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German Language. Animal theory
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Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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2 Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe,
Geschichte, wissenschaftliche Forschung
Wie bereits erwähnt wurde, weist die Mensch-Tier-Beziehung Qualitäten auf, die vom
Menschen als sehr bereichernd erlebt werden. Dies betrifft insbesondere die
partnerschaftliche Beziehung zwischen Mensch und Hund. Otterstedt schreibt in einem
Artikel „Hunde als therapeutische Begleiter“:
Die nonverbale Kommunikation zwischen Hund und Mensch ist eine der aktivsten Dialoge zwischen Mensch und Tier überhaupt. Innerhalb kurzer Zeit erkennt der Hund die körpereigene Sprache des Menschen und folgt somit (mehr oder weniger) dessen Bedürfnissen und dessen Kommandos. Der Mensch fühlt sich verstanden und bestätigt. Aus diesem dialogischen Handeln und Rudelverhalten des Hundes entsteht die Möglichkeit einer sozialen Beziehung zwischen Mensch und Hund, welche die grundlegende Voraussetzung für die tiergestützte Begleitung durch Hunde bildet. (Otterstedt 2001a)
Diese Begleitung durch den Hund kann sich sowohl auf das alltägliche Leben eines
Menschen, als auch auf einen gezielten Einsatz in therapeutischen Konzepten
beziehen. Mit den Wirkungen des Hundes im Alltag wird sich das Kapitel 4 eingehend
befassen. Um eine chronologisch richtige Vorgehensweise zu bewahren, ist zunächst
eine Betrachtung der Forschung im therapeutischen Einsatzbereich des Hundes nötig.
Denn erst auf Grundlage dieser Forschungsergebnisse, fand die „echte
Heimtierbeziehung“ – also das Zusammenleben eines „gesunden“ Menschen mit
seinem Hund – das Interesse der Wissenschaft. Ob der Hund auch auf gesunde
Menschen therapeutischen Einfluss nimmt, ist individuell sehr verschieden und wird
subjektiv unterschiedlich eingeordnet. Doch sicherlich muss man nicht an einem
therapeutischen Projekt teilnehmen, damit ein Hund sich auf die eigene Lebensqualität
auswirkt. (vgl. Otterstedt 2001a)
Da auf dem Gebiet der therapeutischen Nutzung der Mensch-Tier-Beziehung bisher
kaum klare Bezeichnungen oder Definitionen vorherrschen, so ist zunächst eine
Begriffsklärung der unterschiedlichen Auffassungen nötig (Abschnitt 2.1). Um einen
Überblick über die geschichtliche Entwicklung des therapeutischen Einsatzes von
Tieren und den heutigen Forschungsstand zu bekommen, werden in Abschnitt 2.2
historische Beispiele beschrieben und anschließend wegweisende Studien für die
Entwicklung des Forschungszweiges der Mensch-Tier-Beziehung vorgestellt.
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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2.1 Begriffsklärung
2.1.1 Pet Therapy
Der Begriff „Pet Therapy“ - (Haus-)Tiertherapie - dürfte der älteste Begriff sein, der den
Einsatz von (Haus-)Tieren in therapeutischen Maßnahmen beschreibt. An diesem
Begriff bemängelte man allerdings, dass die Bedeutung der Tiere nur verschwommen
sichtbar wurde und nicht der Eindruck erweckt werden darf, dass ein Tier den
Therapeuten ersetzen kann. Aufgrund dieser Kritikpunkte wird dieser Begriff heute
nicht mehr verwendet. (vgl. Niepel 1998)
2.1.2 Pet facilitated Therapy (PFT)
“Der Begriff „Pet facilitated Therapy“ wurde zum Schlagwort eines neuen
Wissenschaftszweiges, der Mensch-Tier-Beziehung (Greiffenhagen 1993; S.15). Durch
den Zusatz „gestützt“ ging man auf die Kritik der Anfangszeiten der Pet Therapy ein.
Das Tier soll als zusätzlicher Helfer am Therapieprozess teilnehmen und unterstützen,
was der professionelle Therapeut anbahnt. Im Englischen verwendet man die
Bezeichnungen „Pet facilitated Psychotherapy“ und „Pet assisted Therapy“ synonym.
(vgl. Greiffenhagen 1993; Niepel 1998)
2.1.2.1 Pet facilitated Psychotherapy (PFP)
(Haus-)Tiergestützte Psychotherapie. Diese Form verläuft entsprechend dem gerade
Beschriebenen. Allerdings liegt hier die Betonung insbesondere auf der Wirkung der
Tiere auf die Psyche des Menschen. (vgl. Niepel 1998)
2.1.2.2 Animal faciliated Psychotherapy (AFT)
Tiergestützte Therapie. Bei dieser Therapieform wurde der Begriff „Pet“ auf „Animal“
erweitert. Unter diese Kategorie fallen Therapieformen, in denen nicht nur Haustiere,
sondern auch andere Tierarten, wie z.B. Delphine, Pferde, Lamas, usw. eingesetzt
werden. Diese Therapieform dürfte durch die spektakulären Berichte der
Delphintherapie autistischer Kinder in Florida am bekanntesten sein. Im Laufe der Zeit
wurden mit Fortschreiten der Forschung auf diesem Gebiet immer mehr
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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Therapiekonzepte entwickelt, die bei unterschiedlichsten „Problemen“ der Menschen
zur Anwendung kamen. (vgl. Niepel 1998)
2.1.3 Animal Assisted Activities (AAA) und Animal Assisted
Therapy (AAT)
Im Laufe der Zeit entstanden immer mehr Therapiekonzepte, die den Einsatz von
Tieren vorsahen. Standards und Richtlinien zur Durchführung tiergestützter Therapien
differierten zunehmend. Der Nachteil dieser Entwicklung war, dass sich deutlich zeigte,
dass die Rolle und Verwendung des Tieres im therapeutischen Kontext nicht eindeutig
geklärt war und so die Effektivität dieser „neuen“ Therapieform nur begrenzt anerkannt
wurde. Eine systematische Auseinandersetzung und Grundlegung der tiergestützten
Therapieformen wurde dringend nötig. Dieser Aufgabe widmete sich die Delta Society,
die 1977 in Portland/ Oregon gegründet wurde.
The Delta Society is an international, not-for-profit organization whose purpose is to promote animals helping people improve their health, independence, and quality of life. (Fine 2000; S.xlv)
Um dem therapeutischen Einsatz von Tieren eine klare Basis zu geben, legte sie zwei
mögliche Rollen von Tieren in der Therapie fest. (vgl. Fine 2000; Niepel 1998)
2.1.3.1 Animal Assisted Activities (AAA)
AAA [are] goal-directed activities that improve a client’s quality life through the use of the human-animal bond. These sessions are not, however guided by a professional or necessarily evaluated. (Granger/Kogan 2000; S.214)
Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich hier um Aktivitäten, die mit dem Tier
gemeinsam durchgeführt werden. Dabei ist die Aktivität nicht auf eine bestimmte
Person ausgerichtet. Hierzu zählen Programme, die den Besuch von Tierbesitzern in
geeigneten Institutionen wie Altenheimen, Krankenhäusern, Tagesstätten organisieren.
Die Durchführung und Gestaltung unterliegt keinen inhaltlichen Bestimmungen und
Zielvorgaben. Ergebnisse und Einflüsse sollen sich spontan zeigen und werden nicht
intendiert. Daher werden auch keine Aufzeichnungen über Ablauf und Ergebnisse
solcher Besuche gemacht. (vgl. Granger/Kogan 2000; Niepel 1998)
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2.1.3.2 Animal Assisted Therapy (AAT)
AAT [is] a goal-directed intervention that utilizes the human-animal-bond as an integral part of the treatment process. The animals and handlers/owners are screened and trained to meet specific criteria and work with professionals who help to set therapeutic goals, guide the AAT sessions and evaluate the progress. (Granger/Kogan 2000; S.213)
Wie die Definition sagt, geht es hierbei um den Einsatz von ausgebildeten Tieren und
deren Besitzern, die in Zusammenarbeit mit dem Therapeuten versuchen, vorher
festgelegte Ziele im Therapieprozess zu erarbeiten. Das Tier soll hier die Basis für eine
erfolgreiche Verhaltensmodifikation schaffen. Der Therapeut muss sich genau an die
für diese Therapieform erarbeiteten Richtlinien halten. Begleitend findet eine
Feststellung der Fortschritte statt. (vgl. Granger/Kogan 2000; Niepel 1998)
Unterscheidungsmerkmale zwischen AAA und AAT
Es fällt oft schwer, eine genaue Unterscheidung zwischen AAT und AAA zu treffen.
Allerdings ist anhand von drei Merkmalen die Zuordnung von Therapiekonzepten zu
dem einen oder anderen Bereich sehr gut möglich. Es ist durchaus möglich, dass auch
AAA ein oder zwei der genannten Kriterien erfüllen. Allerdings muss ein
Therapiekonzept, um als AAT bezeichnet werden zu können, alle drei folgenden
Merkmale aufweisen.
Von Beginn der Therapie an müssen zu erreichende Ziele klar formuliert
werden.
Während der einzelnen AAT-Abschnitte werden Vorgänge und Fortschritte
genau dokumentiert.
AAT wird in die professionelle Arbeit des Therapeuten, Pflegers,
Sozialarbeiters, Lehrers, Arztes usw. integriert. Das Tier wird zu einem
festen Bestandteil des therapeutischen Vorhabens. Es kann dem
„Therapeuten“ selbst gehören, aber auch einem angeleiteten Laien.
Abschließend lässt sich zu dieser differenzierten Betrachtung und Unterscheidung der
verschiedenen Therapieformen, die auf dem Zusammenwirken von Mensch und Tier
beruhen, folgendes sagen: Im alltäglichen Sprachgebrauch findet man durchgehend
die Bezeichnung „Therapie mit Tieren“. Hierunter werden alle oben genannten Formen
subsumiert. In neuerer englischsprachiger Literatur zum Thema beschränkt man sich
nur noch auf die Begriffe AAA und AAT. In deutschen Veröffentlichungen verwendet
man analog dazu die Begriffe „tiergestützte Aktivitäten“ und „tiergestützte Therapie“.
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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Diese sollen die Funktion des Tieres im jeweiligen Kontext deutlich machen. Nicht das
Tier ist der Therapeut, sondern es unterstützt durch seine Anwesenheit oder sein
spezielles Verhalten den Vorgang, den man mit einem solchen Konzept verfolgt. Diese
Bezeichnungen sind aber ganz klar abzugrenzen von Bezeichnungen, die sich auf die
Dienstleitungstätigkeit von Tieren beziehen. Blindenhunde, Behindertenbegleithunde,
Signalhunde dürfen nicht zu einem der Begriffe zugeordnet werden. (vgl. Fine 2000;
Niepel 1998)
Übersicht 2-1: Begriffsklärung
2.2 Blick in die Geschichte
2.2.1 Historische Beispiele für den Einsatz von Tieren im
therapeutischen Kontext
„Die Heilkraft der Tierliebe wirkt bereits so lange, wie die Geschichte der Menschheit
zurückreicht, sie ist so alt wie die Lebensgemeinschaft von Mensch und Tier“
Begriffsklärung
Pet Therapy • Begriff wurde vom Kindertherapeuten Levinson eingeführt • wird heute allerdings nicht mehr verwendet
Prinzipiell ist eine Unterscheidung von AAT und AAA ausreichend. Diese Begriffe wurden von der Delta-Society definiert und werden im wissenschaftlichen und alltäglichen Sprachgebrauch verwendet. Differenziertere Unterscheidungen sind zu sehr mit subjektiven Einschätzungen verbunden.
AAT „AAT [is] a goal-directed intervention that utilizes the human-animal-bond as an integral part of the treatment process. The animals and handlers/owners are screened and trained to meet specific criteria and work with professionals who help to set therapeutic goals, guide the AAT sessions and evaluate the progress. (Granger/Kogan 2000; S.213)
AAA AAA [are]
goal-directed activities that improve a client’s quality life through the use of the human-animal bond. These sessions are not, however guided by a professional
or necessarily evaluated.” (Granger/Kogan 2000; S.214)
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(Kusztrich 1992, S.10). Anfangs wurden Tiere eher unbewusst eingesetzt und man
begnügte sich mit der Evidenz, dass die Anwesenheit von Tieren kranken Menschen
Ablenkung und Freude brachte. Dies assoziierte man allerdings eher mit den
Wirkungen, die auch ein Haustier hat, als mit konkreten therapeutischen
Zielsetzungen. „The use of animals to assist human therapeutic activities has a long
history, but extensive, documented, and organized use is relatively new” (Fine 2000;
S.22). Im Folgenden sollen einige Meilensteine der tiergestützten Therapie vorgestellt
werden, um ein Bild von früheren „Konzepten“ zu vermitteln. (vgl. Fine 2000;
Greiffenhagen 1993; Kusztrich 1992)
„York retreat“
„Dass das tier dem herze wôl macht“ (Greiffenhagen 1993; S.14) wusste schon Walter
von der Vogelweide. Positive Wirkung von Tieren auf den Menschen waren in Belgien
schon seit dem 8. Jahrhundert bekannt. Das älteste bekannte Beispiel für den
gezielten Einsatz von Tieren in der Therapie stammt schon aus dem 9. Jahrhundert. In
Gheel, Belgien, setzte man eine „therapie naturelle“ ein, die vor allem sozioökonomisch
benachteiligten Menschen eine bessere Lebensbasis und –zufriedenheit geben sollte.
Dazu zählte die Landarbeit und die Versorgung von Tieren. Andere Berichte stammen
aus dem 18. Jahrhundert. 1792 wurde von einer Quäkergruppe in England die
Heilanstalt „York retreat“ gegründet, dessen Leiter William Tuke ein humaneres und
christliches Pendant zu den derzeitig unmenschlichen Irrenhäusern schaffen wollte. In
diesen Heilanstalten, die sich in ländlichen Gegenden befanden, wurden den Kranken
zahlreiche Aktivitäten ermöglicht, zu denen auch die Versorgung der im Garten
gehaltenen Kleintiere gehörte. Aufgrund dieser „anderen“ Art, mit den psychischen
Problemen der Menschen umzugehen, und sie nicht als „irr“ abzustempeln, konnten
sogar einige diese Anstalten gesund verlassen. Durch die Tiere wurde den Patienten
das Gefühl vermittelt, trotz ihrer neurologischen und psychischen Benachteiligungen
eine Aufgabe zu haben und gebraucht zu werden. Doch im Laufe der Zeit entwickelte
sich die Forschung in der Psychiatrie in eine andere Richtung, und man ging zu
technisch-physischen Behandlungsmethoden über. So gerieten die Erkenntnisse über
die durchaus positive Unterstützung von Tieren im Therapieprozess fast völlig in
Vergessenheit. (vgl. Greiffenhagen 1993; Niepel 1998; Olbrich 2000)
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Heilanstalt Bethel
Doch auch in Deutschland lassen sich historische Beispiele finden. Zu den wenigen
Institutionen, die diese Idee von Tuke aufgegriffen haben, gehört die Epileptiker
Heilanstalt Bethel bei Bielefeld, die ca. 100 Jahre später dieses Konzept weiterführte.
Bis heute ist die Beschäftigung und Versorgung von Tieren wie Hunden, Katzen,
Vögeln, aber auch von Nutztieren ein fester Bestandteil einer Therapie. Schon zur
damaligen Zeit sprach man von Bethel als einer „Institution ohne Mauern“, die für die
Kranken einen lebenswerten Lebensraum für eine ganzheitliche Heilung darstellte.
(vgl. Greiffenhagen 1993; Niepel 1998; Olbrich 2000)
„Convalescent Hospital“
1942 wurde in New York das Army Air Force Convalescent Hospital gegründet, das
aus dem Krieg heimgekehrten traumatisierten Soldaten Möglichkeiten für die
Aufarbeitung ihrer Kriegserlebnisse bot. Das Zusammenleben mit den Tieren und
deren Versorgung war ebenso Teil der Therapie wie andere wissenschaftlich
anerkannte Therapieformen. (vgl. Greiffenhagen 1993; Niepel 1998; Olbrich 2000)
Aus diesen und früheren tiergestützten Therapieformen sind leider keine
wissenschaftlichen Aufzeichnungen über Erfolge und Wirkungen der Tiere auf die
Kranken entstanden. In der Psychoanalyse beschäftigte man sich zwar schon lange
Zeit mit dem Tier in Träumen und Phantasien, aber meist wurde dies nur als Ausdruck
von Perversionen und Phobien gedeutet. Dass jedoch das Tier auch Freund und
Gefährte des Menschen sein kann, wurde meist nur beiläufig in einzelnen Fallberichten
erwähnt - „Bruno Bettelheim berichtet in seinem Buch „Love is not enough“ von einem
psychisch gestörten Kind, das zum ersten Mal Zeichen von Zuneigung gab, als es im
Park ein Eichhörnchen sah“ (Greiffenhagen 1993, S.24). Erst in den letzten Jahren, in
denen ein großes Interesse an Alternativtherapien entstanden ist, bemüht man sich
dem schon längst Bekannten eine wissenschaftliche Grundlage zu geben. (vgl. Beck
2000; Greiffenhagen 1993; Niepel 1998; Olbrich 2000)
2.2.2 Erste wissenschaftliche Grundlagen
Die historischen Beispiele für den Einsatz von Tieren in therapeutischen Maßnahmen
zeigen zwar, dass die Wertschätzung der Mensch-Tier-Beziehung schon lange
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zurückreicht, aber um die Wirkungen effektiv und gezielt nutzten zu können, ist eine
empirische und wissenschaftliche Herangehensweise an das Thema von
grundlegender Bedeutung für seine Entwicklung. Im Folgenden werden die wichtigsten
Wegbereiter der heutigen Forschung zur Mensch-Tier-Beziehung dargestellt. Nur auf
deren Grundlage konnte die heutige Akzeptanz des Tieres in therapeutischen
Konzepten und in der tiergestützten Begleitung erreicht werden.
Tiere als Katalysator für menschliche Interaktionen in der Kindertherapie (B.
Levinson 1969)
Erste Erkenntnisse aus dem 20. Jahrhundert über die positive Wirkung von Tieren
waren eher Zufallsentdeckungen. Ein solcher Bericht, der eigentlich der Wegbereiter
für die heutigen Therapieformen ist, wurde 1969 von dem amerikanischen
Kindertherapeuten Boris M. Levinson - Mitbegründer des Vereins Delta Society -
verfasst. Er behandelte in seiner Praxis vor allem verhaltensgestörte Kinder. Doch
nicht Levinson, sondern eigentlich sein Hund „Jingles“, eine mittelgroße, struppige
Promenadenmischung, hätte, wie es Kusztrich in ihrem Buch „Haustiere helfen heilen“
treffend beschreibt, den Nobelpreis für seine Arbeit verdient. Besonders anschaulich
wird die Wirkung von Jingles in einem Fallbericht in Greiffenhagens Buch „Tiere in der
Therapie“ beschrieben, der an dieser Stelle zitiert werden soll.
Es ist jetzt acht Jahre her, als ein Junge, der über Jahre ohne Erfolg von anderen Therapeuten behandelt worden war von seinen verzweifelten Eltern zu mir gebracht wurde. Weil dieses Kind sich immer weiter in sich zurückzog, hatte man den Eltern die Unterbringung in einem Heim für psychisch gestörte Kinder angeraten. Ich zögerte sehr, den Fall zu übernehmen, aber ich stimmte immerhin zu, das Kind für ein diagnostisches Gespräch zu mir zu bitten. Wie der glückliche Zufall es wollte, kamen die verstörten Eltern mit ihrem Kind eine Stunde zu früh zum Termin. Ich saß vertieft in meiner Arbeit am Schreibtisch. Mein Hund lag zu meinen Füßen wie immer, wenn keine Patienten da waren. Ich empfing die Familie sofort und vergaß meinen Hund. Der lief, ohne zu zögern, auf das Kind zu, begrüßte es stürmisch und leckte ihm das Gesicht. Zu meiner Überraschung zeigte das Kind keine Angst, sondern kuschelte sich eng an den Hund und streichelte ihn. Die Eltern versuchten die beiden zu trennen, aber ich gab ihnen ein Zeichen, das Kind in Ruhe zu lassen. Nach einiger Zeit fragte das Kind, ob der Hund mit allen Kindern spielen dürfe, die zu mir kämen. Als ich ja sagte, meinte der Junge, dann wolle er auch wiederkommen und mit dem Hund spielen. (Greiffenhagen 1993, S.169)
Durch den Hund waren gleich in der ersten Sitzung die Schwierigkeiten des Jungen,
mit seiner Umwelt in Kontakt zu treten, gebrochen worden, denn anscheinend fiel ihm
die Kontaktaufnahme mit dem Hund wesentlich leichter als mit ihm unbekannten
Menschen. Der Hund bildete eine Art „Kontaktbrücke“ (Niepel 1998, S.14) vom Patient
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zum Therapeut. - Diese Wirkung wird noch in Abschnitt 3.2.3 als „sozialer Katalysator“
beschrieben. - In den nachfolgenden Sitzungen spielte der Junge mit Jingles und
entwickelte völliges Vertrauen zu dem Tier. Dieses übertrug er bald auch auf Levinson.
Dieses Vertrauen und die Zugänglichkeit wurden zur Grundlage der weiteren
konventionellen Therapie. So konnte der Junge trotz der anfänglichen
Hoffnungslosigkeit geheilt werden. Gerade in diesem Beispiel wird besonders deutlich,
dass nicht der Hund der eigentliche Therapeut ist, er könnte auch nicht durch
Ausbildung und Training dazu erzogen werden. Er kann den Therapeuten nur
begleiten, unterstützen und die konventionellen Therapiemethoden ergänzen.
Nach dieser Erfahrung setzte Levinson nun auch bei seinen anderen Patienten Jingles
als „Eisbrecher“ ein und erreichte so, dass sich die Kinder ihm mehr als je zuvor
öffneten, ihre Reserviertheit und Feindseeligkeit ihm gegenüber aufgaben. Doch
Levinson wies auch darauf hin, dass Tiere nicht nur auf psychisch labile Kinder,
sondern auch auf eine gesunde emotionale Entwicklung im Kindesalter positive
Auswirkungen haben kann. Darauf wird in Abschnitt 4.1 noch genauer eingegangen.
Pets decrease alienation by providing communication with nature – contact, comfort, and companionship. Pets may play a crucial role in a child’s emotional development and about mental illness, particularly in homes devoid of affection and emotional security. The pet may thus become the touchstone with which the child approaches himself and reality. Love for the pet creates a relationship of mutual trust and confidence while building a bridge to the bridge to the future and to greater self-awareness. (Fine 2000; S.xxxii)
Nach diesen und anderen Beobachtungen veröffentlichte Levinson seine Erkenntnisse
über die unterstützende Wirkung von Tieren im Therapieprozess in verschiedenen
Büchern. Diese gehören auch heute noch zu den Standardwerken für die tiergestützte
Therapie und weckten damals erstes öffentliches Interesse an dieser Therapieform, die
er als „Pet Therapy“ - „Haustier Therapie – die Heilung durch Haustiere“ – bezeichnete.
Neu an dieser Therapie war eigentlich nur die explizite Benennung und eine genaue
Dokumentation der Beobachtungen. Der unbewusste Einsatz von Tieren in der
Therapie ist, wie die oben angeführten Beispiele zeigen (Abschnitt 2.2.1), schon seit
Jahrhunderten bekannt. Doch als „Pionier“ auf diesem Gebiet wurde Levinson mit
seinen Erkenntnissen von der Fachwelt nur belächelt. Die Kritik und der Spott, die ihm
und anderen Pionieren entgegengebracht wurden, drückt folgendes Zitat aus.
However, his promotion of “pet-therapy” or “pet-oriented child psychotherapy” or “human/ companion animal therapy” (all terms that he coined for his work) was met with cynicism and disdain by many colleagues. It was reported that one member of a professional audience to which Levinson presented his thesis asked: ‘Do you share your fee with the dog?’ (Fine 2000; S.xxviii)
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Eigentlich hatte durch Levinson Ende der 70er Jahre die „wissenschaftliche“
Beschäftigung auf diesem Gebiet begonnen. Doch relativ bald zeichneten sich die
Versäumnisse der Anfangszeiten ab. 1984 veröffentlichten Aaron Katcher und Alan
Beck einen kritischen Bericht über den Forschungsstand zum Thema. Ihre Kritikpunkte
waren eindeutig.
The contribution by Levinson and those of other pioneers were based on observations and case studies rather than on designed experiments. Their work provides evidence justifying serious scientific exploration of the ability of pets to facilitate more conventional therapy, not evidence demonstrating a therapeutic effect of animals. (Fine 2000; S.xxxix)
Bei ihren Recherchen fanden sie z.B. nur sechs Studien zum Thema, die zum
Nachweis der therapeutischen Effekte von Tieren eine Kontrollgruppe verwendeten.
(vgl. Fine 2000; Greiffenhagen 1993; Kusztrich 1992)
„Das Begonien-Wellensittichexperiment“ (Mugford und M´Comisky; 1975)
Eine dieser Studien, die Beck und Katcher 1984 in ihrem Bericht vorstellten, war die
Untersuchung von Mugford und M’Comisky. Ziel des Versuchs war, die
psychotherapeutische Wirkung der Sorge um einen Wellensittich im Vergleich zu einer
Topfpflanze oder eines Fernsehers festzustellen. Dazu wurden 30 alleinlebende
Senioren im Alter von 75 bis 81 Jahren in fünf Gruppen eingeteilt. Alle besaßen vor
dem Versuch keine Haustiere. Die Gruppeneinteilung wurde wie folgt vorgenommen
(Tabelle 2-1).
+ vorhanden - nicht vorhanden
Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4 Gruppe 5
Wellensittich + + - - -
Pflanze - - + + -
Fernseher + - + - + oder -
Tabelle 2-1: Gruppeneinteilung für die Studie von Mugford und M´Comisky (1975)
Die Gruppen 1 und 2 erhielten entweder nur einen Wellensittich zur Pflege oder
zusätzlich einen Fernseher. Die Gruppen 3 und 4 sollten entweder nur für eine Begonie
sorgen oder erhielten zusätzlich einen Fernseher. Gruppe 5 galt als Kontrollgruppe, in
der einige einen Fernseher erhielten, aber weder einen Wellensittich noch eine
Begonie. Vor Beginn der Studie wurden alle Teilnehmer mit Hilfe eines sehr langen
Fragebogens ausführlich befragt. Dabei wurde die Einstellung zu sich selbst und zu
anderen Menschen erhoben. Die Studie wurde über 5 Monate durchgeführt.
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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Währenddessen wurden die Leute immer wieder von Sozialarbeitern besucht und über
ihre Erfahrungen befragt. Bei der abschließenden Befragung gelangte man zu
signifikanten Ergebnissen (Abbildung 2-1), die die Forschung zur Mensch-Tier-
Beziehung erheblich beeinflussten. Die wichtigsten Ergebnisse waren:
• Die Präsenz oder das Fehlen eines Fernsehers wirkte sich nicht auf die
Beantwortung der Fragen aus.
• Die Begonien veränderten die Einstellung zu sich oder zu anderen Menschen
kaum. Gruppe 3 und 4 unterschied sich kaum von den Ergebnissen der
Kontrollgruppe.
• Die Wellensittiche beeinflussten die Einstellung der Gruppe 1 und 2 enorm. Sie
beschrieben sich selbst als glücklicher und gesünder. Auch die sozialen
Kontakte hatten sich verändert. Sie hatten mehr Kontakte zu ihren Nachbarn,
Freunden und Bekannten. Die Tiere bekamen „Eisbrecherfunktion“ (Abschnitt
2.2.2), lieferten einen unverfänglichen Gesprächsanlass und förderten sogar
generationsübergreifend Kontakte als „social lubrican“ (Abschnitt 3.2.3).
Abbildung 2-1: Zusammenfassung der Änderungen ... in den ersten fünf Monaten zwischen der ersten und letzten Befragung (Mugford/ M´Comisky 1975; S.60)
Nach weiteren 1 ½ Jahren wurden die Teilnehmer erneut befragt. Es konnte eine
Stabilisierung dieser Ergebnisse gefunden werden. Alle Personen aus Gruppe 1 und 2
hatten den Vogel behalten und ihre psychische und soziale Einstellung war stabil
geblieben. (vgl. Greiffenhagen 1993; Kusztrich 1992; Mugford/M´Comisky 1975)
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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Tiere in der psychotherapeutischen Klinik (Samuel und Elisabeth Corson; 1977)
Weitere empirische Belege stützten in der Anfangszeit die Vermutungen, dass Tiere
erheblichen Einfluss auf den Menschen nehmen können. Im Auftrag der Ohio State
University führten Sam und Elisabeth Corson die erste Studie in einer therapeutischen
Institution durch. Als Antwort auf die Kritik des „Zufallscharakters“ der ersten Studien
suchten sie nach einer entsprechenden Kontrollmöglichkeit ihrer Ergebnisse. Aus
diesem Grund entschieden sie sich, mit Patienten einer psychiatrischen Klinik zu
arbeiten, die bisher auf keine traditionelle Therapieform angesprochen hatten. Dies
begründeten sie folgendermaßen:
Since nothing had proven useful, any intervention that did improve the situation could be considered effective. By comparing ineffective therapies with animals, the patients served as their own controls. (Beck 2000; S.24)
In die Studie wurden 50 extrem verhaltensgestörte Patienten einbezogen, denen – je
nach Verfassung – Kontakte zu Hunden, die in Zwingern im Außenbereich der Klinik
lebten, ermöglicht wurden. 47 der 50 Patienten akzeptierten die Tiere. Über einen
Zeitraum von sechs Monaten wurde ihr Verhalten genau registriert. So oft es möglich
war, wurden diese Begegnungen mit Videokameras für eine spätere genaue Analyse
aufgezeichnet. Die Ergebnisse sprechen für sich:
• ... most of the patients became less withdrawn, answering a therapist’s questions sooner and more fully. Subjectively, the patients appeared happier… . (Beck 2000; S.24)
• This assumption of responsibility for the safety and care of the dogs serves to develop self-confidence in the patients and gradually transformed them from irresponsible, dependant psychologic invalids into self-respecting individuals. (Corson et al. 1977; S.65)
Fast zeitgleich verfasste Marina Doyles einen Aufsatz „Ein Kaninchen auf Rezept“, der
die positive Wirkung eines Kaninchens in einer psychiatrischen Klinik empirisch
bewies. Durch die Anwesenheit des Tieres wurde die Atmosphäre entspannter, es gab
mehr Gespräche und die Patienten bauten eine Beziehung zum Tier auf, welche
zugleich „eine Brücke zur äußeren Realität“ war. (vgl. Beck 2000; Corson 1977;
Greiffenhagen 1993; Kusztrich 1992)
Tiere erhöhen die Überlebenschancen nach einem Herzinfarkt (Friedmann,
Katcher, Lynch und Thomas; 1980)
Eine weitere, auch heute noch viel zitierte Untersuchung ist die Arbeit von Friedmann,
Katcher, Lynch und Thomas.
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The first report in a recognized medical journal, indicating that animal ownership may have actual therapeutic value came nearly two decades ago. Pet owners experienced increased 1-year survival after discharge from a coronary unit than nonowners. The effect was small but statistically significant. (Serpell 2000; S.23)
Der Zusammenhang zwischen Tierbesitz und seinem Einfluss auf den Heilungsprozess
von Herzpatienten wurde mehr oder weniger zufällig entdeckt. Erika Friedmann führte
im Rahmen ihrer Promotion Erhebungen bei 96 Patienten, die einen Herzinfarkt erlitten
hatten oder an einer Angina pectoris erkrankt waren, durch. Ziel der Arbeit war,
Faktoren zu ermitteln, die über Leben und Sterben der herzkranken Patienten nach der
Entlassung aus dem Krankenhaus entschieden. Einige mögliche Ursachen, wie Stress,
familiäre Umstände, veränderte Lebenssituationen, seelische Ursachen usw. kannte
man bereits. Erika Friedmann widmete sich bei ihrer Erhebung besonders zwei
Parametern: Der sozialen Isolation und dem Nutzen von Kontakten und Partnerschaft
für eine Genesung der Infarktpatienten. Nach zahlreichen Erhebungen wurden im
Computer die Korrelationen der verschiedensten Parameter für bessere
Überlebenschancen berechnet. Dabei zeichnete sich im Ergebnis ab, dass viele der
typischen Risikopatienten überlebt hatten und wie der Computer errechnete, besaßen
die meisten davon ein Haustier. Dabei spielte es keine Rolle, um welches Tier es sich
dabei handelt.
Only 5,7% of the 53 pet owners compared with 28,2% of the 39 patients who did not own pets died within 1 year of discharge from a coronary care unit (p > .05). The effekt of pet ownership on survival was independent of the severity of the cardiovascular disease. (Friedmann 2000; S.42)
0%
20%
40%
60%
80%
100%
120%
Üb
erle
ben
srat
e n
ach
1 J
ahr
(%)
Haustierbesitzer
Nicht-Haustierbesitzer
Nicht-Hundebesitzer
Abbildung 2-2: Vergleich der Überlebensraten von Herzpatienten nach einem Jahr zwischen Haustierbesitzern, Nicht-Haustierbesitzern und Nicht-Hundebesitzern (vgl. Friedmann 1995)
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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Um auszuschließen, dass die besseren Überlebenschancen auf die zusätzliche
Bewegung der Hundehalter zurückzuführen sind, differenzierte man in weiteren
Berechnungen die Hundehalter von den Besitzern anderer Tiere (Abbildung 2-2). Aber
auch dies konnte das Ergebnis nicht wesentlich ändern. Kein Tierhalter, der ein
Haustier, aber keinen Hund besaß, war in diesem ersten Jahr verstorben.
Mit diesem Ergebnis hatte keiner gerechnet und alle Zweifel, dass es sich hierbei nur
um Zufälle handelte, konnten durch weitere Berechnungen ausgeräumt werden.
Daraufhin verfasste Erika Friedmann eine Aufsehen erregende Doktorarbeit mit der
These:
Es gibt viele Gründe, die ein infarktgeschädigtes Herz gesunden oder versagen lassen. Aber von der Anwesenheit eines Tieres im Haushalt geht der günstigste Einfluß auf die Genesungs- und Überlebenschancen Herzkranker im ersten Jahr nach dem Krankenhausaufenthalt aus – ganz egal, wie schwer die Erkrankung war, wodurch sie ausgelöst wurde, welcher Gesellschaftsschicht der Betroffene angehört, wie seine medizinische Bildung ist und so fort. (Kusztrich 1992; S.15)
Aufsehend erregend war diese Doktorarbeit allerdings weniger wegen der neu
entdeckten Zusammenhänge zwischen Haustier und Genesungsprozess, sondern eher
wegen der Kritik, der Ablehnung und den Zweifeln, die ihr entgegengebracht wurden.
Nicht nur Chirurgen und Professoren der Medizin, sondern auch Pharmakonzerne und
Marketingstrategen sahen darin nur Geschäft mit wenig Profit. Außerdem war Erika
Friedmann „nur“ eine Soziologin und ihre Arbeit keine medizinische Dissertation. Der
größte Kritikpunkt war, dass man den treuen Blick der Hundaugen keinesfalls mit der
Königsdisziplin der Medizin auf eine Stufe stellen wollte. (vgl. Friedmann 2000;
Kusztrich 1992; Serpell 2000)
Diese und andere Studien regten die Wissenschaft an, sich intensiver mit der Frage zu
beschäftigen, warum und wodurch Tiere eine so positive Wirkung auf den Körper und
den Geist des Menschen haben konnten. Ende der 70er Jahre gründeten Mediziner,
Psychologen, Gerontologen, Psychotherapeuten und Verhaltensforscher aus den USA
und England eine Organisation, - die „Human Animal Companion Bond“ - die die
Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung zur Aufgabe hat. (vgl. Greiffenhagen 1993)
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
37
2.2.3 Forschungsstand heute
Inzwischen existiert die „Human Animal Companion Bond“ auch als
grenzüberschreitende Organisation. Die „International Association of Human-Animal-
Interaction-Organizations“ (IAHAIO) ist der internationalen Dachverband aller
Organisationen, die sich mit der Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung beschäftigen
und den Einsatz von Tieren in unterschiedlichen Zielgruppen erforschen. Inzwischen
melden sich auch für die in regelmäßigen Abständen stattfindende Konferenz zum
Thema: „Tiere, Gesundheit und Lebensqualität“ immer mehr Referenten aus dem west-
und osteuropäischen In- und Ausland. Sämtliche Organisationen, wie die „Delta
Society“ in den USA, die „Society for Companion Animal Studies“ in England, die
„AFIRAC“ in Frankreich und in Deutschland der „Forschungskreis Heimtiere in der
Gesellschaft“, um nur einige zu nennen, versuchen durch immer neue Studien,
Vorträge und Publikationen, den Wert von Tieren für das geistige, körperliche und
emotionale Wohlbefinden des Menschen zu verdeutlichen. Die Akzeptanz der
Wirkungen der Mensch-Tier-Beziehung verbessert sich mit ihrer systematischen
Erforschung. Doch gerade von dort und von Vertretern der konventionellen
Therapiemethoden kommt immer noch Ablehnung. Dies verdeutlicht folgendes Zitat:
Leisten kann sich dieses Thema eigentlich nur, wer keine Forschungskarriere anstrebt – oder wer sein Ziel schon erreicht hat und sich dieses Themas (neben anderen, wichtigeren) eher als eines Steckenpferdes annimmt. (Beetz 2000; S.9)
Die Schwierigkeiten entstehen aber auch durch die Herangehensweise an das Thema
in Deutschland.
Insgesamt dominieren im deutschen Sprachraum gegenwärtig noch immer die individuellen Handlungsansätze, mit der Konsequenz mangelnder Informationsweitergabe, mangelnden fachlichen Austausch, mangelnder Bündelung von Ressourcen und Potentialen, in der Folge auch einer entsprechend geringen politischen Durchsetzungskraft. Erst in jüngerer Zeit gibt es gemeinsame Symposien, die den fachlichen Austausch in Gang setzen wollen. (Beetz 2000; S.9)
Dieser Austausch ist grundlegend, um die bisherigen Informationen und
Studienergebnisse bündeln und darauf aufbauend neue Projekte planen zu können.
Ansonsten werden auch in Zukunft öffentliche Mittel kaum bewilligt werden. Hierfür
muss weiterhin noch viel geleistet werden.
Die Integration von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Mensch-Tier-Beziehungs-Forschung in den aktuellen Diskurs der jeweiligen Fachöffentlichkeit ist in Deutschland bisher nur in Teilen gelungen, am ehesten auf dem Feld der Altenhilfe. (Beetz 2000; S.9)
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
38
Ein erster Schritt ist allerdings schon getan und zunehmende Erfolge, vor allem in der
Arbeit des Vereins „Tiere helfen Menschen“, werden einen großen Beitrag zur
Entwicklung auf diesem Gebiet leisten. Die Forschung auf den verschiedensten
Gebieten ist bereits angelaufen, doch ein wichtiges Ziel ist, die Interdisziplinarität der
Ansätze zu erreichen. Dazu gehören Disziplinen wie Psychologie, Philosophie,
Theologie, Soziologie, Anthropologie, Ethnologie, menschliche und
Tierverhaltensforschung, Volkskunde, Kulturgeschichte, Gerontologie, Pädagogik,
Sonder- und Sozialpädagogik, Biologie, Zoologie, Tiermedizin, Humanmedizin,
Psychiatrie, Gerontologie, Geriatrie, öffentliches Gesundheitswesen,
Krankenhaushygiene, Pharmakologie, Neuropsychopharmakologie, Verhaltenskunde,
Veterinärmedizin, Tierschutz usw. Um auf einigen dieser Sachgebiete schon
bestehende Projekte zu fördern, soll laut dem Präsidenten des IAHAIO in der Schweiz
bald die erste berufsbegleitende Weiterbildung in tiergestützter Therapie für Ärzte,
Psychiater, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter in Europa angeboten werden. Auch
hier in Deutschland bietet das „Institut für soziales Lernen mit Tieren“ seit März 2001
eine berufsbegleitende Weiterbildung in „Tiergestützter Pädagogik/ Tiergestützter
Therapie“ an, die sich vor allem an Interessierte aus dem pädagogischen,
erzieherischen und sozialen Bereich richtet. (vgl. Beetz 2000; Greiffenhagen 1993;
Niepel 1998; Soziales Lernen... 31.07.2002)
Diese neue Basis, in Form einer übergreifenden Institution und einer
Berufsweiterbildung für tiergestützte Projekte, ist unbedingt notwendig, da die ersten
zwei Jahrzehnte tiergestützter Therapie - bis auf die eben beschriebenen
Forschungsansätze in Abschnitt 2.2.2 - eher unprofessionelle Versuche waren.
Im Mittelpunkt standen stets die Menschen, denen geholfen werden sollte, die Tiere waren allein ein Mittel zum Zweck, das ausgetauscht werden konnte, wenn es eben diesen Zweck nicht zufriedenstellend erfüllte. ...die Entscheidung darüber, welche Tiere man einsetzte, [beruhte] häufig weniger auf gezielten Überlegungen hinsichtlich einer Passung zwischen Tier und dem Klienten oder Patienten, bei welchem das Tier zum Einsatz kommen sollte, sondern vielmehr auf räumlichen, organisatorischen, finanziellen und/ oder personellen Gegebenheiten. (Niepel 1998; S.60)
Vor allem im angloamerikanischen Raum hat sich in den letzten 25 Jahren vieles
gebessert und die Auswahl der Tiere wird besser überlegt und geplant. Die
entsprechenden Therapiekonzepte werden auf die Bedürfnisse des Patienten
zugeschnitten. Besonders beim Einsatz von Hunden, gibt es immer mehr Richtlinien
und für Therapiehunde, sogar eine anerkannte Prüfung. Doch Deutschland hinkt
anderen Ländern wie USA; Großbritannien, Australien, Kanada und den Niederlanden
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
39
in Theorie und Praxis hinterher. Es ist immer noch keine ausreichend
zufriedenstellende Grundlage für die tiergestützte Therapie geschaffen.
Zum einen herrscht ein Mangel an klar durchstrukturierten Arbeitskonzepten, in denen das Fachwissen verschiedenster Professionen gebündelt wird zu eindeutigen Handlungsanleitungen für den Einsatz von Tieren/Hunden in den je spezifischen Institutionen mit je spezifischen Klientel. ... Zum anderen [werden] ethische und tierschutzrechtliche Fragen nicht nur nicht beantwortet, sondern meist erst gar nicht gestellt. (Niepel 1998; S.71)
Weiter kritisiert Niepel in ihrem Buch „Mein Hund hält mich gesund“.
Doch bislang findet kein Erfahrungsaustausch, keine Zusammenarbeit statt, häufig allein deswegen, weil man einfach nichts voneinander weiß. (Niepel 1998; S.81)
Der Austausch und die Öffentlichkeitsarbeit für die Erfolge und Erfahrungen der
tiergestützten Begleitung in den verschiedensten Bereichen wird in Deutschland vor
allem durch drei große Vereine geleistet: „Tiere helfen Menschen“, „Leben mit Tieren“,
„Therapiehunde Deutschland“. Der Verein „Tiere helfen Menschen“ wird in Abschnitt
5.1 noch ausführlicher vorgestellt. (vgl. Kusztrich 1992; Niepel 1998)
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
40
Übersicht 2-2: Meilensteine der tiergestützten Therapie
2.3 Tiergestützte Therapieprojekte
In den vorangegangenen Abschnitten wurden verschiedene Arten tiergestützter
therapeutischer Maßnahmen vorgestellt. Wie das Konzept der AAA zeigt, muss ein
Hund nicht erst durch einen geschulte Therapeuten eingesetzt werden, damit ein
Patient von der Mensch-Tier-Begegnung profitieren kann. Im allgemeinen
Sprachgebrauch werden aber alle Maßnahmen, in denen Menschen von der
Begegnung mit einem Tier profitieren sollen, unter Schlagworten wie „Tiere als Co-
Therapeuten“, „Tiere in der therapeutischen Begleitung“, „Tiere als Therapie“
zusammengefasst.
Meilensteine der tiergestützten Tiertherapie
1792 Gründung der Heilanstalt „York retreat“ in England: Versorgung von Kleintieren war im Tagesablauf integriert.
19. Jhd Gründung der Heilanstalt Bethel bei Bielefeld: Beschäftigung mit Kleintieren fester Bestandteil der Therapien.
1942 Gründung des Convalescent Hospital in New York; USA: Erholungsanstalt für kriegstraumatisierte Soldaten.
1969 Der amerikanische Kindertherapeut Boris M. Levinson verfasst Berichte über seine Therapieergebnisse mit seinem Hund; führt den Begriff der „Pet Therapy“ ein.
70er Jahre „Human Animal Companion Bond“ zur Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung wird gegründet.
80er Jahre „Human Animal Companion Bond“ wird zur grenzüberschreitenden Organisation IAHAIO (“International Association of Human-Animal-Interaction-Organizations“).
2001 „Institut für soziales Lernen“ bietet berufsbegleitende Weiterbildung für „tiergestützte Pädagogik“ und „tiergestützte Therapie“ an.
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
41
2.3.1 Wirkfaktoren der tiergestützten Therapie
Ein ganz normaler Haushund kann auf seinen Besitzer durchaus therapeutische
Wirkungen haben, nur Herrchen muss nicht erst zum „Psychiater“, damit „Bello“ wirkt.
Die angesprochenen positiven Wirkungen des Hundes treten in diesem Fall eher
unbewusst ein und werden durch das Zusammenleben mit dem Hund meist nicht
beabsichtigt, aber dennoch impliziert. Dies wird Abschnitt 3.2 zeigen, denn die
Interviews mit Hundebesitzern zeigen deutlich, dass die Leute im Zusammenleben mit
ihrem Hund die Wirkungen auf Körper, Geist und soziales Umfeld einschätzen
konnten, doch diese waren nicht der Grund für die Anschaffung des Hundes gewesen.
Prinzipiell geht es beim tiergestützten Helfen und Heilen darum, dass jeder Mensch
aus der Begegnung mit dem Tier die individuell erlebten positiven Einflüsse für sich
nutzbar macht. Dazu Greiffenhagen:
Tiergestütztes Helfen und Heilen bedeutet eine neue und vermutlich die intensivste Stufe tierischer Domestikation: Tiere sollen nicht nur für diese oder jene Funktion im Dienste des Menschen abgerichtet werden, sondern durch ihre bloße Existenz selbst hilfreich sein. (Greiffenhagen 1993; S.22)
Darüber hinaus können besonders in therapeutischen Settings wie Psychotherapien,
Ergotherapien, Autismustherapien o.ä. die Tiere neben den individuell erlebten
Wirkungen auch als Brücke zwischen Therapeut und Patient auftreten. Sie entspannen
die Situation und helfen, Ängste abzubauen.
Die beruhigende Wirkung von Tieren lässt sich aus der schon vorhin angesprochenen
Biophilie-Hypothese (Abschnitt 1.1) ableiten. Der Mensch kann und konnte in der
Evolution schon immer aus dem Verhalten eines Tieres Informationen über seine
Umwelt ableiten und einschätzen, ob er der Situation trauen kann oder nicht. Da Tiere
wesentlich besser ausgebildete Sinne besitzen, würden sie sich einer bedrohlichen
Situation entziehen. Aus diesem Grund kann sich ein Mensch in der Gegenwart eines
ruhigen und ungestörten Tieres – auch heute noch – in Sicherheit wiegen. Wie sich in
späteren Ausführungen zeigen wird, vermitteln Tiere nicht nur Entspannung, sondern
beeinflussen auch die Psyche und das soziale Verhalten.
Das Ehepaar Corson (Abschnitt 2.2.2) erklärte die positiven psychischen und sozialen
Effekte von Tieren folgendermaßen:
Im Grunde geht es bei der tiergestützten Therapie darum, ein unbedrohliches, liebevolles Heimtier als Katalysator für die Entwicklung adaptiver und zufriedenstellender sozialer Interaktionen einzuführen. Der Patient setzt sich häufig durch nonverbale und taktile Interaktionen positiv in eine Beziehung zum Tier. Dieser Kreis sozialer Interaktionen weitet sich dann allmählich aus... Die
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
42
anfänglich nonverbalen Formen der Interaktion werden nach und nach bereichert und verstärkt durch verbale Kommunikation und den gesundem Ausdruck von Gefühl und Wärme. (Corson 1975, zit. n. Olbrich 2001, S.24)
(vgl. Greiffenhagen 1993; Niepel 1998; Olbrich 2001; Otterstedt 2000; Thor
31.07.2002)
Allerdings können Tiere in Psychotherapie nur dort auftauchen, wo auch nicht rational
fassbare Prozesse anerkannt werden, denn die Wirkungen des Tieres sind eher auf
emotionaler Ebene anzusiedeln, werden individuell erlebt und eine physiologisch-
medizinische Wirkung lässt sich schwer nachweisen. Dass unter bestimmten
Voraussetzungen eine Wirksamkeit der Mensch-Tier-Beziehung sichtbar ist, wird in
sehr zahlreichen Erfolgsberichten von Therapeuten beschrieben. Die Basis für eine
tiergestützte Psychotherapie kann daher das Erleben einer tiefen Verbundenheit
zwischen Mensch und Tier sein. Diese Verbundenheit erlaubt eine analoge
Kommunikation. Heilsam kann in dieser Konstellation die Erfahrung von Verbundenheit
wirken, da im Alltag Kommunikation fast ausschließlich auf digitaler Ebene abläuft.
Eine tiergestützte Therapie setzt nach Olbrich daher auf:
• Integration von analoger und digitaler Kommunikation,
• die Verbindungen der Person zu Menschen und Tieren,
• die Verbindung der Kommunikation zwischen Lebewesen mit der
Kommunikation „innerhalb“ der Person – also der Verbindung von Emotion
und Kognition und
• Integration von Prozessen, die auf unterschiedlichen Schichten der Person
ablaufen.
Neben der therapeutischen Wirksamkeit sollte ein weiterer Effekt eines Tieres, vor
allem in psychosozialen Berufen, nicht unterschätzt werden. Die bedingungslose
Annahme, die der Mensch durch das Tier erlebt, ist auf den Aschenputtel-Effekt
zurückzuführen. Darunter versteht man die Tatsache, dass Tiere keine Scheu vor
Krankheiten kennen und Betroffene auch nicht mit unerwünschtem oder falschem
Mitleid überschütten. Da ihre Botschaften nur über die analoge Ebene laufen können,
sind sie absolut echt. Diese Kontakte vermitteln dem Menschen Sicherheit und werden
als echt und entspannend empfunden. Tiere unterscheiden sich in ihrer
Kommunikation vom Menschen und sprechen andere Schichten der Persönlichkeit an.
Da ihre gesendeten Signale eindeutig sind, können keine double-bind-Botschaften
entstehen (Abschnitt 1.4.1). Dagegen reagieren vor allem Menschen in sozialen und
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
43
medizinischen Berufen, die durch die ständige Erfahrung von Leid und der eigenen
Hilflosigkeit abgestumpft sind, oftmals mit negativen Emotionen. Selbst Menschen mit
bester Ausbildung und besten Absichten senden bei ihrer Arbeit Signale an den
Kranken, die verraten, wenn ihnen die Arbeit zu viel oder zu belastend wird oder
zeigen, was in ihrem Inneren vorgeht. Olbrich erklärt diese Reaktionen
folgendermaßen:
Vielleicht ist das Ausweichen des Menschen angesichts des Leids anderer biologisch programmiert, da das Beobachten des Leidens eines Mitlebewesens zur Erfahrung eigenen Schmerzes führt, den man abblocken will, indem man diese Erfahrung erst gar nicht an sich herankommen läßt. (Niepel 1998; S.92)
(vgl. Niepel 1998; Olbrich 2001; Otterstedt 2000)
Die Vorteile eines Einsatzes von Tieren in therapeutischen Maßnahmen lassen sich
wie folgt zusammenfassen:
Tiere akzeptieren den Menschen so wie er ist.
Tiere können nicht hinter die oft dramatischen Lebensgeschichten der
Menschen schauen. Sie leben und genießen den Augenblick und werden von
Gedanken über Vergangenheit und Zukunft nicht belastet.
Tiere erlauben Zärtlichkeit und Zuneigung. Bei Menschen herrscht hinsichtlich
offener Zärtlichkeit ein Tabu, vor allem im Verhältnis von Psychotherapeut und
Patient.
„Einen Hund zu umarmen und zu herzen stellt keinen Tabubruch dar, Körperlichkeit kann zugelassen werden.“ (Niepel 1998; S.94)
Genauere Informationen zu den einzelnen Punkten werden im Verlauf der Arbeit an
entsprechender Stelle gegeben. (vgl. Greiffenhagen 1993; Kusztrich 1992; Niepel
1998; Olbrich 2001; Otterstedt 2000; Thor 31.07.2002)
2.3.2 Sind Hunde die besseren Therapeuten?
Wie die Erläuterungen zu den Wirkfaktoren gerade zeigen konnten, können Tiere,
sowohl in therapeutischen Maßnahmen, als auch im alltäglichen Umgang, eine
Bereicherung für den Menschen darstellen. „Der heilende Prozess erhält vor allem
Impulse durch einen non-verbalen Dialog zwischen Mensch und Tier“ (Otterstedt
2001a, S.117).
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
44
Dabei scheint Hunden, speziell im therapeutischen Feld, eine besondere Bedeutung
zuzukommen, da sie ein sehr ausgeprägtes körpersprachliches und soziales Verhalten
zeigen. Ihr variantenreiches Verhalten stimuliert den Menschen auf verschiedenste
Weise. Jede Verhaltensvariante, vom Ohrenspitzen, Schwanzstellung, Kopfhaltung bis
zum zärtlichen Stupsen mit der Nase, ermöglicht eine facettenreiche Kontaktaufnahme.
Außerdem haben sie ein weiches, kuscheliges, langes Fell, weshalb sie besonders gut
angenommen und gerne gestreichelt werden. Aber nicht immer muss das Tier die
aktive Rolle übernehmen. Sogar Welpen, die selbst noch auf Hilfe, Schutz und
Versorgung angewiesen sind, haben aufgrund ihrer Physiognomie (Kindchenschema,
die tollpatschigen Bewegungen und Hilflosigkeit) starke Wirkung auf den Menschen,
indem sie ihn oftmals zum Lachen bringen und die Hilflosigkeit ohne ihn deutlich
zeigen. Dies kann die oft angespannte Stimmung in einer Therapie ungeheuer
auflockern und Emotionen frei werden lassen. Ein Hund als Co-Therapeut oder ein
Besuchsdienst mit Hund ist eine sinnvolle Ergänzung für eine Therapie oder den
Heilungsprozess allgemein, er kann den menschlichen Therapeuten jedoch in keiner
Weise ersetzen. Aus diesem Grund wird in diesem Zusammenhang auf die Grenzen
der tiergestützten Therapie hingewiesen.
Hunde sind keine besseren Therapeuten - sie sind andere Therapeuten, die bestimmt Dinge leisten können, die wir Menschen nicht leisten können, auch nicht jene Menschen, die speziell für den Umgang mit anderen Menschen geschult sind. (Niepel 1998; S.92)
Daher warnt Niepel in ihrem Buch „Mein Hund hält mich gesund“:
Unter gar keinen Umstände darf in der tiergestützten Therapie ein Ansatz zur Kostendämpfung gesehen werden, indem die Arbeit des qualifizierten Fachpersonals zwischenzeitlich von ehrenamtlichen Helfern übernommen wird, die Patienten und Klienten mit ihren Tieren besuchen. (Niepel 1998; S.92)
Kritisiert wird heute vor allem, dass der „gesamte Einsatz von Hunden fast immer nur
unter der Perspektive ihres möglichen Nutzens für die Menschen gesehen worden ist“
(Niepel 1998; S.131). Doch die Frage, wie man die Bedürfnisse der Hunde gegenüber
solchen der Menschen wertet, ist schwer zu beantworten. Dazu Niepel:
Das Grundproblem des therapeutischen Einsatzes von Hunden liegt meiner Ansicht nach darin, dass er in der Regel von Menschen durchgeführt wird, die Fachleute auf dem Gebiet des Umgangs mit Menschen, bzw. auf jenem der medizinischen Versorgung sind, die sich aber mit Hunden nicht auskennen. (Niepel 1998; S.131) ...Der Einsatz von Hunden in der Therapie ist nur dann zu rechtfertigen, wenn auch sie davon profitieren, zumindest aber keinen Schaden nehmen. (Niepel 1998; S.137)
Es kommt klar heraus, dass hierbei die Verantwortung beim Menschen liegt. Um auf
die Bedürfnisse des Hundes eingehen zu können, sollten beim Einsatz als Co-
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
45
Therapeut, aber auch für das alltägliche Zusammenleben einige Regeln beachtet
werden. Diese werden in Abschnitt 2.4 bei den Anforderungen und der Ausbildung von
Service-, Assistenz-, Therapie- und Sozialhunden, aber auch in Abschnitt 3.1 für das
alltägliche Zusammenleben behandelt. Denn nur wenn die Beziehung zwischen
Mensch und Hund durch gegenseitiges Geben und Nehmen geprägt ist, kann der
Mensch positive Wirkungen der Mensch-Tier-Beziehung auf Körper, Psyche und Geist
erleben. (vgl. Greiffenhagen 1993; Niepel 1998)
2.3.3 Hygiene – ein Problem?
Im vorhergehenden Abschnitt wurden bereits die Grenzen von tiergestützten Projekten
angesprochen. Ein sehr kontrovers diskutierter Aspekt dabei ist die Frage der Hygiene.
Um den teilweise berechtigten Bedenken auf diesem Gebiet eine klare Grundlage zu
geben, beschäftigt sich der folgende Abschnitt sehr ausführlich mit dieser Problematik.
Das erste Argument, das gegen einen Einsatz von Tieren in therapeutischen
Maßnahmen oder auch in Institutionen angeführt wurde, war, dass ein Tier ein zu
hohes Infektionsrisiko darstelle und somit den Hygienevorschriften widerspreche.
Zahlreiche Aufsätze und auch Forschungsergebnisse zeigen heute, dass dieses Risiko
durchaus kalkulierbar und die Argumentation teilweise sehr übertrieben ist. So ist z.B.
ein Besucher im Krankenhaus oder der weiße Kittel des Arztes ein wesentlich höheres
Risiko für die Übertragung von Keimen als ein gesundes und gepflegtes Tier es sein
kann. Große Probleme bereitet hierbei die Rechtslage. Die Krankenhaushygiene ist in
der BRD durch das Bundesseuchengesetz (BSeuchG) und die Richtlinien für
Krankenhaushygiene und Infektionsprävention geregelt. Alle Bundesländer verfügen
darüber hinaus über spezifische Regelungen. Sie wurden primär für Krankenhäuser
verfasst, gelten aber auch für Pflege- und Altenheime, was teilweise die Durchsetzung
von Besuchsdiensten auch heute noch enorm behindert. Die Sorge um Infektionen der
Patienten in Altenheimen ist allerdings nur teilweise berechtigt. In den letzten Jahren ist
das Durchschnittsalter in Altenheimen, Pflegeheimen und Krankenhäusern immer
weiter gestiegen und damit auch die Anfälligkeit für die Grunderkrankungen im Alter,
wie Diabetes o.ä. Vor allem bei bettlägerigen Patienten kommt eine zunehmende
Abwehrschwäche hinzu, da sie kaum noch an die frische Luft kommen. Die
Wahrscheinlichkeit, dass das Tier auf den Menschen Krankheiten – sog.
Anthropozoonosen – überträgt, ist relativ gering, da es in Deutschland nur wenige
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
46
dieser Krankheiten gibt. Diese können Tabelle 2-2 entnommen werden. Die mit *
gekennzeichneten Krankheiten können aber ebenso durch Lebensmittel auf tierischer
Grundlage übertragen werden. Insgesamt ist das Infektionsrisiko bei einem gesunden
und gepflegten Tier, das artgerecht behandelt wird – man sollte den Hund z.B. nicht
auf die Schnauze küssen - sehr gering und sollte auf keinen Fall einen
Hinderungsgrund für den Einsatz von Tieren im therapeutischen Kontext sein. (vgl.
Niepel 1998; Schwarzkopf 2000)
Tabelle 2-2: Krankheiten, die ggf. von Tieren auf den Menschen übertragen werden können (vgl. Otterstedt 2001b; Schwarzkopf 2000)
Ein weiteres Argument vor allem gegen den Besuchsdienst in Kliniken sowie Alten-
und Pflegeheimen ist, dass die Tiere ein Verletzungsrisiko darstellen würden. Eine
Studie von Prof. Anderson in 284 Altenheimen mit 31.000 Bewohnern in den USA
konnte zeigen, dass auf die Hundehaltung im Heim nur 2 Unfälle in einem Jahr durch
Stürze über Hunde zurückzuführen waren. Daraus resultierten ein
Mittelhandknochenbruch und eine Schlüsselbeinfraktur. Wesentlich mehr Unfälle
passierten allein beim Aufstehen am Morgen oder beim Toilettengang. (vgl. Niepel
1998)
Krankheitsüberträger Tiere
Krankheitserreger Mögliche Krankheit
Schafe, Rind, Ziege, Schwein, Geflügel, Nagetiere, Hund (selten)
Listeria momozytogenes Listeriose*, Hirnhautentzündung*
Huftiere Brucellose
Milzbrandbazillus schwere Wundinfektionen
Hund, Hase, Katze, Kaninchen Pasteurella multocida
Hund, Katze
Salmonella spp. Campylobacter jejuni Cryptosporidium spp.
Giardia lamblia
Salmonellose* Diarrhoe*
v.a. Hund, Katze Ektoparasiten wie Zecke, Floh, Milben Borreliose, Meningitis
Ziervögel Mycobacterium avium Cryptococcus neoformans
Pneumonale und gastrointestinale Infektionen Meningitis
Pferde Rhodococcus equi Pneumonie Fische Mycobacterium marinum Kutane Granulomatose
Hund Leptospirose Tollwut spielt kaum noch Rolle, Staupe
Hund, Katze, Kaninchen Pasteurella meltocida Wundinfektion
verschiedene Tiere enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC), Campylobacter
Darmerkrankungen Salmonellen
Katze Toxoplasma gondii Toxosplasmose* (Gefährlich für Schwangere)
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
47
Gewisse Bedenken bzgl. Krankheitsübertragung und Verletzungsgefahr konnten durch
obige Ausführungen relativiert werden. Es sind dennoch einige Kontraindikationen zu
nennen, die einen Tierkontakt wirklich ausschließen würden. Dazu zählen in erster
Linie Allergien auf Tierhaare und starkes Asthma. Allerdings ist bei alten Menschen
häufiger eine Allergie auf Reinigungsmittel und Nahrungsmittel als auf Tierhaare
festzustellen. Absolute Kontraindikationen sind jegliche immunsupprimierende und
konsumierende Erkrankungen, wie z.B. Akuterkrankungen wie Lungenentzündung,
nicht eingestellte Diabetes oder Malignome, aber auch akute Infektionserkrankungen.
Immungeschwächte Patienten sind gerade für die in Tabelle 2-2 genannten
Krankheiten anfällig. Diese Meinung wurde auch in den Interviews vertreten.
„Aber in manchen Stationen geht es aus hygienischen Gründen überhaupt nicht. Das muss dann schon etwas Unbedenkliches sein. So eine Krebsstation oder bei Immunschwächepatienten, die vom kleinsten Hauch schon schwer erkranken. Aber sonst ist es schon sinnvoll, wo es möglich ist.“ (1)
Bei Krankheiten mit letalem Ausgang, wie schwere Krebserkrankungen im Endstadium,
ist die Entscheidung relativ zu sehen. Dabei muss man im Einzelfall individuell
entscheiden, ob nicht eventuell die Freude höher einzuschätzen ist, als das mögliche
Infektionsrisiko. (vgl. Greiffenhagen 1993; Otterstedt 2001b; Schwarzkopf 2000)
Wirkfaktoren und Grenzen tiergestützter Maßnahmen
Wirkfaktoren in der tiergestützten Therapie • Nonverbale Kommunikation zwischen Mensch und Tier setzt heilsame
Impulse • Aschenputtel-Effekt: Tiere kennen keine Scheu vor Krankheiten, ihre
Zuneigung ist echt • Biophilie-Hypothese: Tier gibt dem Menschen ein Gefühl von Sicherheit und
Geborgenheit • Tiere erlauben Zärtlichkeit, die besonders für kranke Menschen von großer
Bedeutung ist • Tiere sind Brücke zwischen Patient und Therapeut
Grenzen werden einem tiergestützten Projekt durch • Kontraindikationen beim Patienten (Allergien, bestimmte Krankheiten,
Verletzungsrisiko,...) • Bedürfnisse des Tieres (Verhaltensmöglichkeiten, Stress, Ausbildung,...) gesetzt.
Insgesamt zeigte sich allerdings, dass die Problematik der Hygiene zu sehr betont wird und diese kaum einen Hinderungsgrund darstellt.
In Zukunft muss aber mehr auf die Bedürfnisse des Tieres geachtet werden (Ausbildung, Eignung, Länge und Ablauf des Einsatzes,...)
Übersicht 2-3: Wirkfaktoren und Grenzen tiergestützter Maßnahmen
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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2.4 Kategorisierung von Hunden als Co-Therapeuten
Eine erste begriffliche Einordnung des Einsatzes von Tieren im therapeutischen
Kontext wurde bereits in Abschnitt 2.1 zur Begriffsklärung gegeben. Da es sich hierbei
nur um eine grobe Einordnung und Unterscheidung zwischen den grundlegenden
Prinzipien AAA und AAT handelt, ist nun eine differenziertere Beschreibung der
Einsatzmöglichkeiten - speziell von Hunden notwendig. Grundlegend unterscheidet
man zwischen Service- oder Assistenzhunde (Abschnitt 2.4.1), Therapie- und
Sozialhunden (Abschnitt 2.4.2). Allen Formen liegen unterschiedliche Ausbildungen
und Anforderungen zugrunde, die jeweils angesprochen werden. Des Weiteren wird
auf die Einsatzmöglichkeiten dieser Hunde anhand eines Beispiels eingegangen, um
sich ein Bild von der praktischen Tätigkeit und Bedeutung der Hunde zu machen
2.4.1 Service- oder Assistenzhunde
Gerade für dieses Aufgabengebiet „nutzt der Mensch die sensiblen Sinne der Tiere,
ihre Fertigkeiten und Talente, die, je nach Arbeitsanforderung, die des Menschen
übersteigen“ (Otterstedt 2001b, S.15). Zu dieser Gruppe gehören Hunde, die für ihre
Aufgabe von speziellen Trainern ausgebildet wurden und nur für einen ganz
spezifischen Bereich im Leben eines Menschen eine Hilfsfunktion haben.
Der Hund hat viele Talent, die ihn als besonderen Begleiter für uns Menschen auszeichnen und wertvoll machen. Während wir Menschen immer mehr unseren Sehsinn ausbilden und favorisieren und unsere Umgebung mit den Augen wahrnehmen, „sieht“ der Hund mit seiner Nase. ... Hunde leben in einer anderen akustischen Welt als Menschen. Sie hören hohe Frequenzen, nehmen Töne im Ultraschallbereich wahr, die der Mensch nicht mehr hören kann. ... Hundeaugen registrieren bewegte Objekte scharf, sobald aber das Objekt ruht, verliert sich die Schärfe. Die unterschiedlichen Sinneswahrnehmungen von Mensch und Tier ermöglichen es, dass der Hund eine große Hilfe u.a. in der Begleitung von seh- und hörbehinderten Menschen darstellt. (Otterstedt 2001b; S.141)
Zwar kann man Assistenz- oder Servicehunden ähnliche Wirkungen und Funktionen
wie Therapiehunden nicht aberkennen, im Gegenteil, sie spielen neben ihrer
Hauptaufgabe eine ebenso wichtige Rolle, aber sie werden hinsichtlich ihrer
Rassezugehörigkeit und Eignung für bestimmte Aufgaben gezüchtet, ausgesucht und
trainiert. Die Tatsache, dass für die Begleitung von behinderten oder benachteiligten
Menschen ausgerechnet Hunde ausgewählt wurden, lässt sich folgendermaßen
erklären. Hunde bringen aufgrund ihres Wesens, ihres Körperbaus und ihrer Intelligenz
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
49
ideale Voraussetzungen für eine derartige Ausbildung mit. Aber auch die im Abschnitt
1.3 genannte Kommunikationsfähigkeit und das Rudelverhalten ermöglichen dem
Menschen eine tiefe Beziehung zum Hund. Der wichtigste Faktor dürfte allerdings die
hohe gesellschaftliche Akzeptanz des Hundes sein. In Europa ist der Hund ein
gewöhnliches Haustier und wird auch in der Öffentlichkeit als Begleitung akzeptiert.
Dagegen wäre es fraglich, ob einem Affen als Begleittier der Zugang in Geschäfte und
Restaurants erlaubt werden würde. So werden z.B. in den USA schon vereinzelt
Miniaturpferde als Blindenführer eingesetzt. In den letzten Monaten wurde das erste
Minipony für Blinde in Deutschland dafür ausgebildet. Doch es ist fraglich, ob es in der
Öffentlichkeit überhaupt Akzeptanz findet (Zeitungsartikel in Abschnitt 8.8 des
Anhangs). Im Folgenden soll allerdings nur auf den Hund in der Ausbildung und im
Einsatz als Service- oder Assistenztier eingegangen werden. (vgl. Greiffenhagen 1993;
Otterstedt 2001b)
2.4.1.1 Ausbildung und Anforderungen
In der Regel sind es professionelle Tiertrainer, die z.B. einen Blindenhund auf seine
zukünftigen Aufgaben vorbereiten. Haltung und Ausbildung müssen tierangemessen
sein und dem Tierschutzgesetz (§ 1-3 des TschG) entsprechen. Der Einsatz darf für
das Tier keine Schmerzen, Leid oder Schäden verursachen (Abschnitt 8.3 des
Anhangs). Besonders für die Ausbildung von Service- und Assistenzhunden gilt, dass
sie mit den ihnen abverlangten Leistungen nicht überfordert werden und die
Anforderungen ihren Verhaltensmöglichkeiten entsprechen. Die Auswahl des
jeweiligen Tieres sollte entsprechend eines Rasseprofils getroffen werden. Unter den
ca. 400 verschiedenen Hunderassen (Brockhaus 1996) eignen sind einige Rassen
aufgrund ihrer Eigenschaften besonders als Servicehunde. Im Moment ist der Golden
Retriever die populärste Hunderasse für derartige Tätigkeiten. An zweiter Stelle steht
der Labrador Retriever und an dritter der Border Collie. Golden Retriever-Labrador
Mischlinge vereinen die guten Eigenschaften beider Rassen: Anhänglichkeit, ein
sanftes Wesen und Sensibilität des Golden Retriever und die körperliche und seelische
Stabilität des Labrador. Eine weitere sehr günstige Eigenschaft ist, dass diese Rassen
keinen ausgeprägten Schutztrieb, wie z.B. Rottweiler, besitzen. Daher werden sie im
Notfall nicht aggressiv auf Sanitäter oder andere Menschen reagieren. Durch ihr
Stockmaß von ca. 50-65 cm sind sie z.B. für einen Rollstuhlfahrer gut zu erreichen und
lösen bei anderen Menschen, aufgrund ihrer relativ normalen Größe, keine Angst aus,
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
50
wie z.B. eine Dogge. Für die Aufgaben eines Behindertenbegleithundes oder
Signalhunds ist eine ausgesprochene Spiel- und Apportierfreudigkeit Voraussetzung.
Nur wenn der Hund schon in der Ausbildung Freude an seiner „Arbeit“ hat, kann er zu
einem geeigneten Partner für einen Rollstuhlfahrer, Gehörlosen oder Epileptiker
werden. Unabdingbare Eigenschaft eines Servicehunde muss auf jeden Fall eine enge
soziale Bindungsfähigkeit an seinen Herrn sein, da die Zusammenarbeit nur auf
vollkommenen gegenseitigen Vertrauen und einer engen Beziehung zu einander
funktionieren kann. (vgl. Hornsby 2000; Kusztrich 1992; Otterstedt 2002)
Für Service- und Assistenzhunde ist eine professionelle Ausbildung notwendig, die sie
auf ihre spätere Aufgabe vorbereitet. Niepel beschreibt in ihrem Buch „Mein Hund hält
mich gesund“ eine vorbildhafte Ausbildung von Servicehunden der Stiftung SAM
(Servicehunde für auditiv und motorisch Behinderte) in den Niederlanden.
Es werden nicht Hunde aufs Geradewohl einer Grundausbildung unterzogen, vielmehr melden behinderte Menschen ihr Interesse an einem Hund an, und dann wird gezielt für sie ein Welpe ausgewählt. Ab der siebten Woche wird der Welpe spielerisch auf all die Aufgaben vorbereitet, deren Erledigung sein Mensch benötigt. Die Zielformulierung der Ausbildung des Hundes geschieht also in Absprache mit dem zukünftigen Besitzer. Ein Mitglied der Familie, in der der Servicehund leben soll, wird schon vor der Übernahme des Welpen zum sog. „Patentrainer“ ausgebildet. ... eine Nachsorge im Sinne einer kontinuierlichen Weiterbetreuung ist selbstverständlich. (Niepel 1998, S.53)
Bei anderen Ausbildungskonzepten wird der Hund zunächst von einer ‚Patenfamilie’
aufgezogen, in der er die Grundbegriffe der Unterordnung (Sitz, Platz, Bleib, Fuß und
Hier) für eine weitere Ausbildung erlernt. Verläuft seine Entwicklung so, dass er für
eine weitere Ausbildung geeignet erscheint, d.h. hat er keine körperlichen Probleme
wie eine beginnende Hüftgelenksdysplasie und hat er ein gutmütiges und starkes
Wesen entwickelt, so übernimmt ein professioneller Hundetrainer für einige Monate die
weitere Ausbildung. Erst dann kommen die fertig ausgebildeten Hunde zu ihren
Besitzern. Nachteilig an diesem Ablauf erscheint allerdings, dass der Hund nach der
entscheidenden Prägephase einen Besitzerwechsel verkraften muss und erst nach der
Ausbildung eine Beziehung zu seinem zukünftigen Herrn aufbauen kann. Außerdem
wird auf die Möglichkeit verzichtet, den Hund spielerisch, aber dennoch gezielt, auf
seine Aufgaben vorzubereiten. Dies führt oftmals dazu, dass die Ausbildung beim
Hundetrainer nicht ohne einen gewissen Druck verläuft und die Arbeit für den Hund
zum dauerhaften Stress werden kann. Eine kürzere Lebenserwartung ist nur eine
mögliche Auswirkung. (vgl. Niepel 1998; Otterstedt 2001a)
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
51
2.4.1.2 Einsatzgebiete eines Service- oder Assistenzhundes
Auch in diesem Bereich sind die USA den meisten Ländern weit voraus. Während dort
Assistenz- und Servicehunde in den verschiedensten Bereichen eingesetzt werden, ist
in Deutschland das facettenreiche Aufgabenfeld dieser Hunde nahezu unbekannt. Dies
ist insofern verwunderlich, als Deutschland das erste Land war, das Hunde als Führ-
und Navigationshunde für Blinde einsetzte, da im 2.Weltkrieg viele Soldaten aufgrund
der verheerenden Giftgasangriffe ihr Augenlicht verloren hatten. (vgl. Greiffenhagen
1993)
2.4.1.2.1 Blindenführhunde (guide dogs)
Dies ist die bekannteste Aufgabe der Servicehunde. Nach einer speziellen Ausbildung,
die sowohl in Trainingsschulen, als auch im alltäglichen Umfeld des Blinden
durchgeführt wird, ist der Hund in der Lage, seinen Herrn sicher durch die Straßen und
den Verkehr zu führen. Der Hund erlernt, auf ein entsprechendes Kommando – davon
beherrscht er ca. 30 - den Blinden auf seine täglichen Wege, wie zum Bäcker, zum
Supermarkt, zur Apotheke usw. zu führen. Auch ist der Hund fähig, z.B. einen
Briefkasten oder eine Telefonzelle zu finden. (vgl. Greiffenhagen 1993)
2.4.1.2.2 Behindertenbegleithunde (assistance dogs)
In jüngster Zeit laufen Bestrebungen, den Namen „Behindertenbegleithund“ durch
„LPF-Hund“ zu ersetzen, was bedeutet, dass der Hund „lebenspraktische Fähigkeiten“
besitzt. Damit soll erreicht werden, dass einerseits der Begriff „Begleithund“ nicht mit
einer reinen Gehorsamsausbildung wie bei der Begleithundprüfung assoziiert wird und
andererseits der diskriminierende Charakter des Wortes „Behinderten“ so umgangen
werden kann.
Für körperlich Behinderte kann der Begleithund eine neue Freiheit in ihrem oft sehr
eingeschränkten Alltag bedeuten. Nach einer entsprechenden Ausbildung erledigen
diese Hunde Aufgaben wie z.B. das Öffnen von Türen, Schränken und Schubladen,
Bedienen von Lichtschaltern und Aufzugschaltern, das Aufheben und Herbeibringen
von Gegenständen und das Tragen von Taschen in der Schnauze oder auf den
Rücken geschnallt. Sogar beim Ausziehen des Herrchens können sie bei seiner
entsprechenden Mithilfe tätig werden. In Deutschland besitzen nur wenige der ca.
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
52
500.000 auf einen Rollstuhl angewiesenen Behinderten einen Servicehund, obwohl
viele von ihnen gerne einen vierbeinigen Begleiter hätten. Erschwert wird der Einsatz
von Behindertenbegleithunden in Deutschland einerseits durch die Krankenkassen, die
einen derartigen Hund nicht als „Hilfsmittel“ im Sinne der Kassenverordnung
anerkennen, andererseits, weil sich manche Einrichtungen wie z.B. Restaurants,
Geschäfte, öffentliche Stellen weigern, diesen Servicehunden den Zutritt zu erlauben.
(vgl. Buck 2000; Greiffenhagen 1993; Niepel 1998;Otterstedt 2001b)
2.4.1.2.3 Signalhunde, Meldehunde (hearing dogs, alert dogs)
Hunde für Gehörlose
Meldehunde wurden anfangs nur für die Arbeit bei gehörlosen Menschen eingesetzt.
Sie melden Geräusche oder eine sich verändernde Situation. Im Alltag des Gehörlosen
übernehmen sie wichtige Funktionen, die sein Herr nicht ausführen kann. Sie melden
die Türglocke, das Klingeln des Weckers, ein sich näherndes Auto, aber auch das
Schreien des Babys im anderen Zimmer usw. (vgl. Niepel 1998; Otterstedt 2001b)
Hunde für Epileptiker
Neuerdings werden Signalhunde auch als Begleiter für Epilepsiepatienten ausgebildet.
In Europa leiden von Geburt an ca. 6 Mio. Menschen an Epilepsie. 15 Mio. erkranken
irgendwann im Leben daran. Behandelt wird die Krankheit chirurgisch, medikamentös
oder durch alternative Behandlungsmethoden wie Akupunktur, autogenes Training und
verhaltenstherapeutische Anfalls-Selbstkontrolle. Bei letztgenannter Form können
Hunde unterstützend eingesetzt werden. Durch besonders ausgeprägte
Sinneswahrnehmung kann der Hund einen bevorstehenden epileptischen Anfall und
sogar seine Intensität spüren, bevor der Betroffene es wahrnimmt. Hierfür gibt es zwei
Erklärungsansätze:
• Durch die verstärkte Hirnaktivität werden Botenstoffe ausgeschüttet, die den
Körpergeruch verändern.
• Vor dem Anfall steigt die Hirnaktivität. Dadurch ändert der Mensch unbewusst
sein körpersprachliches Verhalten. Wie in Abschnitt 1.4.1 beschrieben, reagiert
der Hund sehr empfindlich auf analoge Signale und verändert sein Verhalten
gegenüber dem Menschen. Betroffene berichten, dass der Hund in dieser
Situation – vor dem epileptischen Anfall – die Rangordnung zwischen Herrn
und Hund in Frage stellt.
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
53
Dem Epileptiker ist es so in letzter Minute noch möglich, Medikamente einzunehmen,
die den Anfall abschwächen oder verhindern können. Er ist dadurch vorbereitet, und
die Verletzungsgefahr wird erheblich gesenkt. Sollte es doch zu einem Anfall kommen,
zieht der Hund seinem Herrchen die Schuhe und Socken aus, um anschließend seine
Füße zu lecken, damit er aufwacht und nach dem Anfall wach bleibt. (vgl. Niepel 1998;
Otterstedt 2001b)
Hunde für Alzheimer1-Patienten
Bei Alzheimer-Patienten macht sich der Hund bemerkbar, wenn z.B. der Patient das
Haus verlässt. Besonders auf emotionaler Ebene können diese ausgebildeten
Begleithunde für diese Patienten viel bewirken, indem sie Erinnerungen anregen und
lebhaftes Gedächtnistraining für den Menschen sind (Abschnitt 3.2.4). (vgl. Otterstedt
2001b)
Hunde für Parkinson2-Patienten
Beim Fortschreiten der Krankheit nimmt des Zittern der Glieder stetig zu, und der
typisch maskenhafte Gesichtsausdruck entsteht. Zum Krankheitsbild gehört auch, dass
immer öfter in der Bewegung ein plötzliches Verharren auftritt. Dies kann für Betroffene
sogar eine Gefahrenquelle darstellen. In den USA trainiert man nun Servicehunde
speziell für Parkinson-Betroffene. Sie helfen, die Balance zu halten,
Bewegungsunsicherheiten auszugleichen und die Gangart zu regulieren. So löst der
Hund z.B. beim plötzlichen Verharren einen taktilen Reiz aus, indem seinen Herrn
anstupst. (vgl. Niepel 1998; Otterstedt 2001b)
1 Alzheimer: ...degenerative Gehirnerkrankung... .Der Krankheitsbeginn ist meist schleichend und durch Störungen der Merkfähigkeit, des Gedächtnisses und der Konzentration sowie des Urteils- und Denkvermögens gekennzeichnet. Später kommt es häufig zu Orientierungsstörungen, Sprachschwierigkeiten, Rastlosigkeit und Verwirrtheit. Das Gemütserleben bleibt anfangs meist verschont. Im fortgeschrittenen Stadium sind die Kranken jedoch oft in einem hohen Grad pflegebedürftig. Gelegentlich werden familiäre Heftungen beobachtet. (Brockhaus 1996; Alzheimer).
2 Parkinson: ... erbliche Schüttellähmung, häufigste neurolog. Erkrankung, die etwa bei 1% der über 60-Jährigen auftritt. ... Die harmonische Steuerung der Bewegung ist dadurch gestört, es kommt zu den typischen Symptomen der P.-K. Dazu gehört v.a. eine Verlangsamung aller Bewegungsabläufe, erhöhte Muskelspannung oder –steifheit und Zittern,... . Weitere wichtige Symptome sind vegetative Funktionsstörungen wie vermehrter Speichelfluss, Maskengesicht, nächtl. Schwitzen, gelegentlich neurogene Blasenfunktionsstörungen sowie Haltungs- und Standinstabilität. Überwiegend bestehen eine leicht gebeugte Körperhaltung, ein kleinschrittiger Gang mit vermehrter Schrittzahl bei Wendebewegungen sowie Bewegungshemmungen beim Beginn des Gehens (Starthemmung). (Brockhaus 1996; Parkinson-Krankheit).
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
54
Hunde für Diabetes mellitus1-Patienten
Heutzutage werden immer weitere Aufgabengebiete für Service- und Assistenzhunde
erschlossen, so auch als Begleiter für Diabetiker. Ähnlich wie bei Epilepsiepatienten
können Hunde frühzeitig den Zustand des Unterzuckers (Hypoglykämie) erkennen und
ihren Besitzer warnen. (vgl. Niepel 1998; Otterstedt 2001b)
2.4.2 Therapie- oder Sozialhunde
Der grundlegende Unterschied zwischen einem Servicehund und einem Therapie- oder
Sozialhund ist, dass dieser nicht für bestimmte Aufgaben ausgebildet wurde. Er wirkt
allein durch seine Anwesenheit auf den Menschen. Durch die dabei entstehende
Kommunikation zwischen dem Patienten und dem Hund soll das Wohlbefinden des
Patienten und die Wirkung der Therapie verbessert werden. Die Abgrenzung zu einem
Servicehund, der für den Menschen bestimmte Aufgaben erledigt, kann hier klar
vorgenommen werden. Bei der Unterscheidung von Sozial- und Therapiehund trifft
man dagegen auf erhebliche Schwierigkeiten.
Sozialhunde sind Hunde, die im Rahmen eines Besuchsprogramms die
Bewohner eines Alten- oder Pflegeheims, Krankenhauses oder ähnlichen
Institutionen besuchen und ihnen Abwechslung und Freude in den Alltag
bringen. Diese Initiativen können zu AAA gezählt werden (Abschnitt 2.1.3.1).
Als Therapiehunde bezeichnet man Hunde, die bei therapeutischen Sitzungen
eingesetzt werden, um z.B. zu dem Patienten besseren Kontakt herzustellen
oder die Atmosphäre zu lockern. Auch in Verhaltensmodifikationen können
Hunde positiven Einfluss nehmen. Ein derartiger Einsatz eines Hundes wird zu
AAT gezählt (Abschnitt 2.1.3.2).
Doch die Grenzen sind hier eher fließend zu sehen, denn auch für einen alten
Menschen kann diese neue Kontaktmöglichkeit therapeutische Wirkungen z.B. auf
seine Aktivität oder Lebensfreude, haben. Die Debatte, wo Therapie beginnt, wird seit
Jahren im psychologisch-therapeutischen Bereich geführt, doch bislang ohne Erfolg.
Aber eigentlich sollte nicht diese haarspaltende Begriffsunterscheidung in den
1 Diabetes mellitus, Zuckerkrankheit: chron. Stoffwechselerkrankung, bei der es durch unzureichende Produktion des Hormons Insulin in der Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse oder mangelnden Insulinwirksamkeit zu einer Störung des Kohlenhydrat-, aber auch des Fett- und Einweißstoffwechsels kommt. (Brockhaus 1996; Diabetes mellitus).
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
55
Vordergrund treten, sondern betont werden, dass, egal wie, ob nun therapeutisch oder
sozial eingesetzt, Hunde auf den Menschen eine positive Wirkung für Körper, Geist
und Seele haben. Dies wird in Kapitel 3 anhand der Aussagen von Hundebesitzern
gezeigt werden. Aber auch Sozial- und Therapiehunde scheinen erheblichen Einfluss
auf ihre Umwelt zu haben. Es konnte festgestellt werden, dass die Anwesenheit der
Hunde nicht nur Auswirkungen auf die Bewohner zeigt, sondern sich auch das
Besuchsverhalten von Angehörigen und Bekannten erhöht, wenn Sozial- oder
Therapiehunde oder auch andere Tiere in der Institution leben. Die Besuche sind
länger, es entstehen mehr Unterhaltungen und sogar Kinder werden motiviert, beim
Besuch dabei zu sein. Ein vorbildliches Beispiel hierfür ist die westenglische Stadt
Shrewsbury in der Grafschaft Shropshire. Hier dürfen Kinder und Erwachsene bei
einem längerem Klinikaufenthalt ihren eigenen Hund mit ins Krankenhaus nehmen.
Dies würden auch Hundebesitzer in Deutschland begrüßen.
„Vor allem würde ich wollen, dass wenn ein Hundebesitzer im Krankenhaus ist, dass der von seinem Tier besucht werden darf. Das wäre noch besser als wenn Fremde kämen.“
(vgl. Kusztrich 1992; Niepel 1998)
2.4.2.1 Ausbildung und Anforderungen
Therapie- und Sozialhunde benötigen keine Ausbildung in Bezug auf bestimmte
Dienstleistungen, wie Service- oder Assistenzhunde, die inzwischen sogar für ihre
späteren Aufgaben gezüchtet werden. Und dennoch, „Therapiehund zu sein, heißt,
schwere Arbeit zu leisten und einen enormen Stress verarbeiten zu müssen“ (Niepel
1998; S.68). Daher sollte bei einem therapeutischen Einsatz eines Tieres – z.B. in
Praxen oder im Besuchsdienst nicht nur die instrumentelle Nutzung im Vordergrund
stehen. Der Besitzer oder Therapeut hat die Verantwortung für den Patienten, aber
auch für sein Tier und muss dessen Bedürfnisse berücksichtigen. Meist liegt es jedoch
im Ermessen des Besitzers, ob er seinen Hund für eine derartige Tätigkeit geeignet
hält oder nicht. Gerade deswegen gibt es gewisse Kriterien, die im Laufe der Zeit von
verschiedenen Vereinen, die Besuchsdienste organisieren oder Mitarbeiter von
Heimen oder Krankenhäusern, die ihre eigenen Hunde mitnehmen, aufgrund ihrer
Erfahrungen zusammengetragen wurden. Damit will man nicht nur einen Schutz der
Patienten, sondern auch des Hundes gewährleisten. Außerdem sollen Fehler von
Anfang an vermieden werden, denn bei allen laufenden Projekten war so viel
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
56
Überzeugungsarbeit nötig, um so weit zu kommen. Ein Unfall würde die gesamte
Arbeit zurückwerfen. Im Folgenden werden diese Kriterien kurz vorgestellt. Die Liste ist
keineswegs vollständig, doch weitere Anforderungen müssen durch den jeweiligen
Kontext entstehen und verantwortlich erhoben werden. (vgl. Niepel 1998; Otterstedt
2001b)
Gesundheit
Der Hund sollte generell gesund sein, nicht nur um den Menschen vor eventuell
übertragbaren Krankheiten zu schützen, sondern auch zum Wohle des Hundes. Ein
kranker Hund kann durch die ohnehin anstrengende Situation überfordert werden und
unberechenbare Reaktionen zeigen. Auf jeden Fall muss er eine gültige Impfung
gegen Tollwut, Staupe, Hepatitis, Leptospirose, Parvovirose und evt. Zwingerhusten
besitzen. Darüber hinaus sollte er entwurmt sein, und der Besitzer sollte ihn öfters auf
Parasitenbefall kontrollieren. (vgl. Niepel 1998; Otterstedt 2001b)
Wesen
Die wichtigste Voraussetzung für den Einsatz eines Hundes als Therapie- und
Sozialhund ist, dass sich der Hund problemlos streicheln und anfassen lässt und es
auch genießt. Dies sollte er durch Schwanzwedeln, Anschmiegen, Anstupsen usw.
zeigen. Sein Bedürfnis nach Nähe, Zuneigung und Körperkontakt stellt für die
Patienten eine hohe Motivation zur Kontaktaufnahme und zum besseren Umgang mit
ihrer Situation dar. Dabei sollte aber jeder Hundebesitzer bedenken, dass sich dieses
„therapeutische“ Streicheln sehr von den Streicheleinheiten, die der Hund zu Hause
bekommt, unterscheidet. Besonders kranken oder alten Menschen fehlt oft die
Koordination und das Feingefühl, um zart mit dem Hund umzugehen. Auch Kinder sind
oft sehr ungestüm. Diese Ungeschicklichkeiten passieren völlig unabsichtlich, aber der
Hund darf dies keinesfalls falsch deuten und muss auch bei bei schmerzhaftem oder
ungewohntem Körperkontakt ruhig und gelassen bleiben. Hier ist es Aufgabe des
Hundeführers, die Situation zu entschärfen. Eingesetzte Hunde müssen also völlig
aggressionsfrei und sehr gutmütig sein, um auch falsches Verhalten ihres Gegenübers,
wie direkter Blickkontakt oder Umhalsen zu dulden. Darüber hinaus sollte der Hund
eine niedrige Kläffneigung und einen gering ausgeprägten Schutztrieb besitzen. Dieser
ist zwar artgerecht und dient der Verteidigung des Rudels – heute seines Herrchens,
aber er ist genetisch festgelegt, und daher sind verschiedene Rassen unterschiedlich
gut geeignet (Abschnitt 3.1). Besonders, wenn mehrere Hunde gleichzeitig in
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
57
therapeutischen Situationen oder bei einem Besuchsdienst eingesetzt werden, sollten
die Hunde nicht futterneidisch sein und sich untereinander sozial verträglich zeigen.
Inzwischen werden auch für Therapiehunde angeleitete Ausbildungen angeboten.
Dazu gehört ein Wesenstest. Ein solcher Test darf allerdings nur von Personen
durchgeführt werden, die über entsprechendes kynologisches Wissen und praktische
Erfahrungen mit Hunden verfügen (vgl. Niepel 1998; Otterstedt 2001b)
Temperament
Neben dem Wesen ist auch das Temperament von Bedeutung. Hier muss, je nach
Zielgruppe, unterschieden werden, ob der Hund eher anregend oder beruhigend
wirken soll. Am besten ist allerdings immer ein mittleres bis niedriges Aktivitätsniveau.
Hyperaktive Hunde sind weniger geeignet, da sie zu viel Unruhe verbreiten. In der
therapeutischen Praxis sollte Folgendes beachtet werden. Für eine erste Annährung
zwischen Hund und Patienten soll der Therapeut Vermittler zwischen beiden sein,
Dafür sollten Mensch und Hund ähnliche Eigenschaften haben. So werden sich z.B.
Menschen mit verlangsamter Motorik eher zu einem ruhigerem, vielleicht auch schon
älteren Hund hingezogen fühlen. Gerade im therapeutischen Bereich können jedoch
auch gegensätzliche Eigenschaften fördernde Impulse für die Therapie geben, die
menschlichen Eigenschaften ergänzen oder neue Anforderungen für den Menschen
bedeuten. Diese Kombination zeigt z.B. in der Delphintherapie große Wirkung. Die
beweglichen, spielfreudigen und äußerst beweglichen Tiere animieren selbst Kinder
mit schwersten Behinderungen zu vermehrter Aktivität. (vgl. Niepel 1998; Otterstedt
2001b)
Aussehen
Prinzipiell ist das Aussehen nicht der entscheidende Faktor für die Eignung eines
Hundes. So kann z.B. im Besuchsdienst eine Deutsche Dogge genauso beliebt sein
wie ein Labrador. Doch eine bessere Akzeptanz des Hundes konnte festgestellt
werden, wenn er kein wolfsähnliches Aussehen, keine schräggestellten oder
blutunterlaufen Augen mit hängenden Lidern hatte. Auch die Fellbeschaffenheit spielt
eine große Rolle. Ein seidiges, weiches, wuscheliges, längeres Fell übt eine wesentlich
höhere Streichelmotivation aus als kurzes, drahtiges Fell. Insgesamt werden hellere
Fellfarben als weniger bedrohlich empfunden. Doch auch die Größe des Hundes kann
unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Bei sehr großen Hunden besteht das
Problem, dass sie eher Ängste auslösen, mehr Platz wegnehmen und nicht auf den
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
58
Arm genommen werden können. Bei sehr kleinen Hunden dagegen ist dies zwar
problemlos möglich, doch können Patienten, die im Rollstuhl sitzen, sich meist nicht
zum Streicheln zum Hund hinunterbeugen. Außerdem sind sehr kleine Rassen oft sehr
nervös und zu quirlig und besitzen daher auch eine sehr niedrige Reizschwelle. Aus
genannten Gründen findet man in der Praxis meist mittelgroße Hunde. Auch hier der
Hinweis, dass immer die Wesenseigenschaften ausschlaggebend für die Eignung sind.
(vgl. Niepel 1998; Otterstedt 2001b)
Grundgehorsam
Auf jeden Fall ist eine grundlegende Erziehung notwendig, d.h. der Hund muss die
Grundkommandos, wie „Sitz“, „Platz“, „Bleib“, „Aus“, „Komm“ beherrschen. Dazu
gehört auch eine gute Leinenführigkeit, denn nicht überall darf sich der Hund, z.B. beim
Besuchsdienst, frei bewegen. Besonders, wenn Patienten den Wunsch haben, den
Hund selbst zu führen, muss dies problemlos möglich sein. Eine gute Sozialisation
umfasst aber auch das Kennenlernen möglichst vieler Umweltreize und dass der Hund
eine starke Bindung an seinen Besitzer entwickelt. Diese gibt ihm auch in neuen
Situationen Sicherheit. Wichtig ist, dass diese Hunde schon vor ihrem ersten „Einsatz“
in Altenheimen, Kinderheimen oder Krankenhäusern mit dort möglichen Situationen
vertraut gemacht werden. Man sollte bedenken, dass für den Hund z.B. ein Rollstuhl,
jemand der mit Krücken läuft, die glatten Böden oder auch der „Krankenhausgeruch“
völlig neue Reize (optische, akustische, olfaktorische) sind, mit denen er erst lernen
muss umzugehen. Nur wenn Hund und Besitzer vorher zusammen Erfahrungen in
derartigen Situationen gesammelt haben, kann der Besitzer die Reaktionen seines
Hundes abschätzen. (vgl. Niepel 1998; Otterstedt 2001b)
Versicherung
Auf jeden Fall muss der Hund haftpflichtversichert sein. Die Deckungssumme sollte
min. 2 Mio. bei Personenschäden und 500 000 bei Sachschäden betragen. Dies ist
jedem Hundehalter zu empfehlen. (vgl. Niepel 1998; Otterstedt 2001b)
Die genannten Anforderungen sollten keineswegs als Liste verstanden werden, bei der
durch Abhaken der einzelnen Punkte festgestellt wird, ob ein Hund geeignet ist oder
nicht. Hier ist eine fallgerichtete Entscheidung notwendig. Für einen Therapiehund
sollten diese Kriterien allerdings etwas genauer eingehalten werden. Doch auch bei
Sozialhunden muss man differenzieren. Beim Besuchsdienst z.B. spielt das Aussehen
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
59
des Hundes, also Fellfarbe, Größe usw. keine Rolle, während bei der Anschaffung
eines Heim- oder Stationshundes auch auf das Aussehen geachtet werden sollte, um
Ablehnungen bei den Patienten zu vermeiden.
2.4.2.2 Einsatzgebiete eines Therapiehundes oder Sozialhundes
Therapiehunde und Sozialhunde werden in den verschiedensten Institutionen
eingesetzt, wie z.B. in Akutkrankenhäusern, Langzeitkrankenhäusern,
Rehabilitationskliniken, Fachkliniken, Kurheimen, Sterbekliniken, Psychiatrien, Alten-
und Pflegeheimen, Behinderteneinrichtungen, Kindertagesstätten, Kinderheimen,
Jugendheimen, Kinderdörfern, Jugendvollzugsanstalten, Erziehungsheimen für Kinder
und Jugendliche, Beratungspraxen niedergelassener Psychotherapeuten, allg.
bildenden Schulen, Einzelpersonen, Großraumbüros usw. (vgl. Niepel 1998; Otterstedt
2001b)
2.4.2.2.1 Stations- oder Heimhunde
Hierbei handelt es sich eher um Sozialhunde, die ihr Zuhause in der jeweiligen
Institution haben. Die Mitarbeiter oder Bewohner versorgen die Tiere, die sich
entweder ganztätig frei in der Institution bewegen oder in den Außenanlagen in
Zwingern untergebracht sind. Auch Versicherung, Futter- und Tierarztkosten werden
von diesen getragen oder manchmal auch von anderer Stelle übernommen. Für beide
Formen von Stations- oder Heimhunden soll im Folgenden ein Beispiel vorgestellt
werden.
a) Hund bewegt sich ganztägig frei in der Institution
Der Sozialhund teilt den gesamten Alltag mit den Bewohnern und kann sich den
ganzen Tag frei in der Institution bewegen. Diese Form findet man inzwischen auch
schon in Altenheimen, therapeutischen Wohngemeinschaften, Kinderheimen o.ä.
Oftmals wurde der Hund als eine Art „Maskottchen“ angeschafft. Nur wenige verfolgen
von Anfang an therapeutische Ziele. „Die Wirkungen des Hundes ergeben sich eher
nebenher und können dabei unter Umständen von tiefgehender therapeutischer
Bedeutung sein“ (Niepel 1993; S.71).
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
60
„Green Chimney“
Ein Beispiel dafür ist das Kindererziehungsheim „Green Chimney“ in der Nähe von
New York. Hier leben ca. 90 Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten oder
Schulschwierigkeiten im Alter von 6-14 Jahren. Der Aufenthalt in den 6 Wohngruppen
ist zeitlich begrenzt, denn Ziel ist es, dass sie wieder in ihre Familien zurückkehren.
„Green Chimney“ gleicht eher einer großen Farm als einem „Erziehungsheim“. Anfangs
wurden die Tiere in separaten Gebäuden gehalten, doch nun wurde zusätzlich in jeder
Wohngruppe ein Hund angeschafft. Die Wirkungen des Hundes wurden in
Fragebögen, Intensivinterviews mit Sozialarbeitern und Kindern erhoben. Insgesamt
wird der Kontakt zu den Hunden von den Kindern als sehr positiv erlebt und auch die
Betreuer konnten einen bereichernden Effekt für das Verhalten der Kinder feststellen.
Hierzu ein Ausschnitt eines Interviews mit einem der Kinder:
Wenn ich Mist gebaut habe, erzähle ich ihm [dem Hund], daß ich es nicht böse gemeint habe. Ich fühle mich dann besser, weil ich weiß, dass er mich versteht. Er ist nämlich ein guter Zuhörer. Wenn ich ihm etwas sage, dann macht er das auch. Wenn ich traurig bin, sage ich zu ihm: Was passiert hier mit mir? Wieso bin ich hier, warum kann ich nicht einfach nach Hause gehen und bei meiner Familie leben? Ich fühle mich dann besser, weil ich mit jemandem reden kann. Er ist immer da und er ist nie zu beschäftigt, um mir zuzuhören. Wenigstens hört er mir zu. (Niepel 1993; S.71)
Doch leider mussten in die Projektbeschreibung auch Fälle von Missbrauch der Hunde,
vor allem durch die älteren Kinder, aufgenommen werden. Aber hier ist ganz deutlich
die Aufgabe der Verantwortlichen zu sehen. Vor Anschaffung eines Stations- oder
Heimhundes müssen Risiken für Mensch und Tier abgeklärt oder in entsprechenden
Fällen verantwortlich auf beiden Seiten damit umgegangen werden. Dazu gehört, dass
der Hund immer eine feste Bezugsperson braucht. Dies ist vor allem für ein Rudeltier
wie den Hund von besonderer Bedeutung. Auch Graham Ford, 1.Vorsitzender des
Vereins „Tiere helfen Menschen“, lehnt die „herrenlosen Hunde“ im Altenheim ab.
Besser für Mensch und Hunden wäre es, dass Mitarbeiter ihre eigenen Hunde
mitbringen. (vgl. Greiffenhagen 1993; Niepel 1998; Tügel 2001)
b) Hund lebt im Zwinger innerhalb der Außenanlage der Institution
Auch in diesem Fall lebt der Hund in der Institution, hat allerdings sein Zuhause nicht
im Haus bei den Bewohnern, sondern in Zwingeranlagen im Außenbereich. Die
Bewohner können die Tiere besuchen, sich zeitweise um sie kümmern und unter
Aufsicht Spaziergänge machen. Die Hunde werden auch in die Zimmer, Aufenthalts-
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
61
oder Therapieräume gebracht. Folgendes Projekt wurde von Gusella im Bericht des
Vereins „Tiere helfen Menschen“. (vgl. Niepel 1998)
“Prison-Pet-Partnership-Program” (PPPP)
Das Prison-Pet-Partnership-Program (PPPP) im Washington Corrections Center for
Women (WCCW), einem Hochsicherheitsgefängnis für Frauen in Gig Harbor in
Washington, USA, wurde 1979 von Kathy Quinn initiiert. Sie selbst hat den Großteil
ihrer Jugend in Gefängnissen und Erziehungsheimen verbracht. Zusammen mit Linda
Hines von der Delta Society gründete sie das PPPP. Auf dem Anstaltsgelände werden
seitdem Hunde gehalten, die von den Insassinnen ausgebildet und versorgt werden.
Anfangs wurden die Hunde noch von Kathy Quinn von außerhalb mit in das WCCW
gebracht. Sie wurden von ortsansässigen Züchtern und Tierschutzvereinen gestiftet -
heute werden Hunde aus dem Tierheim geholt. Auf dem Gelände der Haftanstalt
entstanden Zwinger, um die Hunde, die trainiert wurden, auf dem Anstaltsgelände
unterzubringen. Ehrenamtliche Helfer führen die Hunde auch heute noch außerhalb
der Haftanstalt aus, um sie mit Situationen des alltäglichen Lebens bekannt zu
machen. Bis heute gibt das PPPP verschieden ausgebildete Hunde an Privatleute ab.
Dazu gehören Servicehunde, Therapiehunde und paroled pets - Hunde mit
grundlegendem Gehorsamstraining (basic obedience training) -, die sich als
Begleithunde oder Familienhunde eignen. Darüber hinaus werden Hunde während der
Urlaubszeit betreut, und auch ein Hundesalon wird unterhalten. Mit dem PPPP sollte
vordergründig eine bessere Rehabilitation der Insassinnen erreicht werden. Dabei
kommt den Hunden eine besondere Aufgabe zu. In diesem Projekt haben Hunde eine
dreifache Rolle:
Verbesserung der Lebensqualität
Die positiven Wirkungen einer Interaktion zwischen Mensch und Hund wurden
bereits angedeutet. Besonders für Menschen, die „außerhalb“ der Gesellschaft
stehen, können sich diese Wirkungen noch erheblich verstärken. Die Teilnehmer
am PPPP können mit den ihnen zugeteilten Hunden selbstständig arbeiten, auch
dürfen die Hunde während des Trainings mit in den Zellen leben, d.h. zwei
Bewohner und manchmal 2 Hunde teilen sich zusammen 8qm. Durch die
Verantwortung für die Hunde haben die Häftlinge eine sinnvolle Aufgabe. Sie
helfen im Hundesalon, der seinen Service auch für Bürger der Stadt zur Verfügung
stellt, säubern die Zwingeranlagen, versorgen die Hunde usw. Insassinnen, die
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
62
schon länger am PPPP teilnehmen, übernehmen auch Tutorentätigkeiten für neue
Teilnehmerinnen. Durch das Versorgen und Erziehen der Hunde sollen sie wieder
lernen, auf andere Lebewesen einzugehen, etwas von sich selbst zu geben,
Verantwortung für andere zu übernehmen und dadurch neue Seiten an sich selbst
kennen zu lernen. Dabei soll ihnen die bedingungslose Liebe, die ihnen die Hunde
geben, helfen.
Disziplinierungsmittel
Die Teilnahme am Projekt ist an eine gute Führung in der Anstalt gebunden.
Außerdem sollen Insassinnen den Unterschied zwischen Disziplin und Strafe
begreifen, da die Hundeausbildung nur unter dem Einsatz positiver Verstärkung
erfolgreich sein kann. Da inzwischen die Nachfrage in der Anstalt, am PPPP
teilzunehmen, sehr groß ist und nur maximal 20 Plätze vorhanden sind, gibt es
klare Voraussetzungen für die Teilnahme. Über einen Zeitraum von 3 Monaten
dürfen keine Regelverstöße vorgekommen sein, und die Insassinnen müssen eine
schriftliche Bewerbung an das Leitungsteam des PPPP einreichen. Darauf folgt der
Eingangstest zum „pet care technician level one“ und dreimonatiges Praktikum.
Erst dann dürfen sie am PPPP teilnehmen. Wenn es während der Teilnahme am
Projekt zu Regelverstöße kommt, dann bekommen die Insassinnen zweimal eine
Verwarnung, bei einer dritten müssen sie das Programm verlassen. Wenn eine
Teilnehmerin nach der Haftentlassung wieder straffällig wird, kann sie – bei
Rückkehr ins WCCW - nicht mehr am Programm teilnehmen. Dies soll verhindern,
dass Straftaten begangen werden, um wieder in dem vertrauten Raum des
Programms arbeiten zu können.
Brücken zur Außenwelt
Die Insassinnen haben durch die Ausbildung der Hunde die Möglichkeit zur
beruflichen Qualifizierung als „companion animal hygienist“ (Tierpfleger) oder
Tiertrainer. Die Hunde sind Lernobjekt für ein sozial verantwortliches Verhalten
nach der Haft. Um eine Anerkennung der Ausbildung auch im öffentlichen Leben
zu erreichen und den Teilnehmern auch theoretisches Wissen vermitteln zu
können, wurde eine Curriculum für das Programm ausgearbeitet. Zusammen mit
Dozenten des Tacoma Community College und der Washington State University
wurden praktische und theoretische Unterrichtseinheiten für die Ausbildung erstellt.
Eine Voraussetzung ist beispielsweise, dass die Teilnehmer einen Kurs belegen, in
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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dem sie alles wichtige über Behinderungen und deren Auswirkungen auf den
Menschen und sein Leben lernen. Auch die Prüfungswettbewerbe werden von
lizenzierten Richtern des American Kennel Club (amerik. Variante des VDH) in der
Anstalt abgehalten.
Neben dem Ziel eine bessere Resozialisierung der Insassinnen zu erreichen, werden
noch weitere (Neben-)Ziele mit dem PPPP verfolgt.
• Die pet care industry soll mit gut ausgebildeten Hundepflegern und -trainern
versorgt werden.
• Hunde aus den örtlichen Tierheimen sollen gerettet werden. In den USA
werden Hunde, die nach einer bestimmten Zeit nicht vermittelt wurden,
eingeschläfert. Nach der Grundausbildung, die sie im WCCW erhalten, können
die Tiere wesentlich besser vermittelt werden.
• Für behinderte Menschen sollen Servicehunde ausgebildet werden.
Der Erfolg dieses Projektes lässt sich in Zahlen ablesen. Seit Beginn wurden ca. 500
Hunde, davon 50 Servicehunde ausgebildet. Seit 1991 ist das PPPP ein
selbstständiges non-profit Unternehmen innerhalb des WCCW, das sein Jahresbudget
– insgesamt 88.000$ - aus verschiedenen Quellen bezieht. Daher ist nun teilweise eine
Bezahlung der Teilnehmer möglich. Wie positiv diese Chance, eine Ausbildung
während der Haftzeit abzuschließen, empfunden wird, zeigt folgendes Zitat:
Es hat mir die Zeit (hier) erträglich gemacht, und es war etwas, worauf ich mich jeden Tag freuen konnte. Aber das Wichtigste daran ist, daß es (mir) Kanäle zur Außenwelt offengehalten hat. (Denn) es ist sehr leicht sich vom Leben hier gefangen nehmen zu lassen. (Gusella 2000; S.102)
Doch auch die Gewissheit, durch die Ausbildung von Servicehunden anderen helfen zu
können, ist für die Insassinnen ein schönes – oftmals noch nie erlebtes – Gefühl.
Es ist ein gutes Gefühl anderen zu helfen, die besondere Hilfe benötigen, um ein einigermaßen normales Leben leben zu können. (Gusella 2000; S.107)
Als weiterer Erfolg kann sicherlich verbucht werden, dass im PPPP noch keine einzige
Teilnehmerin erneut straffällig wurde. Auch die Rückfallquoten in anderen
tiergestützten Resozialisationsprogrammen betragen nur 10%. Dies zeigt, dass dieser
neue Weg im Strafvollzug auch neue Möglichkeiten öffnet. Zum Vergleich: Die
Rückfallquoten im deutschen Strafvollzug mit herkömmlichen
Resozialisationsprogrammen liegen bei 80%. Doch leider finden sich in der BRD bisher
noch keine ähnlichen Ansätze. Nur einige Anstalten lassen Kleintierhaltung zu, obwohl
das Strafvollzugsgesetz (§ 70; Abschnitt 8.5) die Haltung von Kleintieren zur
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
64
Freizeitgestaltung erlaubt, wenn sie den normalen Betrieb nicht stört oder andere
Gründe dagegen sprechen. Doch leider sieht die Praxis anders aus. Hier sollten die
Verantwortlichen in neue Konzepte zum Strafvollzug auch Erfahrungen von Projekten
wie das PPPP mit einbeziehen, denn einem Hund scheint hier eine besondere
Bedeutung für eine „ganzheitliche“ Resozialisation zuzukommen.
Doch auch hier muss man zum Schutz der Tiere fragen, ob gerade im Gefängnis eine
höhere Gefahr von Tierquälerein besteht, da sich oftmals Aggressionen aufstauen und
dadurch Konflikte ausgelöst werden. Aus dem WCCW wurden bisher keine Fälle von
Gewalt gegen die Hunde bekannt. Dies mag vor allem daran liegen, dass der soziale
Druck zu groß ist und dass durch das Eingesperrtsein der Hund zum einzigen Freund
wird, dem man alles anvertrauen kann. (vgl. Gusella 2000)
2.4.2.2.2 Hunde von Mitarbeitern und freiberuflich Tätigen
Da bei der Haltung eines Stations- oder Heimhundes bestimmte Kritikpunkte durchaus
zutreffend sind – wie z.B., dass der Hund „herrenlos“ ist und keine feste Bezugsperson
hat – werden inzwischen folgende Formen vor allem in Altenheimen und anderen
Institutionen bevorzugt.
a) Hund bewegt sich ganztägig frei in der Institution
Bei dieser Einsatzform von Sozialhunden bringen Mitarbeiter ihren eigenen Hund mit in
die Arbeit. Dies sind meist Pflegekräfte in Altenheimen, Kinderheimen, Tagesstätten,
aber auch Pädagogen, Therapeuten, Sozialarbeiter usw. Wie bei Heim- oder
Stationshunden bewegt sich der Hund frei umher und hat Zugang zu den Bewohnern.
In der Vergangenheit wurden nicht immer therapeutische Zwecke damit verfolgt. Für
die Mitarbeiter war es ursprünglich ein guter Weg, ihren Hunden das stundenlange
Warten zu Hause zu ersparen. Meist tolerierte die Heimleitung den Hund, aber keiner
machte sich Gedanken, wie man die Anwesenheit der Hunde sinnvoll nutzen könnte.
Doch auch auf diesem Gebiet lernte man aus der Forschung und inzwischen existieren
vorbildliche Initiativen. Ein Beispiel ist ein Projekt, das seit drei Jahren mit großem
Erfolg an einer Grund- und Hauptschule in Sulzburg durchgeführt wird. Dies wurde ihn
einer Stern-TV-Reportage vorgestellt. Das Transkript der Sendung kann in Abschnitt
8.2 des Anhangs eingesehen werden.
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
65
„Schule mit Jule“
Die Langzeitstudie, „Sozialpartner Hund im Unterricht“, begann der 58jährige
Hauptschullehrer Bernd Retzlaff im Schuljahr 1999/2000. Damals nahm er die
sechsjährige Labradorhündin „Jule“ zunächst nur zweimal in der Woche mit in seine
siebte Hauptschulklasse. Inzwischen begleitet ihn auch die achtjährige Labradorhündin
„Nina“ jeden Tag mit in den Unterricht. Anstoß zu diesem Projekt gab ihm ein Artikel,
der 1998 in einer Veröffentlichung des Konrad-Lorenz-Kuratoriums erschien und die
durchaus positiven Veränderungen in 30 Schweizer Primarschulen beschrieb, bei
denen ein Hund ständig im Klassenzimmer anwesend war. Da Schulamt, Schulleitung,
Kollegium, Eltern und Schüler in Sulzburg sehr aufgeschlossen gegenüber diesem
Projekt waren, gehören Jule und Nina heute schon zum Unterrichtsalltag. Damit
Schüler und Hunde vom Zusammensein profitieren konnten, war es wichtig, klare
Regeln aufzustellen, die Schüler und ihr Lehrer gemeinsam vereinbart haben.
1) Die Schultaschen bleiben verschlossen. 2) Der Hund wird nie gefüttert! Wir wollen keine „Bettelmaschine“. 3) Sobald der Hund im Klassenzimmer ist, legt ein Schüler die Hundedecke vorne
neben die Wandtafel und füllt den Trinknapf mit frischem Wasser. 4) Der Hund wird nie gestört, wenn er sich auf seine Decke zurückgezogen hat. 5) Immer zwei Schüler gehen abwechselnd in der großen Pause mit dem Hund
zum Gassigehen den Waldweg an der Schule entlang.
Entgegen aller Vermutungen, dass die Hunde die Schüler nur ablenken und kein
Unterricht mehr möglich ist, wurde die Anwesenheit der beiden relativ schnell
Normalität.
„Am Anfang ja. Da sind die Hunde Attraktion. Da will sie jeder streicheln, vor allem die kleineren Kinder. Und in der siebten, achten und neunten Klasse, „Ach, das ist ja ganz nett, wenn der Hund da ist.“ Und irgendwann ist der Hund Alltag. Wenn er Alltag geworden ist, dann setzen so langsam die Veränderungen ein.“ (Stern TV; 26.06.02)
Doch diese Normalität kann sehr viel bewirken, wie Bernd Retzlaff nach 3jähriger
Erfahrung berichtet. Besonders bei Klassenarbeiten wirkt der Hund stressmindernd
und beruhigend (Abschnitt 3.2.1).
Bernd Retzlaff: „Es gibt ja Schüler, da purzeln die Gedanken vor einer Klassenarbeit herum, und die können sich nicht konzentrieren. Der Hund merkt das – ich habe das mehrmals schon erlebt – und legt sich demjenigen auf die Füße. Die eine Hand streichelt, die andere Hand schreibt. Ich habe einmal einen Schüler gehabt, der vor Mathe-Klassenarbeiten regelrecht zitterte. Der konnte sich gar nicht konzentrieren. Und vor allem die Nina hat dieses Gespür. Sie ging zu dem hin, legte sich hin und der Junge hat wunderbare Noten geschrieben. Davor nur fünfer.“ (Stern TV; 26.06.02)
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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Hunde nehmen die Kinder so an wie sie sind, egal, ob sie der schlechteste Schüler in
der Klasse, zu dick oder sehr schüchtern sind. Dies steigert das Selbstwertgefühl der
Schüler enorm, und sie werden psychisch stabilisiert. Ein Zitat einer Schülerin:
„Die Jule kommt schon wieder zu mir. Ich glaube, die mag mich wirklich.“ (Retzlaff o.J.)
Für die Schüler ist der Hund ein guter Gesprächspartner, er erlaubt Körperkontakt und
Sinnlichkeit. Dies ist vor allem für Jugendliche in der Pubertät von großer Bedeutung.
Zitat eines Schülers:
„Zum Beispiel, wenn man seine Probleme hat, und man kann mit ihm reden. Der hört einem zu und redet nicht dauernd dazwischen oder so. (zwischendurch streicheln) Das kann ziemlich beruhigend sein, auch bei den Arbeiten, wenn man nervös ist oder so. Dann holt man sich einfach einen Hund her und kann ihn einfach streicheln.“ (Stern TV; 26.06.02)
Aber auch auf das Verhalten der Schüler untereinander haben die Hunde großen
Einfluss. Sie haben mehr Spaß am Unterricht, und der allgemeine Geräuschpegel in
der Klasse ist gesunken, da die Kinder Rücksicht auf die Hunde nehmen. Vor allem
gibt es so gut wie keine Fälle von verbalen oder körperlichen Aggressionen.
Bernd Retzlaff: „Ich weiß das klingt jetzt unglaublich und das werden mir viele Lehrer nicht abnehmen. Aber in der achten und neunten Klasse hier gab es keine Konflikte.“ (Stern TV; 26.06.02)
Dies hat auch die Schulleiterin Annemarie Quint festgestellt:
„Es hat sich grundlegend was verändert. Und zwar das Verhalten der Schüler zueinander und das Verhalten allgemein im ganzen Schulhaus. Und das ist die erste neunte Klasse seit ´98, seit ich da bin, in der wir wirklich überhaupt keine disziplinarischen Probleme haben.“ (Stern TV; 26.06.02)
Auch die Schüler spüren die Veränderungen durch die Hunde und für sie sind die
beiden schon zu „Klassenkameraden“ geworden, deren Fehlen eher bemerkt wird als
das eines Mitschülers.
„Wir sind über Tische gesprungen und haben uns in jeder Pause ein bisschen geschlagen, und dann gab es halt Ärger. Stühle sind geflogen, Tische auch. Schulverweise gab´s auch. Und dann kamen halt die Hunde. Und dann hat man halt aufgepasst, dass man die Hunde nicht trifft oder so.“ (Stern TV; 26.06.02)
„Es ist schon so, dass wir früher sehr rebellisch waren, aber so mit den Hunden ist es angenehmer in der Klasse. Wir reden mehr als dass wir streiten. Die machen alles viel angenehmer und man hat wirklich Angst, dass man einen Hund trifft.“ (Stern TV; 26.06.02)
„Man merkt halt eher, wenn ein Hund oder wenn irgendeiner, ein anderer Schüler fehlt. Der ist halt wie ein Klassenkamerad.“ (Stern TV; 26.06.02)
Zwar waren die Schüler anfangs skeptisch und konnten sich nicht vorstellen, wie ihr
Schulalltag mit den Hunden aussehen sollte. Aber es stellte sich schnell heraus, dass
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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die aufgestellten Regeln den Alltag schnell einkehren ließen, und die Hunde
irgendwann einfach nur noch „da“ waren.
„Chaos. Wir haben wirklich gedacht, das geht überhaupt nicht. Aber man gewöhnt sich wirklich daran. Und die liegen ja meistens nur rum und dann geht das schon.“ (Stern TV; 26.06.02)
„Gassigehen, das macht jeder freiwillig gern. Dass man aus dem Schulhaus mal rauskommt und mal ein wenig Abwechslung.“ (Stern TV; 26.06.02)
Wichtig für das Gelingen eines derartigen Projekts war vor allem, dass die Hunde
bestimmte Voraussetzungen mitbringen: Sie dürfen nicht schreckhaft sein und müssen
alle Situationen gelassen ertragen und völlig aggressionsfrei sein. Auch hier gilt: Nur
wenn beide – also Kinder und Hunde – Freude am Umgang miteinander haben,
können sich positive Wirkungen einstellen.
Bernd Retzlaff: „... Aber es muss ein Hund sein, wenn ein Lehrer so etwas machen möchte, und ich habe schon viele Anfragen von Kollegen bekommen, die gerne so etwas machen würden, es muss ein Hund sein, der gewöhnt, ist mitten im Trubel unter 20 Schülern sich ganz normal zu verhalten. Auch wenn 10 Kinderhände gleichzeitig an den Hund langen, dürfte er nicht erschrocken davonlaufen. ... Der Hund muss sozialisiert, menschenfreundlich und ein bisschen erzogen sein.“
Durch den Erfolg seines Projekts bekommt Bernd Retzlaff immer mehr Anfragen für
Vorträge auf Seminaren und ist Vorbild für ähnliche Projekte. Inzwischen wird „Schule
mit Jule“ vom leitenden Schulamtsdirektor sogar als Mutmacher für andere Schulen
empfohlen. (vgl. Retzlaff o.J.; Stern TV 26.06.02)
b) Hund wird stundenweise gezielt eingesetzt, gehört aber dem Therapeuten
Hierbei handelt es sich meist um Therapeuten, die ihren eigenen Hund in der Praxis
einsetzen. Die Unterscheidung zwischen Therapie- oder Sozialhund ist dabei nur
unscharf vornehmbar. Es gibt viele Beispiele aus der Autismustherapie, Logopädie,
aus Rehabilitationskliniken usw..
Der Hund in der Ergotherapie
Der Einsatz eines Hundes in der Ergotherapie ist in letzter Zeit vor allem durch Artikel
und Vorträge der Ergotherapeutin Petra-Kristin Petermann aus Berlin bekannt
geworden. Ihr Therapiekonzept wird im Folgenden näher beschrieben.
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
68
Um die Problematik in der Ergotherapie besser nachvollziehen zu können, ist zunächst
eine Begriffsklärung notwendig:
Ergotherapie ist die zusammenfassende Bezeichnung für Beschäftigungs- und Arbeitstherapie; findet Anwendung zur Therapie von Störungen der Motorik, der Sinnesorgane und der geistigen und psychischen Fähigkeiten bei Patienten und Behinderten jeden Alters. Der Ergotherapeut übt - je nach Defiziten, Fähigkeiten und Motivation der Patienten - mit ihnen Essen, Waschen, Ankleiden, Schreiben, den Umgang mit anderen Menschen, die Belastbarkeit am Arbeitsplatz u.a. Ziel ist die weitestmögliche Selbstständigkeit im täglichen Leben und im Beruf. (Psyrembel 1998; Ergotherapie)
Besonders im rehabilitativen Bereich der Ergotherapie ist eine hohe Motivation und
Mitarbeit des Patienten unbedingte Voraussetzung für Erfolge. Doch durch die neue
Situation und das neue Verhältnis zum Körper sind manche Patienten völlig überfordert
und stellen sich gegen therapeutische Maßnahmen. Hier und auch bei anderen
psychischen und kognitiven Problemen kann ein Hund den Therapeuten unterstützen.
Fr. Petermann setzt in ihrer Praxis ihre Hunde und teilweise auch andere Tiere in
Therapiesitzungen ein. Dabei muss man bedenken, dass Störungen bei motorischen,
psychischen oder kognitiven Problemen immer in Wechselwirkung miteinander stehen.
So zeigen z.B. Menschen mit Störungen in der sensorischen Verarbeitung, wie
Gleichgewichts- und Tastsinn, auch psychische Auffälligkeiten. Gerade wenn die
Wahrnehmung nicht normal abläuft, kommt der Mensch in eine Außenseiterrolle. Durch
die Defizite im sozial-emotionalen Bereich leidet das Selbstwertgefühl, das Vertrauen
zu anderen Menschen und es entstehen Ängste vor der Reaktion der Mitmenschen
und Kompensationsmechanismen. Je nach Persönlichkeit können Aggressionen
entstehen, die Menschen ziehen sich völlig zurück oder machen sich selbst bewusst
zum Clown. Um in diesem Fall den Tast- und Gleichgewichtssinn zu fördern, muss
zunächst die adäquate Konzentration und Ausdauer vorhanden sein. Hier kann die
Aufgabe des Hundes in der Ergotherapie gesehen werden. Diese Möglichkeiten des
Hundes im therapeutischen Prozess, die Rolle des Co-Therapeuten zu übernehmen,
kann auf vier Ebenen gesehen werden. (vgl. Petermann 2000)
Beobachtungsebene
Die erste Kontaktaufnahme mit dem Hund erfolgt über die Beobachtung, d.h. der
Hund wird mit den Augen wahrgenommen. Bereits dieses Fixieren und Verfolgen
ist für Menschen mit Muskel- und Gleichgewichtsstörungen keine leichte Aufgabe.
Dazu kommt, dass viele, besonders auch Kinder, die ohne Tiere aufwachsen, die
Sprache des Hundes nicht verstehen oder auch ihre eigene Körpersprache durch
Einschränkungen, z.B. in der Motorik nicht kennen. Dass nicht nur Worte, sondern
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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auch der Körper zur Verständigung und zum Ausdruck von Bezogenheit helfen
kann, müssen viele erst verstehen lernen. Hier eignet sich der Hund besonders gut,
da er über eine sehr ausgeprägte Körpersprache verfügt. Durch Beobachtungen
und Gespräche werden in dieser Phase bewusste Erfahrungen von Bewegung des
eigenen und fremden Körpers gemacht. Die Arbeit mit einem Hund bietet aber
noch einen weiteren Vorteil. Die Bewegungen des Hundes können nicht direkt mit
der menschlichen Bewegung verglichen werden. Daher wird dem Patienten seine
eigene Bewegungsstörung nicht mehr ständig bewusst gemacht. Durch dieses
gezielte Fixieren und Beobachten werden Konzentration, Beobachtung,
Sprachfähigkeit und Sprechbereitschaft gefördert. Aber auch im emotionalen
Bereich lassen sich Wirkungen feststellen. Der Patient muss seine Ängste und
Gefühle eingestehen und formulieren, wie weit sich der Hund nähern darf, ob er
Körperkontakt haben will, oder nicht, das muss der Patient mitteilen. Unter
anderem werden Regeln für den Umgang mit anderen Mitgeschöpfen wie
Rücksicht und Verantwortung gelernt und gefördert.
Kontaktebene
Da im therapeutischen Bereich nur Hunde, die sehr zugänglich und
menschenfreundlich sind, eingesetzt werden, wird der Hund auf jeden
„hundefreundlichen“ Patienten mit gleicher Freude und Zuneigung reagieren und
Kontakt bewusst suchen. Der Patient fühlt sich so – vielleicht zum ersten Mal –
akzeptiert und geliebt - so wie er ist. Dadurch wird das Selbstwertgefühl enorm
gesteigert, und er wird Vertrauen zur Therapiesituation aufbauen und dem
Therapeuten mit größerer Offenheit begegnen. Der Hund kann auch hier als
„Eisbrecher“ (Abschnitt 2.2.2) gesehen werden. Vor allem bei Patienten mit
Tastsinnesstörungen, die sehr unter Berührungsängsten leiden, übt der Hund eine
hohe Streichelmotivation aus.
Ebene der Selbstaktivität
Diese Ebene hat vor allem bei Kindern große Bedeutung und bietet viele
therapeutische Möglichkeiten. Für sie ist nach der ersten Kontaktaufnahme das
Spielen mit dem Hund attraktiv. Der Vorteil des Hundes als Co-Therapeut liegt
darin, dass er aktiv reagiert und dann Reaktionen fordert. Darüber hinaus ist ein
hohes Maß an Motivation, Vorstellungskraft, Umsetzungskraft, Aktivität,
Verantwortungsbewusstsein nötig. Der Patient muss sich auf den Spielpartner und
auf seine Bedürfnisse einstellen. Was für die meisten Hundebesitzer
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
70
selbstverständlich ist, muss für Patienten in der Ergotherapie oft erst mühsam
erarbeitet werden. Sie müssen lernen, dass der Hund nur spielt, wenn sich das
Spielzeug wie Beute verhält. Der Patient muss sich die Beute vorstellen, die ein
ehemaliger Wolf bevorzugt. Die Beute muss sich schnell und immer weiter weg
bewegen, bis sie schließlich flieht (= Werfen). Dafür sind folgende
Koordinationsleistungen erforderlich:
• „den Hund im Blick haben
• seine Reaktionen wahrnehmen, einschätzen, darauf reagieren
• in schnellen Bewegungsabfolgen die Beute über Boden hüpfen lassen bei
gleichzeitigem Ortswechsel“ (Petermann 2000; S.73)
Nach der „Flucht“ der Beute muss der Patient zum Mitwolf umschalten und dem
Hund die Beute streitig machen. Dabei werden nicht nur Bewegung und Motorik
gefördert, sondern auch aktives Gedächtnistraining. Der Patient muss sich die
erlernten Kommandos, wie „Bring“, „Aus“, „Komm“ merken, um den Hund dirigieren
zu können.
Ebene der komplexen Aktion
Eine weitere Möglichkeit für die Ergotherapie mit Hund bietet das Agility-Training.
Die Voraussetzung ist allerdings, dass dafür ein Vertrauensverhältnis zwischen
Patient und Hund bereits aufgebaut und sehr gut entwickelt sein muss. Außerdem
muss der Hund vorher schon im Agility trainiert sein.
Agility ist eine Sportart, bei der der Hund, durch Stimme und Handzeichen vom Hundführer dirigiert, verschiedene Hindernisse (Reifen, Tunnel, Hürden, Laufsteg, Wand, ect.) in vorgegebener Reihenfolge und auf Zeit überwindet. Der Hundeführer darf weder den Hund noch die Hindernisse berühren. (Petermann 2000; S.75)
Die Anforderungen können hierbei sehr gut auf die Patienten abgestimmt werden.
Am Anfang werden nur ein oder wenige Hindernisse verwendet. Dies kann
gesteigert werden, bis auch der Aufbau des Parcours vom Patienten übernommen
werden kann. Auch das erfordert Feinmotorik und vor allem ein verantwortliches
Planen des Parcours, so dass der Hund ihn auch bewältigen kann. Das Führen des
Hundes durch den Parcour erfordert Geschicklichkeit und Geduld. Bei der
Bewältigung dieser komplexen Anforderungen machen die Patienten hohe
Kompetenzerfahrungen, die sich wiederum positiv auf das Selbstwertgefühl und
somit auf den Therapieprozess auswirken.
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
71
Auch für diese Art des Einsatzes des Hundes ist es wichtig zu betonen, dass diese
wirkungsvollen Interaktionen zwischen Mensch und Hund nur zu Stande kommen
können, wenn eine positive Beziehung zwischen beiden besteht. Hierbei müssen die
Bedürfnisse beider berücksichtigt werden. Findet aber eine freie Begegnung statt, dann
kann sich daraus eine lockere und weniger angespannte Atmosphäre für alle
Beteiligten ergeben. (vgl. Petermann 2000)
c) Hund wird zu gezielten therapeutischen Einsätzen in die Institution gebracht
Hierbei handelt es sich um speziell ausgebildete Therapiehunde, d.h. sie sind speziell
für ihren Einsatz und die Mitarbeit in therapeutischen Situationen ausgesucht und
daraufhin ausgebildet worden. Die Ausbildung wurde in Abschnitt 2.4.2.1 bereits
beschrieben. Besonders Institutionen, wie Beratungsstellen, können von den
freiberuflich Tätigen, die sich von Fall zu Fall arrangieren, profitieren. Während der
Therapiesitzung übernimmt entweder der Therapeut den Hund oder der Halter, der
ebenfalls anwesend ist. Als Beispiel wird hier der Fall des 3-jährigen Kevin aus einer
Beratungsstelle vorgestellt, das Niepel in ihrem Buch „Mein Hund hält mich gesund“
beschreibt. Dies ist ein klassischer Fall von AAT, da durch den Einsatz des Hundes ein
vorher festgelegtes Ziel erreicht werden soll und eine Erfolgskontrolle erfolgt.
Fallbeispiel aus einer Beratungsstelle
...Kevin, bei dem es Mitarbeitern einer Beratungsstelle für entwicklungsgestörte, verhaltensauffällige Kinder durch das Hinzuziehen eines speziell ausgebildeten Therapiehundes gelungen ist, sowohl motorische Fähigkeiten des Kindes zu verbessern, als auch einige seiner Verhaltensauffälligkeiten in den Griff zu bekommen. Kevin, dessen Mutter während der Schwangerschaft Kokain und Heroin genommen hatte, wurde in der Beratungsstelle vorgestellt, weil er häufig Wutanfälle bekam und sich vehement gegen jegliche körperliche Berührung sperrte, was soweit ging, daß seine Mutter ihn nicht einmal baden konnte. Zudem hatte er mit seinen drei Jahren noch kein Wort gesprochen und nie versucht zu gehen, obwohl er bereits stehen konnte. Der Physiotherapeut war der Ansicht, daß es Kevin an der Motivation zu laufen fehlte. Sämtliche Versuche, ihn mit erprobten kindgemäßen Reizen wie Spielzeug, Musik oder Süßigkeiten zu locken, waren bereits fehlgeschlagen. Man entschloß sich, einfach einen Ortswechsel vorzunehmen und machte mit ihm einen Strandspaziergang. Als Kevin dort Möwen sah, deutete er auf sie, machte Geräusche und zeigte damit zum ersten Mal Anzeichen expressiven Kommunikationsverhaltens. Endlich hatte man etwas gefunden, das Kevins Aufmerksamkeit erregt und so wurde seinen Eltern vorgeschlagen, sich einen Vogel anzuschaffen. Jedesmal, wenn Kevin sich ohne Wutausbruch hatte baden lassen, durfte er zu dem Vogel. Nach einigen Wochen konnte ihn seine Mutter problemlos baden und in seiner siebten Therapiestunde sagte er sein
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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erstes Wort – und das war „Vogel“. Nachdem die Therapeuten diese dramatischen Veränderungen Kevins festgestellt hatten, entschieden sie sich, Kevin mit einem Therapiehund zusammenzubringen. Kevin war sofort sichtlich interessiert, initiierte von sich aus den Kontakt, streichelte den Hund. Das Prinzip der Therapie bestand nun darin, den Hund als positiven Verstärker einzusetzen – so wie man es zuvor mit dem Vogel erfolgreich versucht hatte. Man entwickelte ein 10-Stufenprogramm steigender Anforderungen an Kevin. Es begann damit, daß Kevin zum Hund krabbeln musste, um ihn streicheln zu können und endete auf seiner höchsten Stufe darin, daß Kevin ohne Hilfe durch den Therapeuten oder seine Eltern zum Hund laufen sollte. In der elften Sitzung schaffte Kevin seine ersten zwei Schritte in Richtung des Hundes, zum Ende der Sitzung überwand er zwei Meter gehend. (Niepel 1998; S.79)
Bei diesem Ablauf handelt es sich um ein relativ einfaches Therapiekonzept, das auch
aus der Pädagogik als Verhaltensmodifikation bekannt ist. Das Prinzip ist folgendes:
Unerwünschtes Verhalten (Verweigerung des Körperkontakts und des Laufens) wird
unterdrückt, indem man gewünschtes Verhalten (Laufenlernen und Berührungen
zulassen) fördert. Die Motivation für das Zeigen eines gewünschten Verhaltens ist der
Entzug bzw. die Gabe eines positiven Verstärkers, d.h. einer Belohnung (hier der
Kontakt zum Hund). (vgl. Niepel 1998; Schermer 1998)
2.4.2.2.3 Privathunde für Patienten
Hierbei bekommen Patienten für begrenzte Zeit Verantwortung für ein Tier oder den
Rat, sich ein eigenes Tier anzuschaffen. Laut einer Umfrage hat hier in Deutschland
jeder zweite Arzt einem Patienten schon einmal ganz bewusst ein Haustier empfohlen.
Ersterer Fall betrifft meist andere Tiere wie Vögel oder Kleintiere, nicht unbedingt
Hunde, weil die Verantwortung für einen Hund doch relativ hoch ist und er auf Dauer
eine feste Bezugsperson braucht. Allerdings wird die zeitweise Betreuung eines Tieres
bisher meist nur im Rahmen von Versuchen zur Mensch-Tier-Beziehung durchgeführt.
Ein Beispiel dafür, dass Patienten eine gewisse Zeit für ein Tier sorgen, beschreibt
Greiffenhagen in ihrem Buch „Tiere als Therapie“. Dieser Versuch wurde in einer
geriatrischen Klinik in Coatsville, USA, von der amerikanischen Therapeutin Mary
Thompson mit ihrem Hund Misty durchgeführt.
Misty als Co-Therapeutin in der Geriatrie
20 Patienten nahmen an dem Versuch teil, 10 von ihnen als Experimentalgruppe, die anderen als Kontrollgruppe ohne Behandlung. Die 10 für den Versuch bestimmten Patienten durften sich sechs Wochen lang wöchentlich dreimal mit den Tieren beschäftigen, mit ihnen spielen und sich vom Veterinärmediziner in den sachgerechten Umgang mit den Tieren
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
73
einweisen lassen. Psychologen dokumentierten die Entwicklung bei den Patienten. Das Ergebnis: [Es] ... zeigten sich große Fortschritte bei der Gruppe, die Tierbesuch hatte. Dabei profitierten Menschen mit nur geringfügigen Störungen am meisten. Gänzlich verwirrte sprachen weniger gut auf die Therapie an, aber auch sie wirkten im Kontakt mit den Tieren wacher als sonst. Bei einzelnen Kranken trat eine dramatische Besserung ein, zum Beispiel bei Mr. S., einem extrem regredierten Patienten. Er lebte in einer geschlossenen Abteilung der Klinik und hatte bisher für nichts und niemanden Interesse gezeigt. Da kam Misty, und Mr. S. stand zum ersten Mal freiwillig auf und streckte die Hand nach ihr aus. Nach einigen Sitzungen hatte er nur noch ein Ziel: Noch öfter mit Misty zusammenzukommen. Die Ärzte überließen ihm deshalb die Pflege des Tieres. Mr. S., der schon seit langer Zeit nicht mehr auf sein Äußeres geachtet hatte, wusch und frisierte sich wieder. Er lernte sprechen und wieder eine richtige Unterhaltung zu führen. Nach etwa sechs Wochen hatte sich sein Zustand so weit gebessert, daß er in eine offene Abteilung umziehen konnte. Man übertrug ihm sogar kleine Botengänge. Mary Thompsons Fazit: “Natürlich wirkt die Tiertherapie nicht bei allen Patienten, ebenso wenig, wie andere Therapieformen bei allen Patienten Erfolg bringen können. Aber wie traurig, wenn wir es nicht zumindest versuchen. (Greiffenhagen 1993; S.120)
Wichtig dabei ist, dass sich ein Tier nicht wie ein Medikament verordnen lässt. Auf
jeden Fall müssen beim Patienten bestimmte Voraussetzungen vorhanden sein. Er
muss sich über die Verantwortung im Klaren sein und auch über andere Faktoren, wie
Lebenserwartung, Kosten, Pflege usw. aufgeklärt sein. Die Partnerschaft zwischen
Mensch und Hund kann sehr positiv für alle Beteiligten ausfallen, wenn beide die
entsprechenden Voraussetzungen mitbringen. Daher konnten auch nicht alle Projekte
eine durchgängige Begeisterung von Patienten, sich um ein Tier kümmern zu dürfen,
feststellen. Es wurden auch entgegengesetzte Reaktionen festgestellt.
... Der überwiegende Teil der alten Menschen wollte gar kein Tier – nicht einmal einen Vogel und schon gar keinen Hund. Die Angst und die Ungewissheit, was an Verantwortung auf sie zukommen würde, stellte für die meisten Befragten einen Streßfaktor dar. (Niepel 1998; S.77)
Gerade bei einer „Verordnung“ eines Hundes sollten in erster Linie die Bedürfnisse des
Hundes abgeklärt und sichergestellt werden, dass der Patient diese Anforderungen
erfüllen kann. Hier sollte sich jeder Verantwortliche fragen, ob nicht auch ein anderes
Tier für den Patienten positive Effekte haben könnte. (vgl. Kusztrich 1992; Niepel 1998)
2.4.2.2.4 Besuchsdienste
Der Besuchsdienst ist ein typisches Beispiel für AAA, da hier keine direkten vorher
festgelegten Ziele verfolgt werden (Abschnitt 2.1.3.1). Ehrenamtliche Helfer besuchen
mit ihren eigenen Hunden Patienten in Institutionen wie Altenheimen, Krankenhäusern,
Kapitel 2: Der Hund als therapeutischer Begleiter: Begriffe, Geschichte, wissenschaftliche Forschung
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Kinderheimen, Tagespflegegruppen etc.. Auch „Hausbesuche“ gibt es, allerdings sehr
selten. Die Hundehalter selbst haben meist keine pädagogisch-psychologische oder
medizinische Ausbildung. Dabei sind inzwischen fast alle Altersklassen vertreten. Die
Patienten werden in ihren Zimmern besucht oder auch in Gruppenräumen. Wie bereits
erwähnt, übernimmt der Hund hier keine intendierte therapeutische Wirkung, sondern
soll allein durch seine Anwesenheit auf die Bewohner wirken. Der Alltag soll
aufgelockert und den Bewohnern Freude an den Tieren ermöglicht werden. Ein
derartiger Besuchsdienst wird im Moment von verschiedenen Vereinen in ganz
Deutschland organisiert, aber es gibt auch private Initiativen. Einer dieser Vereine ist
der „Verein Tiere helfen Menschen“, der in Kapitel 5.1 genauer vorgestellt wird. Wie
bereits in Abschnitt 2.4.2.1 beschrieben, müssen die eingesetzten Hunde bestimmte
Voraussetzungen erfüllen. Wichtig ist auch hier, dass der Besitzer sein Tier gut kennt
und es nicht überfordert. Auf diese Problematik, den Ablauf eines Besuchsdienstes und
meine eigenen Erfahrungen werden in Kapitel 5 eingegangen.
Übersicht 2-4: Kategorisierung von Hunden als Co-Therapeuten
Kategorisierungen von Hunden als Co-Therapeuten
Service- oder Assistenzhunde • Blindenführhunde (guide dogs) • Behindertenbegleithunde (assistance dogs) ⇒ neue Bezeichnung LPF-Hund • Signalhunde, Meldehunde (hearing dogs, alert dogs)
werden eingesetzt bei: - Gehörlosen - Epileptikern - Alzheimer-Patienten - Parkinson-Patienten - Diabetes-Patienten
Sozialhunde für AAA • Stations- oder Heimhunde
- bewegt sich ganztägig frei in der Institution - lebt im Zwinger in Außenanlagen der Institution
• Privathunde für Patienten • Besuchsdienste
Therapiehunde für AAT • Mitarbeiter oder freiberuflich tätige bringen eigenen Hund mit
- bewegt sich ganztägig frei in der Institution - wird stundenweise in therapeutischen Maßnahmen eingesetzt - wird zu gezielten therapeutischen Einsätzen in Institution gebracht