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Max-Planck-Institut für Biochemie Martinsried Design und Synthese niedermolekularer Inhibitoren der Serinproteasen uPA und FXa Neuartige Wirkstoffe zur anti-metastatischen bzw. anti-thrombotischen Therapie Dissertation Stefan Sperl Martinsried 2000 online: http://tumb1.biblio.tu-muenchen.de/publ/diss/allgemein.html

Design und Synthese niedermolekularer Inhibitoren der Serinpromediatum.ub.tum.de/doc/601134/document.pdfEwa Zeslawska, Dr. Uwe Jakob undProf. Dr. Robert Huber (Abteilung Strukturforschung)

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  • Max-P lanck- Ins t i tu t fü r B iochemie

    Mar t ins r i ed

    Design und Synthese niedermolekularer Inhibitoren

    der Serinproteasen uPA und FXa

    Neuartige Wirkstoffe zur anti-metastatischen bzw. anti-thrombotischen

    Therapie

    Dissertation

    Stefan Sperl

    Martinsried 2000

    online: http://tumb1.biblio.tu-muenchen.de/publ/diss/allgemein.html

  • Max-P lanck- Ins t i tu t fü r B iochemie

    Mar t ins r i ed

    Design und Synthese niedermolekularer Inhibitoren der

    Serinproteasen uPA und FXa

    Neuartige Wirkstoffe zur anti-metastatischen bzw. anti-thrombotischen Therapie

    Stefan Sperl

    Vollständiger Abdruck der von der Fakultät für Chemie der Technischen

    Universität München zur Erlangung des akademischen Grades eines

    Doktors der Naturwissenschaften

    genehmigten Dissertation.

    Vorsitzender: Univ.-Prof. Dr. Dr. Adelbert Bacher

    Prüfer der Dissertation: 1. apl. Prof. Dr. Luis Moroder

    2. Univ.-Prof. Dr. Johannes Buchner

    3. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Hiller

    Die Dissertation wurde am 13.06.2000 bei der Technischen Universität München

    eingereicht und durch die Fakultät für Chemie am 18.07.2000 angenommen.

  • Teile der vorliegenden Arbeit wurden wie folgt zusammengefaßt:

    Publikationen:

    Sperl, S.; Bergner, A.; Stürzebecher, J.; Bode, W.; Moroder, L. (2000). Urethanyl-3-

    Amidinophenylalanine Derivatives as Inhibitors of Factor Xa; X-Ray Crystal Structure

    of a Trypsin/Inhibitor Complex and Modeling Studies. Biol. Chem. 381, 321-329.

    Sperl, S.; Jacob, U.; Arroyo de Prada, N.; Stürzebecher, J.; Wilhelm, O. G.; Bode, W.;

    Magdolen, V.; Huber, R.; Moroder, L. (2000). (4-aminomethyl)-phenylguanidine

    derivatives as non-peptidic highly selective inhibitors of human urokinase. X-ray crystal

    structure of an uPA/inhibitor complex at 1.8 Å resolution. Proc. Natl. Acad. Sci. USA.

    97, 5113-5118.

    Zeslawska, E.; Schweinitz, A.; Karcher, A.; Sondermann, P.; Sperl, S.; Stürzebecher, J.;

    Jacob, U. (2000). Crystals of the urokinase type plasminogen activator variant βc-uPAin complex with small molecule inhibitors open the way towards structure based drug

    design. J. Mol. Biol. 301, 465-475.

    Magdolen, V.; Arroyo de Prada, N.; Sperl, S.; Muehlenweg, B.; Luther, T.; Wilhelm, O.

    G.; Magdolen, U.; Graeff, H.; Reuning, U.; and Schmitt, M. (2000). Natural and

    synthetic inhibitors of the tumor-associated serine protease urokinase-type plasminogen

    activator. Adv. Exp. Med. Biol. 477, 331-342.

    Bürgle, M.; Sperl, S.; Stürzebecher, J.; Schmalix, W.; Kessler, H.; Magdolen, V.; Wilhelm,

    O. G.; Schmitt, M. (2000). Urokinase and its Receptor (CD87): new targets for tumor

    therapy. in: Proteinase and peptidase inhibition: recent potential targets for drug

    developement. (Smith, J. & Simons, C., ed.), Gordon & Breach Science Publishers,

    Lausanne, Suisse. (im Druck).

    Schmitt, M.; Wilhelm, O. G.; Reuning, U.; Krüger, A.; Harbeck, N.; Lengyel, E.; Graeff,

    H.; Gänsbacher, B.; Kessler, H.; Bürgle, M.; Stürzebecher, J.; Sperl, S.; Magdolen, V.

    (2000). The urokinase plasminogen activator system as a novel target for tumour

    therapy. Fibrinolysis & Proteolysis 14, 114-132.

  • Patentanmeldungen:

    Sperl, S., Moroder, L., Magdolen, V., Stürzebecher, J., Wilhelm, O. G. (1999). Selektive

    Inhibitoren des Urokinase -Plasminogen Aktivators. (DE 199 403 89.9)

    Sperl, S., Jacob, U., Arroyo de Prada, N., Stürzebecher, J., Wilhelm, O. G., Bode, W.,

    Magdolen, V., Huber, R., Moroder, L. (2000). Hochselektive Inhibitoren des Urokinase-

    Plasminogenaktivators. (DE 100 137 15.6)

    Sperl, S., Stürzebecher, J, Moroder, L. (2000). Derivate des (R)-3-Amidinophenylalanins

    als Inhibitoren des Faktors Xa (eingereicht).

    Vorträge:

    Sperl, S. (1998). Design and synthesis of substrate-based inhibitors of urokinase. 16th

    Winter School on Proteinases and their Inhibitors. Recent Developments. Tiers, Italien.

    Sperl, S. (1999). New Lead Structures for uPA and Factor Xa Inhibitors. 17th Winter

    School on Proteinases and their Inhibitors. Recent Developments. Tiers, Italien.

    Sperl, S. (1999). Design und Synthese von selektiven uPA Inhibitoren. 4. Jenaer

    Proteolysetag, DFG-Rundgespräch, Erfurt.

    Sperl, S. (2000). Design, Synthesis and X-Ray Structure of a new class of selective uPA

    Inhibitors. International Symposium on Proteinase Inhibitors and Activators – Strategic

    Targets for Therapeutic Intervention, Oxford, UK.

    Poster:

    Sperl, S.; Jacob, U.; Arroyo de Prada, N.; Stürzebecher, J.; Wilhelm, O. G.; Bode, W.;

    Magdolen, V.; Huber, R.; Moroder, L. (2000). Design, synthesis and X-ray crystal

    structure of a new class of selective uPA-inhibitors. 15th International Congress on

    Fibrinolysis and Proteolysis, Hamamatsu, Japan.

  • Meinen Eltern

  • Die vorliegende Arbeit wurde in der Zeit von Juni 1997 bis Juni 2000 am Max-

    Planck-Institut für Biochemie in Martinsried unter Anleitung von Herrn Prof. Dr.

    Luis Moroder angefertigt.

    Mein besonders herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Luis

    Moroder, der mir diese sehr interessante Aufgabe gestellt hat. Er hatte immer ein

    offenes Ohr für unkonventionelle Ideen und ließ mir gleichzeitig den nötigen

    Freiraum zur Ausgestaltung des Themas und zur Umsetzung der Ideen. Darüber

    hinaus möchte ich mich bei ihm auch für die übertragene Verantwortung innerhalb

    der Arbeitsgruppe und das mir damit erwiesene Vertrauen bedanken.

    Desweiteren bedanke ich mich recht herzlich bei allen Kooperationspartnern, ohne

    die diese interdisziplinäre Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Ich danke

    Ewa Zeslawska, Dr. Uwe Jakob und Prof. Dr. Robert Huber (Abteilung

    Strukturforschung) für die Röntgenstrukturanalyse des uPA/Inhibitor-Komplexes,

    Dr. Andreas Bergner und Prof. Dr. Wolfram Bode (Abteilung Strukturforschung)

    für die Röntgenstrukturanalyse des Trypsin/FXa-Inhibitor-Komplexes und die

    Durchführung der Modelling-Experimente,

    PD Dr. Jörg Stürzebecher, Christa Böttner und Reiner Sieber (Klinikum der

    Universität Jena, Zentrum für vaskuläre Biologie und Medizin, Erfurt) für die

    rasche Bestimmung der Inhibitionskonstanten und die pharmakokinetischen

    Untersuchungen,

    Nuria Arroyo de Prada und Dr. Viktor Magdolen (Klinikum rechts der Isar der

    Technischen Universität München) für die Toxizitätsuntersuchungen und die

    zahlreichen interessanten und hilfreichen Diskussionen,

    Prof. Dr. Marianne Jochum und Prof. Dr. Hans Fritz für die finanzielle

    Unterstützung durch den Sonderforschungsbereich 469 der LMU München.

  • Mein weiterer Dank gilt:

    PD Dr. Olaf G. Wilhelm (Wilex Biotechnology GmbH, München) für sein großes

    Vertrauen und Interesse an meiner Arbeit.

    Der ganzen Arbeitsgruppe „Bioorganische Chemie“, die mich sehr freundlich

    aufgenommen hat und deren Mitglieder mich stets nach Kräften unterstützt haben.

    Namentlich hervorheben möchte ich Constanze Müller, die sehr viel Zeit und

    Geduld bewies, um einen ehemaligen „Anorganiker“ in einen brauchbaren

    bioorganischen Chemiker zu konvertieren. Günther Loidl, der mich bei etlichen

    Gläsern Wein den Frust über nicht-inhibierende „Inhibitoren“ vergessen ließ.

    Bernhard Gabriel und Norbert Schaschke danke ich für die zahlreichen

    Diskussionen bei Syntheseproblemen. Besonders danken möchte ich Jürgen Musiol,

    der zu jedem Problem stets hilfreiche Literatur bereithielt, aber auch für die netten

    Kaffeepausen. Lissy Weyher und Sigi Bauer danke ich für die zuverlässige

    Durchführung der Massenspektrometrie ebenso wie Hans Stocker für seine Hilfe

    bei allen technischen Fragen. Meinem „Nachfolger“ Markus Michael Müller

    wünsche ich weiterhin viel Erfolg und danke ihm, daß er mich diese Arbeit

    weitgehend ungestört schreiben ließ. Vielen Dank auch an Bernd Mühlenweg, der

    sich drei Jahre mit mir eine Stelle teilen mußte und während unserer

    „Gründungsphase“ viel Engagement bewies.

    Bei meiner WG (Ela, Flo, Julia und Amely) bedanke ich mich herzlichst für die

    lustige Zeit und für das große Verständnis, wenn ich mich mal wieder um die

    Hausarbeit gedrückt habe.

    Besonderer Dank gebührt schließlich meinem cariñito Nuria, die mir durch ihre

    unendliche Liebe die Freizeit versüßt und immer für mich da ist.

  • Inhaltsverzeichnis

    1. Einleitung __________________________________________________________ 1

    1.1. Klassifizierung der Proteasen _____________________________________________ 1

    1.2. Struktur trypsin-ähnlicher Serinproteasen __________________________________ 2

    1.3. Struktur der aktiven Zentren von Faktor Xa, uPA, Thrombin, tPA und Trypsin __ 4

    2. Urokinase Inhibitoren ________________________________________________ 7

    2.1. Die Rolle von uPA bei der Tumorprogression und Metastasierung ______________ 7

    2.2. Der Urokinase-Typ Plasminogenaktivator__________________________________ 10

    2.3. Das uPA-uPAR-System _________________________________________________ 12

    2.4. Klinische Relevanz von uPA, uPAR, PAI-1 und PAI-2 _______________________ 13

    2.5. Inhibition des uPA-uPAR-Systems – Prinzipielle Therapieansätze______________ 14

    2.6. uPA-Inhibitoren _______________________________________________________ 16

    2.6.1. Natürliche uPA-Inhibitoren _________________________________________________ 16

    2.6.2. Synthetische uPA-Inhibitoren________________________________________________ 18

    2.7. Zielsetzung____________________________________________________________ 21

    2.8. Ergebnisse und Diskussion ______________________________________________ 22

    2.8.1. Tripeptid-Methylketone ____________________________________________________ 22

    2.8.2. Phenylguanidin-Derivate als selektive uPA-Inhibitoren____________________________ 27

    3. Faktor Xa Inhibitoren________________________________________________ 51

    3.1. Die Blutgerinnungskaskade ______________________________________________ 51

    3.2. Natürliche und synthetische FXa Inhibitoren _______________________________ 54

    3.3. Zielsetzung____________________________________________________________ 59

    3.4. Ergebnisse und Diskussion ______________________________________________ 60

    3.4.1. Inhibition von FXa und verwandten trypsin-ähnlichen Serinproteasen ________________ 60

    3.4.2. Synthese von 3- und (4-Amidino)-Phenylalanin-Derivaten _________________________ 63

    3.4.3. Röntgenstrukturanalyse des FXa-Inhibitors 84 im Komplex mit Trypsin und Modelling-

    Experimente _____________________________________________________________ 64

    3.4.4. Einfluß der Chiralität von Amidino-Phenylalanin-Derivaten auf die Inhibition von FXa __ 69

    4. Zusammenfassung und Ausblick _______________________________________ 73

  • 4.1. uPA-Inhibitoren _______________________________________________________ 73

    4.2. FXa-Inhibitoren _______________________________________________________ 74

    5. Summary __________________________________________________________ 77

    5.1. uPA-inhibitors_________________________________________________________ 77

    5.2. fXa-inhibitors _________________________________________________________ 78

    6. Experimenteller Teil _________________________________________________ 80

    6.1. Materialien und Methoden ______________________________________________ 80

    6.2. Enzymkinetik _________________________________________________________ 82

    6.2.1. Ermittlung der Inhibitionskonstanten (Ki-Werte)_________________________________ 82

    6.2.2. Eingesetzte Enzyme und Substrate zur Ki-Wert-Bestimmung _______________________ 82

    6.3. Röntgenstrukturanalyse des Inhibitor/uPA Komplexes _______________________ 83

    6.3.1. Kristallisation mit Benzamidin als Inhibitor_____________________________________ 83

    6.3.2. Soaking des uPA-Inhibitors 75 und Röntgenstrukturanalyse ________________________ 84

    6.4. Röntgenstrukturanalyse des Faktor Xa Inhibitor 84/Trypsin-Komplexes ________ 85

    6.5. Modelling-Experimente mit Faktor Xa Inhibitoren __________________________ 87

    6.6. In vivo Eliminationsstudien ______________________________________________ 87

    6.7. Toxizitätsstudien am uPA Inhibitor 75 ____________________________________ 88

    6.8. Synthese der uPA Inhibitoren ____________________________________________ 89

    6.8.1. Tripeptid-Methylketone ____________________________________________________ 89

    6.8.2. nicht-peptidische Inhibitoren / Phenylguanidine _________________________________ 90

    6.9. Synthese der Faktor Xa Inhibitoren ______________________________________ 111

    7. Literaturverzeichnis ________________________________________________ 121

  • Abkürzungen

    Die Nomenklatur der Aminosäuren und Peptide entspricht den Vorschlägen der

    IUPAG-IUB-Kommission für biochemische Nomenklatur (Europ. J. Biochem.,

    1984, 138, 9-37)

    Ac Acetyl

    ACN Acetonitril

    AcOH Essigsäure

    AcOEt Essigsäure-Ethylester

    Adoc 1-Adamantyloxycarbonyl

    ATF Aminoterminales Fragment des uPA

    Boc tert-Butyloxycarbonyl

    ber. berechnet

    Bz Benzyl

    DC Dünnschichtchromatografie

    DCC N,N'-Dicyclohexylcarbodiimid

    DCM Dichlormethan

    DIEA Diisopropylethylamin

    DIPE Diisopropylether

    DMF Dimethylformamid

    ESI Elektro-Spray-Ionisierung

    EtOH Ethanol

    FAB Fast Atom Bombardement

    Fmoc 9-Fluorenylmethoxycarbonyl

    FXa Faktor Xa (aktiviert)

    h Stunde(n)

  • HBTU O-(Benzotriazol-1-yl)-1,1,3,3,-tetramethyluronium

    Hexafluorophosphat

    HOBt 1-Hydroxybenzotriazol

    HOSu Hydroxysuccinimid

    HPLC High Performance Liquid Chromatographie

    HV Hochvakuum

    i-PrOH Isopropanol

    Ki Inhibitionskonstante

    LM Lösungsmittel

    M Molar

    MS Massen-Spektrometrie

    MeOH Methanol

    n. b. nicht bestimmt

    p. a. Pro Analyse

    PAI-1/2 Plasminogenaktivator-Inhibitor Typ 1/2

    Pbf 2,2,4,4-Pentamethyldihydrobenzofuran-5-sulfonyl

    pNA p-Nitroanilid

    Rf Retentionsfaktor in der Dünnschichtchromatographie

    RT Raumtemperatur

    TBTU 2-(1H-Benzotriazol-1-yl)-1,1,3,3-tetramethyluronium-

    tetrafluoroborat

    TFA Trifluoressigsäure

    TFE Trifluorethanol

    TIPS 2,4,6-Triisopropylphenylsulfonyl

    Tos p-Toluolsulfonyl

    tR Retentionszeit in der HPLC

    uPA Urokinase-Typ Plasminogenaktivator

    uPAR uPA-Rezeptor

    Z Benzyloxycarbonyl

  • 1. Einleitung 1

    1. Einleitung

    1.1. Klassifizierung der Proteasen

    Proteolytische Enzyme sind eine große und wichtige Gruppe von Proteinen die eine

    Spaltung von Peptidbindungen katalysieren. Eine grobe Einteilung der Proteasen

    läßt sich nach ihrem unterschiedlichen Katalysemechanismus vornehmen (Barrett,

    A. J. et al. 1998).

    A. Endopeptidasen: katalysieren die Hydrolyse von Peptidbindungen im

    inneren der Polypeptidkette

    1. Serin-Proteasen Serin, Histidin und Aspartat im aktiven Zentrum

    2. Cystein-Proteasen Cystein im aktiven Zentrum

    3. Aspartat-Proteasen Aspartat-Reste im aktiven Zentrum

    4. Metalloproteasen Metallion im aktiven Zentrum

    5. Nicht klassifizierte Proteasen

    B. Exopeptidasen: katalysieren die Abspaltung einer oder mehrerer

    Aminosäuren vom N- oder C-Terminus des Substrats

    1. Aminopeptidasen spalten eine Aminosäure vom N-Terminus ab

    2. Dipeptidyl-Peptidasen spalten zwei Aminosäuren vom N-Terminus ab

    3. Tripeptidyl-Peptidasen spalten drei Aminosäuren vom N-Terminus ab

    4. Carboxy-Peptidasen spalten eine Aminosäuren vom C-Terminus ab

    5. Peptidyl-Dipeptidasen spalten zwei Aminosäuren vom C-Terminus ab

    Jede der aufgeführten Klassen läßt sich in Unterklassen („Clans“) aufteilen. Die

    Serinproteasen werden zum Beispiel nach der Aminosäuresequenz ihrer

    katalytischen Reste Asp, His und Ser unterteilt. Für trypsin-ähnliche Serinproteasen

    gilt also die sequenzabhängige Reihenfolge His57–Asp102–Ser195, wohingegen

    Subtilisin (eine extrazelluläre Endopeptidase aus Bacillus subtilis) die Reihenfolge

  • 1. Einleitung 2

    Asp–His–Ser aufweist. Die folgenden Kapitel befassen sich näher mit der Klasse

    der trypsin-ähnlichen Serinproteasen.

    1.2. Struktur trypsin-ähnlicher Serinproteasen

    Die dreidimensionale Röntgenstruktur des Rinder-Trypsins wurde bereits 1974

    aufgeklärt (Huber, R. et al. 1974) und entwickelte sich zum Prototypen der

    Serinproteasen mit Argininspezifität. Die Tertiärstrukturen dieser Enzyme zeigen

    ein stark konserviertes Strukturmerkmal, obwohl die Primärstrukturen stark

    voneinander abweichen können. Das allgemeine Nummerierungssystem der

    Aminosäurereste folgt dem der homologen Protease Chymotrypsin. Chymotrypsin

    hat eine beinahe identische Tertiärstruktur wie Trypsin, obwohl die beiden Enzyme

    weniger als 50% Identität in der Primärstruktur aufweisen und Chymotrypsin eine

    Substratspezifität für aromatische Reste besitzt. Die Positionen von

    „Schlüsselresten“, wie jenen der katalytischen Triade (Asp102, His57 und Ser195) und

    Asp189 am Boden der S1-Spezifitätstasche, sind in allen trypsin-ähnlichen

    Serinproteasen identisch.

    Die Tertiärstruktur dieser Proteasen besteht vorwiegend aus β-Faltblättern. Sie ist

    charakterisiert durch 2 Domänen, wobei jede Domäne ein „β-barrel“ ausbildet. Die„Active-Site Cleft“ mit der katalytischen Triade ist genau zwischen den beiden

    Domänen lokalisiert (Abbildung 1). Jede der „barrel“-ähnlichen Domänen ist aus 6

    anti-parallel laufenden Strängen aufgebaut, wobei 4 der 5 verbindenden „loops“

    Haarnadel-Schleifen sind. Neben wenigen, kurzen Helices besitzen alle Enzyme

    eine lange C-terminale α-Helix (Abbildung 1, rot).

    Mitte Mai 2000 verzeichnete die Brookhaven Protein-Datenbank 160

    Röntgenkristallstrukturen von Trypsin, 97 von Thrombin, 4 von Faktor Xa und 2

    vom Urokinase-Typ Plasminogenaktivator (uPA). Viele dieser Strukturen sind

    Komplexe mit synthetischen oder natürlichen Inhibitoren, die aufgeklärt wurden,

    um die Bindung und Selektivität der Inhibitoren rationell verbessern zu können. Die

  • 1. Einleitung 3

    Tatsache, daß es vergleichsweise wenige Röntgenstrukturen von FXa und uPA gibt,

    spiegelt die Schwierigkeiten wieder, die bei der Kristallisation dieser beiden

    Enzyme auftreten. Da aber gerade diese Enzyme interessante Zielmoleküle in der

    Therapie schwerwiegender Erkrankungen darstellen, kann man die hohe strukturelle

    Ähnlichkeit der trypsin-ähnlichen Serinproteasen nutzen und Komplexstrukturen

    von FXa- oder uPA-Inhibitoren mit Trypsin anfertigen.

    Abbildung 1: Richardson-Diagramm der Tertiärstruktur von β-Trypsin imKomplex mit dem Thrombin-Inhibitor NAPAP (PDB-Code:

    1PPC). Die Sekundärstrukturelemente α-Helix und β-Faltblattsind dargestellt als helikales Band bzw. verdrehte Pfeile (Bode,

    W. et al. 1990)

  • 1. Einleitung 4

    Anschließend überlagert man die Trypsin/Inhibitor-Komplexstruktur mit einer

    bekannten Struktur des Targetenzyms und erhält so Informationen über den

    Bindungsmodus des Inhibitors (Banner, D. W. et al. 1991; Bode, W. et al. 1990;

    Gabriel, B. et al. 1998; Matsuzaki, T. et al. 1989; Renatus, M. et al. 1998; Stubbs,

    M. T. et al. 1995; Turk, D. et al. 1991).

    1.3. Struktur der aktiven Zentren von Faktor Xa, uPA, Thrombin, tPA

    und Trypsin

    Obwohl Sekundär- und Tertiärstruktur aller trypsin-ähnlichen Serinproteasen

    identisch sind, unterscheiden sie sich doch in einigen Bereichen entscheidend in der

    Aminosäuresequenz (Primärstruktur). Gerade diese Unterschiede sind es aber, die

    für die Selektivität der einzelnen Proteasen verantwortlich zeichnen. In Abbildung 2

    sind die strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der aktiven Zentren (S1-

    S3/S4) von Faktor Xa, uPA (Urokinase-Typ Plasminogenaktivator), Thrombin, tPA

    (Gewebe-Typ Plasminogenaktivator) und Trypsin schematisch dargestellt (Renatus,

    M. et al. 1998).

    Allen trypsin-ähnlichen Serinproteasen gemeinsam ist die relativ tiefe,

    argininspezifische S1-Tasche. Die selektive Erkennung der basischen

    Argininseitenkette erfolgt über die Ausbildung einer Salzbrücke zwischen der

    positiv geladenen Guanidiniumfunktion des Arginins und der negativ geladenen

    Carboxylgruppe des Asp189 am Boden der S1-Tasche. In uPA und Trypsin ist

    außerdem die Bildung einer Wasserstoffbrücke zwischen der Seitenkette des Ser190-

    Restes und der ε-NH Gruppe der Guanidinofunktion möglich. DieseWechselwirkung ist bei Thrombin, FXa und tPA nicht möglich, da diese Enzyme

    anstelle von Serin eine Alanin-Mutation besitzen.

    In der S2-Region gibt es bereits größere Unterschiede. Durch den sogenannten „60-

    Insertion-Loop“ – bestehend aus Tyr60A, Pro60B, Pro60C und Trp60D – ist diese Region

  • 1. Einleitung 5

    zusammen mit His57, Ser214 und Leu99 in Thrombin zu einer großen, lipophilen

    Tasche ausgebildet, die z. B. Prolinreste in P2 sehr gut beherbergen kann. Bei uPA

    tritt hingegen der entgegengesetzte Effekt auf. Hier ist die S2-Tasche durch den

    „99-Insertion-Loop“ aus Thr98A und Leu98B in Verbindung mit His99 stark

    verkleinert, so daß in dieser Region nur kleine Aminosäurereste wie Glycin binden

    können. Dieser „99-Loop“ hat Auswirkungen bis in die S3/S4-Region, die in uPA

    ebenfalls räumlich beschränkt und sehr hydrophob ist.

    Die S3/S4-Region von Faktor Xa ist größer als die von uPA und ebenfalls sehr

    hydrophob. Am Ende dieser Region befindet sich jedoch ein elektronegativer

    Hohlraum, der von Glu97 und den Carbonyl-Sauerstoffen von Ile75 und Thr98 erzeugt

    wird. Dieser Bereich kann z. B. von bis-basischen synthetischen Inhibitoren für eine

    weitere ionische Interaktion genutzt werden (Gabriel, B. et al. 1998). Allerdings

    besitzen auch tPA und Thrombin diesen elektronegativen Bereich, so daß auf diese

    Weise keine selektiven FXa-Inhibitoren erzeugt werden können. Andererseits ist die

    S3/S4-Region von tPA durch die räumliche Nähe der Arg174-Seitenkette weniger

    hydrophob als die entsprechende Region in FXa, Trypsin oder Thrombin.

  • 1. Einleitung 6

    HN

    O

    OO

    NH2

    NH2N

    O O

    Asp189

    Tyr99

    Thr98

    Asp97Thr175

    Arg174

    Trp215

    Leu217

    δ− δ−

    δ−

    OH

    HN

    O

    OO

    O O

    Asp189

    Tyr99

    Thr98

    Glu97Ile175

    Phe174

    Trp215

    Glu217

    δ− δ−

    δ−

    OH

    O

    O

    O O

    Asp189

    His99

    Trp215

    Arg217

    NH

    HN

    NH2H N2

    NH

    NH

    Leu98BThr98AHO

    OH

    Tyr272

    HN

    O

    O

    O O

    Asp189

    Leu99

    Thr98

    Asn97

    Gln175

    Trp215

    Ser217

    δ−

    δ−

    HO

    O N

    HN

    O

    OO

    O O

    Asp 189

    Thr 98

    Arg 97Val 175

    Ile 174

    Trp 215

    Glu 217

    δ− δ−

    δ−

    O

    O

    Leu 99

    Trp 60D

    Pro 60C

    Pro 60B

    Tyr 60A

    OH

    Faktor Xa uPA

    Thrombin

    tPA Trypsin

    Abbildung 2: Schematische Darstellung der aktiven Zentren von FXa, uPA,

    Thrombin, tPA und Trypsin

  • 2. Urokinase Inhibitoren 7

    2. Urokinase Inhibitoren

    2.1. Die Rolle von uPA bei der Tumorprogression und Metastasierung

    Bei der Tumorinvasion wandern Tumorzellen aus einem Primärtumor aus, um an

    einer entfernten Stelle des Körpers einen Sekundärtumor (Metastase,

    Tochtergeschwulst) zu bilden. Dafür sind eine Reihe aufeinanderfolgender

    Vorgänge notwendig, welche als metastatische Kaskade bezeichnet werden

    (Abbildung 3) (McKinnell, R. G. et al. 1998; Reuning, U. et al. 1998).

    Der Prozeß der Metastasierung beinhaltet die Loslösung einzelner Tumorzellen aus

    dem Primärtumor-Zellverband, die Adhäsion an und Invasion dieser Zellen durch

    die extrazelluläre Matrix, Intravasation, den Transport mit dem allgemeinen

    Blutkreislauf, erneute Adhäsion an die Basalmembran, Extravasation und

    anschließend erneute Invasion der Zellen durch die extrazelluläre Matrix um die

    Metastase zu bilden.

    Für den Abbau der extrazellulären Matrix ist eine gerichtete proteolytische Aktivität

    der Tumorzelle nötig. Diese wird durch verschiedene proteolytische Systeme

    vermittelt, die miteinander interagieren und sich gegenseitig aktivieren (Koblinski,

    J. E. et al. 2000). Im Einzelnen sind es

    (1) die Serinproteasen Plasmin, uPA und tPA) (Danø, K. et al. 1985; Schmitt, M.

    et al. 1997)

    (2) die Matrixmetalloproteinasen (MMPs) (Cockett, M. I. et al. 1998; Kahari, V.

    M. et al. 1999; Kleiner, D. E. et al. 1999; Westermarck, J. et al. 1999)

    (3) die Cysteinproteinasen, z. B. Cathepsin B, H und L (Michaud, S. et al. 1998;

    Sloane, B. F. 1990)

    (4) die Aspartatproteinasen, z. B. Cathepsin D (Garcia, M. et al. 1996; Rochefort,

    H. et al. 1996; Rochefort, H. et al. 1999)

  • 2. Urokinase Inhibitoren 8

    Klonale Expansionund Wachstum

    Adhäsion an undInvasion durch die

    Basalmembran

    Intravasation

    Tumorzellhaufen

    MetastaseMetastase

    Basal-membran

    Basal-membran

    Primär-tumor

    Transformierte Zelle

    Metastatischer Subklon

    Invasion durch dieExtrazellulärmatrix

    Interaktion mitLymphozyten

    Tumorzellhaufen

    Adhäsion an dieBasalmembran

    Extravasation

    Metastase

    Basal-membran

    Basal-membran

    Lymphozyt

    Vene

    Blutplättchen

    Basal-membranExtrazellulär-

    matrix

    Abbildung 3: Weg der Krebszelle vom Primärtumor zum Ort der Metastase nach

    McKinnell, R. G. et al. (1998)

  • 2. Urokinase Inhibitoren 9

    uPA/uPAR

    Plasminogen

    Plasmin

    pro-uPA/uPAR +

    +Abbau von EZM- Fibrin- Fibronektin- Proteoglykane

    Cathepsin B, L

    +

    pro-MMPs MMPs

    +

    -

    PAI-1,2

    +

    Abbau vonBasalmembran-Kollagen-

    TIMPs

    α2-Antiplasmin

    -

    CystatineSteffine

    -

    Abbildung 4: Aktivierungskaskade der perizellulären Plasmin-Proteolyse

    Eine zentrale Rolle bei der Tumorinvasion und Metastasierung spielt uPA

    (Abbildung 4). Nach Bindung des Zymogens pro-uPA an den

    zelloberflächengebundenen uPA-Rezeptor (uPAR, CD87) wird uPA rasch durch die

    Cathepsine B oder L aktiviert. Die proteolytische Aktivität wird durch die Bindung

    an den Rezeptor auf die Zelloberfläche fokussiert. Plasminogen wird durch den

    uPA-uPAR-Komplex zu Plasmin aktiviert, das verschiedene Bestandteile der

    extrazellulären Matrix abbauen kann. Desweiteren ist Plasmin durch einen positiven

    „Feedback“-Mechanismus in der Lage, erneut uPA zu aktivieren. Zum anderen

    werden durch uPA auch Matrixmetalloproteasen aktiviert, die schließlich zum

    Abbau von Basalmembran-Kollagenen beitragen. Diese proteolytischen Prozesse

    ermöglichen den Krebszellen schließlich die Invasion in benachbartes Gewebe

    sowie die Metastasierung. Wegen der zentralen Rolle des uPA an diesen

    pathologischen Prozessen, stellt die Inhibition der proteolytischen Aktivität des

    Plasminogenaktivators ein vielversprechendes Ziel in der Tumortherapie dar.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 10

    2.2. Der Urokinase-Typ Plasminogenaktivator

    Der Urokinase-Typ Plasminogenaktivator (Urokinase, uPA, EC 3.4.21.31) wurde

    erstmals bereits 1966 von White und Mitarbeitern aus Urin isoliert, wovon sich

    auch der Name ableitet (White, W. F. et al. 1966). Das Interesse an diesem Enzym

    stieg sprunghaft an, nachdem der schwedische Gynäkologe Åsted entdeckte, daß

    uPA sehr stark von humanen Ovarialkarzinomzellen produziert wird (Åstedt, B. et

    al. 1976). Inzwischen ist bekannt, daß uPA von einer Vielzahl normaler und

    maligner Zellen synthetisiert und sekretiert wird (Danø, K. et al. 1985).

    uPA wird als einkettiges Zymogen pro-uPA exprimiert, das aus 411 Aminosäuren

    aufgebaut ist, 12 Disulfidbrücken enthält und mit Asn302 über eine

    Glykosylierungsstelle verfügt (Wun, T. C. et al. 1982). Das Proenzym besteht aus

    drei Domänen, wie in Abbildung 5 dargestellt.

    • „Growth-Factor-Like Domain“ (GFD) uPA1-44:

    In der N-terminalen GFD-Domäne befindet sich die Bindungsstelle zum

    zelloberflächenassoziierten uPA-Rezeptor (Pollanen, J. J. 1993; Stoppelli, M.

    P. et al. 1985). Diese Domäne besitzt eine starke Sequenzhomologie mit dem

    epidermalen Wachstumsfaktor („Epidermal Growth Factor“, EGF) (Gunzler,

    W. A. et al. 1982; Steffens, G. J. et al. 1982). Trotz dieser Homologie besteht

    keine Affinität zwischen EGF und uPAR .

    • Kringle-Domäne uPA45-135:

    Diese Domäne besitzt Affinität zum extrazellulären Matrix-Proteoglykan

    Heparin.

    • Protease-Domäne uPA136-411:

    In dieser C-terminalen Domäne befinden sich die Reste His204, Asp255 und

    Ser356, die zusammen die katalytische Triade der Serinprotease bilden

    (Strassburger, W. et al. 1983).

  • 2. Urokinase Inhibitoren 11

    Abbildung 5: Schematische Darstellung der Domänen von pro-uPA

    Durch enzymatische Spaltung, z. B. durch Plasmin, Kallikrein, Cathepsin D oder L,

    der Peptidbindung zwischen Lys158 und Ile159, wird das inaktive, einkettige pro-

    uPA zum zweikettigen HMW-uPA („high molecular weight uPA“) aktiviert. Die A-

    Kette (uPA1-158) ist nach der Spaltung mit der B-Kette (uPA159-411) über eine

    Disulfidbrücke zwischen Cys148 und Cys279 verknüpft. Erst durch die mit der

    Spaltung einhergehende Konformationsänderung wird das aktive Zentrum

    exponiert. HMW-uPA kann durch weitere Proteolyse in das aminoterminale

    Fragment (ATF, uPA1-135) und „low molecular weight uPA“ (LMW-uPA, uPA136-

    411) weiter prozessiert werden. LMW-uPA besitzt die volle proteolytische Aktivität

    (Ellis, V. et al. 1991), kann aber nicht mehr an der uPA-Rezeptor binden.

    Die Röntgenkristallstruktur der uPA-B-Kette, die das katalytische Zentrum enthält,

    wurde erstmals 1995 von Spraggon und Mitarbeitern beschrieben (Spraggon, G. et

    al. 1995). Die Auflösung dieser Struktur war mit 2,5 Å vergleichsweise gering. Erst

    kürzlich wurden hochaufgelöste Röntgenstrukturen der uPA-B-Kette im Komplex

    mit bekannten, synthetischen Inhibitoren veröffentlicht (Nienaber, V. et al. 2000)

  • 2. Urokinase Inhibitoren 12

    (mehrere Komplexstrukturen, Auflösung: =1,5 Å), (Katz, B. A. et al. 2000)

    (Auflösung 1,75, PDB-Code: 1C5X).

    2.3. Das uPA-uPAR-System

    Der uPA-Rezeptor (uPAR, CD 87) ist ein aus 313 Aminosäuren aufgebautes,

    hochglycosyliertes (Kohlenhydratanteil 30%) Protein mit einem auffällig hohen

    Cysteinanteil (Danø, K. et al. 1994). Der Rezeptor besteht aus 3 strukturell

    ähnlichen Domänen und einem C-terminalen GPI-Anker, wobei die N-terminale

    Domäne die GFD-Bindungsstelle enthält (Behrendt, N. et al. 1991), über die uPA

    an uPAR bindet. Da uPAR keine Transmembrandomäne besitzt, ist eine

    Signaltransduktion nur durch Wechselwirkung mit anderen Transmembranproteinen

    möglich.

    Der wichtigste natürliche Inhibitor des uPA ist der Plasminogenaktivator-Inhibitor

    Typ 1 (PAI-1; siehe Kapitel 2.6.1). PAI-1 hemmt sowohl HMW-uPA als auch

    LMW-uPA in freier oder rezeptorgebundener Form, tPA und in geringerem Maße

    auch Plasmin.

    Sobald sich auf der Zelloberfläche ein trimärer Komplex aus uPAR, uPA und PAI-1

    gebildet hat, wird dieser mittels des Macroglobulinrezeptors (CD 91) in die Zelle

    internalisiert (Casslen, B. et al. 1998; Conese, M. et al. 1995; Nykjaer, A. et al.

    1997). Dort werden PAI-1 und uPA lysosomal abgebaut, während der uPAR auf der

    Zelloberfläche regeneriert wird und erneut uPA binden kann. Bei Tumorzellen wird

    der uPAR an die Migrations-/Invasionsfront regeneriert, wodurch die gerichtete

    proteolytische Aktivität zustande kommt.

    Im Gegensatz dazu wird der trimäre Komplex aus uPAR-uPA-PAI-2 (siehe Kapitel

    2.6.1) nicht internalisiert, sondern auf der Zelloberfläche prozessiert. Durch

    Spaltung des Komplexes entstehen 2 Fragmente: Ein 70 kD großes Fragment, das

    PAI-2 und das aktive Zentrum von uPA enthält und ein 22 kD-Fragment, das das

    ATF von uPA sowie uPAR enthält. Das ATF bleibt an uPAR gebunden und

  • 2. Urokinase Inhibitoren 13

    verhindert dadurch die erneute Bindung von uPA an den Rezeptor (Ragno, P. et al.

    1995; Ragno, P. et al. 1998).

    Somit kann PAI-2 als „wirklicher“ Inhibitor von uPA und uPAR betrachtet werden,

    während PAI-1 zwar die proteolytische Aktivität von uPA inhibiert, der uPAR aber

    nach erfolgter Internalisierung des trimären Komplexes wieder auf die

    Zelloberfläche zurückkehrt und erneut uPA binden kann. Dieser Unterschied ist ein

    Grund für die unterschiedliche prognostische Relevanz von PAI-1- und PAI-2-

    Konzentrationen in Tumoren (siehe Kapitel 2.4).

    2.4. Klinische Relevanz von uPA, uPAR, PAI-1 und PAI-2

    Nach der chirurgischen Entfernung eines soliden Tumors muß anhand geeigneter,

    experimentell bestimmbarer Parameter das Risiko einer Neuerkrankung abgeschätzt

    werden, um die Art und Intensität einer notwendigen Nachbehandlung (z. B.

    Chemotherapie oder Bestrahlung) festzulegen. Seit einigen Jahren haben sich die

    Bestandteile des uPA-uPAR-Systems zu wichtigen prognostischen Markern bei

    einer Vielzahl von Krebserkrankungen entwickelt. Allein in den letzten 5 Jahren

    sind weit über Hundert Veröffentlichungen zu diesem Thema erschienen. Der

    interessierte Leser sei deshalb an dieser Stelle nur auf einige neuere Reviews

    verweisen: (Allgayer, H. et al. 1997; Duffy, M. J. et al. 1999; Harbeck, N. et al.

    1998; Look, M. P. et al. 1999; Pappot, H. et al. 1995; Reuning, U. et al. 1998).

    Untersuchungen haben ergeben, daß hohe uPA-Werte nach der operativen

    Entfernung verschiedener Tumoren mit einer schlechten Prognose für das

    krankheitsfreie Überleben des Patienten verbunden sind. PAI-1-Werte stellten sich

    mit der Zeit als noch bessere prognostische Marker heraus. Interessanterweise sind

    es ebenfalls hohe Werte dieses uPA-Inhibitors, die eine schlechte Prognose

    bedeuten, obwohl zunächst die proteolytische Aktivität von uPA gehemmt wird.

    Eine mögliche Erklärung dieses Phänomens ist die Tatsache, daß der uPAR nach

    Internalisierung des trimären Komplexes aus PAI-1/uPA/uPAR an der

  • 2. Urokinase Inhibitoren 14

    Invasionsfront der Tumorzelle regeneriert wird und es nach Bindung von uPA

    wieder zur gerichteten Proteolyse kommt.

    Untersuchungen des uPAR-Gehalts zeigten ebenfalls, daß hohe Antigenwerte im

    Tumorgewebe, aber auch im Blut, mit einer schlechten Prognose korrelieren, wenn

    auch mit geringerer Signifikanz. Im Gegensatz zu den anderen Komponenten des

    PA-Systems korrelieren hohe PAI-2-Werte mit einer guten Prognose für

    rezidivfreies und Gesamtüberleben.

    2.5. Inhibition des uPA-uPAR-Systems – Prinzipielle Therapieansätze

    Wie in den Kapiteln 2.1-2.3 erläutert, spielt uPA eine zentrale Rolle in der Plasmin-

    aktivierungskaskade und damit in den Prozessen der Tumorinvasion und

    Metastasierung. Im vorangehenden Kapitel wurde gezeigt, daß hohe uPA- und

    uPAR-Werte mit einer schlechten Prognose für das Überleben eines Krebspatienten

    einhergehen. Aus diesen Befunden ergeben sich vier unterschiedliche Ansatzpunkte

    zur therapeutischen Interaktion mit dem uPA-uPAR-System wie in Abbildung 6

    erläutert.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 15

    GPI

    GFD

    Kringle

    Protease

    uPAR

    GFD

    Kringle

    Protease

    GFD

    Kringle

    Protease

    GPI

    uPAR

    Inhibitor desaktiven Zentrums

    uPA-Antagonist

    uPAR-Antagonist

    Inhibition derGenexpression(Antisense)

    Aktives Zentrum

    Abbildung 6: Inhibitionsmöglichkeiten des uPA/uPAR-Systems

    • Reduktion der uPA- und/oder uPAR-Expression durch Antisense-Nukleotide

    • uPAR-Antagonisten: Die Blockade des uPAR führt zu einer langsamerenAktivierung von uPA und vor allem zur Aufhebung der Zelloberflächen-

    fokussierung der proteolytischen Aktivität. Hierzu wurden z. B. zyklische,

    vom ATF abgeleitete Peptide entwickelt, die etwa genauso gut an den

    Rezeptor binden wie uPA selbst (Burgle, M. et al. 1997).

    • uPA-Antagonisten: ähnlich wie uPAR-Antagonisten können auch uPA-Antagonisten die Fokussierung der Proteolyse auf die Zelloberfläche

    verhindern. Als möglicher Ansatzpunkt erwies sich „löslicher“ uPAR der

    mit zelloberfächengebundenem uPAR um die Bindungsstelle zu uPA

    konkurriert (Behrendt, N. et al. 1996)

  • 2. Urokinase Inhibitoren 16

    • synthetische „uPA-Active-Site“-Inhibitoren zur Verringerung derproteolytischen Aktivität von uPA. Solche Inhibitoren müssen

    hochspezifisch sein, da sonst auch verwandte Serinproteasen gehemmt

    werden, wodurch sich eventuell schwere Nebenwirkungen ergeben könnten.

    2.6. uPA-Inhibitoren

    Die proteolytische Aktivität von uPA wird durch 2 natürliche Inhibitoren reguliert.

    Wegen der zentralen Rolle von uPA in pathologischen Prozessen wie der

    Tumorinvasion und der Metastasierung, werden zunehmend auch synthetische

    Inhibitoren als potentielle Arzneimittel interessant. Für eine Zusammenstellung

    natürlicher und synthetischer Inhibitoren siehe auch Magdolen, V. et al. (2000).

    2.6.1. Natürliche uPA-Inhibitoren

    Die Aktivität des uPA/uPAR-Systems wird durch die Plasminogenaktivator-

    Inhibitoren Typ 1 (PAI-1) und Typ 2 (PAI-2) reguliert [für Reviews zu diesen

    Inhibitoren siehe Egelund, R. et al. (1997) und Ny, T. et al. (1997)]. Diese beiden

    Inhibitoren gehören zur Serin-Protease-Inhibitor Superfamilie (Serpine) und

    besitzen 55% Sequenzhomologie (33% Aminosäureidentität). Die strukturelle

    Ähnlichkeit der beiden Proteine wurde durch Röntgenkristallstrukturen aktiver

    Mutanten bewiesen [PAI-1: PDB-Code: 1B3K (Sharp, A. M. et al. 1999); PAI-2:

    PDB-Code: 1BY7 (Harrop, S. J. et al. 1999)]. Beide Inhibitoren hemmen sowohl

    uPA als auch tPA („Tissue-Type Plasminogen Activator“) durch Bildung eines 1:1

    Komplexes. Aktives PAI-1 ist nur metastabil (Halbwertszeit etwa 2 h) und geht

    spontan in eine latente, inaktive Konformation über. Durch Einführen von 4

    Punktmutationen kann die Halbwertszeit allerdings auf über 140 h verlängert

    werden (Berkenpas, M. B. et al. 1995). In vivo wird die Halbwertszeit von aktivem

    PAI-1 durch Bindung an das extrazelluläre Matrix- und Plasma-Protein Vitronektin

    auf etwa 4 h verdoppelt (Kanse, S. M. et al. 1996). Im Gegensatz zu PAI-2, wird

  • 2. Urokinase Inhibitoren 17

    PAI-1 mit einem Signalpeptid (21 Aminosäuren) synthetisiert und von den Zellen in

    glycosylierter Form sezerniert. Dem Inhibitor PAI-2 hingegen fehlt ein spaltbares

    Signalpeptid. Es liegt zu 80% in nicht-glycosylierter Form intrazellulär vor (Ny, T.

    et al. 1997).

    Zwei weitere Serpine, die neben Thrombin, Trypsin, Plasmin bzw. Protein C auch

    uPA und tPA hemmen, sind die Inhibitoren der Proteinase Nexin-1 und des Protein-

    C. Unter physiologischen Bedingungen reagieren sie allerdings wesentlich

    langsamer mit den Plasminogenaktivatoren als PAI-1 und PAI-2 (Andreasen, P. A.

    et al. 1997; Sprengers, E. D. et al. 1987). Aprotinin und der Tumor-assoziierte

    Trypsininhibitor (TATI) wurden ebenfalls als Inhibitoren von uPA beschrieben. Die

    Inhibitionskonstanten dieser Enzyme gegen uPA liegen jedoch im mikromolaren

    Bereich, so daß diesen Inhibitoren keine physiologische Bedeutung zukommt.

    Tabelle 1: Natürliche uPA-Inhibitoren

    Inhibitor Inhibition von uPA Literatur

    PAI-1 k2=1-2 x 107 mol-1 s-1 (Thorsen, S. et al. 1988)

    PAI-2 k2=2,4 x 106 mol-1 s-1 (Thorsen, S. et al. 1988)

    Tumor-Associated TrypsinInhibitor (TATI) Ki = 0,3 µM (Turpeinen, U. et al. 1988)

    Aprotinin Ki = 27 µM (Lottenberg, R. et al. 1988)

  • 2. Urokinase Inhibitoren 18

    2.6.2. Synthetische uPA-Inhibitoren

    Verglichen mit der Vielzahl reversibler synthetischer Inhibitoren die gegen andere

    trypsin-ähnliche Serinproteasen wie z. B. Thrombin (Hauptmann, J. et al. 1999)

    oder FXa (siehe Kapitel 3.2) entwickelt wurden, gibt es nur sehr wenige effiziente

    uPA-Inhibitoren. Das gemeinsame Strukturmerkmal dieser uPA-Inhibitoren ist eine

    basische Amidino- oder Guanidinogruppe, die die Ausbildung einer Salzbrücke zu

    Asp189 in der S1-Tasche ermöglicht. Eine Übersicht bekannter uPA-Inhibitoren ist

    in Tabelle 2 zusammengestellt. Die meisten dieser Verbindungen zeigen kaum oder

    keine Selektivität für uPA, sondern hemmen auch Enzyme des Verdauungstraktes

    (Trypsin) sowie der Blutgerinnungskaskade (z.B. Faktor Xa und Thrombin). Die

    besten Verbindungen weisen lediglich Inhibitionskonstanten im niederen

    mikromolaren Bereich auf.

    Billström und Mitarbeiter konnten bei oraler Gabe des Inhibitors p-Amino-

    Benzamidin im Mausmodell eine klare Verlangsamung des Wachstums von DU145

    Tumoren feststellen (Billström, A. et al. 1995). Das Diuretikum Amilorid stellt

    einen selektiven uPA-Inhibitor mit einer allerdings relativ hohen

    Inhibitionskonstante von 7 µM dar. Im Mausmodell wurde gezeigt, daß Amilorid

    die Bildung von Lungenmetastasen verhindert (Vassalli, J. D. et al. 1987). Die

    derzeit potentesten und selektivsten "Active-Site" uPA-Inhibitoren sind die

    substituierten Benzo[b]thiophen-2-Carboxamidine B-428 und B-623 mit einem Ki-

    Wert von 0,53 bzw. 0,16 µM (Towle, M. J. et al. 1993). Für einen dieser

    Inhibitoren, B-428, konnte gezeigt werden, daß diese Verbindung uPA-vermittelte

    Prozesse wie die proteolytische Degradation von extrazellulären Matrixproteinen,

    Tumorzelladhäsion, -migration und -invasion in vitro effektiv inhibieren kann

    (Alonso, D. F. et al. 1996a). Desweiteren hemmt der synthetische Inhibitor in einem

    syngenen Mammakarzinom-Maus-Modell die lokale Tumorinvasion (Alonso, D. F.

    et al. 1996b; Alonso, D. F. et al. 1998) sowie die Metastasierung von Ratten-uPAR

    überexprimierenden Zellen in einem syngenen Modell für Ratten-Prostata-

  • 2. Urokinase Inhibitoren 19

    Karzinom (Rabbani, S. A. et al. 1995). Bei einer Kombinationstherapie mit dem

    Anti-Östrogen Tamoxifen konnte ebenfalls eine Verringerung des Tumorvolumens

    und von Metastasen in einem Ratten-Mammakarzinom-Modell beobachtet werden

    (Xing, R. H. et al. 1997).

    Tabelle 2: Synthetische uPA-Inhibitoren

    Inhibitor Inhibition vonuPA

    Literatur

    NH2NH

    NH2

    p-Amino-Benzamidin

    Ki = 82 µM(Billström, A. et al. 1995;Geratz, J. D. et al. 1981;Jankun, J. et al. 1997)

    NH

    NH2NH

    R

    mono-subst. Phenylguanidine

    Ki = 6 µM(Yang, H. et al. 1990)

    NH

    NH2R

    Benzamidine

    Ki = 5 µM (Stürzebecher, J. et al. 1978)

    N

    N NH NH2

    NHO

    NH2

    Cl

    NH2

    Amilorid

    Ki = 7 µM(Jankun, J. et al. 1997;Vassalli, J. D. et al. 1987)

    NH

    NNH

    NH2

    R

    5-Amidinobenzimidazole undAmidinoindole

    Ki > 4 µM(Geratz, J. D. et al. 1981;Tidwell, R. R. et al. 1983)

  • 2. Urokinase Inhibitoren 20

    Inhibitor Inhibition vonuPA

    Literatur

    SH

    R

    NH

    NH2

    Benzo[b]thiophen-2-Carboxamidine

    Ki [µM]:

    B428: 0,53

    B623: 0,16

    (Alonso, D. F. et al. 1996a;Alonso, D. F. et al. 1996b;Alonso, D. F. et al. 1998;Rabbani, S. A. et al. 1995;Swiercz, R. et al. 1999;Towle, M. J. et al. 1993;Xing, R. H. et al. 1997)

    O

    NH O

    R

    S O

    NH2NH

    3-Amidinophenylalanin-Derivate

    Ki ≥ 0,5 µM(Stürzebecher, J. et al. 1999)

    Pyr-Leu-Arg-H (Peptidaldehyd) IC50 = 11 µM(Kawada, M. et al. 1995;Saino, T. et al. 1988)

    Ecotin Variante: M84R + D70R Ki = 50 pM(Yang, S. Q. et al. 1998a;Yang, S. Q. et al. 1998b)

  • 2. Urokinase Inhibitoren 21

    2.7. Zielsetzung

    In den vorangehenden Kapiteln wurde die hohe klinische Relevanz des Urokinase-

    Typ Plasminogenaktivatorsystems in der Tumorprogression und Metastasierung

    näher erläutert. Ziel dieser Arbeit war es, Inhibitoren der proteolytischen Aktivität

    von uPA als Leitstrukturen für Therapeutika zu entwickeln. Aufgrund der, auf

    medizinische Anwendung hin ausgerichteten Themenstellung, sollten die

    Inhibitoren eine möglichst hohe Selektivität gegenüber den strukturverwandten,

    trypsin-ähnlichen Serinproteasen aufweisen. Aus dem gleichen Grund sollte es sich

    um reversible Inhibitoren, also ohne „Active-Site“-reaktive Gruppe handeln.

    Desweiteren sollte das Molekulargewicht aus pharmakokinetischen Gründen nicht

    über 500 D betragen.

    Als Ausgangspunkt für die Inhibitorenentwicklung diente die Röntgenkristall-

    struktur, die 1995 von Spraggon und Mitarbeitern publiziert wurde (Spraggon, G. et

    al. 1995). Da die Selektivität sehr wichtig war, sollten alle Verbindungen auch auf

    die Inhibition der trypsin-ähnlichen Serinproteasen Thrombin, FXa, tPA, Trypsin

    und Plasmin untersucht werden.

    Mit vielversprechenden Leitstrukturen sollten Röntgenkristallstruktur-

    Untersuchungen durchgeführt werden, um das rationelle Design noch aktiverer

    Hemmstoffe zu ermöglichen.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 22

    2.8. Ergebnisse und Diskussion

    2.8.1. Tripeptid-Methylketone

    Modelling der Tripeptid-Methylketone

    Bis vor kurzem war nur eine einzige Röntgenkristallstruktur von uPA im Komplex

    mit dem irreversiblen Inhibitor H-Glu-Gly-Arg-Chloromethylketon bekannt

    (Spraggon, G. et al. 1995). Dieser Inhibitor bildet unter Abspaltung eines

    Chloridions eine kovalente Bindung zwischen dem Imidazolring des His57 und der

    Methylengruppe des Inhibitors aus. Desweiteren bildet die Seitenkette von Ser195

    mit dem Keton ein Halbketal (siehe Abbildung 7), das durch Wasserstoffbrücken

    mit Gly193 NH und Ser195 NH stabilisiert ist.

    Ausgehend von dieser Struktur wurden Tripeptid-Methylketone als reversible

    Inhibitoren synthetisiert, die keine kovalente Bindung mit His57 eingehen können.

    Durch Angriff des Ser195 O? an das Keton, ist auch bei diesen Verbindungen die

    Halbketalbildung prinzipiell möglich. Dieses Halbketal ist ein Analogon des

    tetraedrischen Übergangszustands, der während der Substratspaltung auftritt.

    Allerdings können Ketone durch Serinproteasen nicht gespalten werden und eignen

    sich deshalb als Inhibitoren, die den genannten Übergangszustand stabilisieren.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 23

    Ser

    His

    195

    57NH N

    H

    NH2NH

    NH

    CH2

    N

    NH

    NH2+

    NH2

    O

    ON

    O O

    O O

    S1-TascheS3-Tasche

    Gly193

    O O

    NH2+

    NH2

    NH

    Asp189

    Arg217

    Abbildung 7: Bindungsmodus des irreversiblen Inhibitors H-Glu-Gly-Arg-

    Chloromethylketon an uPA (Spraggon, G. et al. 1995). Wasserstoffbrücken sind als

    gestrichelte rote Linien, kovalente Bindungen als durchgezogene rote Linien

    dargestellt.

    Neben der, direkt aus der Röntgenstruktur entnommenen Peptidsequenz, wurden

    auch noch weitere Sequenzen synthetisiert. Eine Studie von Song-Hua Ke (Ke, S.

    H. et al. 1997) mit verschiedenen peptidischen Substraten ermittelte eine Präferenz

    von uPA für die Sequenz Ser-Gly-Arg (P3-P1), so daß davon auszugehen ist, daß

    auch der analoge Tripeptid-Methylketon-Inhibitor eine höhere Affinität zu uPA

    besitzen sollte. Modelling-Experimente mit der bekannten uPA-Röntgenstruktur

    (Spraggon, G. et al. 1995) ergaben, daß sich der P2-Rest Glycin auch durch das

    starrere Prolin ersetzten läßt, wodurch man die Flexibilität des Inhibitors

    einschränken und damit den entropischen Verlust bei der Bindung an das Enzym

    verringern könnte.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 24

    Festphasensynthese nach der Fmoc-Strategie

    Zur Synthese von Methylketonen aus Peptiden sind 2 verschiedene Methoden

    gebräuchlich. Die von John S. McMurray und Douglas F. Dyckes beschriebene

    Abwandlung der Dakin-West-Reaktion (Dakin, H. D. et al. 1928; McMurray, J. S.

    et al. 1985) hat allerdings den Nachteil, daß die C-terminale Aminosäure während

    der Reaktion vollständig racemisiert. Eine weitere Methode stellt die Umsetzung

    von N-Methoxy-N-Methylamiden (Weinrebamid) mit Methyl-Grignard-Reagenz

    dar (Nahm, S. et al. 1981) (Abbildung 8).

    R N

    O

    Me

    OMe MeMgBr

    THF NMe

    OMeRMe

    O Mg

    R Me

    OH3O+

    Abbildung 8: Synthese von Methylketonen aus Weinrebamiden

    Die N-Methylgruppe des Weinrebamids kann auch durch einen mit einem

    polymeren Träger verbundenen Linker ersetzt werden (Dinh, T. Q. et al. 1996). Zur

    Synthese der Tripeptid-Methylketone wurde eine Festphasensynthese nach Fmoc-

    Strategie an einem Weinreb AM-Harz (NovaBiochem) gewählt (Abbildung 9). Da

    das Weinrebamin sehr wenig nukleophil ist, wurde die erste Aminosäure [Fmoc-

    Arg(Pbf)-OH] mit HATU/HOAt/DIEA im Verhältnis 1:1:1:2 mit einem 4-fachen

    molaren Überschuß an den Harzlinker gekoppelt. Der weitere Aufbau der

    Peptidkette erfolgte standardmäßig mit 4 Äquivalenten Fmoc-Xaa-

    OH/TBTU/HOBt/DIEA (1:1:1:2). Die Fmoc-Abspaltung war nach 2

    aufeinanderfolgenden Zyklen von 3 min und 12 min mit 20% Piperidin in DMF

    quantitativ. Im letzten Schritt wurde das seitenkettengeschützte Produkt mit 20

    Äquivalenten Methyl-Grignard-Reagenz in absolutem THF unter gleichzeitiger

  • 2. Urokinase Inhibitoren 25

    Ausbildung des Methylketons vom Harz abgespalten. Die Schutzgruppenabspaltung

    erfolgte schließlich in 95% TFA.

    PNOMe

    ArgFmoc

    PNOMe

    HCH3 +Arg

    PNOMe

    Fmoc

    1. Piperidin2. Fmoc-Xaa1-OH/ HOBt/HBTU/DIEA

    1. Piperidin2. Fmoc-Xaa2-OH/ HOBt/HBTU/DIEA

    PNOMe

    ArgXaa1Fmoc

    1. Piperidin2. Fmoc-Arg(Pbf)-OH/ HOAt/HATU/DIEA

    PNOMe

    ArgXaa1Xaa2Fmoc

    PNOMe

    ArgXaa1Xaa2Ac

    Xaa1Xaa2Ac

    1. CH3MgBr2. H+

    1. Piperidine2. Ac2O

    Abbildung 9: Synthese von Tripeptid-Methylketonen am polymeren Träger

  • 2. Urokinase Inhibitoren 26

    Inhibition von uPA und strukturverwandten Enzymen

    Alle dargestellten Tripeptid-Methylketone wurden auf Inhibition von uPA und den

    strukturverwandten Serinproteasen Plasmin, FXa, Thrombin und Trypsin untersucht

    (Tabelle 3). Die Inhibitionskonstanten aller getesteter Verbindungen waren größer

    als 1 mM (mit Ausnahme von Verbindung 3, die Trypsin mit 12 µM hemmt).

    Aus diesen Ergebnissen wird ersichtlich, daß die Hemmwirkung des irreversiblen

    Inhibitors H-Glu-Gly-Arg-Chloromethylketon praktisch ausschließlich durch

    Bildung einer kovalenten Bindung mit His57 erzielt wird und nicht durch

    Wechselwirkung mit den uPA-Bindungstaschen S1-S3. Daraus folgt direkt, daß der

    irreversible Inhibitor praktisch keine Selektivität gegenüber den verwandten

    Serinproteasen aufweisen kann und deshalb in vivo nicht verwendet werden kann.

    Auf der Basis von Peptidaldehyden, die den tetraedrischen Übergangszustand

    besser stabilisieren können als Methylketone, könnten vermutlich auch uPA-

    Inhibitoren entwickelt werden. Aus oben genannten Gründen würde aber auch mit

    solchen Inhibitoren das Selektivitätsproblem nicht zufriedenstellend gelöst werden.

    Deshalb wurde schließlich mit der Entwicklung kleiner, organischer Moleküle als

    uPA-Inhibitoren ein vollkommen neuer Weg eingeschlagen (Kapitel 2.8.2).

    Tabelle 3: Struktur-Wirkungsbeziehung der Tripeptid-Methylketone auf dieInhibition von uPA und verwandten Serinproteasen

    Ki [µM]Nr. Sequenz

    uPA Plasmin FXa Thrombin Trypsin

    (1) Ac-Arg-CH3 > 1000 > 1000 > 1000 > 1000 > 1000

    (2) Ac-Glu-Gly-Arg-CH3 > 1000 > 1000 > 1000 > 1000 > 1000

    (3) H-Glu-Pro-D,L-Arg-CH3 > 1000 > 1000 > 1000 > 1000 12

    (4) Ac-Glu-Hyp-Arg-CH3 > 1000 > 1000 > 1000 > 1000 > 1000

    (5) Ac-Ser-Hyp-Arg-CH3 > 1000 > 1000 > 1000 > 1000 > 1000

  • 2. Urokinase Inhibitoren 27

    2.8.2. Phenylguanidin-Derivate als selektive uPA-Inhibitoren

    Strukturbasiertes Inhibitordesign

    Abbildung 10 zeigt das katalytische Zentrum der Röntgenkristallstruktur von uPA

    im Komplex mit dem irreversiblen Inhibitor H-Glu-Gly-Arg-Chloromethylketon

    (Spraggon, G. et al. 1995). Aus dem Bindungsmodus dieses substratähnlichen

    Inhibitors lassen sich einige wichtige Rückschlüsse für das Inhibitordesign ziehen:

    • Das natürliche Substrat Plasminogen wird von uPA nach Arginin 560 gespalten.Die Guanidinogruppe des Arginins interagiert dabei mit der Seitenkette von

    Asp189 in der S1-Tasche über eine Salzbrücke.

    • Verglichen mit der S2-Tasche in Thrombin, ist die S2-Tasche von uPA durchdie Insertion von Thr97A und Leu97B im sogenannten „99-Loop“ stark

    verkleinert. In der P2-Position des Substrats oder Inhibitors sind aus diesen

    sterischen Gründen kleine Aminosäurereste wie Glycin bevorzugt.

    • Ebenso wie in Thrombin gibt es eine S3/S4-Tasche die vorwiegend von denhydrophoben Seitenketten aromatischer Aminosäuren gebildet wird.

    Ein möglicher uPA-Inhibitor sollte somit ein Argininmimetikum in P1, einen

    kleinen Spacer in P2 und einen hydrophoben Rest in P3 enthalten.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 28

    Abbildung 10: Röntgenkristallstruktur von uPA im Komplex mit dem irreversiblen

    Inhibitor H-Glu-Gly-Arg-Chloromethylketon

    Untersuchung verschiedener Argininmimetika

    Zunächst wurden verschiedene Kopfgruppen synthetisiert und auf ihre

    inhibitorische Wirkung getestet (Tabelle 4). Alle enthalten einen hydrophoben

    Benzolring, substituiert mit basischen Amidino- bzw. Guanidino-Gruppen.

    Prinzipiell sind alle diese Derivate also in der Lage an Asp189 in der S1-Tasche über

    eine Salzbrücke zu binden.

    Benzamidin (111) und Phenylguanidin (6) inhibieren uPA im mikromolaren

    Bereich. Benzylcarbamidin (112), das zu Phenylguanidin isoster ist, hatte hingegen

  • 2. Urokinase Inhibitoren 29

    keine inhibitorische Aktivität auf die untersuchten trypsinartigen Serinproteasen.

    Wegen der besseren Selektivität wurde aufgrund dieser Ergebnisse Phenylguanidin

    (6) als Kopfgruppe gewählt.

    Tabelle 4: Struktur-Wirkungsbeziehung verschiedener Argininmimetika

    Ki [µM]Nr. Formel

    uPA Plasmin FXa Thrombin Trypsin

    (111)NH2

    NH81 350 410 220 35

    (6) NH

    NH2NH

    30 > 1000 > 1000 > 1000 163

    (112) NH2NH

    > 1000 > 1000 > 1000 > 1000 > 1000

    (7) NH NH2

    NH> 1000 > 1000 > 1000 > 1000 > 1000

    Screening verschiedener Phenylguanidin-Derivate – Suche nach einem

    geeigneten P2-Spacer

    Im nächsten Schritt wurde versucht, einen P2-Spacer geeigneter Länge zu finden.

    Sämtliche Derivate der 4-Guanidino-Benzoesäure (8-11), des 4-Guanidino-Anilins

    (31), sowie des 4-Guanidino-Phenylalanins (15, 18, 21) zeigten keine oder nur sehr

    geringe hemmende Wirkung auf uPA (Tabelle 5). Interessanterweise sind die zu

    Verbindung 18 und 21 analogen 3- bzw. 4-Amidino-Phenlalaninderivate als Serin-

    proteaseinhibitoren bekannt (Gabriel, B. 1998; Gabriel, B. et al. 1998;

    Stürzebecher, J. et al. 1999). Durch die Guanidinofunktion scheint sich also eine

  • 2. Urokinase Inhibitoren 30

    völlig andere Bindungsgeometrie zu ergeben. Derivate von 3-Guanidinobenzylamin

    erfüllen offensichtlich ebensowenig die strukturellen Voraussetzungen für einen

    uPA-Inhibitor (66, 73, 74) wie Sulfonamid-Derivate des 4-Guanidinobenzylamins

    (37–45). Einzig und allein Urethanyl- oder Acyl-Derivate des 4-

    Guanidinobenzylamins (28, 29, 47, 49, 50) zeigten die gewünschte uPA Inhibition.

    Während die Acyl-Derivate 47, 49 und 50 zumindest Trypsin noch mit

    vergleichbaren Inhibitionskonstanten hemmen wie uPA, konnte für die

    Urethanylderivate 28 und 29 keine Hemmwirkung auf Trypsin, Thrombin, FXa und

    Plasmin nachgewiesen werden. Das tert-Butyloxycarbonyl-Derivat (29) wurde nun

    als neue Leitstruktur für weitere Derivatisierungen eingesetzt.

    Tabelle 5: Substituierte Phenylguanidine – Suche nach einem geeigneten Spacer umdie S2-Tasche zu überbrücken.

    Ki [µM]Nr. Formel

    uPA Plasmin FXa Thrombin Trypsin

    (8) NNH

    NH2NH

    O

    O

    O

    O

    59 400 >1000 36 500

    (9) NH

    NH2NH

    O

    N MeMeO

    100 100 >1000 >1000 >1000

    (10) ONH

    NH2NH

    O

    >1000 >1000 >1000 >1000 >1000

    (11) NH

    NH2NH

    O

    OMe >1000 n. b. >1000 >1000 >1000

  • 2. Urokinase Inhibitoren 31

    Ki [µM]Nr. Formel

    uPA Plasmin FXa Thrombin Trypsin

    (15)NH

    NH2NH

    NH

    OO

    OOMe

    200 >1000 >1000 85 >1000

    (18) NHNH2

    NH

    NH

    OO

    OOMe

    >1000 300 >1000 >1000 >1000

    (21) NHNH2

    NH

    NH

    OOMe

    SO

    O>1000 >1000 >1000 54 >1000

    (37)NH

    NHNH2

    NH

    SO

    O

    >1000 >1000 >1000 >1000 >1000

    (38) NHNH

    NH2

    NH

    SO

    O

    FF

    F

    F F

    >1000 >1000 >1000 >1000 >1000

    (39) NH

    NHNH2

    NH

    SO

    ONH

    O >1000 >1000 >1000 >1000 >1000

    (41) NH

    NHNH2

    NH

    SO

    OCF3

    >1000 >1000 >1000 >1000 >1000

    (42) SN

    NH

    NHNH2

    NH

    SO

    ONH

    O

    240 >1000 >1000 >1000 >1000

  • 2. Urokinase Inhibitoren 32

    Ki [µM]Nr. Formel

    uPA Plasmin FXa Thrombin Trypsin

    (43) NHNH

    NH2

    NH

    SO

    OF3C

    >1000 >1000 >1000 >1000 >1000

    (44)SO

    ON

    OCF3

    NH

    NHNH2

    NH

    >1000 >1000 >1000 >1000 >1000

    (45)S

    O

    OS

    O

    O

    O

    NH

    NH NH2

    NH

    NH

    NHNH2

    NH

    >1000 >1000 >1000 >1000 63

    (66)NH

    NHNH2

    NH

    ONH >1000 450 600 >1000 >1000

    (73)NH

    S NH

    NH2 NH

    O

    O >1000 >1000 1300 >1000 >1000

    (74)NH

    O

    ONH

    NH2 NH

    >1000 >1000 >1000 >1000 >1000

    (31)NH

    ONH

    NHNH2O

    >1000 >1000 >1000 >1000 >1000

    (28) NHNH

    NH2

    NHO

    O 16 >1000 >1000 >1000 >1000

  • 2. Urokinase Inhibitoren 33

    Ki [µM]Nr. Formel

    uPA Plasmin FXa Thrombin Trypsin

    (29) NH

    NHNH2

    NHO

    O 36 >1000 >1000 >1000 >1000

    (47)NH

    NHNH2

    NHO

    NH

    OO

    37 n. b. >1000 >1000 >1000

    (49)NH

    NHNH2

    NHO

    NH

    SO

    O

    NH

    O

    21 >1000 >1000 >1000 42

    (50)NH

    NHNH2

    NHO

    NH

    SO

    O

    32 >1000 >1000 >1000 36

    Einfluß der hydrophoben Wechselwirkungen in P3

    Im nächsten Schritt sollten die hydrophoben Wechselwirkungen optimiert werden.

    Hierzu wurde die tert-Butylgruppe der Leitstruktur 29 sukzessive durch andere

    Alkyl-, Zykloalkyl- und aromatische Gruppen ausgetauscht (Tabelle 6). Bei allen

    durchgeführten Variationen stellten wir fest, daß der Einfluß der hydrophoben

    Wechselwirkungen weitaus geringer war als der Einfluß des geeigneten P2-Spacers

    (siehe Tabelle 5). So bewegen sich die Inhibitionskonstanten nur im Bereich

    zwischen 10 und 50 µM. Der bis-basische Inhibitor 54 hebt sich mit einer

    Inhibitionskonstante von 2,8 µM etwas aus diesem Umfeld ab. Durch die zwei

    Guanidino-Benzylaminreste in einem Molekül ist die Konzentration des Inhibitors

    formal aber doppelt so hoch, d. h. hätte der Inhibitor nur eine Guanidinofunktion,

  • 2. Urokinase Inhibitoren 34

    wäre der Ki-Wert etwa 6 µM. Deshalb ist auch nicht davon auszugehen, daß die

    zweite Phenylguanidin-Einheit außerhalb der uPA-„Active-Site“ bindet, während

    der erste Phenylguanidinrest in der S1-Tasche gebunden ist. Eine deutlichere

    Verbesserung der Inhibitionskonstante findet man für diese Verbindung allerdings

    in Bezug auf Tryptase, die ein Tetramer mit vier katalytisch aktiven Untereinheiten

    bildet. Für die Kopfgruppe 4-Guanidino-Benzylamin (59) wurde gegen Tryptase

    eine Inhibitionskonstante von 200 µM ermittelt. Durch den bis-basischen Inhibitor

    54 verbessert sich hier der Ki auf 1 µM, was zumindest teilweise für bivalentes

    Binden (gleichzeitiges Binden in zwei Untereinheiten der Tryptase) spricht.

    Wegen der beobachteten leichten Präferenz für den sperrigen und inerten

    Adamantylrest (Verbindung 36) und wegen der kommerziellen Verfügbarkeit der

    benötigten Derivate, wurde der Inhibitor 36 als Leitstruktur für die weiteren

    Optimierungsschritte gewählt.

    Tabelle 6: Optimierung der hydrophoben Wechselwirkungen in P3

    Ki [µM]Nr. Formel

    uPA Plasmin FXa Thrombin Trypsin

    (29) NH

    NHNH2

    NHO

    O 36 >1000 >1000 >1000 >1000

    (33) NH

    NHNH2

    NH

    O

    O

    27 >1000 >1000 >1000 >1000

    (34) NH

    NHNH2

    NHO

    O 51 >1000 >1000 >1000 >1000

  • 2. Urokinase Inhibitoren 35

    Ki [µM]Nr. Formel

    uPA Plasmin FXa Thrombin Trypsin

    (35) NH

    NHNH2

    NHO

    O 52 >1000 >1000 >1000 >1000

    (36) NH

    NHNH2

    NHO

    O 13 >1000 >1000 >1000 >1000

    (32) NH

    NHNH2

    NH

    NH2

    NH

    46 >1000 >1000 >1000 >1000

    (59)NH

    NHNH2

    NH2

    >1000 >1000 >1000 >1000 >1000

    (53) NHNH NH2

    NH

    O

    O

    NN 11 >1000 >1000 >1000 >1000

    (52)NH

    NH

    NH2NH

    O

    O

    NO2

    MeOOMe

    35 >1000 >1000 >1000 >1000

    (28) NHNH

    NH2

    NHO

    O 16 >1000 >1000 >1000 >1000

    (51)O2N

    NH

    NH

    NH2NH

    O

    O 12 200 >1000 >1000 36

    (54) NHNH

    NH2

    NH

    O

    OO

    ONH

    NH

    NHNH2

    2,8 47 >1000 >1000 11

  • 2. Urokinase Inhibitoren 36

    Ki [µM]Nr. Formel

    uPA Plasmin FXa Thrombin Trypsin

    (64) NH

    NHNH2

    NHO

    NH

    OO

    70 390 >1000 >1000 >1000

    (65)NH

    NHNH2

    NHO

    NH252 250 >1000 >1000 >1000

    Untersuchung der Wasserstoffbrücken-Donor/Akzeptor-Eigenschaften des P2-

    Spacers

    Als nächstes wurde untersucht, welche Atome des P2-Spacers für die Bindung zum

    Enzym wichtig sind. Hierzu wurden einzelne Atome durch isostere Gruppen mit

    anderen Wasserstoffbrücken-Donor- bzw. Akzeptoreigenschaften ausgetauscht

    (Tabelle 7). So wurde zum Beispiel der Wasserstoffbrückenakzeptor O (Verbindung

    36) durch die inerte Gruppierung CH2 (Verbindung 58) bzw. den Donor NH (75)

    ausgetauscht. NH als H-Brückendonor scheint an dieser Stelle stark bevorzugt zu

    sein, so daß sich die Inhibitionskonstante auf 2,4 µM verbesserte (75). Tauscht man

    den Harnstoff in Verbindung 75 durch den isosteren Thioharnstoff (60) aus, ist

    keinerlei uPA-Inhibition mehr zu messen. Beim Austausch des benzylischen NH in

    Verbindung 75 durch die inerte Methylengruppe (62) verschlechtert sich die

    Inhibitionskonstante auf 120 µM. Dieser Austausch beeinflußt auch die Selektivität,

    so daß Plasmin vergleichbar gehemmt wird. Das Verkürzen des P2-Spacers von

    Verbindung 75 um ein Atom in Verbindung 63 führte ebenso zu einer

    Verschlechterung der uPA-Inhibition wie auch der Austausch der Adamantylgruppe

  • 2. Urokinase Inhibitoren 37

    durch einen Phenylring (Verbindung 77, Ki=29 µM). Der zu Verbindung 77 analoge

    Thioharnstoff (55) hemmt uPA nicht-kompetitiv (allosterisch) bei einer

    Konzentration von 1 µM, während Trypsin mit Ki=37 µM kompetitiv gehemmt

    wird. Diese Beispiele zeigen gut, wie wichtig jedes einzelne Atom eines kleinen

    Inhibitors für eine hohe Affinität zum Enzym sein kann.

    Die Analyse aller durchgeführten Derivatisierungen ergab folgende Ergebnisse (

    Abbildung 11):

    NH

    NHNH2

    NHO

    NH

    wichtigsehrwichtig

    wichtig

    essentiell

    kann ersetztwerden

    Abbildung 11: Analyse des Inhibitors 75, basierend auf den durchgeführten

    Derivatisierungen

    • Die 4-Guanidino-Benzyleinheit ist essentiell für die Bindung in der S1-Tascheund läßt keine Veränderungen zu

    • Der anschließende Harnstoff ist für gute Inhibitionskonstanten wichtig; dasErsetzen einzelner Atome in dieser Gruppe und die damit verbundene

    Abnahme der uPA-Inhibition, stützt die Annahme, daß die Harnstoffgruppe

    in drei Wasserstoffbrücken involviert ist.

    • Die Art und Größe der hydrophoben Gruppe (hier Adamantan) spielt eineuntergeordnete Rolle – durch andere Derivate mit Wasserstoffbrücken-

    Donor/Akzeptoreigenschaften läßt sich die uPA-hemmende Wirkung des

    Inhibitors eventuell noch verbessern

  • 2. Urokinase Inhibitoren 38

    Tabelle 7: Optimierung des P2-Spacers durch Austausch einzelner Atome durchisostere Gruppen mit anderen Wasserstoffbrücken-Donor/Akzeptor-eigenschaften

    Ki [µM]Nr. Formel

    uPA Plasmin FXa Thrombin tPA

    (36) NH

    NHNH2

    NHO

    O 13 >1000 >1000 >1000 >1000

    (58) NH

    NHNH2

    NHO

    40 >1000 >1000 >1000 n. b.

    (75) NH

    NHNH2

    NHO

    NH 2,4 >1000 >1000 600 >1000

    (62) NH

    NHNH2

    CH2O

    NH

    120 130 >1000 >1000 n. b.

    (60) NH

    NHNH2

    NHS

    NH >1000 >1000 >1000 >1000 >1000

    (77) NH

    NHNH2

    NHO

    NH

    29 170 >1000 >1000 >1000

    (76) NH

    NHNH2

    NHO

    NH 7,4 200 220 >1000 n. b.

    (63) NH

    NHNH2

    NHO

    102 460 >1000 >1000 n. b.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 39

    Ki [µM]Nr. Formel

    uPA Plasmin FXa Thrombin tPA

    (56)NH

    NH

    NH2NH

    O

    18 >1000 >1000 >1000 >1000

    (78) NH

    NHNH2

    NHO

    NHO

    Cl37 180 >1000 >1000 n. b.

    (55) NH

    NHNH2

    NHS

    NH

    nicht-

    kompetitiv>1000 >1000 >1000 n. b.

    Synthese des Inhibitors N-Adamantyl-N'-(4-Guanidinobenzyl)-Harnstoff (75)

    Zur Synthese von N-Adamantyl-N'-(4-Guanidinobenzyl)-Harnstoff (Abbildung 12)

    geht man vom kommerziell erhältlichen p-Aminobenzylamin aus. Im ersten Schritt

    wird die Aminomethylgruppe mit tert-Butyloxycarbonyl geschützt (22).

    Anschließend erfolgt die Umsetzung mit einem bis-Benzyloxycarbonyl-geschützten

    Guanidinylierungsreagenz (Feichtinger, K. et al. 1998). Nach Abspaltung der Boc-

    Schutzgruppe (23) wird das freie Amin mit Adamantylisocyanat zum

    Adamantylharnstoff umgesetzt. Im letzten Schritt wird die Guanidinofunktion durch

    katalytische Hydrierung an einem Pd-Katalysator entschützt um Inhibitor 75 zu

    erhalten.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 40

    NH2

    NH2

    BOC2O (NH-Z)CF3SO2 N C (NH-Z)

    NH

    NH2

    NH

    N

    Z

    Z

    H2/Pd/C

    NHNH

    N

    Z

    Z

    NH

    O

    NH H

    HH

    NH2

    NH

    O

    O *HCl

    1.

    2. 6M HCl/Dioxan

    NHNH2

    NH

    NH

    O

    NH H

    HH

    1-Adamantylisocyanat/TEA

    (75)

    (23)(22)

    Abbildung 12: Synthese des Inhibitors N-Adamantyl-N'-(4-Guanidinobenzyl)-

    Harnstoff (75)

    Röntgenkristallstruktur-Untersuchung des uPA/Inhibitor-75-Komplexes

    In Kooperation mit der Arbeitsgruppe für Strukturforschung ist es gelungen die

    rekombinant hergestellte uPA-B-Kette im Komplex mit Benzamidin zu

    kristallisieren. Da Benzamidin ein schwacher uPA-Inhibitor ist, konnte es im

    Kristall mittels der „Soaking“-Technik durch den Inhibitor 75 ersetzt werden.

    Abbildung 13 zeigt die halbtransparente Oberflächendarstellung der

    Röntgenstruktur von uPA im Komplex mit dem Inhibitor 75. Das Enzym ist in der

    Standardorientierung für Serinproteasen abgebildet, das heißt die „Active-Site

    Cleft“ verläuft von links nach rechts.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 41

    Abbildung 13: Halbtransparente Oberflächendarstellung des uPA/Inhibitor 75-

    Komplexes

    Wie erwartet bindet der Phenylguanidinteil in die S1-Tasche unter Ausbildung der

    canonischen Salzbrücke zu Asp189. Die Harnstoffgruppe durchquert das katalytische

    Zentrum und plaziert den sperrigen Adamantylrest in die S1'-Tasche.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 42

    Abbildung 14: Vergleich der Bindungsmodi des irreversiblen Inhibitors H-Glu-

    Gly-Arg-Chloromethylketon (C-Atome in gelb) und des Inhibitors

    75 (C-Atome in grün)

    Wie oben erläutert, wurde der Inhibitor ursprünglich dahingehend entwickelt, daß er

    die Taschen S1-S3 von uPA zur Bindung nutzt. Substratähnliche Inhibitoren wie

    das in Abbildung 14 gezeigte Tripeptid-Chloromethylketon (C-Atome in gelb)

    würden in diese Taschen binden. Der Inhibitor 75 (C-Atome in grün) durchquert in

    unerwarteter Weise das aktive Zentrum und plaziert den hydrophoben Rest in die

    S1’-Tasche. Dieser völlig neue Bindungsmodus ermöglicht es erstmals die

    gestrichene Seite der „Active-Site“ für strukturbasierte Verbesserungen des

    Inhibitors zu nutzen.

    Das Schema in Abbildung 15 zeigt den experimentellen Bindungsmodus des

    Inhibitors 75 in uPA.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 43

    NH

    NH2NH2

    NH

    O

    NH

    OO

    +

    -

    O

    H2O

    Ala183

    Asp189

    OHO

    O

    Gly219

    Ser190

    H2O

    O

    Ser214

    H2O

    NH2

    O

    Gln192

    SS

    Cys58

    Cys42NH

    NHis57

    NH

    Gly193

    BackboneGly 193Asp194Ser195

    2.72Å

    2.67Å

    2.90Å

    2.58Å

    2.82Å

    2.90Å

    2.66Å

    2.91Å

    3.20Å

    3.10Å

    2.78Å

    Abbildung 15: Bindungsmodus des Inhibitors 75 (blau) an uPA (wichtige Reste in

    schwarz). Wasserstoffbrückenbindungen sind als rote, punktierte

    Linien wiedergegeben.

    Neben der canonischen Salzbrücke zu Asp189 ist die Guanidinofunktion noch in

    zwei weitere Wasserstoffbrücken zu Gly219 O und der Seitenkette von Ser190

    involviert. Interessanterweise binden die Stickstoffatome der Harnstoffgruppe über

    Wassermoleküle einerseits zu Ser214 O und andererseits zur Seitenkette von Gln192.

    Das Sauerstoffatom der Harnstoffgruppe formt eine starke Wasserstoffbrücke mit

    Gly193 N. Wie bereits auf Seite 36 gezeigt, ist das Austauschen eines Atoms der

    Harnstoffgruppe stets mit einem Verlust an Hemmwirkung des Inhibitors

    verbunden. In Anbetracht der Tatsache, daß die Harnstoffgruppe in drei

    Wasserstoffbrücken involviert ist, läßt sich dieser Befund sehr leicht erklären.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 44

    Die Adamantylgruppe ist an hydrophoben Wechselwirkungen beteiligt. Zum einen

    mit den „Backbone“-Atomen zwischen Gly193 und Ser195, mit der Disulfidbrücke

    zwischen Cys58 und Cys42 und schließlich mit der hydrophoben Ebene des

    Imidazolrings von His57.

    Der Inhibitor durchquert die „Active-Site“ ohne direkte Wechselwirkung mit den

    katalytischen Resten Ser195 und His57. In der aktiven Konformation dieser Reste

    wäre das Binden des Inhibitors im gefundenen Bindungsmodus aus sterischen

    Gründen nicht möglich. Um die Bindung des Inhibitors dennoch zu ermöglichen,

    müssen die Seitenketten von Ser195 und His57 eine andere Konformation einnehmen.

    Abbildung 16: Umordnung der „Active-Site“-Reste His57 und Ser195 durch die

    Bindung von Inhibitor 75. (violett: aktive Konformation der

    katalytischen Triade; grün: umgeordnete Konformation während

    der Bindung des Inhibitors 75)

  • 2. Urokinase Inhibitoren 45

    In violett ist in Abbildung 16 die natürliche, aktive Anordnung der katalytischen

    Triade dargestellt, wie man sie auch in der Röntgenstruktur von uPA im Komplex

    mit Benzamidin vorfindet. Der Imidazolring von His57 bildet Wasserstoffbrücken-

    Bindungen zu Asp102 und Ser195.

    Während der Bindung des Inhibitors 75 werden diese Reste nun aus Platzgründen

    umgeordnet, wie in Abbildung 16 in gün dargestellt. Dabei wird das ursprüngliche

    Netz aus Wasserstoffbrücken zerstört. Um den damit verbundenen energetischen

    Verlust wenigstens teilweise zu kompensieren, wird ein Wassermolekül neu in die

    Struktur eingefügt. Dieses Wassermolekül ist nahezu perfekt tetraedrisch zwischen

    Ser195, His57, Asp102 und Ser214 koordiniert.

    Die hier beobachtete Umordnung zeigt ganz klar die Grenzen der heutigen

    Modellingprogramme, die solche Adaptionen des Enzyms nicht berücksichtigen

    können. Deshalb war es auch nicht möglich, den gefundenen Bindungsmodus mit

    dem Computerprogramm FlexX vorherzusagen.

    Diskussion der Selektivität des Inhibitors 75

    Wie aus Tabelle 8 hervorgeht, besitzt der Inhibitor eine sehr hohe Selektivität. Die

    wichtigsten Enzyme der Blutgerinnungskaskade sowie tPA und Plasmin, die für die

    Fibrinolyse notwendig sind, werden von diesem Inhibitor nicht beeinflußt.

    Wodurch die hohe Selektivität für uPA zustande kommt, ist aber trotz gelöster

    Röntgenkristallstruktur nicht einfach zu verstehen. Im Falle von Thrombin, FXa

    und tPA ist Ser190 durch Ala ersetzt (siehe Abbildung 15). Dadurch kann in diesen

    Enzymen die Wasserstoffbrücken-Bindungskapazität der Guanidinogruppe nicht

    vollständig abgesättigt werden. Desweiteren ist in Thrombin (Bode, W. et al. 1989)

    und FXa (Padmanabhan, K. et al. 1993) die S1'-Tasche durch die Seitenketten von

    Lys60F bzw. Gln61 kleiner als in uPA. In tPA befinden sich die geladenen

    Seitenketten von Arg39 und Glu60A nahe an der S1'-Tasche, und würden die

  • 2. Urokinase Inhibitoren 46

    hydrophoben Wechselwirkungen der Adamantylgruppe stören. Aus sterischen

    Gründen wäre auch die notwendige Umorientierung des His57 (siehe Seite 44) in

    Thrombin, FXa und tPA stark gehindert. Die synergistische Wirkung aller dieser

    und wahrscheinlich noch weiterer kleiner Unterschiede, wird also letztlich zur

    beobachteten hohen Selektivität des Inhibitors 75 beitragen.

    Tabelle 8: Inhibitionskonstanten von Inhibitor 75 für verschiedene Serinproteasen

    Ki [µM]Inhibitor

    uPA Plasmin FXa Thrombin Trypsin tPA TryptasePlasma-

    KallikreinFXIIa

    75 2,4 >1000 >1000 600 46 >1000 400 >1000 >1000

    Strukturbasierte Vorschläge zur Verbesserung der Leitstruktur 75

    Die genaue Kenntnis des Bindungsmodus des Inhibitors 75 wird in Zukunft die

    Optimierung dieser Leitstruktur stark vereinfachen. In diesem Kapitel sollen einige

    Verbesserungsvorschläge vorgestellt werden, die wahrscheinlich eine stärkere

    Bindung des Inhibitors zum Enzym ermöglichen würden und somit die

    Inhibitionskonstante verbessern könnten (Abbildung 17).

    • Optimierung der hydrophoben Wechselwirkungen in der S1'-Tasche:Insbesondere die hydrophobe Wechselwirkung mit der Disulfidbrücke

    zwischen Cys58 und Cys42 dürfte sich durch Einführung eines

    Chlorsubstituenten im Adamantylrest deutlich verbessern lassen.

    • Optimierung von Wasserstoffbrückenbindungen in des S1'-Tasche:Südöstlich der Adamatylgruppe befindet sich im Kristall ein

    Wassermolekül, das zwischen Tyr151 Oγ, Val41 O und Tyr40 O dreifachkoordiniert und somit in der Elektronendichte gut definiert ist. Durch einen

    Hydroxymethl-Substituenten am Adamantylrest, ließe sich dieses

    Wassermolekül aus der Struktur verdrängen und die Hydroxyfunktion wäre

  • 2. Urokinase Inhibitoren 47

    anschließend nahezu perfekt tetraedrisch koordiniert. Anstelle der

    Hydroxymethl-Gruppe könnte z. B. auch eine Carbonsäureamidfunktion

    verwendet werden.

    • Optimierung der Wasserstoffbrücken-Bindungen der Harnstoffgruppe:Wie in Abbildung 15 dargestellt, binden die Stickstoffatome des bis-

    substituierten Harnstoffs über Wassermoleküle an Ser214 O und an die

    Seitenkette von Gln192. Durch Substitution der Harnstoff-Stickstoffatome

    mit Hydroxyethylfunktionen, ließen sich zwei direkte Wasserstoffbrücken

    zwischen dem Inhibitor und dem Enzym verwirklichen, die eine höhere

    Bindungsstärke bewirken als die beiden wasservermittelten Bindungen.

    Beispiele für die Realisierung eines solchen Inhibitors sind in Abbildung 17 und 18

    zusammengefaßt.

    NH

    NH2NH2

    O

    Cl

    OH

    OH

    OH

    OO

    +

    -

    Asp189

    OHO

    O

    Gly219

    Ser190

    O

    Ser214NH2

    O

    Gln192

    SS

    Cys58

    Cys42NH

    NHis57

    NH

    Gly193

    2.72Å

    2.67Å

    2.90Å 2.90Å

    2.78Å

    OH

    Tyr151

    O

    O

    Tyr40

    Val41

    Abbildung 17: Möglicher Bindungsmodus eines strukturbasiert verbesserten

    Inhibitors (Änderungen sind in grün dargestellt)

  • 2. Urokinase Inhibitoren 48

    NH

    NHNH2

    N

    O

    Cl

    NH2

    NH2

    OH

    O

    O NH

    NHNH2

    O

    HHH

    Cl

    NH2

    NH2

    OH

    O

    O

    NH

    NHNH2

    O

    NH2

    OH

    O

    NH2

    O

    Abbildung 18: Weitere Strukturvorschläge für Inhibitoren mit verbesserten

    Bindungseigenschaften

    Untersuchung der Toxizität des Inhibitors 75

    Die Zytotoxizität des Inhibitors wurde für drei verschiedenen Krebszellinien

    bestimmt, indem steigende Inhibitorkonzentrationen zusammen mit den Zellen

    inkubiert wurden und anschließend die Lebensfähigkeit der Zellen bestimmt wurde.

    Die abgebildeten Kurven (Abbildung 19) repräsentieren die Ergebnisse nach 48 h

    Inkubation, wobei sich nach 24 bzw. 72 h aber sehr ähnliche Resultate ergaben.

    Dies bedeutet, daß bestimmte Inhibitorkonzentrationen toxisch wirken, die

    Inkubationszeit hingegen scheinbar keinen Einfluß auf die Toxizität einer

    bestimmten Konzentration hat. Für zwei Zellinien (MDA-MB-231 und OV-MZ-6)

    war der Inhibitor bis zu einer Konzentration von 250 µM nicht toxisch.

    Interessanterweise beeinflußte diese Konzentration bereits die Überlebensrate der

    Keratinozyten-Krebszellinie A431. Auf jeden Fall liegen die toxischen

    Konzentrationen aber 50- bis 100-fach über den Inhibitionskonstanten, was einen

    großen therapeutischen „Spielraum“ für Tierexperimente schafft.

  • 2. Urokinase Inhibitoren 49

    0,00

    0,04

    0,08

    0,12

    0,16

    0,20

    0 1 5 10 15 20 50 100

    250

    500 750 1000

    Inhibitor-Konzentration [µM]

    Abs

    orpt

    ion

    [560

    -640

    nm

    ]

    MDA-MB-231 OV-MZ-6A431 Puffer Kontrolle

    Abbildung 19: Effekt des Inhibitors 75 auf die Zellproliferation. Die

    Pufferkontrolle ist nur für OV-MZ-6-Zellen dargestellt

    Pharmakokinetische Charakterisierung

    Ein guter Anhaltspunkt für die orale Bioverfügbarkeit einer Substanz ist der

    Verteilungskoeffizient zwischen Oktanol und Wasser. Eine sehr gute orale

    Aufnahme erhält man normalerweise wenn der Logarithmus des

    Verteilungskoeffizienten (logPOktanaol/Wasser) etwa +2 ist. In Übereinstimmung mit der

    bei physiologischem pH positiv geladenen

    Guanidinogruppe entspricht der Logarithmus des

    Verteilungskoeffizienten der Verbindung 75 einem

    Wert von –1,3 (experimentell mittels HPLC

    bestimmt). Dies bedeutet, daß die orale

    Bioverfügbarkeit des Inhibitors wahrscheinlich

    eher schlecht ist, sofern keine aktiven

    Transportsysteme für diese Verbindung existieren.

    SO

    NH

    O

    O

    NH

    O N

    NH2 NHNAPAP

  • 2. Urokinase Inhibitoren 50

    Für Clearance-Studien wurde der Inhibitor intravenös in Ratten appliziert. Die

    Dosis betrug 1 mg/kg. Wie in Abbildung 20 dargestellt, wird der Inhibitor 75 sehr

    rasch aus der Blutzirkulation eliminiert. Die Eliminationsrate ist vergleichbar mit

    der Eliminationsrate des bekannten Thrombin-Inhibitors NAPAP (siehe

    Formelzeichnung) der ebenfalls eine basische Gruppe und einen hydrophoben Rest

    besitzt. Leider liegen noch keine Ergebnisse bezüglich des Eliminationsweges oder

    in Bezug auf den Metabolismus der Verbindung 75 vor.

    Abbildung 20: Plasma-Elimination des Inhibitors 75 nach intravenöser

    Applikation von 1 mg/ml in Ratten

  • 3. Faktor Xa Inhibitoren 51

    3. Faktor Xa Inhibitoren

    3.1. Die Blutgerinnungskaskade: ein therapeutischer Ansatz bei

    Thromboseerkrankungen

    Die Blutgerinnung hat eine Notfallfunktion: größere Blutverluste sollen bei

    Gefäßverletzungen vermieden werden. Der Hauptvorgang dieser Gerinnung besteht

    darin, daß lösliches Fibrinogen (Faktor I) in unlösliches Fibrin überführt wird, das

    anschließend durch Faktor XIIIa zu einem festen Fibringerinsel vernetzt wird.

    Hierfür ist ein proteolytischer Katalysator, das Thrombin, notwendig. Durch

    Proteolyse wird das Zymogen Prothrombin (Faktor II) in Thrombin umgewandelt.

    Diese Aktivierung wird von Faktor Xa (FXa, andere Namen: Plasma-

    Thrombokinase, Plasma-Thromboplastin, Stuart-Power-Factor, Autoprothrombin

    C) katalysiert. FXa seinerseits wird wiederum durch proteolytische Spaltung aus der

    inaktiven Vorstufe Faktor X gebildet. Die komplette Kaskade der einzelnen

    Aktivierungsschritte, die letztendlich zur Bildung von Fibrin führt ist in Abbildung

    21 dargestellt.

    Man unterscheidet zwei unterschiedliche Aktivierungskaskaden die letztlich bei der

    Aktivierung von FX zusammenlaufen. Beim intrinsischen System beginnt die

    Blutgerinnungskaskade intravasal durch Kontaktaktivierung von FXII an

    „Rauhigkeiten“ der endothelialen Auskleidung der Gefäße. Der extrinsische

    Aktivierungsprozeß beruht hingegen auf der Freisetzung von FIII („tissue factor,

    TF) aus dem endoplasmatischen Retikulum beschädigter oder zestörter

    Gewebszellen. Die extrinsische Aktivierungskaskade läuft somit nach einer

    Verletzung der Blutgefäße ab, aber auch bei einem Herzinfarkt oder anderen

    pathologischen Zuständen (z. B. Entzündung oder Blutvergiftung) wird FIII

    freigesetzt. Nach Bindung von FVII an den freigesetzten TF wird FVIIa durch

    Autoaktivierung oder durch Proteolyse (Thrombin, FXa, FXIIa) erzeugt. Da beide

    Enzymkaskaden bei der Aktivierung von FX zusammenlaufen, spielt der

    entstehende FXa eine zentrale Rolle innerhalb des Blutgerinnungssystems.

  • 3. Faktor Xa Inhibitoren 52

    Faktor XI Faktor XIa

    +

    Faktor IX Faktor IXa

    Ca2+

    +

    Faktor X Faktor XaCa

    2+ +Faktor VIIIa, PL,

    +

    Prothrombin ThrombinCa

    2+ +Faktor Va, PL,

    +

    +

    Fibrinogen Fibrin

    Faktor XIIIa

    Fibrin(quervernetzt)

    +

    OberflächeFaktor XIIHMW-KininogenPrekallikrein

    +

    +

    Faktor VIIa Faktor VII

    Faktor IX

    Faktor X

    +

    + PL

    + Faktor III, PL

    ThrombinFaktor XaFaktor XIIa

    +

    +Aktivierung

    Co-Faktoren

    Legende:

    Intrinsischer Weg Extrinsischer Weg

    Spaltprodukte

    -

    +

    Plasminogen Plasmin

    uPA,tPA

    - Abbau FIBRINOLYSE

    BLUTGERINNUNG

    PL: Phospholipid

    Abbildung 21: Die Blutgerinnungskaskade

  • 3. Faktor Xa Inhibitoren 53

    Die Synthese der Zymogene Prothrombin, FXII, FIX und FX ist Vitamin-K

    abhängig. Sie enthalten γ-Carboxyglutaminsäurereste (Gla) die zusammen mitCalciumionen die funktionelle Gla-Domäne bilden und sich dadurch an

    Phospholipidmembranen anheften können. Bei Vitamin-K-Mangel kann die

    zusätzliche γ-Carboxylgruppe nicht in vorhandene Glutaminsäurereste eingebautwerden. Nach ihrer

    Aktivierung sind die

    Proteasen ohne Gla-Reste

    viel weniger aktiv als jene

    mit funktioneller Gla-

    Domäne. In diesen

    Mechanismus greifen die

    oral wirksamen Vitamin-K-

    Antagonisten Dicumarol,

    Warfarin, Acenocoumarin

    und Phenocumaron

    (Abbildung 22) ein (Gulba,

    D. C. 1996). Allerdings sind bei der Behandlung mit diesen Wirkstoffen auch viele

    andere Proteasen betroffen, so daß eine Dauerbehandlung von Patienten nur unter

    ständiger ärztlicher Kontrolle möglich ist. Die Anwendung beschränkt sich daher

    auf die Prophylaxe nach akuten thrombotischen Ereignissen (Glusa, E. et al. 1996).

    Ein weiterer Nachteil der Coumarin-Derivate ist der um 24 bis 36 h verzögerte

    Wirkungseintritt nach Behandlungsbeginn, sowie die sich erst nach einigen Tagen

    wieder einstellende Normalisierung des Blutgerinnungssystems nach Absetzen des

    Medikaments.

    Bestehende Blutgerinsel werden durch Plasmin wieder aufgelöst. Zur Fibrinolyse

    bei akuten Thrombosen werden deshalb tPA oder andere Plasminogenaktivatoren

    intravenös verabreicht (siehe Abbildung 21 unten).

    O

    OH

    O O

    OH

    O O O

    O

    OH

    O O

    OH

    O O

    OH

    NO2

    O

    Dicumarol Warfarin

    Acenocoumarin Phenocoumaron

    Abbildung 22: Vitamin-K-Antagonisten als oralwirksame Antikoagulantien

  • 3. Faktor Xa Inhibitoren 54

    3.2. Natürliche und synthetische FXa Inhibitoren

    Die Blutgerinnungskaskade ist ein hochreguliertes System. Bis auf FVIIa werden

    alle aktiven Gerinnungsenzyme durch das Glykoprotein Antithrombin III (ATIII)

    inhibiert. Durch Heparin wird die ansonsten langsam verlaufende Bildung des

    Enzym-Inhibitor-Komplexes zwischen ATIII u