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Die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit – Dos and Don’ts Psychiatrisches Kolloquium ZGPP und PUK Zürich Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, 1.11.2019 lic. iur. Yvonne Bollag Leitung asim-Begutachtung, [email protected]

Die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit –Dos and Don’ts · Die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit –Dos and Don’ts Psychiatrisches Kolloquium ZGPP und PUK Zürich Psychiatrische

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Die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit – Dos and Don’ts

Psychiatrisches Kolloquium ZGPP und PUK ZürichPsychiatrische Universitätsklinik Zürich, 1.11.2019

lic. iur. Yvonne Bollag Leitung asim-Begutachtung, [email protected]

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Inhalte

Kontextreflektion:- pH-Bedeutung des «Arztzeugnisses»- Psychische Erkrankungen und AF – IV-Risiko - Entwicklung der Arbeitswelt und der sozialen Sicherungssysteme- rechtliche Rahmenbedingungen

Arztzeugnis/Arztbericht praktisch - Vorgehen bei Arztzeugnissen- neue Instrumente:

SIM ArbeitsfähigkeitszeugnisREP Ressourcenorientiertes EingliederungsprofilArbeitsversuche/Integrationsmassnahmen

- Spezialfragen

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Die Dilemmata beim Arztzeugnis

Arbeitsunfähigkeits-Atteste− Schutz des Patienten (Gesundheit) vs. Gefahr einer sozialen/beruflichen

Desintegration

Medizinisches Handeln mit Auswirkungen in ganz anderen Systemen − Beruf, sozial, finanziell, versicherungstechnisch

Arbeitsunfähigkeit hängt nicht von medizinischen Fakten allein ab− Absen�smus ˂-- medizinisch krank --˃ Präsentismus

Viele relevante Faktoren für return to work sind nicht medizinisch und gelten als «nicht versichert»?!

Es gibt einen sozialen Gradienten sowohl in der Gesundheit als auch in der potentiellen Berentungshäufigkeit.

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Therapiekosten – ein Vergleich

HIV Therapie ~ 2500.- / Monat

Rheumatoide Arthritis~ 4000.- / Monat

Arbeitsunfähigkeits-Attest~ 4800.- / Monat(80 – 90% des Lohns, Medianlohn 6000.-)

Problemunterschiedliche Töpfe, divergierende Incentives (fehlende Gesamtsicht)

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Anteil psychischer Erkrankungen an allen Neuberentungen 1990-2007

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

35%

40%

45%

19

90

19

91

19

92

19

93

19

94

19

95

19

96

19

97

19

98

19

99

20

00

20

01

20

02

20

03

20

04

20

05

20

06

20

07

Ant

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sen

von

IV-R

ente

in % Schweiz

Schweden

Deutschland

Österreich

Niederlande

Norwegen

Quelle: IGES Institut (2009) auf Grundlage von „Social Spending Database“ OECD 5

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Probleme werden früh bemerkt, aber erst spätbewusst realisiert

2.9

10.6

17.6

14.3

25.3

29.4

34.9

9.27.5

8.7

16.3

23.4

0

5

10

15

20

25

30

35

40

vor

Stellenantritt

seit

Stellenantritt

< 6 Monate

nach Antritt

6-12 Monate

nach Antritt

1-2 Jahre nach

Antritt

3-5 Jahre nach

Antritt

Problem erstmals wahrgenommen rückblickender Problembeginn

Baer, Frick, Auerbach, Basler (2017)6

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Entwicklung Arbeitswelt und Soziale Sicherung

Arbeitswelt:- Massive Verlagerung der Arbeitsplätze in Dienstleistungssektor- Digitalisierung aller Arbeitsplätze – deutliche höhere kognitive Ansprüche- Geographische, beschleunigte Verlagerung der Arbeitsplätze

Soziale Sicherung:- Spardruck auf der öffentlichen Hand und Sozialversicherungen- Wettbewerbsdruck auf den Arbeitgebenden- Erhöhung des Rentenalters - Abnahme der gesellschaftlichen Solidarität- „Survival of the Fittest?“ Hohe Eigenleistung des Individuums gefordert

Zentrale Fragestellung wenn es nicht um die Behandlung(skosten) geht: - Wie wirkt sich die Erkrankung und Therapie auf die Arbeitsfähigkeit aus?- Zusammenspiel von „Recht“ und Medizin ist dabei komplex

7

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AHVIV

UV

KV

MV

bV ALV EO

FamZSozialhilfe

Opferhilfe

Arbeitgeber

Haftpflichtrecht

EL

Sozialversicherung CH: Chaos – Koordination?

8

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Invalidenversicherung

Nachhaltige Reintegration oder Existenz-sicherung (ev. Ergänzungsleistungen)

mittels Rente für MitarbeiterIn

Mitarbeiterin, MitarbeiterPatientin, Patient

persönliche ArbeitsleistungTreuepflicht

Arbeitgeber

Lohn - auch bei KrankheitFürsorgepflicht

Arzt, Ärztin

beweist Krankheit mit Arztzeugnis

Krankentaggeldversicherer

Krankenlohn-Ersatz an Arbeitgeber

ArztzeugnisRechtsansprücheKommunikation

ReintegrationOrganisation

Das Arztzeugnis im 7-Eck

Pensionskasse

Lebensstandardsicherung

mittels Rente für MitarbeiterIn

ALV

Überbrückung bei Stellenverlust

Vorleistung in Abklärungszeit

Mitarbeiterin, MitarbeiterSchadenminderungspflicht (med. Massnahmen, neue Stelle, Umschulung), eigene Finanzierungsvorsorge

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Art. 8 ZGB Beweisregel

Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.

Im Sozialversicherungsrecht: Untersuchungsmaxime, Abklärung von Amtes wegen, Folgen der Beweislosigkeit trägt Antragssteller

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max. 3 Wo

Lohn

Arbeitsvertrag: Lohnfortzahlung bei Krankheit OR 324a

Stellenantritt Nach 3 Monaten

>>>>- EAV- GAV- Regle-ment

1. Dienstjahr

1–2 Mte

2. Dienstjahr 21. Dienstjahr

6 Mte……….

… bis

Eigenes Risiko

Lohnfortzahlung AG nach OR und Gerichtsskalen:

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Lohnfort-zahlungAG 324aOR

Invalidenrente (IV)

Pensionskasse (BVG)

KrankentaggeldKranken-Taggeldversicherung, VVG-Versicherung, z. B. 80 % 730 Tage, idR auch bei Stellenverlust

100 %

60 %

20 %

40 %

80 %

Lohn

ab 366 Tg ab 730 Tgab 30/90Tg

Zusammenspiel AG – Taggeld – IV - PK

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1 Monat

Arbeitsvertrag: Kündigungsfristen nach OR 335a-335c

Stellenantritt Ablauf PZ7 Tage

1. Dienstjahr 2. ……9. Dienstjahr ab 10. Dienstjahr

2 Monate

Anstellungsdauer

nd

igu

ngs

fris

ten

jew

eils

au

f E

nd

e M

on

at

3 Monate

13

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30 Tage

Arbeitsvertrag: Kündigungsschutz bei Krankheit – Sperrfristen, OR 336c

Stellenantritt Ablauf PZ0 Tage

1. Dienstjahr 2. …… 5. Dienstjahr ab 6. Dienstjahr

90 Tage

180 Tage

Anstellungsdauer

Dau

er

Spe

rrfr

ist

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Recht*: Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG)

AUF ist die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit, im

bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten.

Bei langer Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt

� Objektivierbarkeit von subjektiven Beschwerden

� Kausalität der Beschwerden und der AUF

� Ausmass der AUF

*Recht ist statisch und abstrakt = normativ

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Recht: Art. 16 ATSG/Art. 6 Zumutbare Arbeit/Tätigkeit

- funktionelles Leistungsvermögen

- Psychische Ressourcen

� beschreibt welche Tätigkeiten aus medizinischer Sicht noch möglich sind, setzt Rahmen

� Negative Umschreibung was geht nicht, was ist medizinisch «verboten» / denkbar ungünstig

� Positive Umschreibung, was geht, welche Ressourcen sind vorhanden

� Tatfrage, vom Arzt zu beantworten

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Reliabilität – Plausibilität Psychiatrie? Fallvignette NWR

Sozialmedizinische Beurteilung bisheriger Beruf

37%

36%

27%Leistungsfähigkeit imbisherigen Beruf über 6Std. pro Tag

Leistungsfähigkeit imbisherigen Beruf 3 - 6 Std. pro Tag

Leistungsfähigkeit imbisherigen Beruf wenigerals 3 Std. pro Tag

49 j. Sachbearbeiterin mit mehreren psych. Episoden, inkl. Fallkriterien der Deutschen Rentenversicherungsträger

Sozialmedizinische Beurteilung irgendein Beruf

50%

32%

18%

Leistungsfähigkeit inirgendeiner Berufstätgkeitüber 6 Std. pro Tag

Leistungsfähigkeit inirgendeiner Berufstätigkeit 3 -6 Std. pro Tag

Leistungsfähigkeit inirgendeiner Berufstätigkeitw eniger als 3 Std. pro Tag

Dickmann JRM, Broocks A. Das psychiatrische Gutachten

Fortschr. Neurol. Psychiat 2007; 75: 397-401

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AF-Einschätzung praktisch (1)

• Klares Konzept

• Abklärung

• Behandlung

• Berufliche Konsequenzen

• Keine AUF “auf weiteres”

• “Schall-Grenze” 6 – 8 Wochen

• Spezialisten-Konsil

• Diagnosesicherung / Therapieempfehlung

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AF-Einschätzung praktisch (2)

• Berufliche Konsequenzen?

• Rückkehr bisheriger Beruf?

• Wann? Teilzeit? Frühzeitig!

• Welche Massnahmen? Anpassungen? Hilfsmittel?

• Anderer Beruf?

• Frühzeitige Berufsmassnahmen einleiten

• Keine Wartezeit IVG!

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Vorgehen des Arztes bei AF-Einschätzung, Bericht (2)

1. Was ist der Gesundheitsschaden/was ist gesundheitlich beeinträchtigt?

2. Wie wirkt sich das auf die Funktionsfähigkeit aus:- physisch, psychisch, Pausen-Erholungsbedarf, Limiten

3. Was sind die Anforderungen am bisherigen Arbeitsplatz:zeitlich, physisch, psychisch-kognitiv – Arbeitsplatzbeschriebe!!!

4. Was ist der Therapie/Eingliederungsplan?A) - wieviele StundenB) - welche LimitenC) - welches Leistung innerhalb A und B

Neues Arbeitsähigkeitszeugnis SIM

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Komponenten der AF-EinschätzungWorauf bezieht sich die Einschätzung? Präzise abgrenzen!

• Bisheriger Beruf oder Aufgabenbereich oder allgemeiner Arbeitsmarkt (Verweistätigkeit/angepasste Tätigkeit)

Zwei (eigentlich drei) Komponenten der Arbeitsfähigkeitseinschränkung

• Leistungsmässige Komponente (sog. Rendement) 1. Limiten – Cave Wechsel von angestammter Tätigkeit zu Verweistätigkeit2. generelle Reduktion (z.B. Verlangsamung)

• Zeitliche Komponente (Präsenzzeit) Pausenbedarf, Erholungsnotwendigkeit, Therapie-bedarf

Ausgangslage• Gesundheitsschaden• Arbeitsplatz

Einschränkung der Belastbarkeit(in % der Gesamtleistung oder beschreibend)

Zeitliche Einschränkung(in % der täglichen Arbeitszeit oder beschreibend)

Arbeitsunfähigkeitin % oder beschreibend

Alle Komponenten können einzelfallspezifisch kumuliert oder integriert sein tw. SIM-Broschüre AUF

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ICF - Struktur

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Mini-ICF-P Prof. M. Linden (Core-Sets)

1. Fähigkeit zur Anpassung an Regeln und Routinen2. Fähigkeit zur Tagesstrukturierung3. Flexibilität4. Kompetenz5. Durchhaltefähigkeit6. Selbstbehauptungsfähigkeit7. Fähigkeit zur Teilnahme an öffentlichen Rollen8. Kontaktfähigkeit zu Dritten9. Fähigkeit zu familiären Beziehungen10. Fähigkeit zu ausserberuflichen Aktivitäten11. Fähigkeit zur Selbstversorgung12. Wegfähigkeit

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ICF - Problembeurteilung

0. Problem nicht vorhanden 0-4%1. Problem leicht ausgeprägt 5-24%2. Problem mässig ausgeprägt 25-49%3. Problem erheblich ausgeprägt 50-95%4. Problem voll ausgeprägt 96-100%

8. nicht spezifizierbar9. nicht anwendbar

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Neues Arbeitsfähigkeitszeugnis - SIM

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• Ressourcenorientiert• Klare Referenzierung zu Jobanforderung• Verknüpfung mit REP• Prozessorientiert• Transparenz• Vereinheitlichung• Vergütung

https://www.swiss-insurance-medicine.ch/de/Arbeitsunfähigkeitszeugnisse.html

https://sim.cometas.ch/de/kurse/arbeitsfaehigkeitszeugnis

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SIM – Zeugnis: Teil 1 vom AG auszufüllen

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SIM – Zeugnis: Teil 2 Arzt/Ärztin – volle AUF

Eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn beispielsweise infolge eines Arbeitsplatzkonfliktes eine Rückkehr an den bisherigen Arbeits-platz nicht vertretbar, an jedem anderen Arbeitsplatz aber eine Arbeitsfähigkeit gegeben ist.

Klare Referenzierung: Arbeitsplatzbeschrieb/Stellenprofil oder REP

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SIM–Zeugnis: Teil 3 Arzt/Ärztin – TEIL AF - Reintegration

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SIM – Zeugnis: Ablauf

1. ArbeitgeberIn füllt den ersten Formularteil aus und legt REP oderArbeitsplatzbeschrieb bei.

2. Arbeitsfähigkeitszeugnis wird zusammen mit REP oder Arbeits-platzbeschrieb an Arzt/Ärztin übermittelt.

3. Arzt/Ärztin füllt das Arbeitsfähigkeitszeugnis aufgrund der Angaben im REP oder im Arbeitsplatzbeschrieb aus.

4. PatientIn/MitarbeiterIn übermittelt Arbeitsfähigkeitszeugnis an ArbeitgeberIn zur Reintegrationsplanung.

5. ArbeitgeberIn schickt Arbeitsfähigkeitszeugnis an den zuständigen Versicherer zur Berechnung des Taggeldes.

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Ressourcenorientiertes Eingliederungsprofil REP

https://www.compasso.ch/Eingliederungsprofil

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Datenschutz konkret - VerhältnismässigkeitRichtigkeit der Daten

� Information über AG-/Versicherungsanfrage

� Nur - aber auch - diejenigen Daten die der Arbeitgeber für dieArbeitsorganisation und Überprüfung der generellen Geeignetheit benötigt

� Keine Diagnosen

� kein unüberprüftes Abschreiben von Vorbefunden

� Sorgfaltspflichten bei AUF-Attesten

StGB Art. 318 Falsches Arztzeugnis kann auch bei Fahrlässigkeit bestraft werden.

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Spezialaspekte: Ferienfähigkeit / Reisefähigkeit

Ferienfähigkeit:

• Relevanz im Arbeitsvertrag: Ferien dienen der Erholung � Erholungsfähigkeit muss gegeben sein

� AG bezahlt ≠ Versicherer

• Relevanz Sozialversicherung: � ärztlich indiziert, keine Inkonsistenz, keine Verletzung der Schadenminderungspflicht

Reisefähigkeit:

• Relevanz im Asylrecht bei Rückführungen� Kontraindikationsliste� Kontraindikation im Einzelfall (med. Behandler)� Entscheid bei med Begleiter (externe Kontrolle?)

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Arbeitsversuch - Taggeldversicherer, VVG

Modell:

ArbeitnehmerIn kehrt an den Arbeitsplatz/in sein Unternehmen zurück – aber:- noch keine Arbeitsfähigkeit für lohnrelevante Arbeitsleistung im Rechtssinne,auch nicht Teilarbeitsfähigkeit

- Taggeldversicherer leistet weiterhin Taggelder- Leistungsfähigkeit kann sukzessive getestet und gesteigert werden- Kontinuum - schrittweise Ablösung des Taggeldes durch Lohnzahlungrechtlich besteht weiterhin das Arbeitsverhältnis nach OR

Verbreitung:alle grossen Taggeldversicherer kennen das Modell und wenden es (in Einzelfällen) an – von 4 Wochen bis 3 Monate

Erfahrungen:positiv, bedingen Koordination und Steuerung – eingeschränkte Anwendung

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Neue Integrationsmassnahmen der IV

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Arbeitsversuch über die IV Art. 18a IVG

1 Die Invalidenversicherung kann einer versicherten Person versuchsweise einen Arbeitsplatz für längstens 180 Tage zuweisen (Arbeitsversuch), um die tatsächliche Leistungsfähigkeit der versicherten Person im Arbeitsmarkt abzuklären.

2 Während des Arbeitsversuchs hat die versicherte Person Anspruch auf ein Taggeld; Rentenbezügerinnen und -bezügern wird die Rente weiter ausbezahlt.

3 Während des Arbeitsversuchs entsteht kein Arbeitsverhältnis nach dem Obligationenrecht (OR). Folgende Bestimmungen des Arbeitsvertragsrechts sind jedoch sinngemäss anwendbar….z.B. Sorgfalts- und Treuepflicht, Freizeit/Ferien, Persönlichkeitsschutz, Befolgung von Anweisungen, Haftung uam

Achtung: Unfalldeckung klären

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3 Module mit verschiedener Zielsetzung

Modul 1 - 4 Wochen oder mehr - Abklärung

Modul 2 - 8 Wochen oder mehr - Training

Modul 3 - 6 Monate - Arbeitsplatz – Probephase

Tel: 044 448 58 58,

Arbeitsversuch über die IV - Umsetzung zB IV-ZH

https://www.svazurich.ch/pdf/arbeitsversuch_info.pdf

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Nationale Konferenz zur Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Behinderung (Jan.- Nov. 2017) Handlungsansätze mit 5 Schwerpunkten:

https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/iv/grundlagen-gesetze/arbeitsmarktintegration/nationale-konferenz.html

• die Förderung von branchenspezifischen Zusammenarbeitsvereinbarungen für die berufliche Eingliederung,

• die Einführung gemeinsamer Instrumente, die ein koordiniertes Vorgehen zwischen Arbeitgebenden, Arbeitnehmenden, Ärzteschaft und Versicherern bei Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmenden ermöglichen,

• die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Annäherung von Psychiatrie und Arbeitswelt• die Förderung des Erwerbs, der Zertifizierung und der Anerkennung beruflicher Kompetenzen

von Menschen mit Beeinträchtigungen durch die Branchen,• die Förderung von Anreizsystemen für Arbeitgeber zur Anstellung und Weiterbeschäftigung von

Menschen mit Beeinträchtigungen.

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Psychiatrie und Arbeitswelt

Good-Practice-Beispiel:

Programm RESSORT4, CHUV:

Job Coaching - Konzept Supported Employment für IV- und SozialhilfekundInnen

interdisziplinäre Koordination psych. Betreuung und Begleitung Arbeitsprozess

Ressourcenbereitstellung

Förderung analoger Projekte in anderen Kantonen

Allgemein:

Akteure für Notwendigkeit sensibilisieren, Synergien zwischen Psychiatrie und

Arbeitswelt zu fördern

Patienten mit Arbeitsproblement, Forschungsbericht 11/17 Psychiaterbefragung:

https://www.bsv.admin.ch/bsv/home.webcode.html?webcode=P936.T435.de

Befragung 326 vollständige FB; Durchschnitt 5 Mte, Identifikation Hauptschwierig-

Keiten; Anpassungen am Arbeitsplatz in Bezug auf Funktionsstörungen38

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Aktuelles: 2. Änderung der Gerichtspraxis zu Suchterkrankungen

Leitentscheid des Bgerichts vom 11.7.2019 (Urteil 9C_724/2018)

• keine Unterscheidung mehr primäre – sekundäre Suchterkrankungen

• immanentes Konstrukt «Selbstverschulden» keine rechtliche Grundlage

• Annahme dass Entzug ohne weiteres möglich trifft nicht zu

→ keine generelle Ablehnung (vor Entzug) sondern immer sorgfäl_ge Einzelfallprüfung

Folgerung und gutachterlich abzuarbeiten:

• fachärztlich klar diagnostizierbare Erkrankung

• ausführliche Darlegung der Abhängigkeitssymptomatik

• Ausführliche Diskussion der funktionellen Einschränkungen

• Darlegung zu Sinnhaftigkeit, Zumutbarkeit, Erfolgswahrscheinlichkeiten eines Entzuges (pro futuro)

• Dies alles integriert in Abarbeitung der Standardindikatoren

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Folgerungen und Empfehlungen

Das Arztzeugnis ist ein relevantes Beweismittel für Lohn- und Versicherungsansprüche

Arbeitstätigkeit hat im Allgemeinen einen therapeutischen Nutzen und ist ein wichtiges Rehabilitationselement für Tagesstruktur, Soziale Kontakte am Arbeitsplatz, Lebenssinn, Identität, positives Selbstwertgefühl

Mit ihren Arbeits(unfähigkeits)-beurteilungen können Ärzte den Reintegrationsprozess massgeblich mitgestalten.

Wenn Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr sinnvoll ist frühzeitig Neuorientierung anstossen (Frühintegration)

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