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(Mitteilung aus der Psychiatrisch-neurologischen Klinik [Vorstand: o. 6. Prof. Dr. Ladislaus Benedek] und dem Institut fiir ]Kedizinische Chemie [Vorstand: o. 6.Prof. Dr. Johan Bodndr] der Kgl. ung. Stefan Tisza-Universitiitin Debrecen.) Die Bestimmung des Bromgehaltes im Liquor bei verschiedenen Nerven- und Geisteskrankheiten. Von Dr. Michael Nagy~ Privatdozent und Dr. Johann Straub, Privatdozent. (Eingegangen am 14. Oktober 1936.) Von den halogenen Elementen, welche an den die Organfunktionen regulierenden biochemischen Vorg~ngen beteiligt sind, ist besonders die Bedeutung des Chlors und des Jods bekannt. Die neueren mikro- methodischen Verfahren ermSglichten auch die Bestimmung der in den KSrperfliissigkeiten vorkommenden Brommengen und die erhaltenen Ergebnisse dienten verschiedenen Annahmen als Grundlage. Diese Hypothesen schienen sowohl yon psychiatrischen als vom nervenphysiolo- gischen Gesichtspunkte yon gro6er Bedeutung zu sein. Es erscheint also begreiflich, dab die auf die Rolle des im Organismus nachweisbaren Broms beziiglichen Untersuchungen in den Mittelpunkt des wissensehaft- lichen Interesses gelangten. Bernhard und Ucko haben als erste die Aufmerksamkeit auf die biologische Bedeutung der im Blute auffind- baren Brommengen gelenkt; sie meinten, da6 die Regulierung des Bromspiegels des Blutes auf einem mit der Funktion des inner- sekretorischen Driisensystems zusammenh~,ngenden unbekannten Wege vor sich geht. Die Verteihmg des in den Organismus eingefiihrten Broms, im Zu- sammenhang mit dem endokrinen Drfisensystem, wurde von Toxopeus untersucht, der sein Augenmerk besonders auf die Wirkung yon Schild- drtisen- und Hypophysenextrakt bei mit Brom gefiitterten Tieren richtete. Seine Versuche fiihrte T. an Hunden in der Weise aus, da{~ er einem Tell der Tiere au6er Brom auch Thyreoidea- und Hypophysenextrakt ver- abreichte, bei anderen Tieren wieder bei der Bromierung die Schilddr~ise und den Thymus exstirpierte. Seiner Beobachtung nach zeigte die Ver- teilung des in den 0rganismus eingeffihrten Broms individuelle Unter- schiede, welche auf die innersekretorische Funktion zuriickfiihrbar sind. Nach Thyreoidea-Dosierung, wie auch nach Exstirpation war im Haut- gewebe mehr, in den Muskeln weniger Brom nachzuweisen. Demgegeniiber zeigte sich eine wesentliche Vers der Verteilung nach Dosierung von Hypophysenextrakt, wonach in der Haut die Verminderung, in den

Die Bestimmung des Bromgehaltes im Liquor bei verschiedenen Nerven- und Geisteskrankheiten

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Page 1: Die Bestimmung des Bromgehaltes im Liquor bei verschiedenen Nerven- und Geisteskrankheiten

(Mitteilung aus der Psychiatrisch-neurologischen Klinik [Vorstand: o. 6. Prof. Dr. Ladislaus Benedek] und dem Institut fiir ]Kedizinische Chemie [Vorstand: o. 6.Prof. Dr. Johan Bodndr] der Kgl. ung. Stefan Tisza-Universitiit in Debrecen.)

Die Bestimmung des Bromgehaltes im Liquor bei verschiedenen Nerven- und Geisteskrankheiten.

Von

Dr. Michael Nagy~ Privatdozent und Dr. Johann Straub, Privatdozent.

(Eingegangen am 14. Oktober 1936.)

Von den halogenen Elementen, welche an den die Organfunktionen regulierenden biochemischen Vorg~ngen beteiligt sind, ist besonders die Bedeutung des Chlors und des Jods bekannt. Die neueren mikro- methodischen Verfahren ermSglichten auch die Bestimmung der in den KSrperfliissigkeiten vorkommenden Brommengen und die erhaltenen Ergebnisse dienten verschiedenen Annahmen als Grundlage. Diese Hypothesen schienen sowohl yon psychiatrischen als vom nervenphysiolo- gischen Gesichtspunkte yon gro6er Bedeutung zu sein. Es erscheint also begreiflich, dab die auf die Rolle des im Organismus nachweisbaren Broms beziiglichen Untersuchungen in den Mittelpunkt des wissensehaft- lichen Interesses gelangten. Bernhard und Ucko haben als erste die Aufmerksamkeit auf die biologische Bedeutung der im Blute auffind- baren Brommengen gelenkt; sie meinten, da6 die Regulierung des Bromspiegels des Blutes auf einem mit der Funktion des inner- sekretorischen Driisensystems zusammenh~,ngenden unbekannten Wege vor sich geht.

Die Verteihmg des in den Organismus eingefiihrten Broms, im Zu- sammenhang mit dem endokrinen Drfisensystem, wurde von Toxopeus untersucht, der sein Augenmerk besonders auf die Wirkung yon Schild- drtisen- und Hypophysenextrakt bei mit Brom gefiitterten Tieren richtete. Seine Versuche fiihrte T. an Hunden in der Weise aus, da{~ er einem Tell der Tiere au6er Brom auch Thyreoidea- und Hypophysenextrakt ver- abreichte, bei anderen Tieren wieder bei der Bromierung die Schilddr~ise und den Thymus exstirpierte. Seiner Beobachtung nach zeigte die Ver- teilung des in den 0rganismus eingeffihrten Broms individuelle Unter- schiede, welche auf die innersekretorische Funktion zuriickfiihrbar sind. Nach Thyreoidea-Dosierung, wie auch nach Exstirpation war im Haut- gewebe mehr, in den Muskeln weniger Brom nachzuweisen. Demgegeniiber zeigte sich eine wesentliche Vers der Verteilung nach Dosierung von Hypophysenextrakt, wonach in der Haut die Verminderung, in den

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Muskeln die Erh6hung der Brommengc eintrat; der Thymus hingegen fibre auf die Bromverteilung keinerlei Wirkung aus.

Beziiglieh der RoHe des Broms herrschen sehr verschiedene Meinungen. Nach dcr Annahme yon Zondek und Bier kann das Brom als ein bedeu- tungsvoller, anorganiseher Katalysator betrachtet werden, welcher/~hn- lich dem Jod an Eiweii~ gebunden vorkommt. In vollkommenem Gegen- satz hierzu steht die Meinung Heubners und Biirgis, nach welcher vom Gesichtspunkte der Eufunktion des Organismus das Brom nur ein unbe- deutender Faktor ist. Nach Damiens steht der Ursprung des im Organis- mus nachweisbaren Broms in enger Verbindung mit der Ern~thrung, da fast sgmtliche Nahrungsmittel in Spuren Brom enthalten. Das auf diese Weise in den Organismus gelangte Brom wird aufgespeichert und ist nachweisbar.

Unter der bedeutenden Zahl der zur Bestimmung kleinster Brom- mengen dienenden Methoden fanden wir die yon Leipert und Watzlawek ausgearbeitete Methode 1 am entsprechendsten und auch hinsichtlich ihrer Ergebnisse am zuverigssigsten. Im Laufe der Nachpriifung der beachtenswerten Angaben yon Zondek und Bier haben wir die Brom- bestimmung im Blutserum yon an verschiedenen Geisteskrankheiten leidenden Patienten vorgenommen und unsere diesbeziigliche Mitteilung ist in der Z. Neur. 153 erschienen. Der Nachweis des Bromgehaltes der KSrperflfissigkeiten gelangte in der Humoralpathologie zu grS$erer Bedeutung, als Zondek und Bier auf Grund ihrer Feststellungen auf jene Regelm~tBigkeit hinwiesen, laut welcher bai gewissen pathologischen seelischen Vorg~ngen, namentlich bei zirkulgren Psychosen eine charak- teristische Verschiebung des Blutbromspiegels eintritt. Die charakte- ristische Senkung des Blutbromspiegels in manisch-melancholischen Krankheitsvorgang haben wir ebenfalls festgestellt, ohne jedoch diesem Phiinomen vom pathogenetischen oder pathoplastischen Gesiehtspunkte eine Rolle zuzuschreiben.

Unsere Untersuchungen fiber die Brombestimmung wurden weiter fortgesetzt und wit berichten diesmal fiber die im Liquor yon gesunden und kranken Individuen aufgefundenen Brommengen. Die Bestimmung des Bromgehaltes des Liquors haben wir ebenfalls mit der Leipert- Watzlawekschen Methode vorgenommen.

Die Bestimmung des Liquor-Bromgehaltes im manisch-melancholi- schen Krankheitszustande haben wit in 14 Fgllen durchgeffihrt. Nach den Untersuchungsergebnissen fanden wir in sgmtlichen F/ilien zirku]grer Psyehose im Liquor gut nachweisbare Brommengen.

Aus dem Ergebnis unserer Untersuehungen kann in erster Reihe festgestell~ werden, dal3 der Bromgehalt des Liquors innerhalb bedeutend

1 Z. anal. Chem. 98 (1934). -- Hoppe-Seylers Z. 226 (1934). - - Z. Neur. 1N~ (1935).

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im Liqu,~r be| vers(~hieden(,n Nerv<'n- un<l (l<'ist~'skrtmktwiten. 467

weiterer Grenzen schwankt, als dies im Blutserum nachweisbar |st. Be| unseren F/illen kann die untere Grenze im Liquor manisch-melancholi- scher Kranker mit 0,068 rag-%, (lie ob:,re Grenzc mit 0,418 mg-% bezeichnet werden. (Die F/~lle 3, l0 und l l fallen hier weg, da diese sehr hohen Bromwerte zweifellos nlit Brom-Medikation in Zusammenhang stehen.) In den yon Leipert und Watzlawek untersuchten Liquoren sehwankte der Bromgeha]t zwischen 0,042--0,815 rag-% und in der gr613eren Zahl der F/~lle stimmen die Brommengen mit den yon uns mitgeteilten iiberein. Unserer Meinung nach sch!ie[3t dieses Schwanken des Bromgehaltes inner- halb weiter Grenzen ]ene Annahme aus, daft das Verhiiltnis des im Li- quor au//indbaren Broms /iir gewisse Krankheits- gruppen al8 charakte- ristisch und diagnostisch wertvoll betracht~4 wer- den kSnne.

Zondek und Bier haben den Bromspiegel des Liquors be| zirku- l/~rer Psychose als 0 bis 0,040 rag- % bestimnlt. In 5 unserer 11 F~lle sehwankte der Brom-

Tabcllel. Bromgeh~tltdesBlutes beimanisch- mclancholischcr Psychose.

Ser i en - Nt~mon zah l

1 A . Sz. 2 E.V. 3 S . M . 4 J.T. 5 B.K. 6 S.D. 7 J.M. 8 S.R. 9 ,l. M.

l0 M.F. ll A.C. 12 , . B . 13 J.M. 14 J. Sz.

L i q u o r D itLgnosc c m

Melancholic 8,0 M~mie 8,0

,, 1,0 ,, 8,0

8,0 Melancholic 8,0

Manie 8,0 ,, 4,8 ,, 3,8

Melancholie 8,0 ,, 4,0

Manie 7,5 Melancholie 7,0

,, 8,0

Ge- f u n d e n c B r o m B r o m y rag -%

7,58 0,095 8,33 0,104

205,20 20,520 20,14 0,251 7,58 0,095 5,47! 0,068

33,44 I 0,418 4,18 I 0,087 4,56 , 0,120

3496,66 I 43,710 214,14 5,352

6,70 0,089 7,10 0,101

14,19 0,189

gehalt zwischen 0,068 und 0,095 mg-%, d.h. unter 0,100 mg-%, in 4 F/~llen zwischen 0,100 und 0,200 mg-% lind in 2 F/~llen bctrug (lcrselbc 0,251 bzw. 0,41S rag-%, lm Falle der zirkul/tren Geistes- krankheit fanden wit also ein relatives Senken des Bromgehaltes, d. h. wir fanden einc Brom- Ser i en -

zt~hl menge unter 0,100 rag-% in 45,4% unserer F/il]e.

! Doeh auch dieses Quan- 2 turn iibertrifft den von 3 Zondek und Bier fest- 4 5 gestellten Bromgeh~lt 6 in hohem Mafte.

Tabelle 2. Bromgehalt des Liquors gesunder Individuen.

N a m e n

T. Sz. I.N. ,1. Sz. K.K. S . B . E . M .

] ) i a g n o s c

Sine morbo

i L i q u o r Ge- f u n d e n e B r o m

( 'cnl BPOlII 7' I l lg-%

4,0 4,60 0, l 15 8,0 12,65 0,158 5,0 35,65 0,213 3,0 9,20 0,3(76 8,0 14,95 0,186 5,0 41,40 0,82S

Die Brombestimmung im Liquor gesunder Individuen habt~n wir in 6 F~llen vorgenommen, Der Bromspiegel schwankte zwischen 0,115 und 0,828 rag- %. Zondek und Bier gaben als den Liquor-Bromgehalt Gesunder zwischen 0,100 und 0,200 mg-% an. Dieses Bromquantum we|sen 50%

Z . f . d . ~ z . N e u r . u. P s y c h . 157. 3 ]

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unserer F/ille auf, in der zweiten H/ilfte unserer FSAIe erhielten wir bedeu- tend hShere und in 2 F~llen dem Bromgehalt des Blutserums anniihernde Brommengen. Die Untersuchungsergebnisse yon Zondek und Bier kSnnen wir also selbst ffir den Bromgehalt des normalen Liquors nicht a]s gfiltig annehmen.

Tabelle 3. Bromgehal t des Blutes bei verschiedenen or~anischen Nerven- und Geis teskrankhei ten.

Serien- Namen Diagnose Liquor Gefundcne Brom zahl cem Brom 3 z I u g - ?/q,

1 2 3 4 5 6 7 8 9

10 l l 12

J. N~ J .H.

Frau J. B. P.G. N.H. I .K. LL. I.I~.

Frau M. L. F. Sz.

Frau J. K. Frau L. T.

Dem. pp.

Schizophrenie

Dem. pp. Tabes dorsalis Tumor cerebri

Hypophysentumor

3,0 5,0 6,0 4,0 8,0 7,0 2,5 3,3 8,0 5,0

10,0 4,0

165,12 6,45

13,50 472,65

15,18 14,95

O 9,16

126,00 O

15,60 46,62

5,304 0,129 0,226

11,816 0,189 0,213 O

0,277 1,575 O

0,156 0,971

Den Liquor an versehiedenen Nerven- und Geisteskrankheiten leiden- der Kranken untersuchten wir in 12 Fi~llen; uater diesen litten 7 an Psychosen und 5 an organischen Nervenleiden. Unter den 7 Psyehose- fi~llen waren 4 paralytische und 3 schizophrene Krankheitsvorgi~nge. I m Liquor der 4 Paralytiker betrug der Bromgehalt in einem Falle 0, in 2 F~llen 0,129 bzw. 0,226 mg-%, in einem Falle, weleher jedoeh nicht in Betracht gezogen werden kann, fanden sich 5,304 mg-% Brom. Vom Liquorbefund der 3 Schizophrenen ist eine nicht verwertbar (11,816 mg- % ), der Bromgehalt der beiden anderen betrug 0,189 rag-% bzw. 0,213 mg-%. Unter den organischen neurologischen Krankheitsvorg~ngen untersuehten wir einen Fall yon Tabes dorsalis, 3 Hirntumoren und 1 Hypophysen- tumor. Der Bromgehalt des Tabikerliquors betrug 0,227 mg-%. Von den 3 Tumor Cerebri-Fiillen war der Liquorbromgehalt einmal 0, einmal 0,156 rag-% und einmal gelang der Nachweis von 1,575 rag-% Brom. Der Liquor des an Hypophysentumor leidenden Patienten enthielt 0,971 mg- % Brom.

Beim Vergleich der Ergebnisse stellt es sich heraus, dab der bei ver- schiedenen organischen Nervenvorg~ngen gefundene Liquor-Bromgehalt weite Schwankungen aufweist, in diesen jedoch keinerlei fiir irgendeinen Krankheitsvorgang charakteristische Regelmi~Bigkeit entdeekt werden kann. Zondek und Bier fiihrten bei einem Apoplektiker die Brombestim- mung in serienweisen Untersuchungen aus und fanden 0,415 bzw. 0,216 bzw. 0,262 mg-%, welehe Werte sie als fiber <lem Normalen stehende

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im Liquor bei verschiedenen Nerven- und Geisteskrankheiten. 469

betrachteten. Indem sie diesen Befund dem gesunkenen Bromwert {0--0,040 mg-%) des Liquors manisch-melancholischer Kranker ent- gegenstellten, kamen die Autoren zum SchluB, dab der Bromspiegel yon organischen Gehirnkranken bedeutungsvolle Abweichungen gegen- fiber der zirkul~tren Psychose aufweist, welche Abweichungen mR einer Veritnderung der Permeabilitat der Blut-Liquorschranke in Zusammen- hang gebracht werden kSnnten. Durch unsere Untersuchungsergebnisse werden diese weitgehenden Folgerungen unzweifelhaft umgestoBen. Selbst im Falle des Hypophysentumors beobachteten wir keinen der- artigen Bromgehalt, welcher als eine bedeutende Abweichung gelten kSnnte. Dies hatte in diesem Falle um so eher erwartet werden kSnnen, da nach der Meinung Zondeks und Biers als Zentrale der Bromregelung in erster Reihe die Hypophyse zu betrachten ist. Im Laufe ihrer Forschungen stellten die Autoren n~mlich lest, dab von dem Vorderlappen der Hypo- physe ein hormonale Wirkung ausiibender Zellenkatalysator, das sog. ,,Brom-Hormon" zu isolieren ist, dessen eigenartige auf das Verhalten von Tieren ausgefibte Wirkung von den fibrigen Hormonen der Hypophyse abweicht.

Unsere Meinung fiber diese Annahme fassen wir im folgenden zu- sammen: Ware die Existenz eines in der Hypophyse lokalisierten, die Bromregulierung besorgenden Zentrums tatsachlich anzunehmen, so mfiBte nicht bloB bei Krankheitsvorg~ngen dieses Organs, sondern auch bei auBerhalb desselben gelegenen Krankheitsherden eine pathologische Veranderung in allen jenen Fallen beobachtet werden, bei welchen durch zirkulatorische Volumschwankungen die Gehirnsubstanz bzw. die Funktion der vegetativen Zentren schadlich beeinfluBt wird. Es muB ferner auch die biologische Bedeutung des Liquors in Betracht gezogen werden, indem der Liquor in der Vermittlung des Stoffwechsels des Zentralnervensystems die Hauptrolle spielt. Nach Stern und Gautier sind jene Substanzen, welche auf das Zentralnervensystem einwirken oder die Gehirnfunktionen beeinfluBen, in erster Reihe im Liquor nachweisbar. Als ein Glied der im Liquor auffindbaren mineralischen Substanzen kann auch das Brom angesehen werden, dessen Bedeutung zu fiberschatzen verfehlt w~re.

Hoppe hat darauf hingewiesen, dab sich das Brom im ganzen Organis- mus dem Donnanschen Gleichgewichtsgesetz gemaB, im Gleichgewicht mit dem Chlor plaziert und eine Ausnahme hiervon bloB der Bromgehalt des Liquors bildet. Der Grund hierffir kann in der die aktive Zellen- tatigkeit bedingenden physiologischen Permeabilitat gesucht werden, und zweifellos ist die geringffigige Permeabilitat der Blut-Liquorschranke dem Brom gegenfiber auffallend. Leipert und Watzlawek schlieBen aus dem abweichenden Verhalten des Broms im Liquor daraufhin, dab die Permea- bilit~t derMeningen gegenfiber gewissenAnionen gesunken ist, und infolge dieses Umstandes auch der Bromgehalt des Liquors niedriger ist. Dieses

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470 Michael Nagy und Johann Straub.

Ph~nomen ist auch in Zusammenhang mit anderen Anionen nachweisbar, so z. B. sind das Sulfat-Ion, das Phosphat-Ion im Liquor in geringeren Konzentrationen zugegen als im Blute.

Aus den Ergebnissen der bisherigen Untersuchungen kann festgestellt werden, dab im Liquor sowohl gesunder, wie auch der an verschiedenen Geisteskrankheiten und organischen Nervenkrankheiten leidenden Indivi- duen ein zwischen weiten Grenzen schwankender Bromgehalt nachweisbar ist. Eine fiir gewisse Geisteskrankheiten, insbesondere fiir die manisch- melancholische Psychose charakteristische Abnahme der im Liquor bestimmbaren Brommenge haben wir nicht beobachtet. Dutch die Ergebnisse unserer au/ die Brombestimmung im Liquor beziiglichen Unter- suchungen erhielten die Feststellungen Zondeks und Biers keine BestS:tigung. Unserer Meinung nach kann also aus der Bestimmung des Liquor-Brom- gehaltes ein /iir die Diagnose irgendeiz~er Geistes. oder Nervenkrankheit pralctisch verwertbares Ergebnis in der Liquordiagnostik nicht erwartet werden.