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Die biologische Bedeutung der Kachexie beim Krebs. Von Prof. Dr. St. Konsuloff, Sofia. Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 25. Januar 1937.) In einer frfiheren Mitteilung dieser Zeitschrift I habe ieh gezeigt, dab das Tumorwachstum nicht nur von den Ni~hrstoffen in engem Sinne abhi~ngig ist, sondern auch yon cinem WachstUmsfaktor, der vom Organismus selbst produziert wird. Es ist mir gelungen festzu- stellen, dat~ das Wachstum des M~usecarcinoms aufhSrt, der Tumor sich riickbildet und sog~r g~nz verschwinden kann, wenn der in Yrage kommende Faktor ubgelenkt wird. Das Tumorgewebe zieht Dank seiner grSBeren Affinit/~t aus dem Blute diese Substanzen an sich. Dies steht im Einklang mit Ehrlichs Theorie der athreptischen Immuni- tdit, die sp~Lter aber abgelehnt wurde. Bei meinen Versuchen erzielte ich Resultate auf eine ffir das Tier fatale Wcise, und zwar durch Impfung an einer anderen Stelle eines Tumors desselben Stammes, abet mit kfinstlich erhShter Virulenz 2, d. i. mit hSherer Anziehungskraft zu dem genannten humoralen Wachs- tumsfaktor. Der Schlul~ war, dalt, wenn wir diesen Faktor n~her kennen lernen und beherrsehen kSnnen, h~tten wir damit einen Weg zur radikalen Krebsbek~mpfung vor uns. Die vorliegenden Untersuchungen bringen einen Beitrag zur Kennt- nis dieses Waehstumsfaktors. Die Untersuchungen griinden sich auf folgcnden Uberlegungen. In einem noch nicht vorgesehrittenen Alter verl~uft d~s Wachstum der Tumoren viel schneller als sps Das hatte AnlaI~ zur Theorie gegeben, da~ jeder Organismus vielen anfi~ng- lichen Cancerisierungen ausgesetzt ist, die aber nicht zur vollen Ent- wicklung kommen und eine mit dem Alter sich verst~rkende Immunits erzeugen, Diese Theorie abet kann nicht als befriedigend angesehen werden, weil die zunehmende Zahl der Krebsf/~lle im hSheren Alter sehwer mit der angenommenen Krebsimmunit~t dieses Alters verein- bar ist. Andererseits ist yon grol]er Bedeutung in unserem Falle die be- k~nnte Tats~che, dal~ die Waehs~umssubstanzen des normalen Organis- mus mit dem Alter allm~hlich abnehmen. 1 Z. Krebsforsch. 39, I-t. l, 83--88(1933). 2 Z. exper. Med. 89, H. 1 u. 2, 177--182 (1933).

Die biologische Bedeutung der Kachexie beim Krebs

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Die biologische Bedeutung der Kachexie beim Krebs. Von

Prof. Dr. St. Konsuloff, Sofia. Mit 2 Textabbildungen.

(Eingegangen am 25. Januar 1937.)

In einer frfiheren Mitteilung dieser Zeitschrift I habe ieh gezeigt, dab das Tumorwachstum nicht nur von den Ni~hrstoffen in engem Sinne abhi~ngig ist, sondern auch yon cinem WachstUmsfaktor, der vom Organismus selbst produziert wird. Es ist mir gelungen festzu- stellen, dat~ das Wachstum des M~usecarcinoms aufhSrt, der Tumor sich riickbildet und sog~r g~nz verschwinden kann, wenn der in Yrage kommende Faktor ubgelenkt wird. Das Tumorgewebe zieht Dank seiner grSBeren Affinit/~t aus dem Blute diese Substanzen an sich. Dies steht im Einklang mit Ehrlichs Theorie der athreptischen Immuni- tdit, die sp~Lter aber abgelehnt wurde.

Bei meinen Versuchen erzielte ich Resultate auf eine ffir das Tier fatale Wcise, und zwar durch Impfung an einer anderen Stelle eines Tumors desselben Stammes, abet mit kfinstlich erhShter Virulenz 2, d. i. mit hSherer Anziehungskraft zu dem genannten humoralen Wachs- tumsfaktor.

Der Schlul~ war, dalt, wenn wir diesen Faktor n~her kennen lernen und beherrsehen kSnnen, h~tten wir damit einen Weg zur radikalen Krebsbek~mpfung vor uns.

Die vorliegenden Untersuchungen bringen einen Beitrag zur Kennt- nis dieses Waehstumsfaktors. Die Untersuchungen griinden sich auf folgcnden Uberlegungen. In einem noch nicht vorgesehrittenen Alter verl~uft d~s Wachstum der Tumoren viel schneller als sps Das hat te AnlaI~ zur Theorie gegeben, da~ jeder Organismus vielen anfi~ng- lichen Cancerisierungen ausgesetzt ist, die aber nicht zur vollen Ent- wicklung kommen und eine mit dem Alter sich verst~rkende Immunits erzeugen, Diese Theorie abet kann nicht als befriedigend angesehen werden, weil die zunehmende Zahl der Krebsf/~lle im hSheren Alter sehwer mit der angenommenen Krebsimmunit~t dieses Alters verein- bar ist.

Andererseits ist yon grol]er Bedeutung in unserem Falle die be- k~nnte Tats~che, dal~ die Waehs~umssubstanzen des normalen Organis- mus mit dem Alter allm~hlich abnehmen.

1 Z. Krebsforsch . 39, I-t. l , 83 - -88 (1933) . 2 Z. exper. Med. 89, H. 1 u. 2, 177--182 (1933).

348 St. Konsuloff:

Das Zusammenstellen dieser Angaben mit meinen Resultaten fiber die l~fickbildung eines Tumors durch die Impfung eines zweiten mit erhShter Virulenz erlaubt den Schlul~, dal~ es sicl~ hier vielleieht nieht um einen speziellen Faktor fiir das Wachstum der Tumoren handelt, sondern urn die gewShnlichen Waehstumssubst~nzen des Organismus, zu denen aber das Krebsgewebe eine gr6Bere Affinit~t aufweist.

Die Priifung dieses Schlusses wurde folgenderweise vorgenommen. 26 weiBe M/~use wurden mit Stfickehen eines M/~usecarcinoms ge-

impft und in 2 Gruppen yon je 13 Tieren verteilt. In Interwllen yon einigen Tagen wurden die Tumoren gemessen und das Durehsehnitts- volumen bei jeder Gruppe bestimmt.

1,5

iO0 /

i l

I/'\

I A 22,18 B 21,97 C 101 D 71 E F

Gleichzeitig wurde ~uch alas

Me88uftge~.

II III IV V

22,55 21,70 23,16 21,67 21,62 21,89 21,35 21,74

104 99 108,5 99,5 146 48 106 52,5

+ 2,97 -- 4,8 + 9,6 -- 8,3 + 105,7 -- 92,2 + 121 -- 50,5

A, ~ = dm'chschnittliches Nettogewicht der ~ Versuchs- bzw. der Kontrolltiere; C = dnrchsehnittliches l~etto- gewicht der Versuchstiere, wenn das Gewieht der Kontrolltiere fth" 100 angenomme~ wird; D = das- selbe f/h" das Tumorvolumen; E = prozentualer Unterschied des Gewichtes jeder folgenden Messung im Vergleieh mit der vorhergehenden; ~ = dasselbe

for das Tumorvolumen.

Abb. 1. I)as Turnorwachstum in Zusamrnenhang mi~ der Erniih~ung der Tiere. 5ede Teilung der Abszisse entspricht einem Tage der Versuchsdauer; an der Ordinate ist das Wachstum in Prozenten

dargestellt.

Gewicht der Tiere und das Durchsehnittsvolumen jeder Gruppe fest- gestellt. Da die Tumoren, die in unserem FalIe als artfremde auf dam Tier wachsende KSrper angesehen warden, einen betr/~ehtliehen Tell des Bruttogewiehtes der Tiere ausmaehen kSnnen, w~rde ihr Gewicht bei jeder Messung nach einer Tabelle bestimmt und yore Bruttogewicht des Tieres abgezogen. Auf diese Weise wurde der Durehsehnittswert des Nettogewichtes jeder Gruppe bei jeder Messung errechnet.

Als Kontro]le bekam eine der Tiergrupl0en immer dieselbe Nahrung: t~glich 50 g I-Iafer, 20 g Brot und etwas Luzerne. Diese Tiergruppe zeigte im Laufe des Versuches ein fast konstantes durchschnittliches Nettogewieht. Die ~ndere Tiergruploe bek~m dieselben N~hrungs- mittel, aber ihre Menge ~nderte sieh. Zwisehen der ersten und der zweiten Messung bek~men die Tiere ihre N~hrung in unbegrenzter Menge. W/~hrend der n~chstenPeriode erhielten sie sehr wenig iNahrung. D~nn ~olgte wieder eine Periode kr~ftiger Erni~hrung usw.

Die Result~te sind in Abb. 1 wiedergegeben:

Die biologische Bedeutung der Kachexie beim Krebs. 349

Diese Waehstumskurve zeigt uns folgendes: 1. Wenn bei guter Erns das Durchsehnittsgewicht des Tieres

n u r u m 2,97To erh6ht wird (}0~l~l l0l ) , nimmt die Masse des Tumors

um 105,7% zu ; "

2. Wenn bei Unterernghrung das Durehsehnittsgewieht des Tieres

nur um 4~,8% abnimmt (104:9~ 99 ) - --- , n immtdasDurehsehni t tsvolumen

/

Aueh die anderen Messungen geben analoge Resultate. I)as Tumorgewebe stellt sieh viel empfindlieher zu den Waehstums-

faktoren des Blutes als die Normalgewebe dies tun. Es handelt sieh also um einen groBen Untersehied der AffinitS~t der Tumor- und Normal. geweben zu einem und demselben Waehstumsfaktor des Blutes.

Die angegebenen Durehsehnittszahlen driieken das relative Waehs- turn der Versuehs- im Vergleieh mi t den Kontrolltieren aus (die Zahlen ffir die Kontrollgruppe werden fiir 100 angenommen). Bei einzelnen Individuen aber kommt es aueh zu einer absoluten Ab- nahme des Tumors, was unter gewShnliehen Umstanden nieht beob- aehtet wird.

Die obige Versuehsreihe wurde wiederholt, abet etwas ge~ndert, um die Wirkung der Erns starker auszupr~gen. Naeh der ersten Messung wurde die eine Tiergruppe stark geffittert, die andere einer Unterernahrung unterworfen. Naeh der zweiten Messung wnrde das Umgekehrte getan usw. Auf der Abb. 2 ist das Waehstum der ersten Gruppe wiedergegeben, wobei die Zahlen fiir die zweite Gruppe fiir 100 ~ngenommen werden. Auf diese Weise l~Bt sieh die Einwirkung der Ernahrung auf das Waehstum der Tumoren deutlicher veran- sehaulichen.

Nach der ersten Periode yon 5 Tagen hat das Durcbsehnittsgewicht der Tiere um 4,46%, das Durehsehnittsvolumen der Tumoren um 35,5 % abgenommen. UngewShnlich stark hat das Tumorwaehstum wahrend der zweiten Periode reagiert a]s bei einer Gewiehtszunahme yon 8,33 % eine Volumenzunabme yon 218,5% eintrat. In demselben Sinne sind die Resultate aueh der folgenden Messungen.

Das Tumorwachstum verhalt sieh also viel empfindlicher zur Unter- ern~hrung bzw. zu einer kr~ftigen Ern~hrung als der krebsbefallene Organismus selbst. Daraus folgt der Schlul~, dal~ jede Verstgrkung der Erns fiber ein rationelles Minimum nur schgdlich sein kann, well d~durch das Waehstum des Krebses mit allen seinen Folgen in viel st~rkerem Ms~e gefSrdert wird.

350 St. Konsuloff:

Ober die Na~ur der in Frage kommenden Substanzen k6nnen wir eine Vermutung/~uBern, wenn wir einige bekannte Angaben zusammen- stellen. 1. Das Blur des gesunden Mensehen zeichnet sich dutch eine mitogenetisehe Strahlung aus, die eine wachstumsfSrdernde Wirkung hat. Diese Auss~rahlung nimmt nur in hohem Alter ab und kann end- lich ganz versehwinden. 2. Die mitogenetische Strahlupg des Blutes ist yon der Ern/~hrung abh/~ngig. Sie verraindert sich bei Unterern~h- rung, um naeh 1/~ngerem Hungern aufzuhSren; versti~rkt sich nach der Nahrungsanfnahme. 3. Sobald sich ein Organismus eaneerisiert, ver-

-- - - -- L

\j /

B.

C.

D.

E.

F,

I 21~11

20,89 �9 101 �9 106,5

~lCes's~tnge~t.

II I11 IV V 19,52 20,65 18,74 19,03 20,21 19,03 20,33 18,52 96,5 108,5 93 102,5 68,7 219 71,4 102,5

-- 4,46 t- 8,33 -- 14,3 + 10,2 -- 35,5 + 218:5 -- 67,3 + 43,5

Abb. 2. Das Tumorwachstmn zweier Tiergruppen, die wechselnd untererniihrt bzw. k r i i t ig erniihrt werden. Die Zahlen fiir die zweite Gruppe werden fiir 100 angenom-

men. Die Bezeichnungen wie bei Abb. 1.

schwinde~ das Auss~rahlungsverm6gen seines Bln~es. 4. D~s Tumor- gewebe zeichnet sich dutch starke mitogenetische Strahlung aus. 5. D~s Oxycholesterin spielt eine wichtige Role bei den mit der mitogeneti- schen Ausstrahlung verknfipften Prozessen. 6. Eine halbe Stunde nach der Entn~hme h6rt die mitogenetische Strahlung des Normalblutes auf, d.h. sind die bei diesem Prozesse beteiligten Substanzen schon verbraucht. Diese Subst~nzen werden also fortwahrend irgendwo im Organismus produziert, dem Blute ~bgegeben und yon den Geweben ffir ihre Bediirfnisse verbraucht.

Es lieg~ die Vermutung nahe, d ~ get,de da,s Oxycholesterin einen der Faktoren darstelt, der beim Waehstum des Organismus und des Krebses beteiligt ist. Wahrscheinlich ist die Affiniti~t der Tumorgewebe zu solchen Substanzen viel starker als die Affinit~it der Norm~lgewebe, so dal solche Subs~anzen yon den Tumorgeweben in viel gr51~erem iV[al~stab ausgezogen und verbraucht werden. Die Entziehung der wachstumsfSrdernden Subst~nzen des Blutes dutch die Tumorgewebe

Die biologische Bedeutung der Kachexie beim Krebs. 351

wird ihre grSl3ere Produktion fSrdern, die wiederum das Waehs~um der sie anziehenden Tumorgewebe begfinstig~. Auf diese Weise kommt es zu einer gegenseitigen l~6rderung, die nns die sehr steile Kurve des Tumorwachstums erkl~rt.

Zur Prfifung dieser Hypothese werden en~spreehende Versuehe angestellt.

Zusammen/assung. 1. Das Tumorwachstum is~ yon einem Wachstumsfaktor abh/~ngig,

der veto Organismus produziert wird. Wenn dieser Faktor nicht da ist, verf~ll~ der Tumor in rasehe l~iiekbildung.

2. Es handelt sieh nicht um einen nur ffir das Tumorwachstum spezifisehen Faktor, sondern um einen Wachstumsfak~or des normalen Organismus, zu dem abet da s Tumorgewebe viel stgrkere Affinit/~t aufweist als die Normalgewebe.

3. Experimentell wurde gezeigt, dal~ der Tumor viel empfindlicher reagiert bei einer Unterernghrung bzw. bei einer kr~ftigeren Ern~hrung als der Organismus selbs~. Daher besteht Gefahr bei einer Ern/~hrung des Krebsorganismus fiber ein rationelles Minimum.

4. Ober die Na~ur des in Frage kommenden Waehstumsfaktors wurde die Vermutung ausgesproehen, dal] es sich hier vielleich~ um das Oxyeholes~erin handelt.