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| Psychotherapeut 2·98 130 c Qualitätssicherung c ambulante Psychotherpiepraxen c kontinuierlicher Rückkopplungs- prozeß c Einzelfallforschung c Anforderungen: in oder nach jeder Therapiesitzung, geringer Zeitauf- wand, noch während der Therapiesit- zung verfügbar, übersichtlich darge- stellt und leicht zu interpretieren, un- abhängig von der therapeutischen Methode c Befindlichkeit: Eigenschaftswörter Wolfgang Palm · Karlsruhe Computerunterstützte Erfolgs- und Prozeßkontrolle in der ambulanten Psycho- therapie Trotz einer wachsenden Zahl von Veröffentlichungen über c Qualitätssicherungs- maßnahmen in der Psychotherapie (Nübling u. Schmidt 1998) gibt es kaum empi- rische Verfahren, die auf die Arbeitsbedingungen c ambulanter Psychotherapie- praxen zugeschnitten sind. Daten über ambulante Psychotherapieprozesse werden derzeit überwiegend zu Forschungs- und Dokumentationszwecken erhoben. Sel- ten anzutreffen sind fortlaufende Datenerhebungen, die in einen c kontinuierli- chen Rückkopplungsprozeß eingebunden sind (Grawe u. Braun 1994; Braun 1998). Hierfür sind auch die beiden klassischen Vorgehensweisen der psychologischen Forschung, das experimentelle Design mit statistischer Auswertung und die nor- mierten Fragebögen, aus vielerlei Hinsicht ungeeignet. Alternativen bietet das reichhaltige Methodenrepertoire der c Einzelfallforschung (Gottmann u. Ruske 1993; Petermann 1996), doch beruhen viele Verfahren auf komplexen Annahmen und sind schwierig in der Handhabung, insbesondere wenn inferenzstatistische Operationen erforderlich sind. Da es sich überwiegend auch noch um Papier- und Bleistift-Verfahren handelt (Fydrich et al. 1996), ist der Zeitaufwand beträchtlich. Praktische Anforderungen für Prozeßkontrolle Wesentliche c Anforderungen an ein praxistaugliches Verfahren zur Prozeßkon- trolle sind rasch aufzulisten: Die Datenerhebung soll vor, in oder nach jeder Thera- piesitzung stattfinden und sie soll geringen Zeitaufwand erfordern. Sie darf den therapeutischen Prozeß nicht stören. Die Auswertung der Daten soll wenig Zeit und wenig Platz beanspruchen. Die Ergebnisse müßten noch während der Thera- piesitzung verfügbar sein und einen Veränderungsprozeß anschaulich machen. Deskriptive Datenauswertungen haben auf einen Blick zu informieren. Diese For- derungen lassen sich am besten in einem Computerprogramm realisieren. Nicht zuletzt soll das Verfahren unabhängig von der therapeutischen Methode einzusetzen sein. Im folgenden soll eine einfach zu handhabende, computerunterstützte Er- folgs- und Verlaufserhebung für die psychotherapeutische Praxis vorgestellt wer- den. Beschreibung der Parameter Der Parameter c Befindlichkeit enthält 22 Items; jedes Item besteht aus bipolaren Eigenschaftswörtern, auf die fünffach abgestuft reagiert werden kann. Anleitung und Items lauten: Redaktion M. Hautzinger,Tübingen P.L.Janssen, Dortmund Dr.W. Palm, Dipl.-Psych., Dipl.-Phys. Praxis für Verhaltenstherapie,Waldstrasse 40a (Ludwigsplatz), D-76133 Karlsruhe& / f n - b l o c k : & b d y : Psychotherapeut 1998 · 43:130–137 © Springer-Verlag 1998

Computerunterstützte Erfolgs- und Prozeßkontrolle in der ambulanten Psychotherapie

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c Qualitätssicherung

c ambulante Psychotherpiepraxen

c kontinuierlicher Rückkopplungs-prozeß

c Einzelfallforschung

c Anforderungen: in oder nach jederTherapiesitzung, geringer Zeitauf-wand, noch während der Therapiesit-zung verfügbar, übersichtlich darge-stellt und leicht zu interpretieren, un-abhängig von der therapeutischenMethode

c Befindlichkeit: Eigenschaftswörter

Wolfgang Palm · Karlsruhe

ComputerunterstützteErfolgs- und Prozeßkontrollein der ambulanten Psycho-therapie

Trotz einer wachsenden Zahl von Veröffentlichungen über c Qualitätssicherungs-maßnahmen in der Psychotherapie (Nübling u. Schmidt 1998) gibt es kaum empi-rische Verfahren, die auf die Arbeitsbedingungen c ambulanter Psychotherapie-praxen zugeschnitten sind. Daten über ambulante Psychotherapieprozesse werdenderzeit überwiegend zu Forschungs- und Dokumentationszwecken erhoben. Sel-ten anzutreffen sind fortlaufende Datenerhebungen, die in einen c kontinuierli-chen Rückkopplungsprozeß eingebunden sind (Grawe u. Braun 1994; Braun 1998).Hierfür sind auch die beiden klassischen Vorgehensweisen der psychologischenForschung, das experimentelle Design mit statistischer Auswertung und die nor-mierten Fragebögen, aus vielerlei Hinsicht ungeeignet. Alternativen bietet dasreichhaltige Methodenrepertoire der c Einzelfallforschung (Gottmann u. Ruske1993; Petermann 1996), doch beruhen viele Verfahren auf komplexen Annahmenund sind schwierig in der Handhabung, insbesondere wenn inferenzstatistischeOperationen erforderlich sind. Da es sich überwiegend auch noch um Papier- undBleistift-Verfahren handelt (Fydrich et al. 1996), ist der Zeitaufwand beträchtlich.

Praktische Anforderungen für Prozeßkontrolle

Wesentliche c Anforderungen an ein praxistaugliches Verfahren zur Prozeßkon-trolle sind rasch aufzulisten: Die Datenerhebung soll vor, in oder nach jeder Thera-piesitzung stattfinden und sie soll geringen Zeitaufwand erfordern. Sie darf dentherapeutischen Prozeß nicht stören. Die Auswertung der Daten soll wenig Zeitund wenig Platz beanspruchen. Die Ergebnisse müßten noch während der Thera-piesitzung verfügbar sein und einen Veränderungsprozeß anschaulich machen.Deskriptive Datenauswertungen haben auf einen Blick zu informieren. Diese For-derungen lassen sich am besten in einem Computerprogramm realisieren. Nichtzuletzt soll das Verfahren unabhängig von der therapeutischen Methode einzusetzensein. Im folgenden soll eine einfach zu handhabende, computerunterstützte Er-folgs- und Verlaufserhebung für die psychotherapeutische Praxis vorgestellt wer-den.

Beschreibung der Parameter

Der Parameter c Befindlichkeit enthält 22 Items; jedes Item besteht aus bipolarenEigenschaftswörtern, auf die fünffach abgestuft reagiert werden kann. Anleitungund Items lauten:

RedaktionM. Hautzinger,TübingenP.L. Janssen, Dortmund

Dr.W. Palm, Dipl.-Psych., Dipl.-Phys.Praxis für Verhaltenstherapie,Waldstrasse 40a (Ludwigsplatz), D-76133 Karlsruhe&/fn-block:&bdy:

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c Depressionstiefe: 23 Items

c Symptombelastung: zwei Fragen

c Belastungsbewältigung: 15 Items

Der Parameter c Depressionstiefe enthält 23 Items, von denen 20 Items denen derCES-D (Radloff 1977) entsprechen, deren deutschsprachige Adaptation als „Allge-meine Depressionsskala“ vorliegt (Hautzinger u. Bailer 1993; Verwendung mitfreundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Hautzinger). Die Reaktionsmöglichkeitensind fünffach abgestuft.

Der Parameter c Symptombelastung besteht aus zwei Fragen, die sich retro-spektiv auf Ereignisse einige Tage vor der aktuellen Sitzung beziehen. Bewährt hatsich ein Intervall von zwei oder drei Tagen. Der Parameterwert entsteht aus derMultiplikation zweier Zahlen; die erste ist eine natürliche Zahl, die zweite eineganzzahlige Einstufung auf einer Skala zwischen eins und neun. Die Fragen lauten:

Liste 1Items von „Befindlichkeit“Im folgenden sehen Sie eine Reihe von Eigenschaftsaussagen, die Ihnen paarweisegezeigt werden. Bitte entscheiden Sie – ohne lange zu überlegen – welches derbeiden Wörter Ihren augenblicklichen Zustand treffender beschreibt. Falls Sie sichnicht entscheiden können, wählen Sie die Einstufung „weder-noch“

In diesem Moment fühle ich mich…

1 frisch müde 12 hoffnungslos hoffnungsvoll2 traurig fröhlich 13 sorgenfrei grüblerisch3 gereizt ausgeglichen 14 heiter schwermütig4 zögerlich tatkräftig 15 einsam geborgen5 locker angespannt 16 lebensüberdrüssig lebenslustig6 glücklich unglücklich 17 verärgert gut gelaunt7 energiegeladen antriebslos 18 von jemanden von niemanden

geliebt gemocht8 sicher unsicher 19 zufrieden unzufrieden9 mit mir in von Selbstzweifeln 20 angstvoll angstfrei

Einklang geplagt10 ruhig nervös 21 akzeptiert abgelehnt11 aufgeschlossen verschlossen 22 körperlich gesund körperlich krank

Liste 2Items von „Symptombelastung“

Wie viele Stunden verbrachten Sie in den zwei Tagen vor dieser Sitzung in einem unangenehmenZustand?

Wie stark war der Zustand oder wie intensiv waren Ihre Gefühle oder Empfindungen während die-ser Zeit im Durchschnitt?

Die Werte für den Parameter Problemverhalten werden auf gleiche Weise erzeugt,die erste Frage umfaßt die Häufigkeit des Problemverhaltens, die zweite die Selbst-bewertung dieses Problemverhaltens.

Der Parameter c Belastungsbewältigung besteht aus 15 Items, auf die fünf-fach abgestuft reagiert werden kann. Einige Items sind negativ formuliert.

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c Feedback: 7 Items

c zu Beginn der Therapiesitzung

c programmierte Prozeßkontrolle, aufhandelsüblichem PC

c Routinec Einführung, die nicht mehr als zehn

oder fünfzehn Minuten in Anspruchnimmt

Der Parameter c Feedback enthält 7 Items, auf die ebenfalls fünffach abgestuftreagiert werden kann. Die Items lauten:

Liste 3Items von „Belastungsbewältigung”

Vergleiche ich meinen heutigen Zustand mit dem zu Therapiebeginn, so ...

1 nehme ich die Reaktionen Anderer auf mich gelassener hin.2 fühle ich mich stärker isoliert als früher.3 traue ich mich ′nein′ zu sagen, wenn ich ′nein′ sagen müßte.4 habe ich weniger Selbstvertrauen.5 traue ich mich direkter mitzuteilen, was ich möchte oder nicht möchte.6 blicke ich ruhiger oder positiver in die Zukunft.7 fühle ich mich schlechter, wenn ich allein bin.8 kann ich mich selbst besser akzeptieren.9 fühle ich mich den Alltagsanforderungen weniger gewachsen.

10 fühle ich mich in zwischenmenschlichen Begegnungen freier oder gelöster.11 gibt es mehr Freude in meinem Leben.12 kann ich eine wichtige persönliche Beziehung besser gestalten.13 fühle ich mich kompetenter oder leistungsfähiger.14 kann ich das Leben sorgenfreier genießen.15 fallen mir neue Lösungsmöglichkeiten für meine Probleme ein.

Liste 4Items von „Feedback”

In der gerade zu Ende gegangenen Therapiesitzung ...

1 habe ich mich akzeptiert gefühlt.2 habe ich Hoffnung für die Zukunft geschöpft.3 ist es mir gelungen, mein Anliegen auszudrücken.4 habe ich genügend Zeit gehabt, mein Anliegen darzulegen.5 habe ich mich verstanden gefühlt.6 habe ich etwas Wichtiges für mich bzw. über mich erfahren.7 habe ich etwas gelernt, das ich in meinem Alltag anwenden möchte.

Ablauf der Datenerhebung

Die Parameter „Symptombelastung“, „Befindlichkeit“, „Problemverhalten“ und„Belastungsbewältigung“ werden zu c Beginn der Therapiesitzung vorgelegt.Ausschlaggebend für ihre Kombination ist das Beschwerdebild. „Feedback“ wirdam Ende der Sitzung angewendet. Datenerhebung geschieht mittels Computer. Esexistieren mehrere Testversionen der programmierten Prozeßkontrolle. Der pro-fessionelle Einsatz des Systems auf einem c handelsüblichen PC erfolgt unter demgegenwärtig marktführenden Betriebssystem.&fnn.1:1

Die Datenerhebung beginnt erst nach den Probesitzungen.Am Anfang der Sit-zung betritt die Patientin oder der Patient den vorbereiteten Raum, setzt sich andas Gerät und liest die Vorgaben, die auf dem Monitor erscheinen. Die Items habeneine feste Reihenfolge.Die Patientin benutzt Mouse oder Tastatur,um die Einstufungder Items auszuwählen und einzugeben. Danach erscheint automatisch das nächsteItem. Bei Irrtum ist ein Rücksprung möglich. Der Vorgang ersetzt das Ausfüllen ei-nes Fragebogens, allerdings erscheinen die Items sukzessive. Der Vorgang wirdspätestens ab dem dritten oder vierten Mal zur c Routine, die zur Behandlungganz selbstverständlich dazugehört. Lediglich die c erstmalige Einführung erfor-dert eine ausführliche Instruktion, die aber nicht mehr als zehn oder fünfzehn Mi-

1 Die Software ist beim Autor erhältlich.&/fn:

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c Datenerhebung nicht länger als5 Minuten

c Patientinnen und Patienten sind imUmgang mit Computern oft erfahre-ner als ihre Therapeuten

c Standardroutine Symptombelastung,Befindlichkeit, Belastungsbewälti-gung

c Parameter Befindlichkeit ist ein sen-sibles Instrument

c„Depressionstiefe“ verläuft hingegenträger

c„Feedback“

c Sinkt der Trend von Feeback ab, solltedas als Warnung gesehen werden,daß Patientin oder Patient die Thera-pie möglicherweise abbrechen wird

c angemessenes Interpretieren

nuten in Anspruch nimmt. Der gesamte Vorgang der c Datenerhebung dauertnicht länger als fünf Minuten, jede vierte oder fünfte Sitzung benötigt er nichtmehr als 10 Minuten. Die Datenaufnahme am Ende der Sitzung dauert ein bis zweiMinuten. Die Speicherung der Daten geschieht automatisch durch die Software.

Befürchtungen, eine solche „technische Maßnahme“ könnte die Therapiebe-ziehung stören, sind nach den vorliegenden Erfahrungen gegenstandslos. Diec meisten Patientinnen und Patienten sind im Umgang mit Computern erfahrenerals ihre Therapeuten.Viele Patientinnen und Patienten begrüßen die Erhebungen,sobald sie ihren Nutzen erkannt haben. Strikte Ablehnung ist im Laufe der sechsJahre, in denen das System entwickelt wurde, nur zweimal vorgekommen. Natür-lich gibt es auch Patientinnen bzw. Patienten mit Beschwerdebildern, wie beispiels-weise multiple Angstzustände mit gleichzeitiger Eßstörung, bei denen die bisherentwickelten Parameter nicht alle diagnostizierten Beschwerden abfragen, wasaber keine Kontraindikation für den Einsatz der Verlaufskontrolle darstellt. Selbstbei unklaren Beschwerdebildern kann die c Standardroutine „Symptombela-stung“, „Befindlichkeit“, „Belastungsbewältigung“ meist nutzbringend angewen-det werden.

Anwendung und Beispiele

Die Zuweisung der numerischen Werte zu den verwendeten Parametern geschiehtpragmatisch. Zur Bildung von Zeitreihen ist weder eine Maßeinheit noch eineNorm für die Daten nötig. „Symptombelastung“ und „Problemverhalten“ sindnach oben offene Skalen, deren Werte nach unten nicht kleiner als Null werdenkönnen. Die Werte von „Befindlichkeit“ verliefen in den ersten Testversionen von–24 bis +24, in den neueren Versionen sind die Grenzen –44 und +44. Die Wertevon „Belastungsbewältigung“ bewegen sich zwischen –30 und +30 und die von„Feedback“ zwischen –14 und +14. Wie bereits erwähnt, sind die Reaktionsmög-lichkeiten auf die meisten Items fünffach gestuft; die Werte eines einzelnen Itemsreichen von –2 über 0 zu +2.

Der Parameter c „Befindlichkeit“ ist ein ‘sensibles Instrument’, das auf vieleEinflüsse reagiert. Jede Tagesschwankung, aber auch jedes körperliche Unwohlseinschlägt sich in den Werten nieder. Um so erstaunlicher ist es, daß der Trend diesesParameters tatsächlich auch steigt. c „Depressionstiefe“ verläuft hingegen träger,weil im Rückblick über die Zeitspanne einer Woche gefragt wird, und korreliert inden meisten Fällen hoch mit dem Verlauf von „Symptombelastung“ (r>0.70).

Der Parameter „Belastungsbewältigung“ zeigt manchmal in den ersten Erhe-bungen erhöhte Werte, denn einige Patientinnen und Patienten neigen in derFrühphase einer Therapie dazu, das Ausmaß und die Stabilität der erzielten Verän-derungen zu überschätzen. Die nachfolgenden Einschätzungen werden dann abermeist ‘realistischer’ und ‘nüchterner’ vorgenommen.

Der Parameter c „Feedback“ enthält nur 7 Items, denn wichtige Informationenüber den Therapieverlauf werden bereits mit Hilfe der anderen Parameter gewon-nen. Die Werte von „Feedback“ schwanken von Sitzung zu Sitzung. Da viele Sitzun-gen ‘zähe Kleinarbeit’ beinhalten, darf man erwarten, daß der Trend dieses Para-meters mehr oder weniger parallel zur Zeitachse verläuft. Erfahrungsgemäß steigter nur selten an.c Sinkt der Trend von Feedback ab, so sollte das als eine Warnunggesehen werden,daß eine Patientin bzw.am Patient die Therapie möglicherweise ab-brechen wird. Da diese Information die einzig prognostisch relevante ist, die mitzunehmender Dauer der Therapie aus „Feedback“ hervorgeht, ist die Zuschaltungvon „Feedback“ als Wahlmöglichkeit programmiert.

Interpretation der Daten

Das c angemessene Interpretieren der Datenreihen setzt eine gewisse Erfahrungmit dem System der Verlaufskontrolle voraus und beruht auf Kenntnissen der The-rapeutin und des Therapeuten über den Therapieprozeß, über die Schwierigkeiteneiner Patientin, eines Patienten, über ihre Lebensgewohnheiten und über besonde-re Tagesereignisse aus ihrem Leben.Eine Aussage von der Art,daß beispielsweise einniedriger Wert in „Symptombelastung“ das Ergebnis einer gelungenen Interventi-

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on, ein hoher Wert dagegen die Konsequenz einer nicht gelungenen sei, ist sicher ei-ne allzu grobe Vereinfachung. Obwohl grundsätzlich von der Interpretation einzel-ner Werte abzuraten ist, kann man extremen Wertdifferenzen dennoch die Reaktio-nen einer Patientin, eines Patienten auf heftige Ereignisse wie beispielsweise neueVerliebtheit,Todesfall oder Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ablesen.Oft erhältman aber auch nach ‘guten Sitzungen’ in der nächsten Erhebung deutlich verän-derte Werte.

Da die Parameter im Zusammenhang zu sehen sind, ist es c sinnvoll, sie un-tereinander abzubilden. In dieser Form erscheinen sie auch auf dem Monitor. Mansieht so den zeitlichen Verlauf der Datenreihen im Überblick. Die erste Datenreiheenthält die Werte von „Symptombelastung“, die zweite von „Befindlichkeit“ oder„Depressionstiefe“,die dritte die von „Belastungsbewältigung“ und die vierte, sofernvorhanden, die von „Feedback“.Vertikal übereinander liegende Werte wurden zumselben Zeitpunkt erhoben.

In der Abb. 1 sind die Wochenzahlen entlang der waagrechten Achse (Zeitach-se) angegeben. Im Original steht dort das Datum einer jeden Erhebung.Bei einer Sit-zung pro Woche würden die Wochenzahlen den Sitzungszahlen entsprechen, wennkeine Auslassungen stattfänden. Die Zahl der tatsächlich durchgeführten Sitzun-gen ist jedoch geringer. Es hat sich herausgestellt, daß bei einer Frequenz von einerBehandlung pro Woche auch bei Absprache regelmäßiger Termine in der ‘bestenDatenreihe’ rund 1/3 der Daten fehlen. Die Auslassungen entstehen durch Urlaubs-zeiten, Feiertage oder einfach, weil Sitzungen abgesagt oder verschoben werdenmüssen. Die Auswahl der beiden Beispiele wurde so getroffen, daß die c Trendsder Parameter ‘mit freiem Auge’, d.h. ohne deskriptive Auswertung, abzuschätzensind, was erfahrungsgemäß nur für einen Teil der Datenreihen gilt. Auslassungenkönnen häufiger vorkommen, und die Werte können stärker schwanken als in denbeiden Beispielen. Insbesondere beim Parameter „Symptombelastung“ sind gele-gentlich, abhängig von der Art der Beschwerden einer Patientin, eines Patienten,große Sprünge und unregelmäßige Verläufe zu beobachten. Manchmal sinken dieWerte schon nach wenigen Sitzungen teil ab, weisen nachfolgend aber wiederumheftige Schwankungen auf.

Deskriptive Datenauswertung

Erst c rasch verfügbare Datendarstellungen führen zu einer c Verlaufskontrolle,die nützliche Rückmeldungen für den therapeutischen Prozeß gibt. Die c Auswer-tealgorithmen zeigen folgende Datendarstellungen und Datenauswertungen:– Graphen der Datenreihen– Lineare Regressionen und Moving Averages– Schwankungsbreiten– Interkorrelationsfunktionen– Autorkorrelationsfunktionen

Die Graphen der Datenreihen auf dem Monitor ähneln den Datenreihen des Bei-spiels. Es handelt sich um Punkt-Linien-Graphen der Daten.c Lineare Regression(LinReg) und c Moving Average (MovAv) sind einfache mathematische Funktionenzur Realisierung von Datentrends. LinReg zeichnet eine Gerade durch die schwan-kenden Werte, die auf einen Blick den Trend erkennen läßt. Da LinReg ‘träge’ ver-läuft, d.h. mit zunehmender Zahl von Werten sich nur noch wenig ändert, sind ab-schnittsweise Berechnungen wünschenswert. Der Algorithmus von LinReg ermög-licht es, eine Regressionsgerade beispielsweise zwischen der 15. und 23. Sitzung zuberechnen. MovAv dient zur Korrektur von LinReg.Weicht MovAv stark von LinRegab, so ist LinReg keine gute Anpassung an die Verteilung der Daten. Das c Auswer-tungsprogramm arbeitet mit einem Schätzalgorithmus, der die fehlenden Datendurch Werte auf der Regressionsgeraden ersetzt. Fehlen mehr als 1/3 der Daten,dann werden die darauf empfindlich reagierenden Interkorrelations- und Auto-korrelationsfunktionen nicht mehr berechnet.

Die c Schwankungsbreiten werden als Absolutwerte zwischen LinReg undden jeweiligen Werten berechnet und als Säulendiagramme dargestellt. Zudemwerden die Mittelwerte der ersten Hälfte und der zweiten einander gegenüberge-

c sinnvoll: untereinander abbilden

c Trends der Parameter sind mit„freiem Auge“ abzuschätzen

c Rasch verfügbare Datendarstellungenc Verlaufskontrollec Auswahlalgorithmen

c Lineare Regressionc Moving Average

c Auswertungsprogramm ersetzt diefehlenden Daten

c Schwankungsbreiten

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gAbb. 1 m Verlauf einer Therapie von 27 Wochen. Die Daten wurden dem Programm zur Verlaufskon-trolle von einem 29jährigen Patienten eingegeben. Das Programm war auf eine Erhebung pro Wo-che eingestellt. Abweichungen von dieser Sitzungsfrequenz sind als Unterbrechungen im Punkt-Linien-Diagramm kenntlich gemacht. Die höchsten Werte der „Symptombelastung“ stehen am Be-ginn. Die Werte sinken dann fast kontinuierlich bis zur 9. Woche und sind nach einer dreiwöchigenUnterbrechung der Therapie wieder deutlich erhöht. Die Werte der „Depressionstiefe“ ändern sichin gleicher Richtung, sie erscheinen in der Abb. 1 aber umgekehrt. Nach der Unterbrechung zeich-nen sich in der 13. Woche im Parameter „Depressionstiefe“ ein ‘tieferer Rückschlag’ ab als im Para-meter „Symptombelastung“. Die „Symptombelastung“ erreicht in der 21. Woche erstmals die Null-linie. Der Patient ist ab diesem Zeitpunkt fast beschwerdefrei. Auch die Werte von „Depressionsstie-fe“ verlaufen ab der 22. Woche beinahe waagrecht, sie erreichen ein sehr niedriges Niveau undnehmen dann nicht mehr weiter ab. Die „Belastungsbewältigung“ wurde alle 4 Wochen erhoben.Die vier ersten Werte lassen einen fortlaufenden Anstieg erkennen, der bei dem Wert +24 endet.Die Werte von „Feedback“ schwanken vor der Unterbrechung zwischen –2 und +9. Nach der Unter-brechung wird in der 18. Woche der tiefste Wert verzeichnet, der höchste hingegen in der 26. Sit-zung. Die Regressionsgerade durch alle Werte von „Feedback“ hat nur eine geringfügige, positiveSteigung, was gut mit der generellen Erwartung übereinstimmt, daß der Trend dieses Parametersmehr oder weniger parallel zur Zeitachse verläuft.

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c Interkorrelationsfunktion, zeitlicherZusammenhang zweier Datenreihen

c Autokorrelationsfunktion

c zyklische Faktoren

c Dokumentationc Rückmeldungc prognostisch nutzen

c Datenverläufe mit Patientinnen undPatienten besprechen

c sitzungsspezifisches Monitoring

c Datensammlung auf einem Gebiet,auf dem bisher kaum Daten existie-ren

c geringer Zeitbedarf

stellt. Man sieht so auf einen Blick, inwiefern Veränderungen stattgefunden ha-ben.

Der Algorhitmus der c Interkorrelationsfunktion berechnet den zeitlichenZusammenhang zweier Datenreihen. Die Analysenergebnisse hängen stark vonder Wahl einer Filterbreite ab und führen zu einer Punkt-Linien-Graphik von ge-wichteten Korrelationskoeffizienten, die innerhalb de Grenzen von –1 und +1schwanken. Diese Funktion ist besonders nützlich bei Datenreihen, zwischen de-nen mit ‘freiem Auge’ kein Zusammenhang gefunden werden kann. Ist der berech-nete Zusammenhang von „Symptombelastung“ und „Befindlichkeit“ über vieleSitzungen hinweg negativ, so heißt das, daß die „Befindlichkeit“ einer Patientin, ei-nes Patienten (zu Beginn einer Sitzung) von der „Symptombelastung“ (einige Tagevor der jeweiligen Sitzung) mehr oder weniger stark bestimmt ist. Ein solcher Zu-sammenhang gibt einen wichtigen Hinweis. Denn lernen die Patientin bzw. der Pa-tient ihre alltäglichen Beschwerden zu bewältigen, so kann man erwarten, daß sichauch ihre „Befindlichkeit“ bessert. Schwanken hingegen Koeffizienten am Anfangoder in der Mitte einer Therapie bei geringer Höhe um die Nullinie, so wird man invielen Fällen annehmen müssen, daß andere Faktoren als die „Symtpombela-stung“ stark den Verlauf von „Befindlichkeit“ und damit auch den der Therapiebeeinflussen.

Der Algorithmus der c Autokorrelationsfunktion eliminiert den Datentrendund berechnet dann die Perioden der Schwankungen. Die Graphen der Funktionsind hilfreich, falls man bereits vermutet, daß die Datenverläufe von c zyklischenFaktoren bestimmt werden.

Nutzen und Praktikabilität

Die graphische Darstellung der Daten ergibt einen raschen Überblick über denTherapieverlauf, der auch als Bestandteil einer c Dokumentation verwendet wer-den kann. Hauptzweck des Verfahrens ist es jedoch,c Rückmeldung zu geben. Oftlassen sich, wie die Erfahrung zeigt,Verläufe von 8 bis 15 Erhebungen sogar c pro-gnostisch nutzen. Denn innerhalb des Zeitintervalls kann sich bereits ein Trendabzeichnen, dessen Richtung stabil bleibt. Da erwartungskonträre Verläufe für dieTherapie genutzt werden sollten, ist es sinnvoll, die c Datenverläufe mit den Pati-entinnen und Patienten zu besprechen. Diese wünschen vielfach von sich aus, dieDaten zu sehen. Die Dokumentation von Verbesserungen wirkt dabei motivierend,einen bereits erfolgversprechenden Weg weiterzugehen. Umgekehrt kann aberauch über Stagnationen nicht mehr hinweggesehen werden. Interessant und wich-tig sind offenkundig erklärungsbedürftige Verläufe, wenn beispielsweise nicht nurder Trend von „Symptombelastung“, sondern auch der von „Befindlichkeit“ ab-sinkt und der Trend von „Belastungsbewältigung“ mehr oder weniger stagniert.

Manchmal spielen auch Antworttendenzen eine Rolle, allerdings nicht überWochen hinweg. Denn es ist für eine Patientin oder einen Patienten schwierig, sol-che Antworttendenzen bewußt aufrechtzuerhalten, weil sie sich dazu alle getätigtenEingaben merken müßte.

Das System der Verlaufserhebungen beinhaltet auch ein c sitzungsspezifi-sches Monitoring. Neben dem Parameter „Feedback“ dienen hierzu spezifischeItems der Parameter „Befindlichkeit“, „Depressionstiefe“ und „Belastungsbewälti-gung“, die im Programm als Warnitems gekennzeichnet sind. Das Item „hoff-nungsvoll – hoffnungslos“ im Parameter „Befindlichkeit“ gehört beispielsweisedazu. Rückgemeldet werden die vom Patienten am Beginn einer Sitzung bewerte-ten Warnitems.

Schlußbemerkung

Perspektivisch würde sich das Verfahren über den Einsatz zur unmittelbaren Pro-zeßkontrolle hinaus auch als Forschungsinstrument eignen. Der vielfältige Einsatzdieses oder eines ähnlichen Systems würde zu einer c Datensammlung auf einemGebiet beitragen, auf dem bisher kaum Daten existieren. Neben seinem Nutzen istdie Anwendungsökonomie dieses Systems hervorzuheben. Programme zur Ver-laufskontrolle können wegen ihres c geringen Zeitbedarfs in fast jeder psychothe-

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rapeutischen Praxis oder Beratungsstelle eingesetzt werden. Die Datenaufnahmeam Beginn einer Sitzung beträgt ca. 3 bis 5 Minuten. Jede 4. oder 5. Woche beträgtder Zeitbedarf einer Patientin, eines Patienten ca. 10 Minuten. Die Daten könnenauf externen Datenträgern (Disketten) gesichert werden. Auch entfällt im tägli-chen Routinebetrieb das c Papier, das sonst immer lästig ist, weil es von Handausgewertet und Ordner füllend aufbewahrt werden muß.

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61:905–982Hautzinger M, Bailer M (1993) Allgemeine Depressionsskala (ADS). Beltz, GöttingenNübling R. Schmidt J (1998) Qualitätssicherung in der Psychotherapie – Grundlagen, Realisierungsansätze,

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c Papier, das ordnerfüllend aufbe-wahrt wird, entfällt im täglichenRoutinebetrieb