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Zeitschrift ffir Zellforschung, Bd. 43, S. 195--205 (1955). Aus dem Czerny-Krankenhaus (Prof. BECKER), der Medizinisehen Klinik (Prof. MATTHES)der Universit/~t Heidelberg und der Inneren Abteilung des Stiidtisehen Krankenhauses Pforzheim (Prof. STODTMEISTER). DIE KNOCHENMARKSTRUKTUR BEI RATTEN NACH BESTRAHLUNG MIT SCHNELLEN ELEKTRONEN. Von M. THEODOR •LIEDNER, STEFAN SANDK(~HLER und RUDOLF STODTMEISTER. Mit 8 Textabbildungen. (Eingegangen am 28. Februar 1955.) Die erhebliche Bereicherung unserer Kenntnisse fiber die Funktion des Knochenmarkes und ihre St5rungen seit Einffihrung der Sternal- punktion vor 25 Jahren verdanken wir im wesentlichen Untersuchungen, die auf die Blutzellentwicklung unter normalen und krankhaften Be- dingungen gerichtet waren. Dabei wurde zun/~chst das Knochenmark dem Blur als dem schon l~nger bekannten ,,Organ" sozusagen zugeordnet und somit weniger als eigenstis a ngesehen: Ver/inderungen im Mark wurden mehr als willkommene zusi~tzliche Symptome bei ,,Blutkrank- heiten" betrachtet als umgekehrt. Wenn auch bahnbrechende Autoren wie z. B. ROHR von vornherein auf die Notwendigkeit der histologischen Untersuchungen hinwiesen, so hat sich in der klinischen Praxis doch die Ausstrichuntersuchung als alleinige Methode immer mehr eingebfirgert. Damit wurde der Betrachtung des Knochenmarkes als ,,Zellansamm- lung" Vorschub geleistet. Die Grenzen einer solchen Betrachtungsweise kSnnen dem Kliniker z. B. rasch deutlich werden, wenn ihm infolge ver- /~nderter Markstruktur die Aspiration von Gewebe miBlingt. Die Tat- sache, dab Ausdrficke wie etwa ,,leeres Mark" in der Klinik breitere An- wendung linden konnten, beweist zur Genfige, wie wenig das Verst/s ffir die strukturelle Eigenart des Markorganes verbreitet war. Dadurch wurde das Studium der im Ausstrich nicht erfaBbaren Gewebszust/~nde vernachl~ssigt. Hierzu gehSren in erster Linie die Ver/i, nderungen am knSchernen Gerfist, am Markbindegewebe und am Gef/s Naturgem~B interessieren bei einem Organ, dessen Hauptaufgabe die Bildung yon Ge/ii]3inhalt ist, in erster Linie die GefEBe und ihre Be- ziehungen zum Parenchym. So besch~ftigen sich die auf die Erfassung der geweblichen Struktur gerichteten Untersuchungen folgerichtig in erster Linie mit den Eigenarten der Zirkulation. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand zuerst die Frage, ob das Gefliflsystem des Knochenmarkes offen oder geschlossen sei. Wi~hrend Z. Zellforsch.Bd. 43. ]4

Die Knochenmarkstruktur bei Ratten nach Bestrahlung mit schnellen elektronen

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Page 1: Die Knochenmarkstruktur bei Ratten nach Bestrahlung mit schnellen elektronen

Zeitschrift ffir Zellforschung, Bd. 43, S. 195--205 (1955).

Aus dem Czerny-Krankenhaus (Prof. BECKER), der Medizinisehen Klinik (Prof. MATTHES) der Universit/~t Heidelberg und der Inneren Abteilung

des Stiidtisehen Krankenhauses Pforzheim (Prof. STODTMEISTER).

D I E K N O C H E N M A R K S T R U K T U R B E I RATTEN NACH B E S T R A H L U N G MIT SCHNELLEN ELEKTRONEN.

Von

M. THEODOR •LIEDNER, STEFAN SANDK(~HLER

und RUDOLF STODTMEISTER.

Mit 8 Textabbildungen.

(Eingegangen am 28. Februar 1955.)

Die erhebliche Bereicherung unserer Kenntnisse fiber die Funktion des Knochenmarkes und ihre St5rungen seit Einffihrung der Sternal- punktion vor 25 Jahren verdanken wir im wesentlichen Untersuchungen, die auf die Blutzellentwicklung unter normalen und krankhaften Be- dingungen gerichtet waren. Dabei wurde zun/~chst das Knochenmark dem Blur als dem schon l~nger bekannten ,,Organ" sozusagen zugeordnet und somit weniger als eigenstis a ngesehen: Ver/inderungen im Mark wurden mehr als willkommene zusi~tzliche Symptome bei ,,Blutkrank- heiten" betrachtet als umgekehrt. Wenn auch bahnbrechende Autoren wie z. B. ROHR von vornherein auf die Notwendigkeit der histologischen Untersuchungen hinwiesen, so hat sich in der klinischen Praxis doch die Ausstrichuntersuchung als alleinige Methode immer mehr eingebfirgert. Damit wurde der Betrachtung des Knochenmarkes als ,,Zellansamm- lung" Vorschub geleistet. Die Grenzen einer solchen Betrachtungsweise kSnnen dem Kliniker z. B. rasch deutlich werden, wenn ihm infolge ver- /~nderter Markstruktur die Aspiration von Gewebe miBlingt. Die Tat- sache, dab Ausdrficke wie etwa ,,leeres Mark" in der Klinik breitere An- wendung linden konnten, beweist zur Genfige, wie wenig das Verst/s ffir die strukturelle Eigenart des Markorganes verbreitet war. Dadurch wurde das Studium der im Ausstrich nicht erfaBbaren Gewebszust/~nde vernachl~ssigt. Hierzu gehSren in erster Linie die Ver/i, nderungen am knSchernen Gerfist, am Markbindegewebe und am Gef/s

Naturgem~B interessieren bei einem Organ, dessen Hauptaufgabe die Bildung yon Ge/ii]3inhalt ist, in erster Linie die GefEBe und ihre Be- ziehungen zum Parenchym. So besch~ftigen sich die auf die Erfassung der geweblichen Struktur gerichteten Untersuchungen folgerichtig in erster Linie mit den Eigenarten der Zirkulation.

I m Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand zuerst die Frage, ob das Gefliflsystem des Knochenmarkes offen oder geschlossen sei. Wi~hrend

Z. Zellforsch. Bd. 43. ]4

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196 M. THEODOR FLIEDNER, STEFAN SANDKUHLER und I~UDOLF STODTMEISTER:

die eine Gruppe der Untersucher (HovER 1869, P~INDFLEISCH 1880, KOLL- MANN 1880, FLEMMI~IG 1885, LUBARSCH 1899, BRINCKERHOFFund TYZ- ZER 1902, die Auffassung von einem offenen Gefi~Bsystem vertraten und die Blutzirkulation im Mark in sog. ,,wandungslosen" Bahnen beton- ten, vertrat die zweite Gruppe die Ansicht vom Vorhandensein eines geschlossenen Blutgef~Bsystems (E. NEUMAN~ 1868, ~:~USTIZKY 1872, LAN(~ER 1876, BIZZOZERO 1890, HELLY 1906, SCHAFER 1912, DRINKER, DRINKER und LUND 1922, DOAN 1922). Einige weitere Autoren sehlos- sen sieh mit geringen Modifikationen dieser Auffassung an: v. EB~ER (1902), WEIDE:NREICH (1903), VENZLAFF (1911), BUNTING (1919), ASKA- NAZY, (1927) JORDAN und BAKER {1927), MAXIMOW (1927) sowie SCHIL- LING (1927). Allgemein hat die Diskussion einen gewissen AbschluB zu- gunsten der geschlossenen Gefi~13bahn gefunden. Hinsichtlich des Uber- trit ts der Blutzellen hatten JORDAN und BAKER, vor ihnen auch schon WEIDENREICH sowie VENZLAFF, priiformierte 0ffnungen auf Grund ihrer Injektionsversuehe angenommen. Diese Befunde konnten von BARG- MA~N (1930) nieht best/~tigt werden, der seinerseits annimmt, dab ,,die Aussehwemmung der reifen Erythrozyten aus dem Parenehym in den Kreislauf durch periodisehe Durehbrechungen der histiozyt/~ren Wand- membran" zu erkl/s sei. Often ist noch die Frage nach der funktio- nellen Bedeutung der einzelnen - - durch einen unterschiedlichen Bau gekennzeichneten - - Absehnitte des Gef/~Bsystems.

Ffir das Studium der Gef~Barchitektonik und ihrer Beziehung zur Markfunktion ist das unveri~nderte Mark wegen der schleehten ()ber- sichtliehkeit im histologischen Schnitt ein wenig taugliches Objekt. Aus diesem Grunde versuehte DOAN, das Taubenknochenmark yon den die Struktur verdeekenden Zellen zu befreien. Dies gelang ihm durch 10--18ti~giges Hungernlassen der Tiere. Er konnte dadureh einen besse- ren Einblick in die Anordnung der Gef~Be im Knoehenmark gewinnen. Wenn man fiber diese vorwiegend deskriptiven Bemfihungen hinaus, zu denen auch die Anwendung von Injektionsmethoden zu rechnen ist, zu einem Verst/s der Beziehungen zwisehen Bau und Funktion ge- langen will, so bedarf es einer anderen Versuehsanordnung. Prinzipie]l soll die Eiawirkung auf das Knochenmark so beschaffen sein, dab die Gef/~Be deutlicher hervortreten. Abgesehen von DOA~s Vorgehen be- steht grunds/~tzlich noch die MSglichkeit, die Gef/s im strukturell einigermai~en intakten Mark zur Erweiterung zu bringen. Soll der Erfolg ffir Vergleichsuntersuchungen reproduzierbar sein, so erseheint es wfin- schenswert, dal3 die Einwirkung hinsichtlich ihrer Dauer, ihres zeitlichen Ablaufes und ihres AusmaBes m6glichst scharf definierbar und steuer- bar sei.

Im Gegensatz zu chemischen Einwirkungen bietet die Anwendung von ionisierenden Strahlen den Vorteil kfirzerer Einwirkungsdauer. Ganz

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Die Knochenmarkstruktur bei Ratten. 197

besonders gi inst ig l iegen die Verh~ltnisse bei den schnellen E lek t ronen , wie sie z. B. das 15 MeV Siemens B e t a t r o n l iefert . Gegenfiber anderen ionis ierenden S t r ah lena r t en b ie ten die schnellen E lek t ronen den beson- deren Vortei l einer kurzze i t igen energiereichen St rahlung. Als wei te rer Vortei l e rg ib t sich, dai~ keine kSrpe r f remden Subs tanzen in die Gewebe eingefi ihr t zu werden brauchen.

Es is t unser Anliegen, die so erz ie lbaren Ver~nderungen als Mode]l darzuste l len . E in solches Modell e rscheint uns geeignet , aul~er dem S tud ium der M a r k s t r u k t u r auch verschiedene pa thophys io]ogische Vor- g~nge zu verfolgen: das Verha l ten einzelner Gef~tBabsc]mitte, d ie De- s t ruk t ion und Regenera t ion des P a r e n c h y m s sowie den EinfluB zus~tz- ]icher MaBnahmen.

Methodik. A]s Versuchstiere w~hlten wir eben ausgewachsene, etwa 200 g sehwere Ratten.

Mit aussehlaggebend fiir die Auswahl der Versuehstiere war der Umstand, dab die

Vor- per~ode

i , r i ,

Peripheres Blur: Zellzahl pro ram 3

7 2 q 7~ 2R i I I J T I I I I I I f I

Knochenmark : Zellzahl pro cm 2 Ausstrich und histologische Befunde

Abb . 1. Ver suchsp lan ,

Markh6hle der Femurdiaphyse nicht spongiosiert ist und das blutzellbildende Mark mechanisch leicht herausgel6st, gut ausgestrichen und ohne Entkalkung histo- logisch verarbeitet werden kann. I)a die sehnellen Elektronen bei 15 MeV nur eine Eindringtiefe -con maximal 7 cm haben, mtissen die Tiere im Elektronenstrahl rotiert werden. Zeitliehe Versuchsanordnung vgl. Abb. 1. Bei der Differenzierung der Leukozyten im Blut wurde~ nut absolute Werte pro mm 3 angegeben. Die Dif- ferenzierung der Knoehenmarkausstriche wurde ebenfalls in Absolutwerten vor- genommen, wobei die Zahl der kernha]tigen Zellen pro em 2 Gewebsausstrich zu- grunde gelegt wurde. Bei den Untersuehungen w~hlten wir aus den gewonnenen Werten die Granulozytenzahlen als Indikator. Wegen der kurzen Lebensdauer dieser Zellen lassen sieh hier kurzfristige Ver~nderungen besser beurteilen.

Die Ausstrichprdparate wurden einheitlieh so hergestellt, dab Zellen und ge- gebenenfalls Fettmark schnitt~hnlich lagen. Farbung: May-Griinwald-Giemsa. Zellz~hlung: Mit Okularnetz an optimal geeigneten Ausstriehstellen, Umrechnung

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198 M. T~ODOR FLIEDNER, STEFAN SANDKUHLER und RUDOL~ STODTMEISTER:

auf cm 2.. Zelldifferenzierung mit 01immersion: Angegeben wurden jeweils die Absolutzahlen je cmL Schnittprdparatel: Fixierung in 10% Formo], Paraffin- einbettung, F~rbungen H~matoxylin-Eosin, sowie Trichrom (GOLDNER).

YersuchsablauI und Belunde.

Der Zeitplan fiir die Untersuchungen der Strukturvers des Markes wurde iiberwiegend durch die Feststellung auff~lliger Besonder- heiten des Verlaufes der Granulozytenkurve im Blur bestimmt. Wie aus

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Abb. 2. Ver~nderungen der reifen Granu lozy ten nach einmaliger Best rahlung.

o o Blut : Granulozyten x 10 ~ je r a m ' . ~-------o K n o c h e n m a r k : Reifc Granulo- zy ten + Me tamye lozy ten • 10 4 je c m ~ Gewebsausstr ich.

Abb. 2 ersichtlich, zeigte sich im unmittelbaren AnscMuB an die Be- strahlung eine Vermehrung der Granulozyten auf etwa das 6fache des Ausgangswertes mit einem Maximum, das gewShnlich etwa 150 rain nach der Bestrahlung auftritt . Weiterhin ist auffiillig, dab der danach einsetzende Granulozytensturz auf ein Minimum yon 300--400 (etwa 1/10 des Ausgangswertes) meist 60 Std nach der Bestrahlung nicht kontinuier- lich erfolgte. Die abfallende Granulozytenkurve wurde in ann~hernd regelmiiBigen Abst~nden durch kleinere Wiederanstiege unterbrochen. Daraus ergab sich die Frage, ob diese Schwankungen etwa nur zufiillig waren oder bestimmten Markver~nderungen zugeordnet werden kSmmn.

Schon der quantitative Vergleich zeigte, dab die reifen Granulozyten in Blur und Mark sich anni~hernd gegensinnig verhielten: Zu den Zeit-

* Neuerdings ohne Umrechnung mit Spezial-Z~hlokular nach SAN~)~iiHLER (Firma E. Leitz, Wetzlar).

1 Die Schnittpr~parate wurden im Pathologischen Institut der Universit~t Heidelberg angefertigt. Herrn Professor RANDERATH sind wir fiir seine liebens- wfirdige Unterstiitzung bei der Beurteilung zu groBem Dank verpflichtet.

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Die Knochenmarkstruktur bei Ratten. 199

punkten der Granulozytengipfel im Blur fanden wir ein an reifen Gra- nulozyten relativ armes Mark (vgl. Abb. 2).

Die bistologisehen Untersuehungen ergaben nun, dab den besehrie- benen Verschiebungen der Granulozyten bestimmte VerSnderungen der Markstruktur parallel gehen. Diese wiederholen sieh in der Art yon Schfiben mit charakteristischen Gef/iBveri~nderungen bei jeder Granulo- zytensehwankung in prinzipiell gleichgerichteter Weise, werm anch die Auswirkungen der einzelnen Sch/ibe mit fortschreitender Sch/idigung des Markes untersehiedlich waren.

Die Ver/~nderungen der Markstruktur sind somit am besten gekenn- zeichnet dureh den ]eweiligen Zustand des Sinussystems, w~,hrend die Kapillaren anscheinend unbeteiligt sind.

Der Schilderung der histologisehen Untersuchungsergebnisse mfissen einige Bemerkungen fiber die normale Sinusstruktur vorausgehen. Wir dfirfen nach den Untersuchungen yon BARCMA~N, denen sich mit ROHR die Mehrzahl der Kliniker ansehliel3t, an der Auffassung von einer ge- schlossenen Blutbahn im Knochenmark festhalten. Nach der Vorstellung von NEUMANlq, LANGER, ASKANAZY sowie yon BARGMANN gehen die arteriellen Kapillaren direkt in ,,venSse kapillare Sinus" fiber. Histo- logisch zeigen Sinus und Kapillaren eindeutige Untersebiede, auf die bier nieht einzugehen ist. Wenn wir vorerst aueh noch weit davon entfernt sind, die Zirkulationsverh~ltnisse in den Sinus nnd ihre Beziehungen zur Markfunktion zu fibersehen, so konnten wir im Verlaufe unserer Unter- suehungen doch an den Sinus einige uns bemerkenswert erscheinende Befunde erheben, die als Grundlage fiir weitere Untersuchungen dienen mSgen.

Am Sinussystem (vgl. Abb. 3) lassen sich 2 Hauptabschnitte deutlieh unterscheiden: 1. Schon bei Betraehtung mit schwacher VergrSBerung fallen groSe, meist langgestreckte, mit Bbit gefiillte RKume mit einem Durchmesser von 400/~ und mehr auf. Wie die kapillaren Sinus sind sie ausgekleidet von einer einfachen Scbicht uferst/~ndiger Retikulum- zellen. Wir bezeiehnen sie als Zentralsinus. 2. In diese Zentralsinus mfinden - - meist rechtwinklig - - die kapiUaren Anteile des Sinusge/ti[3- systems ein (vgl. Abb. 4). a) Diese kapillaren Sinus zeigen in der Nach- barschaft der Zentralsinus einen vorwiegend gestreckten Verlauf (Sinus recti), b) In einiger Entfernung vom Zentralsinus erseheinen sie ge- wunden (Sinus contorti). Die funktionelle Bedeutung dieser einzelnen Abschnitte ist vorerst noeh unklar. Jedenfalls spielen sieh die im fol- genden zu beschreibenden Vorg~nge ausschlieBlieh an den Sinus ab, w/~hrend sich die Kapillaren - - mit den bistologisehen Routinemethoden untersueht - - daran anscheinend nicht beteiligen. Wir sehen h/~ufig offenbar intakte Kapillaren in unmittelbarer Nachbarsehaft stark geseh/~- digter Sinus. Wegen ihres gestrecktenVerlaufes lassen sich dieKapil]aren in Ausstrichen und Schnitten nieht selten fiber 1/ingere Streeken verfolgen.

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2 0 0 M. Tl tEODOR FLIEDNER, STEFAN SA:NDKUltLER u n d RUDOLF STODTMEISTER:

Vasa nu/mTia

} ; l ,7t

Abb . 3, S c h e m a des Sinussys tenl8 des K n o c h o n m a r k s der R a t t e ,

Abb . 4. Zen t ra l s inus m i t r eeh twinke l ige r E i n m i i n d u n g eines e rwe i t e r t en Sinus rec tus . P a r e n c h y m ~ufge locker t u n d 6 d e m a t 6 s , ( t t~m~toxy l in -Eos in f l t r bung . M i k r o p h o t o : Or tho -

lux, Le i t z -Ob jek t iv 25 • P e r i p l a n - O k u l a r 8 • E x ~ k t a , Zwischenr ing 62 ram. )

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Die Knochenmarkstruktur bei Ratten. 201

Unser Hauptinteresse konzentrierte sich auf die Frage, ob den je- weiligen Anstiegen bzw. Wiederanstiegen der Granulozyten im peri- pheren Blur (Abb. 2) bestimmte Verdnderungen am Sinussystem zuzu- ordnen sind. Dies war nun tatsachlich der Fall. Dabei ergab sich die biologisch interessante Feststellung, dab sich mit jedem solchen Granu- lozytenanstieg bzw. -wiederanstieg prinzipiell die gleichen Vorgange wiederholten, obgleich die Bestrahlung ja nut einmalig und vergleichs- weise sehr kurzdauernd gewesen war. Die Auswirkungen auf den Mark- zustand waren dabei je nach dem Stadium, in dem der neue Schub ein- trat, jeweils verschieden.

Z Schub

Sin U s: erwe itert

Sinus/nhalt: ~Entmischunq, Erylhr~ Exsudalion +

\ H.dmorrha.qie +

P~renchym: Odem (+/

\ Zelldissoziation +

Zellen/2• m~ o00

16'000'

12 000

8 000

~00~

_ Perl'phere Granulocyten

2. Schub erwei ter f

I rylen~rklumpung, Exsu~fion+ +

\ H~morrhag/e + + Odem + + Fell +

\

3. Schub erweitert

~/6mol/yse Exsudal/on + + +

I . /'(a'~orrha,ale+ + Odem + + Fe# + + +

I Destruktion

I

7 3 r 6 8 ?0 18 23 3~ SN nach ffKB

Abb. 5. S c h e m a des Ablaufs der K n o c h e n m a r k d e s t r u k t i o n .

Bei einem jeden solchen Schub konnten wir folgende nacheinander ablaufende Phasen mit allen 0bergi~ngen unterscheiden (vgl. Abb. 5): Erweiterung der Sinus mit Blutstagnation und teilweiser Verklumpung der Erythrozyten, Hamolyse in den Sinus, Wandsch~digung mit nach- folgendem Ubertritt des Sinusinhaltes in das Parenchym. Die bereits erw~hnten Unterschiede in den Auswirkungen der grundsatzlich gleich- gearteten, nacheinander ablaufenden Schfibe auf den Markzustand be- ruhen offensichtlich auf einer zunehmenden Schadigung der Sinuswand. W~hrend die Sinuswande im Verlauf der beiden ersten Schiibe noch relativ intakt bleiben und daher der l~bertritt von Sinusinhalt in das Parenchym sich in Grenzen halt, beherrscht mit zunehmender Schadi- gung der Sinuswand bei den spateren Schfiben (18 und 28 Std nach der Bestrahlung) die Exsudation des Sinusinhaltes in das Parenchym weit- gehend das Bild. Infolgedessen sehen wir beim ]. und 2. Schub wegen des relativ guten Erhaltenseins der Sinuswand ]ediglich ein deutliches

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Hervortreten der mehr oder minder stark erweiterteu Sinus. Bei den naehfolgenden Schiiben dagegen treten infolge der Sinuswandsch~digung ausgedehnte H~morrhagien, 5dematSse Durchtr~nkung und Fetteinla- gerung im Parenehym auf (vgl. Abb. 6). Dies fiihrt zu fortsehreitender Zelldissoziation, Zellarmut und endet mit Aufhebung der normalen

Abb. 6. Hochgradig erweiterter Sinus mit Blutaustritt. (Methodik: H~matoxylin-Eosin- F~rbung. Mikrophoto: Ortho1LLx, Leitz ~)limmersion 1/, F1. (54: 1). Periplan-OkTflar 8 ×,

Exakta, Zwischenring 62 ram.)

Markstruktur. Was schliel~lich fibrigbleibt, ist nur ein Triimmerfeld. Wir finden darin neben deutlieh vermehrten Retikulumzellen als Residuen der Markstruktur nur noch Reste des Sinussystems, und zwar vor allem die offenbar starker resistenten Zentralsinus mit anh~ngenden Frag- menten der Sinus reeti. Au•erdem beobachteten wir eine Umwand- lung der das Mark diffus durehtrankenden (~demflfissigkeit in ein feines faser~hnliches Netzwerk, das gewissermaBen ein Ersatzstroma zu bilden scheint, und das sparer im Verlaufe der Zellregeneration wieder verschwin- det. Eine gesehlossene Blutstrombahn besteht in diesem Stadium often- bar night mehr.

]~fir das Ingangkommen der Regeneration der Blutzellen scheint die Wiederherstellung der Sinusstruktur eine unumgangliche Voraussetzung zu sein. Die Sinusregeneration darf daher als das erste Stadium der Re- generation fiberhaupt angesehen werden. Allerdings ist dieser Satz in- sofern mit Vorbehalt auszusprechen, als Anzeichen regressiver und repa- rativer Vorg~nge meist gleiehzeitig erkennbar sind (s. Abb. 7). Anderer-

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Abb. 7. Prall gefiillte, weite Sinus in an Zellen v e r a r m t e m 5dcmatSsem Mark (Metilodik wie Abb. 6). a Sinus, prall gefiillt, b 0 d e m a t S s durchtr~nktes , wci tgehend zcllfreies

Markgewebe.

Abb. 8. W a n d eines Zentrals inus mi t Regenerat ionszone. Uferzellen gewucher t , mchr - schichtig. (Methodik wie Abb. 4). a Regenerat ionszone. b Endothelhyperplas ic .

c Gef t~inhal t .

seits zeigen vergleichende Markuntersuchungen von spontan gestorbenen Versuchstieren, dab die Sinusregeneration Voraussetzung ffir die Zell- regeneration ist. Kein Tier ohne Sinusregeneration fiberlebte die Be- strahlungsfolgen.

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Die Neubildung der Blutzellen und ihrer Vorstufen geht ausschlie$1ich yon den SinuswKnden aus. Je nach der Lokalisation der Zellherde an den Kapillarsinus und an den Zentralsinus k5nnen wir bier 2 stets gleich- zeitig nebeneinander vorkommende Typen unterscheiden: 1. In den Zonen der kapillaren Sinus beobachten wir zuniichst ein ausgepr/~gt herd- fSrmiges Auftreten yon Blutzellvorstufen. 2. An den weiten Zentralsinus sehen wir eine gleichm/ii3ige Einscheidnng der Wand dutch eine mehr oder weniger breite Zone neugebildeter Zellen. t i ler lassen sich die ein- zelnen Stadien der Neubildung yon Blutzellen und ihrer Vorstufen besonders gut verfolgen. Der Regenerationsprozel] wird dabei eingeleitet durch eine Wucherun~ der normalerweise nur in einer Schicht angeord- neten Uferzellen (vgl. Abb. 8). I m ersten Beginn der Regeneration sehen wir also die Zentralsinus umgeben yon in mehreren Schichten ange- ordneten uferst/s Retikulumzellen. Die Blutzellregeneration ver- vollst/indigt sich im weiteren Verlaufe durch Konfluieren der verstreuten Zellregenerationsbezirke. Unter unseren Versuchsbedingungen war die Regeneration nach 21 Tagen wieder so weit vorgeschritten, dab - -wenig- stens oberfl/~chlich gesehen - - der Status einer restitutio ad integrum erreieht zu sein schien.

Zusammenfassung. 1. Einzeldosis-Ganzk5rperbestrahlungen yon Rat ten mit subletalen

Dosen schneller Elektronen bewirkten am Knochenmark strukturelle Ver/~nderungen, welche die funktionelle Bedeutung einzelner Mark- abschnitte deutlich machten und somit auch bessere Rfickschlfisse auf die normale Markstruktur erlaubten.

2. An den Sinus werden zwei Hauptabschni t te unterschieden: weite Zentralsinus und kapillare Sinus. Letztere kSnnen je nach ihrem Verlauf unterteilt werden in Sinus recti und Sinus contorti.

3. Neben den Einwirkungen auf die Einzelzelle (mitosehemmende und pyknonekrotische Wirkung) rufen Einzeldosis-Ganzk5rperbestrah- lungen rhythmisch in Schiiben ablau/ende Zirkulationsst6rungen in den Sinus hervor.

4. Bei den ersten Schfiben steht die Erweiterung der Sinus im Vorder- grund. Bei den sp/~teren Schfiben kommt es aul~erdem infolge zunehmen- der Wandsch/~digung zu einer Exsudation des Sinusinhaltes in das Parenchym. Dies ffihrt zu H/~morrhagien, 0dem und Fetteinlagerung mit nachfolgender Zelldissoziation, ZellzerstSrung und Aufhebung der Markstruktur.

5. Die Neubildung yon Blutzellen geht yon der Sinuswand aus. Voraussetzung ffir die Blutzellregeneration ist dieWiederherstellung der Sinusstruktur.

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Die Knochenmarks t ruk tur bei Rat ten. 205

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Prof. Dr. RUDOLF S T O D T M E I S T E R , Pforzheim, Sti~dt. Krankenhaus , Innere Abteilung.