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Die Säuglingsotitis und ihre Komplikationen

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Page 1: Die Säuglingsotitis und ihre Komplikationen

(Aus der Un ive r s i t~ t s -K inde rk l i n ik Graz [Vor s t and Prof. A. Reu[3].)

Die S~tuglingsotitis und ihre Komplikationen.

V o n

Dr. M. KraBnig.

(Eingegangen am 15. November 1931.)

Zwei Umstimde s ind es vor allem, die die Sonderstellung der Si~uglingsotitis rechtfertigen:

]. Die anatomischen Eigentfimliehkeiten des S/~uglingsohres, die hinl/~nglich aus der Feder berufener Autoren bekannt sind.

2. Die vom Krankheitsbild der Erwachsenen abweiehenden Verlaufs- eigentfimlichkeiten, die jedoch nur zum Teil aus der anatomischen Eigenart erkl/~rt werden kSnnen.

Zum Punkte 2, der Eigenart des klinisehen Verlaufes also, will ich einen Beitrag liefern, weil ich reich immer wieder davon fiberzeugen mul3te, dal3 auch bei berufenen Gew/~hrsm/~nnern in diesen Fragen nach unserer Ansicht unriehtige Vorstellungen bestehen, die offenbar darin ihren Grund haben, dal~ an die Beantwortung dieser Fragen entweder Otologen oder Pi~diater herangetreten sind. Bei der Eigenart des kranken Kleinkindes und bei der Tatsache, dab nur ausnahmsweise die akute Erkrankung des Mittelohres als selbst/mdige Affektion auftritt, ist jedoch ein enges Zusammenarbeiten zwischen Kinder- und Ohrenarzt nicht zu umgehen.

P/~diater, die die Parazentese sozusagen grunds/~tzlich als fiberflfissig ablehnen, und es gibt deren auch heute noch namhafte, sind ebenso- wenig wie Otologen, die jeden Dyspeptiker, der gleichzeitig eine Otitis hat, aufmeil3eln mSchten, dazu berufen, in diesen Fragen mitzureden.

Nach meinem Einblick in die Literatur hat am besten G6ppert, der sich als hervorragender Kinderarzt die otologische Teehnik vollst/~ndig angeeignet hat, die einschl/~gigen Belange der S/~uglingsotitis beurteilt und beschrieben.

Ich selbst bin seit 9 Jahren als Ohrenarzt an der Grazer Kinder- klinik ti~tig und habe reich in engster Zusammenarbeit mit den ~rzten der Klinik fiber die strittigen Punkte der Si~uglingsotitis zu unter- richten versucht; ohren/~rztlich untersucht und ffir die folgende Abhand- lung verwertet wurden 920 Kleinkinder. Die meisten yon diesen wurden mehrmals angesehen und j edesmal mit dem behandelnden Kinderarzt

Archiv f. Ohren-, ~asen- u. li:ehlkopfheilkunde. Bd. 130. 23

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336 M. Kr~Snig:

die Frage er6rtert, wieweit die innere Erkrankung und wieweit die Ver~nderungen im Ohre im Krankheitsbilde eine Rolle spielen.

Von diesen 920 kamen 52 zur Sektion und es versteht sich yon selbst, dab in erster Linie die Sektionsbefunde (die meisten waren allerdings nur makroskopisch) fiir die Beantwortung unseres Themas herangezogen wurden.

Um uns nieht in Weitlgufigkeiten zu verlieren, werden wit die Aus- fiihrungen an der Hand unseres Beobachtungsmaterials um folgende Fragen gruppieren:

1. Die Otitis latens, 2. Otitis und Dyspepsie, 3. Otitis und Mastoiditis, 4. die endokraniellen Komplikationen (Meningitis und Sinusthrombose).

1. Die Otitis latens. ]~ber diese haben wir vor 3 Jahren einen Beitrag geliefert (Arch. f. Hals- usw. Heilk.) und ich kann auch nach meinen heutigen Erfahrungen die damaligen Beobachtungen vollauf bestgtigen. Gustav Alexander befaBt sich in einem Aufsatz in der Monatsschrift fiir Olu'enheilkunde (1931/IV) neuerdings auch mit der Otitis latens und weist darauf hin, dab er unter diesem Zustande eine g~nzlich symptomlose Entziindung des Mittelohres versteht, die weder Schmerz, noch Fieber noeh lekale Ver~nderungen am Trommelfell hervorbringt, mithin nut auf dem Sektionstisch diagnos~iziert werden kann.

Dal3 es solche Otitiden beim S~ugling gibt, ist auger ]?rage, nur m6chte ich neuerlich betonen, ohne kleinlich erscheinen zu wollen, da~ ich eine solche Fassung der Otitis latens ffir unrichtig finde. Die latente Otitis ist ein klinisches Krankheitsbfld und hat als solches nur dann seine Berechtigung, wenn es bei Lebzeiten erkannt werden kann; dem- entsprechend halte ich es ffir richtig, nut dann von latenter Otitis zu reden, wenn weder Fieber noch Schmerz eine solche vermuten lassen, die otologisehe Untersuchung hingegen ein krankes Trommelfell zeigt: Der Hammer ist in seinen Teilen nicht zu erkennen, das Trommelfell ist verdickt, oft auch im oberen oder hinteren Quadranten vorgewSlbt, die Farbe ist meist graurot oder nm" grau, weil die starke Epidermis- verdickung keine Gef~13injektion erkennen l~{3t.

Auch weist Alexander darauf hin, dal3 er die Latenz der Mittelohr- entziindung haupts~chlich bei Mittelohrtuberkulose und bei hereditar syphilitisehen Kindern beobachtet hat; auch hier mSchte ich wider- sprechen; wir haben wiederholt bei Kindern, die noch 24 Stunden a. m. ein normales Trommelfell gezeigt haben, in sectione schleimig-eitrigen, entziindlichen Paukenh5hleninhalt festgestellt, mithin oft genug auch bei nicht tuberkulSsen und nicht syphilitischen Kindern, es waren meistens schwer darmgestSrte Kinder, eine Latenz im Sinne Alexanders beob- achtet.

Wir sind gewohnt, eitrige Infekte beziiglich ihrer Virulenz nach den begleitenden allgemeinen Symptomen (Fieber, Schmerz, Pulsfrequenz) einerseits und nach den lokalen Reaktionen andererseits (Schwellung,

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I~Stung usw.) zu beurteilen. Von dieser Erfahrungstatsache gibt es kaum eine Ausnahme. Dies vorausgeschickt, drangt sich yon selbst die Frage auf, kann ein ProzeB v o n d e r Art der latenten Otitis, so wie ich ihn eben beschrieben habe oder gar in der noch milderen Form, wie ihn Alexander versteht, den kindlichen Organismus in seinem Allgemein- befinden wesentlich beeinflussen? Zu dieser Frage werden wir uns im folgenden auBern, wobei noch vorausgeschickt sei, dab nicht jede der zur Beobachtung herangezogenen Otitiden eine absolute Latenz gezeigt hat.

Otitis and Dyspepsie. Seitdem man die Tatsache kennt, d a b bei dyspeptischen oder all-

gemeiner gesagt, bei ernahrungsgestSrten Sauglingen fiberhaupt sehr oft bei der Sektion schleimig-eitriges Exsudat in der PaukenhShle gefunden wird, hat man begreiflicherweise daran gedacht, dab zwischen diesen krankhaften Ohrbefunden und der Ernahrungsst6rung mit ihrem schweren Ausgang ein ursachlicher Zusammenhang bestehen mfiBte trod fand dies um so begreiflicher, als bekanntlich bei diesen Kinderleichen andere pathologische Veranderungen an den inneren Organen kaum geIunden werden. Ob jedoch die Dyspepsie die Folge der Otitis, also eine sogenannte ,,parenterale" Ernahrungsst6rung, oder umgekehr% wie ich glaube, die Otitis die Folge der Dyspepsie ist, kann der Leichen- befund an sich nie lehren, immer ist zur Beantwortung dieser Frage der vorherige klinische Verlauf unumganglich notwendig und dieser klinische Verlauf hat mich bei gut 50 Sauglingen, yon denen auch auszugsweise 2--3 Krankengeschichten hier wiedergegeben werden sollen, eindeutig dahin belehrt, dab die Otitis die Folge der DarmstSrung und der damit verbundenen herabgesetzten Widerstandskraft des Kindes ist.

Der Saugling wird wegen irgendwelcher VerdauungsstSrungen, die erst seit kurzer Zeit bestehen, in die Klinik eingewiesen. Das Trommelfell ist bei der Aufnahme normal. Lassen sich nun die VerdauungsstSrungen bei richtiger Ernahrung in kurzer Zeit beheben, so bleiben die Ohren gesund, dauert die ErnahrungsstSrung aber langer (Wochen bis Mona~e), so zeig~ die regelmaBig durchgefiihrte Trommelfelluntersuchung sehr oft das aUmahliche Auftreten eines Exsudates im Mittelohr an. Diese Otitis ist nun wohl in der Mehrzahl der Falle auch yon geringen klinischen Symptomen begleitet (geringe Temperatur, vielleicht gestSrter Schlaf usw.), in sehr vielen Fallen abet kann das Exsudat im Mittelohr ohne jede Veranderung im Krankheitsbilde hinzutreten. ]?arazentesiert man nun ein solches Ohr; so trier manchmM ein sparlicher AusfluB ein, hie wird er s~ark, die Sekretion versieg~ leicht wieder, parazentesiert man neuerlich, so kann sich das gleiche Spiel wiederholen, nie aber t r i t t dutch die Behandlung des Ohres eine Wendung im gesamten Krankheits- verlauf ein, mit anderen Worten: Es sind alle Zeichen da/iir vorhanden,

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daft die Otitis keine irgendwie virulente ist ; erst in dem Mal3e, als das Kind allm~hlich wieder zur normalen Darmfunktion zuriickkehrt, pflegt auch die OhrenMfektion auszuheilen.

Wer die zeitliche Aufeinanderfolge yon Dyspepsie und Otitis nicht genau beobachtet, wet nur sieht, wie die Ern~hrungsstSrung schwindet im demselben Ma•e als die Otitis sich eben auch bessert, wer sich allenfalls noch vor Augen h~lt, dab selbst bei den kliniseh ohrgesunden S~uglingen oft auf dem Leichentisch noch Mittelohrentziindungen aulgedeekt werden, der mag begrefflicherweise zu Fehlschlfissen kommen und Ursache und Wirkung miteinander verwechseln, aber eine solche Auf- fassung widerspr~che, wie gesagt, der klaren, immer wieder zu beob- achtenden Tatsache, dai~ zue r s t die Erni~hrungsst6rung da ist und hinterher ohne deutliche Verschlimmerung des Krankheitszustandes die Vers am Trommelfell auftreten: Der dureh die Ern~hrungs- stSrung allmi~hlich geschwi~chte kindliche Organismus kann sehlieBlich die Anreicherung des sehon vorhandenen Infektionsmaterials nicht mehr aufhalten und es entsteht eine Otitis yon meist ganz geringer Virulenz.

Aber auch Erw~tgungen theoretischer Natur ffihren zu dem SchlusSe, dal~ die Dyspepsie nieht die Folge der Otitis sein kann. Wenn man sich eine S~uglingsbronchitis vorstellt und weir, daI3 ein Kind das aus- gehustete Sekret gr613tenteils wieder schluekt, so wiirde man allenfalls bei den verhi~ltnismi~ig groflen Sekretmengen, um die es sieh hier handelt, an die M6glichkeit dyspeptischer Folgezusti~nde denken k6nnen und doeh spielen solche Zusammenh~nge in Wirklichkeit kaum eine besondere Rolle.

Bei den ganz geringen Sekretmengen aber, wie sie eine avirulente S~uglingsotitis liefert, ist an einen solchen Zusammenhang gar nicht zu denken, haben wir doch gerade davon gesprochen, wie wenig Sekret durch eine parazentesierte Trommelfell6ffnung sich zu entleeren pflegt, und dab durch die Tube mehr Sekret abgehen sollte, ist ja naeh dem Gesagten kaum anzunehmen.

Aus solchen ~berlegungen heraus hat es auch keinen Zweck bei einem Dyspeptiker, wenn er gleichzeitig seit mehreren Wochen ein fliel3endes Ohr hat, das Antrum zu 6ffnen, wenn nicht deutliche Zeichen daffir vorhanden sind, dab der Ohrprozel~ in die Umgebung iibergreift: Knoehenschwellung, Drtisenschwellnng, rein eitriges Ohrsekret, Fieber, Schmerzen usw., was in seltenen F~,llen einmal vorkommen kann; denn in den unkomplizierten Fhllen finder man nur einen erbsengro~en Hohlraum mit aufgeloekerter Schleimhaut, dessen Sekret sieh spielend auf dem natfirlichen Abflul~weg entleeren kann; was soll es da viel fruchten noch eine 3. 0ffnung durch Operation anzulegen, wenn keinerlei Sekretverhaltung besteht, wenn kein kranker Knoehen zu entfernen ist ?

Es soll damit nattirlich nicht geleugnet werden, dal~ auch ein dys- peptiseher S~ugling unter Umstiinden eine virulente Otitis bekommen

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kann, es versteht sich dann von selbst, dal~ in einem solchen Falle nach den typischen chirurgischen Regeln gehandelt werden muB.

Krankengeschichten von 0titiden im Verlaufe von Darmstiirungen.

Nr. 1. Isenburg Leopoldine, 8 Tage alt, wird kiinstlich ern~hrt und leidet an dyspeptischen Beschwerden. Die Trommelfelle sind bei der Aufnahme gesund, nach einem Monat tritt rechts eine Otitis auf, die Temperaturen sind v o r u n d nach diesem Zeitpunkte ziemlich gleich 36,5--37,8, nur ab und zu eine Zacke bis 38,5. ])as Trommelfell wird parazentesiert, es stellt sich durch einen Monat ein m~liiger OhrfluB rechts ein, allm~hlich bessert sich die Vcrdauungsst6rung, das K6rpergewicht steigt an, die Ohrsekretion versiegt.

Epikrise: Erst nach 6 Wochen, wghrend welcher das Kind die ganze Zeit schlecht gedeiht, geringe Temperaturerh6hung zeigt, stellt sich eine einseitige Otitis ein, die Parazentese, die darauffolgende Sekretion i~ndert offensichtlich im Krankheitsverlauf nichts.

Nr. 2. Lessnik Erich, 10 Monate alt, das Kind wird wegen schlechten Ge- deihens und groBer Bl~sse (kfinstlich ern~hrt) der Klinik iibergeben: Subfebrile Temperaturen, VerdauungsstSrungen, Erbrechen, Ohren anfangs normal. Nach- dem dieser Zustand 10 Tage gedauert hat, kommt es pl6tzlich zu hohem Fieber (39,6), Trommelfell o.B. Nach weiteren 10 Tagen, wghrend welcher Zeit meist das hohe Fieber anh~lt, erkrankt das linke Ohr und wird parazentesiert; das Fieber bleibt welter hoch, die Sekretion ist gering; nach 5 Tagen tritt wieder ein sub- febriler Zustand ein, das Ohr flieBt welter, nicht starker, nicht schwgcher wie friiher; erst nach weiteren 14 Tagen beginnt allm~hlich der F~rbeindex und Erythro- zytcnbefund sich zu bessern, das Kind nimmt zu, schliei~lich versiegt auch die Ohreiterung.

Nr. 3. Lessnik Walter, Zwilling des obigen, Anamnese wie oben, 14 Tage nach der Aufnahme wird unter allm~hlicher Verdickung und Schwellung des Trommel- felles beiderseits parazentesiert, die Temperatur vorher und nachher subfebril, erst 3 Wochen nach der Parazentese allm~hliches Ansteigen des Gewichtes und gleichzeitiges Versiegen der Eiterung.

Epikrise: ZwiUinge, die seit der kiinstlichen Ern~hrung schlecht gedeihen, leicht erbrechen und sehr blab sind, erkranken etwa 14 Tage nach der Spitals- aufnahme an ihren Ohren, die Schwellungszunahme am Trommelfell vollzieht sich allm~hlich in mehreren Tagen, die Parazentese bringt nut geringe schleimig- eitrige Sekretion, das Gesamtbefinden ~ndert sich erst nach Wochen, offensichtlich durch die richtige Ern~hrung.

D i e S i tug l ingsmas to id i t i s .

Es soll in diesem Zusammenhange hier nicht yon der typischen, hinl~nglich bekannten S~uglingsmastoiditis die Rede sein, die sich oft genug ziemlich rasch h in ten oben yore Ohrmuschelansatz un te r schweren klinischen Beglei tsymptomen entwickelt und d a n n in der Regel auch chirurgisch zu erledigen ist, wiewohl sie ab u n d zu t rotz ausgesprochener Schwellung auch noch spontan zurfickgeht, sondern es sei hier die Frage aufgeworfen: Gibt es beim Kleinkinde eine Art [atente Mastoiditis, die bei m~giger oder sogar fehlender Sekretion vorhanden ist und die t rotz des Fehlens lokaler Symptome den Organismus sch~digt und ihn im ganzen krank macht , also vielleicht dyspeptische Zust/~nde hervor-

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bringt, wie wit sie eben beschrieben haben ? Diese F r a g e mtissen wit verneinen. Wie hi~ufig und bedeutungsvoll unter Umst/~nden die schlei- ehenden Mastoiditiden Erwachsener und ~lterer Kinder sein kSnnen (Mueosusotitis), so wenig haben wir sie beim S/~ugling beobachtet oder kSnnen wir ihr Vorhandensein annehmen: Das Antrum des Siiuglings liegt so oberfliichlich, ist oft genug auch nur bindegewebig gegen das subkutane Zellgewebe abgeschlossen, dab entziindliche Vorg/~nge mit Sehwellung, Knoehenerkrankung unbedingt auch zur oberfl/~ehlichen Schwellung fiihren miiSten. Das System. der Knochenzellen, die erst die Mastoiditis im Sinne des Erwaehsenen mSglich machen, fehlt bekannt- lich bis zum Ende des 2. Lebensjahres so" gut wie ganz; geht also der entziindliche ProzeI3 wie gewShnlich naeh auflen, so muB man ihn sehen und ffihlen kSnnen, ginge er nach innen, so miiSte er zu schwersten endokraniellen StSrungen ftihren, yon denen weiter unten noch die l%ede sein soil; fehlen Anzeiehen ffir beide Ausbreitungswege, so ist die Otitis eben nieht virulent und ein operativer Behandlungsversueh wertlos und verfehlt.

Die endokraniellen Verwicklungen und die Sektionsbefunde. Ich erinnere daran, dab von 920 ohrkranken Kindern 52 zur Sektion

gekommen sind. Klinischer Verlanf und Diagnose des Pathologen waren besonders, was die Rolle der gleichzeitig vorhandenen Ohraffektion anlangt, keineswegs in allen F~llen gut in Einklang zu bringen. Diese Unstimmigkeiten kritisch zu beleuchten und die verh/iltnism~l~ige Selten- heir otogener endokranieller Komplikationen klar zn legen, soll nun im folgenden versucht werden. Die Diagnose des Obduzenten lautet in unseren 52 F/~llen:

1. Pneumonie 40 F~lle, 2. Meningitis 5 F~lle (2 eitrige, 2 tuberkut6se, 1 epidemica), 3. Sinusthrombose (neben anderen Veriinderungen) 3 Fglle, 2 mit eitriger Otitis, 1 ohne Otitis, 4. Sepsis, Tuberkulose, Paedatrophie usw. 7 F~lle.

Nach dem Zweeke der vorst~henden Arbeit wird es also nur darauf ankommen, die F~lle yon Meningitis und Sinusthrombose beziiglich ihres otogenen Ursprunges genauer zu an~lysierem Von den 5 Meningitis- f~llen bleiben demnach nur die eitrigen 2 iibrig, yon den Sinusthrombosen ebenfalls nur 2, weft der 3. iiberhaupt keine Ohraffektion in sectione zeigte.

Sinusthrombose. Wippel: 8. 1. mit hohem Fieber und einseitigem pneumonischen Befund ein-

geliefert. 9. 1. Otologisch: Links Spontandurchbruch. Rechtes Trommelfell matt, eine

Spur Injektion. 9.--16. 1. Schwerster pneumonischer Zustand, Fieber zwischen 40,5 und 39,5. 0 17.--21.1. Afebril, etwas besser.

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18. 1. Beiderseits geringe schleimige OtorrhSe. 22. I. ~qeuerdings 39,8 ~ 26. 1. Exitus.

Obduktion: Schwerste konfluierende Pneumonie mit AbszeSbildung, Otitis media bilateralis, Thrombose im rechten Sinus sigmoideus bis in die Jugularis reichend.

Epikrise: Schwere letal verlaufende Pneumonie mit einer beider- seitigen begleitenden Otitis, wie das so h~ufig ist. Die Obduktion deckt eine kliniseh symptomlose Thrombose im Sinus sig. auf. Da einerseits eine Sinusthrombose in sectione im Verlaufe einer sehweren Infektion recht h~ufig ist, da andererseits ein rein schleimiger Ohrflu• yon geringer Menge besteht, der Knochen nirgends angegriffen erscheint, so daft man wohl eine otogene Jktiologie als ganz unwahrscheinlich hinstellen.

Kogler Hermine, 10 Monate. Sinusthrombose. 12.12.29 aufgenommen, schwer krank, l~hachitis, Cystitis, Fieber. 24. 1. Wegen Verschlechterung im Befinden auch Ohruntersuchung. Beide

Trommelfelle normal. 30. 1. Rechts beginnende Schwellung, links normal. 1.2. Zunehmende Schwellung rechts, linlcs o. B. 4. 2. Rechts Parazentese, geringe Sekretion, links o.B. 8.2. Rechts schleimige Sekretion, maBig, links o.B. 14.2. Sektionsbefund:

Nierenabszel~, septiseher Lungeninfarkt, Pleuritis, Thrombophlebitis mehrerer Hirnblutleiter, Stauungsblutung im Stirn- und t t interhaupt- lappen, Otitis media bil.

Epikrise: Schwer krankes Kind mit hohem Fieber, Pyurie, bekommt nach 1 Monat allmi~hlich eine Ohrerkrankung rechts yon klinisch geringer Virulenz, links 0.

Bei der Sektion linden sieh Thrombosen in allen Sinus, am st~rksten im Sinus longitudinalis, beiderseits eitrige Otitis. Der Obduzent kSnnte nun vielleieht nach dem makroskopischen Befunde die Otitis media und die Sinusthrombose in urs~chlichen Zusammenhang bringen, naeh dem klinisehen Verlauf ist dies aber ganz unwahrscheinlieh, da das Kind schon woehenlang schwer krank war und noeh normale Trommelfelle zeigte.

Die Sepsis mul~ demnach vielleicht eher als die Folge der eitrigen Erkrankung des uropoetischen Systems aufgefal~t werden, denn als Folge der Otitis, die erst auftritt, als das Kind schon i~ul~erst schwer erkrankt war; therapeutisch natfirlich nicht angrifflich.

Die Meningitisfitlle. 1. Schneider Sophie, 61/2 Monate, Einlieferung mit fieberhaftem Darmkatarrh

am 24. 9. 15. 10. Panaritium osseum und Furunkulose. 25.10. Beim sch0n gebesserten Kind neuerlioh 39,50 Fieber.

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31.10. Fneumonische Lungenver/~nderung. 7. ll. Rechtes Trommelfell hinten etwas geschwollen, rot , vorne noch ein-

gezogen, kurzer Fortsatz geschwollen. 9. 11. Linkes Trommelfell normal. 10. 11. Extraktion der Endphalange. ]4, ll, Unter zunehmender Schw~che und steigendem Fieber Exitus.

Sektionsbefund : Otitis media bilat. Meningitis purulenta, Konvexit~t links und Basis beiderseits, Broncbopneumonie beiderseits, die Meningen sind fiber beiden Felsenbeinen entziindet, in der Pauke beiderseits grau: weise, fadenziehende Flfissigkeit.

Epikrise: Die Obduzenten stellen als letzte Todesursaehe eitrige Meningitis fest mit wahrseheinlich otogenem Ansgang (linkes Ohr). Ich selbst wfirde auch in diesem Falle otogenen Ursprung keineswegs als wahrscheinlich hinstellen und begrfinde dies: 1. Pneumonische Herde sind bereits 14 Tage a .m . nachweisbar schon im Beginn mit hohem Fieber. 2, Noch am 9. 11. (5 Tage a. m.), zu einer Zeit als das Kind bereits schwer krank ist, finde ich links (zweimalige Untersuchung) ein normales Trommelfell. 3. Die Sektion zeigt links mehr als rechts gleiche Ohrbefunde und gleiche l%Stung der Meningen fiber beiden Felsenbeinen, hiedureh ist otogener Ursprung fiir den Obduzenten allerdings sehr naheliegend, aber begreiflicherweise durch den makro- skopischen Befund allein keineswegs gesiehert. Demgegeniiber zeigt der klinische Verlauf schon 14 Tage a. ex. pneumonische Herde mit hohem Fieber bei noch gesunden Ohren, der Beginn der Meningitis ist aus dem klinischen Verlauf bei dem schon vordem schweren Zustands- bild keineswegs ersichtlieh.

Bei den bekannt engen Beziehnngen zwischen Meningen und Pneu- monie kann ich reich nun auch in diesem FaIle nicht der 13berzeugung anschlieBen, dab die Meningitis otogen war, sie ist viel eher pulmonal bedingt gewesen.

Ganz/~hnlich dem Krankheitsverlauf und Ausgang ist der n/~chste Fall. Fischer Felix, 8 Monate. 13. 12. Eingeliefert mit einer Pleuropneumonie schwerster Form, Ohren gesund. 20. 12. Linkes Trommelfelh Kurzer Fortsatz frei, hinten unten etwas ger6tet.

Rechts Schwellung der hinteren Hi~lfte, Parazentese, Eiter ohne Druek. 30. 12. Ohne Xnderung in dem sehweren Krankheitsbild, Exitus.

Sektionsbefund: Schwere eitrige Konvexit/~ts- Meningitis, Ohren kaum etwas Schleim. Lungen: Schwere eitrige fibrinSse Pleuritis neben Pneumonie.

Dieser Fall ist deshalb ffir reich so lehrreich, well er dem andern sehr ~hnlich ist und nur deshalb, well die Meningen vorwiegend in der Kon- vexitiit und die Mittelohren im mi~i~igen Ausmai~e erkrankt sind, denkt der Obduzent nicht an eine otogene )ktiologie der Meningitis.

Zusammenfassung yon den 4 eben genau besprochenen Fallen. Es kSnnte also nur der Fall Schneider als otogen bedingt angesehen werden,

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doch glaube ich dargetan zu haben, dab man nur bei einseitiger l~ber- wertung des Sektionsbefundes zu dieser Annahme kommen kann.

Die Sektionsbefunde lehren uns: 1. Die sehr wichtige Tatsache, dal~ in einem ziemlich hohen Prozent-

satze (in unserem Materiale (2 ~- 30/0) bei kIinisch noch knapp vor dem Tode normalen TrommelfeUen exsudative Vorg~nge in der PaukenhShle bei der Sektion aufgedeckt werden, vorausgesetzt, dab es sich um schwer kranke Kinder handelt.

2. Unsere jahrelangen Beobachtungen bests uns in der AuL fassung, dai~ diese bei der Sektion aufgedeckten Otitiden nach klinischer Latenz auch tats~chlich yon geringer pathogener Bedeutung sind.

3. Der Obduzent kann ohne Beachtung des klinischen Verlaufes nicht immer (zu mindestens makroskopisch) feststellen, ob die vorgefundene Meningitis oder Sinusthrombose otogenen Ursprunges ist, sehr hi~ufig sind diese auch die Folge pneumonischer Herde oder allgemeiner Sepsis und Toxinwirkung.

4. Wir diirfen bei der Frage, ob eine vorgefundene endokranielle Komplikation otogen entstanden ist, nie vergessen, dal~ 800/0 und mehr aller sezierten S~uglinge kranke Mittelohren zeigen und schon deshalb eine Koexistenz yon Otitis und zuf~lligen Hirnhautver/~nderungen usw. sehr h~ufig sein mul~.

Wir kSnnen nicht annehmen, dal~ Entzfindungsvorgs yon so geringer Virulenz, dal~ sie weder Schmerz, noch Fieber, noch Schwellung (wenigstens nicht an der AuBenfl~che des Trommelfelles sichtbar) hervor- bringen, hinreichen, um die oben erwiihnten lebensgef~hrlichen Kom- plikationen an der Hirnhaut und im Sinus zu erzeugen. Es wi~re nur denkbar, dai~ es sich urn einen Einbruch in die Blutgef~i3bahn handelt, abet auch gegen diese MSglichkeit spricht jede ruhige Uberlegung, denn 1. werden wir einen solchen Gefs nicht just yon einer blanden latenten Otitis ausgehend annehmen, wenn daneben z .B. schwere pneumonische Vorg~nge vorhanden sind; 2. mfil~te auch hier wie in allen anderen F~llen yon kryptogenetischer Sepsis der Einbruch in die Blutbahn klinisch durch Fieberanstieg und durch zunehmende Ver- schlimmerung im Allgemeinbefinden klar gekennzeichnet sein, wovon wieder in unseren F/~llen nicht die Rede war.

Zusammenfassend stelle ich mithin lest, dal~ in dem Vorstehenden Material die otogenen endokraniellen Komplikationen (Meningitis und Sinusthrombose) entsprechend dem einfachen Bau der Ohrenneben- ri~ume sehr selten waren. Die akute Otitis des Kleinkindes ist nicht so gefi~hrlich wie man nach den Lehrbfichern der Otologie annehmen mSchte, sie ist aber auch nicht so bedeutungslos wie man es in mancher Kinderheilkunde zu lesen finder. Da die Otitis der kleinen Kinder meist nur eine Teilerscheinung eines im ganzen erkrankten Organismuses ist, da die M6glichkeit der Funktionspriifung wegf~llt, ist die Beurteilung

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der Ohrerkrankung sehr viel schwieriger als bei Erwachsenen; bei diagnostisch schwereren F~llen und unldarem Trommelfellbefund, wie er sich auch dem geiibten Untersucher beim S~iugling immer wieder bietet, verdient die diagnostische Parazentese als g~nzlich ungef~thrlicher Eingriff einen brei~eren R a u m ; t r i t t auf die Parazentese hin keine Sekretion auf oder ist der Sekretdruck so gering, dall der Ausflull nach kurzer Zeit wieder versieg~, so wird man, w e n n alle anderen lokalen Symptome fehlen (keine Driisenschwellung, keine Beinhautentzfindung, keine GehSrgangsver~inderungen vorhanden sind), der Otitis eine erns~e Rolle im Krankheitsbilde absprechen diir/en.

Literatur. Bei der Abfassung der vorstehenden Abhandlung nahm ich die Arbeiten iiber

S/~uglingsotitis yon Gomperz: M. O. E. im Kindesalter, 1906; Goeppert: Erkran- kungen der Nase, Rachen und des Ohres im Kindesalter, 1904; G. Alexander: Ohrkrankheiten im Kindesalter, 1927; M. Meyer: Ohrkrankheiten des Kindes, 1930 einerseits, die modernen Lehrbiicher der Kinderheilkunde (E. Feet, 1922, Finkelstein u.a.m.) andererseits als Grundlage unseres heutigen Wissens fiber diesen Gegenst~nd an.

Die zahlreichen Abhandlungen zu diesem Thema aus den letzten 20 Jahren wurden gr6Btenteils, die fiber Dyspepsie und Otitis fast vollz~ihlig zur Kenntnis genommen. Auf diese einzeln einzugehen, war nicht die Absicht des obigen Auf- satzes.