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Nomos zugleich Organ des Bundesverbandes Öffentliche Dienstleistungen – Deutsche Sektion des CEEP Herausgegeben von Frank Schulz-Nieswandt Thomas Lenk Holger Mühlenkamp Johann Christian Pielow Dieter Kurt Tscheulin Aus dem Inhalt Abhandlungen Gerold Ambrosius Regulierung öffentlicher Dienstleistungen in historischer Perspektive Kurzbeiträge Reinhold Kopp Corporate Governance, Compliance und Responsibility – Referenzsysteme für gute Unternehmensführung Frank Schulz-Nieswandt Neuere Literatur zum Wandel der Staatlichkeit, dargelegt im Bezugskreis der europarechtlichen Neu-Adjustierung der (insbesondere sozialen) Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse 2008 31. Jahrgang Seite 345–469 ISSN 0344-9777 4 g U Zeitschrift Unternehmen für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Journal for Public and Nonprofit Services

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Nomos

zugleich Organ des Bundesverbandes Öffentliche Dienstleistungen – Deutsche Sektion des CEEP

Herausgegeben vonFrank Schulz-NieswandtThomas LenkHolger MühlenkampJohann Christian PielowDieter Kurt Tscheulin

Aus dem Inhalt

AbhandlungenGerold Ambrosius Regulierung öffentlicher Dienstleistungen in historischer Perspektive

KurzbeiträgeReinhold KoppCorporate Governance, Compliance und Responsibility – Referenzsysteme für gute Unternehmensführung

Frank Schulz-NieswandtNeuere Literatur zum Wandel der Staatlichkeit, dargelegt im Bezugskreis der europarechtlichen Neu-Adjustierung der (insbesondere sozialen) Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse

200831. Jahrgang Seite 345–469 ISSN 0344-9777

4

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008

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ZögU Zeitschrift Unternehmenfür öffentliche und gemeinwirtschaftliche

Journal for Public and Nonprofit Services

Inhalt

AbhandlungenGerold AmbrosiusRegulierung öffentlicher Dienstleistungen in historischer PerspektiveRegulation of Public Services in historical perspective . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

Claudio FranziusGewährleistungsrecht als Erscheinungsform des VerwaltungsrechtsEnsuring Law as Administrative Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

Doris Neuberger und Solvig Räthke-DöppnerWirksamkeit von Landesbürgschaften und Bürgschaftsbanken: eine empirische Studie für Mecklenburg-VorpommernEffectiveness of Public Loan Guarantees and Guarantee Banks: an Empirical Study for Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

Anke Raake, Ronald Gleich und Andreas WaldAnwendungsstand und Erfolgsfaktoren von Kennzahlen- und Performance Measurement-Systemen in öffentlichen Unternehmen – Ergebnisse einer Studie im Öffentlichen PersonennahverkehrDiffusion and Success Factors of Performance Measurement Systems in the Public Sector – Results of an Empirical Study in the Transit Industry . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408

ZögU 200831. Jahrgang Seite 345–469

4Gegründet von Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Eichhorn | Dr. Achim v. LoeschHerausgegeben von Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt, Universität zu Köln (geschäftsführend) Prof. Dr. Thomas Lenk, Universität LeipzigProf. Dr. Holger Mühlenkamp, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften SpeyerProf. Dr. Johann Christian Pielow, Ruhr-Universität BochumProf. Dr. Dieter Kurt Tscheulin, Albert-Ludwigs-Universität FreiburgHerausgeberbeirat: Prof. Dr. Gerold Ambrosius, Universität Siegen | Prof. Dr. Dietmar Bräunig, Justus-Liebig-Universität Gießen | Wilhelm Georg Hanss, Vorsitzender der Geschäftsführung der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) GmbH | Wolf Leetz, Geschäftsführer des Bundesverbandes Öffentliche Dienst-leistungen – Deutsche Sektion des CEEP e.V. (BVÖD), Berlin | Reiner Metz, Geschäftsführer ÖPNV des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen e.V, Köln | Hans-Joachim Reck, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen e.V. (VKU), Köln | Prof. Dr. Christina Schaefer, Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin | Dr. Dieter Steinkamp, Vertriebsvorstand Rheinenergie AG, Köln | Dr. Patrick Steinpaß, Direktor des Deutschen Sparkassen-Giroverbandes, Berlin | Prof. Dr. Ludwig Theuvsen, Georg-August-Universität GöttingenRedaktionsteam: Dipl.-Ges.-Ök. Saskia Alich | Jana Dotschkal | Dipl.-Kff. Kristina Mann | Sabrina Witschkofski

Organ des Bundesverbandes Öffentliche Dienstleistungen

– Deutsche Sektion des CEEP

KurzbeiträgeReinhold KoppCorporate Governance, Compliance und Responsibility – Referenzsysteme für gute Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427

Frank Schulz-NieswandtNeuere Literatur zum Wandel der Staatlichkeit, dargelegt im Bezugskreis der europarechtlichen Neu-Adjustierung der (insbesondere sozialen) Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

BuchbesprechungenMartin Brüggemeier, Reinbert Schauer und Kuno Schedler (Hrsg.), Controlling und Performance Management im Öffentlichen Sektor – Ein Handbuch (Wolfgang Berens und Marco Dudda) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453

Bernd Helmig, Robert Purtschert, Reinbert Schauer und Dieter Witt, Nonprofit-Organisationen und Märkte (Gerhard Speckbacher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

Hermann Hill (Hrsg.), Die Zukunft des öffentlichen Sektors (Isabella Proeller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456

Stefanie Hohn, Public Marketing (Silke Michalski) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

Werner Hoppe und Michael Uechtritz (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen (Florian Becker) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460

Rainer Jesenberger, Universität wohin? Ende eines Mythos, Von der staatlichen Behinderung zur Handlungskompetenz (Karl Oettle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461

Rainer Pitschas (Hrsg.), Handel und Entwicklung im Zeichen der WTO – ein entwicklungspolitisches Dilemma (Julia Ellinger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464

Berit Sandberg und Christoph Mecking, Vergütung haupt- und ehrenamtlicher Führungskräfte in Stiftungen – Die Ergebnisse der Vergütungsstudie 2007 (Christina Schaefer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466

Autoren des Heftes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469

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Abhandlungen

Gerold Ambrosius

Regulierung öffentlicher Dienstleistungen in historischer Perspektive

Eigentumsrechte; Entflechtung; Europa; Geschichte; Infrastruktur; Marktformen; öffent-liche Dienstleistungen; Regulierung Die Implementierung des europäischen Regulierungsmodells für öffentliche Dienstleis-tungen in den Mitgliedstaaten der EU bedeutet für Deutschland, dass eine grundlegende Reform des bisherigen regulierungspolitischen Ansatzes vorgenommen werden muss. Seit dem 19. Jahrhundert war hier ein regulierungspolitisches Regime entstanden, das auf (1) gebietsmonopolistischen Strukturen, (2) überwiegend öffentlichen Unternehmen, (3) der privatrechtlichen Steuerung über Konzessionsverträge, der öffentlich-rechtlichen Regu-lierung über Gesetze und Verordnungen sowie – nach dem Zweiten Weltkrieg – der Missbrauchsaufsicht des Kartellrechts beruhte, die (4) durch Organe der staatlichen Verwaltung ausgeübt wurden und nicht durch unabhängige Kommissionen. Der Wandel von der privatrechtlichen Steuerung des 19. Jahrhunderts zur öffentlich-rechtlichen Re-gulierung des 20. Jahrhunderts hatte zahlreiche Ursachen, die vom politischen Födera-lismus über Missmanagement öffentlicher Unternehmen bis zum Misstrauen gegen wett-bewerbliche Marktstrukturen in der öffentlichen Versorgungswirtschaft reichen. Ebenso zahlreich sind die Ursachen, die Deutschland seit den 1980er Jahren veranlassen, sich von diesem Regulierungsregime zu verabschieden.

I. Vorbemerkungen

Unter ‚Regulierung’ werden im Folgenden spezifische hoheitliche Eingriffe vornehmlich in die wirtschaftliche Unternehmensführung verstanden, die über die allgemeinen ord-nungspolitischen Rahmensetzungen hinausgehen (Müller/Vogelsang 1979; Kaufer 1981; Balzer-Schnurbus 1992; König/Benz 1997; Robinson 2007). Meist handelt es sich dabei um administrative Vorschriften in branchenbezogenen Gesetzen, die auf Dauer angelegt sind. Wenn Regulierung sich auf Marktstrukturen bezieht, zielt sie auf die Korrektur bzw. Vermeidung von Marktversagen, d. h. auf die Verhinderung monopolistischen Macht-missbrauchs und ruinöser Konkurrenz, oder aber sie bestätigt monopolistische Struktu-ren. Wenn Regulierung sich auf Marktverhalten bezieht, geht es darum, eine ordnungs-gemäße Geschäftsführung zu sichern, Umfang und Qualität des Angebots zu beeinflussen

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oder allgemein den Unternehmen bestimmte Leistungsverpflichtungen aufzuerlegen. Regulierung bedeutet hier also weder staatliche Intervention ganz allgemein noch gesell-schaftliche bzw. ständische Selbstbindung oder unmittelbare Unternehmensführung durch öffentliche Träger. Regulierung steht aber in engem Zusammenhang mit der ‚öf-fentlichen Bindung’ (von Eynern 1975; Thiemeyer 1983). Mit ‚öffentlichen Dienstleistungen’ sind solche gemeint, die im Interesse der Allgemein-heit bereitgestellt und von Gesetzgebern und Verwaltungen mit spezifischen Gemein-wohlleistungen verbunden werden. Vornehmlich geht es dabei – um auf die europäische Terminologie zurückzugreifen – um Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Im Vordergrund stehen netzgebundene Dienste. Nicht berücksichtigt werden die Sozial- und Gesundheitsdienste, das Zentralbank- und Sparkassenwesen, die kulturel-len Einrichtungen usw. Allerdings können einige der folgenden Aussagen durchaus so weit verallgemeinert werden, dass sie sich auch auf diese Art von öffentlichen Dienstleis-tungen beziehen lassen. Mit der Formulierung ‚in historischer Perspektive’ wird nicht das Ziel verfolgt, die Ge-schichte detailliert nachzuzeichnen. Dies wäre angesichts der Komplexität der histori-schen Zusammenhänge auch gar nicht möglich. Einerseits darf Geschichte nicht im Inte-resse einer stringenten Theorie, einer schlanken These oder gar einer politischen Hand-lungsanweisung zurechtgebogen werden. Andererseits sollen die historischen Zusam-menhänge auf die heutigen Probleme oder Perspektiven zugeschnitten werden, um sie für die aktuelle wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Diskussion interessant zu machen. Insofern ist eine „idealtypische Verkürzung“ bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich. Auf eine Entwicklungstheorie oder ein Entwicklungsmodell wird aber bewusst verzich-tet, selbst auf die Gefahr hin, dass der folgenden Argumentation damit etwas Willkürli-ches anhaftet (Dyson 1992). Wollte man die Geschichte der Steuerung oder Regulierung öffentlicher Dienstleistungsunternehmen – unter Berücksichtigung der Eigentumsformen – seit dem 19. Jahrhundert chronologisch nachzeichnen, müsste man zwischen vier Pha-sen unterscheiden, die stark verkürzt folgendermaßen umschrieben werden können: 1. Bis in die 1870er Jahre wurden private (und öffentliche) Unternehmen durch Konzes-sionsverträge gebunden. 2. Danach bis in die 1930er Jahre wurden öffentliche (und priva-te) Unternehmen von öffentlichen Trägern sowohl direkt-administrativ als auch mit Hilfe von Konzessionsverträgen indirekt gesteuert. 3. Bis in die 1980er Jahre wurden öffentli-che (und private) Unternehmen zusätzlich mittels Gesetzen bzw. Verordnungen reguliert. 4. Seither werden öffentliche und erneut mehr private Unternehmen unter Beibehaltung der bisherigen Formen der Steuerung bzw. Regulierung wieder verstärkt der direkten Konkurrenz durch andere Unternehmen oder dem indirekten Druck durch Wettbewerbs-surrogate ausgesetzt. Im folgenden zweiten Abschnitt werden knapp das europäische Regulierungsmodell und seine Umsetzung in Deutschland dargestellt. Im dritten Abschnitt wird die Entwicklung der Steuerung/Regulierung öffentlicher Dienstleistungen seit dem ausgehenden 19. Jahr-hundert bis in die 1930er Jahre beschrieben, d. h. bis zur Etablierung des Regulierungsre-gimes, das dann für ein weiteres halbes Jahrhundert bis in die 1980er Jahre mit gewissen

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Modifikationen Bestand haben sollte. Im vierten Abschnitt werden die Ursachen für den dahinter stehenden Wandel von der Steuerung zur Regulierung aufgezeigt. Schließlich wird im fünften Abschnitt das europäische Regulierungsmodell mit der deutschen Tradi-tion der Regulierung verglichen.

II. Europäisches Regulierungsmodell und seine Umsetzung

Das europäische Regulierungsmodell für netzgebundene Dienste setzt sich – soweit es schon ausformuliert ist – aus drei bzw. vier Elementen zusammen (Lippert 2005, S. 19 ff.): (1) aus der Entflechtung der integrierten Monopolunternehmen nach dem Prinzip des

vertikalen ‚Unbundling’ – als informationelle, buchhalterische, organisatorische bzw. operationale oder eigentumsrechtliche Entflechtung. Das bedeutet Trennung von Erzeugung bzw. Aufbringung, Übertragung bzw. Netz und Transport bzw. Ver-trieb. In horizontaler Hinsicht sollen bei Erzeugung und Vertrieb verschiedene Un-ternehmen in Konkurrenz stehen.

(2) aus der Einführung neuer anreizorientierter Formen der Preis- bzw. Erlösregulie-rung z. B. mit Hilfe des Price-Cap bzw. Revenue-Cap und der effizienzorientierten Kostenkontrolle z. B. mit Hilfe des Benchmarking. Erwerbs- und gemeinwirtschaft-liche Leistungserbringungen werden klar getrennt. Die soziale Komponente der Re-gulierung zeigt sich in den Standards der Universaldienste. Es geht aber vor allem um die wirtschaftliche Komponente.

(3) aus der Bildung sektoraler Regulierungsorgane, allerdings nicht als weisungsabhän-gige Behörden, sondern als unabhängige Kommissionen – unabhängig sowohl ge-genüber dem Staat als auch gegenüber der Wirtschaft. Die neue Form der europäi-schen Zusammenarbeit erfolgt auf drei Ebenen: in europäischen Gremien wie dem Rat der Europäischen Energieregulatoren, in europäischen Gruppen wie der Europä-ischen Regulatorengruppe für Kommunikationsdienste und durch die übliche Komi-tologie.

(4) Als weiteres Element können die privaten Eigentumsformen erwähnt werden. Der EG-Vertrag ist bekanntlich eigentumsrechtlich neutral, die Kommission präferiert aber eindeutig das private Eigentum.

In den folgenden Abschnitten wird die Entwicklung der Regulierung (im weiteren Sinne) jeweils im Hinblick auf diese vier Elemente untersucht: 1. Marktformen, 2. Eigentums-formen, 3. Regulierungsformen (im engeren Sinne), 4. Organisationsformen. Das europäische Regulierungsmodell beeinflusst heute die Politik in allen Mitgliedstaa-ten der EU (Majone 1996; OECD 2002; Thatcher 2002). Diese bemühen sich mehr oder weniger erfolgreich, es zu implementieren, ohne die eigenen Regulierungstraditionen vollständig aufzugeben. Auch für Deutschland stellt sich die Frage, inwieweit das Regu-lierungsmodell übernommen werden soll, wobei eine eindeutige Aussage darüber, welche Veränderungen durch die EU angestoßen wurden und welche sich aus einem inneren Re-

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formbedürfnis der deutschen Gesellschaft und Politik ergaben, kaum möglich ist (Lippert 2005, S. 54 ff.; Böllhoff 2002; Dickhaus/Dietz 2004): (1) Die Öffnung der Märkte begann bereits 1980 mit der vierten Novelle des GWB und

führte dann im Laufe der Zeit zur endgültigen Liberalisierung der Ausnahmeberei-che. Die verschiedenen Branchengesetze wurden ebenfalls in diesem Sinne novel-liert: Post- und Telekommunikationsgesetz, Eisenbahngesetze, Personenbeförde-rungsgesetz oder Energiewirtschaftsgesetz. Bei manchen Branchen wie der Tele-kommunikation wurde die Liberalisierung schneller und konsequenter vollzogen, bei anderen wie der Post langsamer und weniger radikal. Die Entflechtungsvorga-ben der EU wurden teilweise eher in der schwachen Form der buchhalterischen bzw. operationalen Trennung umgesetzt. Die vertikal integrierte Struktur der Mo-nopolunternehmen blieb in diesen Fällen eigentumsrechtlich bestehen. Im Vergleich mit anderen europäischen Staaten nimmt Deutschland bei der Liberalisierung wohl eine mittlere Position ein. Immerhin haben sich andere Mitgliedstaaten bereits für das ‚ownership unbundling’ entschieden.

(2) Seit den 1980er Jahren wurden vornehmlich durch den Bund und die Kommunen Dienstleistungsunternehmen formell und materiell privatisiert. Im Vergleich zu an-deren Ländern weist Deutschland eine größere Varianz der öffentlichen Anteile in den verschiedenen Dienstleistungssektoren auf.

(3) Die Regulierungsformen wandelten sich langsam und waren nicht nur durch schwa-che Entflechtungsvorgaben, sondern auch durch schwache Anreizregulierung und eine weiter bestehende kartellrechtliche ex-post Aufsicht gekennzeichnet. Die Re-gulierungssysteme variierten allerdings je nach Sektor. Mit der Anreizregulierungs-verordnung für die Netzbetreiber wird sich in dieser Hinsicht ab 2009 einiges än-dern (Bauer 2006; Säcker 2007). Die Verordnung ersetzt den kostenbasierten An-satz durch den erlöszentrierten. Bei der Bestimmung der Netzentgelte wird nicht mehr von den Kosten des Netzbetriebs ausgegangen. Den Netzbetreibern werden vielmehr Obergrenzen für ihre Erlöse vorgegeben, die auf der Grundlage eines bun-desweiten Vergleichs ermittelt werden. Die Begrenzung des Gewinns und die Stei-gerung der Produktivität bzw. Effizienz sind das Ziel. Die Verordnung soll gleich-zeitig dafür sorgen, dass Kosteneinsparungen nicht zu Lasten der Versorgungsquali-tät gehen und genügend Spielraum für Investitionen in die Strom- und Gasnetze bleibt. Weiterhin soll eine Qualitätsregulierung eingeführt werden, die es der Regu-lierungsbehörde ermöglicht, für gute und schlechte Versorgungsleistungen Zu- oder Abschläge auf die Erlöse der Netzbetreiber festzusetzen. Im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten – beispielsweise zu Schweden oder Großbritannien – veränderten sich die Regulierungsformen nur langsam.

(4) In der Elektrizitätswirtschaft kam es zunächst zum verhandelten Netzzugang und damit zur Selbstbindung der Wirtschaft durch Verbändevereinbarungen. In anderen Sektoren wurden branchenspezifische Regulierungsbehörden aufgebaut, die 2005 in der Bundesnetzagentur zusammengeführt wurden. Die Agentur ist eine obere Bun-desbehörde, die dienstlich und überwiegend fachlich der Aufsicht des Bundesminis-

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teriums für Wirtschaft und Technologie und des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung untersteht. Länder können eigene Regulierungsbehörden einrichten, müssen dies aber nicht. Es wurden also keine branchenspezifischen un-abhängigen Organe im Sinne des Reformmodells der Europäischen Kommission geschaffen.

III. Entwicklung der Steuerung/Regulierung seit dem 19. Jahrhundert

Bis zu den 1930er Jahren gab es kaum Regulierung im hier definierten hoheitlich-administrativen Sinne. Ansätze einer regulativen Politik findet man allenfalls in Kommu-nalgesetzen, in den polizeilichen Vorschriften zu den Verkehrsbetrieben, in den sich auf die Sparkassen beziehenden Bestimmungen der Kreditwesengesetze, in Versicherungsge-setzen, in den Eisen-, Neben- und Kleinbahngesetzen oder in den Gesetzen und Verord-nungen zur Wasser- und Elektrizitätswirtschaft. Meist ging es darum, auf die technische Betriebsführung Einfluss zu nehmen. Fast alle gesetzlichen Vorschriften wurden im Üb-rigen auf bundesstaatlicher Ebene erlassen. Öffentliche Dienstleistungsunternehmen wurden zugleich aber durch ihre öffentlichen Träger wirtschaftlich gesteuert. Es sei daran erinnert, dass hier zwischen ‚Steuerung’ und ‚Regulierung’ unterschieden wird. (1) Je nach Dienstleistungssparte setzte im 19. Jahrhundert zu unterschiedlichen Zeit-

punkten – nach einer kurzen wettbewerblichen Anfangsphase – ein Prozess der Konzentration ein. Die verschiedenen Post- und Telegrafendienste wurden zur Reichs-Post- und Telegraphenverwaltung zusammengefasst (Hesse 2002). Eisen-bahnunternehmen kauften andere Eisenbahn-, Neben- und Kleinbahnen auf (Ziegler 1996). In der Energiewirtschaft entstanden die regionalen Verbundunternehmen und die lokalen Stadtwerke (Stier 1999; Ambrosius 1995a). Die sich entwickelnden Versorgungsgebiete wurden durch Konzessions-, Demarkations- und Verbundver-träge abgesichert. Insgesamt hatten sich schon vor dem Ersten Weltkrieg, spätestens aber in den 1920er Jahren in den hier behandelten Dienstleistungssektoren horizon-tal und vertikal integrierte Monopole herausgebildet.

(2) So wie es in den meisten Versorgungssparten eine kurze wettbewerbliche Anfangs-phase gab, so auch eine kurze überwiegend privatwirtschaftliche. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rollten dann aber sehr bald verschiedene Kommunalisie-rungs- bzw. Verstaatlichungswellen. Zunehmend stiegen die öffentlichen Gebiets-körperschaften auch direkt mit eigenen Unternehmen – also ohne den Umweg der Kommunalisierung bzw. Verstaatlichung privater Unternehmen – in die Versor-gungswirtschaft ein. Eigentlich gab es von Anfang an keinen eigentumsrechtlichen Monismus. Nicht geringe Teile der kommunalen Versorgungs- und Verkehrsbetrie-be blieben privat. Neben staatlichen Eisenbahnen gab es private, kommunale und gemischtwirtschaftliche Klein- und Nebenbahnen. Auch in der Energiewirtschaft entstand ein Nebeneinander von öffentlichen, privaten und gemischtwirtschaftlichen

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Unternehmen. Von Beginn an zeigte sich in der öffentlichen Wirtschaft außerdem ein Trend zur Verselbstständigung, d. h. eine Entwicklung von der Verwaltungsstel-le über den Regiebetrieb bzw. so genannten verselbstständigten Regiebetrieb weiter zur GmbH und AG. Materielle Privatisierung war allerdings äußerst selten (Ambro-sius 1984).

(3) Bei öffentlichen Betrieben ohne eigene Rechtspersönlichkeit erfolgte die Steuerung über die verwaltungs- bzw. beamtenrechtliche Dienstanweisung, d. h. durch die mehr oder weniger unmittelbaren Eingriffe der Verwaltungs- und Vertretungsorga-ne der Gebietskörperschaften. Hier lässt sich ein Trend dahingehend erkennen, dass zwar die Standards des Diensteumfangs und der Dienstequalität einschließlich ihrer sozialen Dimensionierung festgelegt wurden, die wirtschaftliche Geschäftsführung aber der öffentlichen Kontrolle zunehmend entglitt (Ambrosius 1987). Als Folge davon konnten die politisch-sozialen Leistungsvorgaben der öffentlichen Träger von den eigenen Unternehmen wiederum unterlaufen werden. Dies war möglich, weil sowohl zwischen sozialer und wirtschaftlicher Steuerung als auch zwischen erwerbswirtschaftlicher und gemeinwirtschaftlicher Leistungserstellung nicht scharf unterschieden wurde. Bei öffentlichen und privaten Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit war das zentrale Steuerungsmedium der privatrechtliche Kon-zessionsvertrag. Auch hier wurde nicht nur das Recht der Wegenutzung gegen ein Entgelt überlassen, sondern auf Umfang und Ausgestaltung der Versorgungsleis-tungen Einfluss genommen. Sowohl die Kommunen als auch die Staaten bedienten sich der Wegenutzungsrechte. Ein Beispiel für letztere waren die so genannten ‚Bayerischen Staatsverträge’, mit denen die Überspannung und sonstige Inan-spruchnahme der dem bayerischen Staat gehörenden Straßen geregelt wurde. In die unmittelbare Geschäftsführung konnte bei privaten Unternehmen gar nicht, bei öf-fentlichen bzw. gemischtwirtschaftlichen Unternehmen in privatrechtlicher Form nur im Rahmen der üblichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse der GmbH oder AG eingegriffen werden. Wenn man so will, nahmen die Gebietskör-perschaften in diesen Fällen einen „Umweg über das Privatrecht“, um ihre öffentli-chen oder gemeinwohlorientierten Ziele zu verfolgen (Stern/Püttner 1965, S. 122). Die privatrechtliche Steuerung spielte aufgrund der Tendenz zur formellen Privati-sierung auch bei öffentlichen Unternehmen eine zunehmende Rolle.

(4) Dieses Steuerungsregime war Ausdruck des sehr liberalen Wirtschaftssystems und des ausgeprägt föderativen Politiksystems des Kaiserreichs. Sieht man einmal von der ‚Reichs-Post- und Telegraphenverwaltung’ und dem ‚Reichs-Eisenbahn-Amt’ ab, gab es keine zentralen Steuerungsinstanzen – weder in Form von abhängigen Behörden noch in Form unabhängiger Kommissionen. Dem föderativen Staatsauf-bau entsprachen sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Hinsicht dezentrale Organisationsformen der Steuerung der öffentlichen Dienstleistungsunternehmen.

Diese Entwicklungen führten nach gut einem halben Jahrhundert zu den Regulierungsge-setzen der 1930er Jahre, zum Personenbeförderungsgesetz 1934, Kreditwesengesetz 1934, Energiewirtschaftsgesetz 1935, zur – insbesondere für die Kommunalwirtschaft

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relevanten – Deutschen Gemeindeordnung 1935, Rücklagenverordnung 1936, Eigenbe-triebsverordnung 1938 und zur Konzessionsabgabeverordnung 1941. Dazu kamen das allgemeine Preisrecht und andere Branchengesetze wie die Sparkassengesetze und schließlich auch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung 1958. Zieht man die regu-lierungspolitische Quintessenz aus diesen Gesetzen und Verordnungen, ging es erstens um die Genehmigung des Marktzugangs, zweitens um die Regelung der Anschluss- und Versorgungspflicht, drittens um die Kontrolle der Investitionen, viertens um die Aufsicht über Preise und Tarife und fünftens um die Missbrauchsaufsicht. Dieses Regulierungsregime kann wie folgt charakterisiert werden: (1) Die bestehenden Marktformen blieben im Wesentlichen unberührt (Ambrosius

2003). Allenfalls wurden im Verkehrswesen die substitutionswettbewerblichen An-sätze unterbunden und die dominante Stellung von Reichspost und Reichsbahn ze-mentiert (Borscheid 1995; Hildebrand 1999). In der Energiewirtschaft wurde die Position der großen Verbundunternehmen gefestigt (Bruche 1977; Stier 1999). Ins-gesamt sollten – wie es im speziellen Sprachgebrauch der 1930er Jahre hieß – die „schädlichen Auswirkungen des Wettbewerbs“ oder ein „unbilliger Wettbewerb“ auf den Dienstleistungsmärkten verhindert werden. Es handelte sich um eine passi-ve Strukturregulierung in dem Sinne, dass die monopolistischen Märkte bestätigt wurden.

(2) Auch die vorhandenen Eigentumsstrukturen wurden nicht angetastet. Das Regulie-rungsregime war eigentumsrechtlich neutral.

(3) Die administrative Einflussnahme über die Dienstanweisung und die „privatwirt-schaftliche“ Steuerung über den Konzessionsvertrag wurden durch die öffentlich-rechtliche Regulierung ergänzt und teilweise abgelöst. Generell bekam das öffentli-che Recht als Steuerungsmedium eine größere Bedeutung. Damit verlagerte sich das Gewicht von der unmittelbaren Betriebsführung zur mittelbaren Branchenregulie-rung (Ambrosius 1995). Dennoch gab es nicht nur mehr ‚Staat’. Denkt man an den Trend der Verselbstständigung öffentlicher Unternehmen, gab es auch mehr ‚Markt’. Es wurden nicht nur die bisherigen Gebietsmonopole im Sinne einer passi-ven Strukturregulierung bestätigt, sondern auch die so genannten „Pflichten- oder Leistungskataloge“ im Sinne einer aktiven Verhaltensregulierung fortgeschrieben. Dabei handelte es sich nicht primär um eine Regulierung der Gewinne – wenngleich in der Praxis der Preisbehörden der Gewinn als Entscheidungskriterium herangezo-gen wurde –, sondern um eine Regulierung der Angebots- und Investitionsprozesse. Insofern war es auch mehr eine ex-ante Aufsicht als eine ex-post Kontrolle. Für die öffentlichen Unternehmen kam es zu der – später aus ordnungspolitischer Perspek-tive so hart kritisierten – Doppelbindung der unternehmerischen Steuerung und der behördlichen Regulierung.

(4) Aufsicht und Kontrolle der regulierten Unternehmen erfolgte durch Organe der staatlichen Verwaltung. Es entstand ein schwieriges Nebeneinander von behördli-cher Fach-, Preis- und Kartellaufsicht, das zudem noch föderativ gestuft war. Kenn-zeichnend war, dass es sich um normale Behörden handelte, die von den Weisungen

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eines Ministers abhängig waren, der sich wiederum parlamentarisch verantworten musste. Nur das Bundeskartellamt war eine selbstständige Verwaltungsbehörde un-ter einem Präsidenten, die grundsätzlich nicht an solche Weisungen gebunden war. Die Verwaltungsakte dieser Behörden unterlagen der gerichtlichen Nachprüfung, was insofern wichtig war, als die Gesetze viele Allgemeinformeln und unbestimmte Rechtsbegriffe enthielten, für deren Anwendung und Auslegung sich die notwendi-gen Grundsätze erst in der Praxis entwickeln mussten (Münch 1983).

Dieses Regulierungsregime hatte mit Modifikationen wiederum fast ein halbes Jahrhun-dert Bestand, bis dann seit den 1980er Jahren tief greifende Veränderungen eintraten. Damit wird keine Aussage darüber getroffen, inwieweit das normative Konzept positiv umgesetzt wurde, d. h. inwieweit Preise, Tarife oder Investitionen tatsächlich behördlich überwacht wurden.

IV. Ursachen des Wandels von der Steuerung zur Regulierung

(1) Was sind die Gründe dafür, dass sich monopolistische Strukturen auf den Märkten der öffentlichen Dienstleistungen entwickelten und fast ein Jahrhundert unangetastet blieben?

Es ist eine schlichte Feststellung und doch kann sie nicht oft genug wiederholt werden: Öffentliche Dienstleistungen und Wettbewerb schlossen sich in der Vergangenheit im ordnungspolitischen Verständnis weiter Teile deutscher Wissenschaft und Politik nicht aus (Gerber 1998, S. 69 ff.; Nicholls 1994; Ambrosius 1981). Wettbewerb war allerdings nicht das Ziel, sondern der Zweck. Öffentliche Dienstleistungen konnten, mussten aber nicht im Wettbewerb bereitgestellt werden. Weder im kathedersozialistischen Konzept des ‚Munizipalsozialismus’ noch im Forsthoffschen Konzept der ‚Daseinsvorsorge’ spielte Wettbewerb eine Rolle (Schmoller 1900; Forsthoff 1938). Selbst überzeugte Libe-rale hatten wenig Schwierigkeiten mit öffentlichen Versorgungsmonopolen. Wettbewerb als dominantes ordnungspolitisches Paradigma setzte sich eigentlich erst nach dem Zwei-ten Weltkrieg durch. Erst seither mussten Ausnahmen vom Wettbewerbsregime aus-drücklich genehmigt werden, wobei der wettbewerbliche Ausnahmetatbestand der öffent-lichen Dienstleistungsmärkte erst in der jüngsten Vergangenheit ernsthaft hinterfragt wurde. Umgekehrt lässt sich eine Wettbewerbsphobie hinsichtlich der Märkte öffentli-cher Dienstleistungen nur in den 1930er Jahren während des nationalsozialistischen Re-gimes erkennen. Die Vorstellung, dass öffentliche Dienstleistungen im Wettbewerb erbracht werden kön-nen, war im 19. Jahrhundert durchaus präsent, dennoch wurden die meisten netzgebun-denen Dienste sehr bald als ‚natürliche Monopole’ eingeschätzt. Dahinter stand eine ge-nerelle Faszination von Planung und Lenkung, von technisch-organisatorischer Rationali-tät ganz allgemein (Stier 1999, S. 41 ff.). Monopolistische Strukturen ermöglichten nach dieser Auffassung nicht nur die wirtschaftlichste Form der Produktion, sondern auch die

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sozialste Form der Verteilung. Die damalige Forderung nach gebietsmonopolistischen Strukturen der Versorgungsmärkte und ihre Herausbildung dürfen also nicht auf das Ar-gument der natürlichen Monopole und damit auf das des Marktversagens reduziert wer-den. Das wiederum bedeutet nicht, dass man nicht auch schon damals darüber nachdachte, welche Dienste als wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche, erwerbswirtschaftliche und gemeinschaftliche eingestuft werden sollten, wobei die wirtschaftlichen und erwerbswirt-schaftlichen im Wettbewerb, die nicht-wirtschaftlichen und gemeinwirtschaftlichen im Monopol angeboten werden sollten (Ambrosius 1996).

(2) Warum löste das öffentliche das private Eigentum ab bzw. warum wurden öffentliche Dienstleistungen von vornherein in öffentlicher Eigenproduktion bereitgestellt?

So wenig dogmatisch das Kaiserreich mit der Frage der Marktformen umging, so wenig dogmatisch behandelte es die Frage der Eigentumsformen. Es besaß ein sehr liberales System – liberal in dem Sinne, dass der Staat erst allmählich begann, mit hoheitlich-administrativen Maßnahmen in die Wirtschaft einzugreifen, liberal aber auch in dem Sin-ne, dass der öffentlichen Wirtschaft kaum Schranken auferlegt wurden. Der Staat konnte das ‚Unternehmen’ als das – wenn man so will – konstitutive Element entwickelter Marktwirtschaften zu seinen Zwecken nutzen. Das Paradigma der damaligen Zeit, das eigentlich bis in die jüngste Vergangenheit vorherrschte, war der eigentumsrechtliche Pluralismus, im Übrigen nicht nur im Hinblick auf öffentliche und private, sondern auch auf genossenschaftliche und freigemeinnützige Unternehmen. Dass es in dieser Hinsicht keine Tabus gab, zeigten die vielen gemischtwirtschaftlichen Unternehmen bzw. Public Private Partnerships in dieser Zeit (Ambrosius 2000). Werner Sombart beendet sein gewaltiges Werk über den „modernen Kapitalismus“ von 1928 nach mehreren tausend Seiten – vor einem kurzen Ausblick in die Zukunft – mit einem knappen Abschnitt über „gemischt-öffentliche Betriebe“, womit er öffentlich-private Ko-operationen meinte. Der letzte Satz lautet: „Wenn nicht alle Zeichen trügen, so haben wir es hier mit einer sehr lebensfähigen Wirtschaftsform zu tun, die in der Zukunft eine große Rolle zu spielen berufen ist“ (Sombart 1928, S. 1007). Für den Übergang von der konzessionierten privaten Unternehmung zum administrierten öffentlichen Betrieb seit den 1870er Jahren gab es eine Reihe von Gründen: Ein liberaler Antimonopolismus wandte sich gegen die Gefahr der privaten Ausnutzung infrastruktu-reller bzw. natürlicher Monopole. Ein sozialkonservativer Paternalismus wollte den Missständen des kapitalistischen Systems mit öffentlicher Sozialreform begegnen, zu der auch die Daseinsvorsorge gehörte. Ein sozialistischer Reformismus versuchte, antikapita-listische Ordnungsprinzipien im bestehenden System zu verankern. Ein republikanischer Interventionismus zielte darauf ab, gesellschaftliche Interessen als öffentliche zu definie-ren und den Primat der Politik gegenüber der Ökonomie zumindest in diesem Bereich durchzusetzen. Fiskalische Motive waren ebenso ausschlaggebend wie hygienische oder

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machtpolitische (Fuchs 1908; Loesch 1977; Brunckhorst 1978). Besonders wichtig war in diesem Zusammenhang das Versagen des Vertragsmanagements. Vor allem die Kommu-nen wurden mit dem Problem des langfristigen, unvollständigen bzw. relationalen Ver-trages konfrontiert und zogen daraus die Konsequenzen. Die hohen Transaktionskosten wurden sehr bewusst wahrgenommen, zumal manche Rechtsstreitigkeiten zwischen pri-vaten Unternehmen und Gemeinden bis vor das Reichsgericht gingen. Öffentliche Unter-nehmen stellten insofern einen Ersatz für die nicht funktionsfähige privatrechtliche Steu-erung über den Konzessionsvertrag und die nicht vorhandene hoheitsrechtliche Regulie-rung über das Gesetz dar (Ambrosius 1999). Nur in Parenthese sei angemerkt, dass öffentliches Eigentum an Produktionsmitteln die Position der Gebietskörperschaften im föderativen Staatsaufbau stärkte. Das galt beson-ders für die Gemeinden, aber auch für die Bundesstaaten und das Reich (Krabbe 1985). In kommunalen Unternehmen drückte sich nicht nur ein Stück ‚materieller Demokratie’ aus, sondern auch finanzielle Unabhängigkeit, waren sie doch in dieser Zeit ausgespro-chen profitabel (Kwack 1990). Die These vom Paradigma des eigentumsförmigen Pluralismus wird auch dadurch nicht in Frage gestellt, dass öffentliche Unternehmen von der Privatwirtschaft kritisiert wur-den. Die verschiedenen Kampagnen gegen die „kalte Sozialisierung“ seit dem ausgehen-den 19. Jahrhundert richteten sich nicht gegen den Kern öffentlicher Dienstleistungsun-ternehmen, sondern dagegen, dass sich die öffentliche Wirtschaft immer mehr in anderen Sektoren ausbreitete (Böhret 1962).

(3) Warum wurde die direkt-administrative Steuerung durch die Dienstanweisung und die indirekt-vertragliche Steuerung durch den Konzessionsvertrag durch die öffentlich-rechtliche Regulierung überformt und teilweise ersetzt?

Der technische Fortschritt, die wirtschaftliche Entwicklung und die politische Integration ließen großräumige, zusammenhängende Netze entstehen, die zentralstaatlich organisiert und überwacht werden sollten. Bei Post und Telegrafie entstand mit dem Deutschen Reich 1871 eine reichseinheitliche Verwaltung. Bei Eisenbahnen und Elektrizität wurde ebenfalls schon vor dem Ersten Weltkrieg ein reichsweites Regulierungsdefizit beklagt. Die ‚Nationalökonomie’ des Nationalstaates forderte eine Einebnung des institutionellen „Spielfeldes“ (Bruche 1977, S. 31 ff.; Stier 1999, S. 355 ff.). Die hoheitsrechtliche Regulierung kann auch als Folge der Verselbstständigung bzw. formelle Privatisierung der öffentlichen Betriebe verstanden werden. Die öffentlichen Unternehmen, die sich immer mehr dem Einfluss ihrer Träger entzogen, sollten unter Kontrolle gebracht werden. Die Regulierungen waren ebenso eine Reaktion auf das offensichtliche Fehlverhalten bestimmter Dienstleistungsunternehmen oder sogar -branchen bei der Bewältigung der Probleme, die durch Krieg, Inflation und Weltwirtschaftkrise entstanden waren. Der gewachsene Machtanspruch des Reiches gegenüber Ländern und besonders Kom-munen war ebenfalls maßgeblich (Matzerath 1970, S. 31 ff.). Die Deutsche Gemeinde-

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ordnung und die Eigenbetriebsverordnung waren mit ihren restriktiven Vorgaben sicher-lich nicht im Interesse der Kommunen. Sie hatten zwar seit vielen Jahren selbst ähnliche Vorschläge gemacht, allerdings wollten sie die Probleme durch freiwillige Selbstkontrol-le und nicht durch staatliche Aufsicht in den Griff bekommen. Mit den entsprechenden Vorschriften der Deutschen Gemeindeordnung sollte wohl auch eine weitere Auflösung der eigentlichen Gemeindeverwaltung durch Auslagerung von Aufgaben in öffentliche Unternehmen erschwert werden. In den branchenspezifischen Regulierungsgesetzen manifestierten sich umgekehrt aber auch privatwirtschaftliche Interessen. Vor allem bei der Kommunalwirtschaft wurden die schärferen Prüfungsbestimmungen, die bereits die Notverordnungen in der Weltwirt-schaftskrise installierten, dahingehend interpretiert, dass öffentliche Unternehmen als störende Konkurrenz der Privatwirtschaft behindert bzw. zurückgedrängt werden sollten. Die Deutsche Gemeindeordnung reduzierte dann die Kommunalwirtschaft potenziell auf jene Bedürfnisse, die vom Privatkapital nicht befriedigt wurden, hielt den privaten Inte-ressen aber profitable Anlagemöglichkeiten offen.

(4) Warum entwickelte sich eine Mischung aus Fach-, Preis- und Kartellaufsicht in zentralstaatlichen Ämtern und föderativ gestuften Behörden?

Wenn man die unabhängigen Regulierungskommissionen angelsächsischer Provenienz als Referenzmodell nimmt, müssen die weisungsabhängigen Ämter bzw. Behörden, die mit den Regulierungsgesetzen entstanden, aus der deutschen Verwaltungstradition, aus dem föderativen Staatsaufbau, letztlich aus der Stellung des Staates in der Gesellschaft heraus erklärt werden. Das idealtypische Bild von der hoheitlichen Eingriffsverwaltung im Weberschen Sinne war damals noch weitgehend ungetrübt, auch wenn es nie Realität gewesen war und im Nationalsozialismus endgültig pervertiert wurde. Man könnte ge-sellschaftsphilosophische Überlegungen darüber anstellen, inwieweit das unterschiedli-che Verhältnis von Staat und Bürger im kontinentaleuropäischen und angelsächsischen Raum dafür verantwortlich war, dass die Regulierung in Deutschland administrativ an-ders organisiert wurde. Insgesamt waren die Wirtschafts- bzw. Regulierungsgesetze der 1930er Jahre zwar bran-chenspezifisch ausgerichtet und machten zwischen privaten und öffentlichen Unterneh-men keinen Unterschied. Betrachtet man sie aber genauer, so zeigt sich, „dass es beim Energiewirtschaftsgesetz und bei den anderen ‚Wirtschafts’-Gesetzen weniger um die Beaufsichtigung privater Wirtschaftsunternehmen ging als vielmehr um die Stärkung der zentralen Verwaltung, die Erfüllung alter Forderungen der Privatwirtschaft und den Ab-bau der durch die Wirtschaftskrise in Misskredit geratenen kommunalen Selbstverwal-tung und ihrer Formen der Wirtschaftsaufsicht und der Wirtschaftskoordination“ (Püttner 1967, S. 34). Insofern setzten sie die Entwicklung der vorangegangenen Jahre fort (Amb-rosius 2003). Der häufige Bezug auf das Gemeinwohl entsprach nationalsozialistischer Gesetzgebung, wobei ‚Gemeinwohl’ in den Ausführungsverordnungen dann völlig will-kürlich interpretiert wurde (Stolleis 1974). Außerdem dürfte der zentralstaatliche Diri-

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gismus die letzten föderalistischen Skrupel beseitigt haben. Schließlich spielten auch kriegswirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Warum verabschiedete sich Deutschland seit den 1980er Jahren zumindest teilweise von diesem Regulierungsregime, das über ein halbes Jahrhundert – wenn auch mit Modifika-tionen – Bestand gehabt hatte? Eine befriedigende Antwort kann hier nicht gegeben wer-den; es können lediglich einige Gründe angedeutet werden. Für manche Dienstleistungs-märkte wie denen der Telekommunikation spielte sicherlich der technische Fortschritt eine Rolle. Die europäische Integration im Allgemeinen, das Binnenmarktprojekt im Be-sonderen und die dogmatische Haltung der Kommission bzw. die Rechtsprechung des Gerichtshofes im ganz Speziellen waren ebenfalls wichtige Gründe. Der angesichts der Notlage der öffentlichen Haushalte unternommene Versuch, durch formelle und materiel-le Privatisierung öffentlicher Unternehmen Haushaltssanierung zu betreiben, spielte ebenfalls eine Rolle. Dahinter standen aber übergeordnete, grundlegende „Megatrends“: die liberale Renaissance des letzten Vierteljahrhunderts, das Ende der traditionellen In-dustriewirtschaft und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen. Das große Vertrauen in Markt und Wettbewerb und damit in private Unternehmen und das erhebliche Misstrauen gegenüber Staat und Intervention und damit gegenüber öffentli-chen Unternehmen hatte es im Hinblick auf öffentliche Dienstleistungen in dieser Form bisher nicht gegeben, die damit zusammenhängende Ökonomisierung oder „Verbetriebs-wirtschaftlichung“ so vieler Lebensbereiche ebenfalls nicht. Schlagworte wie die vom ‚verhandelnden’, ‚moderierenden’ oder ‚kooperierenden’ Staat dürften insofern ein Stück Realität erfassen, als tatsächlich ein verändertes Staatsverständnis erkennbar wurde (Schuppert 1998, 2005; Willke 1997). Danach waren öffentliche Dienstleistungssysteme, um es pointiert zu formulieren, Teil des überkommenen Obrigkeitsstaates und damit der traditionellen Hoheitsverwaltung. Sie repräsentierten ein Verhältnis von Staat und Bür-ger, das nicht mehr aktuell war, da die private Nachfrage nach Dienstleistungen dem öf-fentlichen Anbieter nicht mehr in einem staatsbürgerlichen Verhältnis begegnete, sondern in einem privatwirtschaftlichen.

V. Abschließende Bemerkungen

Abschließend soll das europäische Regulierungsmodell mit der Tradition deutscher Re-gulierung öffentlicher Dienstleistungen verglichen werden: (1) Interpretiert man das Modell als wettbewerbsfixiert, entspricht es nicht der Regulie-

rungstradition in Deutschland, weil man hier durchweg relativ undogmatisch die Pluralität der Marktformen akzeptierte. Es sollten die gewählt werden, die zugleich wirtschaftliche Allokationseffizienz und soziale Verteilungsgerechtigkeit sicherten, und das waren nach weit verbreiteter Auffassung bei netzgebundenen Diensten eben vertikal integrierte Gebietsmonopole. In der teilweise zögernden Marktöffnung der jüngsten Vergangenheit drückt sich der Konflikt zwischen radikalem Reformmodell und traditionellen Markt- und Machtstrukturen aus.

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(2) Interpretiert man das Modell als eigentumsrechtlich neutral, entspricht es der Tradi-tion in Deutschland, weil auch hier das Paradigma des eigentumsförmigen Pluralis-mus galt. Die Privatisierungen der letzten Jahre wären demnach „hausgemacht“; sie wären nicht durch die Gemeinschaft vorgegeben worden. Deutschland hätte sich selbst von seiner eigenen Tradition verabschiedet.

(3) Interpretiert man das Modell als einseitig wirtschaftlich-strukturregulierend orien-tiert, bricht es mit der deutschen Tradition der Regulierung, die strukturell nur inso-fern relevant war, als sie die gebietsmonopolistischen Verhältnisse absicherte, daneben aber eine sozial-verhaltensregulierende Komponente besaß. Eine solche Aussage hängt allerdings davon ab, welchen Stellenwert man den Universaldiensten beimisst. Auch in dieser Hinsicht wird das europäische Regulierungsmodell nur zö-gernd implementiert und dennoch ist damit eine tief greifende Veränderung verbun-den. Zum einen rückt mit der Öffnung der Märkte die Strukturregulierung in den Vordergrund. Zum anderen verlagert sich der Schwerpunkt auf die wirtschaftliche Regulierung im Sinne einer Gewinn- bzw. Anreizregulierung. Allerdings wird die Qualitätskontrolle in der neuen Anreizregulierungsverordnung beibehalten, wobei noch nicht abzusehen ist, auf welchem Niveau dies geschehen wird. Außerdem wird die ex-ante Aufsicht im Vergleich zur ex-post Kontrolle an Bedeutung gewinnen. Der deutschen Tradition der Regulierung entspricht auch nicht die scharfe Unter-scheidung zwischen erwerbswirtschaftlicher und gemeinwirtschaftlicher Leistungs-erstellung. An der Doppelbindung öffentlicher Unternehmen ändert sich grundsätz-lich nichts, allerdings verlagert sich durch die materielle Privatisierung das Gewicht von der privatrechtlichen Steuerung zur öffentlich-rechtlichen Regulierung. Da-durch wird das Regulierungsmedium ‚öffentliches Recht’ noch wichtiger. Die Re-gulierungsdichte müsste eigentlich mit der staatlichen Verantwortung für die Folgen der Privatisierung zunehmen, was zur Überregulierung führen kann.

(4) Interpretiert man das Modell schließlich dahingehend, dass es ausschließlich auf sektorspezifische unabhängige Kommissionen setzt, bricht es auch in diesem Punkt mit deutschen Traditionen, die sich vornehmlich auf eine Mischung aus behördli-cher Fach-, Preis- und Kartellaufsicht stützten. Allerdings wird dieses Modellele-ment in Deutschland nur eingeschränkt umgesetzt. Die Bundesnetzagentur steht mehr in der Tradition deutscher Behördenaufsicht und weniger in der angelsächsi-scher Kommissionskontrolle.

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Abstract Gerold Ambrosius; Regulation of Public Services in historical perspective Europe; history; infrastructure; market forms; property rights; public services; regula-tion; unbundling The implementation of the European model of regulation of Public Services in the mem-ber states of the EU means in the case of Germany a fundamental reform of the regula-tory traditions. Since the 19th century a regulatory regime was set up here based on (1) territorial monopolies, (2) mainly public enterprises, (3) steering under private law by franchise agreement, regulation under public law by act and decree and – after the Sec-ond World War – control of abusive practices by the Law Against Restraints of Competi-tion. (4) In organisational respect this regulatory regime was founded on the administra-tion of territorial authorities and not on independent commissions. The change of steer-ing under private law in the 19th century to the regulation under public law in 20th cen-tury has numerous reasons – from the political federalism of the German Empire via the mismanagement of public enterprises to the mistrust of competitive markets of public utilities. The fact that Germany left this traditional path of regulation since the 1980th has many reasons as well.

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Gewährleistungsrecht

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Claudio Franzius

Gewährleistungsrecht als Erscheinungsform des Verwaltungsrechts

Europäische Union; Gewährleistungsrecht; Öffentliche Dienstleistungen; Privatisierung; Staat und Recht; Vergabe- und Beihilfenrecht Neben die eingriffs- und die leistungsbezogene Schicht des Verwaltungsrechts schiebt sich die neue Dimension des Gewährleistungsrechts. Öffentliches Gewährleistungsrecht thematisiert die Herausforderungen durch fortschreitende Marktliberalisierungen, kann aber nicht einfach auf die Idee eines steuerungsmächtigen Staates zurückbezogen wer-den. Die Ergänzung des ordnungsrechtlichen Eingriffs- und des wohlfahrtstaatlichen Leistungsregimes hat vielmehr einer Steuerungsnaivität vorzubeugen, die vom Staat der Zukunft mehr erwartet als das Recht der Gegenwart leisten kann.

I. Gewährleistung

Gewährleistungsrecht soll vorliegend als ein Begriff verstanden werden, der maßgebliche Veränderungen im Verwaltungsrecht bündelt. Er greift die Einsicht in die Unzulänglich-keiten auf, die jüngeren Entwicklungen des Verwaltungsrechts in der Dichotomie von Eingriffs- und Leistungsverwaltung angemessen zu beschreiben.1 Das ist nicht neu. Schon das in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstandene Planungsrecht sprengte den Rahmen, in den das klassische Verwaltungsrecht Otto Mayers gestellt war. Relativ neu ist aber, dass es einen einheitlichen Fokus auch in normativer Hinsicht nicht zu geben scheint.2 Das bleibt undeutlich, wenn mit dem vielerorts apostrophierten, aber dogmatisch nicht klein gearbeiteten Wechsel von der Erfüllungs- zur Gewährleistungs-verantwortung des Staates auf ein verstärktes Vertrauen in die selbstregulativen Kräfte der Gesellschaft (Hoffmann-Riem 2005, S. 90) verwiesen wird, das sich – im Ergebnis zutreffend – nicht in einem Aufgabenverzicht, sondern in veränderten Modi der Aufga-benwahrnehmung niederschlage.3 Dennoch ist ein kaum zu unterschätzender Vorteil des Gewährleistungsparadigmas darin zu sehen, den breiten Privatisierungsstrom der jüngeren Zeit (Kirchhof 2007, S. 215) in eine Ordnung zu bringen.4 Prinzipiell jede Aufgabe erscheint danach privatisierungsfä-

1 Begrifflichkeit: Schoch 2007, S. 207. Gewährleistungsrecht ist nicht deckungsgleich mit Regulierungsrecht,

vgl. in Abgrenzung zu Masing 2003, S. 5 ff. Franzius 2008, §§ 6 ff. 2 Weiterführend der Frankfurter Excellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“. 3 Den Versuch einer Klassifizierung unternimmt Schulze-Fielitz 2006, § 12 Rdn. 51 ff., 64 ff., 91 ff.; weiter

Voßkuhle 2003, S. 304 ff. Insbesondere wird nicht immer hinreichend deutlich, dass das wie der Aufgabener-füllung auf das ob der Aufgabenerfüllung zurückwirken kann.

4 Ein knapper zeitgeschichtlicher Abriss bei Wahl 2006, S. 76 ff. mit einer Einordnung der verwaltungsrechtli-chen Reformdiskussion.

Claudio Franzius

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hig, solange und soweit eine hinreichende Gewährleistungsstruktur für die gesellschaftli-che Problemlösung bereitgestellt ist.5 Privatisierung löse die Gewährleistungsverantwor-tung in allen Funktionsbereichen hoheitlichen Handelns aus und lasse sich nicht auf die Rechtsanwendung beschränken, sondern erfasse auch die Rechtssetzung und Rechtspre-chung (Burgi 2006, § 75 Rdn. 9, 30 f., 35 f., 42). Begrifflich werden darunter die Verän-derungen in den Fachgesetzen gebündelt und das Augenmerk auf neue Rechtsgebiete wie das Regulierungsrecht, aber auch das Vergabe- und Beihilfenrecht zur Steuerung privater Leistungserbringung gelenkt.6 Konzeptionell geht es darum, die Privatisierungsformen nicht länger von den Grenzen (statt vieler Di Fabio 1999) aus zu betrachten, sondern in der Ermöglichung und Strukturierung von Freiheitschancen unter der Verantwortung des Staates für die Folgen (Franzius 2006, § 4 Rdn. 67 ff.). Damit erhält das neue Leitbild des Gewährleistungsstaates eine Politik anleitende Funkti-on, die Maßstab und Grenze im Recht findet. Insbesondere jener Bereich wird erfasst, der weder als formelle Privatisierung noch als materielle Privatisierung ausgestaltet ist, son-dern in der Form funktionaler Privatisierung zum Kern der Gewährleistungsverwaltung7 avanciert. Hier ist der komplexe Zwischenbereich8 zu verarbeiten, der über die Organisa-tionsprivatisierung hinausweist, aber keine vollständige Aufgabenprivatisierung (Zweifel am Begriff: Vesting 2000, S. 119; Kämmerer 2001, S. 29 ff.) sein darf. Insoweit kommt dem Leitbild eine innovative Funktion zu, die zwei Fragen schärft: Zum einen, inwieweit sich die Verwaltung in einem bestimmten Aufgabenfeld auf die Formulierung von Ziel-vorgaben beschränken kann, um Problemlösungen durch detaillierte Mittelvorgaben nicht zu versperren. Das hängt zum anderen davon ab, wie die hoheitlichen Ingerenzrechte in den Governance-Strukturen auszuformen sind, um eine gemeinwohlverträgliche Aufga-benerfüllung insgesamt zu gewährleisten.9

II. Recht als Bastelei?

Recht als Bastelei zu begreifen, ist natürlich eine Provokation. Aber hat die Anlehnung an den französischen Juristen und Ethnologen Claude Lévi-Strauss10 nicht einen Grund? In dem Maße, wie die Steuerungsperspektive des Rechts auf Kritik trifft, erscheint uns Recht als Ausdruck eines Systems, das sich dem Zugriff des Allgemeinen (ein letzter Versuch: Schmidt-Aßmann 2004) entzieht und an ein Bastelwerk – bricolage – erinnert. 5 Zum Bereitstellungsauftrag des Rechts Schuppert 1993, S. 96 ff.; Franzius 2006a, S. 353 ff. 6 In wesentlichen Punkten wie hier Schoch 2008 und rechtsvergleichend Krajewski 2008. 7 Begriff und Konzept Proeller/Schedler 2005. Schulze-Fielitz 2006, § 12 Rdn. 19 definiert die Gewährleistungs-

verwaltung als die Organisation von Märkten mit den Handlungsformen des Verwaltungsrechts. 8 Als weiterführend haben sich die grundsätzlichen Beiträge von Trute 1999, S. 13 und Voßkuhle 1999, S. 47

erwiesen, wenngleich die Zuordnung der verfassungsrechtlichen Infrastrukturaufträge zu den Privatisierungs-formen für die grundrechtliche Bewältigung streitig geblieben ist. Vielfach kommt es auf die Frage der staatli-chen oder privaten Trägerschaft nicht an, so etwa bei „trägerneutralen“ Netzzugangsverpflichtungen.

9 Das hebt auch Knauff 2004, S. 66 f. hervor, sieht jedoch eine Zurückverwandlung des Staates zum eingreifen-den Staat. Das bleibt in der Allgemeinheit ebenso ideologieverdächtig wie die These, der Gewährleistungsstaat erhalte den Wohlfahrtsstaat in neuer Form.

10 Zur Wissenschaft als Bastelei Lévi-Strauss 1968, S. 29 ff. Zur hier bewusst nicht übernommenen Trennung von Recht und Rechtswissenschaft jüngst wieder Jestaedt 2006.

Gewährleistungsrecht

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Es gibt keinen göttlichen Plan, nach dem Recht in eine Ordnung zu bringen wäre. Der liberale Rationalismus der Vernunft läuft immer wieder auf und der Ausweg über den Hinweis auf den Pluralismus11 kann viel, aber nicht alles erklären.

1. Staat und Recht

Welche Antworten sind darauf möglich? Ist das Herzstück des Gewährleistungsstaates die Zuweisung einer Gewährleistungsverantwortung, dann kann man das Regime des Gewährleistungsrechts als Lückenbüßer dort zur Entfaltung bringen, wo die herkömmli-chen Zuordnungen nicht richtig greifen, also jenseits von Beleihung und Verwaltungshil-fe für die Aufgabenprivatisierung reservieren. Dem entspricht die Beschränkung der Ge-währleistungsverwaltung auf marktexterne Ziele, der ein Regulierungsregime zur Förde-rung eines funktionsfähigen Wettbewerbs zur Seite gestellt ist (Röhl 2006, S. 832 f. und zur Rezeption in England Giddens 2003). Vorzugswürdig erscheint demgegenüber eine übergreifende Betrachtung, wonach Gewährleistung unterschiedliche Formen annehmen kann. Diese beschränken sich nicht auf die Regulierung von Marktkräften, erfassen viel-mehr auch die Kooperation mit privaten Kräften unter neuen Aufsichtsformen ebenso wie Einwirkungsrechte und -pflichten unter der verbleibenden Erfüllungsverantwortung des Staates. Der Wechsel vom Erfüllungsregime zum Gewährleistungsregime ist fließend, etwa wenn im Zuge der „Kapitalprivatisierung“ eines Bundesunternehmens die Einwir-kungsrechte verändert werden, um im Wege der Beleihung nach Maßgabe eines europäi-schen Zertifizierungssystems die Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu ermögli-chen.12 Jedenfalls wird im apostrophierten Wechsel von der staatlichen Selbstentscheidung zum Erfordernis staatlicher Verantwortung für gemeinwohlverträgliche Entscheidungen nicht-staatlicher Akteure (Schuppert 2001, S. 238 f.) die Mehrdimensionalität der Matrix deut-lich, die sich kaum in Beschreibungsangeboten einer zentralen Instanz erschöpfen kann, soll juristischer Gewinn damit verbunden sein. Das Gewährleistungsparadigma be-schränkt sich nicht auf die Trennung von Verantwortungsbereichen mit dem Ziel der Freisetzung privater Handlungsrationalität, sondern strebt darüber eine Verschränkung für ihre Nutzbarmachung zugunsten der öffentlichen Aufgabenerfüllung an. Dies kann sehr weit gehen, etwa im Fall der Beleihung privater Akteure mit hoheitlichen Aufgaben-befugnissen, womit diese „an die Sphäre des Staates“ herangeführt werden.13 Weniger gut in dogmatische Formen übersetzen lassen sich die europarechtlich determinierten

11 Zur pluralistischen Staatsrechtswissenschaft Schulze-Fielitz 2007, S. 30 f., 35 f. Größere Konfliktbereitschaft

in der Politik fordert Mouffe 2007. 12 So der Gesetzesbeschluss zur Neuregelung der Flugsicherung vom 7. Mai 2006, BR-Drs. 274/06. Der Bundes-

präsident sah darin einen Verstoß gegen Art. 87d Abs. 1 GG und verweigerte die Ausfertigung, vgl. BT-Drs. 16/3262. Zum Ausgestaltungsbedarf hoheitlicher Ingerenzrechte Schoch 2006, S. 22 ff., 47 ff.; anders Droege 2006.

13 Plastisch BremStGH, NVwZ 2003, 81 (83), wonach der Beliehene als Verwaltungsbehörde im funktionalen Sinne der Verwaltung im organisatorischen Sinne nicht eingegliedert, jedoch angegliedert ist. Die Renaissance der Rechtsfigur ist beachtlich, zum dogmatischen Anpassungsbedarf Schmidt am Busch 2007.

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Strukturentscheidungen, etwa der benannten Stellen im Produktsicherheitsrecht (Merten 2005, S. 121 ff.; Röhl 2000, S. 23 ff.). Vor allem in den Gestaltungsoptionen regulierter Selbstregulierung (jüngst Thoma 2008) kommt es zu neuen Verschränkungen zwischen öffentlichem und privatem Sektor, die weder mit dem Bild des kooperativen Staates14 noch mit dem Schlagwort des „privaten Staates“15 hinreichend beschrieben sind. Was Bilder vom Staat bezwecken sollen, ist ungeachtet ihrer hohen Suggestionskraft – man denke nur an den Frontispiz des hobbesschen Leviathan – unklar. Begrenzten Ge-winn liefern analytische Entsprechungen, die vom Gewährleistungsstaat auf ein Gewähr-leistungsrecht schließen, untergründig aber den Primat des Politischen in der Sphäre des Rechts zu sichern versuchen. Theoretisch sollte man um Unterscheidungen bemüht sein und normativ die hoheitlichen Stellen zugewiesene Ergebnisverantwortung (Schoch 2008, S. 245) nicht als Erfüllungsverantwortung, sondern als Gewährleistungsverantwor-tung ausweisen. Wo sie besteht, kann nicht ohne Grund zurückgeschaltet werden.16 Weil das so ist, kommt der Staat seiner Gewährleistungsverantwortung vorrangig durch Rechtsetzung nach (Gusy 1998, S. 191; Voßkuhle 2003, S. 327). Die Gewährleistungs-verantwortung ist eine Bereitstellungsverantwortung für die Statuierung von Regeln, für die jedoch der Staat kein Monopol beanspruchen kann.17 Die Rechtserzeugung ist hori-zontal pluralisiert und wird – nicht nur in Randbezirken (Fischer-Lescano/Teubner 2006; zur Entstaatlichung und Pluralisierung der Normproduktion Schuppert 2005, S. 393) – vertikal entstaatlicht, mag hinter transnationalen Erosionsprozessen auch die Staatenwelt hervorluken.18 In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber seiner Rechtsetzungsverantwortung nicht allein durch materielle Programmierung nachkommt. Gewährleistungsrecht akzentuiert das Verfahrensrecht als Richtigkeitsgaranten der Ent-scheidung und rückt das Verwaltungsorganisationsrecht als Governance-Ressource in den Vordergrund (Lobel 2004, S. 342; Schuppert 2006, § 16 Rdn. 20 ff.). Darüber wird die Normproduktion einer strukturellen Steuerung unterworfen, was in legitimatorischer Hinsicht indes nur überzeugen kann, wenn man keinen linearen Nachvollzug aller Details von der politischen Spitze fordert und eine Pluralität legitimationsstiftender Faktoren an-zuerkennen bereit ist (Hoffmann-Riem 2005, S. 105 f.; i. S. einer strukturellen Europäi-sierung Röhl 2006a, S. 1078 f. und Franzius 2008, § 5).

14 Grundlegend Ritter 1979. Im Vergleich zum kooperativen Staat zeichnet sich der Gewährleistungsstaat durch

eine größere Distanz gegenüber den Leistungserbringern aus. 15 Der Spiegel 34/2006, S. 40 ff. mit einer Schilderung der Übertragung einer britischen Kommunalverwaltung

auf ein Tochterunternehmen der Bertelsmann AG im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft; ausf. Immenga/Lübben/Schwintowski 2007.

16 Das ist nicht im Sinne eines Verbots, sondern im Sinne einer Rechtfertigungslast gemeint, die in der verwal-tungswissenschaftlichen Literatur als Auffangverantwortung des Staates bezeichnet wird. Darauf ist noch zu-rückzukommen (unten IV.).

17 Das ist nicht neu, wird im Gewährleistungsstaat aber aus der rechtsstaatlichen Grauzone geholt: Müller 2001, S. 234 f. und entdramatisierend Möllers 2008, S. 217 f.

18 Siehe etwa Ladeur/Viellechner 2008 und zum transnationalen Verwaltungsrecht Fischer-Lescano 2008. Einge-schränkten Nutzen der Governance-Perspektive sieht Möllers 2008a.

Gewährleistungsrecht

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2. Strukturgewährleistungsrecht

Aber vielleicht müssen wir noch weiter gehen und den Primat des Politischen in Frage stellen. Es wäre allerdings ein Missverständnis, dem eine stabile Rationalität des Rechts gegenüberstellen zu wollen. Recht und Politik sind zu unterscheiden ohne voneinander getrennt werden zu können, müssen aber wechselseitig die funktionale Autonomie des jeweils anderen wahren. Es geht um Zonen der Autonomie, worüber Bastelein des Rechts in kein System zu pressen sind. Was unter dem Vernunftideal der Moderne noch möglich war, erscheint heute vergeblich. Politisch gesetztes Recht folgt keiner tieferen Logik, sondern ist zu einem guten Teil eben Flickwerk und erhält seine Legitimation durch die Struktur in der Differenz zur Politik19 und Moral.20 Im Kern mag sich der Gewährleistungsstaat in der Bereitstellung eines Strukturgewähr-leistungsrechts (Franzius 2001, S. 512) realisieren. Aber erst die Umkehrung der Per-spektive führt uns weiter. Strukturgewährleistungsrecht wirft die Frage nach dem Koor-dinationsmodus auf, der anzugeben vermag, wodurch der Gewährleistungsverantwortung des Staates in der Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben nähere Konturen verliehen werden. Folke Schuppert hat diesen Modus in einer begrifflichen Abgrenzung zu Hierarchie und Kooperation als Struktursteuerung ausgemacht (Schuppert 2004, S. 287; ähnlich Schulze-Fielitz 2006, § 12 Rdn. 52). Um den Gefahren des Korporatis-mus vorzubeugen, müsse es um die Koordination der Gemeinwohlbeiträge von staatli-chen und nicht-staatlichen Akteuren unter der Wahrung der jeweiligen Eigenrationalität gehen. Der Staat könne die Erfüllung bestimmter Aufgaben privaten Akteuren überlas-sen, bleibe aber für die Funktionsfähigkeit dieser Art der Problemlösung verantwortlich. Deshalb liege es nahe, die staatliche Gewährleistungsverantwortung als eine private Kräf-te einbeziehende Steuerungsverantwortung des Staates zu begreifen, die auf die Bereit-stellung von bestimmten, insbesondere rechtlichen Strukturen für die Leistungserbrin-gung durch gesellschaftliche Kräfte gerichtet ist. Es geht dann nicht um die detaillierte Vorgabe der Mittel, sondern um den Zuschnitt der Programmierungsformen, die in ihrem Zusammenspiel21 die Ziele der Freiheits- und Sicherheitsgewährleistung verwirklichen. Wirkungen entfaltet Gewährleistungsrecht in Regelungsstrukturen (Franzius 2005, S. 60). Die dogmatische Ausformung bereitet indes nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Das gilt auch dann, wenn man sich von den traditionellen, aber mit Ausnahme der Beleihung schon in grundsätzlichen Fragen umstrittenen Kategorien der verwaltungsrechtlichen Be-teiligungsdogmatik (näher Burgi 1999; Weisel 2003) löst und anerkennt, dass moderne Verwaltung nicht länger in der Dichotomie von Ordnungs- oder Leistungsverwaltung beschrieben werden kann, sondern für eine Reihe von Aufgaben als Gewährleistungs-verwaltung auf die Überdetermination privater Gemeinwohlbeiträge umgestellt wird 19 Zum Erhalt der Leidenschaft in der Politik Mouffe 2007, S. 40 f. Für ein expressives Verständnis von Demo-

kratie auch Möllers 2008c, S. 28 f. 20 Zur Moralisierung des Rechts Volkmann 2008. Kein Widerstand bei Voßkuhle 2006a. 21 Die Überbetonung des materiellen Rechts ist Legion. Aber umgekehrt machen Organisations- und Verfahrens-

recht inhaltliche Vorgaben nicht entbehrlich. Umkämpft ist das Verhältnis zueinander, das sich nicht auf die Frage nach „hartem“ oder „weichem“ Recht beschränken lässt. Hier hat vor allem das Umweltrecht für eine differenzierte Perspektive gesorgt: Kloepfer 2004, § 5.

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(Trute 1999, S. 21 f.; Voßkuhle 2003, S. 307 ff.; abl. Heintzen 2003, S. 364 f.). Es ist kein Zufall, dass hier mit „großen“ Worten gearbeitet wird, geht es doch um nicht weni-ger als die Neuausrichtung der Verwaltungsrechtswissenschaft, vergleichbar mit den Ur-sprüngen der rechtsschutzfixierten Begrenzung und seiner Fortentwicklung der bewir-kungsorientierten Ermöglichung hoheitlicher Aufgabenerfüllung. Die überkommene Dogmatik – so lässt sich auch formulieren – tritt in eine produktive Spannung zur Praxis, die ihrerseits einen Bedarf nach theoretischer Reflektion der Prämissen überkommener Einteilungen erkennen lässt. Weite Teile der Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft (Voßkuhle 2006) sind von dem Bemühen getragen, den Steuerungsauftrag des Rechts unter den Bedingungen des Gewährleistungsstaates zu reformulieren. Dabei wird ein un-scharfes Verhältnis zur Politik in Kauf genommen (Wahl 2006, S. 91 f.) und der Traum juristischer Rechtserzeugung (Jestaedt 2006, S. 57 ff.) weitergeträumt.22 Konkret: Um den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Übernahme von Gewährleis-tungsverantwortung abzustecken, wird man der Beobachtung kaum widersprechen kön-nen, dass die grundgesetzlichen Strukturprinzipien auf das politische Ziel einer neuen Verantwortungsteilung nicht eingestellt sind, sie deshalb aber kaum verbieten. Phänome-ne, die sich dem verfassungsrechtlichen Zugriff entziehen, sind aus diesem Grund aber nicht unproblematisch. Nicht, weil die Verfassung auf jede Rechtsfrage eine Antwort haben muss. Die Antwort kann in der Überweisung an den Gesetzgeber liegen, der sich „sachverständig“ beraten lassen mag (Voßkuhle 2005, § 43 Rdn. 54 ff.). Vielmehr liegt das Problem darin, dass die Rechtspositionen häufig unklar bleiben, nicht immer Maßstä-be für die Pflichtenstellung privater Akteure verfügbar sind und das Öffentliche zwischen Staat und Gesellschaft verschwimmt.23 Erschwert wird die Absteckung eines hinreichend sicheren Rahmens durch das Unions-verfassungsrecht, das vielfach einer anderen Grenzlogik folgt, jedenfalls nicht immer die überkommenen Grenzziehungen des nationalen Rechts übernimmt. Auch sind mit Blick auf das Europarecht aufgabenbezogene Polarisierungen zu hinterfragen. So wenig Da-seinsvorsorge und Wettbewerb sich ausschließen, können Sicherheit und Wettbewerb in einen unversöhnlichen Widerspruch gestellt werden. Widersprüchlich kann es vielmehr sein, eine Vermischung von Aufsicht und Leistung hinzunehmen und dadurch europa-rechtliche Trennungsgebote zu unterlaufen. Diese sind keiner neoliberalen Logik ge-schuldet, sondern zielen auf eine Verbesserung der Qualität von Sicherheitsanforderun-gen in einem transnationalen Verwaltungsraum, der eine Vernetzung der Behörden nicht nur für Wettbewerbsziele, sondern auch für europäische Sicherheitsanliegen erfordert (Schöndorf-Haubold 2007). Insoweit kann die Internalisierung öffentlicher Zwecke in unternehmerische Zielsetzungen die Qualität der Leistungserbringung erhöhen. Der Vor-

22 Demgegenüber hätten bescheidenere Ansätze auf die Entwicklung eines neuen Kollisionsrechts abzustellen,

das die territoriale Logik staatlichen Rechts um die funktionale Differenz von Recht und Politik ergänzt: Fran-zius 2008a.

23 Statt vieler Di Fabio 1997, S. 235 mit dem Topos der Abbürdung von Verantwortung. Pöcker/Michel 2006, S. 449 sehen eine Überschreibung der durch die Grenze der juristischen Person markierten Trennung „öffentli-cher“ und „privater“ Organisiertheit durch eine Binnenökonomisierung der Verwaltung. Der Preis, der mit der prinzipiellen Eröffnung des europarechtlich sanktionierten Kartellvergaberechts zu zahlen ist, wird als sehr hoch eingeschätzt: Pietzcker 2007, S. 1230 f.

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behalt des Gesetzes mag deshalb in seiner formellen Ausrichtung um die Dimension der Qualitätsgewährleistung (im Anschluss an Scherzberg 2004, S. 257; Hoffmann-Riem 2005a, S. 45 ff.; krit. Reimer 2006, § 9 Rdn. 54) für ein abgestuftes und vernetzungsfähi-ges Aufsichtsregime zu ergänzen sein. Allerdings ist der Verzicht auf unmittelbar kon-trollierte Eigengesellschaften folgenreich. Er begründet die prinzipielle Verpflichtung zur Ausschreibung der vertraglichen Festsetzung von Dienstleistungspflichten.24 Will man den Anforderungen des Vergaberechts (Ziekow 2006, S. 585) entgehen, ist zur Erfüllung des grundfreiheitlichen Transparenzgebotes25 nicht Widerstand oder Resignation, sondern Kreativität gefragt.26 Hier besteht ein wichtiger Anknüpfungspunkt von Gewährleistungsrecht. Der Staat rea-giert nicht nur auf den Wettbewerb im Markt, sondern will auch den Wettbewerb um den Markt27 einrichten. Er beschränkt sich nicht auf die Regulierung von Märkten, sondern vergibt Marktchancen unter Knappheitsbedingungen, die ein faires und gerechtes Vertei-lungsverfahren erfordern (Voßkuhle 2002, S. 306 ff.). Das hat Konsequenzen. So ist das Vergaberecht nicht mehr haushaltsrechtliches Innenrecht, das sich auf technische Be-schaffungsvorgänge erstreckt, sondern bildet den rechtlichen Rahmen für die Realisie-rung politischer Steuerungsziele. Insoweit erfasst die gewährleistungsrechtliche Ordnung vor allem die Auswahl des vertraglich mit einer Dienstleistung zu betrauenden Akteurs. Zwar wird man hier ohne Typisierungen nicht auskommen können. Aber die vergabe-rechtlichen Schwellenwerte erweisen sich als grobe Einteilung, die über wirtschaftliche Schicksale entscheiden und den faktischen Ausschluss des Primärrechtsschutzes im Un-terschwellenbereich28 problematisch erscheinen lässt. Ob das auf Dauer hingenommen werden kann, ist unter dem Leitbild des Gewährleistungsstaates als einer europatauglich zu entfaltenden Kategorie zweifelhaft (krit. auch Frenz 2007). Mag dem gehetzten Staat auch prospektive Regelungsmacht im Gestrüpp der Interdepen-denzen29 verloren gehen, so bedeutet das noch keine Anpassung an die neuen Mitglied-staaten, welche die Europäische Union mehr verändern, als den alten und nicht selten

24 Nach der Rechtssprechung – vgl. EuGH Rs. C-458/03 Parking Brixen, Slg. 2005, I-8612 Rdn. 61 befreit die

Gemeinde weder die Dienstleistungskonzession noch die Beauftragung eines Unternehmens, das sich nicht vollständig im öffentlichen Eigentum befindet, von europarechtlichen Ausschreibungszwängen; krit. Franzius 2006b, S. 567 f., S. 570 f. Korrigiert wird diese Rechtsprechung durch die neue ÖPNV-Verordnung. Danach unterfallen Dienstleistungskonzessionen einem vergaberechtlichen Sonderregime, das nach Art. 5 die inhouse-Vergabe auch an gemischt-wirtschaftliche Unternehmen zulässt.

25 EuGH Rs. C-410/04 Comune di Bari, Slg. 2006, I-3303 Rn. 24 ff. 26 Zu kommunalen Gestaltungsspielräumen zwischen staatlicher Eigenerstellung und privater Fremderstellung:

Libbe/Trapp/Tomerius 2004. Schon lange wird ein stärkerer Schutz der Kommunen gegenüber der Europäisie-rung angemahnt und im europäischen Reformvertrag als Ausdruck der nationalen Identität aufgenommen. Dogmatisch mag dies in einem „Vergaberecht light“ für Dienstleistungskonzessionen verarbeitet werden kön-nen, deren Einsatz nicht nur ökonomische Vorteile bringt, sondern auch politischen Zielen dient: Burgi 2005.

27 Die Unterscheidung wird Demsetz 1968, S. 55 ff. zugeschrieben. Am Beispiel der Diskussion über die Privati-sierung der Wasserwirtschaft Masing 2004, S. 156 ff. Hier hat sich die Diskussion inzwischen auf das Konzes-sionsmodell im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften verschoben: Schalast 2005, S. 110.

28 Bestätigt in BVerfGE 116, 135. Der historische Abriss und Duktus der Begründung lassen erkennen, dass die Rechtfertigung der Zweiteilung als grundlegend empfunden wird. Ob das bei den Verwaltungsgerichten eine Kehrtwende einleitet, im Unterschwellenbereich angemessenen Rechtsschutz – grundlegend OVG Koblenz, NZBau 2005, 411 – zu gewähren, blieb zunächst unsicher. Das BVerwG hat die Eröffnung des Verwaltungs-rechtswegs abgelehnt: BVerwG, NVwZ 2007, 820; krit. Burgi 2007, S. 737 jeweils m. w. N.

29 Staaten können immer weniger nach Kaufmann 1994, S. 15 als „Interdependenzunterbrecher“ wirksam werden.

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reformunfähigen Mitgliedstaaten lieb sein kann. Insoweit werden die Konflikte über die Dienstleistungsrichtlinie unter umgekehrten Vorzeichen in den Auseinandersetzungen über eine Rahmenrichtlinie zu öffentlichen Dienstleistungen eine Fortsetzung finden.30 Dadurch wird deutlich, dass wesentliche Entscheidungen über die Ausgestaltung des ge-währleistungsstaatlichen Modells auf Unionsebene zu treffen sind. Wo vertragliches Handeln das Instrument der Wahl ist, wird europäisches Recht durch den öffentlich-rechtlichen Charakter des Rechtsverhältnisses (Voßkuhle 2003, S. 314 mit Fn. 206) nicht gesperrt. Liegt dem Vertrag eine in besonderer Weise demokratisch legitimierte Ent-scheidung zugrunde, ist diese im Rahmen europäischer Rechtsanwendung indes zu res-pektieren.31 Der gegenwärtig juristische Aufmerksamkeit bündelnde Gewährleistungsstaat bleibt eine rhetorische Floskel, werden den öffentlichen Aufgabenträgern nicht auch geeignete In-strumente zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung in die Hand gegeben (Knauff 2004, S. 277 ff.; Britz 2004, S. 161 f.; Schoch 2006, S. 47 ff.). Solche Instrumente mögen von der Frage aus zu entwickeln sein, unter welchen personellen und organisatorischen Be-dingungen vorgreifliche Steuerungsleistungen erwartet werden können. Die Ergänzung des ordnungsrechtlichen Eingriffs- und wohlfahrtstaatlichen Leistungsregimes hat einer Steuerungsnaivität vorzubeugen, die vom Staat der Zukunft mehr erwartet als das Recht der Gegenwart leisten kann. Vor allem betrifft das verbleibende Spannungsverhältnis von Wettbewerbsermöglichung und Gemeinwohlsicherung kein schlichtes Übergangsphänomen, das in der alteuropäi-schen Vorstellung eines Zusammenfindens von Recht und Politik in der juristischen Per-son des Staates aufgelöst werden könnte oder einfach entbetteten Märkten zu überlassen wäre. Die Dichotomie von Staat oder Markt liefert kein taugliches Raster für die Verar-beitung der wechselseitigen Bezugnahmen. So wie der Staat in Märkte eindringt, belagert die Marktlogik den Staat und seine Einrichtungen.32 Die ökonomischen Theorien des Markt- oder Staatsversagens mögen insoweit Erklärungen bieten, sind aber keine über-greifenden Rechtfertigungskategorien für das Maß der im Einzelfall gebotenen Interven-tion. Grundlegend für das hier in den Vordergrund gestellte Strukturgewährleistungsrecht ist die normative Verschränkung der Handlungslogiken.

30 Das ist schon mit der neuen Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße

deutlich geworden, die 2009 in Kraft tritt. Art. 5 Abs. 2 sieht ausdrücklich die Möglichkeit öffentlicher Stellen zu Direktvergaben vor, soweit der interne Betreiber der hoheitlichen Kontrolle wie über eine eigene Dienststel-le verfügt und seine Tätigkeit auf das Territorium des öffentlichen Eigentümers beschränkt bleibt. Dazu Otting/Scheps 2008.

31 Das folgt für öffentliche Dienstleistungen bereits aus Art. 86 Abs. 2 EG, der im Betrauungserfordernis eine rechtsformunabhängige Legitimationsfunktion formuliert, lässt sich aber generell für das Vergaberecht konsta-tieren: Pöcker/Michel 2006, S. 450 ff. mit der Unterscheidung zwischen ökonomischer und demokratischer Ra-tionalität für die Bewältigung von inhouse-Vergaben. Borchardt 2002, O 21 zufolge trete der Staat bei der Ver-gabe gemeinwohlorientierter Dienstleistungen nicht als Erwerber, sondern als „Organisator“ dieser Leistungen auf, welche der Bürger nachfrage.

32 Die Logik des Verwaltens und die Logik des Marktprinzips lassen sich praktisch kaum noch trennen: Schulze-Fielitz 2006, § 12 Rdn. 122.

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III. Öffentliche Dienstleistungen

Was bedeutet das für öffentliche Dienstleistungen, also den Bereich, den wir in Deutsch-land traditionell der Daseinsvorsorge zuweisen? Zunächst spricht vieles dafür, die Frage nach funktionsadäquaten Ergebnissicherungen zum Anforderungsprofil der Gewährleis-tungsverwaltung zu erklären, die nicht mehr im etatistischen Bild der Daseinsvorsorge beschrieben werden sollte. Dass der Markt gesetzlich definierte Gemeinwohlziele her-vorbringen soll, bedeutet in der Regel nicht, dass private Akteure von sich aus die erwar-teten Leistungen erbringen. Entgegen einem verbreiteten Eindruck erkennt deshalb auch das Europarecht hoheitliche Verpflichtungen zur Sicherung öffentlicher Dienstleistungen an, wobei die Kommission die mitgliedstaatliche Verantwortung für die Wahl des Erbringungsmodus hervorhebt.33 Das erlaubt unterschiedliche Wege der Sicherstellung, dass die Leistung in einer bestimmten Quantität und Qualität34 erbracht wird. Und die behördliche Festlegung von Leistungsstandards schließt nicht aus, die privaten Leis-tungserbringer an den Produktdefinitionen zu beteiligen (so Voßkuhle 2003, S. 312; abl. Knauff 2004, S. 272). Hieran schließen zwei Fragenkomplexe an.

1. Organisation und Finanzierung der Leistungserbringung

Schon das telekommunikationsrechtliche Regime der Universaldienste weist mit den Re-geln zur Organisation und Finanzierung der Leistungserbringung auf das zentrale Prob-lem des Gewährleistungsrechts hin. Vielfach besteht das Problem weniger darin, dass es keinen, sondern mehrere Anbieter von Dienstleistungen gibt. Sollen private Akteure mit der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen betraut werden, verbindet sich mit der Frage nach der Auswahl eines hinreichend qualifizierten Leistungserbringers die Frage nach dem finanziellen Ausgleich für Dienstleistungen, deren Marktrentabilität bestritten wird. Weil der Gewährleistungsstaat einen Bedarf nach Regeln für die Auswahl und den Aus-gleich hat, avancieren das Vergabe- und das Beihilfenrecht zu den zentralen Referenzge-bieten des um allgemeine Aussagen bemühten Gewährleistungsrechts. Dabei kann eine funktionale Äquivalenz von öffentlichen Aufträgen und Beihilfen festgestellt werden, wobei das Europarecht eine strukturelle Begünstigung der Auftragsvergabe gegenüber der missbrauchsanfälligen Beihilfenvergabe erkennen lässt (Bultmann 2004, S. 139 ff.). In diesem Minenfeld lässt sich eine maßgebliche Wegscheide in Art. 86 Abs. 2 EG aus-machen. Die Norm enthält eine ungewöhnlich weite Rechtsfolge, indem es den Mitglied-

33 Die Kommission sieht in Dienstleistungen von allgemeinem, nicht notwendig wirtschaftlichem Interesse ein

europäisches Gesellschaftsmodell, wobei es Sache der zuständigen nationalen, regionalen und lokalen Behör-den sei, die Leistungen zu definieren, zu organisieren, zu finanzieren und zu kontrollieren: Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 v. 12. Mai 2004 Rdn. 2.3. In Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene stehe es den öffentlichen Stellen in der Regel frei, darüber zu befinden, ob die Leistung von ihnen selber oder von einem Dritten erbracht werden soll. Als Unternehmen unterliegen die Leistungserbringer jedoch den europäischen Wettbewerbsbestimmungen der Art. 81 ff. EG.

34 EuGH Rs. C-393/92 Almelo, Slg. 1994, I-1477 Rdn. 48 sieht die Charakteristika für Dienstleistungen von all-gemeinem Interesse, die in Deutschland unter den Begriff der Daseinsvorsorge subsumiert werden, in der Uni-versalität, Kontinuität, Qualität und Erschwinglichkeit.

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staaten erlaubt wird, sich zur Realisierung öffentlicher Dienstleistungen auf wirtschaftli-che Gründe für die Befreiung von allen Vertragsvorschriften zu berufen (Pernice/Werni-cke 2003, Art. 86 Rdn. 3 ff.; in wesentlichen Punkten anders Koenig/Kühling 2003, Art. 86 Rdn. 62 ff.). Dafür ist ein hinreichend transparenter Betrauungsakt (Götz 2001; zum Kontext Baquero Cruz 2005, S. 169 ff.) erforderlich, worüber die Mitgliedstaaten in den Stand gesetzt werden, die Wahl des Rechtsregimes zu steuern. So schließt die vertragli-che Betrauung des Leistungserbringers mit einer Dienstleistungskonzession die Anwen-dung des Kartellvergaberechts aus (Art. 17 VKR) und stellt für staatliche Ausgleichszah-lungen eine zentrale Voraussetzung für den Wegfall eines Begünstigung im Sinne des Beihilfenrechts dar.35 Die Betrauung hat freilich nicht nur eine rechtsstaatliche, sondern auch eine demokratische Dimension, was für die Frage nach der Erforderlichkeit der Pri-vilegierung und deren Kontrolle nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. So wird man von den Mitgliedstaaten kaum den objektiven Nachweis verlangen können, dass keine wettbewerbskompatible Erbringung der Dienstleistung möglich ist.36 Ein dieser Auffas-sung zugrundeliegender Vorrang bestimmter Gemeinwohlbelange lässt sich weder der Norm entnehmen noch kann seine Feststellung der Rechtsprechung obliegen, die inso-weit die Einschätzungsprägorative der Mitgliedstaaten und Unionsorgane in der Ausba-lancierung des Mehrebenengemeinwohls (Schuppert 2002, S. 27, 38) zu wahren hat. Da-mit verlagern sich die rechtlichen Strukturierungsbemühungen auf die Sicherstellung von Transparenz- und Verfahrensanforderungen einer in erster Linie politisch zu treffenden Abwägungsentscheidung (Franzius 2006b, S. 556 ff.). Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht weniger um Souveränitätsvorbehalte der Mitgliedstaaten, sondern um die Frage, ob ein grundlegender Umbau des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft (Überblick: Schmidt-Aßmann/Dolde 2005, S. 11) durch den faktischen Druck zu einer am Vergaberecht orientierten Ausschreibungsverwaltung (grundlegend Burgi 2003) politisch verantwortet werden kann. Denn es ist eine Sache, ob der europäische Gesetzgeber die Organisation regulierten Wettbewerbs37 übernimmt, aber eine andere Sache, wenn in der Rechtsprechung des Gerichtshofs die gewollten Un-terschiede zwischen Auftragsvergabe und Dienstleistungskonzession38 unter dem Hin-weis auf die Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskrimierung und Transparenz eingeebnet werden (Nettesheim 2007). Ob das in Art. 97 Abs. 7 GWB normierte Kriteri-um der Entgeltlichkeit des Auftrags ein taugliches Abgrenzungsmerkmal bildet, unter-

35 EuGH Rs. 280/00 Altmark Trans, Slg. 2003, I-7747 Rdn. 89. Zur Verlagerung der Wertungen Colneric 2005,

S. 429 ff. und für diesen prozeduralen Ansatz Joerges 2007, S. 739 f. 36 So aber Koenig/Kühling 2002, S. 677 f., 683 mit Kritik an der Rechtsprechung, die sich erkennbar um eine

Ausgleichslösung bemüht; EuGH verb. Rs. C-83/01 P, C-93/01 P und C-94/01 P Chronopost, Slg. 2003, I-6993 Rdn. 36. Zur Verteilung der Beweislastanforderungen Schneider 2000, S. 1253 f.

37 So das Leitbild der Kommission für die Reform des Verkehrssektors, vgl. Verordnungsvorschlag über öffentli-che Personenverkehrsdienste auf Straße und Schiene vom 20. Juli 2005, KOM (2005) 319 mit den Erwägungs-gründen 4 und 14. Darauf bezieht Knauff 2004, S. 84 ff., 277 ff. das Modell des Gewährleistungsstaates mit den Elementen der Vertragsvergabe und der Regulierung.

38 Zumeist wird darauf abgestellt, dass hier, anders als beim Dienstleistungsauftrag, das Nutzungs- und Refinan-zierungsrisiko in die horizontale Rechtsbeziehung zum Leistungsempfänger verschoben wird; näher zum Diffe-renzierungsbedarf Burgi 2005 und Ruhland 2006.

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liegt Zweifeln39 und die primärrechtliche Aufladung der inhouse-Vergaben40 stellt die demokratische Entscheidung für den Einsatz gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen un-ter europäische Effizienzmaßstäbe. Was folgt daraus für das Gewährleistungsrecht? Der Staat nutzt die Auftragsvergabe nicht nur zur Beschaffung, sondern kommt darüber – vor allem im Bereich komplexer Infrastrukturprojekte – verfassungsrechtlichen Bindungen nach. Statt in eine Opposition zum kalten Wind des Europarechts (Masing 2004a, S. 399) zu treten, empfiehlt es sich, wettbewerbskonforme Gestaltungsmöglichkeiten des öffentlichen Auftragsgebers41 in einem Gewährleistungsvergaberecht zu verarbeiten (Steinberg 2005, S. 171 ff.; von ei-nem „Vergabegewährleistungsrecht“ spricht Wollenschläger 2006, S. 110). Das setzt ein geschärftes Verständnis dafür voraus, dass den Mitgliedstaaten nicht nur die Entschei-dung über den Einsatz eines Dritten für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen, sondern auch die Definition des Auftragsgegenstandes verbleibt. Hier scheint jedenfalls noch Potential zu bestehen, die Leistungsbeschreibung als neues Forum politischer Ges-taltungskraft (Burgi 2003, S. 955) zu nutzen. Dies hängt weniger von einem abstrakten – in seiner Allgemeinheit kaum überzeugenden – Verbot der Berücksichtigung vergabe-fremder Kriterien42 als davon ab, wie das Verfahren unter den Steuerungszielen des Auf-traggebers ausgestaltet wird. Für die Konturierung des Gewährleistungsrechts sind drei Aspekte von Bedeutung: Erstens spricht vieles dafür, dass die Auswahl des privaten Partners in Zukunft durch den neuen Verfahrenstyp des wettbewerblichen Dialogs bestimmt wird. Dieses in der Praxis mit einer gewissen Skepsis betrachtete, durch Art. 29 VKR eingeführte und in § 101 Abs. 5 GWB umgesetzte Verfahren sucht der Komplexität der Vergabe vor allem für Kooperationsmodelle gerecht zu werden. Der Auftraggeber tritt in einen Dialog mit den für geeignet befundenen Unternehmen, um gemeinsam entwickelte Lösungsmöglichkei-ten zur Bestimmung des Auftragsgegenstandes (Pünder/Franzius 2006, S. 24) zu nutzen. Darüber wird der typischerweise in Partnerschaftsprojekten angelegte Rationalitätskon-flikt zu lösen versucht, der auf der einen Seite durch einen erhöhten Formalisierungsbe-darf zur Zurückdrängung sachwidriger Einflussnahmen und auf der anderen Seite durch

39 Die Kommission verlangt für den Entgeltcharakter des in Rede stehenden Vertrags nicht unbedingt die direkte

Zahlung eines Preises durch den öffentlichen Partner, sondern sieht das Entgelt auch in wirtschaftlichen Gegen-leistungen zugunsten des privaten Partners: Grünbuch zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemein-schaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen vom 30. April 2004, KOM (2004) 327 Rdn. 10.

40 Die Rechtsprechung zusammenfassend Söbbecke 2006. Für eine gesetzliche Regelung des inhouse-Begriffs hat sich der Wissenschaftliche Beirat der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (2007, S. 207) ausgesprochen; s. jetzt auch den Referentenentwurf zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 20. Februar 2008.

41 Zu den Schwierigkeiten seiner Bestimmung Crass 2004. Das hat mit dem „Formalismus der juristischen Per-son“ zu tun, der auftretende Rationalitätskonflikte nicht angemessen verarbeiten kann. Pöcker/Michel 2006 su-chen den Anwendungsbereich des Vergaberechts daher mit guten Gründen über die demokratische Entschei-dung einer ökonomischen Leistungsaustauschbeziehung zu bestimmen. Demgegenüber auf die Grundrechts-bindung abstellend: Battis/Kersten 2005.

42 Zur Berücksichtigung sozial- und umweltpolitischer Ziele bei der Auswahlentscheidung EuGH Rs. 31/87 Beentjes, Slg. 1988, I-4635 Rdn. 30; Rs. 255/98 Nord-Pas-de-Calais, Slg. 2000, I-7445 Rdn. 52 stellt klar, dass es sich dabei auch um Zuschlagskriterien handeln kann, bestätigt in Rs. 513/99 Concordia, Slg. 2002, I-7213 Rdn. 55 und Rs. 448/01 Wienstrom, Slg. 2003, I-14527 Rdn. 32; aus der Literatur statt vieler Meyer 2002.

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die Bereitstellung von Spielräumen für kreative und innovative Lösungen gekennzeichnet ist.43 So wird die unter dem prognostischen Nutzenkalkül des Auftraggebers wertende, aber intersubjektiv nachvollziehbare Angebotsbeurteilung zu einer zentralen Herausfor-derung der Vergabestelle, deren organisatorischer und personeller Zuschnitt der Optimie-rung44 bedarf, um der Governance-Struktur auch unter Rechtsschutzaspekten gerecht zu werden.45 Zweitens ist nicht zu übersehen, dass eine Verschärfung der Ausschreibungspflichten den Druck zur staatlichen Eigenerbringung öffentlicher Dienstleistungen erhöht. Denn die Vorteile, die sich der Aufgabenträger durch private Beteiligungen an öffentlichen Unter-nehmen verspricht, sind nicht umsonst zu haben. Zwar wird in der Regel eine verfahrens-rechtliche Formalisierung der Anforderungen die Aufgabenerfüllung als solche nicht ge-fährden. Aber das Vergaberecht könnte den Staat zwingen, zu den klassischen Steue-rungsformen hoheitlichen Verwaltungshandelns zurückzukehren, um den Anwendungs-bereich des Vergaberechts auszuschließen. Richtigerweise wird man es dem Besteller der Leistung schon aus europarechtlichen Gründen nicht verwehren können, sich zur Ver-meidung des offenen Vergabeverfahrens auf die Besonderheiten der Aufgabenerfüllung zu berufen, wozu der Einsatz öffentlicher Unternehmen gehören kann.46 Das schließt schärfere Transparenzanforderungen an die Betrauung nicht aus.47 Wohl aber sind die staatlichen Überwachungskosten der privaten Leistungserbringung in Rechnung zu stel-len, was die pauschale Annahme von Effizienzgewinnen durch Ausschreibungswettbe-werb verbietet. Denn eine Forcierung des Ausschreibungsmodells droht nicht nur den Ausschluss potentiellen Wettbewerbs im Markt zu zementieren, sondern umgekehrt auch einen Markt für Güter zu simulieren, die gegebenenfalls effizienter von öffentlichen Un-ternehmen mit ausschließlichen Rechten bereitzustellen sind. Kommt das spezielle oder allgemeine Vergaberecht nicht zur Anwendung, ist das kein Freibrief für das gewerbe-rechtliche Modell des bekannten und bewährten Unternehmens. Vielmehr verschiebt sich die Last rechtlicher Rationalisierungsleistung auf die typengerechte Ausdifferenzierung des Gewährleistungsvertrags. Drittens bleibt das Verhältnis zum Beihilfenrecht problematisch (Biondi/Eeckhout/Flynn 2004; Winter 2004). Geht es nicht mehr darum, privatisierungsfeste Bestände der Da-seinsvorsorge dem Wettbewerb zu entziehen, sondern die Dienstleistung mit Gemein-wohlpflichten zu verknüpfen, so trifft den Gewährleistungsstaat eine besondere Finanzie- 43 Deshalb für einen Vorrang gegenüber dem Verhandlungsverfahren Schenke/Klimpel 2006, S. 1495; zu öffent-

lich-privaten Partnerschaften als einer intermediären Innovationsebene Ziekow 2006, S. 631 ff. 44 Für eine personelle „Aufrüstung“ der Vergabestellen auch Knauff 2004, S. 90; allg. zum Steuerungsfaktor des

Personals Voßkuhle 2008, § 43 und Schuppert 2000, S. 625 ff. 45 Dabei mag die Unterscheidung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht überbetont sein. Doch mit der

Rechtswegzuweisung wird die Streitentscheidung einer Instanz mit einer gewachsenen Rechtskultur zugeord-net, die sehr wohl Unterschiede zwischen der Verwaltungsgerichten und Zivilgerichten erkennen lässt. Der Gewährleistungsstaat wird sich im Bereich der Auftragsvergabe kaum einer Auffangzuständigkeit der Verwal-tungsgerichtsbarkeit verschließen können, was die bisherige Rechtssprechung der Verwaltungsgerichte nament-lich im Unterschwellenbereich stützte.

46 Schneider 2000, S. 1250 unter Hinweis auf Art. 86 Abs. 1 EG und Linder 2004, S. 251 f. in einer extensiven Interpretation von Art. 86 Abs. 2 EG.

47 Das ist auch das Ergebnis von Storr 2001, S. 537 ff.; mit Blick auf die Transparenzstrategie der Kommission für die Direktvergabe von Verkehrsdiensten Baumeister/Klinger 2005, S. 608 f.

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rungsverantwortung.48 Weil öffentliche Dienstleistungen nicht immer zu kostendecken-den Preisen anzubieten sind, wird die hoheitliche Verpflichtung des privaten Anbieters mit einer Kostenübernahme verbunden und ein finanzieller Ausgleich aus dem Staats-haushalt gewährt.49 Der Steuerstaat aber findet seine Grenze im europäischen Beihilfen-recht. Zwar ist anerkannt, dass ein offenes Ausschreibungsverfahren begünstigungsaus-schließende Wirkungen entfaltet50 und das Vorliegen einer Beihilfe nach Art. 87 Abs. 1 EG entfallen lässt. Unsicher ist jedoch, ob es eine beihilferechtliche Pflicht zur Aus-schreibung gibt, was eine Konvergenz der Maßstäbe nahelegen würde. Das ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht der Fall. Soweit lediglich die Nettomehrkosten ausgeglichen werden, die einem durchschnittlich gut geführten Unternehmen entspre-chen, liegt bereits tatbestandlich keine Beihilfe vor.51 Aus dem bloßen Umstand, dass aus staatlichen Mitteln ein Ausgleich für die Erbringung gemeinwohlorientierter Dienstleis-tungen gewährt wird, lässt sich das Vorliegen einer Beihilfe nicht länger vermuten. Öf-fentlichen Stellen bleibt die Wahl, ob sie durch eine transparente Ausgestaltung des Ver-gabeverfahrens die Qualifizierung als Beihilfe ausschließen oder die Ausgleichszahlung notifizieren lassen.52 Der Kommission steht keine exklusive Kontrollkompetenz zu (Rodi 2004, S. 494 f.) und der Kostenmaßstab variiert. So bleibt es den Mitgliedstaaten überlas-sen, auf die Etablierung effizienter Kostenstrukturen hinzuwirken.53 Demgegenüber ist öffentlichen Stellen der beihilferechtliche Ausgleich der tatsächlichen Kosten versperrt,

48 Für eine eigenständige Kategorie Knauff 2004, S. 76. Zum umstrittenen Verhältnis von europäischem Beihilfe-

recht und mitgliedstaatlicher Gewährleistung öffentlicher Dienstleistungen Jennert 2005. 49 Nettesheim 2002, S. 253 erkennt darin ein neues Modell der Daseinsvorsorge; zurückhaltender Kämmerer

2004, S. 28. 50 Allerdings ist nicht abschließend geklärt, welche Anforderungen an das Vergabeverfahren zu stellen sind, um

diese Neutralisierungswirkung zu erzielen. Im Schrifttum wird darauf hingewiesen, dass es nicht um die Er-mittlung des Marktpreises gehe, sondern auf die Durchführung eines Verfahrens ankommt, das eine reale Wettbewerbssituation schaffe: Britz 2005, S. 399.

51 EuGH Rs. 280/00 Altmark Trans, Slg. 2003, I-7747 Rdn. 93; zust. Franzius 2006b, S. 571 ff.; krit. Britz 2005, S. 389 ff.; zu den Schwierigkeiten der Kostenanalyse Boysen/Neukirchen 2007, S. 158 ff. BVerwG, DVBl. 2007, S. 307 zufolge soll die Rechtmäßigkeit etwaiger Zuschüsse nicht im Genehmigungsverfahren eigenwirt-schaftlicher Verkehre nach § 13 PBefG zu prüfen sein.

52 So auch Bultmann 2004, S. 32 mit Fn. 53 und Dörr 2005, S. 621 ff. In der Prozeduralisierung der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen wird zu Recht eine Europäisierung der nationalen Aufsichtsstrukturen gesehen: Gromnicka 2005, S. 460 f.; zur Transformation nationaler Governance-Strukturen durch das europäische Wett-bewerbsrecht Schepel 2002, S. 31.

53 Eine Erfolgskontrolle des Beihilfeneinsatzes sieht auch das Konsultationpapier der Kommission vom 7. Juni 2005 für den „Aktionsplan Staatliche Beihilfen – Weniger und besser ausgerichtete staatliche Beihilfen – Roadmap zur Reform des Beihilfenrechts 2005 bis 2009“ vor, vgl. KOM (2005) 107. Ähnlich wie der für die Anwendung des Kartellrechts favorisierte more economic approach stoßen Bemühungen um eine verbesserte Effizienz der Aufgabenerfüllung auf Kritik, vgl. Stellungnahme des Bundesrates v. 23. September 2005, BR-Drs. 509/05 Nr. 2. Soweit ein Unternehmen aber unter einer staatlichen Ausgleichsgarantie unwirtschaftlicher Kosten im Wettbewerb agiert, wirkt sich das prinzipiell marktverzerrend aus. Diesen Wirkungen zu begegnen, wird der Union kaum mit dem Hinweis darauf abzusprechen sein, dass es nicht zu den Kompetenzen der Union gehöre, gegen innerstaatliche Ineffizienz vorzugehen.

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soweit diese von der Anmeldung bei der Kommission nicht freigestellt54 oder zur Aufga-benerfüllung im Einzelfall gerechtfertigt sind.55

2. Wissen und Kontrolle im Gewährleistungsrecht

Gesetzgeber und Verwaltung gehen davon aus, dass es auf eine bestimmte Qualität von Produkten und Dienstleistungen im Wirtschaftsverkehr ankommt. Stellt der Staat die Lei-stungen bereit, erzeugt er damit auch eine Verbundenheit (Bullinger 2003, S. 597) zu dem Gemeinwesen, das im Verfassungsstaat hervorgebracht wurde. Doch die normativen Zu-mutungen gehen inzwischen weiter und die Zugehörigkeitsverhältnisse sind komplexer geworden. Vielleicht basiert der Erfolg des modernen Staates ja gerade darauf, dass er im Alltag immer weniger unmittelbar wahrgenommen werden muss. Das gilt auch für die Qualitätssicherung von Leistungen, die von privaten Akteuren nicht nur angeboten, son-dern auch kontrolliert werden, dabei aber in ein staatlich verantwortetes Gewähr-leistungs- und Überwachungsregime gestellt sind.

a) Beispiel: Produktsicherheitsrecht

Wegweisend ist das Produktsicherheitsrecht für die Einhaltung von Qualitätsstandards. Diese Kontrolle wird von privaten Zertifizierungsstellen übernommen, die ihrerseits einer staatlichen Akkreditierung bedürfen. Zertifizierung ist ein Konformitätsbewertungsver-fahren, das über nationales Recht auf europäisches Sekundärrecht verweist. Dieses legt nur abstrakt die grundlegenden Sicherheitsanforderungen fest und überlässt die Konkreti-sierung harmonisierten Normen, die im Auftrag der Kommission von europäischen Nor-mungsorganisationen erarbeitet werden. Entspricht ein Produkt der technischen Norm, so wird die Erfüllung der Sicherheitsanforderungen vermutet (§ 4 Abs. 1 S. 2 GPSG). Die Aufsicht konzentriert sich auf eine Kontrolle der Kontrolle, indem die privaten Kontrol-leure einer behördlichen Zulassung bedürfen, um als benannte Stellen die Produktkon-formität nach bestimmten Verfahrensformen festzustellen. Angesichts der enormen Be-deutung für die Praxis überrascht die Regelungsarmut der Gesetze. Es fehlt an Regelun-gen für den vom Hersteller mit einer europäischen Prüfstelle abzuschließenden56 Vertrag über die konkrete Prüftätigkeit, aber auch eine gesetzliche Anordnung des Kontrahie-

54 Freistellungsentscheidung nach Art. 86 Abs. 3 EG für nicht notifizierte Beihilfen durch die Entscheidung

2005/842/EG über die Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EG auf staatliche Beihilfen, die bestimmten Unterneh-men als Ausgleich für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ge-währt werden, ABl. L 312 vom 29. November 2005, S. 67.

55 Gemeinschaftsrahmen für notifizierte, aber von der Kommission nach Art. 86 Abs. 2 EG für mit dem Gemein-samen Markt für vereinbar zu erklärende Beihilfen, ABl. C 297 vom 29. November 2005, S. 4. Die Maßstabs-differenz – krit. Bauer 2006, S. 10 f. – ist dem sekundärrechtlichen Ausgestaltungspotential der Norm geschul-det, aber nicht mit Bindungslosigkeit gleichzusetzen (Baquero Cruz 2005, S. 208 ff.).

56 Es bestehen keine territorialen Zuständigkeitsgrenzen. Der Hersteller kann jede Prüfstelle wählen, die von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union benannt ist: § 2 Abs. 15 Nr. 2 GPSG. Auch hier besteht grund-rechtlich eine Dreieckskonstellation, die nicht einseitig zugunsten der Freiheitschancen des Kontrolleurs aufge-löst werden kann, sondern in eine Balance zu den Interessen des Herstellers gebracht werden muss.

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rungszwangs, um Vermarktungsmöglichkeiten eines Produkts nicht allein zivilrechtli-chen Bindungen der Zertifizierungsstelle zu unterlegen (zurückhaltender Pünder 2006, S. 572 f.). Versteht man die benannten Stellen als europäisches Vollzugsorgan gesetzlicher Anfor-derungen, so rücken die Akkreditierungsvoraussetzungen und behördlichen Überwa-chungsbefugnisse (§ 8 Abs. 4 GPSG) in den Vordergrund. Öffentliches Recht und Pri-vatrecht treten in ein Verzahnungsverhältnis, worüber mit der Etablierung transparenter und mehrstufig kontrollierter Qualitätssicherungsverfahren eine Vertrauensinfrastruktur aufzubauen ist.57 Normativ wird hier mehr als das „Vertrauen in die eigene Rechtsord-nung“ (BVerfGE 113, 273 Europäischer Haftbefehl) erwartet. Letztlich muss der Ver-braucher vertrauen können, dass dem Recht die Verarbeitung seiner Entterritorialisierung gelingt. Daher zielen europäische Verwaltungsstrukturen auf vertikale und horizontale Vernetzungen, um behördliche Entscheidungen aus fremden Rechtsordnungen einer stär-keren Belastbarkeit in der eigenen Rechtsordnung auszusetzen.58 Das erschwert die dog-matische Einordnung privater Fremdkontrolle. Zwar schließt ein europaweiter Qualitäts-wettbewerb private Kontrollinstanzen als Beliehene nicht prinzipiell aus. Lehnt man dies für die benannten Stellen (Schmidt-Preuß 1997, S. 167 f.; anders Scheel 1999, S. 442; unsicher Burgi 2001, S. 586) aber ab, so ist damit nicht gesagt, dass es sich materiell um eine privatrechtlich zu beurteilende Tätigkeit handeln müsse.59 Allein die Vermutung, dadurch europarechtlich induzierte Grenzüberschreitungen leichter verarbeiten zu kön-nen, rechtfertigt nicht die Freistellung der Prüfstellen von öffentlichen Bindungen für Verteilungsentscheidungen.60 Obgleich die Terminologie uneinheitlich ist, wird in der geteilten Kontrolle (Eifert 2006a, S. 309) eine Grundstruktur deutlich, um die Beachtung spezifischer Qualitätsstandards durch private Akteure zu gewährleisten. Die Zertifizierung betrifft die Qualität eines Pro-dukts oder einer Dienstleistung, die Akkreditierung die Qualität der Prüfstelle. An die Stelle hoheitlicher Dezision tritt ein kontinuierlicher Lernprozess von Aufsichtsbehörden, Zertifizierungsstellen und betroffenen Unternehmen, wobei die Sogwirkung des europäi-schen Rechts beachtlich ist (Pünder 2006, S. 596 f.). Was der neue Ansatz mit der Ver-fahrensprivatisierung im Produktsicherheitsrecht bewirkte, hat beispielsweise längst das Umweltrecht erreicht, etwa mit der Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb durch eine behördlich anerkannte Entsorgergemeinschaft (§ 52 KrW-/AbfG). Das Modell von Zerti-fizierung und Akkreditierung ist auch im europäischen Hochschulraum bedeutsam – etwa

57 Zum Recht als Infrastruktur Bachmann 2006; aufgegriffen bei Schuppert 2006, § 16 Rdn. 13 ff.; bezogen auf

die staatliche Bereitstellung eines hohen Informationsniveaus Eifert 2006, § 19 Rdn. 151 f. 58 Darin wird ein Kernelement der Verwaltungslegitimation des Verbundes gesehen: grundlegend Röhl 2000,

S. 44 ff.; David 2005, S. 252, 263 f.; Schneider 2005, S. 147. Demgegenüber stärker auf den Staat abstellend Voßkuhle 2002, S. 328 f.

59 Die Diskussion bleibt im traditionellen Konzept des Nationalstaates. Übersehen wird leicht, dass die benannten Stellen in ein europäisches Verwaltungskonzept eingebunden werden und deshalb nicht in der Dichotomie von Öffentlichem Recht und Privatrecht zu verarbeiten sind: Röhl 2000, S. 26 ff.; Voßkuhle 2002, S. 313. Dagegen für eine konsequent privatrechtliche Lösung: Pünder 2006, S. 581 mit der Einordnung der Prüfstelle als Erfül-lungsgehilfen des Herstellers.

60 Zum Differenzierungsbedarf bei der Einrichtung privater Fremdkontrolle: Eifert 2006, § 19 Rdn. 80 ff. und ders. 2006a, S. 330 mit dem Hinweis auf erhöhten Überwachungsbedarf.

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mit der Qualitätssicherung von Studiengängen durch staatlich akkreditierte Agenturen (Lege 2005; zur Qualitätssicherung im Bereich von Wissenschaft und Technik allgemein Trute 2006, § 88 Rdn. 36 ff.) – und erfasst nicht nur die Steuerung neuer Risiken wie den elektronischen Rechtsverkehr, sondern inzwischen auch sensible Bereiche wie die Flug-sicherheit (Droege 2006). Das erlaubt Sicherungsmechanismen unter einer intensiven oder weniger intensiven Aufsicht zu entwickeln, deren Ausübung auf eigenverantwortli-che Selbstkontrollen in den Unternehmen abgestimmt werden kann.

b) Wissensprobleme und institutionelles Lernen

Ist der Gewährleistungsstaat für Ergebnissicherungen verantwortlich, so erweist sich der gewährleistungsrechtliche Umgang mit den Wissensproblemen des modernen Staates als zentral. Kontrolle setzt Wissen voraus. In dem Maße aber, wie der Staat mit der Beteili-gung privater Akteure an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben gezwungen wird, auf pri-vate Wissensbestände zurückzugreifen, drohen Konzeptionen zu scheitern, die alle Auf-sichtsformen normativ an einen umfassenden Wissensbestand des Staates knüpfen, um eine effektive Steuerung konstruieren zu können. Sehr schön hat Beate Weber vom Ver-lust an Bereitstellungswissen gesprochen (Weber 2006). Es ist unsicher, ob sich moderne Staatlichkeit unter dem Wissensparadigma rekonstruie-ren lässt.61 Zwar wird in der Schaffung einer wissensbasierten Infrastruktur eine neue Staatsaufgabe gesehen (Willke 2002, S. 174 ff.) Auch kann darin eine Innovationsfunkti-on für die Verkopplung von öffentlicher und privater Handlungskompetenz62 erkannt werden, was vom Staat – wenn man so will – ein lebenslanges Lernen abverlangt. Ver-standen als reflexiv organisierte Veränderung von Wissensbeständen in der Zeit (Willke 1997, S. 152) muss das Lernen aber stärker auf das Recht bezogen werden, was etwa durch Monitoring, Evaluation oder Berichtspflichten geschehen kann.63 Das Plädoyer für ein Lernen im Recht (näher Franzius 2006, § 4 Rdn. 97 ff.) folgt der Einsicht in die Vor-läufigkeit und Begrenztheit jeden Wissens. Recht ist einer verbreiteten Auffassung zufol-ge auf Kommunikation umzustellen und hat die Organisation des Wissenserwerbs zu ge-stalten. Jenseits der konsentierten Forderung nach der Schaffung lernfähiger Strukturen64 bleibt zu fragen, wie das auf Stabilität angelegte Verwaltungsrecht diese Lernfähigkeit erlangen kann. Einiges spricht dafür, insoweit von einem Systemlernen auszugehen. Da-

61 Im Anschluss an Collin/Horstmann 2004 etwa Voßkuhle 2008a. 62 Scherzberg 2004, S. 232 ff. Das kommt in jüngerer Zeit vermehrt in der Statuierung von Beobachtungspflich-

ten zum Ausdruck, etwa BVerfGE 107, 150 (179 f.); krit. Huster 2003, S. 17 ff. 63 Auf ein Lernen ist auch die offene Methode der Koordinierung angelegt, wie sie in Art. 128 f. EG für die euro-

päische Beschäftigungspolitik als Modell zur Verfügung steht, im Zuge des Lissabon-Prozesses für die Ver-wirklichung der Unionsziele aber erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Der neue Vertrag von Lissabon sieht von einer allgemeinen Kodifizierung ab, erlaubt jedoch in einer Reihe von Politikfeldern Leistungsvergleiche und gegenseitige Prüfungen, mit Hilfe derer ein wechselseitiges Lernen aus den Erfahrungen der Mitgliedstaa-ten ermöglicht werden soll; krit. Joerges 2008; offener Sabel/Zeitlin 2008.

64 Nachdrücklich Ladeur 1998, S. 40 ff.; Calliess 1999, S. 121 f. Als „Grundbaustein einer Dogmatik des Ge-währleistungsverwaltungsrechts“ ausgewiesen bei Voßkuhle 2003, S. 307 f.

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runter kann die methodisch disziplinierte Rückkoppelung neuen Wissens in die Rechts-ordnung verstanden werden, um die Rationalität von Entscheidungen zu erhöhen.65 Häufig können die instrumentellen Wirkungen noch nicht abgesehen werden und es bleibt unklar, wer das erforderliche Wissen zu generieren hat. Auszugehen ist nicht bloß von einer Temporalisierung der Rechtskontrolle, sondern von der theoretischen Unmög-lichkeit vollständigen Wissens. Recht ist darauf einzustellen, dass Entscheidungen regel-mäßig auf unsicherer Wissensgrundlage getroffen werden müssen.66 Umgekehrt sind die Grenzen für eine Abwälzung des Wissensproblems – etwa als Informationsbeibringungs-pflicht – auf private Akteure zu beachten. Daraus folgt die Aufgabe, die Verwaltung in den Stand zu versetzen, nicht mehr nur das eigene Wissen zu rezipieren und zu aktuali-sieren, sondern ein behördliches Wissensmanagement zur produktiven Kopplung der Wissensbestände (Eifert 2001, S. 146 f. und als „wohl größte Herausforderung“ hervor-gehoben von Voßkuhle 2003, S. 308) einzurichten. Nimmt man das ernst, dann kann Lernen nur als wechselseitiger Vorgang (Benz 1994, S. 130 f., 137, 145) und damit als interaktiver Prozess verstanden werden. Lernen setzt auf ein Zusammenspiel der Akteure, das es vor diesem Hintergrund zu strukturieren gilt.

c) Jenseits von Staats- und Wirtschaftsaufsicht: Gewährleistungsaufsicht

Nimmt man den Wissenstransfer in den gesellschaftlichen Bereich ernst, so findet man darin eine Erklärung für neue Aufsichtsformen, die eine effektive Kontrolle gewährleis-tungsrechtlicher Überformungen ermöglichen sollen.67 Als Obergriff dient hier der – eine Distanz zur Zweiteilung der Kontrolle herstellende (Kahl 2008) – Begriff der Gewähr-leistungsaufsicht, auf deren gesetzgeberischer Ausformung manche Hoffnung ruht (Schuppert 1999, S. 312 ff.; für eine Ergänzung der dualen Aufsichtsdogmatik auch Voß-kuhle 2003, S. 321 f.). Zwar mag eine Tendenz der Verlagerung von der verwaltungsin-ternen Staatsaufsicht zur verwaltungsexternen Regulierungsaufsicht als „Übergangsauf-sicht“ zugunsten der Wirtschaftsüberwachung (skeptisch Schmidt-Aßmann 2001, S. 29) ausgemacht werden können. Und es mehren sich die Stimmen, welche die Figur der Fachaufsicht (Groß 2002) hinterfragen, zumal gerade im Regulierungssektor der politi-sche Zugriff des Ministers die fachliche Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde nicht unterlaufen soll. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass sich staatliche Kontrolle auf die Wirtschaftsaufsicht im klassischen Sinne beschränken kann. Es bleibt offen, ob ein all-gemeines Überwachungsregime in der Entsprechung grundrechtlicher Freiheitswahrneh-mung68 für die Kontrolle arbeitsteiliger Gemeinwohlverwirklichung adäquat ist (in dieser Richtung aber Huber 2008, § 45).

65 Sehr weit Fehling 2004, S. 470: „Im Gegensatz zur rein intuitiven Abwägung und Verhältnismäßigkeitsprüfung

ist die Kosten-Nutzen-Analyse ein lernfähiges methodisches System.“ 66 Am Beispiel der TK-Regulierung Ladeur 2000, S. 57 ff. Dabei geht es um mehr als ein Risikomanagement,

richtig I. Spiecker gen. Döhmann 2004, S. 76 f., 83 ff. und allg. Somek 2006. 67 Darauf hat bereits Gallwas 1971, S. 211 und erneuernd ders. 2003, S. 336 f. hingewiesen. Zur Vielschichtigkeit

des Kontrollbegriffs Kahl 2008, § 47. 68 Gröschner 1992, S. 52: „Aufsicht ist Selbstverwaltungskorrelat, Überwachung Freiheitskorrelat“.

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Dies hängt vom Sachbereich ab. Schon die Regulierungsaufsicht kann die „Einwirkungs-aufsicht“ (Kahl 2000, S. 386 ff.) nicht immer zur Gänze verdrängen. Das gilt jedenfalls dort, wo eine vollständige Aufgabenprivatisierung nicht stattgefunden hat und Gewähr-leistungspflichten öffentliche Eigentümerbefugnisse konkretisieren. Der Kontrollbegriff franst aus und wird typologisch aufgefächert, wobei der Differenzierungsbedarf kaum auf die Ordnungsmaxime der Trennung von Staat und Gesellschaft zurückbezogen werden kann. Hervorzuheben sind etwa der Ausbau der Eigenüberwachung und die Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure in die Fremdüberwachung einerseits, die organisatorische Ver-selbständigung der Aufsicht führenden Verwaltungseinheiten durch Regulierungsbehör-den wie die Bundesnetzagentur andererseits. Ergänzend und diese Aufsichtsstrukturen gewissermaßen verklammernd treten Kommunikationspflichten hinzu.

d) Konfliktbewältigung durch Gewährleistungsrecht

Knapp sei auf die Konfliktbewältigung durch Gewährleistungsrecht (Hoffmann-Riem 2006) eingegangen.. Zunächst gilt es zu betonen, dass der Wandel des modernen Staates das vertragliche Handeln der Verwaltung stärkt. Die Vertragsgestaltung unter der Siche-rung behördlicher Einfluss- und Kontrollrechte dürfte ein wesentliches Kriterium guter Verwaltung sein, wenn es darüber gelingt, der Behörde den Erhalt einer Wissensbasis zu ermöglichen, die sie zur effektiven Wahrnehmung der Gewährleistungsverantwortung benötigt. Insoweit ist Dritten eine Verfahrensposition zuzusprechen, die es ihnen erlaubt, frühzeitig Einwände gegen die Wirksamkeit einer Vertragslösung zu formulieren. Aller-dings dürfte dem Schutz der Rechte durch ein Interessenmanagement der Behörde – ge-gebenenfalls unter Einschluss eines privaten Konfliktmittlers – angemessener als durch das rigide Zustimmungserfordernis des § 58 Abs. 1 VwVfG begegnet werden können. Auf dieser Linie würde es liegen, die Einwände von Drittbetroffenen speziellen Präklusi-onsregeln zu unterwerfen (Voßkuhle 2003, S. 318 f.).

Allerdings bleibt eine Publifizierung der Regelungsstrukturen nicht unproblematisch. So ist zumindest in Teilen des Umwelt- und Technikrechts der ordnungsrechtliche Aus-schluss zivilrechtlicher Abwehransprüche in jüngerer Zeit als ein Hindernis für innovati-ve Lösungen betrachtet worden. Allein die Erklärung zur Staatsaufgabe gewährleistet noch keine Problemlösung, zumal deren Effektivität vielfach von nicht erzwingbaren Verhaltensmustern der Gesellschaft abhängt, die gegebenenfalls besser im Privatrecht und deren Anreizwirkungen zu verarbeiten sind (näher Kloepfer 2002, S. 17 ff.). Das wirft die Frage auf, ob einer Entstaatlichung der Konfliktschlichtung nicht langfristig ei-ne Vergesellschaftung des Grundrechtsschutzes korrespondieren müsste. Wenn und weil die Privatrechtsform für die Grundrechtsfähigkeit der Person spricht, schließt dies die Grundrechtsbindung „einer anderen Person“ nicht aus. Ob das eine Zurechnung zum Staat verlangt, müsste unter dem Strukturgewährleistungsrecht erst begründet werden (Franzius 2008a). Allerdings wird der Regelungsbedarf nicht allein durch die Grundrech-te gesteuert. Unabhängig davon, ob eine übergreifende Regelung der Netzregulierung

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oder des Gewährleistungsvertrags in Rede steht: Der Gewährleistungsstaat erfordert ein Nachdenken über die auf europäische Lösungen auszurichtende Regelungstiefe.

IV. Reservefunktion des Staates?

Gewährleistungsrecht thematisiert den Wandel von der unmittelbaren Gemeinwohlbe-wirkung zur durch mittelbare Einwirkungen steuernden Gemeinwohlsicherung. Daran schließt die Frage an, ob dieser Wandel im klassischen Instrumentarium der institutionel-len Spielregeln des politischen Prozesses und der Implementation seiner Ergebnisse noch zutreffend abgebildet wird.69 Dem öffentlichen Gewährleistungsrecht (Begrifflichkeit: Schoch 2007, S. 207) muss es darum gehen, die Zurückdrängung von Erfüllungsverant-wortung prospektiv aufzufangen und vorgreiflich abzusichern. Ob die privaten Leis-tungserbringer unter der behördlichen Aufsicht die gesetzlich vorgeschriebenen oder ver-traglich vereinbarten Ziele dauerhaft erfüllen, bleibt notwendig unsicher. Das wirft die Frage nach der Reservefunktion des Staates (Waldhoff 2002) durch Rückholoptionen auf. Ob es ein „Gewährleisten durch Zurückholen“ (Wollenschläger 2006, S. 141) geben kann, ist aus mehreren Gründen zweifelhaft. Zunächst mag in einer theoretischen Per-spektive der staatliche Bezugspunkt in Frage gestellt werden können. Natürlich können die Privatisierungsziele verfehlt werden und ein Fall gesellschaftlicher Schlechterfüllung vorliegen. Einer Aufgabenrückholung dürften auch nicht immer subjektive Rechte der Leistungsanbieter erfolgreich entgegengestellt werden können. Aber Nachsteuerungsin-strumente verlangen in der Regel eine gesetzliche Grundlage, worüber die Bewältigung der Interessenkonflikte zwischen dem Leistungsanbieter und dem Leistungsempfänger zu strukturieren ist. Vielfach reicht das Regelungsbedürfnis weiter und kann eine staatliche Ersatzvornahme nahelegen. Das hat beispielweise das – nicht in Kraft getretene – Flugsi-cherungsgesetz innerhalb eines ausgeprägten Rückholregimes getan, wenngleich die ge-sellschaftsrechtlichen Ingerenzrechte deutlicher akzentuiert hätten werden können.70 Der abstrakte Verstaatlichungsverdacht erscheint in der Regel unbegründet. Wo der Ge-setzgeber auf Selbstregulierung setzt, kann und darf das kein anything goes bedeuten, zumal der Ruf nach gesetzlichen Regelungen oft gerade von denen kommt, die zuvor die-se abgelehnt haben (Zypries 2007). Und es ist auch nicht so, dass eine hoheitliche Reser-vefunktion stets strangulierend wirkt. Die Aussicht auf Nachsteuerung kann die privaten Akteure entlasten, aber auch stimulieren, es nicht darauf ankommen zu lassen (Hoff-mann-Riem 2005, S. 101). Naturgemäß gehen die Einschätzungen darüber, was der Staat an eigenen Kräften überhaupt reaktivieren kann, wenn er eine Sache aus der Hand gege-ben hat, auseinander. Nicht immer bieten sich duale Leistungsstrukturen wie im Rund- 69 Darauf weist mit Recht Trute 2002, S. 331 im Anschluss an Offe 2001, S. 486 hin. 70 Auf die fehlende Kompatibilität mit dem Gesellschaftsrecht zur Durchsetzung effektiver Kontroll- und Steue-

rungsrechte des Bundes stellt Schoch 2006, S. 49 ff. („praktisch jederzeit durchsetzbarer Bundeswille“) im An-schluss an BremStGH, NVwZ 2003, 81 (84) ab. Der Hinweis auf einen Letztentscheidungswillen – welcher In-stanz auch immer – erscheint freilich nicht unproblematisch und provoziert die historisch belastete Frage nach dem Hüter der Verfassung. Dass es auch anders geht, zeigte die juristische Bewältigung der auflösungsgerich-teten Vertrauensfrage unter Beteiligung mehrerer Staatsorgane, BVerfGE 114, 121 (149 ff.).

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funk an, die aus dieser Sicht das Problem des Wissenserhalts entschärfen.71 Normativ ist aber im Einzelfall zu klären, ob die Gewährleistungsverantwortung, soweit sie besteht, auch effektive Rückholoptionen für den Fall gesellschaftlicher Schlechterfüllung beinhal-tet. Das Problem wird durchaus gesehen und häufig dahingehend beantwortet, dass der Ge-währleistungsstaat die Erfüllungsverantwortung nicht restlos verdränge, sondern mit der Aktivierung der Gewährleistungsverantwortung in eine residuale Auffangverantwortung verwandele. Hierfür wird die Sprache des Fußballs bemüht. Schuppert sieht den Staat als Spieler auf der Reservebank. Er werde eingewechselt, wenn das Spiel nicht richtig läuft (Schuppert 2003, S. 291; Hoffmann-Riem 2005, S. 96 f.). Spieler dürfen sich aber nicht selbst einwechseln und so wird man den Trainer gewissermaßen im Recht zu sehen haben (Franzius 2005, S. 56). Das erfordert einen gewissen Weitblick und es bleibt zweifelhaft, ob dem Staat, der vielleicht nicht ohne Grund auf der Bank saß, von rechtlicher Seite das erforderliche Wissen und die politische Kraft zugetraut werden kann, das Spiel nach ei-nem längeren Zeitraum der Abstinenz wieder umzudrehen (Schoch 2006, S. 57). Vielleicht liegt hier das eigentliche, wenngleich schmale Ergebnis. Statt in eine unsichere Zukunft des Staates zu treten, der, nachdem er jeden Zauber verloren hat, wieder vermisst wird (Möllers 2008b), sollten relativ harte Strukturen des Rechts dafür sorgen, dass er sich nicht ungewollt verabschiedet und damit niemandem dient.72 Gewährleistungsrecht kann und muss dann auch Grenzen formulieren, welche der Verflüssigung echter Erfül-lungspflichten vorzubeugen helfen. Den Privatisierungselan hat die Verwaltung längst verloren, das Verwaltungsrecht muss nachziehen. Abstract Claudio Franzius; Ensuring Law as Administrative Law Ensuring Law; European Union; Privatization; Public Procurement and State Aid Law; Public Services; State and Law In addition to the aspects of administrative law related to state interference and state provision a new dimension of ensuring law is emerging. Public ensuring law is con-cerned with the challenges resulting from the increasing liberalization of the market. Yet it does not correspond merely to the idea of the state as a potent steering actor. Rather, complementing the administrative law regime of state interference and the welfare state regime of state provision must guard against naïve governance expecting more from the state in the future than the present legal order can provide.

71 Womit über die Entwicklungsgarantie der „staatlichen Säule“ nichts gesagt ist, dazu ohne Rückgriff auf die

Gewährleistungssemantik BVerfG, NVwZ 2007, 1287. 72 Zum renvoi an gesellschaftliche Normalitätserwartungen Ladeur/Viellechner 2008, S. 56 ff. Das schränkt das

„reine“ Verständnis von Normativität ein und kann hier als Wiederentdeckung des Staates gelesen werden.

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Wirksamkeit von Landesbürgschaften und Bürgschaftsbanken

ZögU 31. Jg. 4/2008 387

Doris Neuberger und Solvig Räthke-Döppner

Wirksamkeit von Landesbürgschaften und Bürgschaftsbanken: eine empirische Studie für Mecklenburg-Vorpommern

Bürgschaftsbanken; Finanzierung kleiner und mittelständischer Unternehmen; Kreditra-tionierung; Kreditsicherheiten; staatliche Bürgschaften Staatliche Bürgschaften und Bürgschaftsbanken sind wichtige Instrumente, um Kreditra-tionierung aufgrund von Informationsasymmetrien zu reduzieren und somit die Finanzie-rung kleiner und mittelständischer Unternehmen zu erleichtern. Der vorliegende Beitrag untersucht die Wirksamkeit dieser Fördermaßnahmen in dem strukturschwachen Land Mecklenburg-Vorpommern auf der Grundlage einer Befragung geförderter Unternehmen aus dem Jahr 2007. Es zeigen sich positive Effekte auf Unternehmenswachstum, Beschäf-tigung und Finanzierung, von denen eine große Hebelwirkung auf das Wirtschaftswachs-tum in dieser Region zu erwarten ist.

I. Einleitung

Kreditrationierung ist ein gesamtwirtschaftliches Phänomen. Insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, die auf Bankkredite angewiesen sind, kann es die Insol-venz bedeuten. Das wiederum kann Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Be-schäftigung haben. Sicherheiten stellen hier ein wirksames Instrument dar, um Rationie-rung zu vermeiden. Eine besondere Art der Kreditsicherheit ist die Bürgschaft. Dabei kann der Staat direkt als Bürge auftreten und hat somit ein wirksames Instrument der Wirtschaftspolitik. Allerdings müssen auch hier die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit er-füllt sein. Ziel dieses Artikels ist es, die Wirksamkeit der Bürgschaftsprogramme des Landes und der Bürgschaftsbank Mecklenburg-Vorpommern zu untersuchen. Während die Bürgschaftsbank kleinere Kredite bis zu einem Umfang von 1 Million Euro verbürgt, werden größere Kredite durch Landesbürgschaften abgesichert. Um zu beurteilen, ob beide Programme ihre beabsichtigten Wirkungen auf die begünstigten Unternehmen ent-falteten, wurde eine Umfrage unter geförderten Unternehmen in Mecklenburg- Vorpom-mern vorgenommen. Anhand der gewonnenen Daten soll die Effizienz staatlicher Wirt-schaftspolitik in einem strukturschwachen Land wie Mecklenburg-Vorpommern gemes-sen werden. Der weitere Artikel gliedert sich wie folgt. Kapitel II gibt einen Überblick über die theo-retische und empirische Literatur zu staatlichen Bürgschaften und Bürgschaftsbanken. Kapitel III stellt die Ergebnisse unserer empirischen Untersuchung für Mecklenburg-Vorpommern dar. Nach einem Blick auf die wirtschaftliche Situation des Bundeslandes

Doris Neuberger und Solvig Räthke-Döppner

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wird die Wirksamkeit der Bürgschaftsprogramme mit Hilfe einer deskriptiven Analyse der Daten untersucht. Kapitel IV fasst die Ergebnisse zusammen.

II. Überblick über die Literatur

1. Theoretische Grundlagen

Theoretisch kann das Phänomen der Kreditrationierung durch asymmetrische Informati-on zwischen dem Kreditnehmer und der Bank erklärt werden. Die Bank ist nur schwer in der Lage, die Qualität und das Verhalten des Kreditnehmers einzuschätzen. In der Folge kann der Preismechanismus keinen Ausgleich von Kreditangebot und Kreditnachfrage herbeiführen, im Gleichgewicht besteht eine Überschussnachfrage nach Krediten (Stig-litz/Weiss 1981). Durch einen höheren Zinssatz kann das Kreditvolumen nicht ausgewei-tet werden, da hierdurch Adverse Selection-Effekte (Kreditrationierung vom Typ 1) oder Moral Hazard-Probleme (Kreditrationierung vom Typ 2) verstärkt würden. Davon sind besonders kleine und junge Unternehmen betroffen, bei denen die Qualitäts- und Verhal-tensunsicherheit am größten sind.1 Kreditsicherheiten können Kreditrationierung vom Typ 1 aufgrund von Qualitätsunsi-cherheit und Kreditrationierung vom Typ 2 aufgrund von Verhaltensunsicherheit min-dern.2 Durch die Gestaltung anreizkompatibler Verträge können die Kreditnehmer in ver-schiedene Risikogruppen unterteilt werden. Indem sie einen der ihnen angebotenen Ver-träge wählen, können sie ihre Qualität offenbaren und sich damit selbst selektieren (Bes-ter 1985). Zudem ist mit den Sicherheiten eine Verlustaversion verbunden, wodurch eine Erhöhung des Projektrisikos verhindert werden soll (Bester/Hellwig 1987). Die Höhe der Sicherheiten hat Einfluss auf die Wahl des Anstrengungsniveaus der Kreditnehmer und kann somit die Kreditausfallwahrscheinlichkeit senken (Boot/Thakor/Udell 1991). Den positiven Wirkungen der Risikominderung durch Kreditsicherheiten stehen allerdings die Kosten der Besicherung gegenüber. Diese beinhalten Kosten der Bereitstellung und Überwachung der Sicherheiten. Zudem schränkt die Verpfändung von Sicherheiten die Flexibilität der Kreditnehmer ein. Sicherheiten können sowohl intern, aus dem Vermögen des Kreditnehmers bzw. Unter-nehmens, als auch extern von Dritten in Form von Bürgschaften oder Garantien bereitge-stellt werden. Externe Sicherheiten durch Dritte vermindern ebenso wie interne Sicher-heiten das Verlustpotenzial des Kreditgebers, können aber Fehlanreize des Schuldners hervorrufen, da dieser nicht mit seinem Vermögen haftet. Wenn der externe Sicherungs-geber besser als der Kreditgeber geeignet ist, die Kreditrisiken und speziell Verhaltensri-siken einzuschätzen und zu steuern, ist die Stellung externer Sicherheiten durch Dritte ökonomisch sinnvoll (Bigus/Langer/Schiereck 2004, S. 21). Externe Kreditsicherheiten

1 Vgl. zu den Lösungsmöglichkeiten besonders bei kleinen Unternehmen Neuberger/Räthke 2007. 2 Zum Überblick über die theoretische und empirische Literatur Menkow/Neuberger/Suwanaporn 2006.

Wirksamkeit von Landesbürgschaften und Bürgschaftsbanken

ZögU 31. Jg. 4/2008 389

sind insbesondere dann vorteilhaft, wenn Vermögensgegenstände im Unternehmen schwierig zu bewerten sind, z. B. weil diese immateriell oder firmenspezifisch sind und kein Markt für sie besteht. Dies ist bei kleinen und jungen Unternehmen besonders wahr-scheinlich (Bigus/Langer/Schiereck 2004). Bürgschaften sind eine spezielle Form der Besicherungen von Krediten. Eine Bürgschaft stellt nach §§ 765-778 BGB einen einseitig verpflichtenden Vertrag dar, durch den sich der Bürge verpflichtet, für die Verbindlichkeiten eines Dritten gegenüber dessen Schuld-ner einzustehen (Kriszeleit 2006, S. 1019). Nach dem Prinzip der Subsidiarität sollen mit Bürgschaften nur Investitionsvorhaben unterstützt werden, die ohne ihren Einsatz man-gels anderer geeigneter Sicherheiten nicht oder nur in nicht betriebsoptimalen Größen durchgeführt würden (Schiereck 2002).3 Da durch Bürgschaften nur ein Teil des Kreditri-sikos abgesichert wird,4 bleibt der Anreiz für die kreditgebende Bank, den Kreditnehmer sorgfältig auszuwählen und zu überwachen, erhalten. Bürgschaften zählen allerdings nicht zu der bei Bester (1985) beschriebenen Art von Sicherheiten mittels derer ein Kre-ditnehmer seine Kreditwürdigkeit signalisieren kann. Insofern sind sie nur eingeschränkt geeignet, Kreditrationierung vom Typ 1 zu beseitigen. Sie ermöglichen aber den geför-derten Unternehmen, die nicht genügend interne Sicherheiten bieten können, einen Zu-gang zu Bankkrediten. Formal wurde gezeigt, dass Finanzintermediation durch Bürgschaftsbanken eine überle-gene Form der Kreditvergabe sein kann, da dadurch Spezialisierungsvorteile bei der Kre-ditwürdigkeitsprüfung genutzt werden (Langer/Schiereck 2002). Von Bürgschaften sind aufgrund ihrer Anreize weniger allokationsverzerrende Auswirkungen zu erwarten als von Investitionszuschüssen oder -zulagen.5 Trotz vorhandener Risiken durch Mitnahme-effekte oder Crowding-out zeigen derartige Förderaktivitäten einen positiven Nettonutzen (Schäfer/Zimmermann 2008). Durch Bürgschaften können Unternehmen in speziellen Situationen unterstützt werden. Bürgschaftsbanken und Landesbürgschaftsprogramme werden zu aktiven Risikopartnern, wenn: – sich der Unternehmer noch nicht am Markt beweisen konnte, so dass Existenzgrün-

dungen durch Bürgschaften unterstützt werden, – Unternehmen schneller wachsen als das Eigenkapital, was häufig in jungen Bran-

chen der Fall ist, – gute Unternehmen in krisenbelasteten Branchen wachsen wollen, – Unternehmen in neuen Branchen wachsen wollen, – Unternehmen sich in einer einmaligen schwierigen finanziellen Situation befinden

(Verband der Bürgschaftsbanken 2006, S. 10).

3 Einen Überblick über die Tätigkeit von Bürgschaftsbanken in Deutschland gibt Schiereck 2002. 4 Ausfallbürgschaften dürfen bei Investitionskrediten maximal 80 % der Kreditsumme abdecken, bei Betriebs-

mittel- und Kontokorrentkrediten maximal 60-80 % (Schiereck 2002, S. 178). 5 Allerdings sind Mitnahmeeffekte auch bei Bürgschaften nicht auszuschließen, wenn Bürgschafts- und Rück-

bürgschaftsbesicherung auch Kreditengagements rentabel werden lassen, deren Ausfallwahrscheinlichkeit weit über dem Wert beim durchschnittlichen übrigen Kreditgeschäft liegt, oder wenn an einer Bürgschaftsbank be-teiligte Kreditinstitute sich Kreditvergaben verbürgen lassen, die auch ohne Bürgschaftsabsicherung vergeben worden wären (Schiereck 2002, S. 187).

Doris Neuberger und Solvig Räthke-Döppner

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Alle genannten Punkte sind nicht zu unterschätzende Risikofaktoren bei der Kreditverga-be, die Kreditrationierung verursachen können. Empirische Studien für Deutschland zei-gen, dass etwa die Hälfte des Bürgschaftsvolumens für Existenzgründungen und Unter-nehmensübernahmen bereitgestellt werden, ca. ein Drittel entfällt auf Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe und ca. 30 % auf Unternehmen des Dienstleistungssektors. Ein Drittel der Bürgschaftsnehmer kommt aus dem Handwerksbereich (Schiereck 2002, S. 186; Schmidt/Elkan 2006, S. 16). Zudem wird eine Bürgschaft umso wahrscheinlicher gewährt, je kürzer und weniger eng die Hausbankbeziehung ist (Bigus/Langer/Schiereck 2004). Dies ist ein Indiz dafür, dass Bürgschaften in diesen Fällen eher benötigt werden, um subsidiär zur Hausbankbeziehung Kreditrisiken aus asymmetrischer Information zu reduzieren. Bürgschaften können auch im Zusammenhang mit den Basel II-Eigenkapitalregelungen für Kreditinstitute von Vorteil sein. Durch die Übernahme einer Bürgschaft reduziert sich die notwendige Eigenkapitalbindung der Hausbank, was zu einer Reduzierung der Kre-ditkosten führt. Diese Eigenkapital entlastende Wirkung unterstützt somit die Wirksam-keit der Förderpolitik des Bundes und der Länder (Verband der Bürgschaftsbanken 2006, S. 12).

2. Empirische Evidenz

Die Kreditfinanzierung ist im deutschen bank-basierten Finanzsystem traditionell und auch heute eine der Hauptfinanzierungsquellen kleiner und mittlerer Unternehmen.6 Al-lerdings berichten Unternehmen immer wieder von Schwierigkeiten, Kredite zu erhalten. Abbildung 1 zeigt einen Zusammenhang zwischen dem Anteil der abgelehnten Kredite und der Unternehmensgröße aus einer KfW-Unternehmensbefragung im Jahr 2003.

6 Quantitativ können kleine und mittlere Unternehmen wie folgt definiert werden: Kleinstunternehmen haben

weniger als 10 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz bzw. eine Bilanzsumme von höchstens 2 Mio. Euro. Kleine Unternehmen haben weniger als 50 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz bzw. eine Bilanzsumme von höchstens 10 Mio. Euro. Mittlere Unternehmen verfügen über weniger als 250 Mitarbeiter bei einem Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro bzw. einer Bilanzsumme von höchstens 43 Mio. Euro. Darüber hinaus gehende Unter-nehmen werden als große Unternehmen bezeichnet (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003).

Wirksamkeit von Landesbürgschaften und Bürgschaftsbanken

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Abb. 1: Anteil der abgelehnten Kredite im Verhältnis zur Unternehmensgröße (Anga-ben in Prozent)

Quelle: iwd 2005, S. 14

In allen Unternehmensklassen wurde ein nicht unerheblicher Anteil der Kredite abge-lehnt. Von dieser Kreditrationierung sind besonders Kleinstunternehmen in der Klasse bis 1 Mio. Euro betroffen, bei denen 23,2 % der Kreditanträge nicht bewilligt wurden. Eine Unternehmensbefragung für die Jahre 2004 und 2005 (KfW Bankengruppe 2006) zeigt, dass der häufigste Grund für die Ablehnung eines Kredites der Mangel an Sicherheiten ist (vgl. Abbildung 2). Auch die jüngsten Unternehmensbefragungen der KfW bestätigen dieses Bild: Fast 20 % der Kreditanträge zur Finanzierung von Investitionen werden abgelehnt, wovon beson-ders Kleinunternehmen und Unternehmen in Ostdeutschland betroffen sind. Die wich-tigsten Gründe sind unzureichende Sicherheiten und eine zu geringe Eigenkapitalquote der Unternehmen. Eine Kreditablehnung führt in 35 % der Fälle dazu, dass das Investiti-onsvorhaben ganz unterbleibt (KfW Bankengruppe 2006a). Dieses Ergebnis bestätigt eine Umfrage des Verbandes der Vereine Creditreform, wonach noch nicht einmal jeder vierte Betrieb mit ausreichend Eigenkapital versorgt ist (Verband der Vereine Creditre-form 2008). Große Probleme einen Kredit zu erhalten haben vor allem kleine innovative Unterneh-men. Hier geben 44 % der Unternehmen an, im Rahmen von Kreditverhandlungen we-nigstens einmal eine Ablehnung durch die Bank erhalten zu haben. Bei kontinuierlich forschenden Unternehmen liegt diese Quote immer bei fast 50 % der Unternehmen (KfW Bankengruppe 2007). Die jüngste Unternehmensbefragung der DIHK (2008) zeigt, dass sich die Kreditkonditi-onen für die Unternehmer im Vergleich zum Vorjahr nur geringfügig verschlechtert ha-ben. Etwa ein Fünftel der Unternehmen berichtet über verschärfte Kreditkonditionen, bei 3 % dieser Unternehmen wurde der Kredit nicht verlängert bzw. abgelehnt. Kleine Un-

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ternehmen sind jedoch überdurchschnittlich stark von Verschlechterungen der Kredit-konditionen betroffen und weisen überdurchschnittliche Kreditablehnungsquoten auf. Für die Kreditrationierung seitens der Banken sind verschiedene Ursachen verantwortlich. Sie können i) in den institutionellen Rahmenbedingungen, ii) in der konjunkturellen Situ-ation sowie iii) den unternehmensspezifischen Faktoren gefunden werden. Die bedeu-tendste Veränderung der Rahmenbedingungen in den letzten Jahren ist die Neuregelung der Eigenkapitalnormen bei den Banken (Basel II). Demnach sollen Kreditinstitute seit dem 1. Januar 2007 die Ergebnisse der Kreditnehmerratings sowohl für aufsichtsrechtli-che Zwecke als auch für die Kreditvergabe nutzen. Dies führt zu einer risikogerechteren Bepreisung. Da die Risikobewertung maßgeblich von der Eigenkapitalquote des Unter-nehmens abhängt, wird der Kreditzugang insbesondere für eigenkapitalschwache KMU erschwert.7 Die in Basel II vorgenommenen Erleichterungen für KMU gestatten zwar im Durchschnitt günstigere Kreditkonditionen. Diese bleiben jedoch den Unternehmen ver-wehrt, die keinen Zugang zum Bankkredit haben (DIHK 2007).

Anmerkung: Mit der Anzahl der Unternehmen hochgerechnete Werte auf der Basis von 832 Beobachtungen in der Stichprobe des Jahres 2005 und 453 Beobachtungen in der Stichprobe des Jahres 2006. Hochrechnung inklusive „Sonstige“ Branchen. Die Anteile addieren sich zu mehr als 100 %, da Mehrfachnennungen möglich waren.

Abb. 2: Gründe für die Ablehnung eines Kredites in den Jahren 2004 und 2005 (Anga-ben in Prozent)

Quelle: KfW Bankengruppe 2006

Die von 2000 bis 2004 gestiegenen Insolvenzzahlen zeigen die schwierige wirtschaftliche Situation vieler Unternehmen in einer konjunkturellen Schwächephase, die zu hohen Wertberichtigungen bei den Banken führten. So mussten beispielsweise im Jahr 2004 7 Dies gilt bereits für die letzten Jahre, in denen sich die Banken auf die Basel II-Regelungen vorbereitet und

diese zum Teil implementiert haben.

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Wirksamkeit von Landesbürgschaften und Bürgschaftsbanken

ZögU 31. Jg. 4/2008 393

39.270 Unternehmen Insolvenz anmelden. In 18,4 % der Fälle handelte es sich dabei um Kleinstunternehmen mit einem Umsatz von weniger als 100.000 Euro. Kleinunternehmen mit einem Umsatz von 500.000 bis 5 Millionen Euro machten einen Anteil von 34,7 % am gesamten Insolvenzaufkommen aus. Zudem waren 14,2 % der insolventen Unter-nehmen nicht älter als 2 Jahre (Verband der Vereine Creditreform e. V. 2005). Somit zei-gen sich Unternehmensgröße und -alter als wichtige unternehmensspezifische Risikofak-toren, die Einfluss auf das Kreditausfallrisiko für die Bank haben. Die gilt auch bei einem rückläufigen Trend bei den Unternehmensinsolvenzen, wie er aktuell beobachtet wird.8 Obwohl der konjunkturelle Aufschwung seit Mitte 2005 die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen erleichtert hat, haben nach wie vor kleinere Unternehmen signifikant häufiger Probleme, einen Kredit zu erhalten als große. Während kleinen Unternehmen bei schlechter Bonität eher der Kredit verweigert wird, können größere Unternehmen einen Bonitätsnachteil durch einen Risikoaufschlag bei den Zinsen kompensieren. Ostdeutsche Unternehmen haben nach wie vor einen schlechteren Zugang zu Bankkrediten, der aber weniger durch ihren Standort, als vielmehr durch ihre Größe und Branchenzugehörigkeit bedingt ist (KfW Bankengruppe 2006a).9 Große Unternehmen (200 bis 1000 Beschäftig-te) im Osten sehen sich verbesserten Kreditkonditionen gegenüber, was auf eine stabile Basis an mittelständischen Unternehmen schließen lässt. Im Westen stehen laut DIHK ebenfalls große Unternehmen verbesserten Kreditkonditionen gegenüber. Schwierig hin-gegen bleibt die Situation der kleinen Unternehmen (DIHK 2008). Zur Lösung dieses Problems können Sicherheiten durch die Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Aber gerade kleine und mittlere Unternehmen weisen häufig einen Man-gel an Sicherheiten auf. Bürgschaften helfen in diesem Zusammenhang, den Unterneh-men ihre Finanzierungsvorhaben zu sichern. Im Gegensatz zu anderen Förderprogram-men wie Investitionszuschüssen und -zulagen wirken Bürgschaften weniger allokations-verzerrend, da sie nicht unbedingt eine Subventionierung von Kapital herbeiführen. Im Jahr 2006 wurde eine Förderung (d. h. öffentliche Hilfe für Investitionen oder Unterneh-mensfinanzierung) von einem guten Fünftel der Unternehmen in Deutschland beantragt (KfW Bankengruppe 2006a). Am häufigsten waren dabei Anträge auf einen KfW-Kredit (36 %) sowie auf Zuschüsse und Zulagen (36 %). Ostdeutsche Unternehmen fragen signi-fikant häufiger Zuschüsse und Zulagen nach (64 % gegenüber 23 % für westdeutsche Unternehmen). Demgegenüber werden Bürgschaften in Ostdeutschland weniger stark nachgefragt als in Westdeutschland (8,6 % gegenüber 10,5 % der Fälle). Insgesamt haben nur rund 10 % der von der KfW befragten Unternehmen in Deutschland eine Bürgschaft beantragt. Die Beobachtung, dass Bürgschaften wesentlich häufiger von jungen Unter-nehmen als von Bestandsunternehmen beantragt werden, könnte ein Indiz dafür sein, dass es junge Unternehmen schwerer haben, die für die Kreditfinanzierung benötigten Sicher-heiten zu stellen (KfW Bankengruppe 2006a, S. 56). Allerdings werden Bürgschaftsan-

8 So reduzierte sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2007 um 14,4 % auf 29.150 Betriebe (Ver-

band der Vereine Creditreform 2008). 9 Zu einer Ost-West-Lücke bei der Kreditfinanzierung von KMU in Deutschland vgl. auch Lehmann/Neuberger/

Räthke 2004.

Doris Neuberger und Solvig Räthke-Döppner

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träge weniger oft bewilligt als andere Förderanträge. Bei den bewilligten Förderanträgen aller Unternehmen stehen Zuschüsse an erster Stelle (39,6 %), gefolgt von KfW-Krediten (37,5 %), Länderkrediten (19,8 %), EU-Mitteln (17,4 %) und Bürgschaften (8,6 %) (KfW Bankengruppe 2006a, S. 61). In Mecklenburg-Vorpommern hilft das Land durch öffentliche Bürgschaftsprogramme. Aber auch Bürgschaften durch die Bürgschaftsbank unterstützen die Region, indem sie bei der Unternehmensgründung helfen, den Bestand von Unternehmen sichern und somit insgesamt das wirtschaftliche Wachstum fördern. Bürgschaften sind von großer volks-wirtschaftlicher sowie regional- und arbeitsmarktpolitischer Bedeutung (Kriszeleit 2006, S. 1027). Bürgschaften und hier speziell Bürgschaftsbanken bringen einen hohen volkswirtschaftli-chen Nutzen mit sich. So konnten Schmidt und Elkan (2006) in einer Simulationsstudie zum volkswirtschaftlichen Gesamtnutzen von Bürgschaftsbanken in Deutschland zeigen, dass aufgrund der Aktivitäten der Bürgschaftsbanken in den Jahren 1996 bis 2002 das Bruttoinlandsprodukt um 3,2 Mrd. Euro jährlich höher ausgefallen ist. Zudem konnte die Zahl der Beschäftigten erhöht werden (durchschnittlich plus 12.900 jährlich) und die Zahl der Erwerbslosen abgebaut werden (durchschnittlich minus 9.100 jährlich). Das führt zu einer Reduzierung der Sozialausgaben des Staates und hat somit positive Steuer-effekte zur Folge. Der Finanzierungssaldo des Staates fällt durch die Aktivität von Bürg-schaftsbanken um jährlich rund 670 Mio. Euro höher aus. Dieser Beitrag speziell der Bürgschaftsbanken, denen die Bürgschaften des Landes in keiner Weise zurückstehen, sind außerdem von einem hohen Maß an Nachhaltigkeit ge-prägt. So zeigt die angeführte Untersuchung, dass die durch Bürgschaften unterstützten Unternehmen eine überdurchschnittlich hohe Überlebenswahrscheinlichkeit haben. Im Vergleich zu nicht geförderten Unternehmen beträgt die jahrgangsspezifische Ausfall-quote nach 10 Jahren 17 % des bewilligten Volumens und wird damit als vergleichsweise niedrig eingestuft. Ein Grund hierfür wird unter anderem in der intensiven Prüfung der Finanzierungsvorhaben gesehen. So helfen Bürgschaftsbanken Existenzgründern durch Check-up Programme, Schwachstellen eines Unternehmensplanes besonders in der Früh-phase zu erkennen und zu beseitigen. Diese dargestellten Effekte rechtfertigen ein Engagement der öffentlichen Hand und zei-gen auf, wie wirkungsvoll diese Art der Wachstumspolitik ist.

III. Untersuchung für Mecklenburg-Vorpommern

1. Hintergrund

Das Wirtschaftswachstum Mecklenburg-Vorpommerns fiel in den letzten 10 Jahren sehr gering aus. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt hat sich die Wirtschaft insgesamt gerin-ger als der ostdeutsche Durchschnitt entwickelt (Ostdeutscher Bankenverband e. V. 2007, S. 2). Daher ist das vorrangige wirtschaftspolitische Ziel der Landesregierung Mecklen-

Wirksamkeit von Landesbürgschaften und Bürgschaftsbanken

ZögU 31. Jg. 4/2008 395

burg-Vorpommerns, das Wachstum durch die Unterstützung der regionalen Wirtschaft zu fördern und somit die Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze zu gewährleisten. Die Unternehmensstruktur des Flächenlandes Mecklenburg-Vorpommern ist von kleinen und mittleren Unternehmen geprägt. So stellt diese Unternehmensgruppe mit einem An-teil von 99,9 % aller Unternehmen das Rückgrat der Wirtschaft dar. Die Unternehmen erzielen einen Umsatzanteil von 77,4 % und beschäftigen 80,6 % der sozialversiche-rungspflichtigen Beschäftigten (Mittelstandsbericht Mecklenburg-Vorpommern 2002-2006, S. 5). Speziell in Mecklenburg-Vorpommern wird die Hälfte der Wirtschaftsleis-tung von Unternehmen mit Jahresumsätzen von weniger als 5 Mio. Euro erzielt. Aller-dings geht mit dieser auf kleine Unternehmen aufgebauten Struktur ein immenses Prob-lem einher. Trotz ihrer Flexibilität haben kleine Unternehmen häufig nicht das Potenzial, in Forschung und Entwicklung zu investieren oder Auslandsmärkte zu erschließen, um so neues Wachstum zu generieren. Geprägt wird die Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns von der Ernährungs-, Holz-, Metall- und Elektroindustrie sowie maritimer Wirtschaft. Wichtige nichtindustrielle Branchenschwerpunkte sind die Tourismuswirtschaft sowie Land- und Forstwirtschaft. Bau und öffentliche Verwaltung tragen anders als die Indust-rie überproportional zur Wertschöpfung bei. Zukunftspotenzial und damit eine besondere Förderungswürdigkeit können der Biotechnologie und der Gesundheitswirtschaft zuge-rechnet werden (Ostdeutscher Bankenverband e. V. 2007, S. 3). Der im bundesdeutschen Vergleich geringe Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Wertschöpfung begründet ein geringes Investitions- und damit Wachstumspotenzial der Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns. Die Industrie ist in Deutschland nach wie vor der wichtigste Investiti-onsmotor (KfW Bankengruppe 2006a). Die geringe Wirtschaftskraft zeigt sich in einer Wertschöpfungslücke in Höhe von mehr als 6,6 Mrd. Euro pro Jahr (vgl. Abbildung 3). D. h. die Unternehmen, die öffentliche Hand und die Bürger verbrauchen mehr als sie erwirtschaften. Um diese Lücke zu schließen, müssen neue Unternehmen und damit mehr Wirtschaftskraft etabliert werden (Mittelstandsbericht Mecklenburg-Vorpommern 2002-2006, S. 17).

Doris Neuberger und Solvig Räthke-Döppner

396 ZögU 31. Jg. 4/2008

Abb. 3: Wertschöpfungslücke Mecklenburg-Vorpommern für das Jahr 2003 (in Mio. Euro)

Quelle: Eigene Darstellung

Der Mittelstand in Mecklenburg Vorpommern braucht gute Rahmen- und Wettbewerbs-bedingungen. Dabei hilft die Landesregierung durch eine Mittelstandspolitik, die Finan-zierung neuer Investitionsprojekte zu erleichtern. Allerdings haben gerade kleine und mittlere Unternehmen häufig Schwierigkeiten, den Kapitalbedarf für ihre geplanten In-vestitionsvorhaben aus eigener Kraft zu decken, und sind daher auf Kredite angewiesen. Bei geringer Bereitschaft der Banken Kredite zu vergeben, unter anderem begründet durch die sich verändernden Rahmenbedingungen durch BASEL II, kann die Finanzie-rungsfunktion der Kreditwirtschaft nur eingeschränkt erfüllt werden. Die Folge ist mögli-cherweise eine verringerte wirtschaftliche Dynamik (Mittelstandsbericht Mecklenburg-Vorpommern 2002-2006, S. 5). Diesem kann durch Bürgschaftsprogramme wie das Lan-desbürgschaftsprogramm sowie durch die Tätigkeit von Bürgschaftsbanken entgegenge-steuert werden. Diese sollen helfen, Standortnachteile von Regionen und Einkommensge-fälle zwischen Teilen der Bevölkerung auszugleichen sowie den Wegfall von Wirt-schaftszweigen zu verhindern. Diese Art der Wirtschaftstrukturpolitik ist daher eng mit den Zielen der Wachstumspolitik verknüpft und ein wichtiger Bestandteil der regionalen Förderpolitik (Kriszeleit 2006, S. 1028; KfW Bankengruppe 2006a). Die verschiedenen Bürgschaftsprogramme, die Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern zur Verfügung stehen, sind in Tabelle 1 zusammengestellt.

Das wird in MV verbraucht:

Bruttoanlageinvestition

Konsumausgaben des Staates

Private Konsumausgaben

Verwendung Entstehung

Bruttoinlandsprodukt

Wertschöpfungslücke

Das wird in MV erwirtschaftet:

+

+

31.289

21.753

8.880

7.328 -6.672

Berechnung für 2003

Wirksamkeit von Landesbürgschaften und Bürgschaftsbanken

ZögU 31. Jg. 4/2008 397

Tab. 1: Übersicht über die Bürgschaftsprogramme in Mecklenburg-Vorpommern Quelle: Eigene Darstellung auf der Grundlage von Wirtschaftsministerium 2005

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Doris Neuberger und Solvig Räthke-Döppner

398 ZögU 31. Jg. 4/2008

2. Datensatz

Die Ergebnisse der Untersuchung beruhen auf einer Umfrage im Jahr 2007, die im Auf-trag der PwC AG und der Bürgschaftsbank Mecklenburg-Vorpommern GmbH durchge-führt wurde. Insgesamt wurden 780 Unternehmer durch die genannten Unternehmen mit der Bitte angeschrieben, einen Fragebogen zu den von ihnen in Anspruch genommenen Bürgschaften zu beantworten. Dabei entfielen 700 Unternehmen auf die Bürgschafts-bank, d. h. hier wurde jedes zweite Unternehmen angeschrieben. Die verbleibenden 80 Unternehmen sind Empfänger der Landesbürgschaft im Mandat der PwC AG. Dies ent-spricht der Gesamtzahl der hier geförderten Unternehmen. Insgesamt haben an der Umfrage 121 Unternehmen teilgenommen, wobei 105 (86,6 %) auf die Bürgschaftsbank und 16 (13,4 %) auf Unternehmen, die am Landesbürgschafts-programm beteiligt waren, entfallen. Die Rücklaufquote beträgt damit insgesamt 15,5 %. Die Evaluierung erfolgt aufgrund eines Vergleichs von Daten im Jahr der Bürgschaftszu-sage mit Daten aus dem Geschäftsjahr 2006. Damit kann die Wirksamkeit der untersuch-ten Programme direkt untersucht werden. Im Durchschnitt liefen die Förderungen zum Zeitpunkt der Befragung 3,5 Jahre. Auf eine getrennte Darstellung der Ergebnisse wird aus zwei Gründen verzichtet: Zum einen ist der Anteil der Unternehmen am Landesbürg-schaftsprogramm zu gering. Zum anderen sollen die beiden Programme nicht gegenein-ander abgewogen werden, sondern die Effizienz von Bürgschaften in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt untersucht werden.

3. Deskriptive Analyse

Größe der Unternehmen und Beschäftigung Die befragten Unternehmen können überwiegend der Gruppe der kleinen und mittelstän-dischen Unternehmen zugeordnet werden. Sie sind in Land- und Forstwirtschaft (2,5 %), Tourismus (11,76 %), im produzierenden Gewerbe (30,25 %), Bau (5,9 %), Dienstleis-tungssektor (27,7 %), Handel (8,4 %), als Freiberufler (4,2 %) bzw. Handwerker (9,2 %) tätig und durchschnittlich 9,7 Jahre alt. Personengesellschaften wurden mit 56,9 % der Fälle nur geringfügig mehr als Kapitalgesellschaften (43,1 %) gefördert. Im Jahr der Bürgschaftszusage hatten 97,8 % der Unternehmen nicht mehr als 250 Mitarbeiter (n = 91). Im Geschäftsjahr 2006 sind es 97,3 %. Insgesamt zeigt sich bei der Entwicklung der Unternehmensgrößen, gemessen an der Anzahl der Beschäftigten, ein erfreulicher Trend. Während der Anteil der Kleinstunternehmen abgenommen hat, ist der Anteil der kleinen, mittleren und großen Unternehmen gestiegen. Das kann darauf hinweisen, dass die ge-förderten Unternehmen weitere Mitarbeiter eingestellt haben. Damit ist ein vorrangiges Ziel der Wachstumspolitik, nämlich Sicherung und Ausbau der Beschäftigung, erfolg-reich umgesetzt worden (vgl. Abbildung 4).

Wirksamkeit von Landesbürgschaften und Bürgschaftsbanken

ZögU 31. Jg. 4/2008 399

Abb. 4: Größenverteilung der befragten Unternehmen (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Darstellung

Die Betrachtung einzelner Kategorien von Beschäftigten zeigt ebenfalls durchweg einen positiven Trend. Während bei den befragten Unternehmen die Gesamtanzahl der Be-schäftigten um 24,8 % gestiegen ist, nahm die Zahl der Vollzeitbeschäftigten um 30 %, die Zahl der Teilzeitbeschäftigten um 21,6 % und die Zahl der Auszubildenden um 70 % zu.10 Teilzeitkräfte wurden in 15,2 % der Fälle in Vollzeitbeschäftigte umgewandelt. Auch die Qualifikation der beschäftigten Mitarbeiter hat sich verbessert. Besonders er-freulich ist hierbei, dass die Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern mehr Absolven-ten von Hochschulen, Fachhochschulen und Berufsakademien sowie Facharbeiter einstel-len. So wuchs die Anzahl der Absolventen von durchschnittlich 5,9 auf 8,7, also um 47,4 % (vgl. Tabelle 2). Bei den Facharbeitern nahm die Zahl von 17,6 auf 22,0, also um 25 %, zu. Dies könnte auch als ein Indiz für den Willen der Unternehmen angesehen wer-den, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Aber auch alle anderen Beschäftig-tenkategorien konnten Zuwächse verzeichnen.

10 Die Zahlen ergeben sich aus den berechneten Mittelwerten für die jeweiligen Beschäftigten im Jahr der Bürg-

schaftszusage und im Geschäftsjahr 2006. Dabei können insofern Verzerrungen auftreten, als in einigen Fällen lediglich Zahlen für das Jahr der Bürgschaftszusage vorliegen, wenn das Unternehmen erst 2006 gegründet wurde.

Jahr der Bürgschaftszusage

Geschäftsjahr 2006

Jahr der Bürgschaftszusage

Geschäftsjahr 2006

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30

40

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bis 10 Mitarbeiter mehr als 10 und wenigerals 50 Mitarbeiter

mehr als 50 Mitarbeiterund weniger als 250

Mitarbeiter

mehr als 250 Mitarbeiter

Doris Neuberger und Solvig Räthke-Döppner

400 ZögU 31. Jg. 4/2008

Jahr der Bürgschaftszusage

Geschäftsjahr 2006

Absolventen Universität, Fachhochschule, Berufsakademie 5,9 8,7 Facharbeiter 17,6 22,0 Ungelernte/Hilfsarbeiter 4,9 6,7 Mitarbeiter über 50 Jahre 7,5 7,7 Leiharbeiter 1,1 1,7 Andere 0,2 0,5

Tab. 2: Kategorien der Beschäftigten (Mittelwerte) Quelle: Eigene Darstellung

Bilanzielle Situation der Unternehmen Ein ebenso positives Bild ergibt sich, wenn die Bilanzen der befragten Unternehmen be-trachtet werden. Hier konnten die Unternehmen die Bilanzsumme durchschnittlich um 29,3 % erhöhen. Die durchschnittliche Eigenkapitalquote11 ist vom Jahr der Bürgschafts-zusage bis zum Geschäftsjahr 2006 von 27,1 % auf 32,4 % gestiegen. Das entspricht ei-nem Zuwachs von 19,5 %. Dabei ist die Verbesserung der Eigenkapitalposition der Un-ternehmen nicht auf Finanzierungsinstrumente wie Factoring, Leasing oder Mezzanine-Kapital zurückzuführen. Die Unternehmen gaben an, diese Instrumente gar nicht bis sehr selten zu nutzen. Vielmehr sehen die Unternehmer einen direkten Zusammenhang zwi-schen der Verbesserung ihres Betriebsergebnisses und der erhaltenen Bürgschaft. Der Umsatz der Unternehmen ist im betrachteten Zeitraum im Durchschnitt von 3.325,7 auf 4.391,2 Tsd. Euro, d. h. um 32,0 %, gestiegen. Dabei gaben ca. 75 % der Unternehmen an, den Umsatz wie geplant bzw. mehr als geplant gesteigert zu haben. Zudem gaben mehr als die Hälfte der Unternehmen an, den Umsatz außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns um mehr als 10 % gesteigert zu haben. Insgesamt konnten die Unterneh-men ihre finanzielle Situation somit deutlich verbessern. Bürgschaft und Kreditfinanzierung Diese Ergebnisse machen auch deutlich, welches Potenzial diese Unternehmen hatten. Viele hätten ohne die Zusage einer Bürgschaft keinen Kredit oder einen Kredit nur zu ungünstigeren Konditionen erhalten (vgl. Abbildung 5). Daraus kann auf eine große He-belwirkung der vergebenen Bürgschaften geschlossen werden. 11 Die Eigenkapitalquote wurde aus dem Verhältnis des durchschnittlichen Eigenkapitals zur durchschnittlichen

Bilanzsumme gebildet.

Wirksamkeit von Landesbürgschaften und Bürgschaftsbanken

ZögU 31. Jg. 4/2008 401

Ohne die Zusage einer Bürgschaft…

Abb. 5: Einfluss der Bürgschaft auf die Kreditfinanzierung (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Darstellung

Es zeigt sich, dass in nahezu der Hälfte der Fälle kein Kredit durch die entsprechende Bank gewährt worden wäre. Nur ca. 3 % der Unternehmen hätten ohne Bürgschaft einen Kredit zu den entsprechenden Konditionen erhalten. Mit Blick auf die oben vorgestellten Zahlen zur Wirtschaftskraft der Unternehmen ist die Bereitschaft der Bürgschaftsbank und des Landes, Risiken dieser Kredite zu tragen, besonders erwähnenswert, da nur so Kreditrationierung verhindert wurde. Für 71 % der befragten Unternehmen hat sich durch den Erhalt der Bürgschaft nach eigenen Angaben der Zugang zu Fremdkapital erleichtert. Allerdings geben die Unternehmen an, dass sich die Konditionen für die Aufnahme von Fremdkapital nicht verbessert haben (vgl. Abbildung 6).

2,6

16,2

8,6

23,1

49,6

0 10 20 30 40 50 60

…wäre der Kredit zu den gleichen Konditionen gewährtworden

…wäre der Umfang des Kredites geringer gewesen unddie Zinsen höher gewesen

…hätten höhere Zinsen gezahlt werden müssen

…wäre der Umfang des Kredites geringer gewesen

…hätten wir keinen Kredit erhalten

Doris Neuberger und Solvig Räthke-Döppner

402 ZögU 31. Jg. 4/2008

Abb. 6: Einfluss der Bürgschaft auf den Zugang zu Fremdkapital und die Kreditkondi-tionen (Angaben in Prozent)

Quelle: Eigene Darstellung

Die Höhe der verbürgten Kredite beträgt bezogen auf die gesamte Stichprobe durch-schnittlich 2.430 Tsd. Euro. Mit durchschnittlich 994 Tsd. Euro Bürgschaft tragen die Bürgschaftsbank und das Land ca. 41 % des Kreditrisikos.12 Sparkassen sind dabei in 43,9 % der Fälle die Hausbank, die sich am stärksten bei der Vermittlung von Bürgschaf-ten engagiert. Damit erfüllt die Sparkassen-Finanzgruppe einen wichtigen Beitrag im Rahmen ihrer Aufgabe als regionaler Förderer der Wirtschaft. Darauf folgen die privaten Banken (31,8 %) und die Volks- und Raiffeisenbanken (23,4 %). Es zeigt sich aber auch, dass die Kreditinstitute bei der Bekanntmachung von Bürgschaften am aktivsten sind. So haben 82,7 % der Unternehmen von einer Bank erfahren, dass sie sich für eine Bürg-schaft bewerben können. Alle anderen Vermittler, wie Steuerberater, Verbände, Kam-mern sowie die Bürgschaftsbank und PwC haben keinen Anteil an dieser Art der Bera-tung. Hier gibt es sicherlich noch weiteres Potenzial, da gezeigt werden konnte, dass von den Unternehmen, die eine Bürgschaft erhalten haben, positive Effekte auf Wachstum und Beschäftigung der Region ausgehen. Der verbürgte Kredit wurde von 64,5 % der Unternehmen für eine Investition verwendet. In der Mehrzahl handelte es sich hierbei um Anlageinvestitionen zur Errichtung einer neuen Betriebsstätte (47 %). Dieses Ergebnis macht noch einmal die Notwendigkeit sol-cher Programme deutlich. Insbesondere bei Existenzgründungen, bei denen Banken häu-fig nicht bereit sind, das Risiko allein zu tragen, helfen Bürgschaften des Landes und der Bürgschaftsbank, dass diese Investitionen dennoch zu Stande kommen. Neben der Unter-

12 Hier sei auf die Unterschiede der beiden Bürgschaftsgeber verwiesen. Die Bürgschaftsbank verbürgt im Durch-

schnitt Kredite in Höhe von 913 Tsd. Euro. Die Landesbürgschaften betragen im Durchschnitt 12.766 Tsd. Euro.

Verbesserter Zugang zu Fremdkapital

Verbesserung der Kreditkonditionen

70,9

29,1

0

10

20

30

40

50

60

70

80

ja nein

31,6

68,4

0

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20

30

40

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ja nein

Wirksamkeit von Landesbürgschaften und Bürgschaftsbanken

ZögU 31. Jg. 4/2008 403

stützung der Gründung werden die Investitionskredite vorrangig für Anlageinvestitionen bei Erweiterung einer bestehenden Betriebsstätte (27,3 %) und die Übernahme eines be-stehenden Betriebes (25,8 %) genutzt. Nur wenige Fälle nutzen den Kredit für eine Anla-geinvestition in eine bestehende Betriebsstätte (18,2 %) bzw. für eine grundlegende Ver-änderung im Unternehmen (9,1 %). Das durchschnittliche Investitionsvolumen beträgt dabei bezogen auf die gesamte Stichprobe 3.268 Tsd. Euro.13 Die Mittel werden an erster Stelle in Maschinen und Anlagen (85,1 %), Gebäude (55,2 %) und Grundstücke (34,3 %) investiert. Selten nutzen die Unternehmen die Kredite, um immaterielle Vermögensge-genstände zu erwerben (19,4 %). Die Rückzahlung des Kredites ist für einen Anteil von 84,6 % der befragten Unterneh-men kein nennenswertes Problem. Dies ist ein Indiz dafür, dass die begünstigten Unter-nehmen von PWC und der Bürgschaftsbank sorgfältig ausgewählt werden. Wettbewerb auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten Ein weiteres wichtiges Indiz, um die Wirksamkeit der Förderpolitik zu messen, ist das Wachstum der Unternehmen auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten. Neben der regi-onalen Nachfrage und der Binnennachfrage ist es wichtig, dass Waren international abge-setzt werden können. Dies ist für viele Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern häu-fig nicht gegeben, da hier viele Dienstleistungs- und Tourismusunternehmen am Markt agieren (siehe oben). Es zeigt sich allerdings, dass die Unternehmen im Durchschnitt auf allen nationalen und internationalen Märkten mit Ausnahme Mecklenburg-Vorpommerns wachsen konnten (vgl. Abbildung 7). Obwohl sich zwei Drittel der Unternehmen einem stärkeren Wettbewerb auf den Ab-satzmärkten ausgesetzt sehen, gaben 59 % der Unternehmen an, Marktanteile gewonnen zu haben. Den Grund für dieses Wachstum sehen die Unternehmen in der verbesserten Produktqualität (58,2 %) und innovativeren Produkten (54,6 %) im Vergleich zur Kon-kurrenz. Daneben spielen günstigere Konditionen gegenüber den Kunden (29,1 %), ver-besserte Produktionsprozesse (20,9 %) und kürzere Lieferzeiten (17,3 %) eine Rolle.

13 Dabei gibt es bei den beiden Bürgschaftsgebern erhebliche Unterschiede. Das Investitionsvolumen der Unter-

nehmen, die durch die Bürgschaftsbank finanziert werden, beträgt im Durchschnitt 789 Tsd. Euro. Das Investi-tionsvolumen bei Landesbürgschaften beträgt im Durchschnitt 34.257 Tsd. Euro.

Doris Neuberger und Solvig Räthke-Döppner

404 ZögU 31. Jg. 4/2008

Abb. 7: Wachstum auf den Absatzmärkten (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Darstellung

Als wichtigsten Beschaffungsmarkt nannten 87,2 % der Unternehmen Mecklenburg-Vorpommern mit einem Anteil von 46,8 %. Als weitere wichtige Quellen für Beschaf-fungsgüter sind das restliche Deutschland (80,7 %) mit einem (durchschnittlichen) Anteil von 44,7 % und mit Abstand die anderen westeuropäischen Länder genannt. Beschaf-fungsmärkte in Osteuropa, Asien oder den USA spielen nur eine untergeordnete Rolle (vgl. Abbildung 8).

Abb. 8: Beschaffungsmärkte und deren Anteil (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Darstellung

Jahr der Bürgschaftszusage

Geschäftsjahr 2006

Jahr der Bürgschaftszusage

Geschäftsjahr 2006

81,3

51,4

13,64,6 0,9 3,6 1,8

69,7

55,1

18,4

8,33,7 4,6 5

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Mecklenburg-Vorpommern

Deutschland Westeuropa Osteuropa USA Asien Sonstiges

Anteil

2,8

3,7

5,6

6,5

25

80,7

87,2

0 20 40 60 80 100

Sonstiges

Asien

USA

Osteuropa

Westeuropa

Deutschland

Mecklenburg-Vorpommern 46,8

44,7

4,5

0,6

0,2

0,9

1,0

Wirksamkeit von Landesbürgschaften und Bürgschaftsbanken

ZögU 31. Jg. 4/2008 405

Allerdings hat sich die Marktposition bei dem Großteil der befragten Unternehmen (51,4 %) durch die Bürgschaftszusage auf den Beschaffungsmärkten nicht verändert. Verbessern konnten ihre Marktposition immerhin 35,5 % der Unternehmen, während nur 13,1 % eine Verschlechterung empfinden. Nachhaltigkeit Neben all den erwähnten Aspekten ist die Frage nach der Nachhaltigkeit einer Investition in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion immer wichtiger geworden. Dabei spielen vor allem die Schonung der Ressourcen, die soziale Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und die Investition in Forschung und Entwicklung eine wichtige Rolle. Hier haben die Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern noch einigen Nachholbedarf (vgl. Abbildung 9).

Abb. 9: Nachhaltigkeit Quelle: Eigene Darstellung

Bei der Betrachtung dieser Werte zeigt sich vor allem die Notwendigkeit, stärker in For-schung und Entwicklung zu investieren. Allerdings muss hier auf die besondere Bran-chenstruktur Mecklenburg-Vorpommerns verwiesen werden, obwohl die Stichprobe selbst einen vergleichsweise hohen Anteil am produzierenden Gewerbe enthält.

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Wir schonen die Umwelt.

Wir sind uns unserer sozialenVerantwortung gegenüber

unseren Mitarbeiternbewusst.

Wir investieren in Forschungund Entwicklung.

Trifft zu Trifft nicht zu

Doris Neuberger und Solvig Räthke-Döppner

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IV. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Ziel der Untersuchung war, Bürgschaftsprogramme des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu evaluieren. Grundlage war eine Befragung bei 780 Unternehmen, die im Jahr 2007 durchgeführt wurde. Insgesamt konnte festgestellt werden, dass die Bürg-schaftsprogramme einen positiven Beitrag beim Aufbau der regionalen Wirtschaft leis-ten. Gemessen an dem Ziel dieser Programme, das Wachstum und die Beschäftigung in Mecklenburg-Vorpommern zu sichern und auszubauen, stellen sie ein Beispiel für erfolg-reich umgesetzte Wirtschaftspolitik dar. Sie erreichen die Unternehmen direkt und führen sofort zu sichtbaren Erfolgen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie entsprechen den theoretischen Erwartungen und empirischen Befunden anderer Studien zur wirtschaftli-chen Vorteilhaftigkeit staatlicher Bürgschaften und Bürgschaftsbanken. Auch wenn die volkswirtschaftlichen Vorteile für das Land Mecklenburg-Vorpommern auf der Grundla-ge unseres Datensatzes nicht quantifiziert werden können, sprechen unsere Befunde in Verbindung mit der Evidenz einer in Ostdeutschland besonders stark ausgeprägten Kre-ditrationierung kleiner Unternehmen für eine große Hebelwirkung dieses Finanzierungs-instruments in diesem Bundesland. Abstract Doris Neuberger and Solvig Räthke-Döppner; Effectiveness of Public Loan Guarantees and Guarantee Banks: an Empirical Study for Mecklenburg-Vorpommern collateral; credit rationing; financing of small and medium-sized enterprises; guarantee bank; guarantees; public loan Public loan guarantees and guarantee banks are important instruments to reduce credit rationing due to information asymmetries, and thus to ease the financing of small and medium-sized enterprises. The present paper examines the effectiveness of these meas-ures in the economically underdeveloped federal state of Mecklenburg-Vorpommern, based on a survey of assisted firms in 2007. We find positive effects on firm growth, em-ployment and financing, which are likely to have a large leverage on the economic growth in this region.

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Anke Raake, Ronald Gleich und Andreas Wald

408 ZögU 31. Jg. 4/2008

Anke Raake, Ronald Gleich und Andreas Wald

Anwendungsstand und Erfolgsfaktoren von Kennzahlen- und Performance Measurement-Systemen in öffentlichen Unternehmen – Ergebnisse einer Studie im Öffentlichen Personennahverkehr

Kennzahlensysteme; Neues Steuerungsmodell; New Public Management; Öffentlicher Personennahverkehr; öffentlicher Sektor; Performance Measurement Der Beitrag präsentiert die Ergebnisse einer empirischen Studie zu Kennzahlen- und Performance Measurement-Systemen in öffentlichen Unternehmen. Am Beispiel des Öf-fentlichen Personennahverkehrs werden der Verbreitungsgrad, die Ausgestaltung und die Erfolgswirkung von Performance Measurement-Systemen untersucht. Es zeigt sich, dass die Mehrzahl der Unternehmen nach wie vor keine Performance Measurement-Systeme einsetzt. Dort wo diese zur Anwendung kommen, hängt es von der konkreten Ausgestal-tung der Systemelemente ab, ob diese zur Zufriedenheit der Benutzer und zum Unterneh-menserfolg beitragen.

I. Einleitung

Unter dem Stichwort New Public Management (NPM) wurden in vielen Ländern Refor-men mit dem Ziel angestoßen, die Qualität, Effizienz und Effektivität der Produktion öf-fentlicher Güter zu erhöhen (Bräunig 1999, S. 43; Naschold/Bogumil 2000, S. 87). Auch das deutsche Neue Steuerungsmodell (NSM) weist in seinen Grundzügen viele Elemente des NPM auf (KGSt 1993), indem Marktmechanismen und betriebswirtschaftliche Kon-zepte in den öffentlichen Sektor integriert wurden (Schedler/Proeller 2003). Ein zentrales Element des NPM ist die Outputorientierung. Hier stehen der Kundennutzen und die Kosteneffizienz im Vordergrund und lösen die vormals eher juristisch definierte Dienst-leistungserbringung ab. Eine notwendige Voraussetzung für die Umsetzung des über Zielvereinbarungen getrie-benen Steuerungsmodells ist es, den Grad der Zielerfüllung sowie den dazu benötigten Ressourcenverbrauch zu messen. Im Zuge der Einführung des NSM wurden dazu Per-formance Measurement-Systeme in öffentlichen Unternehmen implementiert. Perfor-mance Measurement-Systemen wird das Potenzial beigemessen, die Strategieimplemen-tierung zu unterstützen, die Leistungstransparenz zu erhöhen und zur Effizienz- und Ef-fektivitätssteigerung beizutragen. Der überwiegende Teil der Performance Measurement-Konzepte wurde allerdings für die Privatwirtschaft entwickelt und ist in diesem Anwen-dungszusammenhang auch am weitesten erforscht. Aber auch für Privatunternehmen lie-gen wenig empirische Erfolgsnachweise vor (Chenhall 2005, S. 396). Im öffentlichen

Kennzahlen und Performance Measurement in öffentlichen Unternehmen

ZögU 31. Jg. 4/2008 409

Sektor ist jedoch selbst der Verbreitungsgrad des Performance Measurement bislang kaum untersucht worden. In diesem Zusammenhang ist es nicht nur von Interesse, ob Kennzahlen- und Performan-ce Measurement-Ansätze tatsächlich leistungssteigernd wirken, sondern auch, welche Ausprägungsformen die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit aufweisen. Die hier vorge-stellte Studie hat zum Ziel, zur Schließung dieser Forschungslücke beizutragen. Dazu werden folgende Leitfragen untersucht: – Wie verbreitet sind Kennzahlen- und Performance Measurement-Systeme in der

öffentlichen Unternehmenspraxis? – Wie wirken sich einzelne Gestaltungselemente von Kennzahlen- und Performance

Measurement-Systemen auf die Zufriedenheit der Unternehmen mit diesen Syste-men aus?

– Wie wirken sich einzelne Gestaltungselemente von Kennzahlen- und Performance Measurement-Systemen auf den Unternehmenserfolg aus?

Zur Beantwortung dieser Fragen wurde eine empirische Studie im Öffentlichen Perso-nennahverkehr (ÖPNV) durchgeführt. Diese Branche ist als Untersuchungsobjekt beson-ders geeignet, da der ÖPNV aufgrund von Liberalisierungsbemühungen und der daraus folgenden potenziellen Bedrohung für bestehende Unternehmen, insbesondere durch aus-ländische, private Konkurrenz, für den Einsatz effizienz- und effektivitätssteigernder Managementansätze prädestiniert ist. Wir gehen wie folgt vor: Im zweiten Abschnitt wird der Forschungsstand zum Verbrei-tungsgrad, der Ausgestaltung und zur Wirkung von Systemen des Performance Measu-rement aufgearbeitet und Hypothesen für die empirische Untersuchung werden abgelei-tet. Im dritten Abschnitt wird der ÖPNV vorgestellt und das Forschungsdesign erläutert. Darauf folgt die Präsentation der empirischen Ergebnisse. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion, inwiefern sich die gewonnenen Erkenntnisse auch auf andere Teilbranchen des öffentlichen Sektors übertragen lassen.

II. Hintergrund und Untersuchungshypothesen

1. Verbreitung kennzahlenbasierter Managementsysteme

Kennzahlensysteme werden seit Anfang des 20. Jahrhunderts zur Unternehmens-steuerung eingesetzt. Lange Zeit konzentrierten sich die Konzepte, wie beispielsweise das DuPont-Schema, das RL-Kennzahlensystem und der Shareholder Value-Ansatz, auf finanzielle Indikatoren (Sandt 2005, S. 430 ff.). In den 80er und frühen 90er Jahren kam jedoch zunehmend Kritik an den traditionellen Systemen auf, und als Antwort darauf ent-stand das Performance Measurement. Der Terminus steht für einen „konzeptionellen Neuanfang […] zur Unternehmenssteuerung“ (Gleich 2001, S. 11). Performance Measurement zeichnet sich vor allem durch eine Anbindung an die Unter-nehmensstrategie, den Einsatz auch nicht-finanzieller Messgrößen und eine generelle Zu-

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kunftsorientierung aus. Der Begriff des Kennzahlensystems setzt diese Eigenschaften nicht voraus und ist insofern weniger streng definiert. Man kann Performance Measure-ment-Systeme deshalb auch als Untermenge von Kennzahlensystemen betrachten. Die hier präsentierte empirische Studie schließt Kennzahlensysteme im weiteren Sinne mit ein. Ein prominentes Beispiel für einen Performance Measurement-Ansatz stellt die Balanced Scorecard von Kaplan und Norton (1996) dar. Bei diesem Konzept werden die aus der Strategie abgeleiteten Unternehmensziele in vier Perspektiven aufgeteilt und durch Kennzahlen operationalisiert (vgl. Abbildung 1). Besonderer Wert wird auf die Berück-sichtigung nicht-finanzieller Indikatoren bzw. „Vorsteuergrößen“ gelegt, die nicht die Ergebnisse bereits vergangener Entscheidungen reflektieren, sondern vielmehr zur Ein-schätzung der Entwicklungsmöglichkeiten und zur zukunftsgerichteten Unternehmens-steuerung geeignet sind. Idealiter werden die Zusammenhänge zwischen Zielen bzw. Kennzahlen in Form von Ursache-Wirkungs-Ketten in so genannten „Strategy Maps“ dargestellt. Jede Kennzahl wird zudem mit einem angestrebten Sollwert und mit Maß-nahmen zu dessen Erreichung ergänzt. Speckbacher u. a. (2003) stellten jedoch fest, dass in der Praxis oftmals nicht all diese Elemente umgesetzt werden.

Abb. 1: Grundaufbau der Balanced Scorecard Quelle: Eigene Darstellung angelehnt an Kaplan/Norton (1996, S. 9) In mehreren Studien wurde der Verbreitungsgrad von Kennzahlen- und Performance Measurement-Ansätzen erforscht (Marr 2005; Speckbacher u. a. 2003; Töpfer u. a. 2002; Grüning 2002). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der Praxis neben traditio-nellen Konzepten vor allem die Balanced Scorecard bekannt und weit verbreitet ist. Für

Ziele Zielwerte

Finanzielle Perspektive

Vision und

Strategie

Kennzahlen Maßnahmen

Ziele Zielwerte

Prozessperspektive

Kennzahlen Maßnahmen Ziele Zielwerte

Kundenperspektive

Kennzahlen Maßnahmen

Ziele Zielwerte

Lern- und Entwicklungsperspektive

Kennzahlen Maßnahmen

Kennzahlen und Performance Measurement in öffentlichen Unternehmen

ZögU 31. Jg. 4/2008 411

dieses Instrument wurden Anwendungsraten von bis zu 35 % ermittelt (Marr 2005, S. 646). Es ist allerdings zu konstatieren, dass sich die oben genannten Studien weitest-gehend auf den Privatsektor beschränkten. Ausnahmen stellen vereinzelte Fallstudien dar, die jedoch keine über den Fall hinausgehende Verallgemeinerung der Ergebnisse zulas-sen. So beschreiben beispielsweise Höflinger (2002) sowie Currle u. a. (2003) die Neu-gestaltung der strategischen Planung bei der Stuttgarter Straßenbahnen AG, in deren Rahmen auch die Balanced Scorecard eingeführt wurde. Auch die zunehmend auf den öffentlichen Sektor zielende Beraterbranche hat oft die Ein-führung von Performance Measurement-Systemen im Angebot – ein weiterer Grund, sich mit der Ausgestaltung und Erfolgswirkung der Systeme in diesem Bereich zu befassen. Für die vorliegende Untersuchung gilt daher die erste Forschungsfrage dem Verbrei-tungsgrad von Kennzahlen- und Performance Measurement-Systemen in öffentlichen Unternehmen. Unabhängig vom Gesamt-Verbreitungsgrad ist davon auszugehen, dass sich der Anteil von Systemanwendern zwischen großen und kleinen Organisationen deut-lich unterscheidet. Zum einen sinkt bei abnehmender Mitarbeiterzahl der Bedarf an for-malen Steuerungs- und Koordinationsinstrumenten (Moynihan/Ingraham 2004, S. 440 und 444). Bei kleinen Unternehmen ist das Management in der Regel direkt in das ge-samte Geschäftsgeschehen eingebunden und kann eine unmittelbare Lenkungs-, Kontroll- und Motivationsfunktion ausüben (Blankenburg 1999, S. 215). Zum anderen mangelt es kleinen Organisationen oftmals an personellen und zeitlichen Ressourcen, um neue In-strumente einzuführen sowie aktiv zu pflegen und zu nutzen (Moynihan/Ingraham 2004, S. 440; Blankenburg 1999, S. 215). Somit ist ein höherer Anwendungsgrad bei größeren Unternehmen zu erwarten. Diese Argumentation wird durch Ergebnisse von Studien un-terstützt, die eine stärkere Verbreitung von Kennzahlen- und Performance Measurement-Ansätzen in größeren Organisationen festgestellt haben (Blankenburg 1999; Moyni-han/Ingraham 2004; Speckbacher u. a. 2003; Gilles 2002; Hoque/James 2000).

2. Auswirkungen kennzahlenbasierter Managementsysteme und derer Gestaltungselemente

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Erfolgsträchtigkeit kennzahlenbasierter Konzepte von deren konkreter Ausgestaltung abhängt. Die zentrale Frage dabei ist, wel-che einzelnen Elemente sich unter welchen Umständen positiv auf den Unternehmenser-folg und die Zufriedenheit der Unternehmen auswirken. Damit sind die zweite For-schungsfrage (Wirkung auf die Zufriedenheit) und die dritte Forschungsfrage (Wirkung auf den Unternehmenserfolg) spezifiziert. In der Literatur zu kennzahlenbasierten Steuerungsinstrumenten finden sich eine Reihe von Gestaltungsempfehlungen, bei deren Berücksichtigung von einer postiven Wirkung auf die Zufriedenheit und den Unternehmenserfolg ausgegangen werden kann. So wird dazu geraten, Ziele und Indikatoren in Form von Kausalketten darzustellen, um die stra-tegischen Grundlagen besser nachvollziehbar und kommunizierbar zu machen und funk-tionsübergreifendes Denken zu fördern (Horváth&Partner 2001, S. 180; Kaplan/Norton

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2004). Ferner gelten konkrete Sollwerte und Maßnahmenpläne als hilfreich, um die Mo-tivation der Verantwortlichen zu erhöhen und die Handlungen im Unternehmen effektiv auf die Zielerreichung auszurichten (Kaplan/Norton 1996, S. 224 ff.). Werden die Ziele zusätzlich an die finanziellen und nicht-finanziellen Anreizsysteme der Organisation an-gebunden, ist von einer weiteren Steigerung der Mitarbeitermotivation auszugehen (Be-cker u. a. 2005, S. 33 ff.). Überdies wird ein regelmäßiges Überprüfen der Ziele und Indikatoren gefordert. Gründe für Anpassungsbedarf können beispielsweise Strategie- oder Organisationsänderungen, steigendes Manipulationspotenzial durch Mitarbeiter, Modifikationen der Rechnungs-wesensysteme und -techniken sowie IT-technische Veränderungen sein (Gleich 2001, S. 251 ff.). Zudem wird eine Stärke der moderneren Konzepte – neben der Anbindung an die Unternehmensstrategie und dem verstärkten Einsatz nicht-finanzieller Kennzahlen – gerade darin gesehen, sich nicht auf die höchste Leitungsebene zu beschränken, sondern verschiedene Unternehmensebenen gleichzeitig zu steuern und inhaltliche Zusammen-hänge durch Kausalmodelle zu verdeutlichen (Gleich 2001, S. 216). Neben diesen generischen Gestaltungsempfehlungen lassen sich weitere Elemente identi-fizieren, die speziell für öffentliche Unternehmen relevant sind. Hier hat insbesondere die Stakeholderkonstellation im öffentlichen Sektor Implikationen für die Ausgestaltung kennzahlenbasierter Konzepte. Als eines der bedeutsamsten Charakteristika öffentlicher Unternehmen ist die Einflussnahme multipler Prinzipale zu nennen, die teilweise konflik-täre Interessen vertreten und sich im Sinne nicht-kooperativer Spieler verhalten können (Dixit 2002, S. 709). Öffentliche Unternehmen bedienen nicht nur eine einzige Kunden-ebene, sondern müssen den Ansprüchen sowohl von „Upstream Customers“ (öffentlichen Geldgebern) als auch „Downstream Customers“ (Konsumenten) gerecht werden (Moore 2003, S. 8 f.). Auch werden öffentliche Organisationen nach vorherrschender Meinung in der Literatur u. a. stärker von Gesellschaft und Politik beeinflusst als private (Boyne 2002, S. 100). Die generelle Forderung, Stakeholder sorgfältig zu identifizieren und aus-reichend in Kennzahlen- und Performance Measurement-Systemen zu berücksichtigen (Klingebiel 2000, S. 150 ff.), ist für öffentliche Unternehmen daher von besonderer Rele-vanz. Darüber hinaus wird im öffentlichen Kontext der Einsatz von Kennzahlen- und Per-formance Measurement-Systemen auch zur Kommunikation mit externen Anspruchs-gruppen, wie z. B. Bürgern einer Kommune, angeregt (Horváth&Partner 2001, S. 384 f.). Als weiteres Spezifikum fehlt im öffentlichen Sektor die Gewinnmaximierung als klar übergeordnete Zielstellung. Schwer definier- und messbare, gesellschaftliche Sach- und Gemeinwohlziele sind von erheblich größerer Bedeutung als in der Privatwirtschaft (Eichhorn 2005, S. 187). Manager im öffentlichen Bereich umgehen die daraus resultie-renden Messprobleme häufig, indem sie eher Inputs, Prozesse und Arbeitsaufwand als Outcomes und Impacts, d. h. den Nutzen der erbrachten Leistung, messen (Chun u. a. 2005, S. 5). Gleichzeitig wird jedoch im Kontext des Performance Measurement vor der Vernachlässigung schwer messbarer Output- und Outcome-Ziele gewarnt (Fitzgerald u. a. 1991, S. 6; Moore 2003, S. 11). Aufgrund der Vielzahl der Zielsetzungen, die öffent-liche Unternehmen verfolgen, wird außerdem dazu geraten, die Anzahl der in Kennzah-

Kennzahlen und Performance Measurement in öffentlichen Unternehmen

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len- und Performance Measurement-Systemen eingesetzten Messgrößen nicht zu stark einzuschränken (Moore 2003, S. 14). Die geringere Zielklarheit im öffentlichen Sektor birgt überdies die Gefahr, dass Mitar-beiter ihren eigenen Beitrag zum Unternehmenserfolg schlecht nachvollziehen können und deshalb unterschätzen, welchen Beitrag sie persönlich für die Organisation leisten. Gleichzeitig wird jedoch das Gefühl, eine für das Unternehmen bedeutende Leistung zu erbringen, als maßgeblich für das Commitment und die Arbeitszufriedenheit angesehen (Buchanan 1974, S. 340 ff.). Kennzahlen- und Performance Measurement-Systeme kön-nen hier an zwei Stellen greifen. Zum einen bergen sie, wie oben bereits dargestellt, das Potenzial, z. B. mittels Ursache-Wirkungs-Darstellungen die Unternehmensziele zu ver-deutlichen und Einflussfaktoren und -zusammenhänge deutlich zu machen. Zum anderen dürfte der Einbezug der späteren Anwender in der Konzeptionsphase nicht nur hilfreich sein, um deren Wissen und Erfahrung einzubringen, sondern ebenso, um ein Gefühl der Wertschätzung und Wichtigkeit bei den Mitarbeitern zu fördern. Auch Nicht-Anwender sollten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, sondern zumindest umfassend informiert werden. Die in diesem Abschnitt gemachten Ausführungen lassen sich zu zwei Hypothesen zu-sammenfassen. Hypothese 1: Die Zufriedenheit der Unternehmen mit den Kennzahlen- und Performance Measurement-Systemen hängt von der konkreten Ausgestaltung der Systeme ab. Hypothese 2: Der Einfluss von Kennzahlen- und Performance Measurement-Systemen auf den Unternehmenserfolg hängt von der konkreten Ausgestaltung der Systeme ab. Dabei werden sowohl für Hypothese 1 als auch für Hypothese 2 folgende positive Ein-flussfaktoren postuliert: – Anbindung an die Unternehmensstrategie – Regelmäßige und außerplanmäßige Anpassung des Systems – Implementierung auf mehreren Unternehmensebenen – Beteiligung der Anwender an der Konzeption – Umfassende Information der Nicht-Anwender – Hoher Anteil an nicht-finanziellen und Output-/Outcome-Kennzahlen – Berücksichtigung relevanter Stakeholder im System – Einsatz des Systems zur Kommunikation mit externen Stakeholdern – Anbindung an finanzielle und nicht-finanzielle Anreizsysteme – Integration von Zielwerten und Maßnahmen – Einsatz von Kausalmodellen – Hohe Kennzahlenanzahl

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III. Empirische Untersuchung

1. Öffentlicher Personennahverkehr als Beispielbranche

Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) mit Bussen, Straßen-/Stadt- und U-Bahnen wurde aus mehreren Gründen ausgewählt. Zum einen erfüllt der ÖPNV die wesentlichen Kriterien der vorherrschenden Definitionen des öffentlichen Sektors. So befinden sich die Unternehmen zum überwiegenden Teil in öffentlichem (74-75 %) oder gemischtwirt-schaftlichem (18 %) Eigentum (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen 2006, S. 43) und entsprechen somit dem institutionellen Öffentlichkeitsbegriff (Eichhorn 2001, S. 29 f.). Sie handeln im öffentlichen Auftrag bzw. Interesse und gelten damit auch aus funktionaler Sicht als öffentlich (Eichhorn 2001, S. 24). Zudem werden die Unternehmen des ÖPNVs politisch beeinflusst und bei einem Kostendeckungsgrad laut VDV von 71,9 % in den alten und 65,6 % in den neuen Bundesländern (Verband Deutscher Ver-kehrsunternehmen 2006, S. 30) öffentlich bezuschusst (Bozeman 1987, S. 111). Unter Herausrechnung aller Erträge mit Verlustausgleichscharakter ist sogar von noch wesent-lich geringeren Kostendeckungsgraden auszugehen. Das Umweltbundesamt beispiels-weise spricht davon, dass öffentliche Zuschüsse zwei Drittel der Einnahmen im ÖPNV ausmachen (Bölke u. a. 2003, S. 11). Zum anderen sind ÖPNV-Dienstleister mit Herausforderungen konfrontiert, die sie für die Einführung von Kennzahlen- und insbesondere auch Performance Measurement-Systemen prädestinieren. Der generelle Druck zur Senkung des Subventionsbedarfs wur-de dabei in den letzten Jahren vor allem durch Liberalisierungsbemühungen der Europäi-schen Union und die mögliche Einführung von Wettbewerb verschärft. Erfahrungen aus anderen EU-Ländern zeigen, dass ausländische ÖPNV-Unternehmen die Liberalisierung dazu nutzen, in neue Märkte einzutreten und ihren Aktionsradius zu erweitern (Europäi-sche Kommission 2005, S. 8; Europäische Kommission 2000, S. 4). Auch in Deutschland sind bereits entsprechende Bemühungen ausländischer Anbieter zu beobachten, bei-spielsweise in Form der Ausdehnung von Verkehrsgebieten in Grenzregionen, durch Übernahmen deutscher ÖPNV-Unternehmen oder durch die direkte Teilnahme an Aus-schreibungswettbewerben (Christmann 2004, S. 220). Insbesondere für die kommunalen deutschen ÖPNV-Unternehmen birgt dies Gefahren. Trotz bereits erzielter Restruktu-rierungserfolge kann ein Großteil von ihnen angesichts potenzieller privater Konkurrenz noch nicht als wettbewerbsfähig bezeichnet werden (Achenbach 2002, S. 2). Eine deutli-che Effizienz- und Effektivitätssteigerung sowie sie Kennzahlen- und Performance Mea-surement-Systeme unterstützen, wird deshalb zu einem zentralen Ziel.

Kennzahlen und Performance Measurement in öffentlichen Unternehmen

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2. Forschungsdesign

Die Untersuchung basiert auf einer schriftlichen Befragung mit standardisierten Fragebö-gen in deutschen Unternehmen des ÖPNV. Der eingesetzte Fragebogen wurde mehreren Pre-Tests mit ÖPNV-Managern unterzogen. Die Grundgesamtheit stellen sämtliche Bus-, Straßen-/Stadt- und U-Bahn-Verkehrsdienstleister mit mehr als 100 Mitarbeitern dar. Anhand von Dokumenten des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen wurden 154 Unternehmen identifiziert, die diesem Kriterium entsprachen. Alle Unternehmen wurden vorab in einem Telefonat auf die Umfrage hingewiesen und um ihre Teilnahme gebeten. Zielgruppe waren diejenigen Mitarbeiter, die zum Kennzahlensystem am auskunftsfä-higsten waren. Dabei handelte es sich z. B. um Vorstände, Leiter des Controlling bzw. der Unternehmensentwicklung und Prokuristen. Die Versendung des Fragebogens an die entsprechenden Ansprechpartner erfolgte im direkten Anschluss an die Telefonate per E-Mail. Nach drei Wochen wurde eine E-Mail-Erinnerung, nochmals mit dem Fragebo-gen im Anhang, versandt. Insgesamt antworteten 79 Unternehmen. Dies entspricht einer sehr hohen Rücklaufquote von 51,3 %. Unterschiede in der Kennzahlenanwendung zwi-schen Early Respondern, die vor Erhalt der Erinnerungsmail antworteten, und Late Respondern, die dies erst im Anschluss taten, liegen nicht vor. Auch die Erfahrungen aus den Telefonanrufen sprechen gegen einen Non Response-Error; Nichtteilnahme an der Untersuchung wurde in der Regel mit zu wenig Zeit, eingeschränkten Personalkapazitä-ten oder einer grundsätzlichen Ablehnung von Fragebogenaktionen begründet. Die unabhängigen Variablen zur Existenz von Kennzahlen- und Performance Measure-ment-Systemen sowie zu den einzelnen Gestaltungsfaktoren wurden im Fragebogen, so-fern es sich nicht um binäre Variablen („vorhanden“ vs. „nicht vorhanden“) handelte, mittels sechsstufiger Skalen (von „gar nicht“ bis „vollkommen“) erhoben. Die Fragen zur Anzahl der eingesetzten Kennzahlen, zur Anzahl der Implementierungsebenen sowie zur Anpassungsfrequenz wurden halboffen mit vorgegebenen Kategorien (z. B. „monatlich“, „halbjährlich“, „jährlich“) und einer offenen Antwortmöglichkeit formuliert. Die Zufriedenheit mit den Kennzahlen- und Performance Measurement-Systemen als abhängige Variable wurde mit einer Einschätzung der Umfrageteilnehmer auf einer sechsstufigen Skala (von „gar nicht“ bis „vollkommen“) erhoben. Sie bezieht sich auf die Unternehmen als Ganzes und drückt aus, inwiefern die in die Systeme gesetzten Erwar-tungen insgesamt erfüllt werden. Für den Unternehmenserfolg als zweites Explanandum wurden mehrere Variablen be-rücksichtigt. Da, wie bereits angesprochen, die Ziele öffentlicher Organisationen deutlich von denjenigen im privaten Sektor abweichen und mehrdimensionaler Natur sind, konn-ten in der vorliegenden Untersuchung übliche Erfolgsgrößen wie Gewinn oder Umsatz-wachstum keine Anwendung finden. Stattdessen basiert die Erfolgsbeurteilung auf den Vorschlägen von Karlaftis und McCarthy (1997). Diese hatten die Unternehmensdaten U.S.-amerikanischer ÖPNV-Dienstleister untersucht, um eine begrenzte Anzahl von Att-ributen zu identifizieren, die den Erfolg im ÖPNV beschreiben. Faktorenanalytische Me-thoden führten zu einer Auswahl von acht Variablen. Auf Grundlage dieser Ergebnisse

Anke Raake, Ronald Gleich und Andreas Wald

416 ZögU 31. Jg. 4/2008

flossen in die eigene Untersuchung ein: a) Erträge1/Aufwendungen, b) Fahrgäste/Auf-wendungen, c) Fahrgäste/Einwohner, d) Fahrgäste/Fahrzeuge, e) Fahrgäste/Platzkilo-meter, f) Platzkilometer/Mitarbeiter, g) Nutzwagenkilometer/Fahrzeuge und h) Platzkilo-meter/Aufwendungen. Die Variablen a) und b) messen dabei die „Overall Performance“, die Variablen c) bis e) die Effektivität und die Variablen g) und h) die Effizienz der Un-ternehmung (Karlaftis und McCarthy 1997). Im Anhang ist der Fragebogen abgedruckt. Daraus wir im Detail ersichtlich, welches Skalenniveau den einzelnen Variablen zugrun-de liegt. Die in der Studie von Karlaftis und McCarthy vorgenommene faktoranalytische Redukti-on von acht Variablen auf drei Faktoren (Effizienz, Effektivität und Gesamterfolg) ließ sich mit den in dieser Studie erhobenen Daten nicht replizieren. Deshalb wird bei den Regressionsanalysen auf eine entsprechende Verdichtung verzichtet, und die acht Variab-len werden einzeln als Regressanden eingesetzt.

3. Ergebnisse

a) Verbreitung von Kennzahlen- und Performance Measurement-Systemen

Insgesamt dominieren mit 54 % die ÖPNV-Dienstleister ohne Performance Measure-ment- oder Kennzahlensystem. Darüber hinaus sind selbst entwickelte Ansätze mit 33 % doppelt so häufig implementiert wie die Balanced Scorecard (16 %).2 Nur ein Unterneh-men setzt ein anderes, extern entwickeltes Konzept ein. Damit lässt sich für den deut-schen ÖPNV-Markt konstatieren, dass sich der Ansatz von Kaplan und Norton als extern erarbeitetes Konzept in der Praxis etablieren konnte, ohne aber den Verbreitungsgrad selbst entwickelter Systeme bisher auch nur annähernd erreicht zu haben. Ein Mittelwert-vergleich (t-test) zwischen Unternehmen mit Kennzahlensystemen und Unternehmen oh-ne Kennzahlensysteme zeigte einen signifikant höheren Wert der Erfolgsvariable „Platz-kilometer/Mitarbeiter“ bei Anwenderunternehmen (Mittelwert 2,54 Mio. vs. 1,97 Mio. bei Nichtanwendern; Signifkanz bei gleichen Varianzen 0,069). Dies ist ein erster Hin-weis darauf, dass Kennzahlensysteme tatsächlich erfolgssteigernd wirken können. Dass bei den anderen Variablen keine signifikanten Unterschiede gefunden wurden lässt sich u. a. darauf zurückführen, dass nicht an sich schon die Existenz eines Kennzahlensys-tems, sondern maßgeblich dessen Ausgestaltung für die Erfolgswirksamkeit ursächlich ist. Deutliche Unterschiede in der Anwendung bestehen zwischen kleinen und großen Unter-nehmen. Der Anteil der Organisationen, die kein Kennzahlen- oder Performance Measu-rement-System einsetzen, ist bei ÖPNV-Dienstleistern mit weniger als 1.000 Mitarbeitern wesentlich höher (63 %) als bei größerer Beschäftigtenzahl (20 %). Dies stützt die zuvor

1 Ohne Verlustausgleiche oder Erträge mit Verlustausgleichscharakter. 2 Summe über 100 % aufgrund von Mehrfachnennungen.

Kennzahlen und Performance Measurement in öffentlichen Unternehmen

ZögU 31. Jg. 4/2008 417

beschriebene Erwartung, dass große Organisationen Kennzahlen- und Performance Mea-surement-Konzepte eher implementieren als kleine. Ferner ist zu konstatieren, dass Kennzahlenansätze bei kleineren Unternehmen seltener der strengeren Definition des Performance Measurement standhalten. Nur in 58 % der kleineren Unternehmen, die Kennzahlenkonzepte einsetzen, sind diese an die Strategie angebunden, enthalten auch nicht-finanzielle Indikatoren und werden nach einer bestimmten Zeit überarbeitet. Da-hingegen ist dies bei 92 % der Großunternehmen der Fall. Interessant ist überdies ein Vergleich speziell der Balanced Scorecard-Verbreitungsgrade in den ÖPNV-Märkten Deutschlands und der USA. In einer separaten Umfrage war fest-gestellt worden, dass die Balanced Scorecard nur in 11 % der großen U.S.-amerikan-ischen ÖPNV-Organisationen angewendet wird (Raake u. a. 2007). Aufgrund des Ur-sprungs des Konzepts in den USA und der zeitlichen Verzögerung bei der Veröffentli-chung in deutscher Sprache wäre ein geringerer Anwendungsgrad in Deutschland nicht überraschend gewesen. Stattdessen hat die vorliegende Untersuchung ergeben, dass die Verbreitung bei deutschen Großunternehmen mit 47 % wesentlich höher ist. Eine mögli-che Erklärung hierfür besteht darin, dass die Liberalisierung – die im deutschen, nicht aber im amerikanischen Markt ein Thema ist – die Notwendigkeit zur Effizienz- und Ef-fektivitätssteigerung erhöht und den Implementierungsgrad der Balanced Scorecard posi-tiv beeinflusst.

b) Auswirkungen verschiedener Systemausprägungen auf Zufriedenheit und Unternehmenserfolg

Die in den Hypothesen 1 und 2 postulierten Auswirkungen einzelner Gestaltungselemen-te auf die Zufriedenheit der Unternehmen und auf den Unternehmenserfolg wurden mit Regressionsmodellen (OLS) überprüft. Zusätzlich zu den potenziellen Erfolgsfaktoren wurden Kontrollvariablen in den Modellen berücksichtigt. Bei der Zufriedenheit wurde dazu die Anzahl der Mitarbeiter im Unternehmen herangezogen, um mögliche Größenef-fekte zu kontrollieren. Beim Unternehmenserfolg wurden überdies die eingesetzten Modi (reine Busunternehmen vs. integrierte Bus- und Straßen-/U-Bahn-Unternehmen) hinzuge-fügt, da diese unterschiedliche Produktions- und Kostenstrukturen nach sich ziehen und somit die Erfolgskennzahlen beeinflussen könnten. Die Mittelwerte (M), Standardabwei-chungen (SD) und bivariaten Korrelationskoeffizienten der abhängigen und unabhängi-gen Variablen sowie der Kontrollvariablen sind in Tabelle 1 dargestellt. Variablen, die in den späteren Regressionsanalysen zu keinen signifikanten Ergebnissen führten, sind aus Platzgründen in der Tabelle nicht enthalten. Zwischen den hypothetischen Erfolgsfakto-ren und den abhängigen Variablen sind neun, zwischen den Kontrollgrößen und den ab-hängigen Variablen vier signifikante Korrelationen zu beobachten.

Anke Raake, Ronald Gleich und Andreas Wald

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M SD 1 2 3 4 5 6 7 8 91 Strategieanbindung 0,69 0,47

2 Anpassungsfrequenz planm. 3,05 4,03 -0,0364

3 Außerplanm. Anpassung 0,86 0,35 0,0823 -0,1621

4 Anzahl Ebenen 2,42 1,13 0,3561** -0,0161 0,006

5 Information Nicht-Nutzer 2,2 1,39 0,3237* 0,3305* -0,0596 0,4254**

6 Anteil Output-/Outcome-Kennzahlen 2,22 0,76 -0,2861* 0,0063 0,0119 -0,144 0,1004

7 Kommunikation mit Externen 0,78 0,42 -0,0645 0,1033 -0,0215 -0,04 0,0209 -0,0198

8 Anbindung finanzieller Belohnung 1,19 1,51 0,2083 -0,2898* -0,2175 0,1019 0,0913 -0,1135 0,1148

9 Anbindung nicht-finanzieller Belohnung 1,14 1,06 0,2102 0,0061 -0,0223 0,3597** 0,3459** -0,0771 0,2732 0,0725

10 Zielwerte und Maßnahmen 0,89 0,32 0,3371** -0,0099 0,11 0,2034 0,262 0,2264 0,0183 0,115 -0,0584

11 Kausalmodelle 0,37 0,49 0,3553** -0,1 -0,2814 -0,2395 0,0841 -0,0757 -0,1448 0,2272 -0,0645

12 Anteil nicht-finanzieller Kennzahlen 1,75 0,69 0,0221 0,1879 -0,0294 0,1004 0,266 0,4347*** -0,2939* -0,1164 -0,1074

13 Stakeholder-Unterberücksichtigung 0,96 0,63 -0,3503** -0,0499 0,0864 -0,3641** -0,3289* 0,0155 -0,2279 0,0483 -0,3111*

14 Beteiligung Nutzer 3,39 1,18 0,1183 0,0488 -0,0038 0,0894 0,1203 -0,0355 0,0639 0,1331 0,0266

15 Anzahl Kennzahlen 2,37 1,31 0,035 -0,0482 -0,2624 -0,1193 -0,1245 -0,1014 0,104 0,0894 0,0901

16 Unternehmensgröße 1247 1706 0,2859* -0,09 -0,3796** 0,0091 0,1062 -0,0802 -0,2721 0,4177** -0,183

17 Modi 0,53 0,51 0,2181 -0,0435 -0,0581 0,0541 0,0585 -0,0165 -0,2379 0,2733 -0,094

18Zufriedenheit mit dem Kennzahlensystem

3,2 1,02 0,0122 -0,0799 -0,1619 0,2008 0,1546 -0,1343 0,3825** 0,1803 0,2438

19 Fahrgäste/Fahrzeuge 202656 129826 0,1939 -0,2719 0,0085 0,1242 0,1062 0,0387 -0,4946*** 0,2653 -0,1987

20 Nutzwagenkilometer/ Fahrzeuge 54612 18643 0,1887 -0,2043 -0,0988 0,1785 0,115 0 -0,4925*** 0,3194* -0,201

10 11 12 13 14 15 16 17 18 191 Strategieanbindung2 Anpassungsfrequenz planm.3 Außerplanm. Anpassung4 Anzahl Ebenen5 Information Nicht-Nutzer

6 Anteil Output-/Outcome-Kennzahlen

7 Kommunikation mit Externen8 Anbindung finanzieller Belohnung

9 Anbindung nicht-finanzieller Belohnung

10 Zielwerte und Maßnahmen11 Kausalmodelle 0,2448

12 Anteil nicht-finanzieller Kennzahlen 0,1729 -0,1765

13 Stakeholder-Unterberücksichtigung -0,1658 -0,1171 -0,0199

14 Beteiligung Nutzer 0,1222 0,3615** -0,1227 -0,0425

15 Anzahl Kennzahlen -0,0186 0,2977* -0,2944* 0,2053 0,2004

16 Unternehmensgröße 0,1723 0,3576 0,1221 -0,0071 0,1285 0,4748***

17 Modi 0,0309 0,2306 0,0612 0,06 0,2688 0,0139 0,5414***

18Zufriedenheit mit dem Kennzahlensystem

0,1536 0,1143 -0,2954* -0,3133* 0,3960** 0,4094** 0,1841 -0,1592

19 Fahrgäste/Fahrzeuge 0,2555 0,3550** 0,196 0,01 0,3176 -0,0657 0,5488*** 0,7778*** -0,0359

20 Nutzwagenkilometer/ Fahrzeuge 0,2449 0,2386 0,1606 0,0583 0,2061 0,0117 0,6841*** 0,5570*** 0,06 0,7961***

* p<0,1 ** p<0,05 *** p<0,01

Tab. 1: Korrelationsmatrix Quelle: Eigene Darstellung

Tabelle 2 beinhaltet das Ergebnis des multiplen Regressionsmodells, bei dem die Zufrie-denheit mit dem Kennzahlensystem (Hypothese 1) als abhängige Variable herangezogen wurde. In einem ersten Schritt wurden nur die postulierten Erfolgsfaktoren als Regresso-ren eingesetzt (Modell M1a). Hier ergab sich ein hochsignifikantes korrigiertes Ergebnis (R2=0,588). Im Einzelnen bewegten sich der Einsatz von Zielwerten und Maßnahmen, die Anwendung von Ursache-Wirkungs-Darstellungen, der Anteil nicht-finanzieller Kennzahlen, die Unterberücksichtigung der Stakeholder, die Beteiligung der Nutzer an der Konzeption und die Anzahl der Kennzahlen auf höchster Unternehmensebene inner-

Kennzahlen und Performance Measurement in öffentlichen Unternehmen

ZögU 31. Jg. 4/2008 419

halb des 10 %-Signifikanzniveaus. In einem zweiten Schritt wurde die Kontrollvariable hinzugefügt (Modell M1b). Das Gesamtmodell blieb daraufhin signifikant. Sowohl die Signifikanzen des Einsatzes von Zielwerten und Maßnahmen als auch der Kausalmodelle fielen jedoch weg, so dass davon ausgegangen werden muss, dass der zuvor festgestellte Einfluss durch Größeneffekte verzerrt war und nicht der Realität entspricht. Mit dem Ziel, Overfitting zu vermeiden, wurden anschließend alle Regressoren ohne signifikanten Erklärungsgehalt aus dem Modell entfernt (Modell M1c). Dabei erwies sich auch der An-teil nicht-finanzieller Kennzahlen als insignifikant.

Tab. 2: Regressionsmodell zur Zufriedenheit Quelle: Eigene Darstellung

Das endgültige Modell ist in Tabelle 2 in Spalte M1d dargestellt. Als unabhängige Vari-ablen enthält es die Anzahl der Kennzahlen auf höchster Betrachtungsebene, die durch-schnittliche Unterberücksichtigung der Stakeholder sowie den Grad, zu dem die Nutzer des Performance Measurement- bzw. Kennzahlensystems an dessen Konzeption und Weiterentwicklung beteiligt waren. Wird das Modell mit diesen Regressoren aufgebaut, wird ein hochsignifikantes Ergebnis erzielt (p<0,001; F=13,8; df1=3; df2=29). Die Null-hypothese wird damit verworfen und Hypothese 1 beibehalten. Das korrigierte R2 beträgt 0,546. In anderen Worten wird mehr als die Hälfte der Varianz erklärt, so dass von einer sehr guten Anpassung der Regressionsfunktion an die empirischen Daten gesprochen werden kann (Backhaus u. a. 2006, S. 450). Anhaltspunkte für eine Verletzung der Mo-dellprämissen wurden nicht gefunden. Die Tests auf Multikollinearität, Heteroskedastizi-tät, Nicht-Normalverteilung der Fehlervariablen und Nicht-Linearität waren unauffällig.

Unabhängige VariablenStrategieanbindung -0,089 -0,012Anpassungsfrequenz planmäßig -0,244 -0,237Außerplanmäßige Anpassung -0,039 -0,066Anzahl Ebenen 0,022 0,06Information Nicht-Nutzer -0,048 -0,068Anteil Output-/Outcome-Kennzahlen 0,184 0,156Kommunikation mit Externen -0,066 -0,142Anbindung finanzieller Belohnung 0,102 0,115Anbindung nicht-finanzieller Belohnung -0,056 -0,072Zielwerte und Maßnahmen 0,302 * 0,137Kausalmodelle -0,493 ** -0,515Anteil nicht-finanzieller Kennzahlen -0,31 * -0,351 * -0,173Stakeholder-Unterberücksichtigung -0,72 *** -0,679 * -0,283 ** -0,292 **Beteiligung Nutzer 0,556 *** 0,588 *** 0,504 *** 0,527 ***Anzahl Kennzahlen 0,627 *** 0,759 ** 0,361 *** 0,409 ***KontrollvariablenUnternehmensgröße -0,128

Gesamtmodell (korr. R 2) 0,588 *** 0,413 * 0,56 *** 0,546 ***stand. Beta

* p<0,1 ** p<0,05 *** p<0,01

Abhängige Variable:Zufriedenheit mit dem Kennzahlensystem

M1a M1b M1c M1d

Anke Raake, Ronald Gleich und Andreas Wald

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Die einflussreichste Variable (Beta=0,527) stellt die Beteiligung der Nutzer an der Kon-zeption des jeweiligen Systems dar. Einen ebenfalls positiven Einfluss (Beta=0,409) hat die Anzahl der auf höchster Unternehmensebene eingesetzten Kennzahlen. Eine negative Wirkung auf die Zufriedenheit ist hingegen für die durchschnittliche Unterberücksichti-gung von Stakeholdern festzustellen (Beta=-0,292). Alle Regressoren weisen ein hohes Signifikanzniveau auf (p<0,001; p=0,003; p=0,023). Zur Überprüfung der zweiten Hypothese wurden alle acht Erfolgsgrößen einzeln als ab-hängige Variablen untersucht. In sechs Fällen (Erträge/Aufwendungen, Fahrgäste/Auf-wendungen, Fahrgäste/Einwohner, Fahrgäste/Platzkilometer, Platzkilometer/Mitarbeiter, Platzkilometer/Aufwendungen) konnte kein signifikantes Ergebnis erzielt werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind diese Fälle nicht dargestellt. Tabelle 3 enthält daher ausschließlich die Modelle mit signifikanten Ergebnissen.

Kennzahlen und Performance Measurement in öffentlichen Unternehmen

ZögU 31. Jg. 4/2008 421

Tab. 3: Regressionsmodelle zum Unternehmenserfolg Quelle: Eigene Darstellung

Modelle 21a bis 21d enthalten als abhängige Variable das Verhältnis von Fahrgästen zu Fahrzeugen. Bei Modell 21a, bei dem lediglich die Kennzahlensystem-Gestaltungs-elemente als Regressoren eingesetzt wurden, ergab sich ein schwach signifikantes Ge-samtergebnis mit vier signifikanten Einzelvariablen (vgl. Tabelle 3). Das Hinzufügen der Kontrollgrößen (Modell 21b) führte zu relativ starken Veränderungen, indem zwei der vormals signifikanten Variablen insignifikant und zwei der vormals insignifikanten Vari-

Unabhängige VariablenStrategieanbindung -0,1 -0,14Anpassungsfrequenz planmäßig -0,381 * -0,262 * -0,258 ** -0,244 **Außerplanmäßige Anpassung -0,013 0,102Anzahl Ebenen 0,196 0,055Information Nicht-Nutzer 0,004 0,065Anteil Output-/Outcome-Kennzahlen 0,027 -0,246 * -0,026Kommunikation mit Externen -0,564 *** -0,242 * -0,126Anbindung finanzieller Belohnung 0,25 -0,007Anbindung nicht-finanzieller Belohnung -0,14 -0,182Zielwerte und Maßnahmen 0,316 * -0,021Kausalmodelle 0,16 0,162Anteil nicht-finanzieller Kennzahlen 0,192 0,26 * 0,154Stakeholder-Unterberücksichtigung -0,051 -0,02Beteiligung Nutzer 0,428 ** 0,068Anzahl Kennzahlen -0,102 -0,149KontrollvariablenUnternehmensgröße 0,092Modi 0,672 *** 0,716 *** 0,779 ***

Gesamtmodell (korr. R2) 0,421 * 0,819 *** 0,672 *** 0,658 ***

Unabhängige VariablenStrategieanbindung -0,059 -0,047Anpassungsfrequenz planmäßig -0,229 -0,018Außerplanmäßige Anpassung 0,09 0,209 * 0,119Anzahl Ebenen 0,265 0,378 ** 0,154Information Nicht-Nutzer 0,139 0,059Anteil Output-/Outcome-Kennzahlen 0,03 -0,112Kommunikation mit Externen -0,701 *** -0,507 *** -0,293 ** -0,366 ***Anbindung finanzieller Belohnung 0,335 * 0,064Anbindung nicht-finanzieller Belohnung -0,329 * -0,186Zielwerte und Maßnahmen 0,437 *** -0,038Kausalmodelle -0,015 0,259Anteil nicht-finanzieller Kennzahlen 0,057 0,008Stakeholder-Unterberücksichtigung -0,049 0,385 * 0,143Beteiligung Nutzer 0,241 0,102Anzahl Kennzahlen 0,075 -0,373 ** -0,333 ** -0,311 **KontrollvariablenUnternehmensgröße 0,62 *** 0,808 *** 0,733 ***Modi -0,064

Gesamtmodell (korr. R2) 0,574 ** 0,835 *** 0,694 *** 0,687 ***stand. Beta* p<0,1 ** p<0,05 *** p<0,01

Abhängige Variable:Fahrgäste/Fahrzeuge

M21a M21b M21c M21d

Abhängige Variable:Nutzwagenkilometer/Fahrzeuge

M22a M22b M22c M22d

Anke Raake, Ronald Gleich und Andreas Wald

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ablen signifikant wurden. In Modell 21c, bei dem zur Vermeidung von Overfitting alle nun insignifikanten Variablen entfernt wurden, fielen wiederum drei Variablen auf inak-zeptable Signifikanzniveaus ab. Somit verblieben letztlich nur die planmäßige Anpas-sungsfrequenz und die Modi im endgültigen Modell 21d. Das Gesamtmodell weist ein korrigiertes Bestimmtheitsmaß von R2=0,658 auf und ist hochsignifikant (p<0,001; F=31,8; df1=2; df2=30). Hinweise auf Prämissenverletzungen liegen nicht vor. Die Fre-quenz der Systemanpassung hat einen negativen Einfluss (Beta=-0,244; p=0,025), die Anzahl der Modi einen positiven Einfluss (Beta=0,779; p<0,001) auf die untersuchte Er-folgsgröße. Die Ergebnisse der Regressionsmodelle, die das Verhältnis von Nutzwagenkilometern zu Fahrzeugen als Regressand enthielten, sind in der rechten Hälfte der Tabelle 2 dargestellt (Modelle 22a bis 22d). Auch hier ergaben sich deutliche Veränderungen zwischen dem ursprünglichen Modell ohne Kontrollvariablen (Modell 22a) und demjenigen mit Kon-trollvariablen (Modell 22b). Beide Modelle waren insgesamt signifikant, enthielten aber unterschiedliche signifikante Regressoren. Überdies verringerte sich auch hier durch Eliminierung des Overfitting die Anzahl der signifikanten Regressoren (Modell 22c). Das endgültige Modell 22d, bei dem keine Hinweise auf Prämissenverletzungen vorliegen, weist insgesamt ein relativ hohes korrigiertes R2 von 0,687 und ein sehr hohes Signifi-kanzniveau (p<0,001; F=25,1; df1=3; df2=30) auf. Ein positiver Einfluss ergibt sich durch die Unternehmensgröße (Beta=0,733; p<0,001), während sich sowohl der Einsatz des Kennzahlensystems zur Kommunikation mit externen Stakeholdern als auch die Anzahl der Kennzahlen negativ auswirken (Beta=-0,366; p=0,002 und Beta=-0,311; p=0,011). Insgesamt findet Hypothese 2 mit ihren postulierten Wirkungsrichtungen durch die dar-gestellten Ergebnisse also keine Unterstützung. Hierin spiegelt sich die generelle Schwie-rigkeit wieder, Einzelwirkungen auf den Erfolg darzustellen (March/Sutton 1997). Eine Wirkung der Ausgestaltung der Performance Measurement-Systeme auf den Unterneh-menserfolg lässt sich nur in Ansätzen, d. h. bei einzelnen Erfolgsindikatoren und einzel-nen Prädiktoren, beobachten.

4. Diskussion

In der hier präsentierten Studie konnten verschiedene Gestaltungselemente identifiziert werden, die eine Wirkung auf die Zufriedenheit mit Kennzahlen- bzw. Performance Mea-surement-Systemen haben (Hypothese 1). Die Beteiligung der Nutzer an der System-(Weiter-)Entwicklung hat sich als stärkster, positiver Einflussfaktor auf die Zufriedenheit erwiesen. Hierfür lassen sich mehrere Gründe anführen. Zum einen ergeben sich Vorteile schon während der Entwicklungspha-se. So können die späteren Nutzer mögliche Probleme in der Anwendung früh vorausse-hen, in die Diskussion einbringen und damit das Auftreten von Schwierigkeiten im Pra-xiseinsatz verhindern. Zum anderen stellen die Anwender kritische Multiplikatoren im Unternehmen dar, die die Wahrnehmung und Akzeptanz auch der nicht direkt mit dem Konzept befassten Mitarbeiter deutlich beeinflussen können. Darüber hinaus wirkt die

Kennzahlen und Performance Measurement in öffentlichen Unternehmen

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Beteiligung an der Konzeption eines für die Organisation strategisch wichtigen Systems als Motivationsfaktor. Eine negative Wirkung auf die Zufriedenheit mit Kennzahlen- und Performance Measu-rement-Systemen übt die Unterberücksichtigung von Stakeholdern aus. Unterberücksich-tigung bedeutet in diesem Fall, dass Anspruchsgruppen aufgrund ihres Einflusses auf und/oder Anspruches an die Unternehmung als wichtig angesehen werden, sich dies je-doch nicht entsprechend im Kennzahlenkonzept widerspiegelt. Anders ausgedrückt be-ziehen sich nicht so viele Ziele, Indikatoren und Maßnahmen auf die einzelnen Gruppen, wie aufgrund des jeweiligen Status zu erwarten wäre. Die Unterberücksichtigung ist zum einen mit dem Bestreben erklärbar, den Umfang der Kennzahlenanzahl zu begrenzen und das Konzept somit in der Praxis leichter handhabbar zu gestalten. Gerade bei öffentlichen Institutionen mit ihren multiplen Prinzipalen können dabei wichtige Stakeholder vernach-lässigt werden. Ein weiterer Erklärungsansatz für Unterberücksichtigung besteht mögli-cherweise darin, dass zwar insgesamt nicht zu wenige Ziele und Indikatoren vorliegen, diese jedoch unangemessen auf die einzelnen Stakeholder verteilt sind. Vor allem bei historisch gewachsenen, möglicherweise von verschiedenen Stellen im Unternehmen un-terschiedlich stark beeinflussten Konzepten, die keiner ausführlichen Reflexion unterzo-gen wurden, liegt eine solche Problematik nahe. Insgesamt ist den Unternehmen zu raten, die Gewichtung, die den einzelnen Stakeholdern in Kennzahlen- und Performance Mea-surement-Systemen zukommen soll, aktiv aus verschiedenen Blickwinkeln zu diskutieren und abzuwägen. Als die Gruppen mit den höchsten Unterberücksichtigungswerten, und insofern mit dem größten Optimierungspotenzial, haben sich in der vorliegenden Unter-suchung die Eigentümer, der Gesetzgeber und die (Lokal-)Politik erwiesen. Als positiv erwies sich der Zusammenhang zwischen der Anzahl der Kennzahlen, die auf höchster Unternehmensebene eingesetzt werden, und der Zufriedenheit mit dem Kenn-zahlen- bzw. Performance Measurement-System. Nachvollziehbar wird der Zusammen-hang dann, wenn man ihn vor dem Hintergrund der soeben gemachten Ausführungen zur Unterberücksichtigung von Stakeholdern betrachtet. Hier greift ebenfalls das Argument, dass bei einer zu starken Einschränkung wichtige Anspruchsgruppen und Ziele eventuell zu wenig oder gar keine Beachtung finden und eine zu starke Pauschalierung stattfindet (Moore 2003, S. 14; Horváth&Partner 2001, S. 35). In diesem Zusammenhang sind jedoch auch die Ergebnisse der Hypothesenprüfung 2 zu beachten, die einen negativen Effekt der Kennzahlenanzahl auf den Unternehmenserfolg aufzeigen. Für die gegensätzlichen Wirkungsrichtungen der Kennzahlenanzahl auf die Zufriedenheit und den Unternehmenserfolg lassen sich zwei mögliche Argumentationen anführen. Zum einen ist es denkbar, dass die Komplexität und der Pflegeaufwand, den eine Vielzahl von Indikatoren nach sich ziehen, im subjektiven Zufriedenheitsgefühl der Systemanwender weniger stark berücksichtigt werden als in der erhobenen Erfolgskenn-zahl. Zum anderen ist das festgestellte Phänomen mit Zeiteffekten erklärbar. Möglicher-weise wirken im zeitverzögert erhobenen Unternehmenserfolg noch der ursprüngliche Konzeptionsaufwand und die anfänglich mangels Erfahrung aufwendigere Datensamm-lung nach, während in der Zufriedenheitseinschätzung der Nutzen bereits stärker zum

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Tragen kommt. Dabei ist anzumerken, dass die im deutschen ÖPNV eingesetzten Kenn-zahlensysteme zum größten Teil noch relativ jung sind, und dass zwischen Implementie-rungsbeginn und der Erhebung der Erfolgsdaten durchschnittlich nur 2,5 Jahre, zwischen Implementierungsbeginn und Zufriedenheitsschätzung durchschnittlich 4 Jahre vergan-gen waren. Bedenkt man gleichzeitig, dass beispielsweise für die Balanced Scorecard Zeiträume von mehreren Monaten für Implementierung und Einschwingphase als realis-tisch angesehen werden (Hügens 2004, S. 14; Weber u. a. 2001, S. 17), so ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich der negative Effekt auf den Unternehmenserfolg zukünftig relativiert oder sogar umkehrt. Parallel zur soeben dargestellten Argumentation lassen sich auch die negativen Effekte der Anpassungsfrequenz und der Kommunikation mit externen Stakeholdern erklären. Entweder überwiegt die steigende Komplexität den Nutzen und es kann tatsächlich von einer dauerhaft nachteiligen Wirkung ausgegangen werden, oder der Nutzen konnte sich aus zeitlichen Gründen bisher noch nicht vollständig im Unternehmenserfolg nieder-schlagen. Damit ergeben sich eine Reihe von Fragestellungen, die Gegenstand weiterer Untersuchungen sein können. Möglicherweise ließen sich dann auch Wirkungen auf die sechs Erfolgsdimensionen nachweisen, die in der eigenen Erhebung (noch) zu keinen signifikanten Ergebnissen geführt haben. In einer weiteren Untersuchung, die zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt wird und idealerweise als Längsschnittsstudie angelegt ist, ließen sich dann auch mögliche Endogenitätseffekte überprüfen. Die Frage, ob die Einführung von Perfomance Measurement-Systemen einen positiven Effekt auf die Per-formance hat, oder aber Unternehmen, die besonders erfolgreich/erfolglos sind, dazu ten-dieren, Performance Measurement-Systeme einzuführen, muss noch eingehender unter-sucht werden.

IV. Fazit und Ausblick

Auf Basis der Untersuchungsergebnisse lässt sich festhalten, dass Kennzahlen- und Per-formance Measurement-Konzepte auch in die ÖPNV-Praxis Einzug gehalten haben. Ne-ben selbst entwickelten Ansätzen wird vor allem auf die Balanced Scorecard zurück-gegriffen. Die empirischen Analysen haben gezeigt, dass diejenigen Unternehmen zufrie-dener mit ihren Systemen sind, die die späteren Anwender intensiv in die Konzeption einbeziehen, die eine Unterberücksichtigung von Stakeholdern vermeiden und die die Anzahl der eingesetzten Messgrößen nicht zu stark reduzieren. Letztgenannte Größe wirkte sich jedoch, neben der Anpassungsfrequenz und dem Einsatz der Systeme zur Kommunikation mit externen Stakeholdern, negativ auf den Unternehmenserfolg aus. Eine Einschränkung hinsichtlich der Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse ergibt sich aus der Fokussierung auf den ÖPNV. In weiteren Untersuchungen muss sich zeigen, ob in anderen öffentlichen Sektoren ähnliche Zusammenhänge vorliegen. Die Forschung zur Verbreitung und Wirkung von Kennzahlen- und Performance Measurement-Systemen im öffentlichen Kontext befindet sich noch in einem frühen Stadium, obwohl gerade hier ein

Kennzahlen und Performance Measurement in öffentlichen Unternehmen

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hoher Bedarf an effektiven Ansätzen zur Kostensenkung und Leistungssteigerung be-steht. Mit der vorliegenden Studie konnte diese Forschungslücke zumindest ein Stück weit geschlossen werden. Abstract Anke Raake, Ronald Gleich and Andreas Wald; Diffusion and Success Factors of Per-formance Measurement Systems in the Public Sector – Results of an Empirical Study in the Transit Industry New Public Management; Performance Measurement; Public Sector; Public Transport This paper presents the results of an empirical study that explored the topic of perform-ance measurement in the public sector. Public transport served as an example to study the diffusion, the design and the success factors of performance measurement systems. We found out that the majority of organizations still doesn’t have such a system in place. When performance measurement systems are implemented, it depends on their specific design whether or not they increase user satisfaction and agency success.

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Kurzbeiträge

Reinhold Kopp

Corporate Governance, Compliance und Responsibility – Referenzsysteme für gute Unternehmensführung

Compliance und Risk Management; CSR; Haftung von Organen; Public Corporate Go-vernance Kodex; Soziale Rendite; Unternehmensführung; Werteorientierung Seit dem Inkrafttreten des KontraG am 1. Mai 1998 wurden zahlreiche aktien-, handels- und kapitalmarktrechtliche Regelungen und Standards für moderne und professionelle Unternehmensführung, die Integrität und Effizienz der internen Prozesse stärken und Wahrhaftigkeit und Transparenz nach außen sicherstellen sollen, eingeführt oder sind in Vorbereitung. Die Regelwerke zielen in erster Linie auf börsennotierte Unternehmen, haben aber Abstrahlwirkung auf alle Gesellschaftsformen und dienen als Maßstab zur Ausfüllung von Sorgfaltspflichten und Haftungstatbeständen. Auch der öffentliche und der gemeinwirtschaftliche Sektor stehen in Zeiten knapper Ressourcen und wachsender Ansprüche der Bürger vor der Frage, wie die Leistungsfähigkeit bestehender Strukturen und Prozesse gesteigert und zugleich öffentliches Vertrauen erhalten werden kann. Die Steuerung anhand ökonomischer Kennziffern soll mit den gemeinwohlorientierten Zwe-cken in Einklang gebracht werden. Viele Gebietskörperschaften und ihre Beteiligungsun-ternehmen versprechen sich Nutzen von der Integration moderner Referenzsysteme in die Unternehmensführung.

I. Einleitung

Finanzskandale, Korruption und verfälschende Darstellungen des Geschäftsverlaufs ha-ben die Risiken illegalen und unmoralischen Verhaltens von Führungskräften der Wirt-schaft für Wertentwicklung und Zukunftsfähigkeit von Unternehmen deutlich gemacht. Unzureichendes Risikomanagement und mangelnde Kontrolle haben jüngst auch zu Wertvernichtungen und Unternehmensschieflagen im öffentlichen Kreditsektor geführt. Forderungen nach einer nachhaltig gelebten Kultur der Unternehmensintegrität und einer wirtschaftlich effizienten Unternehmenssteuerung beruhen daher auf einem breiten politi-schen und gesellschaftlichen Konsens. Gesetzliche Maßnahmen, Code of Conducts inter-nationaler Institutionen wie der OECD, der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) ebenso wie Selbstverpflichtungen von Unternehmensverbänden und Wirt-

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schaftssektoren für eine langfristige, auf Wertemanagement basierende, transparente und nachvollziehbare Unternehmensführung zielen im Wesentlichen auf drei Bereiche: – die Verfassung der Gesellschaft, die Regelung der Strukturen und Prozesse, insbe-

sondere die Zusammenarbeit der Organe. Dies wird als rechtlicher und faktischer Ordnungsrahmen für die Leitung und Kontrolle eines Unternehmens bezeichnet (Corporate Governance)

– die Einhaltung der für das Unternehmen relevanten Gebote, quasiregulatorischer Standards und anerkannter geschäftlicher Sorgfalt zur Vermeidung von Haftungsri-siken für Unternehmen und Organe (Compliance)

– die ethische Orientierung des Managements, die Beachtung politischer und kulturel-ler Kontexte und die gesellschaftliche/ökologische Verantwortung zur Bewahrung unternehmerischer Freiheit, Glaubwürdigkeit und Reputation (Corporate Responsi-bility).

Vielfach werden diese drei Bereiche von Geschäftsführungen und Beratern als isolierte Handlungsfelder angesehen. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass gute Unterneh-mensführung einen integrierten Ansatz verfolgen muss, dass bloße Gesetzeskonformität nicht hinreichend ist und erst ein gutes Zusammenwirken im „Dreiecksverhältnis“ (Kort 2008, S. 81) eine befriedigende Gesamtperformance erbringt.

II. Corporate Governance

Corporate Governance ist der Sammelbegriff für die Leitungsgrundsätze, die sich an die Gesellschaftsorgane wenden, um Rechtmäßigkeit, Qualität, Wertorientierung und Trans-parenz des Managementhandelns zu gewährleisten. Der normative Gehalt des Regelwer-kes ergibt sich aus einer Reihe von gesellschaftsrechtlichen Novellierungen, vor allem aus dem KontraG, dem Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG), dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), dem Bi-lanzkontrollgesetz (BilKoG) dem Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG) und künftig dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG). Ziel der Kodifizierungen sind größere Transparenz und Belastbarkeit der Daten sowie verbesserte Führung und Kontrolle, die nach deutschem Gesellschaftsrecht durch das Management, die Aufsichtsgremien, Ab-schlussprüfer und Anteilseigner wahrgenommen werden. Die Professionalität der Auf-sichtsratsarbeit hat einen hohen Stellenwert erhalten, etwa durch die Einbeziehung der Unternehmensplanung mit entsprechender Nachverfolgung, die Mitverantwortung für die strategische Ausrichtung des Unternehmens und die Evaluierung der Aufsichtsratstätig-keit. Der DCGK für börsennotierte Gesellschaften wiederholt und erläutert gesetzliche Rege-lungen, ergänzt sie um Empfehlungen („soll“) und Anregungen („sollte“). Der Kodex regelt einerseits die Interessenkonflikte, die sich aus der Trennung zwischen Eigentum und Geschäftsführung ergeben (Principal-Agent-Konflikt), andererseits übernimmt er Elemente aus dem angelsächsischen Kapitalmarktsystem, das stärker auf externe Kon-

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trolle vertraut, als das auf dem Kontinent der Fall ist (Kirschbaum 2006, S. 139). Der durch eine unabhängige Kommission erarbeitete Kodex gehört zur Kategorie von „soft law“: Er entfaltet hinsichtlich seiner Regeln keine normative Bindung, setzt aber Stan-dards einer guten Unternehmensführung. Durch die gemäß § 161 AktG erforderliche öf-fentliche Entsprechenserklärung von Vorstand und Aufsichtsrat hinsichtlich der Empfeh-lungen des Kodex schafft er Transparenz und Selbstbindung. Seine handlungsleitende und disziplinierende Funktion für die Organe strahlt auf andere Gesellschaftsformen aus und konkretisiert auch dort die Gebote effektiver Zusammenarbeit der Organe zum Woh-le des Unternehmens. Das DCGK - Regelwerk wird heute von den DAX-Unternehmen fast vollständig erfüllt und hat als Standard allgemeine Akzeptanz für die Unternehmensführung erreicht. Damit gewinnen die Regeln auch im öffentlichen Beteiligungssektor wesentlichen Einfluss auf die Definition des Pflichtenkreises des Managers und die äußeren Grenzen des unterneh-merischen Ermessens, in denen die Organe haftungsfrei agieren können. Regelverletzun-gen können einen Ermessensfehler darstellen, wenn nicht besondere Umstände ein sol-ches Abweichen rechtfertigen. Abweichungen von den in wesentlichen Teilen organisa-torischen Empfehlungen und Anregungen legen häufig die Annahme eines Organisati-onsverschuldens nahe (Thümmel 2008, S. 31 ff.).

III. Anwendung auf öffentliche Unternehmen: Public Corporate Governance

Corporate Governance Regeln besitzen auch für den Bereich öffentlicher und gemein-wirtschaftlicher Unternehmen Relevanz (Kopp 2008, S. 142-144; Lenk/Rottmann 2007, S. 344-346; Alsheimer/Jacob 2006, S. 937-939; Dietrich/Struwe 2006, S. 1-5). So sind die Grundsätze des DCGK gemäß der Präambel allen Unternehmen zur Anwendung empfohlen, also auch solchen, die sich in öffentlichem Eigentum befinden. Allerdings müssen bei der Einführung eines PCGK die charakteristischen Besonderheiten des öf-fentlichen Sektors berücksichtigt werden (Müller/Papenfuß 2007, S. 107; Kolbe 2006, S. 64-69). Aus dieser Erkenntnis speist sich die Absicht, einen spezifischen Public Kodex (PCGK) des Bundes zu entwickeln, der bei der Bundesregierung (BMF/BMJ) seit 2005 in Arbeit ist. Bundesländer wie Berlin, Brandenburg und Bremen sowie Großstädte wie Stuttgart haben eigene Kodices zur Steigerung von Transparenz, Effizienz und Kontrolle für ihre Beteiligungsunternehmen geschaffen. Andere öffentliche und gemeinnützige In-stitutionen wie beispielsweise die Förderbank NRW, die Landwirtschaftliche Rentenbank und das Diakonische Werk Baden-Württemberg haben Kodices als Selbstbindung in Kraft gesetzt, um ihre Geschäftsführung der Öffentlichkeit und ihren Gewährträgern nachvollziehbar zu machen. Eine kritische Öffentlichkeit muss die Funktion der Kontrol-le wahrnehmen, die bei börsennotierten Gesellschaften der Kapitalmarkt innehat. Eine gesetzeskonforme, erfolgreiche und transparente Unternehmensführung hat im öf-fentlichen Sektor mindestens den gleichen Stellenwert wie bei privaten Unternehmen.

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Das ergibt sich aus der Tatsache, dass das Haushaltsrecht des Bundes und der Länder im Rahmen der Abschlussprüfungen auch die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung so-wie die wirtschaftlichen Verhältnisse zu prüfen vorgibt; durch BilReG, TransPuG und die Neufassung der §§ 53, 54 HGrG sind die Prüf- und Berichtspflichten gegenüber Beteili-gungsverwaltung und Finanzkontrolle erheblich ausgeweitet worden. Allerdings bedeu-ten Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im Sinne des Haushaltsrechts noch nicht automa-tisch Effektivität im Markt. Man denke nur an das stark regulierte Beschaffungswesen. Soweit sich Unternehmen der öffentlichen Hand, in welcher Rechtsform auch immer, marktwirtschaftlich im Sinne eines direkten oder indirekten Wettbewerbs betätigen, un-terliegen sie zudem uneingeschränkt dem Wirtschaftsrecht, insbesondere den Kartell-, Wettbewerbs- und Beihilferegeln. Wählt der öffentliche Eigentümer also zur Erledigung einer öffentlichen Aufgabe eine Gesellschaft in privater Rechtsform, so hat die öffentli-che Hand in der Gesellschafterstellung keinen Sonderstatus, sondern muss sich am ge-setzlichen Leitbild ausrichten. Grundsätzlich gilt bei den privaten Rechtsformen der Vor-rang des Gesellschaftsrechts bei Konflikten in Bezug auf den Pflichtenkreis und die Handlungsfreiheit der Unternehmensleitung (Preussner 2005, S. 575 ff.; Schwintowski 2001, S. 609). Daher haben die Aufsichtsräte der öffentlichen Kapitalgesellschaften das Unternehmensinteresse der Gesellschaft zu wahren, auch wenn sie als Amtswalter der Gebietskörperschaft entsandt worden sind (Keller/Paetzelt 2005, S. 451). Das Spannungsfeld zwischen dem Primat der Politik in der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Orientierung des Managements an Wettbewerb und Ertragschancen des Marktes wirft in der Praxis oft Schwierigkeiten auf. Das liegt weniger in der grundsätzlichen Be-rücksichtigung von gemeinwohlorientierten Zielsetzungen der öffentlichen Unternehmen, die neuerdings auch als „Soziale Rendite“ oder „Citizen Value“ bezeichnet werden; denn Kostenbewusstsein, Nutzenmaximierung und Ertragsorientierung ziehen Qualität der Produkte und Dienstleistungen sowie ein gutes Preis-Leistungsverhältnis nach sich. Im Gesundheitssektor haben die erfolgreichen Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft nachgewiesen, dass sich Qualität und Wirtschaftlichkeit bedingen (Kramer 2007, S. 9 ff.). Gewinne entlasten öffentliche Haushalte und sind somit ebenfalls Beiträge zur Sozia-len Rendite. Ursachen liegen vielmehr darin, dass – die unterschiedlichen Sphären der Verantwortung von Politik und Unternehmenslei-

tung vermischt werden (Bundesjustizministerin Brigitte Zypries spricht von einem prekären Näheverhältnis zwischen Staatsbetrieben und Politik),

– es an operablen Prioritäten zwischen öffentlichem Zweck und Ertragsorientierung fehlt; das Zielsystem bleibt komplex

– Maßstäbe für Kosteneffizienz sich in nicht gewinnorientierten Unternehmen nur zögerlich entwickeln

– Informationsasymmetrien, Steuer- und Kontrolldefizite hinzutreten, – zur Heterogenität der Organisationsformen auch die Orientierung an mehreren Insti-

tutionen, an Fach- und Beteiligungsaufsicht, an Verwaltung und Rat hinzukommt. Trotz teils aufwendigem Beteiligungsmanagement und Controlling gelten die Strukturen im Unternehmensbereich der öffentlichen Hand als intransparent und komplex, werden

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Verselbständigung und Untersteuerung problematisiert, diskretionäre Handlungsspiel-räume beklagt und Beteiligungsberichten nicht die erforderliche Aussagekraft zugemes-sen (Müller/Papenfuß 2007, S. 101, 104; Dietrich/Struwe 2006, S. 105; Kolbe 2006, S. 63 ff.). Aufsichtsorgane sind oft nach politischen und nicht nach professionellen Kriterien be-setzt. Die Freiheit von Interessenkonflikten steht nicht selten in Frage. Die Organisation der Kontrolltätigkeit und die Kontrolleffizienz entsprechen mancherorts nicht den ver-schärften Anforderungen und Haftungsmaßstäben im Gesellschafts- und Handelsrecht. Vielfach ist im öffentlichen Sektor noch nicht im Bewusstsein, dass neben der vergan-genheitsbezogenen Überwachung und Kontrolle der Geschäftsleitung die in die Zukunft gerichtete Kontrolle hinsichtlich strategischer Planung und deren Nachverfolgung sowie bedeutsamer Investitionsvorhaben und anderer Einzelentscheidungen immer stärker in den Fokus der Aufsichtsratstätigkeit rückt. Insoweit wird der Aufsichtsrat selbst unter-nehmerisch tätig; Professionalität der Aufsichtsräte ist künftig unverzichtbar. Neben der Beachtung der allgemeingültigen Regeln einer Good Governance aus der Pri-vatwirtschaft sind wegen der dargelegten Besonderheiten ergänzende Vorgaben für einen Public Kodex unerlässlich. Man wird dabei ohne eine gewisse Vielfalt nicht auskommen. Größere Unternehmen, unterschiedliche Sektoren wie etwa die gemeinwohlorientierte Kreditwirtschaft, Gesellschaften bestimmter Ausprägungen bezüglich Aufgabenstellung und Wettbewerbsnähe könnten eigene Kodices entwickeln (Kopp 2008, S. 147; Mül-ler/Papenfuß 2007, S. 107; Kirschbaum 2006, S. 143; Schwintowski 2001, S. 608). An-satzpunkte für Differenzierungen ergeben sich u. a. aus – Unternehmenszweck und Unternehmensverfassung: Öffentlicher Auftrag, Gewinn-

orientierung, Anstalts- und Gewährträgerhaftung – Monopolsituation, Wettbewerb oder Mischformen – Spannungsfeld mit Berichtspflichten im Rahmen der öffentlichen Beteiligungsver-

waltung, Konkurrenz der erweiterten Prüfungsrechte – Kollision von Haushaltsrecht und Marktbedürfnissen – Transparenz, Auskunftsansprüche von entsendenden Gremien und der Medien

(nach dem Informationsfreiheitsgesetz) – Interessenkonflikten, Abhängigkeiten, Mangel an Professionalität Sinnvoll erscheint eine Kombination von gemeinsamen Teilen (Präambel, Ethikrichtli-nien, Pflichten und Zusammenwirken der Organe) mit spezifischen Einzelregelungen.

IV. Corporate Compliance

Unter Compliance versteht man die Einhaltung des gesamten für das Unternehmen gel-tenden Regelwerkes: Gesetze und Verordnungen, Selbstverpflichtungen, behördliche Ge-nehmigungen und Auflagen, Standards, branchenübliche Sorgfaltspflichten, Satzung, interne Geschäftsordnungen und Einzelweisungen der dazu berufenen Organe. Geschäfts-leitung und Mitarbeiter sollen gesetzes- und regelkonform, integer und fehlerfrei handeln,

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um wirtschaftliche Risiken für das Unternehmen und Haftung zu vermeiden. Nach ein-zelnen Funktionen unterteilt, hat die Compliance Schutzfunktion, Beratungs- und Infor-mationsfunktion, Qualitätssicherungs- und Innovationsfunktion, Überwachungs- und Marketingfunktion. (Hauschka 2007, S. 3 f.; Kort 2008, S. 81). Der DCGK führt den Begriff in seine Neufassung vom 14. Juni 2007 als Aufgaben für Vorstand, Aufsichtsrat und deren Zusammenwirken ein und beschreibt Compliance als Rechtspflicht für die Unternehmensorgane. Es existiert allerdings keine zentrale Hand-lungsnorm im deutschen Gesellschaftsrecht. Ursprünglich wurde der Begriff im Kartell-ordnungswidrigkeitenrecht in Anlehnung an die Anforderungen des Bundeskartellamtes und der Gerichte zur Aufsichtspflicht des Vorstands zwecks Verhinderung von Zuwider-handlungen entwickelt. Auch in § 25 a KWG und im Kapitalmarktrecht (z. B. Finanz-marktrichtlinien-Umsetzungsgesetz (FRUG), Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (TUG), Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) finden sich Vorga-ben für Compliance. Schließlich definiert der neue § 64 a VAG sehr konkret die Anforde-rungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation im Versicherungswesen. Generell sind die §§ 9, 30, 130 OwiG zu beachten; wer als vertretungsberechtigtes Organmitglied schuldhaft Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die im konkreten Fall erforderlich sind, um bestimmte Straftaten im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit zu verhindern, handelt ordnungswidrig. Das Ausmaß dieser Aufsichtsmaßnahmen ist in der Vorschrift selbst nicht konkretisiert und hängt allgemein von der Größe des Betriebes, der Anzahl der Beschäftigten, deren Sachkunde und Sorgfalt, der innerbetrieblichen Organisation, den realen Überwachungsmöglichkeiten sowie der Bedeutung der einzuhaltenden Vor-schriften ab. Im Bereich des Strafrechts spielt insbesondere der Untreuetatbestand für Unternehmensorgane eine wachsende Rolle, ins breitere Bewusstsein gerufen durch die nachträglichen Sonderzahlungen an die Organe der Mannesmann AG nach der Übernah-me. Der BGH (Urteil vom 17. März 2008 – II ZR 239/06) hat kürzlich bei einer hohen Abfindung an den Vorstandsvorsitzenden einer Wohnungsbaugesellschaft sowohl den Inhalt des Vorstandsvertrages moniert, bei dem sich die vereinbarte Abfindungszahlung als unzumutbare Einschränkung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung erwies, als auch das mehrfach fehlerhafte Verfahren bei der Beschlussfassung im Aufsichtsrat. Wei-tere Fälle sind Verstöße bei der Kreditvergabe, mangelhafte Dokumentation von Zahlun-gen und unangemessene Spenden. Compliance Verstöße können in vielen Rechtsgebie-ten, insbesondere bei den branchenspezifischen Pflichten des öffentlichen Rechts zu Haf-tungsfällen für Unternehmen und Management führen (siehe Hauschka 2007, S. 4 f.; Hauschka 2006, S. 258 ff.). Da Compliance eine Organisations- und Legalitätspflicht konstituiert, muss sie strukturell im Unternehmen verankert werden. In der organisatorischen Umsetzung liegt der zentrale Ansatz der Compliance als Mittel der Schadens- und Haftungsprävention sowie der wert-orientierten Unternehmensführung (Bürkle 2007, S. 1797). Das bedeutet, dass nicht nur Einzelbereiche in angemessenen Abständen auf ihre Relevanz zur Regelkonformität zu überprüfen sind, sondern dass das gesamte Unternehmen mit allen seinen Funktionsbe-reichen im Hinblick auf die Compliance Anforderungen zu analysieren ist, erforderliche

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Maßnahmen für die verschiedenen Bereiche zu definieren und in eine funktionale Struk-tur, die Compliance Organisation, einzubringen sind. Aufwand und Intensität einer Compliance Organisation richten sich nach individuellen Gesichtspunkten: Größe, Hol-dingstruktur, Risikolage, Marktmacht, IT-Abhängigkeit, grenzüberschreitende Aktivitä-ten, Vorfälle in der Vergangenheit. Im öffentlichen Sektor finden sich etliche Branchen, deren besondere Risikodisposition erhöhte Aufmerksamkeit erfordert: Neben der Kredit- und Versicherungswirtschaft sind das insbesondere die Entsorgungs- und Abfallwirt-schaft, die Energie- und Wasserversorgung, die stationären Gesundheitsdienstleistungen und der öffentliche Nahverkehr. Während heute bei Konzernen – ein gutes Beispiel ist die Deutsche Bahn AG – eine klare Ressortzuständigkeit in der Geschäftsleitung, die Ein-richtung einer bereichsübergreifenden, die Revision und das Rechtswesen einbeziehen-den Compliance Struktur sowie die Berufung eines Compliance Officers umgesetzt wer-den, ist die Umsetzung in den übrigen Unternehmen flexibler. Die Leitung schuldet an-gemessene und verhältnismäßige Maßnahmen bei der Unternehmensorganisation. Aller-dings bedürfen wesentliche, rechtlich und wirtschaftlich kritische Bereiche wie etwa die Korruptionsprävention, das Wettbewerbs- und Beihilferecht und der Verbraucherschutz einer besonderen Aufmerksamkeit. Eine spezifische Herausforderung ist die Informati-onskultur eines Unternehmens und die Vorbereitung auf ein mögliches Krisenmanage-ment (Rodewald/Unger 2007, S. 1629 ff.). Es ist weiter sinnvoll, die Erfahrungen aus dem Einsatz der spezialgesetzlich notwendigen Beauftragten (z. B. Umwelt, Arbeits-schutz, Datenschutz, Geldwäsche) in die neue Compliance Organisation einzubringen und diese Beauftragten möglicherweise zu integrieren.

V. Pflichten im Zusammenhang mit Risikomanagement und Compliance

Das betriebswirtschaftliche Gegenstück zu Compliance ist das Risikomanagement. Es bezieht sich auf die Implementierung und Aufrechterhaltung eines Frühwarn- und Über-wachungssystems für bestandsgefährdende Risiken des Unternehmens. Die Verpflich-tung ergibt sich aus § 91 Abs. 2 AktG als Ausprägung der allgemeinen Leitungs- und Sorgfaltspflicht des Vorstandes; flankiert wird diese Vorschrift durch die Prüfung dieser Maßnahmen und des Überwachungssystems bei Gesellschaften mit amtlicher Börsenno-tierung durch § 317 Abs. 4 HGB (Spindler in Münchner Kommentar 2008, § 91, Rdn, 16f.). Für die GmbH ist eine vergleichbare Verpflichtung nicht ausdrücklich vorgesehen; aus § 43 Abs. 1 GmbHG, wonach der Geschäftsführer in allen Angelegenheiten die Sorg-falt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden hat, wird der vorsichtige Geschäfts-führer der GmbH wie auch die Geschäftsleitungen anderer Gesellschaftsformen ähnliche Handlungspflichten entnehmen. Risiken sind Störprozesse, die der Identifikation, der Analyse, der Bewertung, der systematischen Erfassung und Berichterstattung, der Bewäl-tigung, Kontrolle und Nachsorge bedürfen (Kort 2008, S. 82; Gaenslein 2008, S. 111 ff.). Im Rahmen ihrer Organisationsfreiheit kann die Geschäftsleitung das ihr geeignet er-

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scheinende Modell auswählen; die von Wirtschaftsprüferseite aufgestellten Standards zur Prüfung (IDW PS 340) geben Leitlinien. Risikolage, Risikomanagement und Compliance, so sieht es Zf. 3.4 Abs. 2 des DCGK vor, müssen wie Planung und Geschäftsentwicklung regelmäßig, zeitnah und umfassend dem Aufsichtsrat berichtet werden. Der AR wiederum soll gemäß Zf. 5.3.2 DCGK einen Prüfungsausschuss einrichten, der sich u. a. mit dem Risikomanagement und der Compli-ance beschäftigen soll. Mit diesen beiden Regeln werden die verschiedenen internen Überwachungspflichten funktional verknüpft und als gemeinsame Verantwortung der Organe konstituiert. Die Verantwortung des Aufsichtsrates wird erheblich erweitert da-durch, dass er nicht nur die Einrichtung des Risikomanagements und der Compliance Struktur, sondern auch deren Wirksamkeit zu überprüfen hat. Der Vorstand, der die Er-richtung und Einbindung in die Organisation des Unternehmens zu dokumentieren hat, hat eine Bringschuld, den Aufsichtsrat vorbeugend informiert zu halten, damit dieser sei-ne Überwachung präventiv wahrnehmen kann. Die ausreichende Informationsversorgung ist in der Praxis neu zu justieren und wird das Miteinander von Geschäftsleitung und Aufsichtsrat stark verändern. Entgegen dem Wortlaut sollten nicht nur Risiken, sondern auch mit ihnen verbundene Chancen im jeweiligen Geschäftsmodell im Sinne einer wert-orientierten Unternehmensführung Gegenstand der Erörterungen sein. Bei der Erfüllung der neuen Anforderungen durch die Aufsichtsräte gibt es Nachholbedarf bei vielen öf-fentlichen Unternehmen (Müller/Papenfuss 2007, S. 104; Thümmel 1999, S. 1891).

VI. Corporate Responsibility (CR)

Neben den juristischen und betriebswirtschaftlichen Referenzsystemen für gute Unter-nehmensführung gewinnen Regeln, Empfehlungen und Standards aus ethischer und ge-sellschaftlicher Verantwortung zunehmend Bedeutung. Für die international tätigen Un-ternehmen ist es gelebte Praxis, sich an Richtlinien und Standards supranationaler Instan-zen zu orientieren, beispielsweise an den ILO-Kernarbeitsnormen, den Leitsätzen für multinationale Unternehmen der OECD, den Prinzipien des UN Global Compact, an Normen und Standards aus dem Umwelt- und Qualitätsmanagement, der Sozial- und Per-sonalführung und künftig dem ISO 26000 (Social Responsibility). Obwohl die EU im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie seit 2000 in einem Grünbuch und zwei Mitteilun-gen das Konzept konturiert, wie Unternehmen auf freiwilliger Basis Umwelt- und Sozi-albelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit ihren Stake-holdern integrieren können, wird das Thema Corporate (Social) Responsibility im Mit-telstand und im öffentlichen/gemeinwirtschaftlichen Bereich erst langsam angenommen. Ein Wandel vollzieht sich durch Städte wie Berlin und Nürnberg, die aktive Mitglieder im deutschen UN Global Compact Netzwerk sind. Spitzenverbände wie der Bundesver-band der Energie- und Wasserwirtschaft und der Verband kommunaler Unternehmen fördern die intensivere Beschäftigung mit CSR u. a. mit einer Beteiligung an einem euro-päischen Wettbewerb. Der VKU bietet seinen Mitgliedern einen Leitfaden an (Klein

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2005). Größere Resonanz erzeugen nachhaltig orientierte Investoren, Rating Agenturen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Nichtregierungsorganisationen und die Wirtschafts-presse. Unternehmen können sich durch Berichterstattung über die Performance ihrer gesell-schaftlichen Verantwortung differenzieren, unterziehen sich einer öffentlichen Bewer-tung von ökologischen und sozialen Zielen anhand von Schlüsselindikatoren und suchen Akzeptanz bei Kunden, Mitarbeitern und anderen Anspruchsgruppen. Anknüpfungspunkt ist dabei immer das Kerngeschäft, wobei eine win/win-Situation mit gesellschaftlich wünschenswerten Anliegen gesucht wird. Diffuse Wohltaten, die die Politik gerne ange-sichts chronisch leerer Kassen von öffentlichen Unternehmen fordert, sind damit nicht umfasst (vgl. eingehend zu CSR: Kopp 2008a, S. 106 ff.). Unter CR/ CSR versteht man freiwillige, höchst individuelle Konzepte werteorientierter Unternehmensführung, die auf eine Kultur der Unternehmensintegrität, Umweltsensibili-tät und bürgerschaftliches Engagement setzt. Es geht um die Stärkung gesellschaftlicher Legitimation unternehmerischen Handelns und die öffentliche Reputation. Gleichwohl handelt es sich nicht um rechtlich gesehen völlig unverbindliche Standards. Die unter-nehmerische Verantwortung in § 76 Abs. 1 AktG ist vor dem Hintergrund der grundge-setzlichen Sozialbindung so zu verstehen, dass durch die Förderung der erwerbswirt-schaftlichen Ziele nicht die Interessen der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit beein-trächtigt werden dürfen (Spindler in Münchner Kommentar 2008, § 76 Rdn. 65 ff.). Gro-ße Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 3 HGB) müssen nichtfinanzielle Leistungsindikato-ren von Bedeutung für die Geschäftstätigkeit wie Informationen über Umwelt- und Ar-beitnehmerbelange gem. §§ 289 Abs. 3, 315 HGB in die Konzernlageberichte aufneh-men. Die Aufzählung im Gesetz ist nicht abschließend und kann sich auf weitere Themen der Nachhaltigkeit erstrecken. Nach §§ 5 Abs. 1, 13 Abs. 2 PublG gelten die genannten Anforderungen darüber hinaus u. a. auch für – wirtschaftliche Vereine – Gewerbe treibende rechtsfähige Stiftungen – bestimmte Körperschaften, Stiftungen oder Anstalten des öffentlichen Rechts, die

Kaufmann nach § 1 HGB sind oder als Kaufmann im Handelsregister eingetragen sind.

Der Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG), das noch 2008 verabschiedet werden soll, sieht für § 289 a HGB vor, dass die Unternehmensfüh-rung relevante Angaben zu Unternehmensführungspraktiken – so die Begründung – über die gesetzlichen Anforderungen hinaus machen muss. Seit 2005 besteht eine Berichts-pflicht von Pensionskassen, Pensionsfonds und Direktversicherungen; sie müssen offen-legen, inwieweit sie ethische, ökologische und soziale Kriterien in der Kapitalanlage be-rücksichtigen. Diese Aktivitäten des Gesetzgebers deuten an, dass die Regelungsintensität bei gesell-schaftlicher Verantwortung zunehmen wird, wenn freiwillige Selbstverpflichtungen und gute Unternehmenspraxis sich nicht ausweiten.

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Für gesellschaftlichen Wandel sensitive Unternehmen gehen den Weg, durch interne Verhaltenskodices wie Ethikrichtlinien und Unternehmenswerte die gewünschte Verhal-tensstandardisierung ihrer Organe und Mitarbeiter im Sinne der angestrebten Integrität, Transparenz und Kooperation zu erreichen. In dem Ziel der Verhaltensstandardisierung treffen sich die Funktionen der verschiedenen Referenzsysteme für Unternehmensfüh-rung. Gesetzliche Vorschriften, Soft Law und Selbstverpflichtungen bilden ein mehrdi-mensionales Regelwerk. Effektivität und Effizienz sprechen dafür, alle Referenzsysteme inhaltlich und organisatorisch so zu verklammern, dass sich die positiven Wirkungen ge-genseitig verstärken. Es spricht nichts dagegen, dass sich die positiven Erfahrungen einer Good Governance aus den privaten Gesellschaften auch auf Unternehmen in öffentlicher Trägerschaft übertragen lassen.

VII. Fazit

Corporate Governance beschreibt aus Sicht der Normgeber einen Ordnungsrahmen, der zu guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung im Einklang mit gesetzlichen Vorschriften und anerkannten Standards anhält. Compliance ist, aus Sicht der Normad-ressaten, die Organisation von Legalität im Unternehmen und die Vermeidung von Haf-tung. Sie ist selbst ein Corporate Governance Standard. Corporate Responsibility stärkt die ethischen Grundlagen von Managementhandeln und berücksichtigt jenseits einer strikten Regelkonformität Erwartungen von für das Unternehmen wichtigen Institutionen und Akteuren. Allen Ansätzen gemeinsam ist die umfassende Wertorientierung, die sich in finanziellen und nichtfinanziellen Kennziffern (Reputation, Markenwert, Kundenver-trauen) niederschlägt. Die Organe haben einen weiten Gestaltungsspielraum, wie sie Or-ganisation und Prozesse zur Erreichung der auferlegten Pflichten im Unternehmen um-setzen. Im Bereich der öffentlichen Unternehmensbeteiligungen findet eine intensive Diskussion statt, wie diese Referenzsysteme für die spezifischen Bedingungen im Wider-streit zwischen öffentlichem Zweck und Ertragsorientierung, ökonomischer Steue-rung/Kontrolle und politischer Einwirkung im Ergebnis zur Erhöhung der Wertschöpfung und der Sozialen Rendite implementiert werden können. Die Grundprinzipen guter Un-ternehmensführung gelten universell; die Anpassung an heterogene Rechtsformen, spezi-fische Rahmenbedingungen und erhöhte Ansprüche der öffentlichen Stakeholder wird sich am ehesten in mutiger Praxis erweisen.

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Frank Schulz-Nieswandt

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Frank Schulz-Nieswandt

Neuere Literatur zum Wandel der Staatlichkeit, dargelegt im Bezugskreis der europarechtlichen Neu-Adjustierung der (insbesondere sozialen) Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse

Obwohl Europa von seiner Entstehung nach 1945 her betrachtet im Kern eine Friedens-ordnung sein sollte (was oftmals nicht mehr bedacht wird) und obwohl Europa auch be-müht ist, sich kulturell, weniger geographisch (beides ist schwierig genug) als ein werte-bezogener Gemeinschaftsraum zu definieren, stellt die EU im Kern doch primär einen Wirtschaftsraum dar, der sich als freier Binnenmarkt versteht und der zum Teil bereits als Währungsunion (mit erheblichen Auswirkungen auf die Geld- und in der Folge auf die Finanzpolitik der Mitgliedstaaten) überformt ist. Dieser Binnenmarkt kennt keine tarifä-ren und nicht-tarifären Handelshemmnisse. Er ist geprägt von den wirtschaftlichen Frei-zügigkeiten (Kapital, Arbeit, Güter und Dienstleistungen), die immer mehr geradezu vergrundrechtlicht werden. Im Kern besteht ein allseitiges Anti-Diskriminierungsrecht. Der Integrationsprozess in Bezug auf diesen gemeinsamen Binnenmarkt ist weit vorange-schritten und er zieht weitere Rechts- und Regelungsbereiche des gesellschaftlichen Le-bens der Mitgliedstaaten in einen entsprechenden Anpassungs- und Modernisierungs-druck hinein. Die Themenvielfalt, die mit dieser Fragestellung mit Bezug auf die Frage der öffentlichen Daseinsvorsorge verbunden ist, kommt in der Festschrift zum 70. Geburtstag von Heiko Faber zum Ausdruck, die Götz Frank & Heinrich-Wilhelm Langrehr unter dem Titel „Die Gemeinde“ 2007 herausgegeben haben (Mohr-Siebeck, Tübingen 2007, XI, 412 S.). Die meisten Beiträge drehen sich um Fabers Position in dessen Schrift „über die „Macht der Gemeinden“, thematisieren den Art. 28 II GG hinsichtlich der Kontroverse um die „institutionelle Garantie“ der kommunalen Selbstverwaltung(swirtschaft) und diskutie-ren die Rückwirkungen des EU-Rechts mit Blick auf die kommunale Daseinsvorsorge. Einige Beiträge nehmen zum einen kritisch Stellung zur Privatisierungseuphorie als en-dogene Erosion der kommunalen Selbstverwaltungswirtschaft (Langrehr), feiern zum anderen aber auch die Idee des Gewährleistungsstaates als einheitliche Theorie des Verwaltungsrechts (Waechter), skizzieren die Problematik der Daseinsvorsorge im Rah-men des Diskurses zu den Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse im Lichte der EuGH-Urteile in Sachen Teckal, Stadt Halle und Altmark, diskutieren Kon-zessionen als Instrument kommunaler Politik sowie das Verhältnis des Konzessionswe-sens zum Vergaberecht Europas mit Blick auf Abgrenzungen zu Dienstleistungskonzessi-onen und greifen den Boom der PPPs auf. Die Beitragssammlung hat Höhen und Tiefen, ist nicht in jeder Hinsicht tiefgreifend, aber insgesamt bunt und lesenswert.

Neuere Literatur zum Wandel der Staatlichkeit

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Vor diesem Hintergrund wird kontrovers diskutiert, ob Europa bereits einen eigenen Staatscharakter oder zumindest staatsähnliche Eigenschaften erworben hat oder ob die Mitgliedstaaten weiterhin souverän sind und im Prinzip sich nur durch einen horizontalen völkerrechtlichen Vertrag gebunden haben. Die Mitgliedsaaten sind schließlich „Herren der Verträge“, die EU-Kommission nur „Hüterin der Verträge“. Hier kristallisiert sich das umfassende Thema der „Staatlichkeit im Wandel“ heraus. Unter dem Titel „Verlust der Staatlichkeit“ veröffentlichte Stefan Haack (Mohr Siebeck, Tübingen 2007, XXXII, 528 S.) seine Leipziger juristische Habilitation aus dem SS 2007. Die Arbeit knüpft an die breite europawissenschaftliche Konstitutionalisierungsdebatte an. „Inhaltlich beansprucht die (…) Untersuchung, Zulässigkeit und Erkennbarkeit eines Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zu einem gesamteuropäischen Bundesstaats-ganzen zu klären.“ (S. 3) Um die damit verbundene Reihe von Forschungsfragen (vgl. auch S. 4) aufzunehmen und einer (vorläufigen) Klärung zuzuführen, muss der Autor em-pirische Stoffsicherung, geisteswissenschaftliche Systembildung und juristische Norm-exegese zusammenführen (S. 19). Die Arbeit stellt somit den Versuch dar, „den Verlust der souveränen Staatlichkeit durch den europäischen Integrationsprozess in seinen juris-tischen Konsequenzen zu erfassen“ (S. 21). Staatlichkeit wird hierbei als eine Form des politischen Gebundenseins entworfen, die vom Gewilltsein der Individuen zur gegenseiti-gen Letztverantwortung für die Zusammenhänge von individuellem Verhalten und gesell-schaftlicher Ordnung zeugt. Dieser Zusammenhang wird durch die Verfassung ausge-prägt. „Verfassungsrecht ist demnach, seinem Wesen zufolge, höchstes und unabgeleite-tes Recht, aus dessen rechtlichem Wesen alle anderen Normen, die es beanspruchen, ho-heitlich-rechtsverbindlich zu gelten, ihr Vorhandensein ableiten müssen.“ (S. 479) Vor diesem Hintergrund kann der europäische Integrationsprozess nur zwingend Demokra-tiedefizite aufweisen; „alle Versuche, die EU zum Bundesstaat zu fassen“, müssen daher als „Verfassungsverletzung“ angesehen werden (S. 482). Der Autor verweist selbst auf den Purismus dieses Konstruktes (S. 483) der Staatlichkeit als „Realität der Ideen (und […] damit zugleich eine Realität des Geistes) in der politischen Sphäre“ (S. 486), eine Position, die am Ende des Buches in eine Perspektive mündet, in der Staatsrechtsdogma-tik und Staatstheorie (als Klärung der vor-juristischen Gründe des Verfasstseins) als un-trennbare gegenseitige Bedingtheit von „Sein und Gelten“ behauptet wird, ohne diesen integrierten Dualismus von Sein und Sollen angesichts des immer noch aktuellen Neu-Kantianismus in Staatslehre und Rechtsphilosophie einem klärenden wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Diskurs zuzuführen. Unterschiedliche Varianten der Interpretation der EU als Staatenbund oder Bundesstaat konkurrieren miteinander. Das Wörtchen „nur“ in Bezug auf die Funktion der Kommis-sion als „Hüterin der Verträge“ ist aber grundlegend: Wie werden die Verträge ausge-legt? Hier kommt die zentrale Rolle des EuGH zur Wirkung. Was für Konsequenzen müssen in der Folge dieser Auslegung gezogen werden? Der von Christian Callies herausgegebene Sammelband „Verfassungswandel im europä-ischen Staaten- und Verfassungsverbund“ (Mohr Siebeck, Tübingen 2007, VIII, 261 S.) dokumentiert die „Göttinger Gespräche zum deutschen und europäischen Verfassungs-

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recht“, in denen auch Nachwuchswissenschaftler (Doktoranden und Habilitanden) ein-bezogen worden sind. Nicht nur ein längerer reflexiver und re-konstruierender Rückblick von Callies, auch Tagungsberichte von Thym und Lachmayer & Lais runden den Band ab, der sich hauptsächlich kontrovers um die auf Ingold Pernice zurückreichende Theo-rie des Europäischen Verfassungsverbundes, der zwischen den theoretischen Positionen des Staatenbundes und des Bundesstaates als Interpretationen Europas in politikarchi-tektonischer Hinsicht zu vermitteln versucht, dreht. In dieser Hinsicht ein informativer und lesenswerter Band. Wie auch immer dieses Problem rechtswissenschaftlich und juristisch gesehen wird; die politische Architektur Europas als politisches System ist jedenfalls als ein Mehr-Ebenen-System (aus deutscher Sicht: EU-Ebene, Bundesstaatliche Ebene – föderale Untergliede-rungen: Länder, Kommunen) zu verstehen. Dabei kommt es einerseits zu Kompetenzauf-teilungsfragen, aber auch zu vertikalen Verschachtelungen und zu horizontalen Verflech-tungen. Zu dieser Mehr-Ebenen-System-Problematik liegt eine Aufsatzsammlung vor, die von Hubert Heinelt & Michéle Knodt herausgegeben wird: „Politikfelder im EU-Mehr-Ebenen-System“ (Nomos, Baden-Baden 2008, 334 S.). Der Sammelband trägt den Unter-titel „Instrumente und Strategien europäischen Regierens“. Der Band wird von den Her-ausgebern eingeleitet und umfasst sodann 16 Beiträge, die ein breites Spektrum von Poli-tikfeldanalysen unter dem architektonischen Aspekt des Mehr-Ebenen-Systems abhan-deln. Die Studien sind weitgehend politikwissenschaftlich orientiert, finden Anschluss an die internationale Literatur und bieten für vielerlei Fragen einen strukturierten, systema-tischen Zugang. Für unterschiedliche Zielgruppen in Wissenschaft (Seminarbetrieb) und Verbände etc. ist der Sammelband sehr nützlich. Die an der Humboldt-Universität zu Berlin 2006 angenommene rechtswissenschaftliche Habilitationsschrift von Birgit Schmidt am Busch liegt unter dem Buchtitel „Die Gesund-heitssicherung im Mehrebenensystem“ (Mohr Siebeck, Tübingen 2007, XXIX, 463 S.) vor. Es ist eine vorherrschende analytisch-empirische Heuristik, Gesundheitssystemana-lysen in einem Mehr-Ebenen-System (Makro-, Meso- und Mikro-Ebene) durchzuführen. Die vorliegende Arbeit fügt nun das Gesundheitswesen in das europäische Mehr-Ebenen-System ein. Im Zentrum stehen Fragen der Kompetenzverteilung. Die Arbeit ist im vor-liegenden Gesamtbesprechungs- und Diskussionszusammenhang deshalb besonders inte-ressant, da verschiedene funktionale Teilbereiche des Gesundheitswesens (Prävention, Kuration, Rehabilitaion und Sterbebegleitung, damit aber auch eine ganze trans-sektorale Versorgungskette) behandelt werden und auf den intermediären Bereich zwi-schen Markt und Staat (der „Dritte Sektor“) fokussiert wird. Produktbezogene Fragen der Gesundheitsversorgung und (auf epidemiologisch relevante soziale Lebensverhältnis-se bezogene) Interventionen folgen nun im EU-Mehr-Ebenen-System unterschiedlichen Logiken. Die produktbezogenen Gesundheitsfragen werden in der Regel gesetzgeberisch, die verhältnisbezogenen Gesundheitsfragen organisatorisch-institutionell angegangen. Im produktbezogenen Fragenkreis zeichnet (binnenmarkt-bedingt) sich immer mehr eine Zentralisierung sowie eine Harmonisierung durch Rechtsangleichung ab. Typisch für

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verhältnisbezogene Fragenkreise ist eher eine dezentrale Praxis auf lokaler Ebene. Hier sieht die Autorin vor allem eine zunehmende Koordinationspraxis sich entwickeln. Auch etwa PPPs und Aufgabenübertragungen von den öffentlichen Händen in die nicht-öffentlichen (privaten oder halb-privaten, S. 11) Hände sind hier anzusiedeln. Wir gehen vor dem Hintergrund dieser Einschätzungen davon aus, dass Europa de facto bereits eine geteilte Kompetenz im Bereich der Sozial-, einschließlich der Gesundheits-politik betreibt. Europa praktiziert dies unabhängig davon, ob es im Zuge des wohl erneut scheiternden, zweiten Versuchs einer Verfassungsbildung dergestalt rechtlich geregelt werden würde. Diese Teilung einer Kompetenz, d. h. die Praxis einer gemeinsamen Kompetenzausübung widerspricht nicht der Subsidiaritätsidee des Art. 5 b EGV; und auch die Art. 137 i. V. m. Art. 152 EGV stehen nicht unbedingt im Widerspruch zu dieser Kompetenzregelung im europäischen Mehr-Ebenen-System, da die souveräne Gesetzge-bung und Politik der Mitgliedstaaten trotzdem immer die Übereinstimmung des eigenen nationalen Handelns mit dem EU-Recht zu prüfen und zu beachten hat. Die EU-Mitgliedstaaten sind demnach einerseits souverän und an sich zuständig für die Sozial- und Gesundheitspolitik, aber eben nur bedingt: Sie müssen nämlich andererseits ihre Rechtsentwicklung und Politik in Übereinstimmung mit dem EU-Recht gestalten. Dass diese Übereinstimmung wiederum definiert und konkretisiert werden muss, macht deut-lich, dass es hierbei durchaus Freiheitsgrade gibt oder geben kann. Insofern ist dieses ju-ristische Problem keineswegs frei von Macht und von Fragen der Machtbalance im Mehr-Ebenen-System und nicht frei von politischen Güterabwägungen zwischen der Binnenmarktdimension einerseits und anderen wertgeschätzten historischen, kulturellen und sozialen Merkmalen Europas und seiner Mitgliedstaaten andererseits. Dabei ist aber nochmals zu betonen, wie stark gerade der Binnenmarkt zum Kernprozess und zum Mo-tor der (sich vertiefenden, aber auch erweiterten) europäischen Integration geworden ist. Vor diesem Hintergrund wird „Brüssel“ oftmals eine Föderalismusfeindlichkeit, ein tie-fes kulturelles und politisches Unverständnis für historisch gewachsene Institutionen und insgesamt für die Vielfalt der Kulturen Europas vorgeworfen. Und dies, obwohl doch das primäre Recht Europas diese kulturelle Vielfalt explizit achtet und wertschätzt. Diese auf Anpassung und Übereinstimmung hin zu gestaltende Lücke, die sich zwischen der Dynamik des Binnenmarktes einerseits und den nationalen Rechtssituationen und institutionellen Arrangements andererseits aufgetan hat, ist nun der Grund, warum und wie der Europäische Gerichtshof die Rechtsprechung nur in Form der (demokratietheore-tisch strittigen) Rechtsschöpfung leisten kann: Er muss die Antwortskizzen liefern, wie die Lücken zu füllen sind. Insofern ist der EuGH zum Motor der Entwicklung in vielen Rechts- und damit in der Folge auch Lebensbereichen geworden. Das ist rechtswissen-schaftlich und politisch strittig, resultiert aber aus dieser Entwicklungslücke zwischen wirtschaftlichem Integrationsgrad und sonstigen Integrationsstufen Europas in sozialer, politischer und kultureller Hinsicht und zwar angesichts eines nur begrenzt existierenden supranationalen Politiksystems der EU. Da die nationalen Regierungen von sich aus nicht die Lücke zu schließen bereit und geneigt sind, geht die Schließung von der supranatio-nalen Ebene aus.

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Im Sinne einer geteilten Kompetenz haben sich daher bereits einige Gebiete einer europä-isierten Sozialpolitik herausgebildet. Nicht alle diese Teilgebiete sind hier aufzugreifen und zu behandeln. Es geht um koordinierendes Arbeits- und Sozialrecht, um Aspekte der europäischen Strukturfonds (insbesondere des Sozialfonds [ESF] und des Fonds für die regionale Entwicklung [EFRE]), um die Politik der Offenen Methode der Koordinierung (OMK), um die Neu-Definition der Funktionsweise (der Märkte) der Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichen, oder auch nicht-wirtschaftlichen Interesse, was aber strittig bleibt, da alle Angebote grundsätzlich einen Marktbezug, also eine Konkurrenzla-ge aufweisen) Interesse (DAI oder DA[W]I), und um die sozialen Grundrechte der Uni-onsbürger im Rahmen ihrer allgemeinen, auch wirtschaftlichen und politischen Grund-rechte (vgl. Grundrechtscharta von Nizza – wohl der modernste Menschen- und Grund-rechtskatalog der Welt). In diesem Zusammenhang ist auf das Beiheft 1 der Zeitschrift „Europarecht (EuR)“ von 2007 (Nomos, Baden-Baden 2007, 111 S.) zu verweisen. Mit dem Titel „Unionsbürger-schaft und soziale Rechte“ geben Armin Hatje & Peter M. Huber dieses Beiheft heraus. Das Beiheft umfasst vier Aufsätze (von Christian Callies, Thorsten Kingreen, Wolfram Cremer und von Ulrich Becker). Die Beiträge sind wichtig und rezeptionsbedürftig. Cal-lies skizziert den langen Wandel vom Marktbürger zum Unionsbürger. Der Trend ist nun-mehr europarechtlich, d. h. anti-diskriminierungspolitisch ernst zu nehmen. Spannend ist die Formulierung vom „geteilten Unionsbürger“ (S. 38), um die Schnittfläche des Ge-meinschafts- und des nationalen Rechts zu veranschaulichen. Dieser Befund knüpft sich an eine Kritik der unklaren Rechtssprechungsdogmatik des EuGH, insbesondere auch in sensiblen Bereichen wie der Sozialpolitik, auch mit Blick auf die EU-Erweiterung. Der Beitrag von Kingreen skizziert fundiert das sozialpolitische Potenzial der Grundfreihei-ten und ebnet den Weg für eine Problemwahrnehmung eines europäischen Sozialmodells, das sich funktional mit dem Binnenmarktkern der EU verknüpft, diesen Zusammenhang aber auch zunehmend übersteigt. Cremer skizziert systematisch die EG als Sozial- und Bildungsunion, konstatiert aber auch den Prozesscharakter der längerfristigen Evolution und damit die Vorläufigkeit und Unvollkommenheit des Erreichten. Ähnlich geht Becker auf den Zusammenhang von Migration und sozialer Sicherheit ein. Die Innsbrucker Dissertation von Julia Dorfmann aus dem Jahre 2005 „Der Schutz der sozialen Grundrechte – eine Untersuchung aus völkerrechtlicher und europarechtlicher Sicht“ (Innsbruck university press – Schulthess – Nomos, Innsbruck 2006, 325 S.) ist in diesem ganzen Zusammenhang besonders herauszuheben, da es ihr mit besonderem Be-zug zur Grundrechtscharta von Nizza darum geht, auf den Zusammenhang der sozialen Grundrechte mit staatlichen Gewährleistungsfunktionen (verschieden ausformulierter Art) im Kontext einer positiven Staatsauffassung („Freiheit durch den Staat“ [S. 301]) einzugehen und diesen darzulegen und zu diskutieren. Diese verschiedenen Dimensionen einer europäisierten Sozialpolitik sind interdependent. Beispiele: Die Freizügigkeit des Bürgers als Versicherter in der Rolle des Patienten ver-langt eine sozialrechtliche Koordination; oder: Das Grundrecht des Menschen mit Behin-derungen auf Teilhabe an der Arbeitswelt verlangt eine fördernde Tätigkeit des Staates,

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wie sie z. B. durch den ESF unterstützt werden kann. Die Neu-Definition der Erstellung der sozialen Dienstleistungen ist eng verknüpft mit Fragen der quasi schon „vergrund-rechtlichten“ Grundfreiheiten im Binnenmarkt. Genau wie die Ziele der OMK setzen die-se Neu-Regelungen der zunehmend marktoffenen und wettbewerblich gesteuerten For-men der Erstellung sozialer Dienstleistungen das soziale Grundrecht auf freien Zugang der Bürger zu den Sozialschutzsystemen und zu den Einrichtungen und Diensten voraus, die Qualität soll auf hohem Niveau gewährleistet sein, die Dienste sollen aber auch (da-her die Marktöffnung und wettbewerbliche Steuerung) zu möglichst niedrigen Preisen und effizient angeboten werden, und schließlich sollen die Systeme des Sozialschutzes nachhaltig sein, also langfristig finanzierbar und stabil sein. Die Demographieabhängig-keit der Systeme des Sozialschutzes ist ein Thema der EU-Politik geworden. Auch hier ist ein Grünbuch vorgelegt worden. Dies steht insgesamt im Zusammenhang mit der Lis-sabon-Strategie der EU. Mit Blick auf die Zusammenhänge zwischen Arbeitsmarkt und Sozialschutzsystemen ist auf die Employability-Strategie, auch auf die Flexicurity-Strategie zu verweisen („Workfare“ statt „Welfare“). Auf das zuletzt genannte Thema des demographischen Wandels ist deshalb einzugehen, da sich in letzter Zeit die Literatur zum demographischen Wandel als Anpassungsheraus-forderung für den öffentlichen Sektor, vor allem auch für die Infrastrukturleistungen der Daseinsvorsorge, verdichtet. Dabei geht es weniger um die allseits diskutierte Alterung der Bevölkerung, sondern um die damit verknüpfte Schrumpfung der Bevölkerung. In diesem Zusammenhang ist auf die Aufsatzsammlung „Demographie als Herausforde-rung für den öffentlichen Sektor“ (VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, 312 S.) zu verweisen, die von Reinhold Sackmann, Bernadette Jonda und Maria Reinhold herausgegeben wird. Neben einer als Einleitungsrubrik klassifizierten Ansammlung von vier Aufsätzen, davon einer der Herausgeber, finden sich fünf Aufsätze in der Rubrik „Arbeitsmärkte des öffentlichen Sektors: Herausforderungen und Flexibilität“, sechs Beiträge in der Rubrik „Demographie als Herausforderung der Kommunen: Bewälti-gungsstrategien“ sowie ein Aufsatz in der Rubrik „Rückblick und Ausblick“. Die Analy-sen sind bunt, daher liegt keineswegs ein Handbuch-artiges Werk zum systematischen Orientieren vor. Die Beiträge werden zwar rubrifizierend angeordnet, durch Einleitung und Rück- und Ausblick gerahmt, bleiben aber insgesamt von einer anregenden Vielfalt der Perspektiven auf ein komplexes Themenfeld charakterisiert – insgesamt aber sehr lesenswert und betrifft und streift eine Reihe von Fragen der hier interessierenden (kom-munalen) Daseinsvorsorgeproblematik. Wir behandeln nachfolgend weiterhin angesichts dieser verschiedenen Dimensionen ei-ner zunehmend europäisierten Sozialpolitik nur die Problematik der DAI bzw. DA(W)I, beziehen aber diese Interdependenz mit anderen Dimensionen einer zunehmend europäi-sierten Sozial- und Gesundheitspolitik (als geteilte Kompetenz im Mehr-Ebenen-System) mit ein in die Betrachtungen. Personengebundene, an Seele und Körper von Menschen erbrachte Dienstleistungen sind nicht trivial über Märkte zu organisieren: Oftmals liegen asymmetrische Informationsver-teilungen zwischen Anbietern und Nachfragern vor, die Qualität der Produkte/Leistungen

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sind weder vorher noch nachher leicht zu beurteilen, nicht alle Leistungen können ver-gleichbar in Wiederholungskäufen beurteilt werden, entsprechend spielen Vertrauen und Glauben eine konstitutive Rolle, entsprechende Verträge sind nicht vollständig spezifi-zierbar. In der Regel liegen aber gesellschaftlich hochgradig wertgeschätzte Versor-gungslagen vor, so dass die Güter in ihrer Erstellung, Vorhaltung und Zugänglichkeit sicherzustellen bzw. zu gewährleisten sind (sog. meritorische Güter). Vollständiges Marktversagen liegt jedoch nicht vor, zumal Nicht-Markt-Steuerungen ebenfalls unvoll-kommen sind (Staats- bzw. Politikversagen, Verwaltungsversagen, Dritter Sektor-Versagen). Vor dem Hintergrund dieses Befundes der grundsätzlich nur unvollkommenden Allokati-onslösungen kann konstatiert werden, dass die EU-Politik daher die Bildung von regu-lierten Quasi-Märkten anvisiert. Es geht, wo es geht, um Eröffnung von Wettbewerb „in“ Märkten und um Eröffnung von Wettbewerb „um“ Märkte, wenn es sich um „natürliche Monopole“ handelt, wo es nur einen (regionalen) Anbieter geben kann. Es geht ferner um Annäherungen an Wettbewerbslösungen in Form von Wettbewerbssurrogaten. Die EU-Politik neigt in diesem Zusammenhang dazu, die neuen Formen regulierter Märkte in den Kernbereichen der ökonomischen Daseinsvorsorge (Verkehr, Energie, Post und Tele-kommunikation, Abfall und Abwasser, zunehmend Wasser überhaupt) auf die Sektoren der Erstellung von Sozial- und Gesundheitsleistungen analog zu übertragen. Inhouse-Lösungen (wo die öffentliche Hand, etwa die Kommunen [hier ist auf die in Deutschland grundgesetzlich verankerte Möglichkeit der kommunalen Selbstverwaltungswirtschaft zu verweisen], die Produktion selbst übernehmen, also in Form öffentlicher Unternehmun-gen) werden marginalisiert, als Möglichkeit mit strikter Nachrangigkeit gegenüber Marktlösungen und wettbewerblich gesteuerten Übertragungen an private Träger also an den Rand bzw. in den Hintergrund gedrängt. Dies wird mitunter von der Wissenschaft der Öffentlichen Wirtschaft (insbesondere vom Wissenschaftlichen Beirat des BVÖD, ehemals GÖW) deutlich kritisiert. Ein zentrales Argument in der Inhouse-Debatte ist „Das Örtlichkeitsprinzip im europäi-schen Binnenmarkt“. So lautet auch der Titel der Arbeit von Christopher Wenzl, der – so der Untertitel – „Die räumliche Beschränkung der Kommunalwirtschaft durch das deut-sche (Verfassungs-)Recht und ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht“ (Nomos, Baden-Baden 2007, 230 S.) – in seiner Berliner Dissertation von 2007 analysiert. Im Er-gebnis hält Wenzl zunächst die Ortsgebundenheit und eine damit auf die Bedürfnisse der Bewohner orientierte Legitimationsgrenze des kommunalen Wirtschaftens gemäß GG für zwingend. Eine interkommunale Zusammenarbeit bleibt möglich. Kommunales Wirt-schaftsrecht, das diese Grenzziehungen überschreiten will, sei verfassungswidrig. Der Verfasser hält diese geographische Marktaufteilung in Deutschland sodann für wettbe-werbsverfälschend und handelshemmend im Sinne des Europarechts. Er konstatiert je-doch die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung nach objektivierten Kriterien, betont da-bei insgesamt ferner auch große Gestaltungs- und Beurteilungsspielräume aus deutscher Sicht. Weiter wird darüber hinaus argumentiert, dass das Gemeinschaftsrecht, das hier

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dominiert, eher zur Lockerung des deutschen Verfassungsrechts mit Blick auf die kom-munale Wirtschaft zwingt. Mit dem Inhouse-Geschäfte-Problem setzt sich auch die juristische Dissertation von Karsten Hardraht, die 2005 in Berlin angenommen worden ist und unter dem Titel „In-house-Geschäfte und europäisches Vergaberecht“ erschien (Duncker & Humblot, Berlin 2006, 332 S.), auseinander. Im Lichte der EuGH-Urteile in den Fällen Teckal und Stadt Halle sieht der Verfasser kaum Spielräume für weite Auslegungen der Ausnahmebereiche zur Umgehung des allgemeinen Ausschreibungswettbewerbsgebotes. Allerdings ist das Vergaberecht der EU dann und insoweit gar nicht relevant, wenn eine funktionelle Iden-tität zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und der Einheit, mit der der Vertrag ge-schlossen wird, gegeben ist. Entgegen dem EuGH ist der Autor dabei der Auffassung, dass die beauftragte Einheit nicht im Wesentlichen ihre Tätigkeit gegenüber dem beauf-tragenden öffentlichen Auftraggeber erbringen muss. Damit bleiben jedoch Probleme bei gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen und Zweckverbänden wohl nach wie vor prob-lematisch und in der Diskussion strittig. Insgesamt wird aber auch im Lichte dieser neueren Literatur ein obligatorischer Aus-schreibungswettbewerb zur Auswahl privater Anbieter/Ersteller von Dienstleistungen betont. Die mit dem Binnenmarkt übereinstimmenden Modalitäten zur Erstellung sozialer Dienstleistungen werden demnach über einen transparenten, diskriminierungsfreien Weg der Markteröffnung und der wettbewerblichen Auswahl von Anbietern/Erstellern zu ver-wirklichen versucht. Insofern muss sich die nationale Praxis der Dienstleistungserstellung diesem europäischen Wettbewerbs-, Beihilfe(verbots)- und Vergaberegime fügen. Dort, wo auf eine Ausschreibung verzichtet wird, muss der Betrauungsakt nicht nur nach euro-parechtlichen Vorgaben transparent sein, sondern auch Benchmark-Instrumente einbau-en. Andere Instrumente (wie dem der marktorientierten Direktvergabe) sollen hier nicht weiter aufgegriffen werden. Ein seit langem immer wieder neu aufgegriffenes Thema im Kontext des Vergaberechts ist die Frage nach der Zulässigkeit sozialer Vergabekriterien. Die Münchener rechtswis-senschaftliche Dissertation, die von Ariane Wiedmann am MPI für ausländisches und internationales Sozialrecht angefertigt wurde und 2006 angenommen worden ist, liegt unter dem Titel „Die Zulässigkeit sozialer Vergabekriterien im Lichte des Gemein-schaftsrechts“ (Nomos, Baden-Baden 2007, 319 S.) vor. Nach der EuGH-Recht-sprechung ist die Zulässigkeit gegeben. Solange Transparenz und Chancengleichheit im Ausschreibungswettbewerb garantiert ist, liegt eben kein Widerspruch zum europäischen Recht vor. Gerade diese Transparenz macht die Kompatibilität mit dem Beihilferecht aus; auch das Vergaberecht kennt weite Spielräume bei der Definition des Leistungsge-genstandes. Hier ist der Altmark-Katalog zentral entscheidend. Die Definitionsmacht liegt bei den Auftraggebern. Damit kommt es subsidiaritätstheoretisch gesehen zu einer tendenziell harmonisierbaren Beziehung zwischen europarechtlichem Anforderungskata-log einerseits und nationalen Umsetzungssouveränitäten andererseits. In einigen Dis-kursbereichen ist von der Figur des „wohlfahrtsstaatlichen Kontraktmanagements“ die

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Rede, die hier das Ausschreibungsregime als europarechts-kompatiblen Typus des Wohl-fahrts- und Daseinsvorsorgestaates darlegen helfen soll. Die juristische Dissertation der Universität Würzburg aus dem Jahre 2004 von Andreas van den Eikel „Die zulässige Implementierung ‚vergabefremder’ Kriterien im europäi-schen Vergaberecht“ (Kovac, Hamburg 2006, XLIX, 605 S.) kommt zu dem Ergebnis: „Ja, aber.“ (S. 581) Wie Wiedmann führt auch Van den Eikel die Kriterien der Transpa-renz, der Objektivität und der Chancengleichheit an, um die Kompatibilität zwischen na-tionalen Politikzielsetzungen einerseits und dem europäischen Binnenmarktrecht, insbe-sondere dem Vergabe- und Beihilfenrecht andererseits zu bewirken und somit auch eine Integration wirtschaftlicher und gesellschaftlicher bzw. politisch erwünschter Ziele zu ermöglichen. Doch hat der Autor wohl recht: „Ein Ende der Diskussion ist noch lange nicht in Sicht.“ (S. 585) Aber: „Der ablehnenden Haltung in der Literatur zum trotz, geht die Rechtswirklichkeit und die Praxis dahin, vergabefremde Kriterien zu berücksichti-gen.“ (S. 585) Die (umfängliche) Arbeit ist angesichts ihrer Differenziertheit und wirk-lichkeitshermeneutischen Offenheit herauszustellen. Soziale und Gesundheitsdienstleistungen werden also zunehmend analog zur Daseinsvor-sorge in den ökonomisch-technischen Güterbereichen des alltäglichen Lebens behandelt. Die EU-Kommission hat diese Analogie durch einschlägige Grün- und Weißbücher, Mit-teilungen und Konsultationsprozesse deutlich vorangetrieben. Es bleibt noch offen, wie die Ergebnisse dieser Regulierungspolitik in Form von sektorbezogenen oder Rahmen-richtlinien aussehen werden, wie die Abstimmung mit anderen relevanten Verordnungen und Richtlinien aussehen wird, wie das ganze Thema schlussendlich im Primärrecht, in dem bereits die DA(W)I, auch mit grundrechtlichem Bezug, wertgeschätzt werden (vgl. Art. 16 EGV i. V. m. 86 Abs. 2 EGV), verankert wird. Damit bleiben auch die Fragen nach (begrenzten und sicherlich eher restriktiv handhabbaren) Ausnahme- und Spiel-raumregelungen noch offen. Der Grund für diese Politik der Marktöffnung und wettbewerblichen Steuerung wird in der Existenz von Konkurrenzangeboten gesehen. Neben den Sozialunternehmungen der freien Wohlfahrtspflege sind auch private, erwerbswirtschaftlich orientierte Unternehmen in diesen Sektoren tätig. Sehr ausgeprägt ist dies im Pflegebereich gemäß Sozialgesetz-buch XI. Aber auch im Krankenhaussektor gibt es eine Konkurrenz zwischen öffentli-chen, freien (frei-gemeinwirtschaftlichen) und privaten Trägern. Da ein solcher Marktbe-zug bei der Produktion und beim Vertrieb dieser sozialen Dienstleistungen besteht, kommt der funktionelle Unternehmensbegriff zur Wirkung. Es kommt hierbei, also bei der funktionalen Sichtweise aus Sicht der EU-Kommission und des EuGH, weder auf Träger- und Rechtsformbesonderheiten noch auf das Vorliegen gemeinwirtschaftlicher Produktionsfunktionen an. Die betriebswirtschaftliche Sachzieldominanz im Kontext ei-nes komplexen gemeinwirtschaftlichen Stakeholder-Denkens und -Handelns spielt für die EU-Kommission und im Lichte analoger Rechtsschöpfungen durch den EuGH keine grundlegende Rolle. Diese ganze Debatte um die soziale Produktionsfunktion der Sozi-alwirtschaft (These der „added values“: In der Regel wird auf die Produktion von „Sozi-alkapital“ durch die freie Wohlfahrtspflege verwiesen. Damit sind verörtliche Effekte

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vertiefter sozialer Integration und sozialer Kohärenz verbunden, die auch die individuelle Lebensqualität und Lebenszufriedenheit steigern. In der ökonomischen Theorie ist ver-wandt von positiven externen Effekten die Rede. Aber auch diese Perspektive einer wohl-fahrtsökonomischen Betrachtung führt nicht vereinfacht zur Ablösung von Markt- durch Staatsproduktion, sondern u. U. nur zu Formen der Regulierung von Märkten.) und ihre Einordnung in einen „Dritten Sektor“ zwischen Staat, Markt und primären Netzwerken (Familie und Verwandtschaft sowie Freundschaft) wird von der EU-Kommission, trotz der durchgeführten Konsultationen und den darauf aufgesetzten Diskursen und trotz der eingeholten wissenschaftlichen Expertisen (zu verweisen ist auf mehrere Studien/Exper-tisen von Ciriec International in Lüttich) kaum angemessen verarbeitet. Die eigene Entwicklung in der nationalen Implementation „neuer Steuerung“ bzw. des New Public Managements lassen es aber nicht möglich werden, hier nur von einer rein exogenen Modernisierung in den Modalitäten der Erstellung von (sozialen) Dienstleis-tungen von allgemeinem (wirtschaftlichen) Interesse sprechen zu können. Das Problem ist auch „hausgemacht“. Insgesamt muss man mit Blick auf diese Wechselwirkung europäischer (und somit sup-ranationaler) und nationaler Modernisierungsimpulse von einem Trend zum „wohlfahrts-staatlichen Kontraktmanagement“ sprechen. Auch im Lichte der (sozialen) Vergrund-rechtlichungstendenzen in der EU bleibt es dem diesbezüglich souveränen Mitgliedstaat unbenommen, in Hinsicht auf die Setzung von daseinsvorsorgeorientierten Zielen die Sicherstellung der Zugangschancen zu den sozialen Infrastrukturen von hoher gesell-schaftlicher Bedeutung zu gewährleisten (Gewährleistungsstaatlichkeit). Aber die Moda-litäten der Erstellung der Dienstleistungen sollen im Rahmen eines Delegationsprinzips marktbezogenen Anbietern überlassen werden. Hierzu dienen die angesprochenen For-men der Quasi-Marktöffnung oder der Wettbewerbssteuerung, und seien diese auch nur Annäherungen an Marktlösungen angesichts der oben angesprochenen Unvollkommen-heiten von Markt- und Nicht-Markt-Allokationen im Vergleich. Der entsprechende Grundsatz lautet: Suche die im Vergleich zu anderen unvollkommenen Lösungen des Allokationsproblems am wenigsten unvollkommene Lösung. An diesem Punkt ist eine interessante Arbeit einzuschieben, die sich im Kontext (der The-orien) der Begründungen für Staatsinterventionen etwas anders ansiedelt. Die an der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt an der Oder) 2005 angenommene Habilitation von Jan Hecker „Marktoptimierende Wirtschaftsaufsicht“ (Mohr Siebeck, Tübingen 2007, XVII, 303 S.) behandelt (so der Untertitel) „Öffentlich-rechtliche Probleme staatlicher Wirtschaftsinterventionen zur Steigerung der Funktions-fähigkeit des Marktes“. Am Beispiel von drei Bereichen (Kartellrecht, Telekommunikati-onsrecht und Wertpapierhandelsrecht) diskutiert er diese Praxis der Staatsintervention durch Wirtschaftsaufsicht (in Absetzung zur markt-korrigierenden Intervention etwa aus nicht-ökonomischen Zielen heraus) im Zusammenhang mit der Theorie des Markt-versagens (und im Verhältnis zum neueren „Regulierungsverwaltungsrecht“) und prüft die Passung zwischen Verfassungsrechtsbegründung einer Aufsichtsgesetzgebung mit wirtschaftstheoretischen Plausibilitätsanforderungen.

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Zurück zum nationalen Rechts- und Praxisanpassungsdruck. Der deutsche Typus der Er-stellung von Dienstleistungen im Rahmen der Sozialgesetzbücher ist diesem hier darge-legten europäischen Regime durch die Vorrangstellung freier (frei-gemeinwirtschaft-licher) und privater (erwerbswirtschaftlich orientierter) Träger weitgehend nahestehend, doch ist das Ausmaß der Bildung von regulierten Quasi-Märkten noch nicht völlig bin-nenmarkt(rechts)konform durchgestaltet. Und hier eröffnen sich die anstehenden Kon-flikte um die Enge oder Weite in der Auslegung und der Umsetzung notwendiger Bin-nenmarktübereinstimmungen der nationalen Praxis der Steuerung von Dienstleistungs-märkten im Sozial- und Gesundheitssektor. Dies wird Thema der nächsten Jahre bleiben. Die EU-Kommission fokussiert sehr auf den Aspekt „wohlfahrtsoptimaler“ Preise und legt diesen (theoretischen) Begriff weitgehend im Sinne möglichst niedriger Preise aus, läuft damit jedoch Gefahr, komplexere, integrierte Preis-Qualitäts-Parameter in der Wett-bewerbsorientierung auszublenden oder zu marginalisieren. Aus sozialpolitischer Per-spektive ist diese Verengung durch Ausblendung relevanter Aspekte und Problemdimen-sionen gravierend. Marktlösungen scheinen vor allem bei komplexen Bedarfslagen „schlechter Risikolagen“ von Menschen schwierig zu sein. Zu denken ist etwa an eine Mischung von chronischer Erkrankung, Hilfe- und Pflegebedürftigkeiten und Behinde-rungen, bei gleichzeitig vorliegenden Netzwerkdefiziten, insbesondere im Fall älterer und alter Menschen. Für einfache Risikolagen mag die Situation anders sein. Hier ließe sich noch ein ausführlicherer sozialpolitischer Diskurs über die Probleme der Entwicklung und Sicherstellung angemessener (z. B. transsektoral und multi-professionell integrierter) Versorgungslandschaften anführen. Für sozialräumliche, sozialmilieu- und quartiersbe-zogene Fragen der Sicherstellung von komplexen Leistungen im Sinne von Zugänglich-keit, Erreichbarkeit, Verfügbarkeit und Akzeptanz scheint die sich in den ökonomisch-technischen Kernbereichen der Daseinsvorsorge besser auszukennenden Kommission wenig Verständnis zu haben. Sie vermutet doch weitgehend nur politische Marktmachtin-teressen der staatsmittelbar etablierten Sozialwirtschaft. Auch die steuerrechtliche Sonderstellung der gemeinnützigen Unternehmen wird weit verbreitet als wettbewerbsverzerrend eingestuft. Hierbei kristallisieren sich Fragen der steuerlich diskriminierungsfreien Anerkennung der Gemeinnützigkeit von EU-Auslands-Unternehmen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Tätigkeiten, aber auch Fra-gen im Rahmen diskriminierungsfreien Ausschreibungs-, Vergabe- und Betrauungsrechts heraus. Dis Diskussion ist diesbezüglich nicht abgeschlossen. Das Institut der Steuerfrei-gemeinnützigkeit wird mit Blick auf die Notwendigkeit strategischen Managements in Verbindung mit der Bildung von Reinvestitionsfonds durch die freie Wohlfahrtspflege selbst zunehmend problematisiert. Eine Arbeit von Katharina Stürz („Die staatliche Förderung der christlichen karitativen Kirchentätigkeit im Spiegel des europäischen Beihilferechts“ [Nomos, Baden-Baden 2008, 136 S.], eine Gießener rechtswissenschaftliche Dissertation von 2007) trifft in der Problemformulierung den Kern der vorliegenden Diskussion (vgl. die „Einleitung“ S. 17-19). Dabei wird deutlich, dass die Problematik (einer möglichen Einstellung staat-licher Finanzförderungen der Caritas) nicht die in der EU anerkannten Grundrechte der

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Religionsfreiheit bzw. das Kirchenrecht beeinträchtigen würde. Im Bereich der sozialpo-litischen Betätigungsfelder der Kirchen sieht die Autorin das Beihilferecht in großen Tei-len der sozialen Betätigungspraxis als gar nicht relevant an (u. U. aufgrund der de mini-mus-Regelungen). Allerdings sieht sie dies in den Kernbereichen der Kranken(haus)- versorgung und der Altenpflege(einrichtungen) anders. Und hier werden erhebliche Rückwirkungen des Europäischen Rechts konstatiert. Die Autorin gibt insofern einerseits teil-sektoral „Entwarnung“ (S. 129), andererseits empfiehlt sie eine stärkere Wettbe-werbsorientierung und Marktöffnung. Sollte die frei-gemeinwirtschaftliche Dienstleis-tungserstellung aus diesen Gründen erodieren, müsste der Staat, so die Autorin (S. 129), wieder die Lücke füllen – dies stellt eine theoretische Rückbesinnung auf den Sachverhalt der bisherigen Praxis der Delegation öffentlicher Aufgaben an nicht-staatliche Verbände und ihren Sozialunternehmen dar. Ein anderer Gesichtspunkt ist noch anzuführen. Insgesamt wird in der europäischen Rechts- und Politikentwicklung die Frage der Transaktionskosten der induzierten Regula-tionsregime (zur Bildung und Eröffnung von marktnahen Erstellungsweisen) weitgehend ausgeblendet. Diesen Wohlfahrtsgewinnen einer vermehrt effizienzorientierten Marktöff-nung und Wettbewerbssteuerung sind die Kosten der dazu nötigen Regulationsbehörden und ihrer Regulierungspraxis gegenüber in Rechnung zu stellen. Hier täte ein Blick in die Telekommunikations- oder Energiemärkte gut. Denn auch im Fall einer weitgehenden Wettbewerbsordnung in der Gesundheitsversorgung, etwa in Form von Modellen des Einkaufs von Anbietern und Versorgungsnetzen durch einzelne Sozialversicherungskas-sen im Wettbewerb (Individual- statt Kollektivvertragswesen), wird angedacht, die Quali-tät (auch die räumliche Versorgungssituation, welche in Deutschland angesichts der ver-fassungsrechtlichen Vorgabe einer „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ im Raum ein grundlegendes Argument darstellt und insofern immer schon ein politisches Anliegen, die medizinische Versorgung, aber auch abgestimmt mit der pflegerischen Versorgung, mit der allgemeinen Raumentwicklung [Siedlungsstrukturen etc.] integriert zu gestalten, war) von Landesregulierungsbehörden beaufsichtigen zu lassen. Allein die grenzüberschreitende Patientenmobilität hat Anpassungen des deutschen Ge-sundheitswesens einschließlich des Pflegewesens erfordert. Bei einem größeren Ausmaß der Patientenmobilität könnten sich auch Probleme in der gängigen Praxis der Kapazi-tätsplanung im ambulanten und stationären Bereich ergeben. Auch fiskalische Mehrbe-lastungen können sich für die Krankenversicherungen ergeben. Das hängt mit Details der Vergütungspraxis in Deutschland zusammen. Grenzüberschreitende Vertragsbildungen müssten wiederum europarechtlich diskriminierungsfrei ablaufen. Grundsätzlich bleiben auch die deutschen Traditionen der berufsständischen Zulassung von Vertragsärzten und die Art der Investitionsförderung der Krankenhäuser im Rahmen der Bedarfsplanung der Bundesländer ein verfassungs- wie europarechtlich kontroverses Thema. Dabei bestehen weiterhin noch ungeklärte (wettbewerbs- und vergaberechtliche) Fragen (terminologischer, aber auch rechtsstrategischer Art) mit Blick auf die Lizenzie-rungs- und Konzessionsmodelle, die hierbei wirksam sind. Hier zeichnen sich rechtliche und politische Güterabwägungskonflikte zwischen Grundfreiheiten, Freizügigkeitsrech-

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ten, nationalen Rechten auf Sicherung der finanziellen Nachhaltigkeit und der Freiheit zur Gewährleistungsstaatlichkeit mit Blick auf die Daseinsvorsorgegüter ab. Das war aber auch bereits unabhängig von der Dynamik des rückwirkenden Europarechts in Deutschland ein Thema der (unabgeschlossenen) Rechtssprechend durch Bundessozial-gericht und Bundesverfassungsgericht. Der Anpassungsdruck des deutschen Sozial- und Gesundheitswesens mit Blick auf die europäischen Vorgaben im Bereich des Wettbewerbs-, Beihilfe- und Vergaberechts wird aber noch zunehmen. Insbesondere im Gesundheitswesen zeigt sich (vorangetrieben vor allem [aber nicht nur] im Bereich der Integrationsversorgung nach § 140 a-d SGB V) der Trend des Übergangs zu einem Individualvertragswesen, also zum selektiven „Einkauf“ von Anbietern und Versorgungsstrukturen durch die Einzelkassen, die im Wettbewerb zueinander stehen. Damit lösen sich die Traditionen eines berufsständischen Zulas-sungswesens und einer entsprechenden Niederlassungsplanung im ambulanten Bereich auf. Käme es zu einer (seit langem angedachten, aber kontrovers bleibenden) Auflösung der dualen Krankenhausfinanzierung zugunsten einer Monistik (Finanzierung der betrieb-lichen und der investiven Kosten der Krankenhäuser „aus einer Hand“ der Kassen), wür-de auch die Kapazitätsplanung an die Einzelkassen übergehen (müssen). Im Rahmen ei-nes solchen „Einkaufsmodells“ würde das einschlägige binnenmarktzentrierte Europa-recht nochmals einen Bedeutungszuwachs für das deutsche Gesundheits- und Sozialwe-sen erhalten. Das europäische Vergaberecht ist angesichts seiner wachsenden grundlegenden Bedeu-tung Gegenstand zahlreicher systematischer Darlegungen und Reflexionen. Die Regens-burger rechtswissenschaftliche Dissertation aus dem Jahre 2006 von Rainer Regler „Das Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht“ (Duncker & Humblot, Berlin 2007, 299 S.) ist in verschiedenster Hinsicht von Interesse. So klassifiziert der Autor das Vergabewesen nicht als funktionelle Privatisierung, weil keine Rechtsmacht abgegeben wird. Dies ist im Zusammenhang mit der These, ein Ausschreibungsregime nach europäi-schem Recht beließe die Definitionsmacht hinsichtlich gesellschaftlicher bzw. politisch wünschenswerter Zielsetzungen bei dem öffentlichen Auftraggeber, von großem Interes-se. Umgekehrt bedingen funktionelle Privatisierungen die Vergabepflichtigkeit. Das Ver-gaberechtsverhältnis hat öffentlich-rechtlichen Charakter und ist europarechtlich über-formt. Es berührt staatliche Fürsorgepflichten und tangiert erheblich Grundrechtsrele-vanzen bei der Eröffnung und Steuerung der betroffenen Märkte. Es handelt sich um Leistungsverwaltung, bei Berücksichtigung vergabefremder Kriterien um Lenkungsver-waltung. Das gesamte Feld des europäischen Vergaberechts ist über umfassende Handbücher darzustellen; verwiesen sei etwa auf „Europäisches Vergaberecht“ von Alexander Egger (Nomos – Helbing Lichtenhahn – facultas, Baden-Baden 2008, 464 S.), ein grundlegen-des Nachschlagewerk. Nun haftet diesen notwendigen Hand- und Lehrbüchern eine naturbedingte „Trocken-heit“ an, die eine rechtswissenschaftliche Habilitation der Universität Jena aus dem WS 2005/06 nicht unbedingt aufweisen muss, was dann auch nicht der Fall ist. „Vergabe-

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recht im Wettbewerb der Systeme. Eine rechtsübergreifende Analyse des Vergaberechts“ (Mohr Siebeck, Tübingen 2007, XV, 376 S.) von Marc Bungenberg nimmt die Ökonomi-sierung des Staates, das Streben nach seiner Effizienzsteigerung im Lichte des Verände-rungsdrucks durch Europäisierung und Internationalisierung in Form eines Systemwett-bewerbs zum Ausgangspunkt der Betrachtungen. Völlig treffsicher charakterisiert Bun-genberg die so anstehenden Fragen einer Aufgabenaufteilung zwischen Staat und Priva-ten nicht als Frage nach dem „Ob“ staatlicher Aufgaben, sondern als Frage nach dem „Wie“ (S. 331). Staatliche Eigenerbringung ist eine Ausnahme zum Markt im Fall des Marktversagens. Alternativen zu dieser öffentlichen Produktionsregie sind Auftrags- und Konzessionsvergabe. Dies bedeutet einen Wechsel zur Gewährleistungsstaatlichkeit: „Vergaberecht wird zum Instrument staatlicher Daseinsvorsorge.“ (S. 332) Dazu muss das Vergabewesen selbst aber effizient sein. Hier ist im Rahmen des Mehr-Ebenen-Systems die europarechtliche Überformung und die Nachrangigkeit des nationalen GG zu betonen. Der nationale Gestaltungsspielraum ist jedoch bleibend erheblich. Wird Wettbewerb zum europäischen Verfassungsprinzip, so spielen Transparenz und Chan-cengleichheit im Ausschreibungswesen die zentrale Rolle. In diesem Rahmen sind vielfäl-tige politische Ziele von gesellschaftlicher Wertschätzung implementierbar. Noch ist demnach das Vergaberecht Europas für das deutsche System der öffentlich-rechtlichen Sicherstellungspraxis nicht relevant. So führt die bisherige Praxis der Solidar-finanzierung bislang zur Einschätzung seitens des EuGH, wonach die Kassen keine wirt-schaftlichen Unternehmen sind. So dürfen sie z. B. Festbeträge für Arzneimittel gemein-sam festlegen, was unter anderen Umständen ein Missbrauch von Marktmacht wäre und kartellrechtlich untersagt werden müsste. An dieser augenblicklichen rechtlichen Einschätzung des Nicht-wirtschaftlichen Unter-nehmenscharakters der Sozialversicherungslassen ändert auch die neuere Reform (ge-meint ist das GKV-Wettbewerbsstärkungs-Gesetz [GKV-WSG]), die die Bildung eines Gesundheitsfonds mit (zunächst) einheitlichen Beitragssätzen und eine Veränderung des Risikostrukturausgleichs (RSA) zwischen den Kassen vorsieht, nichts. Dennoch treibt das deutsche Gesundheitswesen im Sog der nationalen Reformgesetzgebung immer mehr auf den Typus einer „solidarischen Wettbewerbsordnung“ zu, wodurch sich die Relevanz des europäischen Wettbewerbs-, Beihilfe- und Vergaberechts gravierend erhöhen wird. Das betrifft nicht die Tatsache, dass das deutsche System der Delegation öffentlicher Aufga-ben an öffentlich-rechtliche Körperschaften in staatsmittelbarer Selbstverwaltung und die sozialrechtlich verankerte Vorrangigkeit nicht-öffentlicher Leistungsanbieter (einschließ-lich der Gleichrangigkeit freier [gemeinnütziger] und privater Träger) im Prinzip, aber nicht in der Konkretisierung immer schon an einem Public-Private-Partnership-Modell im Sinne der Gewährleistungsstaatlichkeit orientiert war. Zum PPP liegt nunmehr eine kleine „Zwischenbilanz“ vor. Wolfgang Gerstlberger und Karsten Schneider (unter Mitarbeit von Katrin von Schäwen) legen in der bekannten Schriftenreihe „Modernisierung des öffentlichen Sektors“ als Band 31 die kleine, aber feine Arbeit (98 S.) „Öffentlich Private Partnerschaften. Zwischenbilanz, empirische Be-funde und Ausblick“ (edition sigma, Berlin 2008) vor. Nach 20 Jahren PPP-Diskussion

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und -Praxis wird die (begrifflich fundierte Analyse der) Quantität der Entwicklung in den Funktionsbereichen Organisation und Finanzierung skizziert, aber auch die Frage nach Lernprozessen gestellt. Kapitel 4 stellt ausgewählte Fallgeschichten dar. Mit Blick auf die Ergebnisse ist es in der Tat überraschend, dass die fiskalischen Einsparungen, die durch PPP erzielt werden, vielleicht gar nicht von so zentraler Bedeutung in der Diskus-sion sein sollen. Primär scheint PPP als ein Weg in die Marktöffnung und Wettbewerbs-orientierung in der Erstellung öffentlicher (kommunaler) Dienstleistungen zu sein (S. 79). Stakeholder-orientiert werden einige Wirkungsrichtungen von PPP skizziert; Aspekte der ökonomischen, soziologischen und politikwissenschaftlichen Forschung werden auf-gegriffen. Schließlich werden stilisiert zwei Zukunftspfade der Entwicklung von PPP skiz-ziert: eine Politik der standarisierten und eine solche der maßgeschneiderten PPP-Projekte. Projekt-Optionen werden diskutiert. Insgesamt zeigt sich, welche tiefgreifenden Anpassungserfordernisse aus der Binnen-marktdynamik resultieren, aber auch, wie spannungsreich die offensichtliche Verkürzung der Idee der europäischen Integration allein auf Fragen des Wirtschaftsraumes ist. Vor diesem Hintergrund stellen sich Fragen nach der Vielfalt der Sozialschutzsysteme in Eu-ropa und ihres Wettbewerbs. Hier spielt die OMK eine grundlegende Rolle, da mit Blick auf die Kriterien der Zugangschancen, der Qualität und der Nachhaltigkeit die Suche nach besseren Lösungen die Mitgliedstaaten unter Lernprozessdruck setzen und insofern schleichend harmonisierende, zumindest verändernde Prozesse, die die bisherige institu-tionelle Identität (Selbstverständnis) architektonisch in Frage stellen können, auslösen. Die Neu-Gestaltung der DA(W)I, allerdings auf der Basis der Anerkennung einer grund-rechtlich gedachten sozialen Gewährleistungsstaatlichkeit, gehört in diesem Rahmen zu den Kernelementen der Diskussion eines „europäischen Sozialmodells“.

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Buchbesprechungen

Martin Brüggemeier, Reinbert Schauer und Kuno Schedler (Hrsg.), Controlling und Performance Management im Öffentlichen Sektor – Ein Handbuch, Haupt Verlag, Bern–Stuttgart–Wien 2007, XVI + 478 S. Die Modernisierung des öffentlichen Haus-haltswesens verändert die Verwaltungen auf allen Ebenen – von der Kommune bis zum Bund – grundlegend. Seit die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmana-gement KGSt 1993 das Neue Steuerungs-modell veröffentlicht hat, sind nun 15 Jahre vergangen. In diesem Zeitraum wurden viele Elemente des Neuen Steuerungsmodells in kommunalen Verwaltungen umgesetzt, aber es stehen noch weit mehr Veränderungen aus. Wie wichtig eine Reform des Haus-haltswesens und des Finanzmanagements ist, zeigt sich nicht zuletzt derzeit wieder an den aktuellen Debatten über die staatliche Verschuldung und deren Begrenzung. Ein entscheidender Vordenker und Wegbe-reiter der Reformen des öffentlichen Ge-meinwesens ist Prof. Dr. Dr. h.c. Dietrich Budäus, der sich bereits in seiner Habilitati-onsschrift im Jahre 1982 mit dem Einsatz betriebswirtschaftlicher Instrumente in Ver-waltungen beschäftigte. Anlässlich seines 65. Geburtstags ist es den Herausgebern Prof. Dr. Martin Brüggemeier, Prof. Dr. Reinbert Schauer und Prof. Dr. Kuno Sched-ler gelungen, eine hochkarätige Autoren-schaft zu gewinnen, die sich aus Vertretern der Wissenschaft und ebenso der Praxis zu-sammensetzt. 52 Fachleute der öffentlichen Betriebswirtschaftslehre haben sich in Bei-trägen zum Handbuch „Controlling und Per-formance Management im Öffentlichen Sek-tor“ mit den Themenfeldern befasst, die die Forschung und das Wirken von Dietrich Budäus ausmachen. Entstanden ist ein Werk, das sich mit der breiten Themenviel-falt des Public Managements auseinander-setzt und hierbei sowohl Erkenntnisse aus der Forschung als auch praktische Erfahrung im Einsatz neuer Instrumente anschaulich vermittelt.

Das Handbuch ist untergliedert in vier Kapi-tel, die sich an den zentralen Schwerpunkten des wissenschaftlichen Wirkens von Diet-rich Budäus orientieren. Diese sind das Leis-tungsmanagement und -controlling, das Fi-nanzmanagement und -controlling, die Re-form des öffentlichen Rechnungswesens sowie Organisation und Governance von Verwaltungen. Im ersten Kapitel beschäftigen sich neun Beiträge mit dem Leistungsmanagement und -controlling. Hierbei werden nicht nur die wirkungsorientierte Steuerung von Verwal-tungen und die Anwendung von Perfor-mance-Measurement-Instrumenten betrach-tet, sondern auch die leistungsorientierte Vergütung und Preisbestimmung. Die Bei-träge entstammen ebenso der theoretisch-wissen-schaftlichen Forschung wie der Pra-xis. Deutsche, schweizerische und österrei-chische Verwaltungen, der EU-Haushalt und auch soziale Nonprofit-Organisationen wer-den in die Untersuchung einbezogen. Bereits hier wird der immensen Wirkungsbreite des New Public Management Rechnung getra-gen, das sich nicht nur auf Verwaltungen in Deutschland beschränkt, sondern internatio-nal diskutiert wird und über die reine Kern-verwaltung hinausgehend auch andere Or-ganisationen des Gemeinwesens betrifft. Das mit 15 Beiträgen umfangreichste zweite Kapitel beleuchtet das Finanzmanagement und -controlling öffentlicher Einrichtungen und Verwaltungen. Durch die hohe Ver-schuldung öffentlicher Haushalte ist ein wirkungsvolles Finanzmanagement zentraler Bestandteil der Diskussion in Forschung und Praxis. Die Verwaltungen stellen sich in den Wettbewerb miteinander, um eine höhere Leistungstransparenz und Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Die Politik muss ihr Handeln gegenüber den Bürgern rechtfertigen. Dabei stehen insbesondere die Haushaltsdaten stets im Zentrum der Diskussionen. Die Verwal-tung sieht sich mit dem Dilemma sinkender Einnahmen und steigender Ausgaben kon-frontiert. Das hierdurch notwendige Control-ling und Management der öffentlichen Fi-

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nanzen wird in diesem Kapitel in seinen vielen Facetten betrachtet. Das Finanzmana-gement und -controlling wird nicht nur auf kommunaler, sondern auch auf staatlicher Ebene untersucht, wobei auch das Zinsma-nagement und die Haushaltssicherung im Fokus stehen. Nicht nur die Kernverwal-tung, sondern ebenfalls Sparkassen und Hochschulen, sowie Projekte mit Öffentlich Privaten Partnerschaften (kurz ÖPP) benöti-gen eine Steuerung und ein funktionierendes Rechnungswesen. Auch spezielle Probleme dieser Institutionen werden in Beiträgen im Rahmen dieses Kapitels gewürdigt. Das dritte Kapitel widmet sich der Reform des öffentlichen Rechnungswesens. Hierbei wird in neun Beiträgen über die Ansätze zur Reform des Haushaltswesens auf verschie-denen Verwaltungsebenen in Deutschland und Österreich berichtet. Auch aktuelle Her-ausforderungen an das Rechnungswesen durch die zunehmende Internationalisierung nicht nur der handelsrechtlichen, sondern auch der öffentlichen Rechnungslegung fin-den Berücksichtigung. Drei Beiträge befas-sen sich mit der Rechnungslegung nach den International Public Sector Accounting Standards (IPSAS), veröffentlicht durch die International Federation of Accountants (IFAC) im Jahr 2006. Hierbei wird von praktischen Erfahrungen berichtet. Es wer-den darüber hinaus konzeptionelle Weiter-entwicklungen und Anwendungsvorschläge präsentiert. Auf Basis eines funktionieren-den Rechnungswesens ist es, wie in den Bei-trägen dieses Kapitels eindrücklich be-schrieben, möglich, weitere Elemente der Steuerung privatwirtschaftlicher Unterneh-men auf öffentliche Verwaltungen zu über-tragen. In diesem Kontext finden nicht nur die Besonderheiten der Konzernrechnungs-legung, sondern auch ein Beteiligungscont-rolling für die vielen Unternehmen in öffent-licher Trägerschaft, sowie ein Rating der Gebietskörperschaften Berücksichtigung. In 13 Beiträgen wird im vierten Kapitel die Organisation und Governance von öffentli-chen Verwaltungen und Einrichtungen in den Fokus gerückt. Erneut werden in diesem Abschnitt die Internationalität und heteroge-ne Facettierung der Verwaltungsreformen an Beispielen aus Österreich, den Niederlanden und Deutschland, aber auch aus dem Zu-

sammenspiel von Verwaltung und Vereins-wesen deutlich. Gleichfalls werden organi-satorische Voraussetzungen für ein erfolg-reiches Public Management erörtert. Die Restrukturierung der Verwaltungen traf vie-lerorts auf Widerstand, es handelt sich je-doch dabei ebenfalls um eine grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche Erneue-rung des Verwaltungswesens. Dies zeigt sich auch in den hier präsentierten Beispie-len. Des Weiteren finden interne und externe Revision von Verwaltungen in diesem Kapi-tel ihre Berücksichtigung. Auch Aspekte der Steuerung von Verwaltungen, von einer Stärkung des Wettbewerbsgedankens bis hin zu einem Public Value Management, werden untersucht. Ein besonderer Fokus wird hier-bei auf einen Public Corporate Governance Kodex gelegt, der in einem Beitrag dieses Buches vorgestellt wird und ein transparen-tes und effizientes Wirtschaften in öffentli-chen Betrieben sicherstellen soll. Auch der bereits im ersten Kapitel mit einem Beitrag untersuchte Netzwerkgedanke, nach dem Kommunen sich zu Leistungsnetzen zu-sammenschließen, um gemeinsam effizien-ter zu arbeiten, wird hier wieder aufgegrif-fen. So wird der Erfolg und das Potenzial von Netzwerken zur gemeinsamen Wissens-generierung und zum Wissensaustausch zum Thema New Public Management untersucht. Renommierte Autoren haben in dieser Fest-schrift für Dietrich Budäus in insgesamt 46 Artikeln den Status Quo der Verwaltungs-reform in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden erfasst sowie untersucht – und hierbei auch verwaltungs-fremde öffentliche Organisationen mit in die Betrachtung einbezogen. Die Weiterent-wicklung des New Public Management durch die Ergebnisse der Forschung, aber auch durch die Erfahrungen in der Praxis erfolgt auf vielen hochaktuellen Themenfel-dern, deren Bearbeitung eine brisante Auf-gabe für die nächsten Jahre darstellt. Das Buch „Controlling und Performance Mana-gement im Öffentlichen Sektor“ richtet sich insbesondere an Verantwortliche in Politik und Verwaltung. Es verfolgt das Ziel, die Modernisierung des Verwaltungswesens zu beschleunigen. Ganz im Sinne von Dietrich Budäus sollen Führungskräfte motiviert werden, die Verantwortung für die Gesell-

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schaft und die zukünftigen Generationen wahrzunehmen. Hierbei kann das Buch durch die Strukturierung in vier Themen-komplexe mit vielen unterschiedlichen An-wendungsgebieten und das sämtliche Bei-träge umfassende Register auch als Nach-schlagewerk dienen. Es bietet so Hilfestel-lungen für die tägliche Arbeit und Anregun-gen für weitere Reformen. Neben der Be-handlung hochaktueller Themen ist es gera-de auch dieser Umstand, der das Werk besonders wertvoll macht. Es bietet Ver-waltungen so konkrete Ansatzpunkte, die Modernisierungsbestrebungen voranzutrei-ben und zu bestärken. Auch Wissenschaft-ler, die sich mit dem Themenfeld des New Public Management und der öffentlichen Verwaltung im Allgemeinen befassen, sol-len und können von diesem Buch und den in ihm veröffentlichten Erkenntnissen profitie-ren. Das Werk „Controlling und Performan-ce Management im Öffentlichen Sektor“ sei daher nicht nur Führungskräften aus Politik und Verwaltung, sondern auch Lesern aus der Wissenschaft wärmstens empfohlen.

Wolfgang Berens und Marco Dudda Bernd Helmig, Robert Purtschert, Reinbert Schauer und Dieter Witt, Nonprofit-Organisationen und Märkte, DUV, Wiesba-den 2007, 403 S. Im März 2006 fand das 7. Internationale Colloquium der NPO-Forscher an der Uni-versität Freiburg/Schweiz statt. Das Rah-menthema war dabei „Nonprofit-Organisa-tionen und Märkte – Wie viel Markt braucht eine NPO, wie behauptet sie sich unter marktlichen Gegebenheiten und wie viel Markt verträgt sie?“ Nonprofit-Organisationen (NPO) müssen offensichtlich mit dem Verdacht leben, die Effizienz und Effektivität ihrer Leistungser-stellung sei generell geringer als bei er-werbswirtschaftlichen Unternehmen. Als Konsequenz wird von Nonprofit-Organisa-tionen immer wieder gefordert, sich stärker an betriebswirtschaftlichen Handlungswei-sen und Instrumenten aus dem erwerbswirt-schaftlichen Bereich zu orientieren („Mana-gementorientierung“) und es wird zuneh-mend versucht, die Effizienz und Effektivi-

tät der Leistungserstellung von NPO durch eine stärkere Marktorientierung zu gewähr-leisten. Der vorliegende Tagungsband doku-mentiert die drei Plenumsreferate der einge-ladenen Hauptreferenten zu diesem Thema, die unter 40 Einreichungen ausgewählten 18 Kurzreferate sowie drei eingeladene Re-ferate und die anschließende Diskussion zum Schwerpunktthema „Genossenschafts-wesen“. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Auswirkungen eine stärkere Markt-orientierung auf die Strategie und die Orga-nisationsstruktur von NPO sowie auf die dort Tätigen hat und inwiefern dadurch tat-sächlich ein effizienter Ressourceneinsatz und die Wirksamkeit von NPO gefördert werden können sowie welche „unerwünsch-ten Nebenwirkungen“ sich durch eine ver-stärkte Marktorientierung ergeben könnten. Diese Frage ist zweifellos von zentraler Be-deutung und dürfte nicht nur „NPO-nahe“ Wissenschaftler/-innen und Praktiker/-innen interessieren. Der Tagungsband beginnt mit dem – den einschlägig Interessierten bereits bekannten – Beitrag „Can Private Learn From Public Governance?“, in dem sich Bruno S. Frey und Matthias Benz auf äußerst originelle Weise mit der bereits 1989 von Peter Dru-cker in seinem im Harvard Business Review erschienenen Beitrag „What Business Can Learn from Nonprofits“ aufgeworfenen Fra-ge auseinandersetzen, ob die zentralen Ma-nagement- und Organisationsprinzipien von öffentlichen und nicht-erwerbswirtschaft-lichen Organisationen tatsächlich unweiger-lich Ineffizienz und Ineffektivität implizie-ren oder ob nicht vielleicht manche dieser Prinzipien den in erwerbswirtschaftlichen Unternehmen anzutreffenden Organisations-prinzipien sogar überlegen sind und von diesen mit Gewinn übernommen werden könnten. Im daran anschließenden Beitrag untersucht Martin Sebaldt den Wandel ver-bandlicher Nonprofit-Organisationen und analysiert dabei, inwiefern der politischen Interessenvertretung dienende Nonprofit-Organisationen (beispielhaft werden Ent-wicklungen bei Greenpeace angeführt) durch eine stärkere Managementorientierung tatsächlich ihre Effektivität steigern können, oder ob hierdurch nicht vielmehr eine „Ent-fremdung“ von den wesentlichen Unterstüt-

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zern der Organisation, insbesondere von Mitgliedern bzw. Spendern, riskiert wird. In grundlegender Weise beschäftigt sich der dritte Beitrag mit den Folgen eines verstärk-ten Wettbewerbs für Nonprofit-Organisa-tionen. Michael Meyer nimmt darin nicht nur fundiert und originell zu den Formen des Wettbewerbs im NPO-Bereich und zu den daraus erwachsenden Konsequenzen für Nonprofit-Organisationen Stellung, sondern liefert hierzu auch eine Reihe höchst interes-santer empirischer Befunde. Die anschließende Dokumentation der 18 ausgewählten Tagungsbeiträge spannt in-haltlich einen weiten Bogen von der Interna-tionalisierung von NPO (Theuvsen), über Fragen der Finanzierung – insbesondere Fragen des Spendenmanagements (Priller; Dilger), eine ungewöhnliche Form der Kapi-talbeschaffung durch Gründung einer ge-meinnützigen AG (Sprengel), des Finanz-vermögensmanagements (Neubert) und der Fremdkapitalbeschaffung (Doll) – personal-wirtschaftliche Fragen (Aghamanoukjan/ Eikhof/Leitner/Meyer; Krönes), Möglichkei-ten der Anwendung von Performance Ma-nagement-, Risikomanagement- und Quali-tätsmanagement-Konzepten (Bayreder; v. Schnurbein; Zitzmann) bis hin zu einer Um-frage zum Stand des Managements in Ver-bänden (Witt; v. Velsen-Zerweck) und einer Diskussion der Probleme der Wirkungsmes-sung öffentlicher Ausgaben (Bono) und des Spannungsfeldes zwischen Kollektivleistung und individuellem Nutzen der Mitglieder von Wirtschaftsverbänden (Lotz). Während alle Beiträge das Kernthema der verstärkten Management- und Marktorientierung von Nonprofit-Organisationen zumindest strei-fen, widmen sich einige der 18 Beiträge die-sem Thema auch schwerpunktmäßig (Licht-steiner; Neumann; Sandberg; Trukeschitz/ Schneider). Die Beiträge sind durchwegs in-haltlich anregend und gut lesbar. Wichtige Anregungen liefern auch die ab-schließend dokumentierten Plenarvorträge zum Stand und zu den Perspektiven des Ge-nossenschaftswesens in Deutschland, Öster-reich und der Schweiz von Theresia Theurl, Hans Hofinger und Robert Purtschert sowie die Zusammenfassung der zugehörigen Dis-kussion in einem Beitrag von Silke Michal-ski.

Der entstandene Sammelband ist eine um-fassende Dokumentation zur aktuellen For-schung über Nonprofit-Organisationen im deutschsprachigen Raum und damit zweifel-los eine wichtige und lohnende Lektüre für alle im Nonprofit-Bereich Tätigen und für interessierte Wissenschaftler/-innen. Wie bei derartigen Sammelwerken nicht unüblich, handelt es sich um eine Zusammenstellung von Aufsätzen zu recht unterschiedlichen Themen mit sehr unterschiedlichen methodi-schen Zugängen. Wer sich einen Überblick zur aktuellen Forschung verschaffen will, fühlt sich daher zunächst etwas verloren, da die Anordnung der Aufsätze recht willkür-lich erscheint und ein „Wegweiser“, in dem die wesentlichen Aussagen der einzelnen Aufsätze geordnet werden und Zusammen-hänge zwischen den einzelnen Beiträgen aufgezeigt werden, fehlt. Die hohe Hetero-genität mag vielen Leser/-innen aber gerade als eine ausgesprochene Stärke des Sam-melbandes erscheinen. Vielleicht ist dieses Buch auch ein realistisches Abbild der For-schung zu Nonprofit-Organisationen, die sich erfreulicherweise durch eine große und fruchtbare Vielfalt der Ansätze und Perspek-tiven, relativ hohe Toleranz unter NPO-Forscher/-innen gegenüber vom eigenen Forschungsparadigma abweichenden Zu-gängen, hohe Problemorientierung und eine unverminderte Dynamik auszeichnet.

Gerhard Speckbacher Hermann Hill (Hrsg.) (2006), Die Zukunft des öffentlichen Sektors, Nomos Verlag, Baden-Baden 2005, 218 S. Die anhaltende Finanzkrise der öffentlichen Hand, der demografische Wandel, die EU-Deregulierungspolitik, neue Informations- und Kommunikationstechnologien sowie eine veränderte Einstellung der Bürger zum Staat stellen grundlegende Herausforderun-gen an die Konzeption des öffentlichen Sek-tors. Welche Implikationen sich aus diesen und anderen Einflüssen für die öffentlichen Gemeinwesen ergeben und welche Hand-lungsstrategien in verschiedenen Feldern diskutiert und angedacht werden, umschreibt die Thematik des vorliegenden Sammelban-des zur Zukunft des öffentlichen Sektors

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sowie der dem Buch zugrunde liegenden Tagung zum gleichen Thema, welche im April 2005 an der Deutschen Verwaltungs-hochschule in Speyer stattfand. In insgesamt 17 Einzelbeiträgen von über-wiegend deutschen, aber auch europäischen Verwaltungspraktikern und Wissenschaft-lern wird ein breiter Reigen von Zukunfts-themen der öffentlichen Verwaltung ange-rissen. So kommen auslösende Entwicklun-gen und Rahmenbedingungen, wie die Re-gulierung im europäischen Mehrebenensys-tem, die Bevölkerungsentwicklung aber auch die Entwicklungen im Bereich Rating der Kreditwürdigkeit öffentlicher Gemein-wesen und Implikationen aus gestiegenen Accountability-Anforderungen ebenso zur Sprache wie kontextuelle Faktoren und Themen, die die zukünftige Diskussion und Entwicklung im öffentlichen Sektor beein-flussen werden/können. In letztere Gruppe fallen Beiträge zu Nachhaltigkeit als Modell und Maßstab für Staatstätigkeit, zur Identi-tätspolitik von Verwaltung, zu „Public Va-lues“ – also dem vorherrschenden, und da-mit auch prägenden, Wertsystem in der öf-fentlichen Verwaltung – wie auch ein Bei-trag zum institutionellen Kontext, bei wel-chem das European Public Administration Network (EPAN) vorgestellt wird. Die dritte und größte Gruppe von Beiträgen widmet sich diversen Konzepten und Ansatzpunkten zur Lösung anstehender Zukunftsherausfor-derungen. Dabei werden in einer Reihe von Beiträgen Fragen der institutionellen Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten bei der öf-fentlichen Aufgabenwahrnehmung adres-siert, unter anderem Geschäftsprozessopti-mierung, Shared Service Center, Leistungs-netzwerke im E-Government, PPPs sowie die Gesellschaftsform der Anstalt und Ge-nossenschaft als alternative Organisations-formen. Andere Beiträge nehmen Fragen nach den Konturen des Regulierungsverwal-tungsrechts, der Zukunftsfähigkeit des Be-amtenstatus und der Kompetenz(-entwick-lung) für Führungskräfte im öffentlichen Sektor („Public Leadership“) auf. Alle Bei-träge im Sammelband waren Vorträge auf der erwähnten Tagung. Vom Format sind die Beiträge dementsprechend mehrheitlich als schriftliche Fassung der Vorträge zu cha-rakterisieren. Überwiegend sind die Beiträge

konzeptioneller und argumentativer Natur, zwei Papers verfolgen einen explizit empiri-schen Ansatz. Neben theoretisch-konzep-tionellen Beiträgen werden auch Praxiskon-zepte z. B. das Konzept der Führungskräfte-entwicklung in der sächsischen Landesver-waltung oder das brandenburgische Konzept zum Umgang mit dem demographischen Wandel, vorgestellt. Als Zielgruppe des Bu-ches kommen interessierte Praktiker, aber auch Wissenschaftler und Studenten in Be-tracht. Das Ziel der zugrunde liegenden Tagung war, Fragen zu Zukunftsherausforderungen und Handlungsoptionen der öffentlichen Hand aufzugreifen und dazu mit Referaten und Diskussionen dem Erfahrungsaustausch und der Perspektivenfindung zu dienen. Die-ses Ziel wird zweifelsohne auch durch den Sammelband und die darin enthaltenen ein-zelnen Beiträge erreicht. Die Beiträge adres-sieren (zukunfts-)relevante Fragestellungen, bilden Praxiseinschätzungen und -erfah-rungen ebenso wie konzeptionelle Überle-gungen ab und spannen einen Bogen von betriebswirtschaftlichen Themen bis hin zu juristischen Abhandlungen. Die einzelnen Beiträge, z. B. zum Rating von Gemeinwe-sen, sind wertvolle und klare Artikel zu den jeweiligen Themen, die sich gut als Über-blicks- und Einstiegsartikel eignen. Der durchgängig kurze und prägnante Stil aller Beiträge (die meisten Beiträge sind circa zehn Seiten lang) unterstreicht diese Ein-schätzung. In den einzelnen Beiträgen wird eine Viel-zahl sehr heterogener Themen und Frage-stellungen angesprochen. Diese stehen im Sammelband allerdings kommentarlos nach-einander – sieht man vom kurzen Vorwort ab. Angesichts der Themenbreite wäre es hilfreich gewesen, wenn dem Leser Hilfe zur Strukturierung und Einordnung gegeben worden wäre. Zwar ist erkennbar, dass eine thematische Ordnung der Beiträge vorge-nommen wurde. Nahe gelegen hätte aber beispielsweise die Gruppierung der Beiträge in Kapitel, wobei neben der rein themati-schen Strukturierung auch die Bedeutung und der Beitrag für die Diskussion des Ge-samtthemas hätte herausgestellt werden können. Bislang kommt die unterlegte Logik bei der Auswahl und der Zusammenstellung

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der Vorträge bzw. Beiträge nicht zum Aus-druck. Angesichts der Komplexität und Breite des übergeordneten Themas Zukunft des öffent-lichen Sektors, wäre ferner auch eine Einlei-tung bzw. ein Schlusskapitel zu diskutieren, in dem die Relevanz, der Zusammenhang und der Beitrag der einzelnen Artikel in ei-ner Gesamtsicht gewürdigt wird. Mit dem Verzicht auf ein einrahmendes Einleitungs- und/oder Schlusskapitel bleibt man zwar einerseits dem Gedanken der Dokumentati-on einer Tagung treu, andererseits bleibt damit auch die Chance ungenutzt, den Sam-melband zu mehr als der Summe der Einzel-beiträge zu machen und Antworten auf die Gesamtfrage nach der Zukunft des öffentli-chen Sektors zu geben. Insgesamt enthält der Sammelband interes-sante und lesenswerte Beiträge zu relevanten und zum Teil auch neuen, bislang noch we-nig behandelten Themen. Ich habe bei der Lektüre Denkanstösse zu den verschiedenen Themen und ein besseres Verständnis zu einzelnen der angesprochenen Fragestellun-gen erhalten. Auch der Bericht von innova-tiven Praxisansätzen zu aktuellen und zu-kunftsrelevanten Herausforderungen ist im-mer wieder spannend und es ist wertvoll, dass die Praxisberichte und -erfahrungen aufbereitet und veröffentlicht werden. Als eher unbefriedigend habe ich die Kohärenz und den roten Faden zwischen den (Themen der) einzelnen Beiträgen empfunden. So adressieren zwar alle Beiträge zweifelsfrei zukunftsrelevante Fragestellen bzw. Themen mit Zukunftsbezug. In welchem Verhältnis die einzelnen Themen aber zueinanderstehen und welche Implikationen sich damit für die Zukunft des Staates insgesamt ergeben, bleibt offen.

Isabella Proeller

Stefanie Hohn, Public Marketing, 2. Aufl., Gabler-Verlag, Wiesbaden 2007, 276 S. Das bereits in der zweiten Auflage veröf-fentlichte Lehrbuch „Public Marketing“ zielt darauf ab, die Besonderheiten des Marketing im öffentlichen Sektor zu beschreiben und anhand von Beispielen praxisnah zu erläu-tern. Es bietet einen aktuellen Überblick zu relevanten Themenstellungen im öffentli-chen Sektor, wie beispielsweise Leitbild-entwicklung, Bürgernähe oder Fundraising. Es richtet sich insbesondere an Studierende, die sich in Ausbildungen zum Public Mana-gement befinden sowie an Praxisvertreter aus der öffentlichen Verwaltung bzw. aus öffentlichen Organisationen. Aufgrund sei-ner kompakten Darstellungsform ist das Lehrbuch insbesondere auch gut für die Zielgruppe der berufsbegleitenden Füh-rungskräfteweiterbildung, zum Beispiel in Executive MBA Programmen zum Public Marketing, geeignet. Das Lehrbuch ist in vier Kapitel unterteilt. Kapitel 1 beschäftigt sich mit den Grund-begriffen des Marketing und diskutiert die Frage, „wie der öffentliche Sektor vom Marketingwissen profitieren kann“. An-schließend folgt die Darstellung allgemeiner Entwicklungsphasen des Marketing (Pro-duktions-, Verkaufs-, Wettbewerbs-, Um-feldorientierung sowie Hyperwettbewerb), die sich – zwar mit richtiger Zitation, jedoch bezugnehmend auf eine alte Auflage – an die bewährten Entwicklungsphasen des Marketinggrundlagenbuchs von Manfred Bruhn (2007) anlehnen, das ebenfalls im Gabler Verlag erschienen ist. Das zu rezen-sierende Werk würde in der dritten Auflage noch stärker an Profil gewinnen, wenn die allgemeinen Marketingausführungen ver-kürzt und die spezifischen Ausführungen zum Thema Stadtmarketing ausgeweitet würden. Insgesamt umfasst das erste Kapitel 24 Seiten und bietet einen guten Einstieg in das Thema. Übungsfragen runden die jewei-ligen Kapitel ab. Den Hauptteil des Lehrbuches stellt Kapitel 2 dar, das sich (beginnend mit Seite 25 bis Seite 220) mit der Erarbeitung einer „Mar-keting-Konzeption“ für Organisationen aus dem öffentlichen Sektor beschäftigt. Erläu-tert werden die Themen: Situationsanalyse

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(Abschnitt 2.1, SWOT, demographischer Wandel), Ableitung von Zielen (Abschnitt 2.2. inkl. Leitbild, Corporate Identity, Un-ternehmensziele, Marketingziele), Marktfor-schung als Basis der Situationsanalyse und Zielbildung (Abschnitt 2.3), Marketing-Strategien (Abschnitt 2.4 mit der konkur-renzorientierten und der abnehmerorientier-ten Marketingstrategie und einer Diskussion zu Methoden der strategischen Planung) sowie Marketing-Instrumente (Abschnitt 2.5). Insgesamt sind in Kapitel 2 wesentliche Bausteine zur Erarbeitung eines Marketing-konzeptes angesprochen. Diese werden gut strukturiert, einfach und verständlich darge-stellt und anhand von Beispielen gut erläu-tert. Allerdings sind bei der Lektüre dieses Kapitels auch einige Fragen aufgetreten. Insbesondere stellt sich die Frage, wieso die Autorin die Erarbeitung der Marketing-Konzeption bei den Marketingmaßnahmen beendet, obwohl gerade im öffentlichen Sek-tor und vor dem Hintergrund zahlreicher Reformprozesse die Marketingimplementie-rung (z. B. Marketingkultur von Mitarbei-tenden, fehlende Informationssysteme, feh-lende Marketingstrukturen) ein zentraler Marketingumsetzungsaspekt ist. Ferner wäre es wünschenswert gewesen, Fragen des Marketingcontrolling zu integrieren, weil gerade auch der öffentliche Sektor Transpa-renz- und Darlegungsverpflichtungen hat, die auch Marketingziele umfassen. Immer wieder werden in Kapitel 2 gute und sehr hilfreiche Beispiele dargestellt und der Bezug zum Marketing im öffentlichen Sek-tor hergestellt. Teilweise zwar weniger deut-lich, aber für den fachkundigen Leser durch-aus erkennbar, folgen auch Textpassagen, in denen der sehr gute Bezug zum öffentlichen Sektor wieder aufgehoben wird. Im Kapitel Marketingziele wird beispielsweise ausge-führt, dass Gewinn, Umsatz oder auch Cross-Selling und die Erzielung einer höhe-ren Preisbereitschaft die zentralen ökonomi-schen Marketingziele darstellen (S. 46). Ge-rade an diesen Stellen könnte das Buch noch gewinnen, wenn in der nächsten Auflage allgemeine Marketingaussagen, die für ge-winnorientierte Unternehmen gültig sind, zugunsten der Konzentration auf die Beson-derheiten in öffentlichen Organisationen,

relativiert bzw. kritischer hinterfragt wür-den. Im Abschnitt zu den Marketinginstrumenten wird zudem die „Produktpolitik“ sowie Markenführung (S. 119-143) stark in das Zentrum der Ausführungen gestellt, obwohl es sich gerade im öffentlichen Sektor meis-tens um die Erstellung und Erbringung öf-fentlicher Dienstleistungen handelt. Trotz dieser Detailkritik ist Kapitel 2 insgesamt gut und auch praxisorientiert gelungen und kann eine sehr gute Hilfestellung zur Erar-beitung eines Marketingkonzepts bieten. In Kapitel 3 werden die Grundlagen des Qualitätsmanagement mit den Phasen Quali-tätsplanung, -lenkung, -prüfung und -ver-besserung sowie Qualitätsmanagementdar-legung erläutert. Als zentrales Qualitätsma-nagementmodell wird das European Founda-tion of Quality Management (EFQM)-Modell auf insgesamt vier Seiten dargestellt, während das spezifisch für die öffentliche Verwaltung konzipierte und ebenfalls bereits fest in der öffentlichen Wirtschaft etablierte Common Assessment Framework (CAF)-Modell, lediglich mit wenigen Zeilen abge-handelt wird (S. 236). Auch an dieser Stelle wäre es wünschenswert, wenn die Textba-lance zwischen allgemeinen Qualitätsmana-gementaspekten sowie spezifischen Erläute-rungen zur Qualität in der öffentlichen Ver-waltung in der dritten Auflage noch ausge-wogener erfolgen würde. Nichtsdestotrotz sind alle wesentlichen Punkte des Quali-tätsmanagement in diesem Kapitel enthalten und es werden zudem noch Hinweise auf die Einführung eines Beschwerdemanagements gegeben. Die zweite Auflage des Buches wurde er-gänzt durch das Thema Fundraising. Dieses Kapitel wurde von Bettina Hohn, Professo-rin an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin verfasst. Erläu-tert werden zentrale Begrifflichkeiten wie Geldspenden, Zeitspenden und auch Spon-soring. Ferner werden Grundlagen der Pla-nung von Spenderzielgruppen und Planungs-schritte im Fundraising anschaulich und gut nachvollziehbar dargestellt. Insgesamt hinterlässt das Buch einen ausge-sprochen positiven Gesamteindruck. Es stellt die wesentlichen Inhalte des Public Marketing dar und erläutert diese praxisori-

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entiert. Insofern ist das Buch auch insbeson-dere für Ausbildungen auf der Stufe der Fachhochschulen sowie für den Einsatz in Weiterbildungsprogrammen ausgezeichnet geeignet. In diesem Sinne bleibt nur noch zu wünschen, dass – ähnlich der ersten Auflage – auch diese zweite Auflage in nur einem Jahr vergriffen sein wird.

Silke Michalski Werner Hoppe und Michael Uechtritz (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unterneh-men, 2. Aufl., Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 2007, 781 S. Die wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinden durch ihre Unternehmen gehört seit der In-dustrialisierung in Deutschland zu den tradi-tionellen Funktionsbereichen der kommuna-len Selbstverwaltung. Die Gemeinden be-wegen sich dabei in einem Spannungsfeld zwischen legitimer Daseinsvorsorge und dem rechtfertigungsbedürftigen Übergriff in die Sphäre grundrechtlich geschützter Frei-heit potentieller privater Wettbewerber. Wie alle anderen Funktionen der organisierten Staatlichkeit steht auch die kommunale Wirtschaft unter dem Eindruck europäischer Integration einerseits sowie der Verlagerung von Aufgaben aus dem staatlich/kommuna-len in den gemischt staatlich/privaten oder gänzlich privaten Sektor andererseits. Die kommunale Wirtschaft gleicht sich zudem hinsichtlich Motivation, Organisation und Erbringungsmodus zunehmend dem privaten Sektor an und versucht dabei bisweilen ihre öffentlich-rechtlichen Bindungen zu lockern. Angesichts dieser Entwicklung kann das Recht der kommunalen Wirtschaft nicht auf dogmatisch gesichertem Terrain stehen blei-ben, sondern steht unter dem permanenten Zwang, Neuerungen der Praxis aufzuneh-men und zu verarbeiten. Solche Entwicklun-gen sind für Entscheidungsträger in Verwal-tung und Unternehmen nicht immer leicht zu überschauen. Mit der ersten Auflage des hier vorzustellenden Handbuchs hatten sich die Herausgeber dementsprechend die Aufgabe gestellt, kommunalen Entscheidungsträgern „eine Hilfestellung für ein erfolgreiches Tätigsein kommunaler Unternehmen in schwierigen Zeiten angesichts einer Vielzahl

neuer rechtlicher Herausforderungen und Fragestellungen zu geben“ (Vorwort zur 1. Auflage). Vor dem Hintergrund dieses Anliegens ist es den Herausgebern gelungen, auch in der 2. Auflage eine vorbildliche Mi-schung von Autoren aus Praxis und Univer-sität für ihr Werk zu gewinnen. In dem ersten Teil des Handbuchs widmet sich insbesondere Ronnellenfitsch der Ent-wicklung und den Tendenzen privatwirt-schaftlicher Betätigung der Gemeinden und legt damit die historische und in dem Bei-trag über „Verfassungsrechtliche und ge-meinschaftsrechtliche Vorgaben“ (§ 3; ge-meinsam mit Stein) auch die dogmatische Grundlage für die folgenden Kapitel. Ange-sichts der eingangs geschilderten Tendenzen zu Privatisierung von Aufgaben und Aufga-benerbringung ist insoweit die Darstellung der „Neuere(n) Privatisierungsdiskussion“ (§ 2) besonders instruktiv, die im Zusam-menhang mit dem (angesichts der Bedeu-tung der Materie leider recht knapp gerate-nen) Abschnitt zu „Voraussetzungen und Grenzen der materiellen Privatisierung“ (§ 5) zu lesen ist. Eine Ergänzung finden die hier angestellten Überlegungen in dem ar-beitsrechtlichen Beitrag von Schuster/Lo-renzen (§ 12), der sich ausführlich den wich-tigen Fragen der individualarbeits- und be-triebsverfassungsrechtlichen Bedingungen und Konsequenzen von Privatisierungsvor-gängen widmet. Der zweite Teil des Handbuchs (§§ 4 ff.) befasst sich mit dem rechtlichen Rahmen privatwirtschaftlicher Betätigung der Ge-meinden. Insoweit ist insbesondere von Be-deutung, dass viele Landesgesetzgeber ihre Gemeindeordnung inzwischen von dem Vorbild des § 67 DGO ausgehend fortentwi-ckelt und bundesweit unterschiedliche Maß-stäbe für die gemeindliche wirtschaftliche Tätigkeit aufgestellt haben, in denen sich der jeweilige lobbyistische Einfluss entweder der Städte oder aber der Privatwirtschaft bemerkbar macht. Dies wird an der jeweils unterschiedlichen Behandlung des öffentli-chen Zwecks (bzw. des Subsidiaritätsprin-zips) ebenso wie an der verfassungsrechtlich außerordentlich problematischen Eröffnung wirtschaftlicher Tätigkeit über die Gemein-degrenzen hinaus deutlich. Diese Probleme werden in der gebotenen Gründlichkeit und

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unter landesspezifischer Differenzierung in dem Beitrag über „Kommunalrechtliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Be-tätigung“ (§ 6; Uechtritz/Otting) aufgearbei-tet, während der dritte Teil des Handbuchs Grundlagen und Rahmenbedingungen kom-munalen Gesellschaftsrechts erörtert (§§ 8 ff.; Oebbecke). Die erwähnten aktuellen Probleme gemeindlicher wirtschaftlicher Tätigkeit werden dabei extensiv und in ihrer verfassungsrechtlichen Dimension disku-tiert. Auch die in der Praxis besonders rele-vante Frage nach den Optionen gerichtlichen Rechtsschutzes insbesondere der privaten Konkurrenten wird ausführlich und unter Berücksichtigung der gewandelten gesetz-geberischen Auffassung zur Anwendbarkeit des UWG beantwortet (hierzu auch der in-struktive Beitrag von Lux, § 10). Die ein-gangs angesprochenen Entwicklungen bei Handlungs- und Organisationsformen kom-munaler Wirtschaftstätigkeit werden von Hellermann (§ 7) ausführlich gewürdigt. Interessant und wichtig ist in diesem Zu-sammenhang auch der Beitrag von Siegels, der das „Konzernrecht kommunaler Unter-nehmen“ und damit die wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen darstellt, die sich aus immer komplexeren und verflochteneren Organisationsformen der kommunalen Wirt-schaft ergeben. Die besondere Brisanz der Verbindung von öffentlicher Aufgabenerfüllung und privater Gesellschaftsform wird bei der Frage nach dem Verhalten kommunaler Vertreter in Gesellschaftsgremien deutlich. Oebbecke bietet in seinem Beitrag (§ 9) einen Über-blick über die Diskussion dieses Span-nungsverhältnisses in seinen verschiedenen Facetten und unterbreitet Lösungsvorschläge für die praktische Handhabung. Der vierte Teil des Handbuchs (§§ 10 ff.) widmet sich im Detail Rechtsgebieten, die für wirtschaftliche Betätigung von Gemein-den besonders relevant sind. Hier werden Bereiche berührt, bei deren Bearbeitung sich der im Verwaltungsrecht tätige Praktiker häufig auf unsicherem Grund bewegen wird, für die aber dennoch auch bei der Lösung zunächst öffentlich-rechtlich scheinender Probleme eine Sensibilität bestehen muss. Wettbewerbsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht sowie Konzernrecht werden hier ebenso wie

das Kartellrecht in sachkundiger und aus-führlicher Form dargestellt. Besonders hin-gewiesen sei insoweit auf das Kapitel zum Vergaberecht (§ 14), in dem Otting und Oh-ler die komplexen und sich in ständiger Be-wegung befindlichen Probleme darlegen, die sich sowohl aus der Position kommunaler Unternehmen als öffentliche Auftraggeber wie auch aus der Vergabe von öffentlichen Aufträgen an diese ergeben. Hier liegt die zur Zeit wohl wichtigste Schnittstelle von kommunalen Wirtschafts- und europäischem Gemeinschaftsrecht. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass das von Hoppe/Uechtritz herausgegebene Werk eine dogmatisch solide gearbeitete Handlungsan-leitung für die in der kommunalen Wirt-schaft verantwortlichen Entscheidungsträger darstellt. Es ist daher davon auszugehen, dass das Handbuch auch in der zweiten Auf-lage in der Praxis wiederum eine freundliche Aufnahme erfahren wird.

Florian Becker Rainer Jesenberger, Universität wohin? Ende eines Mythos, Von der staatlichen Be-hinderung zur Handlungskompetenz, Leipzi-ger Universitätsverlag, Leipzig 2006, 247 S. Der Verfasser (geboren 1940) hat „techni-sche Mathematik und technische Informa-tik“ sowie Wirtschaftswissenschaften und „projektive Geometrie“ studiert, war in gro-ßen Industrieunternehmungen mit der Com-puterentwicklung und Automatisierungs-technik beschäftigt, war „unter anderem Geschäftsführer eines Systemhauses“, rund ein Jahrzehnt „unabhängiger Industriebera-ter“ und schließlich ein Jahrzwölft Professor an der „Hochschule Mittweida“. Hier war er auch Dekan, Prorektor und Gründer-Vorstand des „Management-Instituts“. Auf diesem Lebensweg zwischen Wissenschaft und Unternehmenspraxis gewonnene Erfah-rungen spiegeln sich in dem vorgelegten Rezept zur inhaltlichen und organisatori-schen Sanierung des deutschen Universi-tätswesens wider. Wohin die deutsche Universität sich entwi-ckeln sollte, wird in dem Vorwort von Kon-rad Schily, dem Gründungspräsidenten der Privatuniversität Witten/Herdecke, vorge-

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zeichnet. Wie gegenwärtig verfasst, vor al-lem nach Rechtsform, „gesetzlich fixierter innerer Führungsstruktur“ und „Modalitäten öffentlicher Hochschulfinanzierung“ seien „Universitäten (…) weitgehend ungeeignete Partner für Unternehmen (…), salopp ge-sagt, Institutionen von einem anderen Stern. In dem Maße, wie“ sie sich „von Einrich-tungen der staatlichen Daseinsvorsorge zu unternehmerischen Universitäten“ wandeln können, „werden sie zu interaktionsfähigen Partnern für Unternehmen“ (S. 12 f.). Der Verfasser geht mit seinem Rezept noch weiter, als von Ideengeber Schily gewiesen. Er begnügt sich nicht mit der unterneh-mungsweise betriebenen Universität, son-dern will die „Unternehmenshochschule“ (das „Lernende Unternehmen“) (S. 20). Die-ses Reformziel begründet er in einem kürze-ren zweiteiligen Vorspann und in drei aus-führlicheren Schilderungs- und Argumentie-rungskapiteln. Der eine Vorspann gilt Jo-seph Schumpeters Lehre von der „schöpferi-schen Zerstörung“ durch marktlichen Wett-bewerb zwischen Unternehmen, der zweite beschreibt die gegenwärtige verfahrene Lage der deutschen Hochschulen und entwickelt ein Szenario dessen, was nach des Verfas-sers Ansicht von 2015 bis 2020 in der Reali-sierung seines Konzeptes enden wird. Die drei Kapitel heißen „Die alte Bildungswelt“, „Aufbruch in die Moderne“ und „Die neue Bildungswelt“. Die „Bestandsaufnahme“ im zweiten Vor-spann (bis 2005) dürfte im Großen und Gan-zen als zutreffend bezeichnet werden, wenn auch die Überschrift „Wohin steuern die deutschen Hochschulen?“ insofern schief ist, als das Trommelfeuer der Hochschulrefor-men die akademische, berufsständische Selbstverwaltung der Forscher und zugleich Lehrer zunächst durch eine studentisch mit-bestimmte und dann, letzteres entwertend, durch eine Fremdverwaltung ersetzt hat, die durch den maßgebenden Einbezug von Topmanagern der Unternehmens- und Kon-zernwirtschaft schon in die vom Verfasser anvisierte Richtung ging, also die Hochschu-len nicht sich selbst steuern ließ, sondern vielmehr ihrerseits steuerte. Die „alte Bildungswelt“ wird charakterisiert durch „Blockaden im Elfenbeinturm“, die Verwendung der „Vergangenheit als Zu-

kunftsgröße“, „Das Fehlen eines deutschen Bildungskonzepts und Humboldts unerfüllte Visionen“. Der „Aufbruch in die Moderne“ wird gekennzeichnet durch die Auffassung der „Hochschule als Unternehmen“, das Überschreiten von Fakultätsgrenzen, was die „bis zur Erstarrung“ getriebene Differen-ziertheit aufzulösen beginne, die Auffassung des Staates als problematischen Finanzier des Bildungswesens und die Einsicht, dass Unentgeltlichkeit nicht mit Kostenlosigkeit verwechselt werden sollte. Die Erklärung der „neuen Bildungswelt“ fußt darauf, dass das „Zeitalter der Wirtschaft, der Konzerne und des Geldes“ zum Leitbild aufgestiegen sei, die „Fähigkeitenwirtschaft“ eine nach-haltige Hochschulreform ermögliche und dem Hochschulunternehmen wie dem „ar-beitsintegrierten akademischen Lernen“ die Zukunft gehören sollte. Was das Letztere angeht, so würde der Staat außer für steuer-liche Entlastungen vor allem noch dafür benötigt, einen „staatlich anerkannten Ab-schluss“ sicherzustellen (S. 213 f.), die Wahlfreiheit zwischen beiderlei Hochschul-typen zu gewährleisten, Interessen aus- zugleichen, Benachteiligungen zu verhin-dern, „intelligente Finanzierungskonzepte“ zu entwickeln, in Qualitätsfragen zu beraten und neue Bildungskonzepte voranzubringen (S. 222) . Des Verfassers Kritik am alten Hochschul-system, wie seine in ihrer Detaillierung hier nicht nachzuzeichnende Empfehlung eines neuen, leiden so an Differenzierungsschwä-chen, dass er den beobachtbaren Realitäten nicht gerecht wird. Dies fällt besonders dort auf, wo er die „Begabungs- und Fähigkei-tenwirtschaft“ als „dritte, künftige Kultur-form der Wirtschaft“ sieht, die auf die Tausch- und die Geldwirtschaft folgt. Er behauptet, „Manager heute verdanken ihre gut dotierten Positionen ihren Fähigkeiten“ (S. 178), ohne zu bedenken, dass die Fähig-keiten, in solche Stellungen aufzusteigen, von denen zu unterscheiden sind, sie auch als Treuhänder im Interesse der Treugeber ausfüllen zu können. Zudem ignoriert er, dass die Befähigung zu Letzterem allein nicht genügt, wenn es am Willen fehlen soll-te, sie auftragsgemäß und der Verantwor-tung entsprechend einzusetzen. Die Beispie-le aus Konzernwirtschaft und Staatspolitik

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für fehlende Führungskunst und fehlgeleite-ten Führungswillen bei privaten und öffent-lichen Topmanagern häufen sich gerade in der jüngsten Zeit und haben, nach Erschei-nen des besprochenen Buches, in der unsäg-lichen Finanzkrise einen neuen Höhepunkt erreicht. Eine weitere Fehlinterpretation von Realität ist die Auffassung, die Produkte würden in der kontemporären Wirtschaft einander im-mer ähnlicher und eigneten sich daher im-mer weniger für den Wettbewerb. „An die Stelle des Produktvergleiches“ trete deshalb „eine indirekte Wettbewerbsform: Die Un-ternehmen konkurrieren über die Ideen, In-novationskraft und Kreativität ihrer Mitar-beiter, welche die Außenwahrnehmung be-stimmen“ (S. 179). Was der Verfasser wohl sagen wollte, aber offenbar nicht konnte, ist doch wohl, dass die um die Deckung eines bestimmten Bedarfs konkurrierenden Ange-bote weniger als früher differieren, was zu einem wesentlichen Teil auch auf die vom Verfasser unerwähnte Oligopolisierung der Angebotsseite von Märkten zurückzuführen sein dürfte. Ferner wird die Substitutions-konkurrenz zwischen verschiedenartigen Produkten zur Befriedigung ein und dessel-ben Bedürfnisses ignoriert. Außer an Differenzierungsschwächen krankt das Reformkonzept daran, dass es historisch bewährte Prinzipien der Aufgabenteilung herunterschraubt. Dabei handelt es sich um das wirtschaftliche Prinzip der Arbeitstei-lung und um das gesellschafts- und staatspo-litische der Gewaltenteilung. Was die Arbeitsteilung angeht, so ist sie in wirtschaftszweiglicher, beruflicher und be-triebsorganisatorischer Hinsicht ein Motor der Wohlstandsentwicklung in der Westli-chen Welt. Ihr Gegenprinzip ist die berufli-che, betriebliche und räumliche Arbeitsver-einigung. Während die Erstere angezeigt ist, wo es gilt, größere Leistungsmengen zu be-wältigen, kann die Letztere zweckmäßig sein, wo die Nachfragemengen klein sind. Im derzeitigen Hochschulwesen sind die Nachfragen offensichtlich sehr groß, so dass die im Reformkonzept präferierte Arbeits-vereinigung in der Unternehmenshochschule nicht als leistungs- und finanzwirtschaftlich tunlich angesehen werden sollte.

Was die Gewaltenteilung betrifft, so ist ihre Reduzierung mit der Hochschulunterneh-mung und insbesondere mit der Unterneh-menshochschule damit verknüpft, dass bis-herige Freiheitsspielräume für Anbieter wie für Nachfrager von Hochschulleistungen zerstört werden. Dies darf keinesfalls als „schöpferisch“ bezeichnet werden, da allein die Wissenschaftsfreiheit das Lebenselixier der ungehinderten (und unendlichen) Wahr-heitssuche wissenschaftlichen Erkenntnis-strebens garantieren kann. Der hier ange-sprochene geistige Wettbewerb würde schon in der Hochschulunternehmung, erst recht aber in der Unternehmenshochschule mit dem erwerbswirtschaftlichen vermengt, der die moderne Wirtschaft beherrscht, also ei-nem anderen Lebensgebiet als der Wissen-schaft entstammt und dieser einem unfrei-heitlichen, oktroyierten Drall aussetzen wür-de. Dies gilt um so mehr, als der Verfasser richtig erkennt, dass wir in einem „Zeitalter der Konzerne“ leben, deren je einzelne Wirtschaftskraft die einzelner Staaten über-treffen kann (S. 169-172). Die heutige Macht vieler Konzerne war etwa in dem ordnungspolitischen marktwirt-schaftlichen Konzept Walter Euckens nicht vorgesehen. Sie besteht darin, dass Konzer-ne in der „politökonomischen Konkurrenz“ um eigene Vorteile bei der Fassung der staatspolitisch gesetzten betrieblichen Le-bensbedingungen, die es immer und überall neben den marktlich entstandenen gibt, ge-genüber den anderen Wirtschaftsteilnehmern eine beeinflussungsmächtige Stellung ein-nehmen und auch weidlich ausnützen. Die anderen, benachteiligten Wirtschaftsteil-nehmer sind die mittleren und kleinen Un-ternehmungen sowie die privaten Haushalte, das heißt die Masse der Betriebe. Deren Diskriminierung spricht der Gewaltenteilung hohn! Die eingerissenen Zustände idealisierend, verkennt der Verfasser, dass die Freiheit der Wissenschaft in einer mehr und mehr kon-zernregierten Welt nicht gewährleistet wer-den kann und der Staat von der Wissen-schaft als schutzgebende Gegenmacht benö-tigt wird. Bedenken, dass die Etablierung von Unternehmenshochschulen nur Konzer-nen möglich sei, lässt der Verfasser mit dem Hinweis nicht gelten, mittlere und kleine

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Untenehmen könnten sich ja zu hochschul-tragenden Verbänden zusammenschließen (S. 214). Immerhin sieht der Verfasser, dass die von ihm präferierte Unternehmenshochschule für nicht-anwendungsnahe Wissenschaftszwei-ge problematisch sein könnte. Deshalb müsste für sie eigentlich der letzte Reform-schritt, die Unternehmenshochschule, entfal-len und für sie nur die Hochschulunterneh-mung übrig bleiben. Hiergegen weiß der Verfasser aber Rat: „Beispiele firmeninter-ner Weiterbildung zeigen bereits, dass das Themenspektrum sehr weit gesteckt ist, oft weiter als die bescheidenen Angebote der Fachhochschulen (…) Weitblickende Unter-nehmen versuchen, dass die Weiterentwick-lung der Mitarbeiter auch dem Unternehmen zugute kommt. Die Ausrichtung beider Inte-ressenströme an der Unternehmenshoch-schule wäre auch durch steuerliche Anreize, ein neues Stiftungsrecht und ähnliche Vor-raussetzungen lenkbar. Hier geeignete Rah-menbedingungen zu schaffen, wäre Aufgabe des Staates.“ (S. 224 f.) Insgesamt sei festgestellt, dass das vorge-führte Reformrezept angesichts der bereits völlig verfahrenen Lage des deutschen Hochschulwesens wohl gut gemeint ist. Auf Grund der angedeuteten Fehlinterpretationen gegenstandswichtiger gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse dürfte es aber die deutsche Universität nicht retten können. Vielmehr wäre es geeignet, ihr den letzten Todesstoß zu versetzen.

Karl Oettle Rainer Pitschas (Hrsg.), Handel und Ent-wicklung im Zeichen der WTO – ein ent-wicklungspolitisches Dilemma. Vorträge und Berichte auf dem 9. Internationalen Speyerer Forum an der Deutschen Hoch-schule für Verwaltungswissenschaften Spey-er im März 2004 (Schriftenreihe der Hoch-schule Speyer, Band 184). Duncker & Humblot, Berlin 2007, 356 S. Seit Beginn der im Jahr 2001 eröffneten neunten Welthandelsrunde steht das bislang nicht eingelöste Versprechen im Raum, die überwiegend für Industrieländer erfolgrei-chen Verhandlungsergebnisse der Uruguay-

Runde, die 1994 zu einem Abschluss ge-bracht wurde, durch ein besonders auf die Belange von Entwicklungsländer ausgerich-tetes Verhandlungspaket zu ergänzen. Die Bewerkstelligung dieses Auftrags ist weit mehr als ein Zugeständnis an die „wirt-schaftlich Schwachen“: Da inzwischen rund zwei Drittel der Mitglieder der Welthan-delsorganisation (WTO) formal zur Gruppe der Entwicklungsländer zählen, ist der er-folgreiche Abschluss der „Doha-Entwick-lungs-Runde“ entscheidend für die Legitimi-tät der Organisation und damit das Fortbe-stehen der in der WTO institutionalisierten multilateralen Handelsordnung. Neben der seit jeher konfliktreichen Diskus-sion über Agrarmarktliberalisierungen und Exportsubventionen von Industrieländern stehen im Rahmen der „Doha Development Agenda“ auch bislang vernachlässigte The-men wie der Abbau von Industriezöllen und die Verbesserung des Marktzugangs im Be-reich von Dienstleistungen auf der Tages-ordnung. Nicht nur das Spektrum an The-men, auch die Positionsdifferenzen zwi-schen den Verhandlungsparteien und die Zahl entsprechender Interessengruppierun-gen innerhalb der WTO-Mitgliedstaaten haben sich vervielfacht. Aufsteigende Volkswirtschaften wie China, Indien und Brasilien haben sich mit wirtschaftsstärkeren Entwicklungsländern in neuen Koalitionen wie den „G20“ zusammengefunden und sind insbesondere in der Diskussion um Agrar-marktliberalisierungen mit gewichtiger Ver-handlungsmasse in die Gespräche eingetre-ten. Leidtragende dieser Konstellation sind vor allem die Delegationen kleinerer Ent-wicklungsländer, denen meist finanzielle Ressourcen und die nötige Verhandlungser-fahrung fehlen, um ihre Positionen ver-gleichbar effektiv zu vertreten. Hinzu kommt, dass letztlich über allen Vertei-lungskonflikten innerhalb der WTO die grundlegende Frage steht, inwieweit Markt-liberalisierung und wirtschaftliches Wachs-tum einander kausal bedingen und welche Chancen und Risiken sich für Entwick-lungsökonomien mit der Wahl zwischen Freihandel oder Protektionismus ergeben. Diese und viele weitere Faktoren stellen gerade kleinere Entwicklungsländer inner-halb der WTO vor ein „entwicklungspoliti-

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sches Dilemma“, dem sich der vorliegende Band aus verschiedenen Perspektiven analy-tisch nähert. Dem Tagungsband ist das 9. Internationale Speyerer Forum an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswis-senschaften in Speyer vorausgegangen. Die internationale Konferenz brachte im März 2004 Experten aus Deutschland, den USA, Burkina Faso, Marokko und der Elfenbein-küste zusammen, um entwicklungspolitische Problemstellungen, die einen ausgewogenen und zeitnahen Abschluss der aktuellen Welthandelsrunde hemmen, zu erörtern und Politikempfehlungen zu formulieren. Entlang des Tagungsverlaufs gliedert sich der Konferenzband in vier Teile. Im Zent-rum des ersten Teils über „Institutionelle Grundlagen und regionale Disparitäten der Handelsordnung“ stehen historische Ent-wicklungen und elementare institutionelle Bestimmungsfaktoren des Konfliktaustrags innerhalb der WTO. So diskutiert Lothar Ehring in seinem Beitrag das Streitbeile-gungsverfahren der WTO. Dabei wird deut-lich, dass der mit Entstehung der WTO 1995 eingeführte Mechanismus Möglichkeiten machtbasierter Entscheidungsfindung inner-halb der Organisation einschränkt und das Klageverfahren – gerade auch zugunsten von Entwicklungsländern – verbindlich re-gelt. Letztlich sind jedoch auch hier ein Mangel an personellen und finanziellen Res-sourcen in Entwicklungsländern sowie das fehlende ökonomische Gewicht, um Han-delssanktionen effektiv gegenüber größeren Nationen einzusetzen, dafür verantwortlich, dass Industrieländer nach wie vor proportio-nal zu ihrer verhältnismäßigen Minderheit innerhalb der WTO häufiger Klageverfahren auf dem Weg des Streitbeilegungsmecha-nismus anstrengen. Vor diesem Hintergrund diskutiert Ehring verschiedene Reformvor-schläge, die bestehende Schwächen des Ver-fahrens und dessen Transparenz verbessern sollen. Ausschlaggebend für die Funktionsfähigkeit der WTO sind jedoch nicht nur ihr regulati-ves und prozedurales Design, sondern auch das institutionelle Umfeld der Organisation. So ist in den vergangenen Jahrzehnten ein verstärkter Trend hin zur Regionalisierung und Bilateralisierung der Handelsbeziehun-gen zu beobachten, der größtenteils als Be-

drohung der multilateralen Ordnung – in der Regel zu Lasten der Entwicklungsländer – bewertet wird. Christian Pitschas klärt in seinem Beitrag, inwieweit regionale Han-delsabkommen mit dem rechtlichen Rahmen der WTO vereinbar sind, problematisiert das fehlende Wirkungsvermögen des organisati-onsinternen Komitees für regionale Han-delsabkommen, dem die Überprüfung der Kompatibilität obliegt und stellt entspre-chende Reformvorschläge vor. Der zweite Teil des Bandes widmet sich Fragen der „Telekommunikation und inter-nationale[n] Finanzdienstleistungen im Rahmen des GATS“ und stellt exemplarisch chinesische und japanische Reformbemü-hungen im Dienstleistungssektor vor, die durch das Dienstleistungsabkommen der WTO in Gang gesetzt wurden. Das Kernanliegen des Bandes kommt schließlich im dritten Teil zum Bereich „Welthandelsordnung und Entwicklungslän-der“ zum Ausdruck, in welchem spezifische Streitfragen im Kontext der „Doha Deve-lopment Agenda“ beispielhaft aus der Per-spektive von Entwicklungsländern erörtert werden. Marc Bungenberg diskutiert die Verankerung von Regeln zur öffentlichen Vergabepraxis in der WTO und empfiehlt Wege, die Attraktivität des plurilateralen Governance Procurement Agreement, das bislang nicht universell implementiert wur-de, für Entwicklungsländer zu steigern. Daneben machen Beiträge zum Einfluss multilateraler und regionaler Handelsab-kommen auf die Agrarmärkte Marokkos, Burkina Fasos und der Côte d’Ivoire die wettbewerbsverzerrenden Folgen von Ex-portsubventionen deutlich. Die seit einigen Jahren in Verhandlung befindlichen Europä-ischen Partnerschaftsabkommen mit AKP-Ländern, die die bisherigen Vorgaben des Cotonou-Abkommens ablösen sollen, sehen zudem symmetrische Marktöffnungen vor, so dass zu erwarten ist, dass zahlreiche afri-kanische Länder künftig erhöhtem Konkur-renzdruck aus der EU ausgesetzt sind. Im vierten und letzten Teil wird die Frage nach der „Soziale[n] Dimension des Welt-handels“ aufgeworfen. Gerade im Bereich des Pharma- und Gesundheitswesens ma-chen sich Externalitäten des Abkommens über handelsbezogene Aspekte geistigen

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Eigentums (TRIPs) und regulative Defizite der Welthandelsordnung bemerkbar. Die Wirksamkeit von Paragraph 4 der Doha-Erklärung von 2001, in dem die Erteilung von Zwangslizenzen für die kostengünstige Herstellung von Generika in Situationen nationalen Notstands für zulässig erklärt wird, bleibt bislang weit hinter den Erwar-tungen zurück. Bislang behindert ein unübersichtliches Genehmigungsverfahren eine zeitnahe Erteilung von Lizenzen. Eine gezielte Reform des TRIPs-Abkommens könnte den Genehmigungsprozess vereinfa-chen und damit den Zugang zu Medikamen-ten beschleunigen. Die Stärke des vorliegenden Bandes liegt in der Benennung von Problemlösungsstrate-gien. „Handel und Entwicklung im Zeichen der WTO“ richtet sich damit in erster Linie an Praktiker aus der deutschen und interna-tionalen Entwicklungszusammenarbeit so-wie Experten in Verwaltung und Beratung. Die Beiträge des Bandes sind durch Proto-kolle ergänzt, die den Diskussionsverlauf wiedergeben. Als roter Faden durchzieht das Buch die Frage, wie das WTO-Regelwerk stärker der spezifischen Problemlage von Entwicklungsländern angepasst werden kann. Einzelne Beiträge – etwa Koichiro Agatas Untersuchung zur Liberalisierung des japanischen Telekommunikationsmarkts – fallen jedoch aus dem Konzept des Bandes heraus und lassen den Zusammenhang zur im Titel angekündigten Analyse entwick-lungspolitischer Dilemmata vermissen. Schließlich bleibt anzumerken, dass das Buch leserfreundlicher hätte gestaltet wer-den können, indem die einzelnen Beiträge nachträglich stärker aufeinander abgestimmt worden wären. So ergeben sich den Band hindurch gerade in Bezug auf allgemeine organisatorische Details und historische Grundlagen zum Teil ermüdende Wiederho-lungen.

Julia Ellinger

Berit Sandberg und Christoph Mecking, Vergütung haupt- und ehrenamtlicher Füh-rungskräfte in Stiftungen – Die Ergebnisse der Vergütungsstudie 2007, Personalmana-gement in Stiftungen Bd. 1, Stiftung & Spon-soring Verlag GmbH, Essen 2008, 152 S. Der Mangel an Professionalität in vielen Management-Bereichen von Stiftungen wurde von Sandberg erstmalig in ihrer im Jahr 2007 unter dem Titel „Stand und Per-spektiven des Stiftungsmanagements in Deutschland – Eine empirische Studie zur betriebswirtschaftlichen Orientierung von Stifungen“ im Berliner Wissenschafts-Verlag publizierten, umfassenden empiri-schen Studie aufgezeigt. Professionalisie-rungs- und Wettbewerbsdruck sowie Mo-dernisierungsprozesse im Nonprofit-Sektor im Allgemeinen sowie das von Sandberg empirisch nachgewiesene Ziel jeder zweiten Stiftung, professioneller zu agieren, im Be-sonderen, begründen das gesteigerte Interes-se an einschlägigen Berufsfeldstudien. Nach Management-Bereichen differenzierte Ana-lysen zur Erlangung empirisch abgesicherter Erkenntnisse über die Management-Praxis von Stiftungen und das Aufzeigen von Ver-besserungspotenzialen in Bezug auf die Pro-fessionalisierung sind damit angezeigt. Sandberg und Mecking greifen in ihrem Buch „Vergütung haupt- und ehrenamtlicher Führungskräfte in Stiftungen“ diesen For-schungsbedarf auf und leisten einen wesent-lichen Beitrag zur Schließung der konstatier-ten Forschungslücke für den Bereich der Vergütungspolitik im Personalmanagement von Stiftungen. Geleitet wird die empirische Studie von dem Untersuchungsziel, durch die Gewinnung empirisch abgesicherter Erkenntnisse über die Praxis des Personalmanagements, über Anforderungsprofile und Karrierewege und über marktübliche Vergütungsstrukturen, sowohl Stiftungen in ihrer Arbeitgeberfunk-tion als auch Führungskräften im Stiftungs-wesen eine Orientierungshilfe für die Fest-legung angemessener Vergütungen zu ge-ben. In der als schriftliche Befragung konzi-pierten Vergütungsstudie wurden mit Hilfe eines umfangreichen Fragebogens zur Ver-gütungspolitik, zu Vergütungsstrukturen und deren Determinanten sowie zu vergütungs-

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bezogenen Einstellungen in anonymisierter Form Daten zur Vergütung von haupt- und ehrenamtlichen Vorständen und Geschäfts-führungen erhoben. Im Rahmen der im Zeit-raum vom 12. März bis 15. Mai 2007 durch-geführten Befragung wurden Vorstände von 5.000 gemeinnützigen Stiftungen ange-schrieben. Bei einer Responsequote von knapp 11 % umfasste die erzielte effektive Stichprobe 517 Stiftungen; für die Auswer-tung konnten 2.057 Personen, die in die Lei-tung einer Stiftung einbezogen sind, erfasst werden. Die Verfasser weisen im Abschnitt über Erhebungsdesign und Durchführung der Studie darauf hin, dass die Studie auf-grund methodischer Schwierigkeiten bei der Stichprobenziehung und der Zusammenset-zung der effektiven Stichprobe weder in Bezug auf die Gesamtheit der deutschen Stiftungen noch in Bezug auf die Erhe-bungs-Grundgesamtheit der deutschen Stif-tungen repräsentativ ist. Dies wertet keines-wegs den Gesamteindruck und hohen Stel-lenwert dieser Forschungsarbeit ab, sondern unterstreicht vielmehr das für die gesamte Arbeit geltende wissenschaftlich saubere, sorgfältige und nachvollziehbare Vorgehen, welches im Ergebnis wertvolle, wissen-schaftlich fundierte Ergebnisse und Antwor-ten auf wichtige Fragen zum Personalmana-gement in Stiftungen, über die lange nur spekuliert werden konnte, liefert. Diese werden nach einem die Merkmale der be-fragten Stiftungen kennzeichnenden zweiten Kapitel differenziert nach der Vergütung ehrenamtlicher Führungskräfte (drittes Kapi-tel) und Vergütungssystemen für hauptamt-liche Führungskräfte (viertes Kapitel) struk-turiert und pointiert mit Blick auf die Be-antwortung der formulierten Forschungsfra-gen aufbereitet, wobei der Schwerpunkt der Analyse auf der Vergütung hauptamtlicher Führungskräfte liegt. Bei dem für den Nonprofit-Sektor im Allgemeinen und für den Stiftungssektor im Speziellen konstatier-ten erheblichen Professionialisierungsbe-darf, bei dem es darum geht sowohl der aus-geprägten Wertorientierung von Nonprofit-Organisationen als auch den zunehmenden Anforderungen an fachlichem Know how gerecht zu werden, kommt der Vergütungs-politik bei hauptamtlichen Führungskräften ein nicht zu unterschätzender Stellenwert zu,

dem die Studie durch die gewählte Schwer-punktbildung Rechnung trägt. Die Darstel-lung der Ergebnisse für die hauptamtlichen Führungskräfte erfolgt mit Blick auf den Umfang des vierten Kapitels weiter unter-gliedert und differenziert nach den Merkma-len von Vergütungssystemen, Grundgehalt und Gesamtvergütung, Zusatzleistungen, leistungsbezogene Merkmale, personenbe-zogene Merkmale, funktionsbezogene Merk-male und stiftungsbezogene Determinanten. An dieser Stelle sollen nur einige Ergebnisse der Studie zusammengefasst dargestellt werden: Vor allem bei Vorständen zeigt die Studie eine sehr große Bandbreite der ge-zahlten Gehälter auf. Nach Auffassung der Autoren deutet dies darauf hin, dass Vergü-tungen einzelfallbezogen festgelegt werden und dabei zum Teil erhebliche Handlungs-spielräume bestehen. Sofern nicht die Ge-haltsschemata des öffentlichen Sektors zu Grunde gelegt werden, wird die Höhe des Gehalts primär von den mit der Position verbundenen Aufgaben bzw. von den daraus resultierenden Leistungen im Allgemeinen bestimmt. Der Formalisierungsgrad der Vergütungsmuster bei Führungskräften in Stiftungen ist gering. Hierarchische Ge-haltsmuster zeichnen sich insofern ab, als Vorstandsbezüge im Durchschnitt höher ausfallen als Geschäftsführergehälter. Eine dominante Vergütungslogik lässt sich an-hand der vorliegenden Daten der Studie nicht identifizieren; Elemente personenzent-rierter sind ebenso nachweisbar wie solche positionsbasierter Vergütungssysteme. Die Studie dokumentiert, dass das beobachtete Gehaltsniveau bei Vorständen und Ge-schäftsführungen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, deutlich unter dem vergleichba-rer Positionen in der Privatwirtschaft liegt. Ob hier zukünftig eine Annäherung stattfin-den wird und wie sich die Vergütungssyste-me entwickeln werden, sind ebenso span-nende Forschungsfragen für weiterführende Arbeiten und Studien wie die nach womög-lich stiftungsspezifischen Ursachen für das Gehaltsgefälle. Die klare und logische Abfolge der Resulta-te und Folgerungen, den Text unterstützen-de, die wesentlichen Ergebnisse vorzüglich aufbereitende Abbildungen und Tabellen sind ebenso hervorzuhebende Merkmale der

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Studie wie vollständige und informative Zusammenfassungen und die Konzentration auf das Wesentliche. Allen einschlägig Inte-ressierten in Wissenschaft und der Praxis ist die Lektüre des vorliegenden Werks zu emp-fehlen.

Christina Schaefer

Autoren des Heftes

Prof. Dr. Gerold Ambrosius, Direktor des Instituts für Europäische Regionalforschungen (IFER), [email protected]

Prof. Dr. Florian Becker, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Rechtswissenschaft-liche Fakultät, [email protected]

Prof. Dr. Wolfgang Berens, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Controlling, [email protected]

Marco Dudda, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Lehrstuhl für Betriebswirt-schaftslehre, insb. Controlling, [email protected]

Julia Ellinger, Eberhard Karls Universität Tübingen, Institut für Politikwissenschaft, [email protected]

Dr. Claudio Franzius, Freie Universität Berlin, Rechtliche Grundlagen der Politik, [email protected]

Univ.-Prof. Dr. Ronald Gleich, Vorsitzender der Institutsleitung des STRASCHEG Insti-tute for Innovation and Entrepreneurship (SIIE) der European Business School (EBS), [email protected]

Reinhold Kopp, Rechtsanwalt, HEUSSEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, [email protected]

Prof. Dr. Silke Michalski, Universität Hamburg, Professur für BWL, insb. Management von Öffentlichen, Privaten & Nonprofit-Organisationen, [email protected]

Prof. Dr. Doris Neuberger, Universität Rostock, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre –Geld und Kredit, [email protected]

Prof. Dr. Dres. h. c. Karl Oettle, Ludwig-Maximilians-Universität München, [email protected]

Prof. Dr. Isabella Proeller, Universität Potsdam, Lehrstuhl für Public and Nonprofit-Management, [email protected]

Dr. Solvig Räthke-Döppner, Universität Rostock, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre – Geld und Kredit, [email protected]

Prof. Dr. Christina Schaefer, Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Fachbe-reich 3, [email protected]

Dr. Anke Raake, Heinrich-Heine GmbH, [email protected] Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt, Universität zu Köln, Seminar für Sozialpolitik,

[email protected] Prof. Dr. Gerhard Speckbacher, Wirtschaftsuniversität Wien,

[email protected] Prof. Dr. Andreas Wald, Forschungsdirektor und Mitglied der Institutsleitung des STRA-

SCHEG Institute for Innovation and Entrepreneurship (SIIE) der European Business School (EBS), [email protected]