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31 Die Bedeutung der Khythmen im Hinblick auf theoretiseh-biologisehe Zusammenhange von FR. RROCK, Hamburg Jedes Lebewesen strebt in einer subjektspezifischen Weise aus einer Be- diirfnis-Spannung heraus zu einer Bedurfnis-Befriedigung. Dabei bildet es den Mittelpunkt einer Welt. Jakob von Uexkull nannte sie seine Umwelt. Noch pragnanter kann man sagen: seine Eigenwelt. Der Bau und die Ver- haltensweisen sowie alle inneren Faktoren, welche die letzteren auslosen und steuern, sind nur mit Hinblick auf die biologischen Bedurfnisse des Sub- jektes zu verstehen. Subjekt und Eigenwelt bilden daher ein Ganzes, dessen Sinn ausschliesslich mit den ihm innewohnenden Masstaben erfasst werden kann. Die Eigenwelten iiberschneiden sich tunnelartig in tausendfacher Weise, weil lebende Subjekte: Beutetiere, Geschlechtspartner, Nachkommenschaft und Feinde als Bedeutungstrager im BEigenwelttunneb eines Tieres auf- treten konnen. (Abb. 1.) Schon eine fliichtige Betrachtung der Symbolik eines solchen Eigenwelttunnels zeigt, dass die Bediirfnis-Befriedigungen eines Individuums in rhythmischer Abfolge auftreten. Ich erinnere nur an die Ereignisse im Felde der Nahrungsbewaltigung oder an die Vorgange ge- schlechtlicher Betatigung. Solche Rhythmen sind selbstverstandlich nicht starr, sondern schmiegsam und in vielen Fallen innerhalb relativ weiter Grenzen variierbar. Aber auch diese Dynamik ist subjektspezifisch. Man denke nur an die grossen Verschiedenheiten der Hungerperioden, denen einzelne Tiere ausgesetzt werden konnen. Auf der Eigenweltbuhne eines Subjektes treten seine Bedeutungstrager in seinem subjektspezifischen Eigenraum und seiner typischen Eigenzeit in Erscheinung. Die Aufgabe der biologischen Analyse ist es also, diese sub- jektbezogenen Erscheinungen vom konventionellen Masssystem der klas-

Die Bedeutung der Rhythmen im Hinblick auf theoretisch-biologische Zusammenhänge

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Die Bedeutung der Khythmen im Hinblick auf

theoretiseh-biologisehe Zusammenhange von

FR. RROCK, Hamburg

Jedes Lebewesen strebt in einer subjektspezifischen Weise aus einer Be- diirfnis-Spannung heraus zu einer Bedurfnis-Befriedigung. Dabei bildet es den Mittelpunkt einer Welt. Jakob von Uexkull nannte sie seine Umwelt. Noch pragnanter kann man sagen: seine Eigenwelt. Der Bau und die Ver- haltensweisen sowie alle inneren Faktoren, welche die letzteren auslosen und steuern, sind nur mit Hinblick auf die biologischen Bedurfnisse des Sub- jektes zu verstehen. Subjekt und Eigenwelt bilden daher ein Ganzes, dessen Sinn ausschliesslich mit den ihm innewohnenden Masstaben erfasst werden kann.

Die Eigenwelten iiberschneiden sich tunnelartig in tausendfacher Weise, weil lebende Subjekte: Beutetiere, Geschlechtspartner, Nachkommenschaft und Feinde als Bedeutungstrager im BEigenwelttunneb eines Tieres auf- treten konnen. (Abb. 1.) Schon eine fliichtige Betrachtung der Symbolik eines solchen Eigenwelttunnels zeigt, dass die Bediirfnis-Befriedigungen eines Individuums in rhythmischer Abfolge auftreten. Ich erinnere nur an die Ereignisse im Felde der Nahrungsbewaltigung oder an die Vorgange ge- schlechtlicher Betatigung. Solche Rhythmen sind selbstverstandlich nicht starr, sondern schmiegsam und in vielen Fallen innerhalb relativ weiter Grenzen variierbar. Aber auch diese Dynamik ist subjektspezifisch. Man denke nur an die grossen Verschiedenheiten der Hungerperioden, denen einzelne Tiere ausgesetzt werden konnen.

Auf der Eigenweltbuhne eines Subjektes treten seine Bedeutungstrager in seinem subjektspezifischen Eigenraum und seiner typischen Eigenzeit in Erscheinung. Die Aufgabe der biologischen Analyse ist es also, diese sub- jektbezogenen Erscheinungen vom konventionellen Masssystem der klas-

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sischen Physik zu losen und sie primar neu zu verankern. Das Bezugs- system soll also nicht mehr siderischen Dimensionen entnonimen werden, sondern sich aus den Leistungen des Subjektes selbst herleiten, denn es sind die Merkungen und Wirkungen eines spezifischen Protoplasmas, welches sich seit Generationen in einem typischen Gestaltwandel manifestiert.

Die zeitlichen Vorgange auf der Eigenweltbiihne eines Subjektes mit Hin- blick auf sein Heim, seine Beute, seinen Geschlechtspartner, seine Nach- kommenschaft und seinen Feind sind fiir sein Leben daseinsbestimmend.

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Abb. 1. Schema des Eigenwelttunnels nach Fr. Brock (1939). Er zeigt symbolisch einige rhythmisch und arhythrnisch auftretende Ereignisse irn Lebensablauf eines Vogels, a. Rhythmisches Auftreten des Bedeutungstriigers Nahrung. b. Langere Rhythmen im Felde der geschlechtlichen Betiitigung. c. Arhythdsches Eingreifen eines Raubvogels als Feind auf der Eigenweltbuline

Die Rhythmen sind nicht starr festgelegt. In der Bediirfnis-Spannung und Be- .diirfnis-Befriedigung eines Tieres driickt sich jedoch die subjekteigene Ordnung seiner Existenz aus, die nicht beliebig verandert werden kann.

Oft mussen sich biologische Auseinandersetzungen mit dem >Dadrawsen> in ungeheuerer Geschwindigkeit abspielen, wenn das Leben des Tieres nicht in Gefahr geraten soll. Man denke beispielsweise an eine Feldmaus, die in )>Blitzesschnelle> ihr Loch aufsucht, um einem Feinde zu entrinnen.

Die Vorgange innerhalb einer Eigenwelt sind an einen subjektiven BZeit- raster, gebunden. Er kommt nicht nur in den Eigenbewegungen eines Lebe- wesens zum Ausdruck, sondern auch in der Geschwindigkeit, mit welcher die Marken im Dadraussen iiber seine Eigenweltbuhne gleiten durfen, urn Bedeutungstrager werden zu konnen.

Die erste biologische Untersuchung solcher BZeitraster, fuhrte Brecher (1932) im Institut fur Umweltforschung zu Hamburg durch. Schon 1860 hatte Karl Ernst von Baer darauf hingewiesen, dass der Mensch ein in ihm wohnendes Zeitmass allen Vorgangen in seiner Eigenwelt zugrunde legt. Er nannte die Zeit, die wir brauchen, um uns eines Eindruckes eines unserer Sinnesorgane bewusst zu werden, einen ,Moment,.

Experimentell wurde der menschliche Moment zu etwa 1/18 sec bestimmt. Brecher arbeitete ausserdem an Fischen (Betta splendens), deren Mann- chen Kampfe gegeneinander ausfuhren. Unter geeigneten Bedingungen

eines Singvogels.

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greifen sie auch ihr Spiegelbild an. Mit Hilfe einer einfachen Versuchs- anordnung konnte der biologische Moment dieses Fisches zu 1/30 sec be- stimmt werden.

Dieser Moment ist von ausserordentlicher Bedeutung fur das Verstandnis der Planzusammenhange einer Tier-Eigenweltordnung. Fur die Dauer von 1/18 sec stehen alle Vorgange auf der Eigenweltbiihne des Menschen still, wahrend die Ereignisse auf der Eigenweltbuhne der Kampffische bereits von 1/30 zu 1/30 sec Veranderungen aufweisen. Was sich innerhalb des Mo- mentes des subjekteigenen Zeitrasters abspielt, kann zeitlich nicht mehr ge- nau beurteilt werden. Setzt man das menschliche Auge einem Lichtreiz von 11200 sec und darauf einem solchen von 1125 sec aus, so-ist es nicht moglich, sie auf Grund ihrer Lange voneinander zu unterscheiden, wenn die Reiz- menge (also Intensitat ma1 Zeit) in beiden Fallen die gleiche ist, der erste Reiz also eine grossere Intensitat besitzt als der zweite. BNur langer als einen Moment dauernde Reize konnen allein nach ihrer Lange ohne Berucksichti- gung der Intensitat beurteilt werden., Jetzt erst wird die Tatsache klar, dass der Ablauf der Ereignisse, die sich im Eigenwelttunnel zweier Subjekte folgen, nicht den Rhythmus einer Babsoluten Weltsekunde, widerspiegelt. Die biologische Ordnung einer Eigenwelt fugt sich plan- und sinnvoll nur den Momenten, welche der Ausdruck rhythmischer Leistungen des Proto. plasmas eines Subjektes sind.

Neuerdings hat Autrum ( 1948 u. 1949) ausserordentlich interessante Ver suche auf elektrophysiologischer Basis angestellt, die letztlich zeigen, das: die Grenzen fur die Leistungsfahigkeit der Rezeptoren micht nur in den physikalischen Eigentumlichkeiten der Reize, sondern auch im strukturel- len Aufbau der Sinnesorgane bzw. des ganzen Organismus2 liegen. Je mehr wir aber versuchen, mit hochempfindlichen Apparaten dem Geschehen des Protoplasmas der Organe nachzuspiiren, um so dringlicher wird es, die phy- sikalischen und physiologischen Einzelergebnisse auf die biologischen Grund- phanomene der Bediirfnis-Spannung und Bedurfnis-Befriedigung des Tier- subjektes in seiner Eigenwelt zu beziehen.

Versuchen wir dies, so erscheinen die Elementareinheiten des subjekt- spezifischen Raumes und der Zeit, die Ode und Momente, in den von Autrum analysierten Fallen als Gegenspieler. In der Ruhe ist eine hohe Feinheit des BOrterasters, (von Uexkull und Brock 1927) fur viele Lebewesen von gross- ter Wichtigkeit mit Hinblick auf die strukturelle Gliederung der ,Bedew tungstrager, ihres Eigenraumes. Fuhrt ein Tier jedoch schnelle Bewegungen aus, oder gleiten biologisch bedeutsame Marken mit relativ grosser Geschw?n- digkeit durch sein Sehfeld, so kann ihm ein f eines Auflosungsvermogen hinderlich werden, weil Einzelreize in einen Moment fallen und daher ver- schmelzen, wenn die Natur nidht besondere Massnahmen trifft. Die Ge- schwindigkeiten fliegender Insekten sind verhaltnismassig hoch. Sie betra- 3

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gen bei Libellen 10-15 mlsec, bei Bienen 5-9 mlsec und bei der Stuben- fliege 5 mlsec. Abb. 2 zeigt ein Insekt, welches an einem Streifenmuster in bestimmtem Abstande voriiberfliegt. Werden die einzelnen Streifen zu rasch nacheinander auf die Netzhaut geworfen, so verschmelzen sie bei kleinem Offnungswinkel der Omnatidien und relativ langem Moment zu einer un- gegliederten Sehflache. Das Streifenmuster geht verloren, weil infolge der

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t Abb. 1. Schema der Reiz- und Erregungsverteilung im Auge eines iiber ein Strei- fenmuster (links unten) fliegenden lnsektes nach Autrum Ausgezogene Linien: Verlauf der Reizgrtipe; Strichpunkt: Verlauf der Erregungsgrtipe; die gestrichelte senkrechte Linie gibt die kritische Zeit an, bis zu der Reizsummation stattfindet. A ftir einenengen Ommatidienoffnungswinkel; B fiir einen vierfach groperen t)ffnungswinkel/?.

Tragheit der retinalen und nervosen Prozesse den Ereignissen auf der Eigen- weltbiihne nicht mehr gefolgt werden kann. Abhilfe ware durch Verkiir- zung des Momentes wahrend des Fluges moglich, ferner aber dadurch, dass w a r e n d der Bewegung Omnatidien mit einem grosseren Offnungswinkel in Funktion zu treten in der Lage waren. Die Natur hat offenbar in den untersuchten Fallen den zweiten Weg gewiihlt. Die rauberisch lebenden Tanzfliegen ( h p i d a e ) haben auf der Ventralseite der Augen einen Bereich von Omnatidien mit grossem Sehwinkel, wahrend die nach vorn gerichteten Einzelaugen ein vie1 feineres Auflosungsvermogen besitzen. Dadurch wird eine optimale Leistung dieses zusammengesetzten Auges erreicht. In der Flugrichtung sorgt der feine Orteraster fur eine weitgehende Gliederung des Sehfeldes. Bewegungen spielen hier eine geringere Rolle. Beim Blick auf den Boden hingegen treffen die dauernd wechselnden Eindriicke die ventra-

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len Augenpartien, und infolge der groben Verrasterung wird eine optimale Auswirkung des Moments gewahrleistet.

Wollen wir einen Masstab finden, um biologische Vorgange festzuhalten, so miissen wir ihn den rhythmischen Vorgangen des Protoplasmas eines Lebewesens - seiner Assimilation und Dissimilation, seiner Empfindlich- keit und Tragheit - selbst entnehmen. Verfolgt man die subjekteigenen, raum-zeitlichen Ordnungsfaktoren eines Geschopfes wahrend des Aufbaues der subjektspezifischen Bedeutungstrager sowie der BKulissen, seiner Eigen- weltbuhne, so wird zunehmend klarer, dass Innen und Aussen bis in die letzten Feinheiten aufeinander abgestimmt sind.

Wohl kann man einen Organismus in eine andrere Umgebung (Milieu) - oder wie man stattdessen leider oft sagt - in eine andere Umwelt ver- setzen urn deren Wirkung auf sein Protoplasma zu studieren. Man kann aber niemals ein Lebewesen aus seiner Eigenwelt losen: denn Blcben, be- deutet letztlich : BEigenwelt besitzen,.

In einem neuen Milieu wird ein Subjekt mit Hilfe der ihm innewohnenden mehr oder weniger grossen Regulationsfahigkeit seine Eigenwelt zu einem sinnvollen, in sich geschlossenen Ganzen zu xegenerieren versuchen. Wer- den dabei die ihm eigenen Rhythmen uberspannt, so ist eine Bedurfnis- hefriedigung nicht mehr moglich : seine Existenz ist bedroht. Eine Beurtei- lung der Auswirkungen eines Milieuwechsels kann zutiefst nur dann ver- standen werden, wenn man. den Sinn der planvollen Verflechtung zwischen Subjekt und Eigenwelt in der oben erorterten Sicht begriffen hat.

Prof. Dr. Fr. Brock Hamburg

Institut fur Umweltforschung Gurlittstrasse 37