGUNG

    1. Philosophie ais Liebe zur tiefsten Einsicht1)Was Philosophie sei, das ist eine Frage der Philosophie selbst. Zur

    Philosophie gehort, von ihr unabtrennbar, die Selbstbesinnung ber ihr eigenes Wesen. Diese Selbstauslegung wandelt sich mit dem Wandel der Philosophie in der Geschichte. Eine Auslegung einer ge- schichtlich berlieferten Philosophie hat sich daher zuerst zu fragen: Was versteht diese Philosophie unter Philosophie, was will sie ais Philosophie sein ?

    Unsere Frage ist a lso : Was versteht Aristteles unter Philosophie ?A. entwickelt den Begriff der Philosophie am Anfang des ersten

    Buches der Metaphysik, welches Buch eine historisch-kritische Ein- leitung in die Philosophie enthlt. Das Charakteristische dieser Ent- wicklung ist dies, daB es keine inhaltliche Bestimmung des Gegen- standes der Philosophie ist, die zu ihrer Begriffsbestimmung dient, sondern daB ihr Begriff bestimmt wird durch die Weise, wie der Philosophierende in ihr existiert. Die Idee der Philosophie wird entwickelt ais die Idee des Am Meisten an Einsicht2).

    Diese Idee wird so gewonnen, daB verschiedene Weisen der E insicht3) durchgegangen werden und in der Richtung auf ein sich darin zeigendes Mehr4) verfolgt werden. Aus der vergleichenden Analyse der verschiedenen Mglichkeiten der Einsicht in Bezug auf die Mg- lichkeit des Mehr muB die Konstruktion eines Am Meisten gelingen.

    Diese Analyse wird so gefhrt, daB darauf gesehen wird, was m an von den verschiedenen Mglichkeiten der Einsicht faktisch hlt, welche Einschtzung faktisch herrschend ist und welche Richtung auf ein Mehr und ein Am Meisten sich in dieser Auslegungsrichtung faktisch zeigt.

    *) Met. A 1 und 2. *) jnXicTra eibvai. 3) ibvai. 4) jnXXov.

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  • Die Frage erhebt sich sofort, mit welchem Recht sich die Analyse auf die zweifelhafte Autoritt der durchgngig herrschenden Auf- fassung der Menschen beruft. Diese Frage muB aber zunchst bei Seite bleiben, sie wird uns spter beschftigen. Weiter aber ist bei dieser ganzen Untersuchung vorausgesetzt, daB die Einsicht ber- haupt etwas ist, woran dem Menschen liegt, woran ihm so wesentlich liegt, daB er ein Mehr und ein Am Meisten verfolgt, und woran ihm rein um der Einsicht willen liegt. Auch diese Voraussetzung bedarf noch der Begrndung. Hier wird sie zunchst in einer einfachen Fest- stellung vorgegeben: ,,Alle Menschen streben von Natur nach Einsicht441).

    Einsicht hat hier den ganz weiten Sinn irgend eines Bekanntschaft- Machens mit dem Seienden. So wird ais Beispiel gegeben die Freude an den Sinneseindrcken, an Farben, Tonen, Wohlgerchen usw., an denen sich der Mensch auch um ihrer selbst willen, ohne irgend einen Nutzen, erfreut. Unter diesen hat das Sehen den Vorrang, weil es am meisten kennen lernen lBt und viele Unterschiede offenbar macht.

    Schon hier linden wir also ein Mehr, die grBere Flle und Unter- schiedlichkeit dessen, womit das Sehen bekannt macht, gegenber den andern Smen.

    Diese Moglichkeit des Bekanntwerdens mit dem Seienden, die Wahrnehmung der Sinne, teilt der Mensch mit dem Tier. Aber schon bei diesem bestehen Unterschiede: Einige Tiere gelangen ber die Beschrnktheit der bloBen Wahrnehmung2) hinaus durch das Ge- dchtnis3). Dies Vermgen macht sie verstndiger4) und gelehriger5). D as Behalten des Vergangenen lBt sie von dem Gegenwrtigen mehr einsehen, ais die bloBe Wahrnehmung sie lehren konnte. D as Ge- dchtnis ist eine Leistung der Einbildungskraft6), des Vermogens, sich Nicht-Anwesendes zu vergegenwrtigen. Dieses ermglicht es den Tieren,eine gewisse Erfahrung7) zusammeln, aber diese ist nur gering.

    E rst der Mensch vermag die Grenzen, die der Einsicht des Tieres hier gesteckt sind, zu berschreiten. Der Mensch hat eine viel reichere

    x) TrvTe ^vGpuuTioi t o u elbvai pfovxai cpucrei. 980 a 21. 2) acrGricriq. 8) jLxvrunrj. 980 a 29. 4) cppovi|uwTpa. 6) |ua0TiTiKWTepa. 980 b 21. fl) qpavTacra. 7) jU7tipa.

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  • Moglichkeit, seine Erinnerungen zu einer Erfahrung zusammenzu- schlieBen. Aber er braucht nicht dabei stehen zu bleiben. E r schreitet fort zur Wissenschaft1) und zur Kunstfertigkeit2).

    Die Kunstfertigkeit entspringt, wenn aus vielen Einsichten der Erfahrung ein allgemeines Urteil ber die gleichartigen Falle er- wchst66.3) A. gibt ein Beispiel: Die Erfahrung lehrt, daB dem K allias, der die und die Krankheit hatte und dem Sokrates und jedem der sie hatte das und das geholfen hat. E s ist aber Sache der K unst einzu- sehen, daB ein gewisses Mittel alien so und so BeschafFenen unter einer Art Begriffenen hilft4). Die Kunst vermag, was alie Erfahrung nicht leistet, die Mannigfaltigkeit der Falle in die Einheit ihrer Art, die Einheit ihres So-seins, in der all die vielen Seienden einig sind, zusammen zu nehmen und ihre Einsicht auf dies eine So-sein, das dei Erfahrung verschlossen ist, zu richten.

    Dieser Fortschrift von der Erfahrung zur Kunst scheint zunchst problematisch. Denn fr das Handeln, wo es doch darauf ankommt, je im einzelnen Fall zu handeln, ist der Erfahrene besser gerstet ais der Kunstfertige, der zwar im Allgemeinen weiB, dem Einzelfall aber unter Umstnden hilflos gegenber steht5).

    Aber nicht danach ist jetzt gefragt, welche Erkenntnis das Handeln besser leitet, sondern welche Einsicht ais Einsicht mehr ist, Und da ,,glauben wir 6), da glaubt man, daB die Kunst gegenber der E rfahrung ein Mehr an Einsicht sei, und daB der Kunstfertige gegenber dem Erfahrenen weiser7) sei. Man nimmt also an, daB die Weis- heit8) dem Mehr an Einsicht folgt9). J e mehr Einsicht also, destonher die ais Weisheit gesuchte Erkenntnis.

    Weshalb aber sprechen wir der Kunst gegenber der Erfahrung ein Mehr an Einsicht zu ? A. antwortet: ,,Weil die einen den Grund wissen, die andern aber nicht6610). Der Erfahrene erkennt nur das DaB11),l) TTiaTriJuri. a) xxvri == Kunst in einem ganz weiten Sinne. 3) firav K TroXXujvTfig ^Tieipaq vvorijuiujv na KaOXou fvriTai Tiepi tuv jlioujv TTXrivpi^ . 981 a 5 f. 4) Traen jo iq Toioicrbe kxt' ebo^ Sv qpopicrGecTi.981 a 10. 6) 981 a 13 f. 6) oljueOa. A. beruft sich auf die Ein- schtzung, die durchgngig herrscht. 7) (Jocpirrepos. 981 a 24. 8) CToqpa. 9) aKoXouGev. l0) Su o juv xriv airav aatfiv, o b* o. 981 a 28* 1X) 8n.

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  • aber nicht das Warum1). Der Kunstfertige kennt das Warum, den Grund2). Die Einsicht der Kunstfertigen ist also ein Verstehen aus dem Grunde. Grund ist eine Weise des Ursprungs3). Dessen Wesen bestimmt A. ais das erste Woher4). Alies Woher aber ist Woher einer Bewegung. Die Einsicht macht also die Bewegung von etwas her, von wo aus sie versteht, auf das hin, was eingesehen werden sol, was sie von dem Woher aus versteht. Warum aber ist eine Einsicht, die eine solche Bewegung macht, ein Mehr an Einsicht ? Offenbar deshalb, weil dies Woher der Einsicht nicht bloB die Bewegung der Einsicht, sondern das Seiende selbst, das eingesehen werden sol, angeht. Weil das Seiende selbst grndlich ist, deshalb ist die Erkenntnis aus Grn- den ein Mehr an Einsicht.

    Weil der Kunstfertige das Seiende aus dem Grunde versteht, deshalb versteht er es grundstzlich, d. h. er versteht sich nicht bloB au f den einzelnen Fall daB etwa dem Kallias dies oder jenes Mittel gegen seine Krankheit hilft sondern er versteht den a l lg e m e in e n Zusammenhang zwischen einem Kranken,der eine so und so geartete Krankheit hat, und einem bestimmten so und so gearteten Heilmittel.

    Wir sehen: Die Voraussetzung dieser Analyse der Einsicht in Hin- sicht auf ein Mehr ist das Vorverstndnis, daB das Seiende wesentlich aus Grnden ist, daB das Warum wesentlich zum Sein gehrt. Die Einsicht in dies Wesen des Seins, seine Grndlichkeit, gehrt also notwendig zur Aufgabe der Weisheit, ais des Am Meisten an Einsicht, die so zur Frage nach dem Grunde der Grndlichkeit des Seins wird.

    A. belegt die These, daB die Kunstfertigkeit gegenber der E rfahrung ein Mehr an Einsicht sei, durch weitere Grnde.

    Man hlt den Leiter5) bei jeder Ttigkeit fr jemanden, der mehr von der Sache versteht, weil er die Grnde kennt, warum alies so gemacht werden muB wie es gemacht wird, whrend die Ausfhrenden eigentlich nicht wissen was sie tun. Sie fhren zwar ihr Werk richtig aus, aber so wie das Feuer brennt, das auch nicht weiB was es tut.

    Der Kunstfertige kann, im Gegensatz zum Erfahrenen, lehren. Denken wir wieder an das Arzt-Beispiel. Wer nur im Einzelfall weiB, was zu tun ist, kann niemanden lehren, d. h. er kann niemandem etwasx) biTi. 2) aha. 3) pxn- 4) 80ev upurrov. 1013 a 18. 6) pxiTKTuuv.

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  • sagen, auf Grund dessen dieser in einem neuen Einzelfall zu handeln vermchte. Lehren lft sich nur Allgemeines, wie z. B. die allgemeine Regel, was bei einer so und so gearteten Krankheit zu tun sei. Das zeigt aber, der Kunstfertige hat ein Mehr an Einsicht auch insofern, ais er erst eigentlich seine Einsicht b e s it z t . Denn nur das besitzen wir eigentlich, was wir geben konnen. Der Erfahrene kann seine Einsicht nicht weitergeben, weil er sie noch garnicht eigentlich besitzt.

    Das zeigt aber: Das Mehr an Einsicht ist nicht nur ein Mehr dessen, was in der Einsicht steht, nicht nur das Seiende ist in hherem Grade offenbar, sondern auf Grund dessen ist auch das Einsicht H ab en , der Besitz der Einsicht in einem hheren Sinne Besitz. Aber auch das Mehr dessen was eingesehen wird, ist kein Mehr im Sinne einer mengenmfiigen Zunahme der Vielheit von Bestimmungen und Unterschieden der Sachen, die zur Kenntnis kommen. Nicht auf die Menge der Kenntnis von Einzelheiten1) kommt es an. Deshalb hlt man auch nicht die Erkenntnis der Sinne fr Weisheit, obgleich sie am meisten in der Kundmachung von Einzelheiten leisten. Die Sinne lehren bloB ein DaB, niemals aber ein Warum, einen Grund. Diese Dimensin des Seienden ist ihnen grundstzlich verschlossen2).

    Das Mehr meint keine mengenhafte Zunahme, sondern ein Mehr an T i efe, das Mehr an Einsicht meint t ie fe r e Einsicht. Die Wahrnehmung der Sinne bleibt bei aller Massenhaftigkeit der Enthllung von Einzelheiten an der Oberflche, sie hat keine Tiefe, sie geht den Dingen nicht auf den Grund.

    So gewinnen wir schon hier einen Yorblick auf die Idee des Am Meisten an Einsicht, auf die Idee der tiefsten Einsicht, die dem Seienden ganz auf den Grund, auf seine ersten und letzten Grnde geht.

    Die herrschende Beurteilung der Einsicht in Rcksicht auf ihre Tiefe zeigt sich auch in dem Urteil der Menschen, das sie im Verlauf der Geschichte ber einen Fortschritt der Einsicht fllten. Wer die Einsicht, sagt A., zuerst vertiefte, indem er ber die gemeine Sinnlich- keit hinausging, den bewunderten die Menschen, u. z. nicht nur weil das was er entdeckte ntzlich war, sondern sie bewunderten den*) tujv KCt0J frcacTTa. 981 b 11. 2) 981 b 10 ff.

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  • Entdecker solcher neuen Einsicht ais einen Weisen1) und einen solchen der sich vor den andern auszeichnet. Hier zeigt sich sogleich noch ein W eiteres: Weil es fr die Schtzung auf die Einsicht ankommt und nicht au f den Nutzen, deshalb wird die Einsicht die zu nichts Nutze ist sondern die der Mufle2) dient, am meisten bewundert. So sind die Wissenschaften3), die weder der Notdurft noch dem Vergngen dienen, sondern reine Einsicht um der Einsicht willen sind, die letzte Entdeckung des au f Einsicht ausgehenden Menschen, die dort gemacht wurden, wo die Menschen Mufle hatten. So wurden die mathemati- schen Wissenschaften in gypten erfunden, u. z. von den Priestern, denen Mufle gegeben war4).

    So zeigt sich: Der Erfahrene ist weiser ais der Wahrnehmende, der Kunstfertige weiser ais der Erfahrene, der Leiter hierin weiser ais der Handlanger, der Theoretiker, der die Einsicht um der Einsicht willen will, weiser ais der Praktiker, der die Einsicht in den Dienst des Handelns stellt6).

    Diese Reihe zeigt ein Mehr an Einsicht an, das in der Richtung auf sein Am Meisten verfolgt werden sol. Das Mehr zeigte sich ais ein dreifaches:

    1. Ein Mehr in die Tiefe, d. h. auf den Grund Gehen.2. E in Mehr Besitzen, d. h. Mitteilen Konnen.3. Ein Mehr um ihrer selbst willen die Einsicht Wollen.

    Die Einsicht die zu dieser Richtung des Mehr das Am Meisten ver- krpert, wird ais Weisheit gesucht. Sie geht ais die tiefste auf die ersten Grnde und die Ursprnge6).

    Die Richtung des Mehr wurde aus der Selbstauslegung, die das menschliche Leben von seiner Einsicht gibt, gewonnen. Eben diese Selbstauslegung, das was man denkt,wird jetzt auch befragt ber das Am Meisten, in Richtung au f welches sehend sie von einem Mehr redete.

    Die Menschen sind sich ber das, was sie unter einem Weisen verstehen schon in einer gewissen durchschnittlichen Klarheit.

    *) croqpq. 981 b 16. 2) Tipos &iaYWYr|v. *) m

  • Wie stellt man sich den Weisen vor ? A. gibt sechs Bestimmungen, die man ihm zuspricht:

    1. E r weiB alies1). A. fgt gleich hinzu: soweit es moglich ist2), kein Mensch kann ja alies in dem Sinne wissen, daB er jede wiBbare Einzel- heit wBte. Wohl aber gibt es kein Gebiet, kein Reich des Seienden, von dem die Einsicht des Weisen ausgeschlossen wre: Elemente, Pflanzen, Tiere, die Menschen und ihre Welt, Sprache, Kunst, staat- liches und geschichtliches Leben, Sterne und Gotter, nichts was dem Weisen grundstzlich verschlossen wre.

    2. Der Weise vermag das Schwierige3) zu erkennenund das,w as fr die Menschen nicht leicht zu durchschauen ist. D. i. aber das, was sich nicht sofort dem Augenschein4) erffnet, was in der Tiefe verborgen ist.

    3. Der Weise ist genauer5), er begngt sich nicht mit dem Ungefhr der gemeinen Einsicht.

    4. E r ist mehr fhig zu lehren6), weil er seine Einsicht mehr wirklich besitzt.

    5. E r will die Einsicht um der Einsicht willen7), er stellt sie nicht in den Dienst von etwas anderem. Die Einsicht selbst ist es, auf die es ihm bei der Einsicht ankommt.

    6. E r ist eher Herrschender8), ais Dienender. Man hlt dafr, daB die minder Weisen ihm zu folgen haben und nicht er ihnen.

    Diese sechsfache Forderung stellt die Meinung der Menschen an den Weisen.

    Die Frage ist nun: Was ist die Weisheit, welche Einsicht ist die gesuchte tiefste Einsicht, daB sie diesen Forderungen gengen kann ?

    Aus der Analyse der Einsicht in Hinsicht auf ein mgliches Mehr ergab sich die Bestimmung der Weisheit ais auf die ersten Grnde und die Ursprnge gehend. E s muB jetzt geprft werden, ob die so be- stimmte Weisheit der sechsfachen Forderung, die man an sie stellt, gengt, durch welche Prfung sich die Idee der Weisheit ais der tief- sten Einsicht zugleich konkreter bestimmt. A. vollzieht diese Prfung, indem er die sechs Forderungen einzeln durchgeht.

    *) T t v i a . 982 a 8. 2) ujq v b x T a i * 8) T x a X e T i . 982 a 1 0 . 4) a c rG ri- cfiq. 6) m c p i p c n e p o s . 982a 1 3 . 6) b ib a c r K a \ iK W T p o < ; . ib . 7) t o e i b e v a i X p i v . 982 a 1 5 . 8) d p x iK U x e p o q . 982 a 1 6 .

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  • Zum 1. Der Weise sol alies wissen, ohne doch alies Einzelne zu kennen. Wie kann er das ? Doch nur so, daB er das kennt, was ais dasselbe alies Einzelne betrifft. Solches ais Selbiges alies Einzelne Betreffende ist das Allgemeine1). Die ersten Grnde aber betreffen in der T at alies Seiende, und so ist die Einsicht in sie Einsicht in alies, weil sie Wissenschaft des Allgemeinen2) ist.

    Zum 2. Das Allgemeinste ist aber auch das Schwierigste,weil es am meisten von dem am Tage liegenden Augenschein abliegt3).

    Zum 3. Die Weisheit ist aber auch die genaueste, die strengste Einsicht. Denn die genauesten Wissenschaften sind diejenigen,die sich am meisten auf das Erste richten. So ist die Arithmetik genauer ais die Geometrie, weil diese zu den Prinzipien jener noch weitere hinzu nimmt. Je mehr eine Wissenschaft von der Einsicht in die ersten Prinzipien abliegt, desto mehr Voraussetzungen hat sie, die sie aus- drcklich oder stillschweigend macht. Die Weisheit ist schlechthin voraussetzungslos, nicht in dem Sinne, daB sie glaubt aus dem Leeren mit dem Aufbau absoluten Wissens anfangen zu konnen, wohl aber in dem Sinne, daB sie grundstzlich bei keiner Voraussetzung stehen zu bleiben braucht.

    Zum 4. Die Weisheit ist am meisten der Lehre fhig. Denn wir sahen schon: lehrbar ist das aus dem Grunde Verstandene. Also ist die E insicht in die ersten Grnde am meisten lehrbar4).

    Zum 5. Auch die Bestimmung, daB sie Einsicht um der Einsicht willen ist , kommt der Einsicht in die ersten Grnde und Ursprnge am meisten zu. Denn solcher Wille, der Einsicht um der Einsicht willen will, muB sich seinem Wesen nach vorzglich auf solches richten, was am meisten einsehbar ist. U. das nicht so sehr in dem Sinne, daB diese Einsicht moglichst sicher und unbezweifelbar sei, ais vielmehr in dem Sinne, daB diese Einsicht die grofite Tiefe habe. Solcher Gegenstand der Einsicht sind aber die ersten Grnde und Ursprnge5).

    Zum 6. Die Einsicht in die ersten Grnde ist endlich auch die am meisten Herrschende, in deren Dienst alie anderen stehen. Die Leistung des Dieners geschieht im Dienst (um willen) des Herrn. Der

    *) t kcxG X o u . 2) kcxG X o u 7Ti

  • Herr ist es, der das Wozu, das Ziel festsetzt. Wenn daher eine Erkenntnis im Dienst einer andern steiien sol, so ist die herrschende Erkenntnis diejenige, die das Ziel, das Wozu erkennt. So steht etwa die Kenntnis des Schiffbaus im Dienste der Kenntnis der Seefahrt. Dies Wozu ist das, worauf es bei der Sache ankommt1). Dies Wozu kann aber ein solches sein, das wiederum um willen eines andern ist, und so kann die Frage entstehen nach dem, worauf es letztlichundschlechthin ankommt. Das aber worauf es schlechthin ankommt, ist das Hchste in der ganzen N atur 2). Davon spter. Auch das G ute 3) und das Worumwillen4) haben den Charakter des Grundes5). Daher ist die Einsicht in die ersten und letzten Grnde auch die Einsicht in das worauf es erstlichund letztlich ankommt, also die herrschende Einsicht.

    Also ist es ein und dieselbe Einsicht, die die sechsfache Forderung erfllt, die man an die Weisheit stellt: die Einsicht in die ersten Grnde und die Ursprnge.

    Ais Einsicht in das, worauf es erstlich und letztlich ankom m t,ist die Weisheit eminent praktisch, praktischer ais jede praktische Erkenntnis, die erst durch ihren Bezug auf das, worauf alies ankommt, praktisch ist. Dennoch aber erklrt A., die Weisheit sei theoretisch6). Es ist aber zu beachten, daB A. damit nicht bestreitet, daB die Weisheit praktisch sei, sondern daB sie poietisch7), herstellend sei. E s kommt der Weisheit nicht dar auf an etwas herstellend her- vorzubringen. In der Tat, wenn die Einsicht wirklich herrschend sein sol, so kann nichts anderes ais sie selbst das sein, um dessent- willen sie betrieben wird. Wenn sie praktisch ist, so ist sie es in dem Sinne, daB sie selbst die eigentlichste und hochste Praxis ist. Solche Einsicht aber, die ais Einsicht um der Einsicht willen selbst die hochste Mglichkeit der Praxis ist, bezeichnet A. ais Theorie. Theorie und Praxis sind also nicht Gegenstze, sondern die Theorie ist selbst die hochste Praxis.

    Davon wird spter noch in anderm Zusammenhang zu reden sein. Hier an unserer Stelle beweist A. die theoretische Natur der Weisheit

    ^xonfaBv eviccTTOis. 982b 6 . 2) t apicriov vxrj qpcrei Trcrq. 982 b 7.8) onraGv = das, w orauf es ankomm t. 4) oi eveica. 6) 982 b 9 f. 6) 982 b 9. 7) TroiryriKri. 982 b 10.

    2 Aristteles 17

  • aus ihrer Ursprungsgeschichte. Diese Geschichte ist kein Bericht ber die zufllige Abfolge der Gestalten, die die Philosophie im Lau f der Zeit nacheinander angenommen hat, welche blinde Tatsachenfolge berhaupt nichts lehren knnte, sondern der Aufweis des notwendigen Ursprungs der Philosophie aus dem Wesen des Menschen.

    An dieser Stelle taucht bezeichnender Weise an Stelle des Ausdrucks Weisheit661), mit dem A. die Idee der tiefsten Einsicht bezeichnete, der Ausdruck ,,Liebe zur Weisheit662) auf, der anzeigt, daB diese tiefste Einsicht kein fester Besitz des Menschen ist, sondern etwas wonach sie von jeher strebten, noch streben und immer streben werden. Nicht die tiefste Einsicht, sondern die Liebe zur tiefsten Einsicht ist es, die dem Menschen gehrt.

    Diese Liebe des Menschen zur tiefsten Einsicht,behauptet jetzt A., entspringt aus dem S ta n e n 3).

    Was ist das Staunen ?Machen wir uns das an einem Beispiel klar: Der Lufer Nurmi

    erweckt unser Staunen. Was geschieht da ? Das erste, was zu solchem Staunen gehrt, ist offenbar ein Schauen, wie das auch schon das mit dem S tam m th e a= Schauverwandte griechische Wort ausdrckt. Das aber nicht nurin demtrivialen Sinne, daB wir das Erstaunliche kennen mssen, um es anstaunen zu konnen, sondern auch in dem Sinne, daB das Erstaunliche das Schauen anzieht. Wir lauf en hin,um den erstaun- lichen Lufer zu sehen. Das Schauen drngt nach dem Erstaunlichen.

    Wir schauen den erstaunlichen Lufer und staunen ihn an, wir bewundern ihn ais einen Hervorragenden, ais eine Ausnahme. Nicht notwendig und nicht immer gehrt allerdings zum Staunen ein Bewundern im Sinne einer Hochschtzung. Wir staunen auch ber den Grad der Verworfenheit einer Untat. Wir bewundern da nicht den Untter in dem Sinne, daB wir ihn hochschtzen, wohl aber erregt auch hier das Ungewhnliche, das Herausfallen aus den gelufigen AusmaBen unser Gefhl, lBt uns erschauern.

    Zur Bewunderung, bzw. Bestrzung, tritt die Verwunderung. Das Erstaunliche, Bewunderte erscheint uns wunderbar, verwunderlich,

    *) aoqpa. 2) qpiXocrocpeTv. 982 b 20. Vgl. auch 1028 b 2ff. 3) 0au|ueiv.982 b 11.

    18

  • ein Wunder. Wir verstehen es nicht, wir sehen nicht, wie es mglich ist, es ist uns ein Rtsel. Wir fragen, wie kann ein Mensch so etwas, das Erstaunliche wird fragwrdig.

    Was unser Schauen anlockt, uns durch sein UnmaBin Bewunderung oder Bestrzung erschauern lBt und unser Fragen herausfordert, das setzt uns in Staunen.

    Das Staunen verwandelt den Menschen. Fr gewhnlich staunt er nicht. Wenn aber das Staunen der Ursprung der Philosophie ist, so muB das alltgliche Verhalten des Menschen das Philosophieren hin- dern. Wie verhlt er sich da ?

    Auch alltglich, wo der Mensch nicht staunt, schaut er, er hrt und sieht und erfhrt vielerlei aber nichts von all dem lockt sein Schauen an sich. Er nimmthin,was er schaut und lBt es wieder. Auch alltglich erregt ihn wohl etwas, das eine mehr das andere minder, er billigt und miBbilligt, aber alies hat sein festes MaB, es bleibt im Rahmen des Gelufigen, er gert nicht in ein Erschauern vor einem Ungewohn- lichen, das ihn beunruhigt. Auch alltglich fragt der Mensch. Er fra g t : Wo ist mein Hut ? Was kostet das ? Wie wird das Wetter ? Aber es wird ihm nichts fragwrdig, das alltgliche Fragen tastet nicht die vertraute Selbstverstndlichkeit des Seienden an, sondern verbleibt in ihr.

    Alltglich lebt also der Mensch in der Vertrautheit, Gewohnlichkeit und selbstverstndlichen Fraglosigkeit alies Seienden, die ihn in Ruhe hlt. Er will zwar gelegentlich etwas wissen, etwas erfahren, muB sich eine Auskunft verschaffen, aber ein grundstzlicher Wille nach einem Mehr an Einsicht kann garnicht aufkommen.

    Das Staunen weckt die Liebe zu einem Mehr an Einsicht und den Willen bis zum Am Meisten, zur tiefsten Einsicht vorzudringen. Das Staunen stort den Menschen aus seiner Ruhe auf.

    Hren wir weiter, wie A. aus dem Staunen die Philosophie ent- springen lBt.

    Anfangs, sagt er, staunten die Menschen ber solches Unverstnd- liche, das au f der Hand lag1). Solches Unwegsame fr die Vertrautheit mit dem Seienden, das sich gleichsam faustdick aufdrngte,* ) x a T i p x e i p a t u v T r p w v . 9 8 2 b 1 3 .

    19

  • indem es ganz aus den Rahmen des Gelufigen und Vertrauten herausfiel, erregte zuerst das Staunen. Dann aber gingen die Menschen allmhlich weiter, sie gerieten auch ber das in Staunen, was sie zunchst so hingenommen hatten, die Mondphasen, den Jahreslauf der Sonne, die Entstehung der Welt1).

    Wer aber staunt und in Schwierigkeiten ist, sagt A., der meint, nicht zu wissen2). E r macht die Entdeckung, daB die Selbst verstnd- lichkeit und Vertrautheit, in der das Seiende vor ihm stand, ge- schwunden ist. Diese Erfahrung des Nichtwissens ist der Anfang der Philosophie. Deshalb, sagt A., ist auch der Freund der Mythen, der philomythos, in gewisser Weise ein Freund der Weisheit, ein philo- sophos. Denn die Mythen erzhlen Staunen Erweckendes, und wer sein Staunen erwecken lassen will, ist au f dem Wege zur Philosophie3).

    Denn was ist nun die Philosophie ?Das Staunen bringt die Entdeckung des Nichtwissens. Alie

    Menschen aber, hrten wir anfangs, streben von Natur nach Einsicht. Der Mensch kann und will bei dem Nichtwissen nicht stehen bleiben. Er flieht das Nichtwissen. Zurck fhrt kein Weg, denn auch vor dem Staunen lebte der Mensch in Unkenntnis, nur daB er nicht einmal um sie wuBte. So bleibt nur der Wille, das Nichtwissen wirklich zu be- heben. Dieser Wille ist die Liebe zur Weisheit, die Philosophie. U m dem Nichtwissen zu entfliehen, philosophierten sie66.4) Wenn das aber so ist, so ist ,,klar, daB sie um der Einsicht willen das Wissen ver- folgten und nicht um irgend eines Nutzen willen66.5)

    Das beweist auch, fhrt A. fort, die geschichtliche Entstehung der Philosophie. Denn das Fragen und Suchen nach solcher Einsicht begann erst, nachdem alies zur Bequemlichkeit und Mufie Ntige schon vorhanden war. Die Not des Lebens muBte erst in gewissem Grade berwunden sein, ehe der Mensch an diese mBigen66 Fragen gehen konnte. So ist die Philosophie nutzlos, aber deswegen nicht wertlos, sondern im Gegenteil gerade das Wertvollste, was der Mensch haben kann. Sie ist nutzlos, weil sie nicht um willen eines andern da

    *) 982 b 15 f. 2) oerai rvoelv. 982 b 17. 3) 982 b 18 f. 4) bia t cpeu^eiv Tr]v a^voiav cpi\ocrcpr|crav. 982 b 19 f. 6) qpavepv oti bi t elbvai t TtcrTacrGai buuKOv, kcu o xpticrewq nvoq eveKev. 982 b 20f.

    20

  • ist. Aber nicht um willen eines andern, sondern um seiner selbst willen da zu sein, das ist auch die Bestimmung des freien Menschen, und so ist die Philosophie, fr die dasselbe gilt ,,die einzig freie Einsicht66.1)

    Die letzten Errterungen haben uns wieder vor die Voraussetzung gefhrt, die der ganzen bisherigen Untersuchung zu Grunde la g : daB es dem Menschen von Natur auf Einsicht ankommt, u. z. so sehr daB das Am Meisten an Einsicht die hochste Praxis fr ihn sein kann. Denn dies Streben nach Einsicht wurde ja vom Staunen nicht hervor- gebracht, sondern nur geweckt. Dies Streben schlief, weil der Mensch sein Nichtwissen nicht kannte. Indem das Staunen den Menschen sein Nichtwissen kennen lehrt, weckt es das schlafende Streben nach Einsicht auf, und dies erwachte Streben nach Einsicht ist die Philosophie.

    Die Frage, woher dies erst schlafende und dann geweckte Streben nach Einsicht selbst stam m t, harrt noch der Antwort. Bevor wir aber an diese Frage herangehen, mssen wir die Untersuchung, bei der wir jetzt stehen zu Ende bringen.

    A. hat die Philosophie bestimmt ais freie, zu nichts nutze, rein um ihrer selbst willen gewollte Erkenntnis. Ais solche aber scheint sie garnicht Sache des Menschen. E s ist fraglich, ob der Mensch berhaupt die Freiheit zu solcher Erkenntnis hat. ,,Denn die Natur der Menschen ist in vielfacher Weise geknechtet66.2) Das meiste, was der Mensch tut, muB er tun zu irgend einem Behuf, die Praxis des Menschen steht zumeist im Dienst der Not. H at er berhaupt die Mglichkeit zu der freien Praxis der Theorie ? So konnte, meint A., Simonides Recht haben, daB der Gott allein diese Ehrengabe hat, und daB es dem Menschen nicht zieme, nach einer andern ais einer ihm angemessenen Einsicht zu streben.3) E s scheint vermessen, wenn der Mensch nach solch bermenschlicher Einsicht strebt. Und wenn die Dichter Recht haben, daB die Gotter neiden konnen, so werden sie solchen Ver- messenen mit ihrem Neide verfolgen und ihn ins Unglck strzen.4) Aber, antwortet A. mit dem Sprichwort, vieles lgen die Dichter. Die

    x) jbivrj XeuBpa t u j v TriaTruuuv. 982 b 27. 2) TroXXaxr YP *1 cpcn

  • Gottheit vermag nicht neidisch zu sein.1) U. z. nicht deshalb weil sie dem Menschen wohlgesinnt wre, sondern (wie wir spter noch sehen werden) weil sie sich berhaupt nicht daran kehrt, was die Menschen tun und lassen, und sich daran berhaupt nicht kehren kann, weil ihrem Wesen nach jedes sich Kmmern um etwas und um jemanden von ihr ausgeschlossen ist.

    Sodann aber ist es auch falsch, zu meinen, fr den Menschen sei eine andere Einsicht, eine weniger gttliche, mehr zu erstreben und seiner wrdiger.2) Die gottlichste Erkenntnis ist auch die des Menschen wrdigste.3) Das Verlangen4) nach dieser gttlichen Einsicht5) ist fr den Menschen keine Vermessenheit sondern gerade die Liebe zu seinem eigentlichsten Sein.6)

    Die Weisheit ist gttliche Erkenntnis, sie ist die Erkenntnis, die am meisten dem Gott zukommt, die Weise wie der Gott erkennt. Gtt- liche Erkenntnis66 das kann aber noch etwas anderes bes agen : es kann meinen: Erkenntnis des Gttlichen, Erkenntnis, die das Gttliche zu ihrem Gegenstand hat.7) Die Frage i s t : Gibt es dergleichen und ist die Weisheit auch gttliche Erkenntnis in diesem Sinne ? Die Weisheit wurde bestimmt ais Einsicht in die ersten Ursprnge und Grnde. Nun sind aber doch alie darin einig,daB es zum Wesen des Gottes gehrt, Ur- sprung und Grund zu sein.8) Wenn das aber so ist, so ist die Weisheit auch gttliche Erkenntnis im zweiten Sinne, daB das Gttliche ihr Gegenstand ist.

    Das Staunen setzt die Philosophie in Bewegung ais Flucht vor dem Nichtwissen. In der Weisheit kommt diese Bewegung zur Ruhe. Mag der Mensch diese auch niemals erreichen und so gentigt sein, immer in der Bewegung der Philosophie zu verharren, so zeigt doch schon jede erreichte Einsicht etwas Merkwrdiges. Ein Rtsel erregte das Staunen und setzte das Suchen nach Einsicht in Bewegung. Die E insicht, die den Grund des Rtsels findet, hebt das Staunen auf ja jetzt wrde der Erkennende staunen, wenn sich das Seiende nicht so

    !) 983 a 2 ff. 2) 983 a 4. 3) 983 a 5. 4) qpiXa. 6) (Tocpa. 6) Daswird hier von Aristteles nur thesenhaft behauptet. Die Begrndung dieserBehauptung wird uns im folgenden beschftigen. 7) 983 a 7. 8) 983 a 9.

    22

  • verhielte, wie es sich verhlt und sich verhielt, ais es ihm zum Rtsel war.1)

    Aber Einsicht erreicht der Mensch nur gelegentlich. Nie wird er ein wirklicher Weiser2),ihm bleibt immer Grund zu staunen, und so bleibt er stndig ein nach Weisheit Strebender3), ein Suchender und Fragen- der, und daher nehmen wir das Recht, die arist. Philosophie ais ein Fragen auszulegen.

    2. Philosophie ais eigentliches Menschsein-Wollen4)

    Bei der Interpretation der aristotelischen Analyse der Philosophie ais der Liebe zur tiefsten Einsicht stieBen wir immer wieder auf eine Voraussetzung, die wir zusammenfassend in drei Thesen for- m ulieren:

    1. Das Streben nach Einsicht gehrt zum Wesen des Menschen.2. Dies Streben geht auf ein Am Meisten, das alien Menschen in

    gewissem Grade vertraut vorschwebt.3. Dieses Am Meisten an Einsicht ist zwar ais Gttliches in gewisser

    Weise bermenschlich, aber trotzdem dasjenige, worauf es fr den Menschen ais Menschen eigentlich ankommt.

    Diese drei Thesen sehen die Philosophie also ais das, was jeder Mensch ais das, worauf es fr ihn eigentlich ankommt, kennt und im Grunde (wenn ihm selbst auch vielleicht verborgen) will.

    Eine Klrung und Begrndung dieser Voraussetzung mssen wir da suchen, wo A. nach dem Menschen fragt in der Weise, daB er nach dem sucht, worauf es fr den Menschen eigentlich ankommt. Das worauf es ankommt heiBt ,,das Gute 5), das worauf es fr den Menschen ankommt, das menschliche Gute 6). Das aber bezeichnet A. ais das Thema der Nikomachischen Ethik.7)

    Die Frage, die A. in der Ethik beantworten will, stellt er s o : W as ist bei allem was der Mensch tut, dasjenige, worauf es letzlich ankommt ?8)

    *) 983 a 12. 2) croqp . 3) q p iX -C T o q p o q . 4) Eth. Nic. 6) t tc xG v . 6) t v G p u jT T iv o v y a G v . 7) 1094 b 7 . 8) t t t c v t u j v aK p T O iT O v t u j v T rp aK T W v a Y a O w v ; 1095 a 16.

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  • Wir konnen uns au f die Behandlung dieser schwierigen Dinge hier nur soweit einlassen, wie es fr unsere Frage ntig ist.

    Wie kommt A. zu der angefhrten Leitfrage der E th ik ? Alies menschliche Handeln, so beginnt A. seine Untersuchung, geschieht um willen von etwas. Dies Worumwillen aber heiBt ais das, worauf es dem Menschen jeweils ankommt, das Gute1). Hier ist nun ein Unter- schied: Das Tun hat entweder ein Werk auBer sich zum Ergebnis, dann ist dies das Gute, oder die Ttigkeit des Tuns ist selbst das worauf es ankommt, das Gute.2) Nun gibt es verschiedene ,,Zwecke 3) ver- schiedener Ttigkeiten. Teils sind diese in einen Zweckzusammenhang verflochten, indem, was fr eins Zweck ist, selbst wieder zum Zweck eines andern ist.4) Wenn nun nicht alies Streben und Wollen eitel und leer sein sol, so muB es einen letzten Zweck geben, den der Mensch um dieses Zweckes selbst willen will, und nicht um willen von etwas anderem.5) Dieser Zweck wre dann das, worauf es letztlich ankommt6.) Gibt es so etwas ? Und was ist es ?

    So entspringt die Frage, die das Thema der Ethik stellt: Was ist das, worauf es bei allem Handeln letztlich ankommt ? DaB es so etwas gibt, darber sind sich die Menschen durchgngig einig, und das mssen sie ja auch, wenn es so etwas gibt, und sie haben dafr den amen ,,das Glck 7). Und man denkt sich dabei: Wohl leben und es gut haben.8)

    Was dieses ,,hochste Glck der Erdenkinder aber sei, darber herrscht S tre it: Vergngen sol es sein, Ruhm, Reichtum und anderes. Oft ist es einem, was er entbehrt, dem Armen Reichtum, dem Kranken Gesundheit. Andere sagen, es gbe neben all solchen Gtern noch ein an sich Gutes, das alies Gute gut sein lasse.9) A. unterzieht die wich- tigsten dieser Auffassungen einer Kritik, (die wir hier bergehen mssen) um darauf die Frage nach dem Wesen der Eudmonie in sy6tematischer Untersuchung anzugreifen.10)

    Jede Handlung11) und jedes Herstellen12) hat, sahen wir oben, etwas

    !) 1094 a 1. 2) 1094 a 3f. 3) Tkoq. 1094 a 6. *) 1094 a 9ff. ) 1094 a 18 f. 6) t apiCTTOV fa0v. 1094 a 22. 7) ebaijuov a. 8) t eu fiv Kai t eO Tiprreiv. 1095 a 18f. 9) 1095 a 20ff. l0) A5. u) TrpHiq. 12) Txvr|.

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  • worauf es ihr ankommt1). Das ist dasjenige, worum willen das andere getan wird, der Zweck2). Gibt es nun einen Zweck fr alies Tun so ist dieser das, was wir suchen, das worauf alies ankommt, gibt es der en mehrere, so gibt es mehrere solche G ter .3)

    Wir sallen schon, es gibt viele Zwecke, aber nicht jeder Zweck ist Endzweck4), denn was Zweck der einen Handlung ist, kann selbst noch wieder um willen von etwas anderem gewollt sein. Das gesuchte hchste Gut66 muf aber offenbar Endzweck sein. Und sollte es eine Mehrheit solcher Endzwecke geben, so wre das Hochste das, was am meisten Endzweck ist.5)

    Die Eudmonie ist also im hchsten Grade Endzweck.Sie ist ferner allein gengend 6.) Das, worauf letztlich alies an

    kommt, das muB ein solches sein, bei dem fr den Menschen nichts mehr fehlt, u. z. fr den Menschen so wie er faktisch lebt, angewiesen auf uBere Dinge und unter seinesgleichen lebend, mit Verwandten, Bekannten und Freunden, weil Geselligkeit zum Wesen des Menschen gehrt7). Sol also die Eudmonie das sein, worauf letztlich alies ankommt, so darf es daneben auf nichts anderes ankommen, d. h. sie mufi allein gengend sein.8)

    Aber was ist nun eigentlich diese Eudmonie ?Um diese Frage anzugreifen, fragt A.9) nach dem ,,Werk 10) des

    Menschen, nach dem, was der Mensch ais Mensch eigentlich leisten sol. Wie kommt es zu dieser Frage ?

    Das gesuchte G u t sol letzter Zweck aller Ttigkeiten des Menschen sein. So ist es also Ziel und Zweck d er Ttigkeit, die das Menschsein selbst ist. So entsteht also die F ra ge : Das Menschsein ais solches, was ist das eigentlich fr eine Ttigkeit ? W orauf kommt es bei dieser Ttigkeit eigentlich an ? Was sol in ihr geleistet werden ? Welches ist die Leistung11) der Ttigkeit des Menschseins ?

    Das Recht zu solcher Frage erscheint zunchst zweifelhaft, das Folgende wird die Sache aber sogleich deutlicher machen:

    *) faGv. 2) Te\o. 1097 a 1421. 3) fctG. 1097 a 2224. *) x-Xeiov. 6) TeXeiTCtTOv. 1097 a 2530. 6) auTapK. 1097 b 8. 7) Treibr)qpaei ttoXitikv avOpumoq. 1097 b 11. 8) 1097 b 621. 9) A 6. 10) pyov. 1097 b 24. ) ?ptov.

    25

  • Stellen wir nmlich die Frage nicht fr den Menschen ais Menschen, sondern z. B. fr den Bildhauer oder den Flotenspieler ais solchen und fragen, was der Zweck all ihres Tuns ais Bildhauer und Flotenspieler sei, das worauf es bei all ihrem Tun ankommt, so antworten wir leicht, daB es offenbar eine bestimmte Leistung oder eine bestimmte T tigkeit1) ist, was das Endziel all dessen ist, was sie ais solche, die sie sind, tu n : Bildwerke bzw. Fltenspiel.2)

    Solchen Zweck haben heiBt also, eine Bestimmung, eine Aufgabe, einen Beruf haben, zu etwas da sein. Gibt es, das ist also nun die Frage, eine Bestimmung des Menschen ais Menschen, etwas wozu der Mensch ais Mensch da ist ? Und was ist das ? Welches ist die Aufgabe, die der Mensch ais Mensch erfllen sol ?3)

    W eiter: nicht nur fr Menschen bestimmter Berufe gibt es solche Aufgaben, sondern auch allgemein menschlich fr die Glieder des Menschen: Auge, Hand und FuB haben ihre Aufgaben, sie sind zum Sehen, Greifen, Gehen.4) Sollte der ganze Mensch ais Mensch keine Aufgabe haben ?

    Von den Beispielen aus den Berufen ist offenbar das des Flten- spielers dem Problem angemessener ais das des Bildhauers, denn was der Mensch ais Mensch leisten sol, ist offensichtlich nicht, irgend ein Werk herzustellen, wie der Bildhauer das Bildwerk. Seine Aufgabe scheint doch eher die Ttigkeit des Menschseins zu sein, wie die des Flotenspielers die Ttigkeit des Fltenspielens.

    Was aber ist diese Ttigkeit, zu der der Mensch ais Mensch berufen ist ?

    Eine erste Antwort auf diese Frage stellt sich ganz von selbst e in : Diese Ttigkeit ist das L eb en .

    Aber diese Antwort gengt nicht. Diese Ttigkeit unterscheidet den Menschen nicht von den Pflanzen. Auch die Pflanzen leben und sind da um zu leben. So ist das Leben nicht die spezisch menschliche Aufgabe.5) So ist also die A ufgabe: menschlich zu leben. Aber was heiBt das ?

    *) TrpaEi .^ 2) 1097 b 22 ff. 3) 1097 b 24 f.

  • Im Gegensatz zur Pflanze lebt der Mensch so, daB er sieht und hrt und schmeckt usw., daB er Wahrnehmung hat. Ist also das wahr- nehmende Leben die menschliche Aufgabe ? Nein denn das hat der Mensch mit dem Tier gemein.1)

    So ist also die Aufgabe des Menschen zu leben nicht wie die Pflanze, nicht wie das Tier, sondern menschlich zu leben. Was aber ist das, was das menschliche Leben vor dem Leben der Pflanzen und Tiere aus- zeichnet ? Dies Auszeichnende sieht. A. mit der griechischen Tradition im Wort2). D er Mensch ist das Lebende, das das Wort hat64.3) E r hat das Wort in dem Doppelsinn, daB sein Tun und Lassen durch das Wort, durch das Verstehen, bestimmt wird, und daB er selbst das Wort spricht, Verstehen und Reden vollzieht.4)

    All diese Bestimmungen haben nun noch den Doppelsinn einmal des bloBen Knnens, des Vermogens, und dann des Vollzuges, der Ausbung solchen Knnens. Offenbar besteht nun die Aufgabe in der tatschlichen Ausbung, in der Wirklichkeit5), und nicht im bloBen Konnen, denn daB das, was Aufgabe ist, auch wirklich geschieht, ist doch das Entscheidende6). So ist also die Leistung, die der Mensch ais Mensch zuleisten h a t : die durch dasW ort bestimmte Wirklichkeit seiner Lebendigkeit.7)

    Wie nun die Aufgabe des gut en Fltenspielers dieselbe ist, wie die des Fltenspielers berhaupt, nur daB er das, was der Flotenspieler tut, besonders gut8) und in ausgezeichneter Weise mit Tchtigkeit9) tut so ist es auch beim Menschen berhaupt: die Aufgabe des trefflichen44Menschen10),des ais Menschen ausgezeichneten Menschen, ist dieselbe wie die jedes Menschen, nur daB er dessen Aufgabe gut und schon11) erfllt.

    So ist seine Aufgabe: die durch Tchtigkeit bestimmte Wirklichkeit seiner Lebendigkeit.12) Und wenn es verschiedene Tchtig- keiten gibt, gemB der hchsten und vollendetsten.

    *) 1098 a l f f . 2) X Y O q = das verstehende Reden. 3) a v 0 puuTTO C jo vX f o v ?xv. 4) 1098 a 3 ff. 5) v p Y i a . 6) t K u p i u jx e p o v . 1098 a 57. 7) p f O v v 0 p)TTOu ipuxlS v p * f i a K a x X y o v . 1098 a 7. 8) eu. 9) k c x t5 p T r |v . l0 ) c m o u b a l o q a v O p u J T r o s . u) K a X u x ; . 1098 a 14 ff. 12) lyuxiq v p Y e i a x a i p i r | v . 1098 a 16.

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  • Vergleichenwir diese Bestimmung mit der obigen, so sehen wir, daB hier die Bestimmung Tchtigkeit661) an die Stelle der Bestimmung W ort 2) getreten ist. Das gibt uns einen Hinweis darauf, daB wir in dem, was die eigentliche Menschlichkeit des Menschen ausmacht, im Wort, auch die Quelle der eigentlich menschlichen Tchtigkeit zu suchen haben.

    So zu leben, u. z. ein ganzes Leben hindurch und nicht nur gele- gentlich einmal, ist also die menschliche Aufgabe und die Eudmonie, das Glck3).

    Hinter diesen scheinbar so einfachen und durchsichtigen Aus- fhrungen des A. ber das ,,Werk des Menschen verbirgt sich eine grundstzliche Schwierigkeit, die wir durch eine kurze systematische Zwischenbetrachtung ans Licht zu bringen versuchen wollen.

    A. redet vom W erk des Menschen in der gleichen Weise wie von dem des Tieres und der Pflanze und wie er auch vom Werk und der Leistung eines Gertes reden knnte, etwa von der Leistung einer Axt.

    E s ist nun aber leicht zu sehen, daB der Sinn von Werk, Leistung und Aufgabe selbst ein anderer wird, wenn das Sein oder Leben dessen, was solche Aufgabe hat, ein anderes ist. D as mgliche Verfehlen der Aufgabe macht das besonders deutlich.

    Eine Axt, die ungeeignet ist und ihr en Dienst nicht erfllen kann, hat zu dieser ihrer Eignung oder Uneignung gar kein Yerhltnis. Sie selbst berhrt ihr Ungeeignet sein garnicht, sondern einzig den Be- nutzer der Axt.

    Ganz anders das T ier: Ein Tier das sein ,,Werk nicht leisten kann, etwa weil es verkrppelt (blind oder lahm) ist, hat ein Yerhltnis zu der Weise wie es eigentlich leben sollte. E s le id e t unter seinem Un- gengen. Aber dies Gengen oder Ungengen berkommt es naturhaft* E s selbst hat darber keine Macht.

    Anders der Mensch. E r sieht seine Aufgabe a is Aufgabe. Und nur so vermag sie ihn zu bestimmen. Dies verstehende Sehen von etwas ais das, was es ist, und die Moglichkeit, dadurch sich bestimmen zu lassen, ist aber gerade das, was A. ais W ort bezeichnet. Dessen Wesen ist im Gegensatz zur Wahrnehmung4) ein fr e ie s sich vorhalten*) peir|. 2) \yo. 3) 1098 a 18. 4) acrOiicriq.

    28

  • Konnen von etwas in seinem W as-und Wie-Sein. Diese Freiheit ist der Grund dafr, daB dem Menschen seine Aufgabe Yerpflichtung sein kann. Und das, wozu er sich verpflichtet, ist eben das, was der Grund der Mglichkeit der Yerpflichtung ist : das durch das freie Wort1) bestimmte Leben. Die Freiheit ist der Grund der Verpflichtung einzig zur Freiheit.

    Zugleich sehen wir, daB sich im Tier und im gewissen Grade schon bei der Pflanze gegenber dem Leblosen ein Schatten der Freiheit zeigt. Denn das Tier h a t seine Aufgabe, es bestimmt s ic h durch sie, whrend die A xt lediglich durch ihre Aufgabe bestimmt w ird .

    Kehren wir zu A. zurck.Die Erfllung der Aufgabe des Menschen sol die Eudmonie, das

    Glck sein. Zum Glck aber gehrt die Freude. Bringt die Erfllung seiner Aufgabe dem Menschen Freude ?

    Was erfreut denn jem anden? Jeden erfreut das was er liebt.2) So hat also der an der Tchtigkeit Freude, der ein Freund der Tchtigkeit ist. Und wer die eigentliche Aufgabe des Menschen will, hat an ihr die hochste Freude. So gehrt zur Eudmonie notwendig die Freude3) u. z. die hochste Freude, weil daran sich zufreuen dem Wesen des Menschen am meisten entspricht.

    Die ,,Vielen 4) aber, die Menschen wie sie zumeist sind, die sich an ihre eigentliche Aufgabe nicht kehren, haben auf Grund dieser Abkehr auch den Sinn fr das eigentlich Erfreuliche verloren. Was sie erfreut ist nicht seiner Natur nach5) erfreulich, weil es seiner Natur nach nicht menschlicher Zweck ist, sie haben d ie menschliche Aufgabe aufge- geben und verfallen infolge dessen der Anarchie ihrer Strebungen, unter denen ein K am pf ausbricht6), in welchem K am pf der strkste Antrieb, bald dieser, bald jener, siegt. Der Lebenswandel7) des Glck- lichen hat die Freude in sich selbst8). Er geht auf das von Natur Erfreuliche.

    Wenn so das Wesen der Eudmonie in der Wirklichkeit der Leben-

    x) der Ausdruck: freies Wort66 ist schon ein Pleonasmus. 2) KaCTUJbecPriv fibu Tipos 8 XeT^tai cpiX0T0i0UT0

  • digkeit1) liegt, so gehoren nach A. doch in gewissem Grade auch uBere Gter dazu. Der Mensch ist nicht reiner Geist, er ist wesentlich bedrftig, auf Umwelt und Mitwelt angewiesen. uBere Existenz, Freunde und dgl. machen zwar nicht das Wesentliche, wohl aber eine notwendige Bedingung der Eudmonie aus.2) ,,Das Entscheidende fr das Glck sind aber die Wirklichkeit en gemB der Tchtigkeit66.3)

    Wenn also die Eudmonie eine Wirklichkeit der Lebendigkeit ist,u. z. gemB der Tchtigkeit, so erhebt sich nun die Frage nach der Tchtigkeit, u. z. nach der menschlichen Tchtigkeit.

    Die Tchtigkeit, die hier gesucht wird, ist keine Bestimmung des Leibes4), sondern der Lebendigkeit, der Seele5).Wo aber haben wir in der ,, Seele66 die Tchtigkeit zu suchen ?

    Wir sahen, daB das W ort66 fr die menschliche Eudmonie und Tchtigkeit eine entscheidende Rolle spielt. So ist also zu fragen, welche Rolle das Wort in der Seele spielt.

    A. unterscheidet drei Teile666) der Seele, wobei es au f den Sinn des Teilseins der Teile jetzt garnicht ankommt:

    1. den Teil der ganz ohne Wort ist,2. den Teil, der das Wort hat, indem er es spricht,3. den Teil, der das Wort in gewissem Sinne hat, in gewissem Sinne

    aber auch nicht h a t : der es nicht hat, sofern er es nicht selbst spricht, der es aber doch hat, sofern er auf das Wort horen und sich durch es bestimmen lassen kann.

    Der erste schlechthin wortlose Teil ist uns mit dem vegetativen Leben gemeinsam, das Prinzip der Ernhrung und des W achstums.7) E r ist nichts spezifisch Menschliches und wir werden dort deshalb auch keine spezifisch menschliche Tchtigkeit zu suchen haben.8)

    Wohl aber sind die beiden andern Teile der Seele menschlicher Tchtigkeit fhig, der Teil der das Wort spricht und der Teil der auf das Wort hort, mit ihm streitet, sich ihm widersetzt9), oder ihm ge- horcht10), oder zusammenstimmt11) mit ihm.

    x) i|iuxn* 2) 1099 a 30ff. 3) Kpiai b eicriv aiKar peTfjv vpxeiai Tfjqeubai)uova

  • Diese beiden Arten der Tchtigkeit werden terminologisch be- stimmt ais ethische und dianoetische Tchtigkeiten.1)

    E s ist zu beachten, daB auch die ,,ethischen66 Tchtigkeiten, die Tchtigkeiten des Charakters, spezifisch menschliche sind durch ihren Bezug au f das spezifisch menschliche Vermgen des Wortes.

    Das griechische Wort fr Charakter2) leitet A. her von dem Wort fr Gewohnung3). Die ethischen Tchtigkeiten entspringen aus einer Gewohnung des Begehrens4) an das Handeln ,,gemB dem rechten Wort665), d. h. das Handeln, das auf das rechte Wort hrt, das der das Wort sprechende Seelenteil spricht.

    A. bestimmt die ethische Tchtigkeit ais vorstzliche Haltung des sich in der in Bezug auf uns rechten Mitte Haltens, wie sie durch das Wort bestimmt ist, und wie sie der sittlich Einsichtige bestimmen wrde66.6)

    Wir konnen in unserm Zusammenhang auf das Wesen der ethischen Tchtigkeit nicht eingehen. Ais Beispiel sei erwhnt, daB A. die Tapferkeit ais rechte Mitte zwischen Feigheit und Yerwegenheit bestimmt, und so in alien Fllen.

    Was fr unsern Zusammenhang wichtig ist, ist dies, daB diese Tchtigkeit bestimmt ist durch das Hren auf den Spruch des Wortes,u. z. wie es der sittlich Einsichtige spricht, d. h. derjenige dessen au f solchen Befehl gerichtetes Wort selbst durch Tchtigkeit, u. z. jetzt durch dianoetische Tchtigkeit, bestimmt ist.

    So konzentriert sich also die Frage nach der Eudmonie auf die Frage nach der dianoetischen Tchtigkeit, der Tchtigkeit des Seelen- teils, der das Wort spricht.

    A. beginnt die Untersuchung wieder mit einer Einteilung: Der Seelenteil, der das Wort spricht, zerfllt wieder in zwei Teile:

    1. den feststellenden Teil7), mit dem wir solches Seiende betrachten, dessen Ursprnge sich nicht anders verhalten konnen8).

    J) tiGikcu K a i biavor|TiKai pexa. 1103 a 5. 2) fjOoq 8) 00$. 1103 a 17. 4) Tn0ujua. 8) Kara tv p0v Xfov. 1103 b 32. 6) TrpoaipeTiKr), v jueaxriTi oucra xr) 7Tpvq Xfw xai \hq av 6 (ppvijuo ^p- aeie. 1106 b 36f. 7) TTi(mmoviKv. 8) ib Oewpounev T roiaOra tujv ovtiuv, 8ctuv ai pxa \xr\ vbxovrai XXujc; x^v.

    31

  • 2. den erwgenden Teil1), mit dem wir das Seiende betrachten, dessen Ursprnge sich anders verhalten konnen2).

    Der eine Teil ist also der, mit dem wir feststellen, was ist.3) E r geht auf dasjenige, dessen Ursprnge nicht anders sein konnen, ais sie sind. Das sol nicht sagen, daf dies Seiende in Bewegungslosigkeit vor uns liegt, es kann sich wohl bewegen, aber seine Ursprnge4) mssen unwandelbar sein. So wird die Bewegung der Gestirne und das Ge- schehen der Natur durch bestndige Grnde hervorgerufen. Aber auch die Ursprnge dessen, wovon die Geschichte berichtet, des Vergangenen, sind unwandelbar sofern es selbst ais Vergangenes dem Wandel entzogen ist: das Geschehene ist nicht im Stande nicht - geschehen zu werden5).

    Der andere Teil geht auf das, dessen Ursprnge sich andern konnen, nicht, indem sie sich willkrlich wandelten denn solches Zufllige ist berhaupt unverstndlich6) sondern weil das worauf dies ,,Wort geht, dasjenige ist, was bei uns steht, was seinen Ursprung in unserm eigenen Handeln hat.

    Gefragt wird nach der dianoetischen Tchtigkeit, nach der Tchtigkeit des verstehenden Seelenteils. Die Doppelaufgabe des Ver- stehens7) fordert eine doppelte Tchtigkeit. Fr jede der beiden Yer- stehensweisen muB eine Tchtigkeit8), eine ,,beste Haltung 9) gesucht werden, die durch das jeder Weise ,,eigentmlicheWerk 10) bestimmt wird, das je verschieden ist11).

    Das Werk beider Teile ist die Wahrheit12), aber in verschiedener Weise, die A. ais theoretische und praktische Wahrheit bezeichnet13). Die theoretische Wahrheit ist selbst Zweck des W ahrheit-Erfassens14), was das theoretische Wort will, ist Wahrheit um der Wahrheit willen. Nicht so das praktische Verstehen. Seine Wahrheit steht im Dienst des Handelns. Sie ist die Einsicht, die das rechte Wollen ermoglicht. Sie steht in der Aufgabe des Entschlusses, des Vorsatzes15), der sich

    *) XofiaxiKv. 2) iL xa vbexjueva. (se. aXXuuq 'xeiv). 1139 a 612. 3) m(JTrj|uri. 4) otpxot. 6) t yTOVc; o\jk evbxe xai |ai] YevcrGai.1139 b 9. 6) Vgl. Met. E. 2. 7) bivoia. 8) pexri. 9) kXTCTTrii

  • somit ais ,,wollende Vernunft661) oder vernnftiges Wollen66 be- stimint.2)

    Das Handeln, die Praxis, hat zwei Mglichkeiten, nm lich:1. das Herstellen3), dessen Zweck4) das hergestellte Werk ist, das

    nach Beendigung des Herstellens dasteht,5)2. das Handeln6) im engeren Sinne, dessen Zweck kein Ergebnis

    auBer ihm ist, sondern dessen Ziel das rechte Handeln selbst7) ist8).Jeder dieser Weisen entspricht eine Weise des Wahrheit Erfassens,

    des Wahrheitens66, die von A. ais sich Verstehen auf Kunstfertigkeit669) und ,,praktische Einsicht6610) bezeichnet werden und die sich um den Rang beste Haltung66 der erwgenden Seele66 zu sein streiten.

    In der feststellenden Seele66 streiten ebenfalls zwei Weisen des Wahrheitens darum, beste Haltung zu sein: die ableitend-beweisende Wissenschaft11) und die ,,Weisheit66, die grundstzliche Einsicht12).

    Zu diesen tritt noch die ,, Vernunft6613), die ais der Grund der Mg- lichkeit des Wortes berhaupt ais das wesentlich menschliche Ver- mgen Anspruch machen kann, das Wesentliche in alien Weisen des Wortes zu sein.

    So gibt es also nach A. fnf Weisen des Wahrheitens der Seele, wodurch sie bejahend und verneinend das Seiende erfafit: Kunst, Wissenschaft, praktische Einsicht, Weisheit und Vernunft.14)

    A. scheidet zunchst die Weisen des Wahrheitens aus, die dem Anspruch ,,beste H altung66 zu sein nicht gengen. Das sind fr die feststellende Seele die Wissenschaft und fr die erwgende Seele die Kunst.

    Die W issenschaft15) stellt fest, was ist. Ihr Thema ist deshalb das, was immer so ist, wie es ist, was nicht anders sein kann. Knnte es das nmlich, so knnte mein Wissen unbemerkt falsch werden. Die Wissenschaft ist also eine Haltung des feststellenden Seelenteils. Ist sie aber beste H altung?

    *) peKTiKoq vo0

  • Die W issenschaft ist lehrbar und lernbar. Alies Lernen nimmt seinen Ausgang von etwas schon GewuBtem, u. z. entweder auf dem Wege der aufzeigenden Hinfhrung1) oder der schlieBenden Ab- leitung2). Jede SchluBfolgerung hat ihren Ausgang bei gewissen Vor- aussetzungen3), aus denen abgeleitet wird. Und es gibt notwendig letzte Voraussetzungen, die nicht mehr aus andern abgeleitet werden konnen, sondern die durch aufzeigende Hinfhrung zugnglich gemacht werden mssen.

    Nun ist die Wissenschaft die Haltung beweisenden Ableitens4). Die Mglichkeit solcher Haltung setzt aber das Yerfgen ber die Voraussetzungen, die Prinzipien des Beweises voraus. Diese Prinzipien aber kann sich die apodeiktische Wissenschaft ais solche nicht ver- schaffen, trotzdem aber ist sie fr ihren eigenen Vollzug auf das Ver- fgen ber die Prinzipien angewiesen. Denn nur auf Grund der Wahrheit der Prinzipien ist das Ergebnis ihrer Ableitungen wahr. So ist die ableitende Wissenschaft mit einem grundstzlichen Mangel be- haftet. Sie verfgt nicht ber ihre eigenen Prinzipien, sie kann also nicht ,,beste Haltung66, ,,Tchtigkeit66 des feststellenden Seelenteiles sein.

    Wie im Felde des Feststellens die Wissenschaft so wird im Felde des Erwgens die K unst665) ausgeschieden. Auch sie kann der Forderung, beste Haltung zu sein, nicht gengen. Warum nicht? A. antw ortet: ,,In gewisser Weise gehen Kunst und Zufall auf dasselbe666). A uf das was das Werk der Kunst ist, hat der Zufall EinfluB. Wenn die Kunst auch alies bedenkt und alies aufs beste versteht, kann der Zufall das Werk miBlingen lassen, und er kann etwas gelingen lassen, obwohl die Kunst mangelhaft war. So zeigt sich : die Kunst ist nicht vllig Herr ber das, worauf es ihr eigentlich ankommt, ber ihr Werk. Weil sie ihr Werk auBer sich hat, ist es auBer ihrer Macht und damit sie selbst in einer nicht bei ihr selbst liegenden Mglichkeit der Verfehlung.

    So machen noch Anspruch, die beste H altung66 zu sein : die prak-

    x) 'TTafurfri. 2) cru\\0Yicr|a

  • tische Einsicht1) fr den erwgenden Seelenteil, die Weisheit2) fr den feststellenden Seelenteil und die Vernunft3) fr beide.

    Das Wesen der praktischen Einsicht versucht A. zu bestimmen, indem er die Frage stellt, welcher Mensch praktisch einsichtig4) ge- nannt wird. Sache des Einsichtigen scheint es66, entscheidet er, in der rechten Weise mit sich zu Rate gehen zu konnen ber das, worauf es fr ihn selbst ankommt, und was fr ihn selbst von Belang ist, u. z. nicht im Hinblick auf eine Teilfrage, wie z. B. hinsichtlich der Ge- sundheit oder der Krperkraft, sondern in Hinsicht auf die rechte Weise des Lebens schlechthin665). Dieses Konnen ist weder eine Vollzugsweise des Feststellens, da jad ie Ursprnge des Seienden, worauf es geht,anders sein konnen (sofern sie beim Handelnden selbst liegen) noch ist es eine Kunst, weil es nicht auf ein Werk gerichtet ist, das ais Ergebnis auBer dem Tun dastehen sol, da ja sein Ziel das rechte Handeln selbst ist6). Die praktische Einsicht ist ,,die praktische Haltung zu der das wahre Wort gehrt ber das, was fr den Menschen gut und schlecht ist467).

    Fr die Kunst nun gibt es eine Tchtigkeit, die Mglichkeit sich mehr oder minder gut auf das zu verstehen, was sie hervorbringen will. Das hervorzubringende Werk ist der MaBstab, an dem sie sich miBt. Solche Tchtigkeit aber gibt es nicht fr die praktische Einsicht. Denn sie hat kein Werk auBer ihr, an dem sie sich messen knnte. Sie ist vielmehr selbst der MaBstab fr das Leben berhaupt. So gibt es fr sie keine Tchtigkeit, sondern sie ist selbst eine Tchtigkeit, nmlich das sich gut Verstehen auf das menschliche Leben berhaupt8).

    So ist also die praktische Einsicht die Tchtigkeit oder beste Haltung des einen worthabenden Seelenteiles, des erwgenden oder berlegenden Teiles9). Sie ist kein sich Verstehen darauf, w as zu tun ist, um irgend etwas hervorzubringen, sondern ein sich Verstehen darauf, wi e zu handeln ist, um ais Mensch in der rechten Weise zu leben.

    *) qppvrimq. 2) (Toqpa. 3) vou. 4) qppvi)uo

  • So bleibt die Frage nach der besten Haltung des feststellenden Teils1). Hier wurde die Wissenschaft abgewiesen, weil sie nicht die Prinzipien ihrer Beweise beistellen knnte. AuBer ihr erhebt die Weisheit Anspruch, die gesuchte beste Haltung zu sein. Aber auch der Weise ist doch dafr bekannt, daB er fr vieles einen Beweis geben kann2). So ist also die Wissenschaft ein Element der Weisheit selbst. E s muB also in ihr noch etwas anderes wirksam sein, ein Vermftgen, das die Prinzipien erfaBt. Dies Vermogen kann, da alie andern Weisen des Bewahrheitens abgewiesen wurden, nur noch die Vernunft3) sein. Die Vernunft ist das Vermogen der Prinzipien, so bestimmt sie noch Kant. Wir werden spter auf das Wesen der Vernunft genauer einzugehen haben, hier muB diese Andeutung gengen.

    Obwohl es die Vernunft ist, die die Prinzipien erfaBt, entscheidet A. doch, daB nicht sie, sondern die Weisheit die beste Haltung des feststellenden Seelenteiles sei4). Warum ?

    Die Weisheit, sagt A .,ist Vernunft u n d Wissenschaft5), sie erfaBt die Prinzipien und leitet aus ihnen ab, ,,als eine den K opf habende Wissenschaft vom Hochsten 6). Die Erfassung der Prinzipien ist der Kopf, die Ableitung daraus der Rumpf. Und nun sehen w ir: so wenig der Rum pf ohne den K opf darauf Anspruch machen knnte, beste H altung zu sein, so wenig kann es auch der K opf ohne Rumpf, da er ja erst ais K opf des Rumpfes wirklich K opf ist oder um ohne Bild zu reden: erst wenn die Prinzipien ais Prinzipien einer Ableitung aus ihnen dienen, sind sie wirklich ais Prinzipien erfaBt.

    So kommt also erst in der Weisheit die Vernunft eigentlich zur Geltung. Wie in ihr, so ist sie aber auch in der praktischen Einsicht lebendig. Auch die Erwgungen der praktischen Einsicht nehmen ihren Ausgang von gewissen Prinzipien. Diese Prinzipien sind aber nicht wie di der theoretischen Ableitung etwas Allgemeines, sondern gerade das Einzelne, die jeweilig bestimmte einmalige Lage, in der und aus der heraus der Handelnde handelt. Auch diese Prinzipien erfaBt, sagt A., die Vernunft und nicht das ableitende Wort. ,,Die Vernunft

    !) 1140 b 31 ff. *) 1141 a 2f. ) vou. 4) 1141 a 9 ff. 5) vouc; Kai mcTTr|)Lir|. 1141 a 19f. ) ubairep KecpaXfjv ? x o u ( J a 7ri(TTr|jLir| t u j v t iju iu u t< - Tiuv. 1141 a 19.

    36

  • geht auf das uBerste nach beiden Seiten. Denn die ersten und letzten Grenzen, Bestimmungen, erfaBt die Vernunft und nicht das ablei- tende W ort661).

    So sind die beiden besten Haltungen des Seelenteils, der das Wort hat, zwei Weisen der im Wort in Bewegung gesetzten Vernunft. Und das muB 6o sein, weil die Vernunft eigentlich das den Menschen ais Menschen Auszeichnende ist.

    Sofort aber entsteht nun die Frage, welche von diesen beiden Voll- zugsweisen die fr die Eudmonie entscheidende ist, oder da es ja beide sein mssen, welche vor der andern einen Vorrang hat.

    Diesen Vorrang spricht A. der Weisheit zu. E r gibt dafr eine ganze Reihe von Grnden:

    1. Sie hat den hchsten Gegenstand2). Der Gegenstand der praktischen Einsicht ist der Mensch, das menschliche Gut. SoistihrT hem a eingeschrnkt. Fr andere Wesen ist vielleicht etwas anderes das Gute. E s gibt auch Tiere, die sich in gewissen Graden auf das verstehen, was fr sie gut ist3). Und wenn der Mensch das hochste Lebe- wesen ist, so ndert das nichts, es gibt vieles, was seinem Wesen nach gottlicher ist ais der Mensch, z. B. die Gestirne4). Weil ihr Gegenstand der hochste ist, deshalb ist die Weisheit die hochste Haltung5).

    2. Die Weisheit ist die stetigste Ttigkeit6), sie wird nicht wie die praktische Einsicht durch die wechselnden Umstnde umgetrieben, sondern beharrt in freier Ruhe.

    3. Sie gewhrt am meisten Freude7). Schon das Suchen nach ihr, die Philosophie, gewhrt erstaunliche Freuden, so muB der Besitz der Weisheit noch hhere Freude machen.

    4. Sie ist am meisten durch Alleingenge8) ausgezeichnet. Die praktische Einsicht ist von den Umstnden abhngig,um zum Vollzug zu kommen. Wo keine Gefahr ist, kann niemand sich tapfer und ent- schlossen zeigen, wer kein Geld hat, kann nicht freigebig sein und wer niemanden kennt, kann sich nicht ais Freund bewhren. Die Be-

    J) k c u voOq t u j v axTUJv tt* iucpTepa* k c u y

  • trachtung1) des Weisen ist auf all das wenig oder garnicht angewiesen.5. Sie allein wird um ihrer selbst willen gewollt2). Der praktischen

    Einsicht kommt es zwar nur auf das rechte Handeln selbst an, d. h. darauf, w ie gehandelt wird, aber kein Handeln ist mglich, das nicht zugleich etwas vor sich hatte, w as es will. ber dieses Was gibt die praktische Einsicht dem Menschen gar keine Auskunft, das muB er schon wissen.

    Was aber ist es, was der Mensch in alien Geschften, in allem Trubel des ofFentlichen und privaten Lebens erjagen will ? A. antw ortete: die M ulJe3). Die MuBe aber ist die Voraussetzung der Betrachtung, der Theorie. So ist also dies der entscheidende Vorrang der Weisheit vor der praktischen Einsicht, daB diese nur das Wie des Handelns bestimmt, das Was aber vollig offen lBt, welches Was eben in der Weisheit seine eigentliche Erfllung erfhrt. So steht die praktische Einsicht selbst endlich noch im Dienst der Weisheit. A. vergleicht deshalb ihre Stellung zueinander mit der der Arztkunst zur Gesund- heit. Wie die Arztkunst im Dienst der Gesundheit steht, au f die es letztlich ankommt, so steht die praktische Einsicht im Dienst der Weisheit, die die hochste Mglichkeit des Menschseins ist.

    Diese Mglichkeit hat in der Tat etwas bermenschliches4). Aber gerade dies bermenschliche, dies Gttliche, ist das am eigentlichsten Menschliche. Wenn es auch wenig Raum im durchschnittlichen Leben des Menschen einnimmt5), so ist es doch das Entscheidende6) und das Wertvollere7) im Menschen.

    Die Weisheit ist ais die hochste Mglichkeit des Menschen das, was im Grunde alie Menschen wollen, und was sie trotz des Scheins, daB es etwas bermenschlich Gttliches sei, ais den eigentlichsten Besitz des Menschen verstehen.

    Wenn das so ist, so haben wir jetzt die Antwort auf die drei Fragen, die wir am Anfang dieses stellten:

    1. Wenn der Mensch die Weisheit ais seine hochste Mglichkeit versteht, so folgt notwendig, daB alie Menschen von Natur nach Einsicht streben.

    *) Geuupa. 2) 1177 b lff. 3)

  • 2. Ebenso ist klar, daB sie, wenn auch noch so undeutlich, von einem Mehr und Am Meisten an Einsicht eine Vorstellung haben mssen.

    3. Auch das hat sich aufgeklrt, wieso das Am Meisten an Einsicht, obgleich es scheinbar ein ber menschlich Gttliches ist, doch das eigentlich Menschliche ist.

    Die Philosophie ist also keine beliebige Beschftigung, sondern diese Liebe zur Weisheit, diese Bewegung des zur Weisheit gelangen Wollens ist die Grundbewegtheit des Menschen ais Menschen, sie ist die ausdrcklich gewordene Bewegung des Menschseins ais solchen. Sie ist das vom Menschen ais eigenes ergriffene, e ig e n tlic h e M e n sc h - se in w o lle n .

    3. Philosophie ais Frage nach der Bewegung1)

    Die Philosophie ais Liebe zur tiefsten Einsicht und ais eigentliches Menschseinwollen, wovon handelt sie ?

    Wir ver suchen, uns das im Blick auf die faktische philosophische Arbeit des A., zunchst in einer sachlichen berlegung klar zu machen.

    Wir hrten: die Philosophie will Einsicht in die ersten Ursprnge, Ursprnge wovon ? Antw ort: in die Ursprnge schlechthin, d. h. aber nicht von diesem und jenem, sondern von Dem Seienden schlechthin. Der Gegenstand der Philosophie ist also Das Seiende. Seiend ist alies was ist. Der Philosoph erforscht nun zwar, wie wir schon hrten, in gewisser Weise alies, aber nicht so, daB er alies und jedes im Einzelnen erkennen wollte, sondern indem er das Allgemeine zum Thema hat. E r erforscht also das Seiende im Allgemeinen, d. h. jedes Seiende, sofern es seiend ist2).

    So ist die Philosophie O n to lo g ie .Welches Seiende aber wird befragt, um zu erfragen, was das Seiende

    ais Seiendes ist ? Offenbar kann sich die Frage nicht auf einen Bereich des Seienden einengen. Sie muB alie Gebiete des Seienden durchlaufen, das Ganze Des Seienden durchmessen, um das Seiende ais Seiendes nach seinen mglichen Abwandlungen zu durchforschen.

    *) Met. f u. E. 2) t ov f| v. 1003 a 21.

    39

  • So ist die Philosophie K o sm o lo g ie .Wie aber sol die Philosophie solche Abwandlungen des Seienden

    ais Seiendes erforschen ohne den Blick zu richten auf ein Seiendes, das D a s Seiende im ausgezeichneten Sinne ist, das am meisten seiend ist, und von dem aus das andere ais mehr oder minder seiend sich bestimmt, au f das erste Seiende, die Gottheit1) ?

    So ist die Philosophie T h e o lo g ie .Ferner: Alies, was die Philosophie ais Seiendes erfaBt, erfaBt sie

    ais wahres2); das W ahrheit-Erfassen3) aber ist eine Leistung der Seele4). Die Seele ais Wahrheit Enthllende ist also notwendig Thema der Philosophie.

    So ist die Philosophie P sy c h o lo g ie .Das ais wahr Erkannte erfhrt Ausdruck im Wort5). Das Wesen des

    Wortes muB also gleichfalls Thema der Philosophie sein.So ist die Philosophie L o g ik .Und da endlich die Weisheit das hochste Gut des Menschen aus-

    machen sol, so muB die Philosophie auch darauf sich richten: Sie fragt nach dem Gut6) und insbesondere nach dem menschlichen Gut7).

    So ist die Philosophie E th ik .So verschlingen sich also in dieser Philosophie all die Fragerich-

    tungen die spter ais Disziplinen der Philosophie auseinander genommen und systematisch geordnet wurden ais Logik, Ethik und Metaphysik mit ihren Unterdisziplinen: Metaphysica generalis Ontologia, und Metaphysica specialis Cosmologia, Psychologia und Theologia rationalis.

    In der T at bewegen sich die aristotelischen Untersuchungen in all den angezeigten Richtungen. Dennoch aber sind diese Abhandlungen kein System von Disziplinen, die aufeinander aufbauen. Das ist der Natur der Sache nach auch garnicht moglich. Die Psychologie z. B. setzt die Ontologie voraus. Um das Wesen dieses bestimmten Seienden, der Seele, zu erforschen, muB ber das Wesen des Seienden berhaupt schon Klarheit bestehen. Die Ontologie umgekehrt macht von den Ergebnissen der Psychologie Gebrauch. In ihr tritt z. B . das

    *) 0iov. 2)akr\Q

  • Problem der Definition auf. Die Definition ist eine bestimmte Weise des Wortes. Das Wort aber grndet in der Vernunft, die ein Vermogen der Seele ist.

    Ferner: Von der Analyse des bewegten Seienden steigt die Analyse zum Unbewegten, dem Gott, auf. Dieser sol aber ais erster Ursprung das Sein des Bewegten allererst verstndlich machen.

    So ist die aristotelische wie jede echte Philosophie ein Kreisen, worin der Anfang das Ende ebenso voraussetzt wie das Ende den Anfang, weil es eigentlich keinen Anfang und kein Ende gibt. E s gibt keine philosophische Fundamentaldisziplin, auf die sich die andern Disziplinen ais auf ein fundamentum inconcussum aufbauen lieBen.

    A. selbst hat uns verschiedene Reflexionen ber die philosophische System atik hinterlassen. Keine dieser Ausfhrungen aber gibt ein System von Disziplinen, in das man schematisch alies, was er gear- beitet hat, wie in ein Gehuse einordnen knnte. Vielmehr wird jeweils ein Motiv der philosophischen Forschung angeschlagen und von ihm aus ein Blick auf das Ganze geworfen.

    Wir behandeln die beiden wichtigsten dieser Untersuchungen1).Der Anfang des 4. Buches der Metaphysik entwickelt das Wesen

    der Philosophie ais der Wissenschaft ,,die das Seiende ais Seiendes und das diesem ais solchen Zukommende betrachtet 2). Sie unter- scheidet sich ais solche von jeder andern Wissenschaft, die ein bestimm- tes Gebiet des Seienden herausschneidet und das betrachtet, was diesem Gebiet zukommt3).

    Die Philosophie ist, so hrten wir, Ursprungsforschung. Sonach sucht sie also die ersten Grnde des Seienden ais Seiendes4).

    Das Seiende, hrten wir, ist Thema ais Allgemeines, ais Seiendes, ais das was jedes Seiende ais Seiendes ist. So hat die Philosophie also von allem Besonderen, das die einzelnen Seienden an sich haben, abzusehen und, was ihnen alien ais das Sein gemeinsam ist, herauszuheben.

    Hier aber erhebt sich eine Schwierigkeit. Die gestellte Aufgabe setzt voraus, daB das Seiend-Sein etwas ist, was ais identisch Selbiges an

    ^M et. T. u .E . 2) Geuupe t o v f) ov kcu t t o t u j TrpxovTa kcxG' x t . 1003 a 21 f. 8) 1003 a 23 ff. 4) t o O v T o q rj o v Taq TrpTct^ a T a q . 1003 a 31.

    41

  • allem Seienden sich findet, terminologisch gesprochen: daB das Seiende1) Gattung 2) alies Seienden ist.

    D as Seiende, behauptet aber A., kann nicht Gattung sein. Das Seiend-Sein ais ein bei allem Seienden sich findendes sachhaltiges identisch Selbiges das gibt es nicht.

    E s kann nun weder das Seiende noch das Eine Gattung der Seienden sein. Notwendigerweise nmlich mssen die Unterschiede jeder G attung jede so wohl sein wie eines sein. Man kann aber weder die Arten der Gattung noch die Gattung ohne ihre Arten von den zuge- hrigen Unterschieden aussagen. Wenn also das Eine oder das Seiende Gattung wre, so wre kein Unterschied seiend und keiner eines643).

    Wir wollen uns das durch eine einfache berlegung verdeutlichen: An zwei Arten von Dingen kann ich einmal das herausheben, was beide gemeinsam haben, das wre ihre gemeinsame Gattung, sodann dasjenige, was sie von einander unterscheidet, das wren ihre art- bildenden Unterschiede. Diese Teilung ihrer Bestimmungen hat, dem Teilungsprinzip gemB, zur notwendigen Folge, daB unter den drei Gruppen von Bestimmungen keine Bestimmungen mehreren Gruppen gemeinsam sein konnen. Die Gruppe der gattungsmBigen Bestim mungen, die der spezifschen Bestimmungen der einen und die ent- sprechende der andern Art haben kein gemeinsames Glied. Das gilt fr alie sachhaltigen Bestimmungen. Notwendig aber mssen die Bestimmungen aller drei Gruppen Seiendes bezeichnen, wenn sie nicht nichts bezeichnen sollen. Somit ist aber das Seiend-Sein keine Bestimmung, die bei dieser Verteilung der gemeinsamen und tren- nenden Bestimmungen mitverteilt werden knnte, da diese Bestim mung sich von keiner der andern Bestimmungen ablsen lBt, ohne das, wovon sie abgelst wird, zu nichts zu machen.

    Diese Unablsbarkeit des Seiend- Seins von jeder andern Bestimmung macht es unfhig ais Gattung alies Seienden zu fungieren.

    *) t ov . 2) Yevoq. 3) o x o v Te be tujv ovtuuv outc t S v otc t ov e iv a iy v o q * vaYKrj |uv f p Taq b iaq p o p s iccrTou Yevouq kcu e iv a i kcu juav e v a i iccTriv, b v a T o v be K cn riY op eiaai f) Ta ebr| to O -fvous m tujv oiK eujv biaqpopujv r| t y vo

  • Wenn aber das Seiende nicht Gattung ist, so ist ,,seiend doch nicht ein bloles Wort. E s hat zwar eine vielfltige Bedeutung1), aber diese Vielfltigkeit ist keine zufllige und willkrliche, die Vielheit der Bedeutungen ist geeinigt durch den Bezug aller au f eine Leit- bedeutung und auf ein einheitliches Wesen, das diese Leitbedeutung meint2). A. erlutert diese Bedeutungseinheit der Analogie, u. z. (wie sie spter genauer genannt wurde) der analoga attributionis, durch das Beispiel der vielfltigen Bedeutung des Wortes gesund , das im eigentlichen Sinne den Leib betreffend, in weiteren abgeleiteten Bedeutungen auch das bezeichnet, was sie erhlt, herstellt, was ihr Zeichen ist, usw3).

    Diese Einheit der Analogie hat auch der Begriff des Seienden4). Die leitende Bedeutung meint das Seiende im Sinne des in erster Linie und eigentlich Seienden, des Wesens5), in abgeleiteter Weise, au f diese erste Bedeutung bezogen heiUen seiend auch die Zustnde des Wesens6), der Weg ins Wesen7), die Vernichtung8), Beeintrch- tigung9) Beschaffenheiten11), das was das Wesen oder ein im abgeleiteten Sinne Seiendes hervorbringt11) oder erzeugt12), oder die Negationen 13) von all diesem14).

    A. bezeichnet die durch den Bezug auf die Leitbedeutung des Wesens geeinigte Reihe von Bedeutungen, die das Seiende in analo- gischer Einheit meinen, ais K a t e g o r i e n . In dem analogen Begriff des Seienden fnden wir also eine ursprngliche Spaltung zwischen dem eigentlich Seienden, dem Wesen und einer Vielheit von Eigen- schaften, Bestimmungen, Verfassungen, d. h. einer Vielheit von Weisen des Seins des eigentlich Seienden, die A. zusammenfassend das dem eigentlich Seienden Zukommende 15) nennt.

    Wesen und Grund dieser Differenz wird uns in der Folge noch aus- fhrlich beschftigen. Wir werden sehen, daB sie in der B e w e g u n g ihre Wurzel hat. Wenn dem so ist, so zeigt die Bedeutung, die diese

    *) XyeTax ttoMcixujs. 1003 a 33 u. o. 2) upq Iv Kai jaav Tiv cpmv-1003 a 33 f. 3) 1003 a 34 ff. 4) v. 6) offa. 6) TiGri ovGctq. 7) b

  • Differenz schon bei der Bestimmung des Wesens der Philosophie ge- winnt, daB das R t s e l der B e w e g u n g der L e b e n s a t e m der a r i s t o t e l i s c h e n P h i l o s o p h i e ist.

    Die ursprngliche Vielheit des Seienden hat nun nicht die Wirkung, die Philosophie in eine Vielheit aufzuspalten, deren jedes Glied ein Glied dieser Vielheit des Seienden erforschte. Vielmehr gehrt diese Mannigfaltigkeit ja wesensmBig zusammen, alieGlieder derselben sind ja was sie sind nur durch ihren Bezug auf das erste. So betrachtet die eine Philosophie das Seiende in seiner Vielheit.Wohl aber hat diese Vielheit zur Folge, daB ihr erstes Glied auch der erste Gegenstand der Philosophie ist. Denn in Bezug auf es und von ihm aus muB sie ja die andern Glieder verstehen. So ist also die Philosophie vorzglich das Suchen und Fragen nach den ersten Grnden und Ursprngen der Wesen, u. z. sofern sie Wesen sind1).

    Aber damit sind wir noch nicht am Ende. A. fhrt fort: U nd es gibt soviel Teile der Philosophie wieviele der Wesen sind. Daher muB notwendig eine die erste (Philosophie) und eine die darauf folgende sein462).

    Auch das Wesen ist also noch nicht dasjenige, was ais allgemeine berall identische Gattung bei alien Wesen sich findet und ais dies identisch Eine Thema der Philosophie ist. Das Wesen hat Abwand- lungen, die es in seinem Wesen-Sein abwandeln und die Philosophie ntigen, diese Abwandlungen alie zu durchlaufen und zu durch- forschen. Diese Abwandlungen aber sind derart, daB die auf sie bezo- genen Forschungsrichtungen der Philosophie eine gewisse Rangord- nung ais ,,erste66, zweite66 usw. Philosophie erfahren. A. vergleicht diese Sachlage mit der in der Mathematik, die auch verschiedene Zweige hat, die in einem Ordnungsverhltnis stehen: Arithmetik, Geometrie, Astronomie3). Diese Ordnung der mathematischen Disziplinen grndet darin, daB sie aufeinander aufgebaut sind, und dieser Aufbau grndet darin, daB ihr Gegenstand einen entsprechenden Aufbau zeigt. Das wovon die Geometrie handelt, Raumgebilde, wird

    x) 1003 b 17 ff. 2) kcu TocraTa jupri qpiXoaoqpaq crriv ocrai Tiep ai ocrai. ifocm vaYKaov evai ttputtiv Tiv Kai xoj^vriv airrwv. 1004 a 2ff. 3) 1004 a 6ff.

    44

  • von dem wovon die Arithmetik handelt, GrBenbeziehungen, mit- bestimmt.

    So muB auch unter den Abwandlungen des Wesens ein Zusammenhang bestehen, der das Fragen danach in eine gewisse Ordnung zwingt. Welcher Art aber diese Abwandlungen und diese Ordnung sind, davon werden wir noch hren.

    Die Philosophie handelt vom Seienden, u. z. ais Seienden. Dies Thema impliziert eine Menge anderer Fragen. Im Beweis dafr, daB das Seiende nicht Gattung sein kann, sahen wir diesen selben Beweis zugleich gefhrt fr das E in e 1). Auch das Eine zerfllt in dieselbe Vielheit der Kategorien wie das Seiende: Identitt des Wesens, Gleichartigkeit der BeschafFenheit, GleichmaB der Grfle usw. So ist die Philosophie ais Ontologie zugleich Frage nach dem Einen und seinem Zusammenhang m it dem Seienden2), ebenso nach ihren nega- tiven und privativen Abwandlungen3).

    Ferner aber sind auch die sogenannten Grundstze 4) Gegenstand derselben Forschung. Diese Grundstze nmlich sind gewisse Stze, die von allem Seienden gelten, und nicht von einem Gebiet des Seienden mit AusschluB von andern5), jeder gebraucht sie, wovon er auch spricht, da sie von allem Seienden gelten, sofern es Seiendes ist. Deshalb sind sie auch Thema des Forschers, der das Seiende ais Seiendes erforscht. A. analysiert im AnschluB an die vorgetragene Untersuchung des Wesens der Philosophie einen solchen Grundsatz,u. z. den ersten dieser Grundstze, den Satz des Widerspruchs. Wir sind gewohnt, diesen Satz ais logischen Grundsatz zu bezeichnen. Hier erscheint seine Diskussion ais Aufgabe der Ontologie. Die Ontologie erscheint selbst ais Logik.

    A uf das Problem des Satzes vom Widerspruch werden wir an einer spteren Stelle eingehen. Vorerst haben wir die Betrachtung ber das Wesen der Philosophie zu Ende zu bringen, indem wir jetzt die zweite Hauptstelle6) interpretieren.

    Diese Untersuchung faBt das, was wir schon ber das Wesen der Philosophie gehrt haben, zusammen mit den Worten: G efragt

    !) gv. 2) 1003 b 22 ff. 3) 1004 a 9ff. *) iwjLiaTa. 1005 a 20. 6) 1005 a 23 f. ) Met. E. 1.

    45

  • wird nach den Ursprngen und Grnden des Seienden, u. z. ais Seiendem661)

    Wir sahen, dies Fragen ist wesentlich Fragen nach dem Wesen, u. z. Fragen nach den Abwandlungen, die das Wesen erfahren kann, welche Abwandlungen selbst noch Bestimmungen des Seienden ais Seienden sein mssen.

    Welches sind diese Abwandlungen ?D as Seiende, welches uns zunchst begegnet, welches wir am ver-

    trautesten kennen, ist das bewegte Seiende2). Das bewegte Seiende ist entweder solches, das wir selbst herstellen durch eine gewisse K unst3),oder solches, das sich selbst herstellt4), bei dem der Ursprung der Bewegung und des Stillstandes in ihm selbst ist665). Das Bewegtsein des bewegten Seienden ist aber nicht eine ihm zufllig zukommende Eigenschaft, sondern eine wesentliche Bestimmung seines Seins. Denn das Wort, das solches Seiende bestimmt, kann niemals von der Bewegung absehen666). Das Bewegte ist jetzt, da es so und so, das und das ist, noch nicht, bzw. nicht mehr alies das was es sein kann. Dasselbe gilt wenn es zwar gerade stillsteht, sich aber bewegen k ann .

    D as Bewegtsein eines Seienden ist also ein Sein, in dem das Seiende ber sein jeweilig jetziges Sein hinausgreift in ein Nochnicht- und Nichtmehr-Sein, in ein Sein-Knnen, das zu diesem Seienden gehrt. So ist das Bewegtsein eine Bestimmung des Seins.

    Dies Sein des Bewegtseins ist aber in sich selbst N i c h t s ein. D as Bewegte ist stndig das, was es nur sein kann, n ich t , nicht wirklich.

    So sehen wir also: die seinsmBige Abwandlung, die das Wesen noch zulBt und zeigt, ist die Abwandlung ins Nicht-Sein. D as in sich nichtige bewegte Wesen gibt ais solches einen Verweis au f ein Seiendes und ein Wesen, das von solcher Nichtigkeit, die das Sein antastet, frei ist, au f ein &ehlechthin nicht-loses Wesen.

    Wo sollen wir aber ein solches nicht-loses Seiendes suchen ?Wir sahen diese Nichtigkeit grnden in der Bewegung. Ein unnich-

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  • tiges Seiendes muB also bewegungslos sein, nicht im Sinne des Still- standes, d. h. des Bewegungslosseins von etwas, was sich bewegen kann, denn dieses wre mit derselben Nichtigkeit behaftet wie das Bewegte, sondern bewegungsfrei in dem Sinne, daB Bewegung es berhaupt nicht antasten kann.

    Aber kennen wir nicht solches Seiende ? Sind nicht die Zahlen, u. berhaupt alies wovon die Mathematiker handeln, von der Art ? In der T a t: dies Seiende ist bewegungsfrei1). Die Zahl 7 kann sich nicht wandeln, nicht entstehen und nicht vergehen. Aber haben wir damit wirklich etwas gewonnen, was ,,seiender ist ais die bewegten Dinge ?

    Das bewegte Wesen ist getrennt 2), d. h. es vermag fr sich allein zu sein. E s ist zu ihrem seinem nicht angewiesen darauf, daB etwas anderes ist, ais dessen Eigenschaft, Bestimmung, Anhngsel es wre. Aber Zahlen ? Gibt es Zahlen die irgendwo fr sich allein existieren ? Es gibt vielleicht irgendwo 7 Sterne, 7 Bume, 7 Farben, aber d ie Zahl 7, wo gibt es die ? Aber wir reden doch von d er Zahl 7. Also gibt es sie doch, in unserm Reden wenigstens. In unserm Reden, zweifellos, da gibt es die Zahl 7, aber ist sie da wirklich ein Getrenntes ? Vermag sie denn da zu sein ohne unser Reden ?

    So haben wir, scheint es, die Nichtigkeit der Bewegung aus dem mathematisc