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1 Buchvorstellung „Mein Kind ist rechenschwach“ von W. Hoffmann, U. Schlee, A. v. Schwerin 7. Auflage Liebe Betroffene, Liebe Interessierte, ich habe eine von Dyskalkulie betroffene mittlerweile 15jährige Tochter. Als ich von der Problematik Dyskalkulie erfuhr, war unsere Tochter gerade in der 2. Klasse angelangt. Da gab es viel zu überlegen: Was können wir als Eltern tun, was tut meinem Kind gut? Wie begegne ich dem Problem? Unsere Tochter hat eine zweijährige Therapie beim Osnabrücker Zentrum für Mathematisches Lernen besucht, die wir selbst finanziert haben. Diese Therapie fand einmal wöchentlich statt und ich saß so manche Nachmittage im Wartezimmer... Da bin ich auf dieses Buch gestoßen, das dort auslag. Ich habe es zu Hause gelesen und war begeistert, wie nah dieses Buch an der Problematik ist und bei so mancher Seite dachte ich: „Genau wie bei uns“. Dieses Buch hat mir geholfen, mein Kind besser zu verstehen, wie es in der Welt der Zahlen denkt und warum das alles so schwierig für diese Kinder ist und welch enorme Konzentration sie aufbringen müssen. Ich möchte hier einige Zeilen zitieren, die mich sehr berührt haben. Danach konnte ich mit meinem Kind fühlen und es hat mir geholfen, es zu verstehen und Verständnis aufzubringen. Es zeigt, wie sehr sich diese Kinder bemühen und anstrengen, aber auch, dass Eltern keine Therapeuten sein können und beide Seiten – Kind und Eltern – schnell an ihre Grenzen kommen. „Ein Nachmittag im Leben eines rechenschwachen Kindes: Das Kind (wir nennen es Maren) soll seine Hausaufgaben in Mathe erledigen. Maren ist im Förderunterricht und bekommt Aufgaben zum Üben, die normalerweise von Kindern gegen Ende des zweiten Schuljahres gelöst werden sollen. Die Mutter sitzt wie üblich daneben und versucht, ihrer Tochter so gut es geht zu helfen. Die erste Aufgabe lautet: 25 + 18 = ? Ein scheinbar nicht allzu schwer bewältigendes Problem. Maren fängt an zu „rechnen“. Da sie über keinen korrekten Zahlbegriff verfügt, kompensiert sie ihr völliges Unverständnis durch das Abzählen einer auswendig gelernten Zahlenreihe. Für Maren stellt sich die Aufgabe folgendermaßen dar: „Ich soll von der 25 aus hochzählen (wegen dem Plus), und zwar genau 18 Stück.“ Die Aufgabe soll ohne Fingerhilfe gelöst werden, schließlich ist das Kind ja bereits in der dritten Klasse. Maren erinnert sich an eine ihrer ersten Regeln, die sie in der ersten Klasse gelernt hat.

Buchvorstellung „Mein Kind ist rechenschwach · muss wieder von vorne anfangen; alle Anstrengung und alle Konzentration waren umsonst, nur weil „Mama mich nicht rechnen lässt

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Buchvorstellung„MeinKindistrechenschwach“vonW.Hoffmann,U.Schlee,A.v.Schwerin7.Auflage

LiebeBetroffene,LiebeInteressierte,ichhabeeinevonDyskalkuliebetroffenemittlerweile15jährigeTochter.AlsichvonderProblematikDyskalkulieerfuhr,warunsereTochtergeradeinder2.Klasseangelangt.Dagabesvielzuüberlegen:WaskönnenwiralsElterntun,wastutmeinemKindgut?WiebegegneichdemProblem?UnsereTochterhateinezweijährigeTherapiebeimOsnabrückerZentrumfürMathematischesLernenbesucht,diewirselbstfinanzierthaben.DieseTherapiefandeinmalwöchentlichstattundichsaßsomancheNachmittageimWartezimmer...DabinichaufdiesesBuchgestoßen,dasdortauslag.IchhabeeszuHausegelesenundwarbegeistert,wienahdiesesBuchanderProblematikistundbeisomancherSeitedachteich:„Genauwiebeiuns“.DiesesBuchhatmirgeholfen,meinKindbesserzuverstehen,wieesinderWeltderZahlendenktundwarumdasallessoschwierigfürdieseKinderistundwelchenormeKonzentrationsieaufbringenmüssen.IchmöchtehiereinigeZeilenzitieren,diemichsehrberührthaben.DanachkonnteichmitmeinemKindfühlenundeshatmirgeholfen,eszuverstehenundVerständnisaufzubringen.Eszeigt,wiesehrsichdieseKinderbemühenundanstrengen,aberauch,dassElternkeineTherapeutenseinkönnenundbeideSeiten–KindundEltern–schnellanihreGrenzenkommen.„EinNachmittagimLebeneinesrechenschwachenKindes:Das Kind (wir nennen es Maren) soll seine Hausaufgaben in Mathe erledigen. Maren ist imFörderunterrichtundbekommtAufgabenzumÜben,dienormalerweisevonKinderngegenEndedeszweiten Schuljahres gelöstwerden sollen.DieMutter sitztwieüblichdanebenund versucht, ihrerTochtersogutesgehtzuhelfen.DieersteAufgabelautet:25+18=?EinscheinbarnichtallzuschwerbewältigendesProblem.Marenfängtanzu„rechnen“.DasieüberkeinenkorrektenZahlbegriffverfügt,kompensiertsie ihrvölligesUnverständnisdurchdasAbzähleneinerauswendiggelerntenZahlenreihe.FürMarenstelltsichdieAufgabefolgendermaßendar:„Ichsollvonder25aushochzählen(wegendemPlus),undzwargenau18Stück.“DieAufgabesollohneFingerhilfegelöstwerden,schließlichistdasKindjabereitsinderdrittenKlasse.MarenerinnertsichaneineihrererstenRegeln,diesieindererstenKlassegelernthat.

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„Da steht zwar, dass ich bei der 25 anfangen soll zu zähle, aber in Wirklichkeit meinen die(Erwachsenen)beiPlusaufgabendie26!EineRegel,dienichtseltenbeiErstklässlern,sehrwohllogischdurchdacht,zueinerBeschwerdeführt:DennwennRechnennichtsanderesistalsAuf-bzw.Abwärtszählen,danngibtmirdieersteZahlan,womananfangenmuss zu zählen,dasRechenzeichen,obauf-bzw.abwärtsgezähltwird,unddiezweiteZahl,wievielgezähltwerdensoll.DashierausfolgerichtigeErgebnisderAufgabe4+3istdanndie6(Verzählerum1).AufdenEinwandderMutter,dassmanhierbei5anfangenmuss,lautetdiewiederumvomKindausgesehenelogischeBeschwerde:„Warumschreibtihrdaseigentlichnichtsoforthin?Dasfind’ichdoof!“AberwendenwirundjetztwiederMarenundihrerMutterzu.MarenbeginntdieAufgabezählenzu lösen.Dabei schautdasKind scheinbargeistesabwesendausdem Fenster. Dies und die Tatsache, dass dasMädchenwieder einmal ewig braucht, verleitet dieMutterzurMahnung:„Maren,dusollstdasdochausrechnen“NunkonzentriereDichdochmal!“WoraufhinsichdasKindfürchterlichbeklagt,dasseserstensbeimRechnenwäreundzweitensnichtgestörtwerdenwolle,weilesjetztnocheinmalallesneurechnenmüsse.Marens Widerspruch ist vollkommen zu Recht erfolgt. Sie war gerade dabei, von der 25 aushochzuzählenundistzunächsteinmalbeimZehnerüberganghängengeblieben.‚WaskommtdanochmalfüreineZahlnachder29?’UmdiesesProblemzulösen,zähltdasKinddie10erReihehoch:„10,20,30, -Also jetztkommtdie30.“BeidieserÜberlegung istdemKind jedochentfallen,wievielesvorhereigentlichschonhochgezählthatte,undeineKontrollemitdenFingernistjanichtgestattet.‚AlsomussichmirdieFingervorstellen!’RechenschwacheKindernennendiesesKontrollinstrument„Luftfinger“,wobeidasMaterialdurchauswechselnkann, jenachdem,womit inderSchulegeradegerechnetwird(Zahlenstrahl,Hundertertafeletc.).UmdiesesBildderFingervordemgeistigenAugezuhaben(undeswerdenjaimmerhin18Stück!),schautdasKindausdemFensterindenHimmel,umeine möglichst monochrome Fläche vorzufinden (manche Kinder schließen auch die Augen oderstarrenzurDecke).MarenbeginntalsojetztdieAufgabeerneutzählendzulösen,schafftdannauchschnellerdenZehnerübergangunddannkommtdieMahnungderMutter!DasBildderFingerverschwindet,dasMädchenweißnichtmehr,beiwelcherZahlesgeradewar,undmusswiedervonvorneanfangen;alleAnstrengungundalleKonzentrationwarenumsonst,nurweil„Mamamichnichtrechnenlässtundmichimmerstört!“ImweiterenVerlaufbemühtsichdieMutterumGeduldundMarenversuchterneut,dieAufgabezulösen.DiesmalmitHilfederFinger,damiteserstensnichtsoschwerist,zweitensschnellergehtundMuttidannnichtwiederunterbrechenkann.DafürmüssendieFingernatürlichunterdemTischverstecktwerden.LeiderhatMarenhierdieRechnungohnedenWirtgemacht.Diese„Tricks“sinddervonständigererfolgloserÜbereierheblichangeschlagenenMutternatürlichwohlbekannt,sodassauchderdritteVersuch Marens, die Aufgabe zu lösen, mit der Bemerkung, dass sie es doch bitte ohne Fingerversuchensolle,einvorzeitigesEndefeindet.Inzwischensindbereits5Minutenvergangenundnochkeineeinzigevonden20Aufgabenwurdegelöst;undzumSchlussistdajaauchnochdieTextaufgabeunddiekannMarenüberhauptnicht.DieerstevorsichtigeHochrechnungderMutterkommtauf2Stunden–unddasnurfürMathe.AlsomusshierschleunigsteineHilfestellunggegebenwerden,damitderNachmittagnichtschonwiedermitTränenendet.

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„Maren,rechnedochersteinmal25+5!“MarenistüberdiesesAnliegeninhöchstemMaßeverwundert.DieHausaufgabehießdoch25+18,undhattedieMuttinichtseitgeraumerZeitdaraufbestanden,dasssiedieseAufgabeauchlösensoll?Marenfragtnach:„Warumsollichdenndie25+5rechnen;dieistdochgarnichtbeidenHausaufgaben?“DieAntwortder.MuttersorgtbeiMarenfürvölligeKonfusion:„WeilduersteinmalzumnächstenvollenZehnerrechnensollst!“Dass die Frage nicht zur Antwort passt, kennen leidgeprüfte Müller als Fehler ihrer Kinder beiSachaufgaben. DiesesMal ist es aber so, dass dieMutter keine Antwort auf die Frage des Kindesgegebenhat,diesabertrotzdemglaubt.MarenundihreMutterredenalsovölliganeinandervorbei.MarenhateigentlicheinesehreinfacheFragegestellt.Siewolltewissen,warumsieeineAufgabe,dienichtzudenHausaufgabengehört,eigentlichrechnensoll.DarausistzunächsteinmalderSchlusszuziehen, dass das Kind zwischen den beiden Aufgaben keinerlei Zusammenhang erkennt. DiesenZusammenhang unterstellt die Mutter bei Maren aber als begriffen und argumentiertdementsprechendweitermit einerRechenstrategie, unddieseAntworthatmitMarensFragenunwirklichnichtszutun.DieMutterversucht,MareneineweitereHilfestellungzugeben:„Kannstdumitdennsagen,welchervolleZehnerdasist?“KannMarennatürlichnicht!Sieweiß,dasseinWasserglasodereineMülltonnevollseinkönnen,abereinevolle10,daskannsiesichbeimbestenWillennichtvorstellen.DieMuttererkennt,dassdasKindoffensichtlich Schwierigkeiten hat, den vollen Zehner zu benennen. Sie versucht es mit einer„Erklärung“:„10,20,30,40,50usw.,dassindallesvolleZehner!“Marenisterstaunt!Die10istalsogleichzeitigauch20und30und40und50!Undwassollüberhauptdas„undsoweiter“?Inzwischen sind 10 Minuten vergangen, ohne dass auch nur ansatzweise eine Lösung der erstenAufgabe gefunden wurde. Ganz im Gegenteil merkt die Mutter, dass Maren auch „einfachsteErklärungen“nichtversteht.AlsogibtsiediebisherigeLinieaufundfordertdasKindauf,dochersteinmal25+5zurechnen,nachdemMotto,dassderRestsichschonergebenwirdundderGroschenbeidemKinddannfällt.Maren sieht zwar überhaupt nicht ein, dass sie eine Aufgabe rechnen soll, die nicht zu denHausaufgabengehört,abersiegibtdemDrängenderMutterschließlichnach.Maren zählt von 25 aus 5 Zahlen hoch, der Zehnerübergang gelingt, das Ergebnis lautet 30. Dervorsichtige Blick desMädchens in die sich aufhellendeMiene derMutter signalisiert ihr, dass dasErgebnispasst.DieMuttermachtMarenMut:„Siehstdu,dasistdochvieleinfacher!“

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Nun,dasistMarenauchnichtentgangen:„25+5istnatürlicheinfacherals25+18“,denktsichMarennoch,alsdienächsteFragederMutterfolgt:„Wasmusstdudennnunrechnen?“MarendenktanihreHausaufgabenundfolgerichtiglautetdieAntwort:„25+18“,wobeiMarenerwartungsvolldieMutteranschaut.DieistmitdieserAntwortaberüberhauptnichtzufrieden;ganzimGegenteil:„AberMaren!Hastduüberhaupteinmalgenauhingeschaut,waswirgerechnethaben?“MarenblicktinihrHeft.Dortsteht:25+18=25+5=30undantwortetderMutter:„25+5=30“„Richtig“,meintdieMutterundfährtfort:„Also(?!?)müssenwirjetztmitder30weiterrechnen!“DasMädchengibtesauf,demGedankenderMutterzufolgen.‚Mamahatalsogesagt,dassjetztmitder30weitergerechnetwerdensoll’,undweilesschließlicheineAdditionist,probiertesMarenmitderAntwort:„Plus30!“DerbarscherwerdendeTonderMutter,derenGeduldsichlangsamdemEndeneigt,führtbeiMarenzudenerstenTränen:„Maren,dudenkstjagarnichtnach!Durätstjanur!“ErsteresUrteilentbehrtjederGrundlage,währenddaszweitedurchausseineBerechtigunghat,wobeies sich aber eben nicht um ein wildes Raten handelt, sondern durchaus zielgerichtet auf die„Erklärungen“derMutterabgestimmtist.UmdieSituationnichtweitereskalierenzulassen,sagtdieMutterdennächstenRechenschrittvor:„SchreibdochjetzteinmaldienächsteAufgabehin!30+3!Waskommtdadennraus?“Marentut,wasihrdieMuttergesagthatundrechnetauchdasrichtigeErgebnis(33)aus,auchwennesnichtdieHausaufgabensind.DasLobderMutterbestätigtsieinihrerStrategie,nichtnocheinmalnachzufragen,weildieMutterdannwiederschimpft.„PrimaMaren,dashastdurichtiggemacht!“DieMutterbezweifeltjedoch(zuRecht),dassMarendenRechenwegverstandenhat,undfasstnocheinmalzusammen:

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„Wirhabendoch jetzt8–5gerechnetunddas ist3;undweilwirschonbei30angekommensind,müssenwirjetzt30+3rechnen,weildasderRestvonder8ist,diewirjaplusrechnenmüssen;sogehtdasvielschneller!“Marenisteinigermaßenfassungslos.‚DasmitdemvielschnellerkanndieMuttijawohlnichternsthaftmeinen.DürfteichmitdenFingernrechnenundmüssteichnichtlaufendzusätzlicheAufgabenlösen,ichwäremitdenHausaufgabenschonvielweiter.Abernochvielrätselhafterist,warumwir(?!?)dieAufgaben8–5=3gerechnethabensollen;diestehtnirgendwoimHeftundvonwirkannnunwirklichnicht die Rede sein, bestenfalls Mutti hat das gerechnet. Eine Minus-Aufgabe, obwohl doch plusgerechnetwerden soll! SchimpftMutti nicht immer,wenn ich stattminusplus rechne?!Und jetztmacht sie es selber.Unddasmit demRest ist auch so komisch.Den gibt es dochnur beiGeteilt-Aufgaben!’Marenbeschließt,aufgrunddervielenUngereimtheitennachzufragen:„Warumsollichdasdennallesrechnen?“DieAntwortderMuttersorgtfürneueTränen:„Weildassodochallesganzeinfachist,findestdunicht?!“Nein,dasfindetMarenwirklichüberhauptnicht.‚UnddannistdaschonwiederderSatz,dassimmerallesganzeinfachist’,denktsichMaren.DenhatsieschontausendMalgehört.‚DassagtauchimmerdieLehrerinundauchdieanderenKinder;selbstderThomas,undderistdochsonstvielschlechterinderSchulealsich.Undallesagenimmer,ichsollfleißigüben,dannwirdesschonbesser.Dashilftbeimirnicht,weilicheinfachzudummbin;dashatsuchschonmalderPapagesagt.AbervielleichtbinichjaauchwirklichkrankimKopf;schließlichwardieMuttermitmirdeswegenschonbeimArztundauchimKrankenhaus,undinderSchulehabensieauchschoneinenTestgemacht.’DerMuttergelingtesschließlich,dasMädchenzuberuhigen.AlsMarensichgefangenhat,machtdieMutter den Vorschlag, einfach ins Heft zu schreiben, dass sie (Maren) die Hausaufgaben nichtverstandenhätte,damitdieLehrerinihrnochmalalleserklärenkönne.AberohneHausaufgabenwillMarenaufkeinenFallindieSchulegehen,denn:„Dannsehenallewieder,dassichzudoofbin!“DieMutterdementiertenergischundmachtihrerTochterMut.DashatMarenauchschontausendMalgehörtundeinBlickdesMädchensaufdasimmernochsogutwieweißeBlattihresHausheftssprichtjawohlBände.Nach20MinutenfälltdieBilanzinderTatziemlichverheerendaus.ImHeftsteht:25+18=25+5=3030+3=33Marenist,wasdiemathematischen„Erklärungen“angeht,vollendsverwirrt,ihrSelbstwertgefühlhatwieder einmal den absolutenNullpunkt erreicht und die Verabredungmit ihrer Freundin kann siesowiesovergessen.So istdas fast immer,wennMathe-Hausaufgabenanstehen.DieMutter istmitihrenNervenamEnde; sieweiß sichnichtmehr zuhelfen,meint, dassman „einfacher“nundochwirklichnicht„erklären“könne.Dasmitder„ausgerutschtenHand“ist ihrzwarbis jetztnochnichtpassiert,aberirgendwiemussesdochandemmangelndenWillenihrerTochterliegen.Schließlichhatmandochalles getan.1 JahrNachhilfe, Erfolg gleichNull; dasEEGwarohneBefundundauchdie

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Lehrerin meinte, dass Maren kein Kind für die Sonderschule sei. Sie versucht es weiter mit der„Erklärung“desnächstenRechenschrittes.„So,Maren.Wirhabenjetztdie8plusgerechnet.Dieistalso(?!?)schonmalweg(???).Jetztistdanochdie1.Wasmusstdudennjetztnochrechnen?“(DieMutterdeutetaufdieZehnerstellederZahl18.)Marendenkangestrengtnach:„Muttihatgesagt,dasswirdie8plusgerechnethabenundwirsiedeshalbminusgerechnethaben,weilsiejaschonwegist.Jetztsollichwasmitder1machen,unddavorstehtein+!„Plus1“,lautetMarensAntwort.Die Mutter hätte auch auf jede andere Zahl deuten können, Marten hätte sie sofort als die zuaddierendeZahlbenannt.DieMutternimmtdieAntwortwohlwollendaufundfragtweiternach:„Fast richtig,Maren. Aber schaumal, die 1 steht vor der 8, die ja schon fertig plus gerechnet ist.Deswegen(???)istdie1ein....“‚Zehner’wollteMarensMutterhören.DasrettendeWortbleibtnatürlichaus,weildasMädchendasdekadischePositionssystemauchinAnsätzennichtverstandenhat.Eineweitere„Hilfestellung“derMutterfolgt:„Also,wenndie8schonwegist,dannbleibtbeidenEinerneineNullunddannstehtdadieZahl10.“Marenweißzwarnicht,wasihreMutterdaerklärthat,abersieprobiertesmalmitderZahl10aus:„Plus10!“„Richtig“, kommt die erlösende Antwort der Mutter. Das aber immer noch ratlose Gesicht ihrerTochterlässtsiezudemSchlusskommen,dennächstenRechenschrittzudiktieren:„Wirschreibenalso(?!?)jetztauf:33+10=,undrechnendasjetztaus!“AufgabeNr.3stehtjetztimHeft,dienichtsmitdenHausaufgabenzutunhat.Marenzähltaufwärts,stocktwiederbeimZehnerübergangundgelangtschließlichdochzurZahl43.ImHeftstehtjetzt:25+18=25+5=3030+3=33330+10=43Die Mutter ist erleichtert. Endlich ist die erste Aufgabe fertig! Da hat sich die Mutter allerdingsgründlichgeirrt.UndauchdieAnnahme,dassdierestlichenAufgabenjetztschnellerdurchgerechnetwerden,wirdsichnichtbewahrheiten.DieMutterstelltdienächsteFrage:„Waskommtdennjetztbei25plus18alsErgebnisraus?“

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MarenschautausdemFensterundbeginntzu„rechnen“.DieMutteristfassungslos:„AberMaren,dashabenwirdochgeradeausgerechnet!“DasMädchenschautinseinHeft.DreiAufgabensindbishergerechnetworden:AberdieAufgabe25+18istnochnichtdabei.Marenweißnicht,wassiesagensoll,dafolgtbereitsdernächsteHinweisderMutter:„Maren,schaudochmalhin!DasErgebnisstehtdochschonda!“MarenschautsichdieAufgabe25+18nocheinmalgenauan.„AberdastehtdochnochkeinErgebnis!“protestiertdasMädchen.DerProtestvonMarenfälltjedochnichtauffruchtbarenBoden:„DuschaustjaauchaufdieganzfalscheAufgabe!Dauntenstehtdoch,dass33+10=43ist.Also(?!?)istdasErgebnis32!“DasfindetMarenallerdingsüberhauptnichteinleuchtend.‚WennichdasErgebnisderAufgabe25+18wissenwill,mussmanaufdieAufgabe33+10schauen.Daswürdejabedeuten,dassich33+10rechnenmuss,umherauszubekommen,welchesErgebnisbei25+18dasrichtigeist.Aberworanerkenneichüberhaupt,dassmanbei25+18dieAufgabe33+10rechnenmuss;daistjaüberhauptkeineZahlgleich?UndwelcheAufgabemussichbeidernächstenRechnungnehmen?DieMutterverlässtdiebisherigeErklärungsschieneundversuchtesmiteinemRechenschema:„WirkönnendieAufgabeauchsorechnen:ZuerstrechnestdudieZehnerzusammenunddanndieEiner.“DadieMutterweiß, dassMaren ständig Zehner und Einer einer Zahl verwechselt, schiebt sie dennächsten„Tipp“gleichnach:„AlsomusstduvondenZahlen25und18die2unddie1unddie5unddie8zusammenrechnen,weil)?!?)dujakeineÄpfelundBirnenzusammenrechnenkannst!“WasÄpfelundBirnenmitZehnernundEinernzutunhaben,verstehtMarennicht.DenTrickmitdenZehnernundEinernhatMarenallerdingsschonöftersgehört.SiebefolgtdenTippderMutterundschreibtnacheinerWeiledasErgebnishin:25+18=313MitdiesemErgebnisreißtnunendgültigderGeduldsfadenderMutter:„Hastdudennnichthingehört,wasdurechnensollst?Dassiehtmandochsofort,dassdasfalschist.20+10istdochnur30,unddubekommtüber300raus!“DasMädchen bricht erneut in Tränen aus. Schließlich hat es doch genau hingehört und auch dasgerechnet, was dieMutter gesagt hat: 2 + 1 = 3 und 5 + 8 = 13, und das Ergebnis hat sie auchhingeschrieben.Undüberhaupt,dieAufgabe20+10stehtnirgendsimHeft.Wiekannmandenndannsehen,dassdasfalschist?

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Nach einer Weile hat die Mutter sich wieder beruhigt. Um dem Drama ein Ende zu bereiten,entschließtsichdieMutterzurletztenLösungsstrategie:vorsagen!Geschlagene2StundenspätersinddieMathe-Hausaufgabenfertig(wieMarenundihreMutterauch)–wäredanichtnochdieTextaufgabe.AberdasschafftdieMutternichtmehr;erstenshatsieauchnochandereDingezutunundzweitensistsiemitihremLateinvölligamEnde.DamusshaltderPaparan.MarenzeigtihremVaterdieAufgabe.Sielautet:HerrMeierfährtindenSupermarktundkauft3KistenMineralwasser.InjederKistesind12Flaschen.DerVatermachtMarenMut:„Versuchesdocheinmalalleine.Dasistgarnichtsoschwer.Wenndufertigbist,zeigstdumirdeinErgebnis.Maren rechnet die Sachaufgabe aus und präsentiert dem Vater ihre Lösung. Der Kommentar desVaterssorgterneutfürTränen:„Jetztgeht’sdumorgenindieSchuleundsagstdeinerLehrerin,dasszuzumRechneneinfachzudummbist!“InMarensHeftsteht:Frage:WievielmussHerrMüllerinsgesamtbezahlen?Rechnung:12+3=15Antwort:Eskostetzusammen15Euro.Zumindest hat die Quälerei für Maren heute ein Ende. Seit nun 3 Jahren geht das so fast jedenNachmittagundzuguterLetztstreitensichdarüberdannauchnochderVaterunddieMutter.VomrechenschwachenKindzumjugendlichen„Totalversager“...(dasmussnichtsein)...WennIhrInteressegewecktwurde...dasBuchistlesenswert!Herausgeber:WolfgangHoffmann,MathematischesLerntherapeutischesZentrumDortmund(MitgliedimArbeitskreisdesZentrumsfürangewandteLernforschunggemeinnützigeGmbH)AlexandervonSchwerin,MathematischesInstitutzurBehandlungderRechenschwächeBezugsquelle:http://www.os-rechenschwaeche-shop.deBettinaMasur