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Der Konsument – Ein mündiger Bürger? Rainer Brüderle Markt und Moral gehören zusammen. Ohne Moral ist kein verläßliches Wirtschaften möglich. Wer seine Partner nicht korrekt behandelt, kann in Zukunft nicht erwarten, daß sie noch für Geschäfte zur Verfügung stehen.

Der Konsument – Ein mündiger Bürger?

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Konsumentensouveränität

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Der Konsument – Ein mündiger Bürger?

Rainer Brüderle

Markt und Moral gehören zusammen. Ohne Moral ist kein verläßliches

Wirtschaften möglich. Wer seine Partner nicht korrekt behandelt, kann in

Zukunft nicht erwarten, daß sie noch für Geschäfte zur Verfügung stehen.

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Der Konsument – Ein mündiger Bürger?

Konsum: Bei aller Neutralität, die dieser Begriff eigentlich haben sollte,

schwingt doch häufig etwas Negatives mit. Die „Konsumgesellschaft“ muß

als Bezeichnung dafür herhalten, daß wir nur noch passiv herumsitzen, auf-

nehmen, was das Fernsehen uns an Unterhaltung bietet; und selbst im Thea-

ter oder Kino möglichst nicht mehr nachdenken wollen. Spektakel statt Den-

ken, sehen statt erleben, passiv statt aktiv. Konsumieren hat einen schlechten

Beigeschmack. Auf der anderen Seite ist der Konsument, der Verbraucher in

unserer Gesellschaft ein durchaus wichtiges Wesen. Er wird von Unterneh-

men und Politikern ernstgenommen, manchmal sogar hofiert. Ein Konsum-

klimaindex mißt jeden Monat das Verbrauchervertrauen und die Neigung

der Deutschen, Anschaffungen zu tätigen. Ganze Institute befassen sich

ausschließlich mit Konsumforschung. Und doch ist der Konsument meist

immer noch das unbekannte Wesen. Otto Normalverbraucher ist zwar in aller

Munde, aber in seine Seele können wir noch lange nicht gucken. Selbst die

statistischen Erhebungen und Umfragen, die die Konsumfreude der Bürger

für die nächste Zeit voraussagen sollen, treffen mit ihren Vorhersagen höchst

selten ins Schwarze. Das ist vielleicht auch ganz beruhigend. Natürlich hät-

ten die Statistiker gern belastbare Ergebnisse, die den Unternehmen und dem

Staat Planungssicherheit geben. Aber das ist in einer Marktwirtschaft eben

nicht vollständig möglich. Der Bürger ist als Konsument nicht perfekt vor-

hersehbar. Er kauft nicht, was die Statistik erzählt. Er kauft, wozu er gerade

Lust hat. Wir lassen uns als Verbraucher ungern vorschreiben, was wir kaufen

sollen. Es ist schon genug, daß unseren Wünschen Grenzen gesetzt werden,

weil wir – oder zumindest die allermeisten – nur ein begrenztes Budget zum

Ausgeben zur Verfügung haben. Im Rahmen dessen wollen wir wenigstens

die freie Auswahl haben.

Insofern können wir ganz klar feststellen: Ja, der Konsument ist in einer

Marktwirtschaft ein mündiger Bürger.

Dieses Leitbild der „Konsumentensouveränität“ wurde von Adam Smith, dem

Begründer der Volkswirtschaftslehre, im 18. Jahrhundert erdacht. Von Smith,

der Professor für Moralphilosophie in Edinburgh war, stammt der Satz: „Der

einzige Grund des Wirtschaftens ist der Konsum.“ Im Grunde ist dieser Satz

trivial. Es wäre schließlich absurd, Güter nur um der Produktion willen zu

produzieren. Das heißt auch, daß sich das Wirtschaften an den Konsumwün-

schen orientiert. Der Verbraucher steuert durch sein Nachfrageverhalten die

Güterproduktion. Die Unternehmen müssen das herstellen, was die Verbrau-

cher kaufen wollen. Wer sich nicht nach der Nachfrage richtet, bleibt auf

seinen Waren sitzen und verdient nichts. Das kann sich kein Unternehmer

leisten. Das Angebot richtet sich also nach der Nachfrage. Das ist die Kon-

sumorientierung des Marktes. So werden die Bedürfnisse der Verbraucher in

einer Marktwirtschaft optimal befriedigt. Die individuellen Bedürfnisse drü-

cken sich in jeder einzelnen Kaufentscheidung aus. Der eine achtet vor allem

auf einen günstigen Preis, dem anderen ist Qualität besonders wichtig, dem

dritten eine umweltschonende Herstellungsweise. Markenbewußtsein kann

eine Rolle spielen oder Energieverbrauch. Meistens fließen viele verschie-

dene Kriterien in die Kaufentscheidung ein. Jeder Verbraucher gewichtet sie

allerdings unterschiedlich. So stellt sich das vielgepriesene Preis-Leistungs-

verhältnis für jeden anders dar. Denn die Leistung bewertet jeder Mensch je

nach persönlichem Geschmack unterschiedlich. Aber was bestimmt im einzel-

nen das Handeln der Konsumenten? Diesen Aspekt der Konsumentscheidung

blendet das Marktmodell der ökonomischen K1lassiker aus. Und offensicht-

lich nicht nur die klassische Ökonomie. Es heißt schließlich auch im Volks-

Das ist Konsumentensouveränität. Jeder einzelne ist frei, zu entscheiden,

wie seine Bedürfnisse gestillt werden können. Das gehört zum Wesen der

Sozialen Marktwirtschaft.

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dieses ökonomische Grundrecht nicht teilweise auf? Mündig ist doch auch

der, der all diese Erwartungen an sein Kaufverhalten gerade nicht erfüllen

will. Zunehmend drängt sich außerdem die Politik in unsere Konsument-

scheidungen hinein. Unsere Konsumentensouveränität wird schon an vielen

Stellen durch den Staat beschnitten. Das fängt bei der Schulpflicht an und

hört bei der Verpflichtung, eine Kfz-Haftpflichtversicherung abzuschließen,

noch lange nicht auf. Selbst die Höhe der Krankenkassenbeiträge wird jetzt

vom Staat für alle verbindlich festgelegt. Der Staat zwingt uns nicht nur

zum Konsumieren mancher Güter, er verbietet auf der anderen Seite auch

den Konsum bestimmter Genußmittel. Es gibt illegale Drogen und es gibt seit

neuestem Rauchverbote an bestimmten Orten. Wie weit sollen die staatli-

chen Konsumvorgaben gehen? Wie weit soll die Politik in den persönlichen

Lebensbereich des einzelnen hineinregieren? Über die Schulpflicht können

sich die meisten von uns wohl noch relativ leicht verständigen. Es gibt al-

lerdings auch Menschen, die diese Pflicht ablehnen. Sollen die Kinder dieser

Leute mit Polizeigewalt in die Schule gebracht werden? Wer Auto fahren will,

muß gegen Schäden, die er bei anderen damit anrichten könnte, versichert

sein. Auch das halten die meisten für sinnvoll. Und immerhin bleibt ja für

den, der sich nicht versichern will, noch die Wahlfreiheit, dann eben aufs

Auto zu verzichten. Aber schon bei diesen noch relativ harmlosen Beispielen

wird deutlich, daß der Staat uns Bürger in bestimmten Situationen glaubt, zu

unserem Glück zwingen zu müssen, indem wir bestimmte Güter konsumieren

sollen. Die Ökonomen nennen diese Güter meritorische Güter. Das heißt so

viel wie „verdienstvolle“ Güter. Es wird nämlich angenommen, daß der Kon-

sum dieser Güter nützlicher ist, als es die Nachfrage in einer freien Markt-

wirtschaft zum Ausdruck bringt. Platt gesprochen: Die Menschen merken

nicht selbst, daß der Konsum einer Ware oder einer Dienstleistung für sie gut

ist. Also muß der Staat sie davon überzeugen. Entweder er subventioniert die

Waren oder Dienstleistungen. Wenn sie billiger sind, wird mehr konsumiert.

Oder er macht konkrete Vorschriften und zwingt uns zum Konsum. Es kann

unterschiedliche Ursachen für eine zu geringe Nachfrage nach einem Gut

geben:

mund: Über Geschmack läßt sich nicht streiten. Die Präferenzen, die Wün-

sche und Bedürfnisse der Verbraucher werden als gegeben hingenommen. Ist

unsere Kaufentscheidung aber wirklich so frei und souverän? Sind die Märkte

und die Waren wirklich nur dem Geschmack der Konsumenten unterworfen?

Schon bei Jugendlichen und zunehmend auch bei kleineren Kindern kann

man erleben, daß nicht nur persönlicher Geschmack, sondern auch sozialer

Druck eine Rolle dabei spielen, welche Turnschuhe gekauft werden „müssen“

und welche Jeans die richtige ist. Markenbewußtsein ist hier nicht so sehr

Qualitätskriterium als vielmehr Ausdruck dafür, sozial anerkannt zu werden

und zu einer Gruppe zu gehören. Zunehmend erwartet unsere Gesellschaft

auch vom erwachsenen Verbraucher bestimmte Verhaltensweisen.

•ErsollsichbeimKaufenmoralischverhalten.

•Ersollsichumweltbewußtverhalten.

•ErsollProdukteerwerben,dieohneSchadstoffehergestelltsind.

•Ersolldaraufachten,daßmöglichstwenigEnergiezurHerstell-

ung verbraucht worden ist.

•ErsollbeiElektrogerätenaufEnergieeffizienzimGebrauch

achten.

•ErsollProdukte,diemitKinderarbeitgefertigtwordensind,links

liegenlassen.

•Ersolldaraufachten,nurHandwerkerzubeschäftigen,diesich

an die Tarifverträge halten und ihren Mitarbeitern anständige

Löhne zahlen.

•Ersollnachhaltigkonsumieren.

•UndnichtzuletztsollerbeiUnternehmenkaufen,diesichsozial

verantwortlich zeigen und sich der ganzen Welt verpflichtet

fühlen; die bei Tsunamis in Südostasien helfen und Geld für die

Aidsbekämpfung zur Verfügung stellen.

Wenn wir das alles beherzigen sollen, sind wir dann wirklich noch mündige

Verbraucher? Ist das dann noch Konsumentensouveränität oder geben wir

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seiner Bewohner. Aber auch die übrigen Bewohner und Besucher

der Stadt ziehen einen Nutzen daraus und erfreuen sich an einem

gepflegten alten Haus. Also wird der Erhalt der Fassade als

meritorisches Gut durch Auf lagen und Subventionen gefördert.

Es gibt also vielfältige und manchmal auch gute Gründe, warum der Staat in

die freie Konsumentscheidung des Einzelnen eingreifen kann.

Einige Libertäre würden sicher nahezu jeden Staatseingriff als Eingriff in die

Konsumentensouveränität ablehnen. Ich halte den Staat in manchen Situa-

tionen für unverzichtbar. Das ist nicht zuletzt in der aktuellen Finanzkrise

deutlich geworden. Unser Geldsystem beruht auf Vertrauen. Auf dem Ver-

trauen, daß wir unsere Geldscheine und Münzen auch wieder in Waren im

entsprechenden Gegenwert eintauschen können. Und auf dem Vertrauen,

daß die Banken unsere Ersparnisse, die wir ihren anvertrauen, nicht verun-

treuen. Solche Garantien muß der Staat geben können. Ein Freibrief für Re-

gierungen, sich überall einzumischen, ist das aber nicht. Ganz offensichtlich

wird das dann, wenn der Staat uns nicht einmal zutraut, selbst entscheiden

zu können, wieviel Schokolade gut für uns ist. Wenn Lebensmittel mit Am-

pelfarben gekennzeichnet werden, nach dem Motto:

grün – kann man unbedenklich essen;

gelb – mit Vorsicht zu genießen; und

rot – Finger weg, das macht dick;

dann fühlt sich vermutlich auch der selbstbewußteste Kunde im Supermarkt

vom „big brother“ oder mindestens von seinen Nachbarn kontrolliert.

•IrrationaleEntscheidungen:Manglaubt,daßdieKonsumenten

ihre Kaufentscheidungen nicht nach rationalen Erwägungen

treffen, weil sie die Vorteile und die Nachteile nicht hinreichend

durchdenken oder die komplexen Wirkzusammenhänge nicht

durchschauen. Beispielsweise wurde das Nichtanlegen des

Sicherheitsgurtes im Auto vom Gesetzgeber als irrationale

Entscheidung bewertet. Das führte zur Einführung der

Gurtpflicht.

•UnvollständigeInformation:Dabeiwirdangenommen,daßdie

Verbraucher über ein Gut nicht ausreichend informiert sind.

Hauseigentümer wissen zum Beispiel oft nicht, welche

Einsparungen sich durch Maßnahmen zur Wärmedämmung

erzielen lassen. Deshalb hat der Staat zeitweise entsprechende

Gutachten subventioniert.

•Zeitpräferenzrate:HäufigistunsderzukünftigeKonsumweniger

wichtig als der heutige. Meritorische Güter werden oft damit

begründet, daß die Konsumenten zu wenig an die Zukunft denken.

Die Einführung der Pflicht zur Pflegeversicherung wurde zum

Beispiel damit begründet, daß die Menschen in jungen Jahren

ihrer späteren Pflegebedürftigkeit zu geringe Bedeutung

beimessen.

•ExterneEffekte:DurchexterneEffekteweichtderNutzen

desjenigen, der über die Nachfrage entscheidet, vom gesamten

volkswirtschaftlichen Nutzen ab. Da der Konsument bei seinen

Entscheidungen den Nutzen anderer Personen nicht oder nicht

genügend berücksichtigt, entspricht die Nachfrage nicht dem

volkswirtschaftlichen Optimum.

Beispielsweise bewertet ein Hauseigentümer den Nutzen, eine

denkmalgeschützte Fassade zu erhalten, nur nach dem Nutzen

Die Frage bleibt: Wo kommt der Staat seiner Fürsorgepflicht nach, wo

sind seine Eingriffe in unserem Sinne? Und wo fängt die

Entmündigung an?

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in jedem Fall beide, sonst würde der Tausch nicht stattfinden. Der Tausch

von Ware oder Arbeitskraft erfolgt nur, wenn beide Partner bestmöglich die

Wünsche des jeweils anderen befriedigen. Diesen täglich immer wieder zu

beobachtenden zwischenmenschlichen Wohlstandsgewinn am Markt haben

manche als „Wunder des Kapitalismus“ beschrieben. Unmoralisch ist daran

jedenfalls nichts. Fair in dem Sinne, daß niemand übers Ohr gehauen wird,

weil er das Produkt nicht auf Anhieb richtig bewerten kann oder Quali-

tätsmängel erst im Gebrauch feststellen kann, sollte es aber in jedem Fall

zugehen. Immer mehr Kunden fordern von den Unternehmen, deren Produk-

te sie kaufen, über die Ware hinaus auch gesellschaftliche Verantwortung

ein. Sie stimmen beim Einkaufen mit dem Geldbeutel ab. Viele Verbraucher

sind bereit, mehr Geld auszugeben, wenn ein Produkt „verantwortlich“ pro-

duziert worden ist. Laut Umfragen werden zum Beispiel Moral und Fairneß

immer mehr zu Maßstäben für Kaufentscheidungen, zumindest in der Ein-

stellung der Konsumenten. In einer repräsentativen Studie haben 93 Prozent

der Verbraucher angegeben, sie hielten es für sehr wichtig, daß Unterneh-

men moralisch korrekt handeln. Auch wenn wahrscheinlich längst nicht alle,

die das sagen, auch so handeln, zeigt sich darin doch ein Trend. Moral ist

Bestandteil der Kaufentscheidung. Auch diese Präferenzen der Verbraucher

schlagen sich im Marktprozeß nieder und müssen nicht vom Staat vorgege-

ben werden. Moral hat den Markt längst erreicht. Handel, Märkte und die

Ökonomie insgesamt haben mit menschlichem Verhalten zu tun. Und das

ist geprägt von unserem Sinn von Moral, Fairneß und Gerechtigkeit. Unser

moralisches Empfinden ist damit auch Gegenstand der Wirtschaft. Vielfach

wird allerdings bestritten, daß der Kunde tatsächlich immer König ist, und es

wird behauptet, daß es mit der Konsumentensouveränität gar nicht so weit

her sei. Was kann der einzelne Mensch schon gegen ein Industrieunterneh-

men oder eine Handelskette ausrichten? Ein besonders deutliches Beispiel

dafür, daß das funktionieren kann, war am Montag in der „Tageszeitung“

zu lesen. Unter der Überschrift „Mit Karotten gegen Klimafrevel“ wurde da-

rüber berichtet, wie sich in den Vereinigten Staaten eine neue Protestform

entwickelt: der „Carrotmob“. Beim „Carrotmob“, auf deutsch Karottenmeute,

Ist es sinnvoll, wenn der Staat seinen Kommunen vorschreibt, welche Kriteri-

en sie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge an Handwerker berücksichtigen

müssen? Darf ein Handwerker einen Auftrag nur bekommen, wenn er Frau-

enförderung betreibt und andere Sozialkriterien berücksichtigt? Über all das

läßt sich trefflich streiten. Gesunde Ernährung und Frauenförderung sind eh-

renwerte Ziele. Aber ist es Aufgabe des Staates, uns das vorzuschreiben? Ein

mündiger Konsument – den die Politik immer gern zumindest verbal bemüht

– könnte auch genau umgekehrt denken. Er möchte möglicherweise, wenn

er einen Handwerker beauftragt, eine Dienstleistung kaufen, nicht mehr und

nicht weniger. Wenn er zum Bäcker geht, möchte er Brot, Brötchen oder

Kuchen kaufen und erwartet sonst nichts.

Wer sich finanziell an einem Unternehmen beteiligt, indem er Aktien kauft,

könnte eigentlich auch erwarten, daß die Unternehmensmanager den Wert

des Unternehmens mehren. Er erwartet nicht, daß sich das Unternehmen um

die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit kümmert, bei Flutkatastrophen hilft,

für mildtätige Zwecke spendet oder Aids bekämpft. All das sind unbestreitbar

gute Dinge. Aber kann ein mündiger Bürger nicht selbst entscheiden, ob und

wieviel Geld er für welches Anliegen ausgibt? Wer als Altersvorsorge Aktien

kauft, möchte damit nur für sein Alter vorsorgen. Seine moralischen Ansprü-

che bedient er vielleicht mit seiner Kirchenmitgliedschaft, durch Spenden,

Engagement im Sportverein oder durch ehrenamtliche Mitarbeit bei der Ob-

dachlosenhilfe.

Der Markt braucht auch Moral. Das hat Bundespräsident Horst Köhler kürz-

lich im Zuge der Bankenkrise wieder angemahnt. Ob der Markt selbst, der

Ort, an dem sich Angebot und Nachfrage treffen, moralisch sein kann, sei

einmal dahingestellt. Wenn zwei Menschen miteinander handeln, gewinnen

Noch beim Brötchenkauf moralischen Ansprüchen genügen zu müssen,

wäre für die meisten wohl zu Recht eine Zumutung.

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tionistische Verschwendung von Steuergeldern. Das freiwillige Engagement

von Unternehmen zur Imagepflege ist im Übrigen keine neue Erscheinung.

Schließlich gab es den Handel schon lange vor der Einführung eines durch-

setzbaren Wirtschaftsrechts. Ohne Vertrauen in die Seriosität des Handels-

partners ging das nicht. Der gute Ruf war für jeden Kaufmann unverzicht-

bares Kapital. Ohne Verantwortung, Vertrauen und einem guten Ruf waren

Geschäfte noch nie möglich. Das gehört einfach zu einem erfolgreichen Un-

ternehmertum dazu.

Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen hat in Deutschland

vor allem in den Familienunternehmen, im Mittelstand eine lange Tradition.

Und in der Zeit der Industrialisierung haben Unternehmen Werkswohnungen

für die Arbeiter gebaut, Hilfen bei Krankheit, Erwerbsunfähigkeit und Alter

geschaffen, Kindergärten eingerichtet und Kultur und Sport der Mitarbeiter

gefördert. Ohne Vertrauen funktioniert auch heute kein Markt, kein Kauf

und Verkauf von Waren oder Dienstleistungen. Jeder Konsument muß zu

einem gewissen Grad darauf vertrauen können, daß das, was er erwirbt, in

Ordnung ist. Daß Lebensmittel nicht vergiftet sind. Daß technische Gerä-

te beim Gebrauch nicht explodieren. Daß Produktinformationen auch der

Wahrheit entsprechen. Sicher, vor dem Kauf sollte sich der Konsument im

Idealfall informieren. Wer sich aber vor jeder Kaufentscheidung umfassend

informiert, ist zwar perfekt auf den Kauf vorbereitet, hat aber vermutlich vor

lauter Studium von Testzeitschriften, vor lauter Internet-Recherchen und

Expertenbefragungen keine Zeit mehr zum eigentlichen Konsumieren. Es ist

nicht rational, nicht effizient, nicht wirtschaftlich, sich vollkommen, voll-

ständig zu informieren. Vertrauen bietet dann Orientierung und Sicherheit,

verringert Kontrollen und Transaktionskosten und reduziert die Komplexität

im Markt. Wie wichtig Vertrauen im Wirtschaftsleben ist, erleben wir gerade

jetzt, wo das Vertrauen in weiten Teilen der Finanzwelt verlorengegangen ist.

Jetzt läßt sich das Vertrauen nicht so schnell wieder herstellen, schon gar

nicht dadurch, daß eine Regierung erklärt, es müsse wieder Vertrauen herr-

schen. Der Staat muß deswegen in der gegenwärtigen Krise kräftig eingrei-

geht es darum, mit dem vollen Einkaufwagen Politik zu machen. Wenn sich

hundert Leute zusammentun – und so viele würde man für nahezu jedes

Anliegen in einer deutschen Stadt zusammenbekommen –, können sie Händ-

ler und Produzenten dazu bewegen, beispielsweise umweltfreundlicher oder

sozialverträglicher zu werden. Der Händler, der den höchsten Prozentsatz des

Umsatzes für einen energiesparenden Geschäftsumbau einzusetzen bereit

ist, bei dem wird eingekauft. „Firmen tun alles für Geld“, sagt der Erfinder.

In den USA funktioniert das. Das ist ein Beispiel für Umweltschutz über den

Markt. Aber auch bei uns stellen viele Unternehmen nicht nur ihre Produkte

her, bewerben deren gute Qualität oder deren niedrigen Preis. Sie betreiben

gleichzeitig eine Imagewerbung, für die sich neudeutsch der Begriff „Corpo-

rate Social Responsibility“ eingebürgert hat. Das bezeichnet eine soziale Ver-

antwortung der Unternehmen. Hier leisten Firmen einen freiwilligen Beitrag

beispielsweise für den Umweltschutz oder zugunsten ihrer Arbeitnehmer, die

über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehen. Sie engagieren sich für die

Wissenschaft, gründen Stiftungen für gemeinnützige Zwecke oder richten

Betriebskindergärten ein.

Selbst das Bundesarbeitsministerium, das im allgemeinen nicht gerade für

große Unternehmerfreundlichkeit bekannt ist, gibt zu, daß das gesellschaft-

liche Engagement der deutschen Wirtschaft außerordentlich hoch ist. Deut-

sche Unternehmen sind auch international Vorbilder bei der Übernahme von

Verantwortung. Die Politik ist mittlerweile auf diesen fahrenden Zug auf-

gesprungen. Das Bundesarbeitsministerium plant eine nationale Corporate-

Social-Responsibility-Strategie, kurz CSR. Es soll sogar ein CSR-Label geben.

Ein politisch besetzter Beirat soll entscheiden, was als sozial verantwortlich

gilt und was nicht. Das halte ich allerdings für dirigistisch. Von Freiwilligkeit,

Vielfältigkeit und Verantwortung bleibt dann nichts mehr. Hier soll im Ge-

genteil zentral politisch gesteuert werden, wie sich Unternehmen im Wett-

bewerb verhalten sollen. Angesichts des freiwilligen vorbildlichen Verhaltens

der deutschen Wirtschaft auf diesem Gebiet drängt sich der Verdacht auf,

daß die CSR-Initiative des Bundesarbeitsministers nicht mehr ist als eine ak-

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Jahrzehnten deutlich gestiegen. Wenn man sich die letzten fünfzig Jahre an-

sieht, fällt einem die gestiegene Zahl an Bildungsabschlüssen im Realschul-,

Abitur- und Hochschulbereich sofort ins Auge. Die Menschen sollten also

in der Lage sein, Unternehmen und Produkte besser beurteilen zu können.

Verbraucher wissen heute sehr viel mehr als früher über Produktionsbedin-

gungen, Menschenrechte oder Umweltbedingungen. Sie sind kritischer ge-

worden und informieren sich nachweislich genauer. Im Internetzeitalter und

der damit einhergehenden weltweiten Vernetzung können Unternehmen den

Konsumenten kaum noch etwas verheimlichen. Die Globalisierung stärkt die

Macht der Verbraucher. Häufig scheint es für viele Verbraucher trotzdem

noch bequemer zu sein, nach dem Staat zu rufen. Der Staat soll sagen, was

das beste Produkt ist und möglichst noch alle anderen verbieten. Sich selbst

zu informieren, ist schließlich mühsam. Aber das ist der Preis der Freiheit.

Entscheidungen treffen zu müssen, gehört zum mündigen Bürger dazu. Denn

wer von uns will sich schon alle Entscheidungen abnehmen und damit letzt-

endlich auch aufzwingen lassen! Wer möchte sich schon seinen Lebensstil

vom Staat diktieren lassen!

Dann gilt der alte Spruch, daß der Kunde König ist – und der Konsument

mündig - auch in Zukunft.

fen. Er bürgt in großem Stil dafür, daß Kredite unter Banken auch zurückge-

zahlt werden, um das verlorengegangene Vertrauen zu ersetzen.

Unternehmen handeln also nicht aus rein altruistischen Gründen, wenn sie

Gutes tun und sich damit einen guten Ruf erwerben. Vielmehr erhoffen

sie sich dadurch ein besseres Image bei potentiellen Kunden und langfris-

tig mehr Absatz. Das ist legitim und es zeigt, daß der Markt funktioniert.

Bei größeren, börsennotierten Unternehmen ist ein solches sozial verant-

wortliches Verhalten mittlerweile ein wichtiger Baustein, um gute Ratings

zu bekommen und von Investoren in bestimmten Fonds und Kapitalanlagen

berücksichtigt zu werden. Auch wenn die Ratingagenturen aktuell gerade

in Mißkredit gekommen sind, weil sie möglicherweise zu leichtsinnig gute

Noten für die Bonität von Finanzinstituten verteilt haben, werden Unter-

nehmensbewertungen auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Denn das

dient, wenn die Fehler des bisherigen Systems abgestellt worden sind, der

Information der Kunden und Anleger. In punkto Information und Aufklä-

rung kann der Staat tatsächlich eine Rolle in der Marktwirtschaft spielen.

Die bekannteste Institution zur Verbraucherinformation in Deutschland ist

die Stiftung Warentest. Sie wurde 1964 vom Bundeswirtschaftsminister ins

Leben gerufen und wird jährlich mit Steuermitteln versorgt, um Produkte

zu prüfen und zu testen. Ich kenn niemanden, der an dieser segensreichen

Einrichtung etwas auszusetzen hätte. Aber auch das Ordnungsrecht ist eine

Möglichkeit, für mehr Aufklärung zu sorgen. Der Staat verpflichtet zum Bei-

spiel Banken, die Kunden über die Risiken ihrer Produkte aufzuklären. Wer

das als Bank nicht tut, setzt sich der Schadenersatzforderungen seiner Kun-

den aus. Der Konsument kann sich inzwischen auch sehr viel besser selbst

informieren als früher. Die Bildung der Verbraucher ist in den vergangenen

Markt und Moral gehören zusammen. Ohne Moral ist kein verläßliches

Wirtschaften möglich. Wer seine Partner nicht korrekt behandelt, kann

in Zukunft nicht erwarten, daß sie noch für Geschäfte zur Verfügung

stehen.

In diesen sauren Apfel, uns als Konsumenten zu informieren, müssen

wir schon beißen.

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