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KLI NISCHE WOCHENSCH RIFT x. JAHRGANG. Nr. 7. xI. FEBRUAR I922; 0BERSICHTEN. DAS TETANIESYNDROM UND SEINE PATHO- GENESE. Von Prof. Dr. E. FRANK, Oberarzt der Medizinisehen KEnik in Breslau. Der gliicklich gewghlte Ausdruck ,,Tetanie"~) bezeichnet zungchst lediglich jene in Anfgllen yon sehr verschiedener Dauer, Intensit&t und Schmerzhaftigkeit auftretenden ab- normen Spannungszustgnde in der distalen Muskulatur der Extremit&ten, welche die I-Ignde in die bekannte Geburts- heifer- oder Pf6tchenstellung zwingen, seltener zugleich Fug und Zehen in stark plantarer Flexion fixieren. Mit fort- schreitender Erkenntnis hat sich gezeigt, dab die Tetanie- attacke die NuBerung einer zwischen den Anf/illen fort- waltenden und auch in der Latenz erkennbaren Krampf- bereitschaft ist, beim Menschen jenseits des S/iuglingsalters yon deren Manifestationen die h~ufigste, abet keineswegs die einzige, beim Sgugling zweifellos die seltenere oder jedenfalls viel seltener besonders augenfgllige. Allm~ihlich ist so die Bezeichnung Tetanie, die damit allerdings ihren Wortsinn verliert -- nach Art einer pars pro toto -- auf einen, im Wesen eng zusammengeh6rigen Komplex yon tonischen und klo- nischen Krampfformen iibertragen worden, nnd unter dem Begriffe der Tetanie im weiteren Sinne faBt die moderne Krankheitslehre die genannte Diathese samt allen ihren ohne weiteres oder mittels gewiser Kunstgriffe sich darbietenden Erscheinungs!ormen zusammen. Die /ilteren Autoren nennen als Ursache der Tetanie Infektionskrankheiten und Vergiftungen, chronische Diar- rh6en und Py!orusstenosen mit gehguftem Erbrechen, Schwan- gerschaft und Stillgesehgft. Aber, wie schon TROUSSEAU wuBte, sind das nicht Faktoren, welche die Diathese erzeugen , sondern offenbar lediglich Bedingungen, welche ihre Ent, /iuBerung begfinstigen, ebenso wie etwa die Zugeh6rigkeit zu bestimmten Berufen (Schuster, Schneider) oder die Tetanie- saison (Jannar his April). Ganz anders zu werten ist diejenige Tetanie, die zuerst den Chirurgen begegnete, Ms sie, die gewaltigen Folgen des Eingriffs nicht ahnend, die Totalexstirpation der strum6s ent- arteten Schilddriise auszufiihren begannen. Man hat bekannt- Hch la.nge die auch im Experiment leicht erzeugbaren Krampf- erscheinungen auf den Verhst der Schilddriise bezogen; aber es ist heute wohl Allgemeingut des grztlichen Wissens, dab fiir den Ausbruch der auch jetzt nicht immer vermeidbaren Tetania strumipriva die Mitentfernung oder traumatische Sch~digung yon vier winzig kleinen, der Schilddriise eng- anliegenden, aber entwicklungsgeschichtlich, histologisch und Iunktionell ihr ganz fernstehenden Gebilden -- Parathyreoideae oder Epithelk6rperchen genannt -- 'verantwortlich zu machen ist. Durch die Reduktion der Epithelk6rperchenmasse wird wirklich eine Diathese neu geschaffen, d.h. eine ge/~nderte Reaktionsbereitschaft des Organismus, vor allem wichtiger Apparate seines Nervensystems, als Dauereigenschaft er- worben. Ist das Parathyreoidgewebe vollstgndig, entfernt oder zerstSrt, so geniigen offenbar die leisesten Eigenreize des Organismus, um den ganzen Eormenreichtum der Te- taniemanifestationen in einem denkbar schweren Krankheits- bilde erstehen zu lassen. Andererseits braucht sich bet par- tidier Insuffizienz oder- zeitweiser AusschMtung der Epithel- _k6rperchen die KonstitutionsanomMie im ldinischen 'Sym= prom iiberhaupt nicht zu verraten: Der Kundige allerdings vermag sie stets zu entlarven, so dab es ihn nicht iiberrascht, ~) Sein Erfinder ist L. CORVISART, der (ira Jahre I852) seiner ,,Doktorarbeit, den Titel gab: De la contracture des extremit6s ou t@(anie chez l'adulte. Klinische Wochenschrift, x. Jahrg. wenn nach Jahr und Tag, etwa wghrend einer Graviditgt, un~ versehens die schmerzhaften Extremit/~tenspasmen sich ein- stellen. Welches sind nun die Kennzeichen der ,,stummen" Dia~ these, set es, dab sie spontan entstanden, set es, dab sie in der erSrterten Weise kiinstlich erzeugt ist. ]]as Instrument, das sie am empfindlichsten registriert, ist zweifellos der peri- phere neuro-muskulgre Apparat: Die Ubererregbarkeit der motorischen Nerven bet Reizung mit dem galvanischen Strome, das ERBsche Zeichen also, aber in der scharf pr~- zisierten Fassung, die es zuerst dutch die Untersuchungen yon MANN und THIEMICH bet der infantilen Tetanie erfahren hat; d/irfte zu keiner Zeit des Bestehens der Diathese vermiBt werden. Die der Tetanie zukomrnende Ubererregbarkeit erstreckt sich zwar auf alle Glieder der Zuckungsformel, zur Charakteri, stik der latenten Diathese ist aber wohl nur die unverh/iltnis- mgBig starke Erniedrigung der Reizschwelle fiir die Off= nungszuckungen zu verwerten. Die Anoden6JJnungszuclcung i~berfli~gelt die Anodenschlieflungszuckung, und die normaler- weise so auflerordentlich schwer (meist gar nicht) auslSsbare KathodenSJJnungszuckung ist mit leichter Mi&e erh(iltlich, Der konventionelle Grenzwert der Pgdiater yon 5 Milliampere fiir die KOeZ kann nach eigenen Erfahrungen gut ftir die Diathese ganz allgemein iibernommen werden ; Werte zwischen 5 und IO Milliampere bedenten, wenigstens ffir das/iltere Kind und den Erwachsenen, noch immer eine sehr deutliche Uber- erregbarkeit, sind aber nur im Verein mit anderen Kenn- zeichen zur speziellen Diagnose der Tetaniediathese ver- wendbarl). Zu diesen anderen Kennzeichen ist die mechanische Uber, erregbarkeit der Nerven, das sog. Facialisph/inomen, nut dann zu rechnen, wenn es beim Beklopfen des Nervenstammes amForamen stylo-mastoideum (CHvosTEKI) oder schon durch Bestreichen der Wange (ScI~ULTZE) demonstrierbar ist. Mit der elektrischen und mechanischen Ubererregbarkdt der peripheren Nerven bilden nun einige h6chst interessante trophisehe St6rungen -- Zahnschmelzdefekte und Linsen- triibungen -- das Ensemble der latenten Diathese. Die Schmelzhypoplasien sehen in stark ausgeprggten Fgllen so aus, als ob mehrere Reihen horizontaler Furchen in das Gebil3, besonders in die Schneide- und Eckz~Lhne, hinein- gemeiBelt wgren, mitunter sind sie aber nur Ms feine, wellige Linien angedeutet, oder die LiMe ist gewissermaBen nur dutch kleinste, wie ausgestanzte Griibchen oder L6chelchen markiert. Die f/Jr die Tetanie eharakteristische Form der Linsentrfibung ist der das Sehen h/infig erheblich beeinJ tr/ichtigende Schichtstar (Cataracta perinuclearis), bet Er~ wachsenen gelegentlich auch eine Corticalkatarakt. Nicht selten sind abet die Linsensch/idigungen ganz unauff~illig und miissen sorgf~ltig gesueht werden: Es handelt sich dann nach PHL~PS nm vereinzelte randstgndige, zarteste, strich~ und punktf6rmige Triibungen (in perinuclegren Schichten),i die keine Sehst6rungen bedingen und erst nach ausgiebiger Erweiterung der Pupill e zu Gesicht kommen. Man hat Kata- rakt und Zahnvergnderungen friiher einfach ffir Folgeerschei- nungen der Rachitis gehalten; wir verdanken den Nachweis,i dab es sich um Tetaniesymptome handelt, den grfindlichen~ Untersuchungen des Ophthalmologen PETERS und des Odon- tologen FLEISCHMANN; ihre experimentelle Erzeugung ist: ERDHXlM bet der chronisch verlaufenden Tetania parathyreo,: priva' der Ratte gelungen. 1) Die ,,Spasmophilie der Erwachsenen", bet der nut auf niedere AOeZ Weft gelegg wird, ist -con der Tetaniediathese durchaus zu trennen. Dieses yon Pt~RITZ umrissene Syndrom stellt nichts anderes dar ais eine Anzahl yon Ph~nomenen, dm man bei ,,Va-' gotonikern" am quergestreiften Muskel auslSsen kann. 2I

Das Tetaniesyndrom und Seine Pathogenese

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KLI NISCHE WOCHENSCH RIFT x. J A H R G A N G . Nr . 7. xI . F E B R U A R I922;

0BERSICHTEN. DAS TETANIESYNDROM UND SEINE PATHO-

GENESE.

V o n

Prof. Dr . E. FRANK, Oberarzt der Medizinisehen KEnik in Breslau.

Der gliicklich gewghlte Ausdruck ,,Tetanie"~) bezeichnet zungchst lediglich jene in Anfgllen yon sehr verschiedener Dauer , Intensit&t und Schmerzhaftigkeit auftretenden ab- normen Spannungszustgnde in der distalen Muskulatur der Extremit&ten, welche die I-Ignde in die bekannte Geburts- heifer- oder Pf6tchenstellung zwingen, seltener zugleich Fug und Zehen in s tark p lan tarer Flexion fixieren. Mit fort- schreitender Erkenntnis ha t sich gezeigt, dab die Tetanie- a t tacke die NuBerung einer zwischen den Anf/illen fort- waltenden und auch in der Latenz erkennbaren Krampf- bereitschaft ist, beim Menschen jenseits des S/iuglingsalters yon deren Manifestationen die h~ufigste, abet keineswegs die einzige, beim Sgugling zweifellos die seltenere oder jedenfalls viel seltener besonders augenfgllige. Allm~ihlich ist so die Bezeichnung Tetanie, die dami t allerdings ihren Wortsinn verliert -- nach Ar t einer pars pro toto -- auf einen, im Wesen eng zusammengeh6rigen Komplex y o n tonischen und klo- nischen Krampfformen iibertragen worden, nnd unter dem Begriffe der Tetanie im weiteren Sinne faBt die moderne Krankheitslehre die genannte Diathese samt allen ihren ohne weiteres oder mittels gewiser Kunstgriffe sich darbietenden Erscheinungs!ormen zusammen.

Die /ilteren Autoren nennen als Ursache der Tetanie Infekt ionskrankheiten und Vergiftungen, chronische Diar- rh6en und Py!orusstenosen mit gehguftem Erbrechen, Schwan- gerschaft und Stillgesehgft. Aber, wie schon TROUSSEAU wuBte, sind das nicht Faktoren, welche die Diathese erzeugen , sondern offenbar lediglich Bedingungen, welche ihre Ent , /iuBerung begfinstigen, ebenso wie etwa die Zugeh6rigkeit zu bes t immten Berufen (Schuster, Schneider) oder die Tetanie- saison (Jannar his April).

Ganz anders zu werten ist diejenige Tetanie, die zuerst den Chirurgen begegnete, Ms sie, die gewaltigen Folgen des Eingriffs nicht ahnend, die Totalexst i rpat ion der strum6s ent- ar teten Schilddriise auszufiihren begannen. Man ha t bekannt- Hch la.nge die auch im Exper iment leicht erzeugbaren Krampf- erscheinungen auf den V e r h s t der Schilddriise bezogen; aber es ist heute wohl Allgemeingut des grztlichen Wissens, dab fiir den Ausbruch der auch je tz t nicht immer vermeidbaren Tetania s t rumipriva die Mitentfernung oder t raumatische Sch~digung yon vier winzig kleinen, der Schilddriise eng- anliegenden, aber entwicklungsgeschichtlich, histologisch und Iunktionell ihr ganz fernstehenden Gebilden - - Parathyreoideae oder Epithelk6rperchen genannt -- 'verantwortl ich zu machen ist. Durch die Redukt ion der Epithelk6rperchenmasse wird wirklich eine Diathese neu geschaffen, d .h . e i n e ge/~nderte Reaktionsberei tschaft des Organismus, vo r allem wichtiger Apparate seines Nervensys t ems , als Dauereigenschaft er- worben. I s t das Parathyreoidgewebe vollstgndig, entfernt oder zerstSrt, so geniigen offenbar die leisesten Eigenreize des Organismus, u m den ganzen Eormenreichtum der Te- taniemanifestat ionen in einem denkbar schweren Krankheits- bilde erstehen zu lassen. Andererseits braucht sich bet par- t id ie r Insuffizienz oder- zeitweiser AusschMtung der Epithel- _k6rperchen die Konsti tutionsanomMie im ldinischen 'Sym= prom i iberhaupt nicht zu verra ten: Der Kundige allerdings vermag sie stets zu entlarven, so dab es ihn nicht i iberrascht,

~) Sein Erfinder ist L. CORVISART, der (ira Jahre I852) seiner , ,Doktorarbeit , den Titel gab: De la contracture des extremit6s ou t@(anie chez l'adulte.

Klinische Wochenschrift, x. Jahrg .

wenn nach Jahr und Tag, etwa wghrend einer Graviditgt , un~ versehens die schmerzhaften Extremit/~tenspasmen sich ein-

s tel len. Welches sind nun die Kennzeichen der , ,s tummen" Dia~

these, set es, dab sie spontan entstanden, set es, dab sie in der erSr ter ten Weise kiinstlich erzeugt ist. ]]as Instrument , das sie am empfindlichsten registriert, ist zweifellos der peri- phere neuro-muskulgre Appara t : Die Ubererregbarkeit der motorischen Nerven bet Reizung mit dem galvanischen Strome, das ERBsche Zeichen also, aber in der scharf pr~- zisierten Fassung, die es zuers t dutch die Untersuchungen yon MANN und THIEMICH bet der infantilen Tetanie erfahren hat; d/irfte zu keiner Zeit des Bestehens der Diathese vermiBt werden.

Die der Tetanie zukomrnende Ubererregbarkeit erstreckt sich zwar auf alle Glieder der Zuckungsformel, zur Charakteri , s t ik der la tenten Diathese ist aber wohl nur die unverh/iltnis- mgBig starke Erniedrigung der Reizschwelle fiir die Off= nungszuckungen zu verwerten. Die Anoden6JJnungszuclcung i~berfli~gelt die Anodenschlieflungszuckung, und die normaler- weise so auflerordentlich schwer (meist gar nicht) auslSsbare KathodenSJJnungszuckung ist mit leichter Mi&e erh(iltlich, Der konventionelle Grenzwert der Pgdiater yon 5 Mil l iampere fiir die KOeZ kann nach eigenen Erfahrungen gut ftir die Diathese ganz allgemein iibernommen werden ; Werte zwischen 5 und IO Milliampere bedenten, wenigstens ffir das/ i l tere Kind und den Erwachsenen, noch immer eine sehr deutliche Uber- erregbarkeit, sind aber nur im Verein mit anderen Kenn- zeichen zur speziellen Diagnose der Tetaniedia these ver- wendbarl).

Zu diesen anderen Kennzeichen ist die mechanische Uber, erregbarkei t der Nerven, d a s sog. Facialisph/inomen, nut dann zu rechnen, wenn es beim Beklopfen des Nervenstammes amForamen stylo-mastoideum (CHvosTEKI) oder schon durch Bestreichen der Wange (ScI~ULTZE) demonstr ierbar ist.

Mit der elektrischen und mechanischen Uberer regbarkdt der peripheren Nerven bilden nun einige h6chst interessante trophisehe St6rungen -- Zahnschmelzdefekte und Linsen- triibungen -- das Ensemble der la tenten Diathese. Die Schmelzhypoplasien sehen in s tark ausgeprggten Fgllen so aus, als ob mehrere Reihen horizontaler Furchen in das Gebil3, besonders in die Schneide- und Eckz~Lhne, hinein- gemeiBelt wgren, mitunter sind sie aber nur Ms feine, wellig e Linien angedeutet, oder die LiMe ist gewissermaBen nur dutch kleinste, wie ausgestanzte Griibchen oder L6chelchen markiert . Die f/Jr die Tetanie eharakteristische Form der Linsentrfibung ist der das Sehen h/infig erheblich beeinJ tr/ichtigende Schichtstar (Cataracta perinuclearis), bet Er~ wachsenen gelegentl ich auch eine Corticalkatarakt . Nicht selten sind abet die Linsensch/idigungen ganz unauff~illig und miissen sorgf~ltig gesueht werden: Es handel t sich dann nach PHL~PS nm vereinzelte randstgndige, zarteste, strich~ und punktf6rmige Triibungen (in perinuclegren Schichten),i die keine Sehst6rungen bedingen und erst nach ausgiebiger Erweiterung der Pupill e zu Gesicht kommen. Man ha t Kata- rak t und Zahnvergnderungen friiher einfach ffir Folgeerschei- nungen der Rachitis gehal ten; wir verdanken den Nachweis,i dab es sich um Tetaniesymptome handelt , den grfindlichen ~ Untersuchungen des Ophthalmologen PETERS und des Odon- tologen FLEISCHMANN; ihre experimentelle Erzeugung ist: ERDHXlM bet der chronisch verlaufenden Tetania parathyreo,: priva' der Ra t te gelungen.

1) Die ,,Spasmophilie der Erwachsenen", bet der nut auf niedere AOeZ Weft gelegg wird, ist -con der Tetaniediathese durchaus zu trennen. Dieses yon Pt~RITZ umrissene Syndrom stellt nichts anderes dar ais eine Anzahl yon Ph~nomenen, dm man bei ,,Va-' gotonikern" am quergestreiften Muskel auslSsen kann.

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Die Anomalien des Zahnschmelzes sind nicht nur fiir die Diagnose, sondern auch ffir eine scharfe theoretische Er- fassung des Begrifis der Tetaniediathese sehr bedeutsam. FLEISCHMANN hat es sehr wahrscheinlich gemacht, dab die Schmelzdefekte eines bleibenden Zahnes aus der Zeit stam- men, in welcher seine Krone angelegt wurde, also an den oberen und unteren Schneidez/ihnen aus dem I. und 2. Lebens- jahre, an den 2. Pr/imolaren und Molaren aus dem 3. bis 5. Jahre. D i e parallelen Ringfurchen entsprechen jedesmal Exazerbationen eines pathologischen Zustandes, sie sind wie Runen, die zunS.chst dem Auge verborgen aufgezeichnet wurden, erst sp/~ter zutage traten, a b e r nocli nach Jahren dem Kenne r dieser R/itselschrift Verraten, dab die Anf~nge der konstitutionellen Abartung in die friiheste Jugend zu- rfickreichen k6nnen. Die S/~uglingstetanie heilt wohl in der iiberwiegenden Mehrzahl der F/ille aus, aber schon ESCHE- RICH, POPETSCHNIa und TI~IEMICH sind bet dem nictit ganz einfachen Versuche, das Schicksal solcher Kinder w.eiter zu verfolgen, aui persisfierende Formen gestogen, die sich nicht immer durch manifeste Symptome wie Carpo-Pedalspasmen oder Sp/iteklampsie verrieten, sondern mitunter nur das Ubererregbarkeitssyndrom darboten. Welche groBe Rolle aber die im S/iuglingsalter bereits nachweisbare (wahrschein- lich nicht angeborene, sondern damals erworbene) Diathese ffir die Entstehung yon Tetanieanf/tllen des Adoleszenten und Erwachsenen spielt, ist erst durch eine 1914 yon PHLEPS mitgeteil te Untersuchungsreihe erschlossen worden, Etwa in der HNfte seiner lO 3 selbst beobachteten TetanieiNle konnte der Krankheitsbeginn mit Sicherheit oder gr6Bter Wahr- scheinlichkeit in das erste und zweite Lebensjahr ver leg t werden. Seine Feststellung ist sozusagen doppelt gesichert; der positiven Kindheitsanamnese entsprach mit nut zwei Ausnahmen der objektive Nachweis der Schmelzdefekte, so- wie die iiberraschend grol3e Zahl der (in mehr als 8/, der F/~lle nachweisbaren!) Linsentriibungen. Abet auch die in sp/~terem Alter erworbene Tetanie, selbst die endemische Arbeitertetanie in Wien, ist meist keine: akute oder rezidi- vierende, sondern, wie zuers t v. FRANKL-HOCHXVART nach- wies, ei i le chronisch exacerbierende Krankhei t oder eine dauernde Krankhe i t sbe re i t schaf t : elektrische und mecha- nische Ubererregbarkeit, nicht gar selten in Verbindung mit einer sicti allm/~hlich entwickelnden Katarak t sprechen da eine beredte Sprache.

Mancher wird vielleicht erstaunt sein, dab unter den Zeiehen der latenten Diathese das Phgnomen von TROussEAU n i c h t figuriert. Aber, man darf meines Erachtens ,,latente Diathese" und ,,latente Tetanie" nicht verwechseln. Von ,,latenter Tetanie" muff dann gesprochen werden, wenn durch Hinzutreten neuer, meist nur t empor~r wirksamer ]3edin- gungen die der Diathese zugrunde liegende biochemische Gleichgewichtsst6rung !m Bereiche gewisser nerv6ser Zentral-

, , R e , z e organe so weft gesteigert ist, dab es gelingt, dureh " " die Entladung dieser Zentren naeh Belieben hervorzuru/en, ge- wissermaflen experimentell zu beherrschen.

TROUSSEAU hat, als er einen Tetaniekranken zur Ader lieB, beobachtet, dab nach Anlegen der Stauungsbinde alsbald der ty- pische Beugekrampf der Finger sich ausbildete. Er ist se~ner Ent- deckung 7zeiter nachgegangen nnd hat gefunden, dab aul3er der venSsen Stauung auch die Un~erbrechung des arteriellen Zufiusses, ferner aber auch Druck auf den Medianus am Arm oder auf den PlexUs brachialis oberhMb der Clavicula den Anfall ausl6ste; er hat aueh bereits durch UmschnOrung des Oberschenkels oder indem er ihI1 krgftig mit beiden Hs zusammenpregte, schiieB- lich auch dutch s4carken Druck auf den Ischiadicus, den Krampf der Zehen und des FuBes, wenn auch weniger leicht wie an der oberen Extremitgt, hervorrufen kSnnen. Er hat sich nich)c dariiber geguBert, wie er sich das Zustandekommen des Phgnomens eigent- lich denke, wahrscheinlich well er, wie viele nach ihm bis in die nei~este Zeit, es iiir selbstverstgndlich gehalten haben, dab es sich am einen rein peripheren Vorgang handelt, um der/ Erfolg ether direkten Reizung der motorischen Nerven dutch den Druck. resp. ihrer Endigungen dutch Iseh/imie oder venSse Hyper&mie. Solche Vorstellungen diirien Ms unhaltbar bezeichnet werden: die Er~ regung, die den Dauerkrampf veranlafit, hat, ~ie schon H. SCHLE- SINGER zeigte, mit der f2bererregbarkeit der motorischen Nerven gar nichts zu tun; sie geht nach den elektromyographischen Unter-

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suchungen yon H. ~CH~FFER sicher yon den Zentralorganen aus, und das TROUSSEAUsche PhS.nomen ist unzweifelhaft ein reflek- torischer Vorgang; wenn bet der heute fiblichen Technik, bet welcher durch die ESMARCI-Ische Binde der Oberarm bis zum Schwinden des Pulses zusammengeschniirt wird, die Zirkulations- st6rung neben dem Druck der Binde auf die Nervenst~mme iiber- haupt eine Rolle spielt, so kann es sich nut darum handeln, dab die Isch~misierung als Summationsreizung einer groBen Menge sensibler Nervenendigungen wirkt.

Das TROUSSEAusche Phgnomen ist nach unseren jetzigen Kenntnissen nur ein Beispiel der kiinstlichen Erzeugung des Anfalles bet genfigend hoher Erregbarkeit der Zentralapparate. Wahrscheinlich kommen wir der natfirlichen Entstehung der Attacke noch n/iher, wenn wi~ an SteUe des reflektorisehen Reizes chemisehe l~eizmittel anwenden, also letzten Endes eine ver/~nderte SMtemischung, einen ,,Blutreiz" z u r Ausl6sung benutzen. C~IVdSTEK jun. hat bet einer gr6Beren Anzahl ab- klingender oder im Stadium der Latenz befindlichen Tetanie- f~lle dutch Injekfionen yon Alt-Tuberkulin (wir wiirden jetzt sagen: durch parenterale Proteink6rperzuiuhr) eine Aktivie- rung der Symptome erzielt. Sehr leicht kann man s ichdavon fiberzeugen, dab die Einspritzung yon o, 5 - I,O mg Adrenalin ein probates Mittel ist, um {m anfallsfreien Intervall mani- feste Symptome hervorzurufen, bald nur Par~sthesien im V~rlauf peripherer Nerven oder Andeutung yon Pf6tchen- stellung, nicht sel ten aber auch h6chst schmerzhafte Kra;mpf- zust/~nde in allen vier Extremits Auch der Willens- impuls, d . h . die vom Cortex herkommende, o~ienbar d is fibererregbare, tiefer gelegene Zentrum irgendwie treffencte Erregung kann auslSsend wirken: wenigstens ist der sog. Intentionskrampf, der an kraitvolles Zugreifen oder den FaustschluB sich anschlieBt und zum mindesten antagoni- stische ,Bewegung stark behindert, wohl hSmiig in dieser Weise aufzuiassen (seltener als Kombination mit Myotonie).

Den Ubergang yon der latenten zur manifesten Tetanie bilden die gelegentlich Ms einziges Symptom auftretenden, jedenfalls wohl niemals vermiBten Par~isthesien, bald mehr diffuse Mil3empfindungen, bald mehr neuralgiforme Sensa- tionen: Sie sind offenbar das subjektive Korrelat e iner ad maximum gesteigerten Ubererregbarkeit der peripheren Ner- Yen, welche ja, wie wir seit langem durch die Untersuchungen yon J. ttOVFMANN wissen, die sensible Sphere in gleicher Weise trifft wie die motorische.

Das charakterisfische Phgnomen der Tetanie, das ycohl nur bet dieser Krankheit vorkommt, ist die bet vollem Be- wuBtsein wider Willen, hgufig genug unbemerkt sich aus- bildende abnorme Steliung d e r Extremit~t , die mitunter stunden- und tagelang persisfiert. Die St~Lrke des Innerva- tionsimpulses, auf die hfiufig der t tauptnachdruck gelegt wird, ist etwas Sekund/ires: Gewil3 sind die Finger nicht selten aktiv und passiv unl6sbar gegen den Handteller ge- pregL aber nicht darauf kommt es an, sondern gas wesent- liehe ist die eigenti~mliche Haltung, welche die Finger immer wieder einnehmen, aueh wenn sie mi~helos, o# genug ohne ]edes GeJi~hl des Widerstandes, vora Kranlcen oder yore Untersueher gestreelct worden sin& Die Art der Innervat ion ist, wie SCHXVF~R mittels des Elektromyogramms feststellen konnte, genau die gleiche, als ob die Muskeln willkiMich an- gespannt wgren: Die Tetanieattacke in roller Ausbildung ist ein besonders sch6nes Beispiel des yon PIPER entdeckten 5 ~ er Rhythmus, d. 1!. der. Tatsache, dab die. vom Zentral- nervensystem veranlagte Dauerkontraktion (der , ,Tetanus" in physiologischem Sinne) nicht durch einen kontinnierlichen Innervafionsstrom, sondern etwa 5 ~ ziemlich rhythmische und gleichm/iBige St613e in der Sekunde hervorgerufen wird.

Bekanntlich hat die Tetanie beim jungen Kinde im I. und 2. Le- bensjahre ein ganz anderes PrgAilektionsgebiet wie spS~ter ; hier wer- den vor allem die StimmbSmder anfallsweise in derjenigen Stellung fixiert, die sic bet der Lautbildung, beim "Schreien physiologischer- weise iflr Momente einnehmen: auch hier finden sich alle ~ber- g~nge yon leichten Verengirungen der Glottis. die als harmloses krS.hendes oder t6nendes Inspirium bekannt sind; bis zum schweren Laryngospasmus, bet welchem das Kind mfihsam wie beim Croup nach Luft ringt und die tiefen Einziehungen am -Thorax deutlich yon der absolut mangelhaften inspiratorischen Fiillung der Lungen

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zeugen. Es w~ire aber durchaus irrig, zu glauben, dab der Laryngo- spasrnus beim Erwachsenert nicht vorkornme: er ist, wie PINEL~S gezeigt hat, rnitunter sogar als sehr quglender Zustand bei der Te- tania parathyreopriva, bei der Arbeitertetanie und auch bei chro- niseh rezidivierenden Formen beobachtet. [ch selbst habe ersr kfirzlich bei einem Kranken, der seit seiner Jugend grobe Schmelz- defekte hat, aber erst seit seinem 30. Lebensjahre (wohl irn An- schluB an chtonische Diarrh6en) an hgufig rezidivierenden Carpo- pedatspasrnen leidet, wghrend einer I2 Stunden dauernden Attacke merkliche Atmungserschwerung rnit deutlich vernehmbarern ,,Ziehen" w/ihrend des Inspiriurns konstatierL

Umgekehrt erscheinen nach ESCHERICtt die Tetaniestellungen der Extremit/iten beim S~ugling (abgesehen allerdings yon h6chst einpr~gsarnen Ausnahmen) als ein recht inkonstantes und rneist fl/ichtiges PhS.nomen, das meist nut vorfibergehend wghrend laryngospasfischer (oder eklamptischer) An{/ille oder im Abklingen derselben gesehen oder noch h~ufiger iibersehen wird.

Die manifeste Tetanie des Erwachsenen repr/isentiert glficklicherweise allermeist nur einen kleinen Ausschnitt aus einem m6glichen Gesamtsymptomenkomplex, den bei rest- loser Verwir!dichung nicht viele Krankheitsbilder an Ernst und Schwere fibertreffen dfirften. Dieser Charakter wird der Tetanie dadurch aufgeprggt, dab bei Disponierten oder hoch- gradiger EpithelkSrpercheninsufiizienz die drei Komponenten des epileptischen lnsultes ~ der subcorticale tonische Krampf- anfall, die klonischen Rindenkr/impfe und der ]3ewuBtseins- verlust -- entweder gleichzeitig oder isoliert auftreten und dab ferner die heJtigsten Entladungen ;~n die vom vegetativen Nervensystem vemorgten Organe erfolgen k6nnen.

Die tonische Phase des epileptischen Anfalles gewinnt bei der Tetanie grol3e Selbst~tndigkeit, ist aber yon vielen Autoren nicht als solche erkannt worden, sondern wird in der Pgdiatrie rnit dern Stirnmritzenkrampf zusammengewor~en, bei der Tetania para- thyreopriva als besonders weitgehende Ausdehnung der klassischen Tetanieattacke, als l)bergreifen auf die im allgemeinen verschonte Muskulatur der Kiefer, des Nackens und des Rumpfes geschildert. Beirn Sgugling ist sie yon FLSXSSEn bereits 1843 in Massischer \Veise als Tetanus apnomus geschildert worden, ESCHERtCH hebt ihre Sonderstellung gebi~hrend hervor, ohne sie doch ganz scharf yore Laryngospasmus abzutrennen. Dabei handelt es sich doch urn etwas ganz anderes: Die gesarnte K6rpermuskulatur wird .rnit einern Schlage start: ' Nackenstarre, Opistotonus, vollstitndiger Stillstand der Atmung durch I~2rampf der Intercostales und des Zwerchfells sind ein einheitlicher Komplex: nicht der krampfhafte Verschlul3 der Stimrnritze, dessen Bestehen wohl nicht einmal ganz sichergestellt ist, sondern der Krarnpf der Inspirationsrnuskulatur, das Aufh6ren der Atembewegnngen, ist das Maggebende. Ent- weder 16st sich nun wie im epileptischen Anfall bei schon erheb- licher Cyanose der Krarnpf nach zwanzig bis. dreiBig Seknnden oder abet er bleibt bestehen und dann muB natiirlich das nicht rnehr rnit Sauerstoff versorgte Herz schliel?lich versagen. Bei der para- thyreopriven Tetanie schwersten Grades werden ganz die gleichen AnfS.11e beobachtet und sind sicherlich auch hier nicht selten fiir den t6dlichen Ausgang verantwortlieh zu rnachen.

Die yon den rnotorischen Zentren der Hirnrinde ausgehenden klonischen KrS.rnpfe rnit BewuI3tseinsverlust, oft genug mehrrnals am Tage sich w~ederholend, sind als Eklampsia infantum ein wich- tiges Teilst/ick der S/iuglingstetanie; aber sie fehlen durchaus nicht irn Bilde der Tetauie des s Kindes (SpS.teklampsie von T~IInMICH) und des Erwachsenen. Nach der Strurnektornie k6nnen sich bei vorher ganz gesunden Mensehen heftige epilepfische An- fS.11e entwickeln, aber wie vor allern REDLICH nachgewiesen hat, kommt die Epilepsie bei allen Formen tier Tetanie vor; die Extre- mit~ten k6nnen yon klonischen Kr/tmp{en geschiittelt werden, w'/ihrend H/inde und F/ige in der typischen Tetanieste!lung ver- harren oder die Tetanieattacke kann unmittelbar in einen epi- leptischen Anfall /ibergehen und urngekehrt. Nfeines Erachtens spricht der Nachweis der Tetaniediathese (Ubererregbarkeits- syndrom und trophische St6rungen) sehr zugunsten der Auffas- sung einer fraglichen Epilepsie als Tetaniesymptom; auch den Erfolg der Calciumbehandlnng bei versagendem Brom wfirde ich mit CURSeH~A~N in gleichem Sinne deuten. Eine gewisse Dis- position (die vielleicht dern S/tuglingsgehirn physiologischerweise zuzusprechen ist) geh6rt wohl abgesehen yon hochgradiger EpithelkSrpercheninsuffizienz - - zum Auftreten der Tetanie- epilepsie.

Die Ubererregbarkeit im Bereiche der vegetativen Sphs ist erst in neuerer Zeit, insbesondere yon F~LT.~ beirn Erwachsenen, von IBR.ams~ beim jungen Kinde gebfihrend gewfirdigt worden. Nach FAL~A pflegen Tetaniekranke zu Anfallszeiten bei der pharma- kologischen Prfifung sow0hl auf das sympathicotrope Adrenalin,

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als auch ant den Vagusreiz des Piloearpins aul3erordentlich stark zu reagieren. Von spontanen Symptornen, die sich durch ihre Auf- f~illigkeit oder dutch die Intensit/it der mit ihnen verbundenen Schrnerzen sehr in den Vordergrund drgngen und bet Fehlen der typischen Krampfstellungen leicht zu irrtfimlichen Diagnosen Anlal3 geben k6nnen, seien genannt die Gastrospasmen, die Ifr~rnpfe der Blasenmuskulatur, die zur Harnverhaltung ffihren, ferner hochgradige Dyspnoe bet SS~uglingen infolge yon exzessiver krarnpf- ha{ter Verengerung der ]3ronchiolen (LED1~RERG Bronchotetanie), endlich die Neigung zu 0dernen, besonders am Hand- und FuI3, r/ieken, sowie das gedunsene Gesicht. Mit IBRAHIM wird man es ffir durchaus wahrscheinlich halten k6nnen, dal3 mancher pl6tzliche Todesfall bet S/iuglingstetanie durch Herzstillstand infolge fiber- m/iehtiger Impulse ant den Bahnen der Herznerven zu erkl/iren isf,

Die Synthese yon abnormen krampfhaften Stellungen der Extremit/i ten, Sfimmritzenkrampf, Tetanus apnoicus und Eldampsie zu einer Krankheitseinheit ist zuerst 1815 yon CLARKE, bald darauf besonders scharf yon MARSHALL HALL vollzogen worden; erst 5 ~ Jahre sp~iter haben wiederum zwei englische P/~diater, ABERCROMBIE und CIt/EADLE, ge- wissermaBen neu entdeckt, dab Ubererregbarkeit des Fa- cialis, Laryngospasmus. Tetanie und Konvulsionen nut ver- schiedene Ausdrucksformen ein und desselben ,,Constitu- tional morbid s ta te" seien. Bald darauf haben dann ESCHE- RICH und Loos, ohne die Arbeiten der englischen Autoren zu kennen, am Leitfaden der mechanischen nnd elektrischen ~berregbarkei t die einheitliche Grundlage der l(rampf- zust~nde des S~uglings postuliert. Klinisches Beobachtungs- talent, Scharfsinn und Intuition dieser M/~nner haben eine Leistung vollbracht, die wir urn so mehr bewundern mfissen. nachdem es im Experiment gelungen ist, den gesamten Symptomenkomplex mit fast photographischer Treue nach- zuerzeugen und die /itiologische und pathologisch-physio- logische Einheiflichkeit des an einer ganzen Reihe von ner- vOsen Zentren und peripheren cerebrospinalen und auto- nomen Synapsen sieh abspielenden (framer gleichen) Grund- ~zorganges zu erkennen.

Wer sich unbefangen die Ffille der motorischen 1Reiz- erscheinungen vergegenw/irfigt, die nach vollst/indiger Aus- schaltung der Epithelk6rperchen bet Mensch und Tier sehr rasch zur Entwieklung gelangen, wird nicht umhin k6nnen, anzunehmen, dab hier eine Autointoxikafion, die Auswirkurig yon im K6rper selbst gebildeten Krampfgiften, diagnostiziert werden mfisse. Den ersten Hinweis auf die Natur solcher endogener oder aus dem Material der Nahrung entstehender Giftstoffe verdanken wir den Forschungen des Amerikaners KocH: Er entdeckte im Harne parathyreoidektomierter Hunde eine gauze Reihe yon physiologisch wirksamen Amino- basen, vor allem Methylguanidin, Dimethylguanidin, Neurin und Cholin. NOEL PATON und FINDLAY haben KocHs Pe~- fund hinsichttich der Guanidine best&tigt und dahin er- ~veitert, dab auch im Blute ein merkliches Anwachsen der Guanidine gegenfiber den minimalen Spuren in der Norm festzustellen ist. Sic fanden auch im H a m zweier spasmo- phi!er S~uglinge den 3--5 fachen Wef t der Guanidinfraktion gegeniiber der Norm. Wegen der Yerwandtschait des Gua- nidins resp. Methylguanidins mit dem ja im Stoffwechsel stets in gr6Beren Mengen entstehenden Kreatin (Methyl- guanidinessigs~ure) haben sie vor allem die Wirkungen der Guanidine auf den S~ugetierorganismus studiert und kommen zu dem Ergebnis, dab im Methylguanidin das langgesuchte Tetaniegiit gefunden set.

Gemeinsam mit STERN und NOTHMANN habe ich selbst d a s Bild der Guanidinvergiftung bet Katzen studiert und wir haben uns davon fiberzeugt, dab der Guanidin- ,zergiftung und der experimentellen Tetanie viele Zfig~ gemeinsam stud. Es ]gann insbesondere keinem Zweifel unterliegen, dab sich die typische Form der galvanischen Ubererregbarkeit mit st~irkster Pr~valenz der Offnungs- zuckungen gesetzm/iBig bereits d u t c h Guanidindosen er- zeugen l~gt, die im iibrigen krankhafte Erscheinungen noch gar nicht hervorrufen. Die Guanidinvergiftung scheint nach unseren Feststellungen aus zwei Grfinden ganz besonders ge- eignet, die Grundlage einer Diathese Zu bilden; das Guanidin fixiert sich ngmlich erstens an sein S~ubstrat, so dal3eine eino

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malige oder nur selten wiederholte Injektion langdauernde oder gar erst allmlihlich hervortretende \Virkungen ent- falter; das Guanidin ist zweitens das typische Beispiel eines nich~ erregenden, sondern nur die Erregbarkeit steigernden Giftes: Kombinier t man v611ig symptomtos vertragene Mengen des Guanidins mi t der unterwirksamen Dosis eines spezifisch aufs Nervensystem wirkenden Reizes oder Pharmakons (z.- B. des Krampfgiftes Picrotoxin oder des parasympathicotropen Ncetylcholins und Physostigmins), so t reten deren Eff(kte sofort maximal hervor. Unter dem Einflusse der Guanidine erfahren offenbar eine Reihe yon NervenzeNcren eine Ent- hemmung derart, dab sie zu der ihnen immanenten Eigen- t~tigkeit stark disponiert werden. Es bedarf nu t des aus- 15senden Reizes, um heftige Ent ladung in schweren Mini- schen Erscheinungen zu bewirken.

Derjenige K6rper, der h6chstwahrscheinlich mit Recht als das eigentliche Tetaniegift angesprochen werden darf, ist nach unseren Untersuchungen das dem Guanidin an Giftigkeit achtfach fiberlegene Dimethylguanidin, welches durch CO2-Abspaltung unmit te lbar aus dem Kreatin hervor- geht~). Mittels der Injekt ion dieser Substanz gelingt es, das Gesamtbfld der Tetanie, wie es etwa bei einem schweren Fall yon Spasmoptfilie des S/iuglings verwirklicht ist, in der Tota- lit~t, selbst in der Reihenfolge der Symptome, so getreu zu reproduzieren, dab man die Schilderung, die ESCHERICH in seiner Monographie yon dem allgemeinen Krankheitsbild entwirft, fast w6rtlich ffir den Ablauf des Geschehens bei der Dimethylguanidin-Katze fibernehmen k6nnte. Das erste Zeichen, das bereits bei im iibrigen noch ganz unwirksamer Dosis nachweisbar wird, ist die (iibrigens wegen der Ver- meidung der Narkose am sch6nsten beim Kaninchen demon- strierbare) galvanische Ubererregbarkeit: AOeZ t r i t t vor ASZ, KOeZ stfirzt auI ganz niedere Werte, bis herab zu 0, 5 Milliampere. Steigert man die Giffmenge ein wenig, so macht sich zun/~chst eine geringe Atmungserschwerung mit deutlich ,,kr/ihendem" Inspir ium bemerkbar ; ganz allmS.h- tich n immt die Dyspnoe so zu, dab die seitlichen Part ien des -Thorax stark eingezogen Werden; nach i~/~--2 Stunden wird nach excessiv sich steigernder Atemnot das Tier pl6tzlich am K6rper starr, opistotonisch gekrfimmt; fast gleichzeitig setzt ein echter cortical-epileptischer AnIMt ein, der das Tier etwa 2 " 3 Minu ten in heftigen klonischen KrS~mpfen schfittelt; dabei schwindet das BewuBtsein, der CorneMrefiex fehlt; nach Abklingen der Krampfanfglle bleibt "eine deutliche Rigidit/it einer oder beider Vorderextremit~ten zuriick. Die Zehen k6nnen gespreizt, die Vorderpfoten mitunter so stark gebeugt sein, dab das sein BewuBtsein wiedererlangende Tier beim Versuch, sich aufzurichten, auf dem Pfoteririicken zu stehen kommt. Derartige Attacken k6nnen sich im Verlaufe mehrerer Stunden noch 6fter wiederholen, his das Tier, wohl dtirch Stillstand der Atmungsbewegungen, zugrunde geht.

Die typische Tetaniestellung entwickelt sich also bier wie o# belm Siiugling und bei der Tetanie-Epilepsie im unmittelbaren An- schlufl an den An[all; schon das sprichr meines Erachtens sehr daffir, dab sie nicht spinalen, sondern cerebralen Ursprungs ist. In dieser Ansicht werden wir noch bestS.rkt, wenn wir h6ren, dab es B I E D L , Me CALLUM sowie NonL PATON und FINDLAY eigentlich niemals gelungen ist, beim parathyreoprivenTiere, dem zugleichdas Rfieken- mark quer durchtrennt war, die Rigidit~t oder SpastizitS.t in den unteren Ex• zu beobachten, obwohl diese noch heftiges Zittern oder Kr~mpfe i~ Form von Laufbewegungen aufweisen, so dab an der Funktion, ja an der Ubererregbarkeit des abgetrennten Lumbahnarkes kein Zweifel sein konnte.

Wir kommen bier auf das zurfick, was wir schon ~riiher bei der Symptomatologie betonten: dab bei der Tetaniestellung nichtder Spasmus, sondern die Haltung das Prim/ire ist. Bei der Guanidin- katze k6nnen wit beobachten, wie sie yon Tag zu Tag in verst~rktem Mage die Tendenz hat, eine Beugestellung einer vorderen Exffemi- tgt, selteuer eine Streckhaltung einer hinteren anzimehmen, so ilaB das Tier h/iufig mehrere Minuten mit Durchb@ugung sgmtlicher Gelenke, besonders rnit extrem volar abgebeugter Pfote verharrt,

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_ Dimethylguanidin Kreati~

ohne dab aber die geringste Rigidit/it Wahrzunehmen ist. Solche unbewuBt und unwillk/irlich eingenommene ttaltungen sind wahr- scheinlieh subcorticalen Ursprungs, die gleiche ,,Ulnaris"Stellung wie bei der Tetanie finder man z. ]3. sehr h/iufig bei der Paralysis agitans, bei der eine Enthemmung gewisser 2vlittelhirnzentren durch Erkrankung des Globus pallid.us sehr wahrscheinlich ge- worden ist. GRAHAM BROW.~ hat bei Affen das Vorderhirn vor den vordereu Vierhfigeln abgetragen und eine Stelle gereizt, die dem Nucleus ruber resp. dem hinteren L/ingsbfindel (sicherlich nicht den corticospinalen Bahnen der Pedunculi cerebri 1) angeh6rt; dabei wurden Bewegungen erhalten, die den Reiz einige Zeit iiber- dauern und zwar beugt sich der Arm der gleichen Seite, wiihrend das Bein sich streckt. Wir wiirden also zu dem t(esultate kommen, dab die Geburtshelferstellung 0der der Carpopedalspasmus nicht nur nicht peripheren, sondern dab er nicht einmal spinalen Ursprung ist; die Tetaniestellung und Krampfung ist eine Leistung der vordersten Partien des Nucleus motorius tegmenti EOING~RS, d. h. jenes grogen, yon der Regio subthalamiea bis zum Deitersschen Kern reichenden subcorticalen Bewegungsfeldes im Hauben- anteil des Mittelhirns, mit dessen funktioneIler Entr/itselung die Neurophysiologie-und -pathologic gerade in neuester Zeit eifrig beschi~ftigt ist.

Das Dimethylguanidin ais Tetaniegift oder mindestens als sehr wichtiges Glied aus einem Giftspektrum wfirde in jene Gruppe ,,biogener Amine" einzureihen sein, welche wie das Adrenalin, t t istamin, Cholin aus harmlosen Bestand- teilen des tierischen K6rpers durch leichte chemische Ver- gnderung entstehen. Der Organismus schafft s i c h a u f diese Weise Eigenreizstoffe, die an Wirkungsart und Wirkungs- st/irke den wirksamsten Alkaloiden des Pflanzenreiches nichts nachgeben. Nun wird neuerdings an framer mehr Beispielen Mar, dab die Auswirkungen vielqr dieser hochaktiven K6rper an der lebendigen Substanz der Driisen-, Muskel- und Nerven- zelle nahe verwandt sind mit den Folgen einer Verschiebung des Gleichgewichtes zwischen antagonistischen Kationen der Gewebsflfissigkeit, insbesondere mit den Folgen einer Ande- rung der Mengenverh/iltnisse yon Kalium und Calcium. Das trifft sicherlich auch ffir die Guanidine zu: Durch die Unter- suchungen Me. CALLVMS wissen wir z. t3., dab w/ihrend der Durchstr6mung einer Extremit/i t mit Blut, welches eine Meine Menge Natriumoxalat enth/ilt, offenbar durch die calciumf/illende Wirkung des Oxalates die Nerven dieser Extremit~t flit den galvanischen Strom fibererregbar wer- den, genau nach dem gleichen Typus wie bei der Tetanie, also mit besonders starker Senkung der Reizschwelle ffir Offnungszuckunge n. Durchleitung yon Blur, welches dutch Dialyse calciumarm gemacht ist, ,~irkt ebenso. Am ent- scheidensten fiir die mgchtige Wirkung einer Minderung des ionisierten Calciums im Blute und den Gewebssgften scheint mir aber die wichtige Entdeckung der phy~iologischen Uberventilationstetanie zu sprechen. Zwei amerikanische Autoren, GRANT und GOLDMANN, haben im Selbstversuche gezeig~, dab durch genfigend lange fortgesetzte forcierte Atmung, insbesondere maximale Exspiration, sich erst der Zustand der latenten Tetaniediathese (Facialisphgnomen, niedrige 0ffnungszuckungen), dann die latente Tetanie (Trousseausches Zeichen, starke Par/isthesien) und schlieB- lich die ldassische Attacke (mit Carpopedalspasmen, Erschwerung der mimischen, der Zungenbewegung) ent- wickelt. Wir haben bei fiinf Versuchspersonen das Experi- ment wiederholt und k6nnen durchaus best/itigen, dab bei richtiger, dutch Ubung bald zu erwerbender Atmungstechnik schon nach IO Minuten die mechanische und elektrische Uber- erregbarkeit zu demonstrieren ist, und dab bei Ausdehnung des sehr ersch6pfenden (zur Uberwindung der Pargsthesien im Arm, im Gesicht, besonders abet im Bereich der Zwerch- fellans~tze eine starke Willensanstrengung erfordernden) Ex- perimentes auf etwa 3/a Stunden die klassische Pf6tchen- stellung der Hgnde zu erzwingen ist. Das Facialisphgnomen kann nach Beendigung des Versuchs bis zu 2 Stunden nach- dauern, und bei Wiederholung des Experimentes nach einigen Stunden kann schon nach wenigen Minuten der Spasmus in H/~nden und FfiBen maximal ausgebildet sein. Die ameri- kanischen Forschex haben festgestellt, dab tats/ichlich der CO2-Gehalt und die Wasserstoifionenkonzentration des Blutes abnimmt, dab also eine ,,Alkalosis" erzeugt wird. Meines

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Erachtens ist d iese prinzipiell wichtige Entdeckung kaum anders zu deuten, als dab infolge der ge/~nderten Blutreaktion ein Teil des Calciums (dessert Gesamtmenge sich nicht gndert l) n icht mehr in ionisierter Form erhalter/ werden kann, wenn auch eine direkte AusfNlung yon Calciumphosphat resp. -carbonat nicht zu konstat ieren ist, dieses vielmehr wohl noch kolloidM oder dutch den Schutz yon Kolloiden gel6st bleibt. Wie sollte sonst so rasch ein so schwerer Symptomen- komplex in die Erscheinung t re ten k6nnen ?

Die feineren biochemischen Vorg~nge an der Nervenzelle bet der Dimethylguanidin- und der calcipriven Tetanie miissen wohl die gleichen seth: Jedenfalls d a r t es Ms eine feststehende Tatsache gelten, dab nach intraven6ser Zufuhr geniigend groBer Calciummengen die schwersten Symptome der Tetania parathyreopriva, der Guanidinvergiftung und der menschlichen Spontantetanie alsbald temporf~r zu sctiwin- dell pflegen. Ich habe mich erst kiirzlich davon iiberzeugen k6nnen, dab durch intraven6se Injekt ion yon 2 5 ccm ether IO proz. Chlorcalciuml6sung bet ether Pat ient in mit Tetania s trumipriva sowohl die Dyspnoe Ms auch die krampfhafte Geburtshelierstellung samt den sehr erheblichen subjektiven Beschwerden prompt behoben wurde, durch Wiederholung der Einspri tzung immer mit dem gleichen Erfolge. Die intravenSse Calciumtherapie mit anschlie/3ender gro/3er Calcium- gabe per os (!5 g Calc. lactic, pro die) ist eine mdchtige sym- ptomatische WaJJe gegen die ldist~gen, schmerzha]te nund ge]dihr- lichen Zu]dille dieses Leidens.

Es i s t -n icht ganz unwahrscheinlich, dab das Tetaniegift Dimethylguanidin, indem es sich an die lebendige Substanz fixiert, irgendwie die Bindung des Calciums an den Plasma- kolloiden loekert und das Calcium quasi aus den Plasma- kolloiden verdrs Mc. CALLVM ha t durch sehr grfindliche Studien nachgewiesen, dab der Calciumgehalt des Blutes auf der H6he der Tetania para thyreopr iva eine nicht unerheblich Verminderung erkennen 1/iBt; : nach den neuesten Unter- suchungen yon HASTINGS und MURRAY wfirde beim Hunde der normale Calciumwert yon etwa IO, 5 - 1 2 , o mg in ioo ccm Serum auf 4- -5 mg w/~hrend der stgrksten Ausbildung mani- fester Tetaniesymptome absinken. Ffir die infantile Tetanie scheint nach den Arbeiten yon NEIJRAYH, HOWLAND und MARRIOT,'sowie yon SOPHIE JACOBOWlTZ Ahnliches zu gelten. Man k6nnte in diesen 13efunden einen Hinweis sehen, dab das Tetaniegift unmit te lbar in den Calciumstoifwechsel ein- greift, darf sich allerdings die Zulgssigkeit anderer I)eutungen nicht verhehlen: Vielleich% sucht der Organismus durctf eine Ar t yon Autotherapie disponibles Calcium an die durch Gift- wirkung fibererregbaren Teile des Nervensystems heranzu- bringen und en• zu diesem Zwecke aueh das ]31ut yon diesem Element.

Dagegen werden die engen Beziehungen d e r bet t ie r Te- tame zu postulierenden Vergiftung zu einer S t6 rung der F ix ie rung des Calciums an die Grundsubstanz des lebenden Gewebes durch klinische Erfahrungen sehr nahegelegt: Die Rachitis kombinier t sich sehr h/iufig mit der infantilen Tetanie; beide haben die gleiche jahreszeitliche tt/~ufung, beide haben w/~hrend des Krieges durch mailgelhafte-Zufuhr hochwertiger Fette, d .h . der an diesen haftenden Vitamine

s tark Zugenommen, beide sprechen auf die Phosphor-Leber- t rantherapie an.

Auf das verwandtschaftl iche VerhNtnis der Sp/itrachitis und der Osteomalacie zu Tetanie ist ebenfalls bereits oft genug yon Kennern dieser Krankheitsbi lder hingewiesen worden. Wie besonders MELCI~IOR dargelegt hat, haben sich zu der Zeit, als die sog. Hungerosteopathie und die H/iufung der F/ille yon Sp/itrachitis konsta t ier t wurde, auch die bet vielen Chirurgen fast in Vergessenheit geratenen F/ille yon Tetanie nach Struma0perationen auffgllig gemehrt, d. h. eine s o n s t : i m allgemeinen la tent bleibende Epithelk6rperchen, sch/idigung ha t unter dem EinfluB des gleichen Ernfihrungs- faktors, welcher die Entwic!dung der IZnochenerweichung begiinstigte, zu manifesten Tetaniesymptomen bald leich- terer, bald schwerer Ar t gefiihrt. Bet der chronisch ver- laufenden Tetanie der Ra t te haben ERmtEIM und ISELIN St6rung der Verkalkung des Dentins der Zghne, des Frak tur - callus, t iberhaupt Ver/inderungen am Skelett gefunden, die durchaus an Rachitis erinnern,

Wenn wir schiieBlich auf Grund der gewonnenen theo- retischen Einsichten die begrifflichen Fassungen, yon denen wir ausgingen, nun gewissermaBen mit Leben zu erfiilten versuchen, so lieBe sich sagen: Die latente I)iathese beruht wahrscheinlich auf ether relativen Epithelk6rpercheninsuf- fizienz, welche so vie ! Dimethylguanidin st~ndig wirksam werder/ l~gt, dab clie Erregbarkeitsk0nstel lat i0n der in Be- t racht kommenden Nervenzentren danernd verschoben ist, eine Schwellen/~nderung, die bet der Fr/ifung der elektrischen (und mechanischen) Erregbarkei t der peripheren Nerven stets erkennbar ist. Wir m6chten nach den Befunden HABERFELDS annehmen, dab tempor/ires oder dauerndes Zurtickbleiben der Epithelk6rperchen im Wachstum, im AnschluB an w/ihrend der Geburt entstehende Parenchym- blutungen, Ms Grundlage der i'nfantilen und der chronischen Tetanie wohl in Betracht kommt.

Die Exacerbat ion zur la tenten Tetanie kann dann einer- seits auf e t h e r Zunahme der innersekretorischen Mangel- haf t igkei t (in der Pubert/~t, in ' der GraviditAt, beim Fehlen der an F e t t e r haftenden Vitamine) beruhen, andererseits ant der Kombinat ion mit groben St6rungen des Ionengleich- gewichtes (geh/iufte Entfernung yon S/ture dutch Erbrechen bet benigner PylorusstenQse und Supersekretion, Minderung des Calciumbestandes durch chronische Durchf/ille, relative Zunahme der Kal iumkat ionen und Phosphors/~ureanionen bet Kuhmilehern/ihrung des S/iuglings). W0durch die Epi thel- k6rperchensch~digung bet der endemischen Tetanie der jugendlichen Handwerker best immter Kategorien hervor- geruien wird, ist noctf in keiner Wets e spruchreif.

Bet der Tetania para thyreopr iva nnd bet allen chronisch exacerbierenden Formen, besonders der hgufig so schwer verlaufenden Gravidit~tstetanie, "sollte trotz marcher Mifl- erJolge immcr die Transplantation menschlicher F~pithel- Ic6rperchen sehr in Betracht gezogen werden: Die neuerdings yon BORCH~RS und EISELSBERG gemeldeten Erfolge, die wenigstens die Tetanie auf den Zustand der latenten, nur selten nnd dann milde aufflackernden Diathese zuriick- brachten, warner vor i ibertriebener Skepsis.

ORIGIN OBER MYOELEKTRISCHE UNTERSUCHUNGEN BEI

HYPNOTISCHER KATALEPSIE. V o n

Professor Dr. I~DuARD REHN, Aus der Chirurg~schen KFn!k und dem Pharmakologischen Inst~tUt der Universitfit

Freiburg i. B. (Direktoren: ProL E. LEXER und W. STRAUB.)

Es ist bekannf , dab die Dauerverk~rziingc2eine~_quer- gestreif ten Muskels, z. B. des M. deltoideus b e i v611ig ruhigem

ALIEN. darstellt . Im Gegensatz dazu is* die Dauercontractur des glat ten Muskels ats eine einzige langgedehnte Zuckung zu denken, nnd da sic ohne vermehrten Stoffverbrauch und Ak- tionsstrbme verl~Luft, als tonisch zu bezeichnen (Beispiel, der SchlieBmuskel der Malermuschel). Man ist nun neuerdings dafiir einge%reten dab auch die Skelet tmuskulatur des Men- schen diese F/~higkeit zu tonischer Kontrakt ion, 0der, wie sich yon Uexl~ll ausgedr/ickt hat, zu Sperrung ohne Energie, :verbraueh und Aktionsstr6me, besitzt , Hierfiir wird aus dem

horizontalen Herausha l t en des Armes/: das' Ergebnis einer Kapitel der Nervenkrankheiten in erster Linie die-Muskel- -RMhe yon vielen einander folgenden nnd s ichsummierenden steif igkei t bet Paralysis agi tan~ a l sPa rad igma" angeffihrt, Einzelzuckungen ist , also rnUSkelt)hysiologis @ ein~n Tetanus w0bei heute nur kurz e rw~hnt sein soil dab icli diese Auf,.