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Der Einfluss kognitiver Täuschungen auf richterliche Urteilsfindung
Mark Schweizer
Übersicht
1. Teil: Ideengeschichte American Legal Realism Law and Economics Behavioral Law and Economics Empirical Legal Realism?
2. Teil: Anwendung Framing Kompromisseffekt Ankereffekt
American Legal Realism: Vater
Oliver Wendel Holmes (1897):
„The prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the law.“
American Legal Realism: Kern
Recht ist unbestimmt Normativ: Rechtsregeln allein
können Urteile nicht rechtfertigen
Deskriptiv: Rechtsregeln allein können Urteile nicht voraussagen
American Legal Realism: Kern
Recht ist unbestimmt Normativ: Zweckmässigkeits-
überlegungen müssen Resultat rechtfertigen
Deskriptiv: Soziologie und Psychologie helfen, Resultat vorauszusagen
American Legal Realism: Blüte
Soziologischer Flügel
Karl N. Llewellyn (1931)
Herman Oliphant (1928)
Jerome Frank (1931)
„Idiosynkratischer“ Flügel
American Legal Realism: Erbe
Instrumentales Rechtsverständnis kein Verstecken mehr hinter
„dogmatischen Klimmzügen“ eröffnet Möglichkeit ausserrechtlicher
Rechtfertigung rechtlicher Urteile
Law and Economics: Anfänge
Ronald Coase, The Problem of Social Cost, 1961
Guido Calabresi, Some Thoughts on Risk Distribution and the Law of Torts, 1961
Richard Posner, Economic Analysis of Law, 1973
Law and Economics: Grundlagen
Deskriptiv: „common law“ lässt sich als
Sammlung effizienter Allokationsregeln verstehen
Normativ: „Effizienz“ als Rechtsziel
Law and Economics: Grundlagen
Deskriptiv: Mensch als „homo oeconomicus“,
rational und nutzenmaximierend Rechtsregeln als „Preise“
Normativ: eine Rechtsregel ist gut, wenn sie zu
einer potentiellen Pareto-Verbesserung führt
Law and Economics: Kritik
Deskriptiv: Menschen sind nicht (immer) rational
und nutzenmaximierend Normativ:
war da nicht mal was mit „Gerechtigkeit“?
Behavioral Law and Economics
Menschen verletzen die Axiome der Erwartungsnutzentheorie Präferenzen sind kontextabhängig Wahrscheinlichkeiten werden
gewichtet, falsch berechnet
Behavioral Law and Economics
Amos Tversky
Daniel Kahneman
Richard Thaler
Robert Ellickson
Cass Sunstein
Behavioral Law and Economics: Erfolg
Behavioral Law and Economics: Kritik
„rhetorisches Duett“ (Kelman) erschöpft sich in Kritik an Ökonomik Formalistisch
Zukunft: Empirical Legal Realism
Towards a New Legal Realism (Farber, 2001)
Empirical Legal Realism (Symposium, Northwestern University, 2003)
Drei (vier) Beispiele
Ankereffekt (anchoring)FramingKompromisseffektFehler der Beweiswürdigung
(base rate neglect und inverse fallacy)
Ankereffekt (anchoring)
65 10
65 10
45% 25%
(35%)
Strafantrag: 12 MonateStrafmass: 28 Monate
34 Monate36 Monate
Ankereffekt (anchoring)
Spiel um Gewinne
Würden Sie lieber Fr. 240 sicher erhalten oder eine Chance von 25%, Fr. 1‘000
zu gewinnen und eine Chance von 75%, nichts zu gewinnen?
Spiel um Verluste
Würden Sie lieber Fr. 750 bezahlen oder ein Risiko von 75% eingehen, Fr.
1‘000 zu verlieren und eine Chance von 25%, nichts zu verlieren?
Erwarteter Wert
1. Fr. 240 < 0,25 x Fr. 1‘000
2. –Fr. 750 = 0.75 x - Fr. 1‘000
84%84%
87%
Risikoscheu bei möglichen Gewinnen
Risikogeneigt bei möglichen Verlusten
Kläger wählt zwischen möglichen Gewinnen
Beklagter wählt zwischen möglichen Verlusten
Darstellungseffekt
Folge: Beklagte gehen zu hohe Risiken ein und schlagen selbst günstige Vergleichsangebote aus
50% 50%
Kläger Beklagte
70%
30%
KlägerBeklagte
Vergleichsangebot
Beklagter zahlt Fr. 50‘000 an Kläger
Kläger: Fr. 50‘000 sicherer Gewinn oder 50% Chance Fr. 100‘000 zu gewinnen und50% Chance nichts zu gewinnen
Beklagter: Fr. 50‘000 sicherer Verlust oder 50% Risiko Fr. 100‘000 zu verlieren und50% Chance nichts zu verlieren
Vergleichsempfehlung durch Richter
Sicht Kläger
Sicht Beklagter
CH 57% 43%
USA 40% 25%___
Kompromisseffekt
€ 169.-
€ 239.-
€ 469.-
50%
50%
22%
57%
21%
50%
29%
21%
Obere Gruppe
Qual. Mord 13%
Mord 57%
Vors. Tötung 30%
Fahrl. Tötung -
Untere Gruppe-
38%
55%
7%
Ohne
Gefängnis 65%
Ordentl. Verwahrung
35%
Mit
45%
53%
2%Lebensl. Verwahrung
________________________________________________________________________
Von hundert getesteten Autofahrern ist einer betrunken.
Bei 95% der betrunkenen Autofahrer zeigt das Röhrchen an, dass sie betrunken sind.
Bei 5% der nicht betrunkenen Autofahrern zeigt das Röhrchen ebenfalls an, dass sie betrunken sind.
Das Röhrchen zeigt ein positives Resultat. Wie gross ist die Wahrschein-lichkeit, dass der getestete Autofahrer betrunken ist?
Der Trugschluss des Anklägers
10‘000
100 9‘900
betrunken nüchtern
95 5 495 9‘405
95 : (95 + 495) = 0,16
5%95%
„Nur 0,01% aller Männer, die ihre Frau schlagen, bringen sie auch um.“
(Dershowitz)
Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine ermordete Frau von ihrem schlagenden Mann getötet wurde?
Inverse fallacy
Wahrscheinlich-keit, dass ein schlagender Mann seine Frau tötet
Wahrscheinlich-keit, dass eine getötete Frau von ihrem schlagenden Mann getötet wurde
≠ (0,1%)
Inverse fallacy
Inverse fallacy
Von 10‘000 geschlagenen Frauen wird eine von ihrem Mann getötet, und eine weitere von einem Dritten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine geschlagene Frau von ihrem Mann getötet wurde, beträgt daher 50%.
www.decisions.ch/dissertation.html