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~o56 KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. I. JAHRGANG. Nr. 2L ~o. MAI x92z PRAKTISCHE DER GEGENWARTIGE STAND DER SERUM- THERAPIE. Yon Pro~. ULRICH FRIEDEMANN. Aus der Infekfionsabteilung des Rudolf Virchow-Krankenhauses in Berlin. Die Geschichte der experimentellen Therapie hat inner wieder gelehrt, mit weIehen Schwierigkeiten die l~bertragung tierexperimenteller Ergebnisse auf die menschliche Pathologie verknfipft ist. So steht auch die rasche und gl~nzende Ent- wicklung der experimentellen Serumforschung in einem selt- samen Gegensatz zu der Unsicherheit, die noch heute, fast 3~ Jahre nach tier Entdeckung des Diphtherieheilserums, in tier klinischen Beurteilung der Serumtherapie zutage tritt. Bei wie wenigen Infektionskrankheiten sind Erfolge fiber- haupt anerkannt, und selbst ffir das Diphtherieserum, yon dessert Nutzen doch die Nrzte mit Wenigen Ausnahmen fiber- zeugt sind, ist fiber Einzelheiten, z. B. die so eminent wichtige Dosierungsfrage, noch keine Einigkeit erzielt. Die Grfinde f fir diese Unsieherheit liegen klar zutage. An die Stelle der im Tierversuch genau dosierbaren und in ihrem Verlanf daher zu berechnenden infektion tritt beim Menschen ein buntes Durcheinander yon Krankheiten, die in den ver- schiedensten Stadien ibres Verlaufs zur Behandlung kommen, und schon aus diesem Grunde, mehr abet noch wegen der ver- schiedenen Schwere der Infektion eine durchaus ungleiche und schwer zu beurteilende Prognose geben. Nur sehr groBe Versuchsreihen k6nnen daher eine entscheidende Bedeutung beanspruchen. Abet selbst der Vergleich solch groBer Zahlenreihen ist bei den Infektionskrankheiten ungemein durch den wechselnden Charakter der Epidemien erschwert, und der einzige, unanfechtbare Weg der gleichzeitigen Be- obachtung behandelter und unbehandelter F~Llle ist leider gerade im Beginn der HeilserumbehandIung vernachl~ssigt worden. Die Schwierigkeit eines kritischen lJberblicks fiber die Literatur wird noch durch die Wandlungen der experimentellen Serumforschung vermehrt, die immer wieder erneute Minische Prfifungen erfordern. Nur bei ganz wenigen Serls (Diphtherie- serum, Tetanussernm) kann yon einem, wenigstens vorlXufigen AbschluB der grundiegenden experimentellen Arbeiten g> sprochen werden. Bei den meisten Infektionskrankheiten sind wichtige Probleme noch ungel6st. An erster Stelle steht die Schaffung vo~ Pri~]ungsmethoden, die den Gehalt eines Serums an Schutzstoffen genau zu bestimmen gestatten. Ohne dessen Kenntnis entbehrt die klinische Bewertnng der Sera jeder exakten Grundlage. ein I)belstand, der leider ffir eine ganze Reihe im Handel befindtieher Sera zutrifft. Mit dieser Frage in nahem Znsammenhang steht die in neuerer Zeit immer mehr Bedeutung gewinnende Polyvalenz/rage, die durch die Entdeckung serologisch differenzierter Gruppen oder Typen innerhalb der bis damn ftir einheitlich gehaltenen Bakterienarten aufgetaucht ist. Eine anf~tnglich ungeahnte Komplikation ist dadurch in die Serumforschung hinein- getragen worden, andererseits liegen hier aber auch die gr6Bten, noch unausgesch6pften M6glichkeiten ffir eine Verbesserung der Heileriolge. Was eine systematische Zusammenarbeit yon Klinik und Laboratorium auf diesem Gebiet zu leisten vermag, haben erst in den letzten Jahren die namentlich in Amerika mit grSgter Energie dnrchgeffihrten Arbeiten fiber das Pneumokokken- und Meningokokkenserum gelehrt. Es ist deshalb zu begrfigen, dab alas Hygienekomiiee des V61ker- bundes auf einer in London abgehaltenen Konierenz, an der aueh Vertreter Deutschlands teilnahmen, eine inter- nationale Zusammenarbeit fiber diese wichtigen Probleme angebahnt hat. Alle diese Schwierigkeiten mfissen gewfirdigt werden, wenn man ein richtiges Urteil fiber die yon der Sernmtherapie erreichten und fiber die yon ihr noch zu erwartenden Eriolge gewinnen will. Nachdem der Elan, der naeh der Entdeckung des Diphtheries6rums die wissenschaitliehe Welt fortriB, vor ERGEBNISSE. scheinbar unfiberwindlichen ttindernissen zum Stehen ge- bracht war, hat namentlich nit dem Emporwachsen der Chemotherapie eine etwas absch~tzige Beurteilung der Serum- therapie Verbreitung gefunden. Es ist aber zu hoflen, dal~ die z~he Kleinarbeit, die nunmehr einzusetzen hat, unseren parasit~ren Feinden noch manche Position abringen wird. Allerdings wird es nicht mehr mit Riesenschritten voran- gehen. Die vorliegenden Probleme erfordern nicht nur eine ~uBerst mfihsame wissenschaftliche Laboratorinmsarbeit, auch die Indnstrie ist vor ungeheuer schwierige Aufgaben gestellt, wenn sie den immer gr6Ber werdenden Komplikationen ge- recht werden soll. Der Kliniker aber wird sich mit diesen Problemen vertraut machen mfissen, wenn er an den Fort- schritten der Serumtherapie aktiven Anteil nehmen will. Bei der in dem nun Iolgenden speziellen Teil versuchten klinischen Bewertung der einzelnen Sera werde ich auf die soeben besprochenen Gesichtspunkte noch 6fters zurfiekzu- kommen haben. Besonders gilt dies Ifir die antibalcterieller~ Sera (Streptokokken, Pneumokokken, Meningokokken), w~hrend ieh bei den rein antitoxischen Seris (Diphtherieserum, Tetanusserum) in der glficklichen Lage bin, mich anf klinische Fragen beschrXnken zu k6nnen. 1. Antitoxische Sera. Sie werden bekanntlich durch Einspritzung der lbslichem Bakterientoxine gewonnen und wirken anch nur gegen diese, w~hrend sie die Bakterien nicht beeinflussen. Ihr Anwendungs- gebiet sind die Krankheiten, bei denen die Intoxikation im Vordergrund steht, die Bakterienvermehrung hingegen im wesentlichen auI einen 6rtlichen Herd beschr~nkt bleibt (Di- phtheritis, Tetanus). Die l~lberg~nge zu den Krankheiten mit ausgebreiteter Bakterienvermehrung sind tlieBende, und so kommt es denn, daB bei einigen Infektionskrankheiten, z.~B. der Dysenterie sowohl antitoxische wie antibakterielle Sera angewandt worden sind. Die ansgedehnteste Anwendung und das grbl3te Vertrauen genieBt immer noch das Diphtherieserum. Und doch, wie ungemein schwierig ist es, seine Heil- erfolge exakt zu beweisen[ Es r~cht sich jetzt, dab zur Zeit seiner Einffihrung die Kliniker die Prfi,~ung nicht nach der einzig einwandfreien Methode einer alternierender Beobach- tung behandelter und nnbehandelter FMle durchgeffihrt, sondern nur die Serumperiode mit der Vorserumszeit ver- glichen haben. DaB derartige Statistiken zu allerhand Bedenken AnlaB geben, ist schon oft und nit guten Grfinden nachgewiesen worden. Der wechselnde Charakter der Epi- demien, vor allem aber der nach der Entdeckung des Di- phtherieserums einsetzende Zustrom leichterer F~lle in die Krankenh~user, sind Faktoren, welche die Besserung dec Diphtheriemortalit~t in den Krankenh~usern naeh der Ein- ffihrung des Serums vollkommen erkl~ren. Auch der stets als Hauptargument verwertete gfinstigere Verlauf bei den frfihzeitig ins IKrankenhaus aufgenommenen Kranken ist fiir den Erfolg der Serumtherapie nieht beweisend. Erst neuerdings hat DOR•BR nachgewiesen, dab das gleiche Verhalten auch in den Statistiken der Vorserumzeit zutage tritt. Die F~lle, die noch in sp~teren Stadien der Er- krankung ins Krankenhaus eingeliefert werden, stellen eben eine AusIese schwerer F~lle dar. Angesichts dieser Schwierigkei• der Statistik ist immer besonderer Weft auf den Minischen Eindruck der Serum- wirkung gelegt worden. Gerade die Mteren Kinder~rzte wie H~UB~R und BAGI~St~y, die noch die Diphtheritis der Vor- serumzeit kannten, haben sich fiberzengt f fir das Diphtherie- serum auf Grund ihrer klinischen Beobachtungen eingesetzt. Lesen wit" aber diese Arbeiten genauer dnrch und sehen, dab HEuB~R im allgemeinen Dosen yon 5oo--8oo J.E. verab- folgte, so k6nnen wir unser Erstaunen fiber die groBen Er- folge dieser nach unseren heutigen Anschauungen ganz un- wirksamen Serumdosen nicht unterdrficken. Hat hier die Suggestion einer groBen Entdeckung gewirkt oder ~nderte sich pl6tzlich der Genius epidemicus? Gleichviel, jedenfalls

Der Gegenwärtige Stand der Serumtherapie

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~o56 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . I. J A H R G A N G . Nr. 2L ~o. MAI x92z

P R A K T I S C H E DER GEGENWARTIGE STAND DER SERUM-

THERAPIE. Y o n

Pro~. ULRICH FRIEDEMANN. Aus der Infekfionsabteilung des Rudolf Virchow-Krankenhauses in Berlin.

Die Geschichte der experimentellen Therapie hat i n n e r wieder gelehrt, mit weIehen Schwierigkeiten die l~bertragung tierexperimenteller Ergebnisse auf die menschliche Pathologie verknfipft ist. So steht auch die rasche und gl~nzende Ent- wicklung der experimentellen Serumforschung in einem selt- samen Gegensatz zu der Unsicherheit, die noch heute, fast 3 ~ Jahre nach tier Entdeckung des Diphtherieheilserums, in tier klinischen Beurteilung der Serumtherapie zutage tritt . Bei wie wenigen Infektionskrankheiten sind Erfolge fiber- haupt anerkannt, und selbst ffir das Diphtherieserum, yon dessert Nutzen doch die Nrzte mit Wenigen Ausnahmen fiber- zeugt sind, ist fiber Einzelheiten, z. B. die so eminent wichtige Dosierungsfrage, noch keine Einigkeit erzielt.

Die Grfinde f fir diese Unsieherheit liegen klar zutage. An die Stelle der im Tierversuch genau dosierbaren und in ihrem Verlanf daher zu berechnenden infektion t r i t t beim Menschen ein buntes Durcheinander yon Krankheiten, die in den ver- schiedensten Stadien ibres Verlaufs zur Behandlung kommen, und schon aus diesem Grunde, mehr abet noch wegen der ver- schiedenen Schwere der Infektion eine durchaus ungleiche und schwer zu beurteilende Prognose geben. Nur sehr groBe Versuchsreihen k6nnen daher eine entscheidende Bedeutung beanspruchen. Abet selbst der Vergleich solch groBer Zahlenreihen ist bei den Infektionskrankheiten ungemein durch den wechselnden Charakter der Epidemien erschwert, und der einzige, unanfechtbare Weg der gleichzeitigen Be- obachtung behandelter und unbehandelter F~Llle ist leider gerade im Beginn der HeilserumbehandIung vernachl~ssigt worden.

Die Schwierigkeit eines kritischen lJberblicks fiber die Literatur wird noch durch die Wandlungen der experimentellen Serumforschung vermehrt, die immer wieder erneute Minische Prfifungen erfordern. Nur bei ganz wenigen Serls (Diphtherie- serum, Tetanussernm) kann yon einem, wenigstens vorlXufigen AbschluB der grundiegenden experimentellen Arbeiten g> sprochen werden. Bei den meisten Infektionskrankheiten sind wichtige Probleme noch ungel6st. An erster Stelle steht die Schaffung vo~ Pri~]ungsmethoden, die den Gehalt eines Serums an Schutzstoffen genau zu bestimmen gestatten. Ohne dessen Kenntnis entbehrt die klinische Bewertnng der Sera jeder exakten Grundlage. ein I)belstand, der leider ffir eine ganze Reihe im Handel befindtieher Sera zutrifft. Mit dieser Frage in nahem Znsammenhang steht die in neuerer Zeit immer mehr Bedeutung gewinnende Polyvalenz/rage, die durch die Entdeckung serologisch differenzierter Gruppen oder Typen innerhalb der bis damn ftir einheitlich gehaltenen Bakterienarten aufgetaucht ist. Eine anf~tnglich ungeahnte Komplikation ist dadurch in die Serumforschung hinein- getragen worden, andererseits liegen hier aber auch die gr6Bten, noch unausgesch6pften M6glichkeiten ffir eine Verbesserung der Heileriolge. Was eine systematische Zusammenarbeit yon Klinik und Laboratorium auf diesem Gebiet zu leisten vermag, haben erst in den letzten Jahren die namentl ich in Amerika mit grSgter Energie dnrchgeffihrten Arbeiten fiber das Pneumokokken- und Meningokokkenserum gelehrt. Es ist deshalb zu begrfigen, dab alas Hygienekomiiee des V61ker- bundes auf einer in London abgehaltenen Konierenz, an der aueh Vertreter Deutschlands teilnahmen, eine inter- nationale Zusammenarbeit fiber diese wichtigen Probleme angebahnt hat.

Alle diese Schwierigkeiten mfissen gewfirdigt werden, wenn man ein richtiges Urteil fiber die yon der Sernmtherapie erreichten und fiber die yon ihr noch zu erwartenden Eriolge gewinnen will. Nachdem der Elan, der naeh der Entdeckung des Diphtheries6rums die wissenschaitliehe Welt fortriB, vor

ERGEBNISSE. scheinbar unfiberwindlichen tt indernissen zum Stehen ge- bracht war, hat namentlich n i t dem Emporwachsen der Chemotherapie eine etwas absch~tzige Beurteilung der Serum- therapie Verbreitung gefunden. Es ist aber zu hoflen, dal~ die z~he Kleinarbeit, die nunmehr einzusetzen hat, unseren parasit~ren Feinden noch manche Position abringen wird. Allerdings wird es nicht mehr mit Riesenschritten voran- gehen. Die vorliegenden Probleme erfordern nicht nur eine ~uBerst mfihsame wissenschaftliche Laboratorinmsarbeit, auch die Indnstr ie ist vor ungeheuer schwierige Aufgaben gestellt, wenn sie den immer gr6Ber werdenden Komplikationen ge- recht werden soll. Der Kliniker aber wird sich mit diesen Problemen vertraut machen mfissen, wenn er an den Fort- schritten der Serumtherapie aktiven Anteil nehmen will.

Bei der in dem nun Iolgenden speziellen Teil versuchten klinischen Bewertung der einzelnen Sera werde ich auf die soeben besprochenen Gesichtspunkte noch 6fters zurfiekzu- kommen haben. Besonders gilt dies Ifir die antibalcterieller~ Sera (Streptokokken, Pneumokokken, Meningokokken), w~hrend ieh bei den rein antitoxischen Seris (Diphtherieserum, Tetanusserum) in der glficklichen Lage bin, mich anf klinische Fragen beschrXnken zu k6nnen.

1. Antitoxische Sera.

Sie werden bekanntlich durch Einspritzung der lbslichem Bakterientoxine gewonnen und wirken anch nur gegen diese, w~hrend sie die Bakterien nicht beeinflussen. Ihr Anwendungs- gebiet sind die Krankheiten, bei denen die Intoxikation im Vordergrund steht, die Bakterienvermehrung hingegen im wesentlichen auI einen 6rtlichen Herd beschr~nkt bleibt (Di- phtheritis, Tetanus). Die l~lberg~nge zu den Krankheiten mit ausgebreiteter Bakterienvermehrung sind tlieBende, und so kommt es denn, daB bei einigen Infektionskrankheiten, z.~B. der Dysenterie sowohl antitoxische wie antibakterielle Sera angewandt worden sind. Die ansgedehnteste Anwendung und das grbl3te Vertrauen genieBt immer noch das Diphtherieserum.

Und doch, wie ungemein schwierig ist es, seine Heil- erfolge exakt zu beweisen[ Es r~cht sich jetzt, dab zur Zeit seiner Einffihrung die Kliniker die Prfi,~ung nicht nach der einzig einwandfreien Methode einer alternierender Beobach- tung behandelter und nnbehandelter FMle durchgeffihrt, sondern nur die Serumperiode mit der Vorserumszeit ver- glichen haben. DaB derartige Statistiken zu allerhand Bedenken AnlaB geben, ist schon oft und n i t guten Grfinden nachgewiesen worden. Der wechselnde Charakter der Epi- demien, vor allem aber der nach der Entdeckung des Di- phtherieserums einsetzende Zustrom leichterer F~lle in die Krankenh~user, sind Faktoren, welche die Besserung dec Diphtheriemortalit~t in den Krankenh~usern naeh der Ein- ffihrung des Serums vollkommen erkl~ren. Auch der stets als Hauptargument verwertete gfinstigere Verlauf bei den frfihzeitig ins IKrankenhaus aufgenommenen Kranken ist fiir den Erfolg der Serumtherapie nieht beweisend. Erst neuerdings hat DOR•BR nachgewiesen, dab das gleiche Verhalten auch in den Statistiken der Vorserumzeit zutage tritt . Die F~lle, die noch in sp~teren Stadien der Er- krankung ins Krankenhaus eingeliefert werden, stellen eben eine AusIese schwerer F~lle dar.

Angesichts dieser Schwierigkei• der Statistik ist immer besonderer Weft auf den Minischen Eindruck der Serum- wirkung gelegt worden. Gerade die Mteren Kinder~rzte wie H~UB~R und BAGI~St~y, die noch die Diphtheritis der Vor- serumzeit kannten, haben sich fiberzengt f fir das Diphtherie- serum auf Grund ihrer klinischen Beobachtungen eingesetzt. Lesen wit" aber diese Arbeiten genauer dnrch und sehen, dab H E u B ~ R im allgemeinen Dosen yon 5oo--8oo J .E . verab- folgte, so k6nnen wir unser Erstaunen fiber die groBen Er- folge dieser nach unseren heutigen Anschauungen ganz un- wirksamen Serumdosen nicht unterdrficken. Hat hier die Suggestion einer groBen Entdeckung gewirkt oder ~nderte sich pl6tzlich der Genius epidemicus? Gleichviel, jedenfalls

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k6nnen auch diese Be0bachtungen kaum als vollgiiltige Be- weise Itir die Wirksamkeit des Diphtherieserums gewertet werden. Die heutige Nrztegeneration abet kann aus dem klinischen Eindruck schon deshalb bindeiide Schliisse IIicht ableiten, weil ein Vergleich mit der unbehandelten Diphtheritis nicht mehr m6glich und deren Verlauf daher fast uiibekalint ist.

Eine kleine vergleichende Statistik behandelter ulid un- behandelter F~ille ist nur yon FIEBI~ER im Jahre 1897 ver- 6ffentlicht worden, die bier wiedergegeben sei.

Mit Serum ohne Serum Gesamtzahl davon t Gesamtzahl davon t

Diphtherie ohne Croup . . . 2o4 20/o 2Ol 70/o Diphtherie mit Croup �9 �9 �9 34 8% 43 35%

Diese Statistik spricht sehr zugunsteli des Serums, abet sie umfaBt leider nicht gelltigend F~lle, um ZufXlligkeiten ganz auszuschliegen.

Fehlt also heute auch die M6glichkeit einer derartigen vergleichendeii Statistik, so mtil3te doch ein VergleicA der mit kleinen und groflen Antitoxindosen behandelteli F~lle Schltisse auf die \Virksamkeit des Serums zulassen. Wir kommeii damit auf die heute in der Diphfherieserumtherapie wohl wichtigste Dosierungs/rage. Auch bier herrscht keine Einig- keit. Zun~ichst m6geli die Aiih~nger der kleinen Antitoxin- dosen zu Worte kommen. BAGINSKY teilt in seinem bekanliteii Lehrbuch der Diphtheritis mit, dab H6chstdosen yon 3oo0 bis 5ooo J. E. als ausreichend zu betrachten seien, bemerkt aber, dab er gr6Bere Dosen im allgemeinen nicht angewandt habe. REICHE hat neuerdings eine Statistik ver6ffentlicht, aus der hervorgehen soll, dab zwischeli groBell und kleineii Dosell kein Unterschied nachweisbar ist. Tats~chlich scheinen muir abet seine Zahlen diesen Schlul3 keineswegs zu recht- fertigen, dean die Unterschiede yon durchschnittlich 4ooo resp. 6o0o J. E. sind so geringffigig, dab wohl auch der AII- h~inger eiiier energischen Serumtherapie dabei kein verwert- bares Resultat erwarten wiirde.

Noch weiter geht BI~GEL, der 937 FXlle zur H~lfte mit Diphtherieserum, zur aiideren mit IIormalem Pferdeserum behandelte und weder in der Mortalit~tsstatistik IIoch im klinischell Verlauf irgend einen Unterschied zugunsten des Diphtherieserums beobachten kolinte, t3ING~L schlieBt darans, dab die Heilwirkungen des Diphtherieserums, -- die aller- dings aus seiner Arbeit keineswegs tiberzeugend hervor- gehen --, nicht dessen Antitoxingehalt, soiiderii seinen IIn- spezifischen EiweiBk6rpern zuzuschreiben seieli. Eine Nach- priifung dieser anfsehenerregenden Mitteilung ist mit grol3en Schwierigkeiten verbuliden. Denii wet voli der spezifischell Wirkung des Diphtherieserums tiberzeugt ist, wird sich sehr ungern entschliegen, einem schwerkranken Kinde das Di- phtherieserum vorzuenthalten und die leichtereli F~lle sind zur Entscheidulig der Frage llatiirlich weliig geeignet. Trotz- dem sind solche Nachprtifungen unternommen wordell, die aber gerade yon sehr kompetenter Seite (STROMPELLsche K!inik, FEER) ZU einer Ablehnung des BI~GELscheli Stalld- pnnktes gefiihrt haben. Gehen wir an der Hand der Lekttire der BINaELschen Arbeiten den Griinden ftir seine tiber- raschendeli Resultate IIach, so scheilien mir diese in einer durchweg zu geringeli Dosierung des Diphtherieserums zu liegen. Dosen yon 2ooo--3ooo J. E. bei schwerkrankeii und tracheotomierten Kindern, wie sie ]~INGEL vielfach verab- folgt hat, sind nach meinen Erfahrungen so geringftigig, dab es mich nicht wundert, wenn die mit dem Diphtherie- serum erzielten Resultate denen des normalen Pferdeserums nicht wesentlich tiberlegen sind.

Diesen Urteilen steht nun eine sehr groSe Zahl yon Mit- teilungen gegeniiber, in denen die Anwendung grol3er ulid gr6Bter Serumdosen auf das w~trmste empfohlen wird. In Frankreich vertreten CoMBY, MOURNIAC, CItAMBON, in Eng- land und Amerika MIDDLETON, CAIRNS, t3ANKIER U.a., in 0sterreich POSPISCI-IILL, in Deutschland KoH~s, Ecx~Rr, DO~NER, IV. MEYER U. a. diesen Standpunkt .

Besonders yon den amerika/nischen Autoren werden sehr hohe Serummengen gegeben; Einzeldosen yon 3 ~ ooo bis 4 ~ ooo J. E., Gesamtdoseli von 7 ~ ooo-- ioo ooo J. E., selbst- verstSmdlich nur in den schweren und schwersten F~llen.

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&us den zum Teil sehr ausftihrlichen Kralike~lgeschichten geht hervor, dab anch die prognostisch uligtinstigen F~ille yon nekrotischer und gangr/~neszierelider Diphtheritis dnrch eine derartig energische Serumtherapie noch gerettet werden k6nnen. In allerletzter Zeit hat ]3IE in Kopenhagen die Dosierulig noch erheblich gesteigert. Er verabfolgt in den schwersten F~llen Aiifaligsdosen yon 8oooo- - Iooooo J. E. ulid gibt dalin in Abst~nder/yon 12 Stulidell noch 60 ooo his 80 ooo J. E. und 20 00o--40 ooo J. E., so dab er zu Gesamt- dosen yon tiber 200 ooo J. E. kommt. W~hrend einer be- soliders schweren Diphtherieepidemie konlite er die Mortalit~t auf 1/3 der friiher (1896--1915) festgestellten herabdrtickeli. ]3ei den allerschwersten toxischen F~llen sank die Mortalit~it yon 52% auf 22%

Ich selbst habe in den Jahren 1915--1922 nahezu 4o00 Diphtherief~tlle behandelt und kanli auf Grund meiner eigenen t3eobachtuligen nur aus vollster (3berzeugung fiir die An- wendung groBer Serumdoseii eintreten. Allerdings habe ich des hohen Serumpreises wegeli nur ausnahmsweise so groBe Dosen wie die ausl~ndischen Autoreii gebell k61inell, und bin deshalb iiberzeugt, dab meine Resultata lloch keineswegs das Maximum dessen darstellen, was mit energischer Serumtherapie erreicht werden kalln. Im allgemeineli gebe ich in d ell leich- teren F~llen 3000--40o0 J. E., in den mittelschwereli 6ooo bis 8000, in den schweren 20 ooo J. E. als Eilizeldosis. Doch ist dies IIattirlich nur ein allgemeines Schema, das je llach der IIIdividualit~t des Falles variiert werden muB. So ist besonders der Krankheitstag, an dem die IIIjektion erfolgt, ftir die Wahl der Dosis nicht ohne Bedeutung. Ftir die leichten und mittel- schwerell F~lle ist die ilitramnskul~re IIIjektioll ausreichelid. Bei schweren F~llen und bei Larynxcroup empfehle ich die intraven6se IIIjektion yon mindesteiis IO ooo S. E.

Besonderen Wert lege ich bei den schweren 1;~llen auf die Wiederholuiig der Seruminjektionei1. Durch die jahrelallg an meiiier Abteilulig ausgeftihrten bakteriologischen Leichen- ulitersuchungen habe ich reich davoli tiberzeugen k6llnen, dab in den schwersten F~llen die Infektion llicht auf den Rachenring beschr~nkt bleibt, sondern in die Organe vor- dringt. Wir haben fast ausnahmslos bei den TodesfMlen an metadiphtherischer L~hmung oder Herzschw~che noch vide Wochen nach dem Ausbruch der Erkrankullg Diphtherie- bacillen in den Organen nachweisen k6nnen. Besollders reichlich pflegen sie, wie dies auch yon aliderer Seite schon beschrieben worden ist, in den Lullgen vorhanden zu seili. Hier l inden sich zahlreiche h~morrhagische brolichoplieu- moliische Herde, in denen im Schnittpr~parat scholi mikro- skopisch massenhaft Bacillen llachweisbar silid. Es halidelt sich bei diesen Krallkheitsbilderll also eigelltlich um eine chronische Diphtheriebacillensepsis, ulid es ist mir h6chst wahrscheinlich, dab die daiiernde Toxinresorptioli aus diesen Bacitlenherden bei der Entstehung der metadiphtherischen IKralikheitserscheinuligen eine sehr wichtige Rolle spiel t

Daraus ergibt sich logisch die Forderung, es llicht bei einer einmaligen Seruminjektion bewenden zu lasseli, soli- dern fortgesetzte Neutralisatioii der lieu entsteheliden Gift- mengen anzustrebeli. Seit Jahren gebe ich deshalb in allen schweren F~llen, in denen ieh ein sp~tes Auftreten yon L~hmuligeii oder I-terzschw~che beftirchte, 2-- 3 Wochen hindurch t~glich iooo S .E . Noch wirksamer ist sicherlich die yon den ausl~ndischen Autoren geiibte Methode, mehrere Tage hintereinaiider gro/3e Serumdosen zu verabfolgen.

Eine .sch~dllche Wirkung der hoheli und wiederholten Serumdosen habe ich ebenso weliig wie andere Autoren be- obachteli k6iinen. Filr kontraindiziert halte ich nur die ilitraven6se Injektion bei allen den Patieliten, die friiher schon einmal Serum erhalten haben, selbst welmn diese Serum- injektioli viele Jahre zuriickliegt. Auch die sollst sehr be- w~hrte antialiaphylaktische Methode des Vorspritzens ldeiner Serummengen l~Bt gegenfiber der intraven6sen IIIjektion im Stich.

Fiir die Beurteilulig der Serumwirkung erscheint es mir notwelidig, die schweren F~lle, bei delien nattirlich der Vorteil der groBen Serumdoseli am aiigenf~lligsten in die Erscheinung tritt, in zwei Untergruppen zu teilen, die ich als 5de~vvc~t68e

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und als ne~crotische Form bezeichne. Bei ersterer neben schweren toxischen Allgemeinerscheinungen schmierige, iibel- riechende, auf den weichen Gaumen sich erstreckende Bel~ige mit starker 6demat6ser Durchtr~nkung des Rachenringes nnd der iuge ren Weichteile am Kieferwinkel, bei letzterer meist neben schwerster h~imorrhagischer Rhinitis schwarz himorrhagisch verf~irbte, nekrotisch oder gangdin6s zer- fallende Tonsillen, die einen aashaften Geruch verbreiten, h inf ig Hauth/imorrhagien und innere Blutungen.

Die 6demat6sen Fi l le bieten naeh meinen Erfahrungen das dankbarste Feld fiir die energische Serumbehandlung. Diese Erkrankungen, die bei der Anwendung kleiner Serum- mengen eine sehr ernste Prognose geben, k6nnen mit recht- zeitigen Serumdosen von 2o ooo--3o ooo J. E. meiner l~ber- zeugung nach im allgemeinen gerettet werden.

Dagegen habe ich die nel~rotischen F~ille auch bei der yon mir geiibten Dosierung fast ausnahmslos sterben sehen. Ich zweifle aber nach den in der ausl~ndischen Literatur mit- geteilten Krankengeschichten nicht daran, dab auch muncher dieser F~lle bei einer Steigerung der Serummengen zu retten ist. In allerletzter Zeit habe i ch einen IO jXhrigen Jungen, der am 4. Krankheitstag mit einer nekrotisierenden Di- phtheritis und schwerster Herzschw~iche eingeliefert wurde, mit einer Gesamtdosis yon 9o ooo J. E. behandelt. Ich hatte die Freude, den kleinen Patienten, bei dem nach meinen bisherigen Erfahrungen die Prognose absolut ungtinstig zu stellen war, heilen zu sehen.

Von gr6gter ]3edeutung sind die groflen Serumdosen ferner beim Larynxcroup. Mit Ausnahme eines einzigen Yalles babe ich ]~einen Patienten, der noch ohne erhebliehe Stenoseerscheinungen eingelie/ert wurde, nachtrSglich tracheo- tomieren m~ssen.

Einen besonderen Vorteil der hohen Serumdosen erblicke ich in der Vermeidung der Todesfille an Metadiphtherie. Seit Einfiihrung der protrahierten Serumbehandlung habe ich Sp~ittodesfille an Herzschwiche oder L~ihmungen iiber- haupt nicht mehr gesehen. Es ist sehr charakteristisch, daf~ im Gegensatz dazu ein Anh~tnger der kleinen Serumdosen, ]3AGINSKY. in seinem Lehrbuch behauptet, dab die Serum- behandhmg auf die L ihmungen gar keinen Einflu6 habe. Auch ich erinnere reich aus friiherer Zeit eines Kindes. das wegen einer mittelschweren Diphtheritis nur 4ooo I. E. er- halten but te and nach Wochen an allgemeiner L~ihmung zu- grunde ging.

Ob auf die ausgebildeten Lghmungen des Herzens und der quergestreiften Muskulatur die Serumbehandlung noch Ein-- flufl hat, ist bekanntl ich strittig. Auf Grund eigener Er- fahrungen mSchte ich mich such bei diesen Zus t inden ftir eine energisehe Serumbehandlung aussprechen, und beIinde reich darin in Ubereinst immung mit COMBV, MOURmAC, ECKER% HEUBNER U.a. Ich pflege an fiinf aufeinander lolgenden Tagen Einzeldosen yon 6ooo S. E. zu geben.

Dem giinstigen klinischen Eindruck entspricht das in meiner Mortalit~itsstatistik sich widerspiegelnde Gesamt- resultat. Naeh Abzug der Mischinfektionen, bei denen der Tod meist nicht der Diphtheritis, sondern der komplizierenden Infektion zuzuschreiben war, liegen dieser Statistik aus den Jahren 1915--1922 3oo8 Diphtheriefille zugrunde. Von diesen starben lO8 = 6 ,20 , nach Abzug der Iiir die ]3e- urteilung der Therapie nicht in Betracht kommenden F~lle, die schon i n den ersten 24 Stunden nach der Einlieferung starben, H 4 = 3,8%, und unter Fortlassung yon 15 S~iug- lingen, die uns mit schweren Ernihrungss tgrungen Ms Bacillen- t r iger yon der Kinderstat ion iiberwiesen wurden und eben- falls nicht an der Diphtheritis, sondern an ihrer ErnXhrungs- st6rung starben, 99 = 3,3%- Das sind an sich augerordent- lich niedrige Sterbeziffern, wenn wir in Betracht ziehen, dab die lKrankenhausstatistiken im allgemeinen eine Mortalit~it yon I o--15 % aufweisen, sie gestalten sich aber noch giinstiger in Anbetracht des Umstandes, dab anfinglich die hohen Dosen noch nicht in so konsequenter Weise verabfolgt wurden, dab ferner zwischendurch wieder kiirzere Perioden mit niedrigerer Dosierung eingeschoben wurden. Auch habe ich

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ja gerade in den F~llen yon nekrotischer Diphtheritis, die die Statistik am schwersten belasten, aus iugeren Grtinden ausreichende Serummengen meistens nicht geben k6nnen.

Allerdings bin ich mir natiirlich sehr wohl bewuBt, dab Krankenhausstat is t iken stets mit grogen Fehlerquellen be- hal ter sind, da sie auger voi1 der Schwere der Epidemien yon dem st/irkeren oder geringeren Vorherrschen der jtingeren Altersklassen nnd alien m6glichen sozialen Faktoren ab- h ingen. Es ist im Rahmen dieses Referates nicht m6glich, mein Material unter diesen Gesichtspunkten kritisch zu besprechen. Im Hinblick auf die Gr6fle meiner Zahlen glaffbe ich aber nicht, dab derartige Zufill igkeiten meine giinstigen Resultate erkl~ren k6nnen, um so mehr sis die Berliner Epidemie der Jahre I916/i 7 als eine schwere zu bezeichnen war. Ich erblicke vielmehr such in meiner Statistik den Ausdruck der giinstigen Wirkung einer ener- gischen Serumbehandlung.

Ich m6chte meine Ausfiihrungen dahin zusammenfassen, dab such die schwersten Diphtheriefiille einer Heilung zu- ginglich sind, wenn sie mit gentigend grogen Serumdosen behandeIt werden. Ich stehe daher au] dem Standpunkt, daft Mittel und Wege ge]unden warden mi~ssen, urn auch Unbemittelten die Anwendung der ndtigen Serummengen zu ermSglichen. Es ist bier nicht der Oft, spezielle pra.ktische Vorschl@e zu machen. Abet ich bin i~berzeugt, dab bei einem Zusammenarbeiten yon Staat, Gemeinden, Apotheken und Industrie dies Ziel nicht unerreichbar ist. Neben den ungeheuren Ausgaben, die aus 5]]entlichen Mitteln den Au]gaben der VoUcsgesundheit zu- fliefien, wi~rde der Mehrau]wand ]i~r die wenlgen Diphtherie- ]gille, die so exorbitant hohe Serumdosen verlangen, sicherlich verschwinden.

Tri t t beim Diphtherieserum die prophylaktische hinter der therapeutischen Anwendung ganz zuriick, so gilt das Um- gekehrte fiir das Tetanusserum, dessen wichtigste Indikat ion die prophylaktische Immunisierung bei Wundinfekt ionen ist. Zu diesem Zweck werden 2o A. E. subcutan m6glichst in der Umgebung der infizierten Wunde eingespritzt. Besonders im Weltkrieg hat sich die prophylaktisehe Anwendung auger- ordentlich bewihrt . Wihrend im Beginn die Zahl der Tetanus- erkrankungen bei den Verwundeten eine erschreckend hohe war, verschwand der Tetanus fast v611ig in der Armee, als die Sanit i tsdepots in geniigendem Mage mit dem Serum ver- sorgt waren.

Ahnliche ]3eobachtungen w u r d e n i n den feindlichen Armeen gemacht. Allerdings m6chte ich nieht verschweigen, dab BULLOCK und CRAMER in einer sehr interessanten Arbeit das Erl6sehen des Tetanus auI andere Ursachen zurtick- fiihren. Sie weisen n iml ich darauf hin, dab gleichzeitig mit dem Tetanus such der Gasbrand aufhSrte, und zwar fiel das Erl6schen dieser beiden Wundinfekt ionen zeitlich mit dem l~bergang zum Stellungskrieg zusammen. In einer eingehenden experimentellen Studie stellten die Autoren lest, dab beide Infektionen nut barren, wenn die Wunden mit Erde be- schmutzt sind, wihrend, wie das ftir den Tetanus schon frfiher bekannt war, Tetanussporen und Gasbrandbacillen in Rein- kultur eine Infektion nicht zu erzeugen verm6gen. Sie machten nun welter die sehr interessante Beobachtung, dab Kalk- salze schon in Mengen, wie sie in der Erde enthalten sind, schwere destruktive Ver~nderungen im Gewebe erzeugen, die den Wundkeimen einen sehr giinstigen Boden bereiten, wihrend so eingreifende Substanzen wie die Milchsiure diesen f6rdernden EinfluB auf die Wundinfekt ion nicht zeigten. Die englischen Autoren bringen daher die Zahl der Tetanus- und Gasbranderkrankungen zu dem Kalkgehalt der Erde in Be- ziehung und nehmen an, dab dieser in den Schiitzengriben infolge der Auswaschung durch den Regen ein besonders niedriger gewesen sei. Es w~re gewig interessant, wenn diese Ansichten such durch anderweitige Beobachtungen gestiitzt wiirden. Die prophylaktische Wirksamkeit des Tetanus- serums scheint mir aber such dutch die vor dem Weltkrieg mitgeteitten Erfahrungen gentigend erwiesen zu sein.

Weft skeptischer wird im allgemeinen die kurative Wir- kung des Serums beurteilt. Die Mehrzahl der Autoren glaubt, gestiitzt auf die experimentellen Untersuchungen von M~Y~R

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und RAI~SOM, dab nach ausgebrochener Erkrankung das Serum ohne jeden EinfluJ3 auf den Verlauf sei. Dieser An- sicht kann ich Inich auf Grund Ineiner wghrend des Krieges gesammelten Erfahrungen nicht ansehliel3cn. Wenn ich auch im Augenblick nicht fiber statistisehes Material verfiige, so kann ich reich doch erinnern, dab die Mortalit~t meiner durchweg mit Serum behandelten FAlle eine verh~ltnisinABig sehr geringe war. Auch sehwere F~lle mit kurzer Inkubat ion (6--7 Tage) und rascher Projedienz habe ich zum Stillstand und zur tIeilung kommen sehen. Allerdings geniigt dazu nicht die einfache Heildosis (ioo A. E.). Vielinehr habe ieh Dosen yon 5OO--lOOO A. E. eingespritzt. Um diese groBen Seruininengen applizieren zu k6nnen, ist die gleichzeitige intraluinbale, intraven6se n n d intrainuskul~re Zufuhr und evtl. Wiederholung dieser Operation notwendig.

Die antitoxischen Sera gegen Butolismus und Gasbrand In6chte ich fibergehen, da ihre Anwendung, wenigstens in Friedenszeiten, keine groi3e praktische ]3edeutung besitzt und gewisserinaBen als ~)bergang zu den antibakterischen Sera das Dysenterieserum besprechen.

Beiin t~uhrserum durchkreuzen bereits ungel6ste theo- retische Fragen in st6rendster Weise die klinische ]3eurteiIung, denn die am Krankenbet t angewandten Sere sind, yon den verschiedensten Gesichtspunkten ausgehend, Init ungleiehen Methoden hergestellt, Da gibt es monovalente Sere, zu deren ]~rzeugung ausschliel3Iich der Shiga-Kruse-BaciUus benutzt wird, und polyvalente Sere, die Schutzstoffe aueh gegen die verschiedenen atoxischen Ruhrst~inme enthalten sollen. Die Inonovalenten Sera zerfallen wiederuin in solche, die durch Einspritzung der giftigen Kulturfil trate gewonnen werden und deshalb im wesentlichen als antitoxisch zu betrachten sind (KRAUS und D61~R) und vorwiegend antibakterielle Sera, zn deren ]~rzeugung die Bakterienleiber selbst dienen. Zu diesen theoretischen Unklarheiten koinint der Mangel einer geeigneten Prfifungsinethode, der sehon aus rein technischen Grfinden einen Vergleich der verschiedenen Sera unm6glich macht.

Abet auch rein kliniseh betrachtet, ist die Beurfieilung der Sertlmtherapie bei der l~uhr wegen des ganz regellosen Verlaufs der Erkrankung ungemein sehwierig. Es kann aus allen diesen Grfinden nicht wundernehmen, dab die wider- spreehendsten Ansichten fiber des Ruhrseruin in der Literatur

�9 ausgesproehen werden. Einig sind sich nur alle Autoren fiber die Notwendigkeit einer frfihzeitigen Anwendung groBer Serumdosen (lOO--7oo A. E.).

Ich selbst babe w~ihrend der schweren Ruhrepidemie des Jahres 1917 des Serum bei lOO Patienten angewandt und die l~esultate mit denen yon 95 schweren unbehandelten F~illen verglichen In diesen Versuchen wurden nieht nur die Todesf~ille, sondern aueh die Tage, an denen Blur und Schleim verschwanden, an denen die Zahl der Stfihle sich wesentlich verringerte und an denen zum ersteninal fester Stuhl auf- trat, in jedein Fall nofiert. Wie ich in einein am 22. X. 1917 im Verein ffir innere Medizin gehaltenen Vortrag Initteilte, kounte ich irgendeinen Untersehied zugunsten des l~uhr- serums nicht beobachten. Aueh in den schwer toxischen F~illen versagte das Serum. Wegen der besonders hervor- gehobenen theoretisehen und technischen Schwierigkeiten wfirde ich aber eine Verallgeineinerung meiner ungfinstigen Resultate vorl~ufig nieht fiir bereehtigt halten.

I1. Antibakterielle Sera.

Dutch Einspritzung yon toten und lebendeu ]3akterien oder auch yon Schfittelextrakten aus Bakterienleibern ge- wonnen, wirken sie auf die t3akterien selbst ein, indem sie dieselben entwedcr vernichten oder doch in ihrer EntwieMung im Organismus hemmen. Nach ihrem Wirkungsinechanisinus, soweit er bisher analysiert werden konnte, zerfallen sie in bakterizide und bakteriotrope Sera. Erstere k6nnen sehr leicht gegen Typhus- und Cholerabacillen gewonnen werden. In der Praxis haben sie sich nieht bew~hrt und k6nnen daher auBer Betracht bleiben. Die bakteriotropen Sere verm6gen an sieh Bakterien nicht abzut6ten, sondern nu t in ihren physikalisch- cheinischen Eigensehaften so zu ver~ndern, dab sie yon den Leukocyten leiehter phagocytiert werden k6nnen. Zu dieser

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Gruppe geh6ren das Streptokokken-, des Pneumokokken- und das Meningokokkenserum.

Unter diesen liegt zweifellos ffir des Streptokokkenserum des grSl3te praktische Bedfirfnis vor. Besonders yon ARON- SON, FRITZ MEYER und ]~.UPPEL sind im Tierversueh hoch- wirksame Streptokokkensera hergesteHt worden. Bei der Obertragung dieser experiinentelten E rgebn i s se auf den Mensehen aber entstehen sehr grol3e, bisher nicht fiber. wundene Schwierigkeiten. Neben den bisher nicht ge- nfigend beaehteten quant i ta t iven Verh&ltnissen ( U N G E R M A N N

und i~AUDIBA) scheint es vor allem die Polyvalenzffage zu seine die gerade bei diesem Serum v o n d e r einschnei- dendsten Bedeutung ist. Die groBe Gruppe der morphologisch und kulturell nicht unterscheidbaren Streptokokken umfaBt offenbar eine gr6Bere Menge serologisch differenzierter St~mme. Ober deren Zahl und ihre H~ufigkeit bei den ver- schiedensten Streptokokkeninfektionen aber Iiegen genfigeud uinfangreiche systeinatische Untersuchungen bisher nicht vor und deshalb ist es gegenw~rtig kauin m6glieh, zu beurteilen, ob eine Seruintherapie der Streptokokkenkrankheiten fiberhaupt Aussichten auf praktische Erfolge hat. Denn nur, wenn ein Serum Antik6rper gegen alle praktiseh in Betracht kominenden Typen besitzt, kann seine Polyvalenz als eine ausreichende bezeichnet werden.

Bei der Anwendung der fin Handel befindlichen Sere am Krankenbet t infil3te diesen Gesichtspunkten unbedingt Rech- nung getragen werden. Ein Urteil fiber den Heilerfolg des Serums ist nur m6glich, wenn im einzelnen Fall dureh be- sondere Versuche festgestellt wird, ob das verwendete Serum fiberhaupt Schutzstoffe gegen den herausgezfichteten Strepto- kokkenstainm besitzt.

Eine solche Kontrolle w~re beim Streptokokkenserum ~ain so notwendiger, als die klinische Beurteilung der Serumwirkung bei den Streptokokkenkrankheiten aui3erordentlich schwierig ist, weil gerade in den aussichtsreichen, fin Frfihstadium be- handelten F~llen die Prognose durehaus nnsicher zu sein pflegt. Selbst bei gr613ter Erfahrung ist es ira Beginn meist nicht m6glich, vorherzusagen, ob eine Puerperalinfektion auf den Uterus, die Parainetrien, die Adnexe beschrAnkt bteiben oder zu einer allgeineinen Sepsis fiihren wird. Es ist daher nicht zu verwundern, dab die Ansichten fiber die Wirkung des Streptokokkenserums bei Puerperalinfektionen auger- ordentlich divergieren. Schon daraus geht hervor, dM3 ekla- tante Erfolge, wie sie allein bei einer prognostiseh so schwer zu beurteilenden Krankheit Beweiskraft beanspruchen k6nn- ten, bisher wohl nicht erzielt worden sind. DaB bei den schwersten Formen allgeineiner Sepsis, bei der ebenfalls prognosfiseh uugfinstigen throinbophlebitischen Form, ferner beim Erysipel des Serum bisher versagt hat, wird selbst yon einem Anh~nger des Streptokokkenserums (FRITZ MEYER) hervorgehoben.

Sind somit die Resultate der Streptokokkenserumtherapie bisher noch unbefriedigende, so besteht doch wenigstens die Hoffnung, dal3 durch einen energisehen nnd zielbewuBten Ausbau der theoretisehen Grundlagen weft Besseres erreicht werden kann. Die sch6nen experimentellen Untersuchungeu von MORGENROTH nnd seinen Mitarbeitern fiber die ehronische Streptokokkeninfektion lessen fiberdies erkennen, dab unsere Kenntnisse v o n d e r ]3iologie der Streptokokkeninfektion offenbar noeh in den Anf~ngen stecken und es ist nicht un- m6glich, dab aueh aus dieser Quelle der Serumtherapie der Streptokokkenkrankheiten neue Anregungen zufliel3en werden.

Die Gesehichte des Pneumolcokkenserums lehrt, dab Schwierigkeiten, wie sie beiin Streptokolckenserum besprochen wurden, durch die systeinatische Zusaininenarbei~ yon Labo- ratorium und Klinik fiberwunden werden k6nnen. Nachdem schon F. und G. KLEMPERER, PANE U. a. Versuche Init Pneuino- kokkenseruin angestellt batten, waren es vor allein die Arbeiten NEUFELDS undHs die experiinentellenGrundlagen f fir eine Serumtherapie der Pnenmonie sehufen. Ihnen gelang zuerst die I-Ierstellung hochwertiger Sera, die Ausarbeitung einer exakten Prfifungsinethode und vor allein der Nachweis, dab der Pneumokokkus in mehreren serologiseh verschiedenen Typen vorkomint. Leider haben die Anregungen NEUFELDS

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dieses Serum am I i rankenbet t anzuwenden, in Deutschland. wenig Anldang gefunden. Es blieb Amerika vorbehalten, diese Versuche wieder aufzunehmen und zwar war es das Rocke- fellerinstitut, das die Frage in grogzfigigster Weise in Angriff genommen hat. Die zahlreichen Arbeiten, die in den Ver6ffent- lichungen des Inst i tuts w~hrend der Kriegsj ahre erschienen sind, enthal ten eine volle Best~tigung der Angaben NE~FELDS und HXNDELS. Auch in Amerika wurden diese!ben sero- logischen Pneumokokkentypen gefunden, und es wurde nun zungchst eine Methode ausgearbeitet, um m6glichst schnell am Nrankenbet t (8 Stunden) die Typendiagnose stellen zu k6nnen. Sehr bemerkenswert ist nun, dab nut gegen den Typus I, der sich etwa in 33% der F~lle Iindet, ein genfigend hochwertiges und deshalb klinisch brauchbares Serum her- gestellt werden konnte. Die Serumtherapie wurde daher auf die Fglle beschr~nkt, in denen der Typus I gefunden wurde. i)ber die klinische Anwendung des Serums berichten in ether grogen Arbeit A V E R Y , CFIICKERING, COLE und DOCHEZ (Studies from the Rockefeller Inst i tute 29, 483 �9 1918). Unter besonderen Kautelen wurden sehr grol3e Serummengen (bis zu 25 ~ ccm) intraven6s injiziert. Die Wirkung wird als eine prompte geschildert. Schon nach 24--48 Stundeu t r i t t eine in der Besserung des Allgemeinbefindens sich Xul3ernde ent- giftende Wirkung unter Fieberabfall ein, wahrend die physi- kalischen Zeichen der Pneumonie haufig noch langere Zeit nachweisbar sind. Diesem gfinstigen Eindruck entspricht eine Verminderung der Todesf~lle, die bet einer GesamtzahI yon lO 7 Gespritzten nur 7,5% betrugen, wahrend yon den unbehandelten Pneumonien 2o--3o % starben.

Diese Untersuchungen mtissen im Hinblick auf die immer noch h~iufigen b6sartigen Grippepneumonien ganz besonders interessieren. Wenn auch die Bakteriologie dieser Erkran- kungen noch keineswegs ersch6pfend erforscht ist, so halte ich doch auf Grund eigener Erfahrungen den Pneumokokkus f fir den h~iufigsten Erreger, hinter dem der Streptokokkus erst in zweiter Linie kommt. Aus dieser Erw~gung heraus habe ich im Jahre 1918, in der Zeit, als die Grippeepidemie den H6hepunkt ihrer B6s- artigkeit erreicht hatte, Heilversuche mit dem vom Sach- sischen Serumwerk hergestellten polyvalenten Pneumo- Streptokokkenserum unternommen. Um ein Urteil zu ge- winnen, babe ich anfangs nur F~lle behandelt, bet denen ich die Prognose ganz ungfinstig stellen zu mfissen glaubte. Die Erfolge waren fiberraschende. Auch in ganz schweren F~illen sail ich 24--48 Stunden nach der Einspri tzung Schwinden der toxischen Erscheinungen, Entfieberung und Ausgang in Heilung. Wie ich schon an verschiedenen Stellen ausgeffihrt habe, muBte abet auf Grund der amerikanischen Arbeiten such mit Mil3erfolgen gerechnet werden. Alle die Falle, in denen der Streptokokkus und die Pneumokokkentypen II his IV die dominanten Erreger sind, dfirften ether Serum- behandlung vorl~ufig kaum zuganglich seth. Dem entsprechen auch meine pers6nlichen Erfahrungen. Neben F~llen~ die auBerordentlich gfinstig beeinflulBt schienen, habe ich andere gesehen, in denen das Serum v61lig wirkungslos war. Ich hoffe, dab es bald m6glich sein wird, in jedem mit Serum ge- spritzten Tall den Pneumokokkentypus festzustellen und damit die Serumbehandlung der Grippepneumonie auf eine exakte Basis zu stellen. Die in der Praxis kaum durchffihr- bare intraven6se Injektion abundanter Serummengen wird sich nach meinen Erfahrungen wohl durch die intramuskul~re Injektion yon lOO--15o ccm Serum ersetzen lassen. Als sog. ,,Grippeserum" sind das Pneumo-Streptokokkenserum des stichsichen Serumwerks und ein yon den H6chster Farb- werken hergestelltes Serum im Handel, das dutch Einspritzung yon Streptokokken, Pneumokokken und Influenzabacillen gewonnen ist. Als wirksame Komponente m6chte ich vor- lauiig die Schutzstoffe gegen den Pneumokokkentyp I be- t rachten und es scheint mir daher die Hauptaufgabe der Serumfabrikation ant diesem Gebiet zu seth, m6glichst hoch- wertige Seren gegen diesen Pneumokokkus herzustellen.

Zu den klinisch erprobten Seren geh6rt auch das Meningo- kol~kenserum, das nach JOCH~ANN, NOLLE, WASSERMANN und FLEXNER durch Einspritzung yon toten und lebenden Meningo- kokken oder yon wgsserigen Schfittelextrakten aus diesen ge- wonnen wird. Seit dem I. Januar 192I ist durch Ministerial- erlag die staatliche Prfifung ffir das Meningokokkenserum eingeifihrt und damit eine exakte Grundlage ffir seine klinische Bewertung geschaffen worden. Allerdings weisen die unter Leitung FLEX~EES im Rockefellerinstitut w~hrend des Krieges ausgefiihrten Untersuchungen darauf hin, dab das Meningo- kokkenserum noch sehr verbesserungsfghig ist. Auch der Meningokokkus ex'stiert n~imlich in mehreren serologisch verschiedenen Typen und deshalb mug auch hier, wie dies in Amerika und England bereits geschiehi, die Herstellung mSglichst polyvalenter Seren angestrebt werden.

Das Meningokokkenserum nimmt insofern eine Sonder- stellung ein, als es mittels der intralumbalen Injektion direkt an den !Krankheitsherd herangebracht werden kann und hier nicht im Gewebe, sondern in einem mit Flfissigkeit geffillten Hohlraum zur Wirkung gelangt. Es liegen also dem Reagens- glasversuch sich n~hernde, besonders gfinstige Bedingungen fiir die Serumtherapie vor. Um eine gute Wirkung zu er- zielen, sollen die Injektionen anfangs tgglich vorgenommen werden. Nach Ablassen einer entsprechenden Liquormenge werden 2o--4o ccm Serum injiziert.

Die Berichte fiber die klinische Anwendung des Meningo- kokkenserums lauten durchweg gtinstig. Die umfangreichste, yon FLEXNEE und IOBLINO stammende Statisfik erstreckt sich auf 712 FXlle, yon denen 31,4% starben, w~hrend die MortalitS.t der unbehandelten F~lle, je nach der Schwere der Epidemie und dem Vorherrschen der jiingeren Alters- klassen etwa zwischen 5o--9o% schwankt. Das w~re immer- hin eine Herabsetzung der Sterbeziffern, die in ~ihnlicher Weise auch von anderen Klinikern (LEVY, SCHOENE, JocH- MANN U. a.) beobachtet wurde. Allerdings ist die Mortalit~t yon fiber 3o% framer noch eine reichlich hohe, besonders da FLEXNER und IOBLINa die foudroyant verlaufenden F~lle aus ihrer Statistik ausgeschaltet haben. Auf Grund eigener Erfahrungen kann ich nicht fiber gfinstige Erfahrungen berichten. Ich habe in den Jahren 1915/i6 und in letzter Zeit wieder das Serum in gr6Berem MaBstab angewandt, reich abet weder durch die klinische Beobachtung noch durch die Mortalit~itsziffern von einem Heilerfolg fiberzeugen k6nnen. Eingehende, im Ins t i tu t ffir Infektionskrankheiten ausgeffihrte Untersuchungen haben aIlerdings ergeben, dab das im Jahre 1915/i6 (vor der Einffihrung der staatlichen Serumprfifung) verwandte Serum nennenswerte Mengen yon Schutzstoffen nicht enthielt, demnach minderwertig war, und auch die neuerlichen Milgerfolge haben dadurch ihre Auf- klgrung gefunden, dab bet den yon mir behandelten F~llen atypische Meningokokkenst~mme gefunden wurden, auf die das Serum nicht wirkte. Meine Beobachtungen Iassen sich daher nicht verallgemeinern, ate zeigen abet doch, welche Hindernisse der Meningokokkenserumtherapie vorl~ufig noch im Wege stehen.

Wegen der besonders gfinstigen Verhgltnisse im Lumbal- kanal glaube ich, dab bet der epidemischen Meningitis die Chemotherapie mit der Serumtherapie in scharfe I ionkurrenz treten wird. Ich m6chte deshalb kurz auf das yon mir im Jahre i9161) empfohlene Optochin. hydr. chloric. (MORGEN- .RO.T~.) hinweisen, das ich in einer L6sung I : 5oo intralumbal mpzlere, und mit dem ich frfiher und such neuerdings wieder sehr gfinstige Resultate erzielte. In den Jahren 1915/16 habe ich unter den acht mit Optochin behandelten F~illen keinen Todesfall erlebt, w~hrend die Mortalit~t bet 16 Serumf~llen 50% betrug. Auch in letzter Zeit habe ich entschieden wieder den Eindruck ether fiberlegenen Wirkung des Optochins er- halten. Die rasche Entwicklung der chemotherapeutischen Forschung lgl3t hoffen, dab auch noch wirksamere Pr~parate als das Optoehin gefunden werden.

x) Berl. klin. Wochenschr., Nr. i6, 1916.