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Die Swissness der Knorrli und andere helvetische Eigenheiten Welt ohne Armut bleibt ein Traum Christophe Keckeis: «Dienen und verschwinden»? Diego Mathier wurde Winzer des Jahres 2007 Soll das Volk den Bundesrat wählen? In Lausanne steht das «Haus der Athleten» Euro 08: Städte im Ausnahmezustand DIE ZEITSCHRIFT FÜR AUSLANDSCHWEIZER AUGUST 2008 / NR. 4

DIE ZEITSCHRIFT FÜR AUSLANDSCHWEIZER AUGUST 2008 / NR. 4 · Wetter und Temperatur usw. In Teil III folgen noch ein Kapitel zum In Teil III folgen noch ein Kapitel zum Schweizer Slang,

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Die Swissness

der Knorrli und andere helvetische Eigenheiten

Welt ohne Armut bleibt ein Traum

Christophe Keckeis:«Dienen und verschwinden»?

Diego Mathier wurdeWinzer des Jahres 2007

Soll das Volk den Bundesrat wählen?

In Lausanne steht das«Haus der Athleten»

Euro 08: Städte imAusnahmezustand

D I E Z E I T S C H R I F T F Ü R A U S L A N D S C H W E I Z E R

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W eit über 100 000 holländische Fussballfans besuchten Bern und Basel während der Fussball-Europameisterschaft und tauchten die beiden Städte in die Farbe Orange. Wer dabei war, wird noch lange von dieser friedlichen Invasion im Zei-

chen des Fussballs erzählen. Es drängten sich so viele, in orange T-Shirts gekleidete Men-schen durch die Strassen und Gassen, dass die öffentlichen Verkehrsmittel in den beiden Städten den Betrieb teilweise einstellen mussten: Wohin das Auge reichte, standen Men-schen, welche die Nationalfarben Hollands trugen und sich als Fans ihrer Fussballnatio-nalmannschaft zu erkennen gaben.

In Basel wurden allein vor, während und nach dem Spiel Holland–Russland 500 000 Liter Bier getrunken. Die Stadtreinigung musste nach dem Wegzug der 150 000 bis 180 000 Holländer und der 10 000 Russen 40 Tonnen Müll entsorgen. 800 Personen wur-den medizinisch versorgt und 65 mussten in Spitalpflege gebracht werden. 50 Delinquen-ten wurden von der Basler Polizei verhaftet. Alles in Allem waren sowohl die Veranstal-ter als auch die Sicherheitsleute sehr zufrieden nach dem Fussballfest, das die halbe Stadt in Beschlag genommen und in einen Ausnahmezustand versetzt hatte.

Im Vorfeld des grössten Sportanlasses, der je in der Schweiz stattgefunden hat, be-rechneten die Veranstalter, dass die Euro 08 der Schweiz 1,5 Milliarden an Einnahmen bringen werde. Diese Aussichten liess vielen Geschäftsleuten das Wasser im Mund zu-sammenlaufen. Doch da zu Beginn der Europameisterschaft das Wetter nicht mitspielte und sich allgemein weniger Menschen in den zahlreichen Fanzonen aufhielten, blieben viele Standbetreiber, die in Zürich beispielsweise 15 000 Franken Platzgebühr bezahlen mussten, auf ihren Würsten und den vollen Bierharassen sitzen.

Viel Unmut lösten in der Bevölkerung auch die Forderungen der UEFA aus, die von den Behörden alle erfüllt werden mussten. So wurden selbst denkmalgeschützte Bauten zu Werbeträgern von Sponsoren, die Wirte in den Fanzonen wurden zum Verkauf von Carlsberg-Bier verknurrt, und sogar Tenuevorschriften mussten eingehalten werden: In

den Fanzonen wurden nur T-Shirts mit Werbeaufdrucken von Sponsoren geduldet. Wer ein Heineken-Shirt trug, hatte sich um-zuziehen… Zudem musste sich die Bevölkerung während Wochen auf dem Gang durch die Städte zwischen Verkaufsständen, mobi-len Toiletten und Tribünen für das Public Viewing hindurch schlän-geln.

Schliesslich wurde in der Bevölkerung auch kaum verstanden, weshalb die UEFA – neben der FIFA eine der erfolgreichsten Geld-maschinen im internationalen Sport – von den Vorteilen eines ge-

meinnützigen Vereins profitiert und deshalb die Einnahmen von 1,2 Milliarden Franken nicht versteuern muss.

Was die Euro 08 der Schweiz an Nachhaltigem gebracht hat, wird wohl nie zu bezif-fern sein. Sicher haben viele Wirte und Hoteliers gute Geschäfte gemacht. Doch ganz si-cher hat das Land durch das Fussballfest weder die wirtschaftliche noch die emotionale Schubkraft erhalten, die von den Organisatoren prophezeit worden war. Wie und wes-halb hätte dies auch geschehen sollen?

Imagemässig hat die Euro 08 dem Ausland wohl nur das bestätigt, was alle schon ge-wusst haben: dass die Schweiz ein schönes, sauberes und gut funktionierendes Land ist.

HEINZ EC KER T, C HEFREDAK T OR

E D I T O R I A L I N H A L T

Heinz Eckert

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Städte im Ausnahmezustand

5Briefkasten

5 Gelesen: Wörterbücher für Mundart

7Gesehen: Der Autofriedhof von Kaufdorf

8Pro und kontra Volkswahl des Bundesrates

11Politik

12Aus dem Bundeshaus

14Das Olympische Museum von Lausanne

16ASO-Informationen

18Rückblick auf die Euro 08 19Echo

Titelbild:Offizielles Bundesrats-Foto 2008

Der Autofriedhof im Gürbetal, BE (Seite 7).

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IMPRESSUM: «Schweizer Revue», die Zeitschrift für die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, erscheint im 35. Jahrgang in deutscher, französischer, italienischer, englischer und spanischer Sprache in 14 regionalen Ausgaben und einer Gesamtauflage von rund 400 000 Exemplaren. Regionalnachrichten erscheinen viermal im Jahr.■ REDAK TION: Heinz Eckert (EC), Chefredaktor; Rolf Ribi (RR); René Lenzin (RL); Alain Wey (AW); Rahel Schweizer (RS), Auslandschweizerdienst EDA, CH-3003 Bern, verantwort- lich für «Aus dem Bundeshaus». Übersetzung: CLS Communication AG ■ POS T ADRESSE: Herausgeber/Sitz der Redaktion/Inseraten-Administration: Auslandschweizer-Organisation, Alpenstrasse 26, CH-3006 Bern, Tel. +4131356 6110, Fax +4131356 61 01, PC 30-6768-9. Internet: www.revue.ch ■ E - M A I L : [email protected] ■ DRUC K: Zollikofer AG, CH-9001 St.Gallen. ■ ADRESS ÄNDERUNG: Bitte teilen Sie Ihre neue Adresse Ihrer Botschaft oder Ihrem Konsulat mit und schreiben Sie nicht nach Bern. Einzelnummer CHF 5.– ■

www.revue.chWir freuen uns auf Ihren online-Besuch.

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Warum sprechen so wenige Romands Schweizerdeutsch, ob-

schon sie in der Schule doch Hochdeutsch gelernt haben?

Eine heikle, aber durchaus gerechtfertigte Frage. Man könnte

zu Recht antworten, Schweizerdeutsch sei eine mündliche

und keine geschriebene Sprache und eine lebendige, sich

ständig weiterentwickelnde noch dazu. Bisher fehlte auch

ein vergnügliches Lehr- und Wörterbuch, das Französisch-,

aber auch Englisch- und Deutschsprachigen Unterstützung

bot. Die Idee für ein solches Buch entstand aus der Begeg-

nung des anglokolumbianischen Zeichners Sergio J. Lievano

mit der Deutschlehrerin Nicole Egger in Zürich. Der Zeichner

fand in den Deutschkursen nicht das, was er für die Kommu-

nikation im Alltag benötigte, deshalb lernte er bei seiner Leh-

rerin direkt Schweizerdeutsch. Diese Zusammenarbeit gab

den Impuls für die Erarbeitung der englisch-schweizerdeutschen

Originalversion des Buchs. Das Ergebnis besticht durch seinen Hu-

mor und die illustrativen Cartoons. Sergio J. Lievano arbeitet als

Pressezeichner für den «Zürcher Oberländer» und den «Anzeiger

von Uster» und der Humor gehört zu seinem Handwerkszeug. Der

Übersetzer Laurent Droz drückt es so aus: «Das Wörterbuch «Hoi

Zäme» macht es möglich, sich ohne grosse Anstrengung und mit

einem Schmunzeln ins Schweizerdeutsche zu vertiefen.» Das Buch

verrät verschiedene Tipps und Tricks, wie man eine Brücke vom

Deutschen zum Schweizerdeutschen schlagen kann. In Teil I bie-

tet es eine Einführung ins Schweizerdeutsche, in seine Geschichte,

seine geografi sche Verbreitung und seine regionalen Eigenheiten.

Von der «Geschichte der Dialekte» bis zu «Warum sprechen Schwei-

zer nicht gerne Hochdeutsch?» spricht «Hoi Zäme» verschiedene

praktische Aspekte an, die helfen, sich im Land des Liedermachers

Mani Matter zurechtzufi nden. Teil II enthält die Grundausstattung

mit über 2000 im Alltag gebräuchlichen Wörtern und Redewendun-

gen, die nach Themen geordnet sind: Geplauder, Einladungen,

Liebe, richtige Worte für spezielle Momente, Arbeit, Telefon, E-Mail

und SMS, Postamt, Medien, Essen und Trinken, Gesundheit, der

Körper, Gefühle, Notfall, Polizei, Einkaufen, Kleidung, Geld und

Banken, Reisen, Transport, Richtungen, Hotel, im Freien, Unter-

haltung, Familie, Babys, Alter, Wohnen, Heim, Nachbarn und Woh-

nungsvermittler, Zahlen, Toiletten, Bildung, Farben, Tiere, Zeit,

Wetter und Temperatur usw. In Teil III folgen noch ein Kapitel zum

Schweizer Slang, den Schweizer Redensarten sowie das Wörterbuch

mit 1500 Stichwörtern. Dort kann man beispielsweise nachschla-

gen, dass «zuhören» auf Schweizerdeutsch «losä» heisst. Schwei-

zerdeutsche Ausdrücke sind oft lustig und

klangvoll. So wird zum Beispiel ein ver-

snobter Mensch als «Schickimicki» be-

zeichnet. AL AIN WEY

Spra

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Ständiger BegleiterDas Schöne an Zeitungen ist, dass man sie überall mit hin nehmen kann: in den Bus, in den Garten, ins Wartezimmer des Zahnarztes oder in die Badewanne. Die «Schweizer Revue» mit ihren vielseitigen Artikeln ist für mich ein ständi-ger Begleiter, auf den ich nicht verzichten möchte. Ich hoffe von Herzen, dass ihr Erschei-nen in dieser Form uns Aus-landschweizern erhalten bleibt und freue mich schon auf die nächste Ausgabe!MARGI-MARIA DAHM, MÜNS TER,

DEUT SC HL AND

Feuchtes WeltbildDer Leserbrief von Adrian H. Krieg (3/08) darf nicht un-widersprochen bleiben. Ich würde mich keineswegs als Lin-ken bezeichnen, aber die «Schweizer Revue» als «Propa-gandainstrument für die politi-sche Linke und Multikulturali-tät» zu bezeichnen, ist doch schon ziemlich daneben. Aber der Hintergrund ist klar: Wer nicht den offensichtlich gelieb-ten Herrn Blocher zelebriert, ist «links». Damit ist ja auch ein Teil der SVP abgeschrieben. Herr Krieg - omen est nomen - führt offensichtlich Krieg ge-gen alles was anders denkt als er. Dritt-Weltländer als faul und dumm zu bezeichnen ist nicht nur sprachlich Unsinn. Aber es ist mir schlicht zu blöd einem Menschen etwas zu er-klären, dessen Weltbild offen-sichtlich durch das Leben in Florida schon ein bisschen an-gefeuchtet ist.HEINZ LYNER, PRAG, T SC HEC HISC HE

REPUBLIK

Schlechter GeschmackIch freute mich sehr, als ich die Juni-Ausgabe der «Schweizer Revue» erhielt ... bis ich auf den Brief von A. H. Krieg aus Flo-rida stiess, dessen Worte bei mir einen üblen Nachge-

schmack hinterliessen. Ich fragte mich sogar, ob es sich dabei um einen echten Brief handelte. Wie auch immer unsere Ansich-ten sind, das Entscheidende ist, dass wir alle auf dem gleichen Planeten leben und für unser Überleben letztlich alle vonein-ander abhängig sind. Dies wird in den kommenden Jahren im-mer klarer werden, wenn sich die Klimaveränderung auch auf die privilegierten Bewohner des Westens auswirken wird.

Ich hoffe, dass sich Herr Krieg – trotz seiner vergleichsweise zweifellos privilegierten Aus-gangslage – dessen bewusster wird, bevor er sich das Pauschal-urteil anmasst, die Nationen der Dritten Welt müssten wohl «faul» und «dumm» sein. Viel-leicht sollte er mehr reisen, zu-mindest aber die Gestade der Fremdenfeindlichkeit und Be-schränktheit verlassen. Solche Ansichten tragen nur dazu bei, der Schweiz im Ausland einen schlechten Ruf zu verschaffen, und sie bewirken, dass ich mich beim Gedanken daran, Schwei-zerin zu sein, traurig und be-schämt fühle.ES THER A . AUS TIN, MANC HES TER,

GROSSBRIT ANNIEN

Keep up the good workIch bin ein begeisterter Leser Ihrer Zeitschrift «Schweizer Revue». Als langjähriger Aus-landschweizer (UK, USA, Japan und nun seit zehn Jahren in Kanada) freue ich mich jedes Mal auf Ihre Ausgaben.

In meiner Funktion als Präsi-dent der Swiss Canadian Cham-ber of Commerce (SCCC) in Toronto habe ich den Eröff-nungsanlass Euro Soccer 2008 organisiert. Als Fussballfan hat mich natürlich das Interview mit Umberto Barberis in der April-Ausgabe besonders gefreut.

Keep up the good work und vielen Dank für die jeweils inter-essanten «news».ERNS T NO TZ, T ORONT O, KAN ADA

«HOI ZÄME – Schweizerdeutsch leicht gemacht», N. Egger & S. Lievano, Bergli Books, 2006.«HOI – your Swiss German survival guide», N. Egger & S. Lievano, Bergli Books, 2005.«HOI! ET APRÈS... Manuel de survie en suisse allemand», Nicole Egger & Sergio J. Lievano, Übersetzung Laurent Droz, Bergli Books, 2008.www.bergli.ch

klangvoll. So wird zum Beispiel ein ver-

snobter Mensch als «Schickimicki» be-

zeichnet.

«N. Egger & S. Lievano, Bergli Books, 2006.«HOI N. Egger & S. Lievano, Bergli Books, 2005.«HOI! ET APRÈS...allemand», Nicole Egger & Sergio J. Lievano, Übersetzung Laurent Droz, Bergli Books, 2008.www.bergli.ch

7G E S E H E N

Letzte Ruhestätte für Autos. In Kaufdorf im Berner Gürbetal befindet sich der wohl seltsamste Friedhof der Welt. Verrostet und mit Moos überwachsen stehen dort schier endlose Reihen ausgemusterter Autos. Vor 60 Jahren begann Walter Messerli, Rennfahrer und Schrotthändler, Oldtimer auf der Wiese am Dorfrand zu deponieren. Nach jahrelangen Streitereien soll der Autofriedhof jetzt geräumt werden.

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immerhin sieben Kantone und zwei Halb-kantone nahmen die Initiative an.

Mitten in der schwierigen Zeit des Zwei-ten Weltkriegs kam es 1942 zu einem weite-ren Plebiszit über die Wahl des Bundesrates. Das sozialdemokratische Volksbegehren ver-langte die Volkswahl der Regierung von neun Mitgliedern, davon «mindestens drei aus den lateinischen Sprachgebieten». Wahlfähig ist jeder Schweizer Bürger, der von mindestens 30 000 Stimmberechtigten vorgeschlagen wird. Die Argumente der Befürworter: Aus-bau der Demokratie und der demokratischen Volksrechte; ein dem Volk verpflichteter Bundesrat; Abbau des Einflusses des «Gross-kapitals». Die politischen Gegenargumente: Die Stärkung des Bundesrates gegenüber dem Parlament stört das Gleichgewicht der Institutionen; die Berücksichtigung der Min-derheiten ist schwierig; es können «unver-antwortliche Kräfte» in die Regierung gelan-gen. Die Volksinitiative wurde bei einer hohen Stimmbeteiligung mit 68 Prozent Neinstimmen und von allen Kantonen abge-lehnt.

«Volk nicht dümmer»Doch die «Glut» einer Volkswahl des Bun-desrates mottete weiter. Vorstösse im Parla-ment von rechts (Nationalrat James Schwar-zenbach von der Republikanischen Partei) und von links (die Nationalräte Leni Robert von den Grünen und Andrea Hämmerle von den Sozialdemokraten) stiessen auf Ableh-nung. Doch 1998 lancierte der mächtige SVP-Nationalrat Christoph Blocher seinen Vorschlag einer Volkswahl des Bundesrates: Die Regierung müsse dem direkten demo-kratischen Urteil des Volkes unterstehen,

«denn das Volk ist nicht dümmer als das Par-lament». Zwei Jahre später lag das Grundla-genpapier von SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli vor.

Die «Vervollständigung der Demokratie» und die «stärkere Trennung der staatlichen Gewalten» bilden darin den ideellen Hinter-grund. Bei der heutigen Ordnung sei der

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Soll das Volk den Bundesrat wählen?Seit der Gründung unseres Bundesstaates steht die Volkswahl des Bundesrates immer wieder auf der politischen Traktanden-liste. Eine angekündigte Volksinitiative verlangt diesen Ausbau der direkten Demokratie. Es gibt gute Gründe für die Mitwirkung des Volkes, aber auch nachhaltige Bedenken. Von Rolf Ribi

«Volkswahl heisst Volks-wohl» stand auf dem Plakat der Zürcher Sozialdemo-kraten im Jahr 1900. Ge-meint war die Wahl des Bundesrates durch das Schweizervolk. Was die po-litische Linke im letzten Jahrhundert bewegte, wird heute von der politischen Rechten gefordert. Es war der damalige Nationalrat Christoph Blocher, der 1998 die Wahl der Landesregie-rung durch die Bürgerinnen und Bürger verlangte. Die Volksinitiative der Schwei-zerischen Volkspartei (SVP) liegt heute ge-mäss dem Parteipräsidenten Toni Brunner «unterschriftsreif in der Schublade».

Es ist schon so, wie der Staatsrechtspro-fessor Alfred Kölz schrieb: «Die Frage der Einführung der Volkswahl unserer Landes-regierung gleicht einer Glut, die unter wech-selnden politischen Winden periodisch zum Aufflammen gebracht wird.» Ein kurzer Blick in die Schweizergeschichte der vergangenen zwei Jahrhunderte zeigt, dass das politisch brisante Thema die Gemüter der Eidgenos-sen immer wieder beschäftigt hat.

Das demokratische Staatswesen unseres Landes beruht auf den Ideen eines grossen französischen Denkers und eines berühmten Genfer Bürgers: Charles de Montesquieu ist der Begründer des Gedankens der staatli-chen Gewaltentrennung und des modernen Verfassungsstaates. Im Jahr 1748 hielt er fest: «Es ist eine grundsätzliche Maxime dieser Regierung, dass das Volk seine Minister er-nennt.» Der Genfer Jean-Jacques Rousseau wollte das Volk in allen Bereichen der Poli-tik einbeziehen. Die Macht der Regierung sollte ausgesprochen schwach ausgestaltet sein, zudem sollten deren Mitglieder jeder-zeit vom Volk abberufen werden können.

Als im Jahr 1848 die erste Bundesverfas-sung vorbereitet wurde, beantragte Ulrich

Ochsenbein als Präsident der Tagsatzung die Volkswahl des Bundesrates, «weil sie der Ein-heit des Landes dient». Sein Antrag scheiterte, aber nur mit 10 gegen 9 Stimmen. Die Tag-satzung entschied später mit klarem Mehr im gleichen Sinne. Fortan begannen die Kantone, ihre Regierungen durch das Volk wählen zu lassen. Zwi-schen 1847 (Genf) und 1921 (Freiburg) hatte sich in allen Kantonen die Volkswahl der Kantonsregierung durchge-setzt.

Linke VolksinitiativenZwei Volksinitiativen von 1900 und 1942 brachten das Thema der Bundesratswahl zu-rück auf das eidgenössische Parkett. Das erste Volksbegehren wollte die Volkswahl der Regierung, die Erhöhung der Anzahl Bun-desräte auf neun, wovon «wenigstens zwei Mitglieder der romanischen Schweiz», sowie das Proporzwahlrecht für den Nationalrat.

Die Befürworter argumentierten so: Das Volk ist fähig, die besten Männer auszuwäh-len; die Volkswahl der Regierung hat sich in den Kantonen bewährt; der Bundesrat wird unabhängiger vom Parlament; die Volkswahl bildet «den Schlussstein des demokratischen Ausbaus unseres Staatswesens». Die Argu-mente der Gegner: Der Bundesrat erhält zu viel Gewicht gegenüber dem Parlament; der Einfluss der kleinen Kantone nimmt ab; die Spaltung der Landesteile wird ausgeprägter. Den linken Befürwortern ging es namentlich darum, sich mit der Volkswahl ei-nen Anteil an der Regie-rungsmacht zu sichern. Die Doppelinitiative der Sozi-aldemokraten wurde bei einer hohen Stimmbeteili-gung mit 65 Prozent Nein-stimmen abgelehnt, aber

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Bundesrat in erster Linie dem Parlament Re-chenschaft schuldig. Mit der Volkswahl des Bundesrates werde die Regierung direkt den Stimmbürgern verantwortlich. So soll der neue Artikel 175 der Bundesverfassung aus der Sicht der SVP-Strategen aussehen: Der Bundesrat besteht aus sieben Mitgliedern. Diese werden vom Volk in direkter Wahl nach dem Grundsatz der Mehrheit (Majorz) bestimmt. Die ganze Schweiz bildet einen

Wahlkreis. Min-destens zwei Mit-glieder des Bun-desrates werden von den Wählern der Kantone Frei-burg, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg, Genf und Jura be-stimmt.

Eine Wahl des B u n d e s r a t e s durch das Volk anstelle des Parla-mentes wirft grundsätzliche staatspolitische Fragen auf. Diese

betreffen namentlich die Stellung des Bun-desrates und sein Verhältnis zum Parlament, den Schutz der sprachlichen Minderheiten und die politische Stabilität im Land.

Bundesrat und Parlament«Der Bundesrat ist die oberste vollziehende und leitende Behörde des Bundes.» So steht es im Artikel 174 der Bundesverfassung von 1999. Zum Mitglied der Landesregierung sind alle Schweizerinnen und Schweizer wählbar, die in den Nationalrat gewählt wer-den können (also mit Schweizer Bürgerrecht und mindestens 18 Jahre alt). Die Verfassung erlaubt, aus dem gleichen Kanton mehr als ein Mitglied zu wählen. Das Parlament muss aber auf die verschiedenen Landesgegenden und Sprachregionen Rücksicht nehmen.

Die Mitglieder des Bundesrates sind für vier Jahre fest gewählt, sie können während ihrer Amtszeit nicht abberufen werden. Ge-wählt wird die Regierung von der Vereinig-ten Bundesversammlung. Die 200 Mitglie-der des Nationalrates und die 26 Vertreter der Kantone im Ständerat wählen jedes Mit-glied der Regierung einzeln und in geheimer Wahl. Das Parlament hat die verfassungsmäs-sige Pflicht zur Aufsicht über die Regierung.

Damit besitzt die Legisla-tive eine bevorzugte Stel-lung gegenüber der Exeku-tive, was dem Gedanken der Macht- und Gewaltentei-lung widerspricht. Weil der Bundesrat gegenüber dem Parlament verantwortlich ist, schwächt das seine Legi-timation gegenüber dem Volk.

Im politischen Alltag ist der Bundesrat allerdings ein starkes Organ unseres Staatswesens. Die internati-onale Verflechtung der Schweiz und die Fachkom-petenz der Bundesverwaltung stärken die Stellung der Regierung. Ihre Entscheide un-terliegen keinem Referendum des Volkes – im Gegensatz zum Parlament. Verlorene Volksabstimmungen oder Niederlagen im Parlament führen praktisch nie zum Rück-tritt des zuständigen Magistraten. Der Bun-desrat als Landesregierung ist im Volk popu-lär, Bundesratswahlen stossen auf ein grosses öffentliches Interesse.

Wie würde sich die Volkswahl der Bundes-räte auf die Stellung der Regierung auswir-ken? Zaccaria Giacometti, der Altmeister des Bundesstaatsrechts, erkannte in der Volkswahl des Bundesrates eine «weitere Stärkung der Exekutive». Der Bundesrat würde damit «politisch unmittelbar dem Volke verantwortlich». Eine Volkswahl entspreche mehr der demokratischen Idee und dem Prinzip der Gewaltentrennung. Ulrich Häfelin und Walter Haller, die Autoren des Wer-kes «Schweizeri-sches Bundesstaats-recht», urteilten so: «Die Volkswahl würde dem Bundesrat die glei-che demokratische Legiti-mität verschaffen, wie sie die Bundesversammlung besitzt.» Bun-desrat und Parlament würden so «einander gleichgestellt, was im Vergleich zur heutigen Situation das Parlament noch mehr schwä-chen würde».

Für den Staatsrechtsprofessor Alfred Kölz, Autor der «Neuen Schweizerischen Verfas-sungsgeschichte», nimmt die Bundesver-

sammlung eine «eher schwa-che Position» ein. Er verweist auf den Milizcha-rakter des Parlamentes, das keine Berufspolitiker kennt. Die Kernfunktion des Par-lamentes, nämlich die Ge-setzgebung, liege schwerge-wichtig bei Bundesrat und Verwaltung. Die Aufsichts-pflicht gegenüber der Re-gierung falle der Bundes-versammlung heute schwer. «Vor allem diese kardinale Aufgabe würde durch die Volkswahl des Bundesrates massiv erschwert.» Diese

Funktion könne durch das Volk nicht wahr-genommen werden.

Vorbild der Kantone?Für die Volkswahl des Bundesrates wird oft das Vorbild der Kantone angeführt. In der Tat hat sich in allen Kantonen die Volkswahl der Regierung schon früh durchgesetzt. Auch in den politischen Gemeinden ist die Wahl der Gemeinderäte durch das Volk eine Selbstverständlichkeit. Die Kantone sind po-litisch überschaubare «Einheitsstaaten». Die für ein Regierungsamt kandidierenden Män-ner und Frauen sind im Kanton bekannt.

Anders bei einer Bundesratswahl durch das Volk: Bei einem einzigen Wahlkreis

Schweiz müssen Bewerber aus allen Lan-desgegenden gewählt werden.

Trotz moderner Massenme-dien kann es einem kon-

servativen Appenzeller schwerfallen, einen ihm kaum bekann-ten Genfer Libera-len zum Bundesrat zu küren. Doch die

«Neue Zürcher Zei-tung» gibt zu beden-

ken: «Dass wir in unse-rer direkten Demokratie

dem Volk zutrauen, die schwierigsten Sachfragen zu

entscheiden, kontrastiert mit der An-sicht, das Volk sei nicht imstande, bei der Wahl des Bundesrates Vernunft zu üben und ein gewisses Mass an Konkordanz zu wah-ren.»

Ein anderes Argument der Gegner einer Volkswahl: Wenn die Bundesräte alle vier Jahre durch das Volk gewählt werden, müs-S

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lösen». Den Anfang der Konkordanzdemo-kratie bildete 1943 der Eintritt der Sozialde-mokratischen Partei in die Landesregierung. Ihren Höhepunkt er-lebte die Konkordanz mit der Zauberformel von 1959 (zwei FDP-, zwei CVP-, zwei SPS- und ein SVP-Bundes-rat). Im Dezember 2003 wurde die Zau-berformel mit der Ab-wahl der CVP-Bun-desrätin und der Wahl

eines zweiten SVP-Bundesrates nach 44 Jah-ren begraben. Für Arnold Koller ist heute «von politischer Konkordanz nicht mehr viel übrig geblieben».

Die Konkordanz hat unserem Land eine bemerkenswerte politische Stabilität ermög-licht. Zur Konkordanz gehört der Wille der Regierenden zum Konsens und zur Kollegi-alität. Die Wahl des Bundesrates durch das Volk kann diese Stabilität gefährden, mah-nen einige Stimmen: Es ist für die Demokra-tie kein Gewinn, wenn die Bundesräte stän-dig um die Gunst der Wählerschaft buhlen müssen (der frühere Staatsrechtsprofessor und Ständerat René Rhinow); das gemein-same Verantwortungsgefühl der Regierung wird geschwächt (die frühere Nationalrätin Suzanne Sandoz); das Werben um die Gunst der öffentlichen Meinung schadet der Kol-legialität (Ständerat Bruno Frick). Die lang-jährige Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz hofft, «dass sich die Befürworter einer Volkswahl des Bundesrates bewusst sind, dass sie mit ihrer Idee die Stabilität unseres Landes gefährden könnten».

Heute schon Volkswahl?Gibt es nicht heute schon eine Art Wahl der Bundes-räte durch das Volk – näm-lich bei den Parlamentswah-len? «Blocher stärken, SVP wählen», stand bei den letz-ten Wahlen in den National-rat tausendfach auf Plakaten in Stadt und Land. Auch die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) forderte

in Plakaten auf, für die CVP zu stimmen und so die Politik von Bundesrätin Doris Leuthart zu unterstützen.

«Die missbräuchliche Verwendung des SVP-Plakates zur Unterstützung Blochers kam einer Initiative zugunsten der Volkswahl des Bundesrates gleich», schrieb die Liberale Suzette Sandoz. Die Bundesräte Blocher, Leuthart und Calmy-Rey seien die «ent-scheidenden Zugpferde für ihre Parteien», erklärte der Medienwissenschafter Roger Blum. Und der Philosophieprofessor Georg Kohler hielt fest: «Die Bundesräte sind die Hauptdarsteller ihrer Parteien geworden.»

Dass Parteien mit ihren Bundesräten in den Wahlkampf ziehen, ist das Eine. Dass aber einzelne Bundesräte die Parlaments-wahl benutzen, um ihren eigenen Regie-rungssitz im Volk abzusichern, ist das Andere. Den Wahlkampf im letzten Jahr kommen-tierte die «Neue Zürcher Zeitung»: «Die Na-tionalratswahlen wurden quasi als vorgezo-gene Volkswahl eines SVP-Bundesrates inszeniert.» Und Roger Blum hielt fest: «In einem gewissem Sinne werden heute schon Volkswahlen für den Bundesrat simuliert.»

Wenn aber Parlamentswahlen immer mehr zu Bundesratswahlen werden, liegt die Volks-wahl der Bundesräte eigentlich nahe. Bei der letzten Meinungsumfrage vor vier Jahren wa-ren immerhin 49 Prozent der Schweizerin-nen und Schweizer für die Wahl des Bundes-rates durch das Volk. Zu einem Durchbruch wird es indes erst kommen, wenn eine poli-tische Bewegung diesen Ausbau der Volks-rechte will. Die grossen Parteien werden so lange stillhalten, als ihre Machtansprüche in der Landesregierung befriedigt sind. Und:

Das eidgenössische Parla-ment wird seine verfas-sungsmässige Zuständigkeit für die Wahl des Bundesra-tes nicht freiwillig abtreten. So wird es vorläufig beim Status quo bleiben, aber die «Glut» einer Volkswahl der Regierung mottet weiter.

DOKUMENTATIONAlfred Kölz: «Neue schweizerische Verfassungsgeschichte», 2004, Verlag Stämpfli, Bern St.Galler Kommentar: Die schwei-zerische Bundesverfassung. 2002, Verlag Schulthess, ZürichDokumentationszentrum www.doku-zug.ch

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sen sie bei der Wählerschaft um Sympathie werben. Ein Wahlkampf schwächt mögli-cherweise ihre Arbeitskraft, begünstigt populäre Regie-rungsvorlagen, erfordert fi-nanzielle Mittel und ermög-licht so den Einfluss von Interessengruppen. «Der Per-sonalisierung der Wahlkämpfe und allfälligen populistischen Auswüchsen wären kaum Grenzen gesetzt», mahnte Al-fred Kölz. Und: Die Volkswahl des Bundesrates «würde in Krisenzeiten autoritären Ten-denzen Vorschub leisten».

Schutz der MinderheitenFöderalismus als «Kultur des Ausgleichs» und der Schutz der Minderheiten sind im Volk tief verwurzelt. «Der eidgenössische Friede hängt davon ab, in welcher Weise die wichtigsten Sprachen und Regionen durch die Regierungsmitglieder repräsentiert wer-den», schrieb die frühere liberale National-rätin Suzette Sandoz. Die Bundesversamm-lung ist gesetzlich verpflichtet, bei der Bildung der Regierung auf die politische und kulturelle Vielfalt des Landes Rücksicht zu nehmen. Gibt es aber bei einer Volkswahl des Bundesrates noch einen Schutz der Minder-heiten?

Einzelne Kantone haben das Problem des Schutzes sprachlicher Minderheiten bei der Volkswahl der Regierung in der Verfassung gelöst: So der Kanton Bern, wo dem Berner Jura eine Vertretung im Regierungsrat ge-währleistet ist. So der Kanton Wallis, wo ein ausgeklügeltes System die Interessen sämt-licher Teile des Kantons berücksichtigt. Für den Bund lassen sich ähnliche Modelle den-ken. Zum Beispiel die Aufteilung des Landes in mehrere Wahlkreise oder die Festlegung von Quoten für Minderheiten. Doch solche Regeln sind kompliziert und schwächen den Charakter einer nationalen Wahl.

Gefahr für die KonkordanzDie Schweiz ist gemäss alt Bundesrat Arnold Koller eine «Konkordanzdemokratie, die in unserem Volksbewusstsein tief verankert ist». Politische Konkordanz bedeutet für ihn, «dass die grössten politischen Parteien, die zugleich die Regierung bilden, die politi-schen Aufgaben aufgrund eines breiten Grundkonsenses auf dem Verhandlungsweg

B U N D E S R A T S W A H L E N

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Parteienlandschaft im WandelDie anhaltenden Wahlerfolge der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und die Abwahl ihres Bundesrats Christoph Blocher führen zu Veränderungen in der Parteienlandschaft: Ausgeschlossene und abtrünnige SVP-Mitglieder gründen eine neue Partei, Freisinnige und Liberale schreiten zur Fusion. Von René Lenzin

Am 12. Dezember 2007 wählte das Parlament die damalige Bündner Regierungsrätin Eve-line Widmer-Schlumpf anstelle von Chris-toph Blocher in den Bundesrat. Die Schwei-zerische Volkspartei fühlte sich von ihrem Parteimitglied Widmer-Schlumpf hinter-gangen und verraten. Sie habe mit der Wahl-annahme gegen einen Beschluss von Partei und Fraktion verstossen und mit dem politi-schen Gegner paktiert, lautete der Vorwurf. Drei Monate nach der Wahl forderte die Par-teileitung Widmer-Schlumpf auf, aus dem Bundesrat zurück- und aus der Partei auszu-treten. Als die Neobundesrätin den Austritt verweigerte, erliess die Parteileitung ein Ul-timatum an die Bündner Kantonalsektion: Entweder schliesst ihr Widmer-Schlumpf aus der Partei aus, oder eure Sektion ist nicht mehr Mitglied der SVP Schweiz.

Die Bündner waren jedoch nicht bereit, ihre Bundesrätin fallenzulassen, worauf sie ihrerseits aus der nationalen Partei ausge-schlossen wurden. Dieser Vorgang hat zu ei-ner Aufspaltung der Bündner SVP geführt. Ein Teil der Parteimitglieder gründete die neue SVP, die auf Blocherlinie politisiert und sich der schweizerischen Partei angeschlos-sen hat. Der andere Teil schritt zur Grün-dung der Bürgerlich-Demokratischen Par-tei (BDP). Unter ihnen befinden sich zahlreiche Amtsträger der früheren SVP. Neben Bundesrätin Widmer-Schlumpf beide Regierungsräte, beide Nationalräte so-wie die 32 kantonalen Parlamentarier.

Das Vorgehen der SVP gegen die Bündner rief in andern Kantonalsektionen wenig Wi-derstand hervor. Nur gerade in Bern und Glarus kam es zur offenen Auflehnung ein-zelner Parteimitglieder und in der Folge zur teilweisen Abspaltung. In Glarus schlossen sich der einzige Regierungsrat der SVP so-wie 8 von 26 Parlamentariern der neuen Par-tei an. In Bern waren es einer der beiden Re-gierungsräte, 2 der 10 Nationalräte, der einzige Ständerat sowie 17 der 47 Kantons-parlamentarier. Ebenfalls zur BDP überge-

treten ist der Berner Bundesrat Samuel Schmid, den die SVP nach seiner Wahlan-nahme im Dezember 2007 aus der Fraktion ausgeschlossen hat.

Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe ver-fügte die neue Partei demnach über 2 Bun-desräte, 5 eidgenössische und 57 kantonale Parlamentarier. Allerdings kann sie im Bun-deshaus keine Fraktion bilden, weil es dazu mindestens fünf Sitze im Nationalrat braucht. Ob sich die BDP dauerhaft etablieren kann und wie stark sie allenfalls der SVP schaden wird, wird sich weisen müssen. Klar ist ein-zig, dass sich ihre doppelte Präsenz in der Landesregierung nicht mit dem schweizeri-schen Konkordanzsystem verträgt. Spätes-tens bei den Gesamterneuerungswahlen von 2011 dürfte es daher zu grösseren Verände-rungen im Bundesrat kommen.

Wiedervereinigung der Staatsgründer Die jüngste Entwicklung der SVP hat aber nicht nur zu einer neuen Partei geführt, son-dern auch weitere Verschiebungen in der Po-litlandschaft ausgelöst. Die SVP hat ihren Wähleranteil zwischen 1987 und 2007 von 11 auf 28,9 Prozent erhöht. Dieser für schwei-zerische Verhältnisse einmalige Zuwachs ist einerseits darauf zurückzuführen, dass die Partei praktisch alles aufgesogen hat, was rechts von ihr noch politisierte. Anderseits hat sie aber auch den traditionellen bürger-lichen Parteien Wähler abspenstig gemacht. Am kräftigsten gewachsen ist die SVP in den ländlich-katholischen Gebieten der Zentral- und Ostschweiz sowie in den ländlich-refor-mierten Gebieten der Westschweiz. In den ersten gingen ihre Erfolge primär zulasten der Christlichdemokraten (CVP), in den zweiten zulasten des Freisinns (FDP) und der Liberalen (LPS).

Gesamtschweizerisch verringerte sich der Wähleranteil der beiden Gründerparteien des Bundesstaats zwischen 1987 und 2007 zwar «nur» um 7,9 Prozentpunkte. Überproporti-onal fiel ihr Rückgang aber in den früheren

Westschweizer Hochburgen der Liberalen aus: minus 24,5 Prozentpunkte in Neuenburg, minus 22,3 in der Waadt und minus 13,6 in Genf. Gleichzeitig legte die SVP in diesen Kantonen um 23,2, 16,2 respektive 21,1 Pro-zentpunkte zu. Nun haben FDP und LPS die Konsequenzen aus diesen Verlusten gezogen, ihre langjährigen Rivalitäten in den Hinter-grund gedrängt und eine Fusion beschlossen. Am 21. Juni haben sich die Neuenburger Kan-tonalsektionen zum Parti libéral-radical neuchâtelois vereinigt, im Oktober soll die Fusion auf nationaler Ebene erfolgen.

Freisinnig-liberale Parteien bestehen be-reits in den Kantonen Freiburg, Jura, Tessin und Wallis. Kategorischen Widerstand ge-gen die Vereinigung haben bisher nur die Baselstädtischen Liberalen angekündigt. Bereits seit 1999 bilden FDP und LPS im Nationalrat eine gemeinsame Fraktion. Da-mals hatten die Liberalen erstmals weniger als fünf Sitze erobert und damit die Frakti-onsstärke verloren.

Aufspaltung der GrünenEine dritte markante Veränderung in der schweizerischen Parteienlandschaft hat nichts mit der SVP zu tun. Sie betrifft die Grünen, neben der SVP die grossen Sieger der letztjährigen Parlamentswahlen. Ausge-hend von politischen und vor allem auch per-sönlichen Differenzen war es in Zürich be-reits im Verlaufe der vergangenen Legislatur zur Abspaltung der Grünliberalen gekom-men. Diese neue Bewegung hat im Oktober 2007 auf Anhieb drei Sitze im Nationalrat und einen im Ständerat gewinnen können. Inzwischen sind grünliberale Sektionen in neun weiteren Kantonen entstanden. Diese neue Partei verbindet ökologische Anliegen mit eher bürgerlichen Positionen in der Fi-nanz- und Sozialpolitik. Ob ihr Erfolg dau-erhaft ist, wird sich zeigen. Die Grünlibera-len zählen sich zur politischen Mitte und bilden im Bundeshaus eine Fraktion mit der CVP und der Evangelischen Volkspartei.S

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Adressänderungen

Bitte melden Sie die ÄnderungIhrer Adresse, Telefonnum-mer, E-Mailadresse etc. recht-zeitig der für Sie zuständigen Vertretung: www.eda.admin.ch (Vertretungen).

Durch Ihre Mithilfe lassen sich aufwändige Nachforschungen vermeiden, und nur so erhalten Sie automatisch Ihre Abstim-mungsunterlagen (vorausge-setzt, Sie sind bei einer schwei-zerischen Stimmgemeinde registriert) und die «Schweizer Revue» an die neue Adresse. Bitte melden Sie weder dem Auslandschweizerdienst noch der Redaktion der «Schweizer Revue» in Bern Adressände-rungen.

Abstimmungs- vorlagen und Stimmmaterial Erhalten Sie das Stimmmate-rial erst kurz vor dem Stimm-tag und haben keine Zeit mehr, die Vorlagen zu studie-ren? Möchten Sie die Abstim-mungsvorlagen in einer anderen Sprache lesen?

Die Fristen und Modalitäten für die Zustellung der Unterla-gen sind rechtlich vorgegeben. Die Stimmgemeinden sind ge-halten, das Stimmmaterial fünf Wochen vor dem Stimmtag an die Auslandschweizerinnen und -schweizer zu senden. Bei Nati-onalratswahlen ist die Frist deutlich kürzer, sie beträgt zehn Tage. Die Geschwindig-keit und Zuverlässigkeit der Zustellung ist ein unberechen-barer Faktor, auf die Organi-sation und Abläufe fremder Postbetriebe können die Gemeinden keinen Einfluss nehmen.

Die Bundeskanzlei veröf-fentlicht die Abstimmungsvor-

lagen und die Erläuterungen des Bundesrates nicht nur in Papierform, sondern jeweils ab der 6. Woche vor dem Abstim-mungstag auch auf dem Inter-net unter www.admin.ch («Po-litische Geschäfte» – Dossier «Wahlen und Abstimmun-

gen»). Sie können Zeit gewin-nen und sich Ihre Meinung be-reits bilden, um sofort nach Erhalt den Stimmzettel auszu-füllen und abzusenden. Sie ha-ben auch die Möglichkeit, die Abstimmungsvorlagen in einer anderen Sprache zu studieren.

Ausbau der Webseite des Ausland- schweizerdienstes / Neue Merkblätter

Möchten Sie wissen, wo Sie einen neuen Schweizer Passbeantragen können? Haben Sie Fragen zu den Sozial-versicherungen oder zum Schweizer Bürgerrecht Ihrer Kinder?

Der Auslandschweizerdienst hat das Angebot auf seiner Webseite erweitert und die am häufigsten gestellten Fragen und Antworten im Merkblatt «Häufig gestellte Fragen» zu-sammengefasst. Wenn Sie sich erst vor kurzem im Ausland niedergelassen haben, ist Ihnen das neue «Merkblatt für Neu-zuzüger» eine erste Orientie-rungshilfe. Umfassend Aus-kunft über sämtliche Belange, die Auslandschweizerinnen und -schweizer betreffen, gibt der beliebte «Ratgeber für Aus-landschweizer».

www.eda.admin.ch (Doku-mentation – Publikationen – Reisen und Leben im Ausland)

Vote électronique für Auslandschweize-rinnen und -schwei-zer: ein Rück- und ein AusblickAm 1. Juni 2008 konnten erst-mals Auslandschweizerinnen und -schweizer mittels Vote électronique im Kanton Neuenburg an einer Abstim-mung teilnehmen. Der Kanton Zürich plant für 2009 den Ein-bezug von Auslandschweize-rinnen und -schweizern an Abstimmungen per Vote élec-tronique in 13 Gemeinden.

57 von 155 registrierten Aus-landschweizerinnen und -schweizern haben am 1. Juni S

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Die Aussenpolitik im Dialog

Kennen Sie die Pfeiler der schweizerischen Aussenpolitik? Möchten Sie sich mehr mit diesem komplexen Thema auseinan-dersetzen?

Die von Frau Bundesrätin Micheline Calmy-Rey lancierte Bro-schüre «Dialog» veranschaulicht anhand der Beispiele «Die Neutra-lität der Schweiz», «Die Schweizer Botschaften und Konsulate», «Die Friedenspolitik», «Die Schweiz und die internationalen Orga-nisationen», «Die Europapolitik der Schweiz» sowie «Die Entwick-lungszusammenarbeit», wie die schweizerische Aussenpolitik funk-tioniert und welches ihre Schwerpunkte sind.

Die Broschüre «Dialog» können Sie in Deutsch, Französisch oder Italienisch von der Webseite des EDA herunterladen www.eda.admin.ch (Dokumentation – Publikationen – Die Aussen-politik im Dialog) oder über folgende Adresse beziehen: Information EDA, Bundeshaus West, CH-3003 Bern

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2008 mittels Vote électronique im Kanton Neuenburg abge-stimmt. Die Abstimmung ist pannenfrei verlaufen. Aus Gründen der elektronischen Verlässlichkeit ist es vorerst nur Auslandschweizerinnen und -schweizern mit Wohnsitz in einem EU-Staat oder einem Staat, der das Wassenaar- Abkommen unterzeichnet hat, möglich, per Vote électronique abzustimmen. 90 Prozent der zurzeit in einem schweizeri-schen Stimmregister eingetra-genen Auslandschweizerinnen und -schweizer haben jedoch Wohnsitz in einem dieser Staa-ten. Folgende Länder haben das Wassenaar-Abkommen unter-zeichnet: Argentinien, Austra-lien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frank-reich, Griechenland, Grossbri-tannien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg, Nieder-lande, Neuseeland, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Republik Korea, Rumänien, Russische Föderation, Slowaki-sche Republik, Spanien, Schwe-den, Schweiz, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn und USA.

Der Kanton Zürich ist der-zeit gezielt damit befasst, für 2009 die notwendigen Struktu-ren aufzubauen, die den in 13 Zürcher Gemeinden registrier-ten Auslandschweizerinnen und -schweizern ermöglichen wer-den, mittels Vote électronique abzustimmen. Dies betrifft die Gemeinden Bertschikon, Bülach, Schlieren, Mettmen-stetten, Kleinandelfingen, Boppelsen, Bubikon, Thalwil, Männedorf, Fehraltorf und Maur sowie den Stadtkreis Alt-stadt von Winterthur und die Stadtkreise 1 und 2 der Stadt Zürich. Zugelassen sind Auslandschweizerinnen und -schweizer mit Wohnsitz in einem EU-Staat oder einem Staat, der das Wassenaar- Abkommen unterzeichnet hat.

Für den Schutz vor WaffengewaltEin aus verschiedenen Par-teien und Organisationen zusammengesetzter Träger-verein hat im September 2007 die eidgenössische Volks-initiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» lanciert.

Die Initiative hat zum Ziel, die Sicherheit zu erhöhen, das Drohpotenzial zu senken und Suizide zu verhindern. Wer Feuerwaffen und Munition er-werben, besitzen, tragen oder gebrauchen will, muss den Be-darf dafür nachweisen und die erforderlichen Fähigkeiten mitbringen. Die Militärwaffen sollen nicht mehr zu Hause, sondern in den gesicherten Räumen der Armee aufbewahrt werden. Überflüssige Waffen, die sich zu Hause befinden, werden eingesammelt. Alle übrigen Waffen werden regist-riert, was die Prävention und die Verfolgung von Verbrechen verbessert. Die Bundesverfas-sung vom 18. April 1999 soll zu diesem Zweck durch einen Ar-tikel 118a ergänzt werden.

Mehr Informationen zum Thema finden Sie auf der Web-seite des Initiativkomitees www.schutz-vor-waffengewalt.ch. Sie können die Initiative «Schutz vor Waffengewalt» noch bis 4. März 2009 unter-schreiben.

Weniger Steuern beim BausparenDas Initiativkomitee «Schwei-zerische Gesellschaft zur Förderung des Bausparens» hat im März 2007 die eidge-nössische Volksinitiative «für ein steuerlich begünstigtes Bausparen zum Erwerb von selbst genutztem Wohneigen-tum und zur Finanzierung von baulichen Energiespar- und

Umweltschutzmassnahmen», die sogenannte Bauspar-Initi-ative eingereicht. Sie hat ihrenUrsprung im Kanton Basel-Landschaft, der seit über 15 Jahren ein solches Modell praktiziert.

Die Initiative bezweckt eine Änderung von Artikel 129 der schweizerischen Bundesverfas-sung (BV). Dieser Artikel re-gelt die Steuerharmonisierung der direkten Steuern von Bund, Kantonen und Gemeinden und soll neu durch die Buchstaben a) und b) ergänzt werden. Buchstabe a) soll die Besteue-rung von Bauspareinlagen re-geln, Buchstabe b) die Besteue-rung von Bausparprämien.

Die Initiative soll allen Kan-tonen ermöglichen, freiwillig zwei Formen des steuerlich be-günstigten Bausparens einzu-führen. So könnte das bereits bekannte Bausparen mit dem bisher nicht bekannten «Ener-giespar-Bausparen» ergänzt werden. Das Bausparen für den Erwerb von Wohneigentum

soll Mietern erleichtern, ein Eigenheim zu erwerben. Das Energiespar-Bausparen soll Wohneigentümer motivieren, ihr Eigenheim energetisch wirksam zu sanieren (z.B. Sanierung der Gebäudehülle, Montage energiesparender Heizungen, Umstellung auf Technologien mit erneuerbarer Energie).

Mit der Einführung des neuen Buchstabens a) soll auch Artikel 197 der Übergangsbe-stimmungen der BV durch eine neue Ziffer 8 ergänzt werden. Die neue Übergangsbestim-mung soll den Kantonen erlau-ben, ihre kantonalen Bestim-mungen unmittelbar gestützt auf die Artikel 129 a) und b) BV zu erlassen. Dies bis die an-gepassten Bestimmungen im massgeblichen Bundesgesetz in Kraft getreten sind.

Mehr zum Thema auf der Webseite des Initiativkomitees www.bausparen.ch. Sie können die Bauspar-Inititative noch bis 27. September 2008 unter-schreiben.

VOLKSINITIATIVEN

Seit der letzten Ausgabe sind folgende Volksinitiativen lanciert wor-den:■ «Gegen neue Kampfflugzeuge», Sammelfrist bis 10.12.2009

Unter der Seite www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis_1_3_1_1.html können Sie die Unterschriftenbogen der hängigen Initiativen herun-terladen.

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VERANT WOR TLIC H FÜR DIE AMTLIC HEN MITTEIL UNGEN DES EDA:RAHEL SC HWEIZER, AUSL ANDSC HWEIZERDIENS T/EDA , BUNDESG ASSE 32,C H-3003 BERN; TELEF ON: +41 31 324 23 98, TELEFAX: +41 31 324 23 60WWW.EDA .ADMIN.C H/ASD; PA6-AUSL ANDC H@EDA .ADMIN.C H

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«Das Haus der Athleten»Das Olympische Museum in Lausanne, wo sich auch der Haupt-sitz des IOC befindet, ist ein idyllisch am Genfersee gelegenes Juwel der Moderne. Es ist nicht nur ein Tempel des Sports, sondern auch ein Zentrum für Kunst, Kultur und Geschichte. Von Alain Wey

«Citius, Altius, Fortius» (Schneller, höher, stärker). Das olympische Motto am Eingang des Museums gibt den Ton dieses Tempels an, der ganz dem Sport gewidmet ist. Seine Grenzen überwinden – diese Forderung spie-gelt sich auch in der Architektur und in den Ausstellungen in diesem Haus wider. Das am Genfersee in Lausanne gelegene Museum be-sitzt die weltweit wertvollste Sammlung olympischer Gegenstände. Ob bei den Dau-erausstellungen über die Geschichte der Olympiaden oder bei der temporären Aus-stellung zu den Olympischen Spielen in Peking: Immer erwartet den Besucher eine Verbindung aus Sport und Kunst.

Das olympische AbenteuerEin Teil der Dauerausstellung «Das olympi-sche Abenteuer» ist den Spielen im antiken Griechenland gewidmet, die von 776 v. Chr. bis 393 n. Chr. stattfanden. Unter dem Vor-wand, dass die Olympischen Spiele heidni-schen Gottheiten gewidmet seien, setzte der römische Kaiser Theodosius deren Austra-gung ein Ende. Es brauchte den Franzosen Pierre de Coubertin (1863-1937) und seinen brennenden Wunsch, moderne Spiele zu schaffen und über den Sport erzieherisch auf die Jugend einzuwirken, bis das olympische Ideal 1894 wieder belebt wurde. Als im übri-gen Europa der Erste Weltkrieg wütete, be-schloss Coubertin, den Sitz des Internatio-nalen Olympischen Komitees (IOC) in

Lausanne einzurichten. So findet sich der Besucher mitten in der Geschichte und den Anfängen der Olympischen Spiele wieder. Auf den meisten olympischen Medaillen ist Nike, die Göttin des Sieges, abgebildet. Es sind sämtliche Fackeln ausgestellt, die seit dem ers-ten Staffellauf von Olympia nach Berlin im Jahre 1936 bis zu den Winterspielen 2006 in Turin bei den olympischen Fackelläufen durch die Welt getragen wurden. Die olympische Flamme, eine Hommage an die antiken Spiele, bei denen die Griechen ein grosses Feuer zu Ehren von Zeus anzündeten, vermittelt eine Botschaft des Friedens, der Solidarität und der Verbundenheit der Völker.

Kunst und Sport sind hier immer eng mit-einander verknüpft; ein Beispiel dafür ist die Bronzestatue von Auguste Rodin aus dem Jahr 1904 mit dem Titel «L’athlète améri-

cain». Die Symbole der Spiele, die Haupt-initianten und interaktive Installationen prä-gen die Ausstellung: die fünf Ringe, welche die fünf Kontinente symbolisieren und zum ersten Mal 1920 in Antwerpen auftauchten, die Ausbreitung der olympischen Bewegung über die Welt, die wirtschaftlichen Details, die Medaillen, Stempel, Münzen, Briefmar-ken, alle IOC-Präsidenten usw. Die zweite Dauerausstellung «Die Athleten und die Spiele» zeigt, wie sich die Sportgeräte der verschiedenen Disziplinen der Olympischen Sommer- und Winterspiele entwickelten. Der weitläufig angelegte Museumsgarten empfängt den Besucher mit seinen imposan-ten Skulpturen grosser Künstler. Modern und interaktiv, das sind die Attribute der Dauerausstellungen, denn es können sogar MP3-Player ausgeliehen werden, die in zahl-reichen Sprachen die verschiedenen Statio-nen kommentieren.

Die Ausstellung über die Olympischen Spiele in PekingAm 8. August 2008, exakt um 8 Sekunden nach 8.08 Uhr, werden in Peking die 29. Olympischen Sommerspiele eröffnet.

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Blick in die temporäre Ausstellung zu den Olympischen Spielen in Peking: das Olympiastadion, die Piktogramme aller Sportarten und die mit Jade eingelassenen Medaillen.

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Acht ist in China eine Glückszahl. Aus die-sem Anlass zeigt die temporäre Ausstellung «Beijing 2008» (Februar bis Oktober) in vier grossen Räumen verschiedene Facetten der Olympiade und der chinesischen Kultur. Auch der Aberglaube spielt mit.

Der Ostteil zeigt die Symbole der Spiele: die mit Glückswolken verzierte Fackel, die Medaillen mit der eingelassenen Jadescheibe auf der Rückseite, welche die bösen Geister vertreiben soll, die 35 Piktogramme der Sportdisziplinen und die fünf Maskottchen in der Farbe der fünf olympischen Ringe. Im Westteil werden die architektonischen Ver-änderungen in Peking gezeigt, die im Hin-blick auf die Spiele vorgenommen wurden. Zwei Olympiastätten werden näher betrach-tet: der Water Cube und das Bird’s Nest. Die Fassendengestaltung des Water Cube erin-nert an Wassermoleküle und passt bestens zu den Schwimm- und Springwettbewerben. Das Bird’s Nest, das Olympiastadion, wurde von den beiden Schweizer Architekten Her-zog & de Meuron entworfen und gleicht ei-nem Vogelnest – für die Chinesen zum einen ein kulinarisches Gericht, zum anderen aber auch ein mit den Bäumen, der Luft und der

Natur verbundenes Symbol. Weiter werden vorgestellt: die Oper von Peking, die eine aus dem Wasser ragende Perle darstellt, die Türme des chinesischen Zentralfernsehens, die zwei sich gegenseitig stützenden Türmen von Pisa gleichen, und der Pekinger Flugha-fen, der an einen Drachen mit gespreizten Flügeln erinnert.

Der Nordteil befasst sich mit der chinesi-schen Kultur, mit den traditionellen Sport-arten Chinas und ihrer Vermischung mit mo-dernem Sport. Das Emblem der Spiele heisst «Tanzendes Peking». Die Werke des Künst-lers Li Wei zeigen die Aspekte Bewegung und Originalität des Sports. Man entdeckt auch die Vielfältigkeit Chinas mit seinen 56 Eth-nien, seinen kulinarischen und medizinischen Traditionen und seinen Gegensätzen. Der Südteil bildet den Abschluss des Museums-besuchs: Ein chronologischer Vergleich zwi-schen der chinesischen und der europäischen Geschichte begleitet den Besucher auf dem sich durch den Park windenden Weg zum Ausgang. Während der ganzen Dauer der Ausstellung wird den Besuchern die chinesi-sche Kultur mit Events und Vorführungen nahegebracht und zudem werden die Wett-

bewerbe auf Grossleinwand übertragen. So-bald der Besucher aus dem Museum tritt und vor dem Seepanorama die acht griechischen Säulen betrachtet, auf denen die 28 Sommer- und die 20 Winterspiele verewigt sind, wird er zwangsläufig daran denken, dass sechs der Säulen für die kommenden Jahrhunderte re-serviert sind. Genau wie das olympische Motto wird auch der Mensch, mit dem Bes-ten, das in ihm steckt, Jahrhunderte überste-hen und seine Grenzen überwinden können, nicht im Kampf gegen andere, sondern im Kampf mit sich, um sich selbst zu übertref-fen und letztlich ein besserer Mensch zu werden.

EINIGE ZAHLEN ZUM MUSEUMVor der Eröffnung des Olympischen Museums am 23. Juni 1993 wurden die Sammlungen zunächst in Lausanne, in der Villa Mon- Repos (1922-1970), später dann in einem provisorischen Museum ausgestellt. Auf Anregung von Juan Antonio Samaranch, IOC-Präsident von 1980 bis 2001, wurde das neue Museum von den Architekten Pedro Ramirez Vazquez aus Mexiko und Jean-Pierre Cahen aus Lausanne gebaut. Es ist das viertgrösste Museum der Schweiz und wurde bereits von über 2,5 Millionen Menschen besucht, 50 Prozent davon aus dem Ausland. Das sind rund 200 000 Besucher pro Jahr, darunter 30 000 Schüler. Seine Gesamtfläche von 11 000 m2 ist auf fünf Stöcke verteilt, der Park ist 22 000 m2 gross. Das Museum besitzt auch ein Auditorium mit 180 Plätzen, fünf Konferenzräume, ein Restaurant, eine Bibliothek, eine Videothek und bietet Führungen und Workshops für Schulen an. Zudem ist Lausanne auch der Hauptsitz des IOC und der Sitz der Olympischen Solidarität. www.olympic.org

Das Olympische Museum in Lausanne liegt in einem 22 000 m2 grossen Park.

Blick in die temporäre Ausstellung zu den Olympischen Spielen in Peking: das Olympiastadion, die Piktogramme aller Sportarten und die mit Jade eingelassenen Medaillen.

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Swiss-SkiKostenloses Juskila für 13- und 14-jährige Schweizer- und Auslandschweizer-Kinder280 Schweizer Kinder und 20 Auslandschweizer-Kinder mit Jahrgang 1994 und 1995 können kostenlos am grossen Skilager des Schweizerischen Skiver-bandes in der Lenk teilnehmen. Dieses findet vom 2. bis 9. Ja-nuar 2009 statt. Um am Juskila teilnehmen zu können, sollten die Auslandschweizer-Kinder sich wenigstens in einer der drei schweizerischen Landes-sprachen (Deutsch, Franzö-sisch oder Italienisch) verstän-digen können. Wer dabei sein kann, wird Mitte Oktober durch das Los entschieden.

Stiftung für junge Auslandschweizer

Winterlager 2008/2009 für 8- bis 14-JährigeOb Skifahrer oder Snow-boarder, Anfänger oder Fort-geschrittener, in unseren Winterlagern können 8- bis 14-jährige Auslandschweizer-Kinder eine tolle Zeit verbrin-gen!

Winterlager Sedrun (GR)Datum: Freitag, 26. Dezember 2008 bis Sonntag, 4. Januar 2009 Anzahl Teilnehmer: 48Kosten: CHF 900.– Ski- oder Snowboardmiete ca. CHF 150.–

Anmeldeschluss:15. Oktober 2008Winterlager Unterwasser (SG)Datum: Samstag, 31. Januar 2009 bis Samstag, 7. Februar 2009Anzahl Teilnehmer: 24Kosten: CHF 700.–Ski- oder Snowboardmiete ca. CHF 140.–Anmeldeschluss: 15. Dezember 2008AnmeldungDie genauen Angaben zu den Winterlagern und das Anmel-deformular finden Sie ab 15. September 2008 unter www.aso.ch (Rubrik Angebote / Kinder- und Jugendangebote / Entdecke die Schweiz / Ferien-lager und Reisen). In berechtig-

ten Fällen werden Beitrags-reduktionen gewährt. Auf Anfrage stellen wir Ihnen un-sere Informationsbroschüre gerne auch per Post zu.

Kontakte um die ganze WeltJunge Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer kennen sich aus den Angeboten der Auslandschweizer-Organisa-tion (ASO). Sie verbrachten zusammen Ferien in der Schweiz. Im Skilager, im Som-mer-Camp, in einem Sprach-kurs oder in einer gemeinsa-men Gastfamilie haben sie sich kennengelernt und pflegen seither den Kontakt über Tau-sende von Kilometern. Bei ei-nigen gibt es ein Wiedersehen in den Jugendangeboten der ASO im kommenden Jahr. Junge Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, welche das erste Mal dabei sind, wer-den mit offenen Armen emp-fangen. Was steht denn als Nächstes an?

Eidgenössische Jugendsession(17.11.08 bis 23.11.08)In der Schweiz wird die Zu-sammenkunft des Jugendparla-ments ausschliesslich von Ju-gendlichen organisiert. Alljährlich findet im Bundes-haus eine Session statt, an der die Jugend ihre Ansichten und

ANMELDETALON FÜR DIE TEILNAHME AN DER AUSLOSUNG JUSKILA

Vorname: Name:

Strasse: PLZ, Ort:

Land: Geburtsdatum:

Name der /des Erziehungsberechtigten:

❑ Mädchen ❑ Knabe Telefon:

Heimatgemeinde in der Schweiz (siehe Pass / ID):

E-Mail Eltern:

Sportart: ❑ Ski alpin ❑ Langlauf ❑ Snowboard

Sprache Kind: ❑ Deutsch ❑ Französisch ❑ Italienisch

Bitte nur ein Feld ankreuzen, nach der Verlosung kann die Sportart nicht mehr gewechselt werden!

Unterschrift der/des Erziehungsberechtigten:

Unterschrift des Jugendlichen:

Talon bis 15. Oktober 2008 an: Stiftung für junge Auslandschweizer, Alpenstrasse 26, CH-3006 Bern, Tel. +41 31 356 61 16, Fax +41 31 356 61 01, E-Mail: [email protected], www.aso.ch (Rubrik Angebote / Kinder- und Jugendangebote / Entdecke die Schweiz / Ferienlager und Reisen)

Skilager einst und jetzt: Engelberg 1942 Hasliberg 2006

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BildungsangeboteJunge Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer profitie-ren von unseren Sprachlehr-kräften in der Schweiz. Wir er-möglichen ihnen einen Einblick in die Schweizer Bildungsland-schaft. Unsere aufgestellten Gastfamilien erwarten die Ju-gendlichen und sie können mit dem Generalabonnement der SBB die Schweiz auf eigene Faust bereisen. Willkommen im Ferienland Schweiz. JugenddienstTelefon +41 31 356 61 00 [email protected], www.aso.ch

Die Ausland-schweizer und die Ausübung ihrer politischen Rechte Am 22. Mai 2008 haben ASO-Repräsentanten die Staats-politische Kommission des Nationalrats näher über die Schwierigkeiten informiert, mit denen Auslandschweizer-innen und Auslandschweizer im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer politischen Rechte konfrontiert sind.

ASO-Präsident Jacques-Simon Eggly und ASO-Direktor Rudolf Wyder berichteten der Kom-mission von zahlreich einge-gangenen Auslandschweizer-Beschwerden im Anschluss an die eidgenössischen Parla-mentswahlen vom Herbst 07.

Die Vertreter der Ausland-schweizer-Organisation schnit-ten als Erstes das Problem des Abstimmungsunterlagenver-sands an, der unseren Landsleu-ten im Ausland die Beteiligung am demokratischen Prozess er-schwert oder gar verunmög-licht. Kritisiert werden dabei etwa verspätetes Eintreffen, falsch zugewiesene Sprachversi-onen, unvollständige Unterla-gen oder gar das schlichte Streichen aus den Stimmregis-tern. Da die Ursachen dieser Probleme in den gesetzlichen Bestimmungen liegen, betonten Jacques-Simon Eggly und Rudolf Wyder die Dringlichkeit der Einführung des E-Voting. Darüber hinaus setzten sie sich dafür ein, dass die Ausland-schweizer im Kanton, in dem sie im Stimmregister eingetra-gen sind, auch die Ständeräte wählen können. Ein weiteres Anliegen bildete schliesslich die separate Erfassung der Aus-landschweizer-Stimmen. Die Kommission lehnte schliesslich mit acht gegen sieben Stimmen den Antrag ab, den Versand der Abstimmungsunterlagen an die Auslandschweizer dem Bund zu

übertragen. Sie erachtete das «Sensibilisierungsrundschreiben» der Bundeskanzlei an die heute mit dieser Aufgabe betrauten Kantone und Gemeinden als ausreichend. Nach Ansicht der ASO ist die heutige Situation nicht länger haltbar. Unsere Landsleute im Ausland müssen ihre politischen Rechte genau gleich wie die Inlandschweizer wahrnehmen können. Deshalb wird sich die ASO weiterhin für eine Sensibilisierung der Parla-mentarier zur Etablierung eines tragfähigen Systems und zur Ge-währleistung eines hohen Dienst-leistungsstandards für die Aus-landschweizer einsetzen. Das Hauptanliegen hinter all diesen Forderungen ist und bleibt die Anerkennung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung der Fünften Schweiz. Die Anhörung der ASO-Reprä-sentanten war im Zuge der Ver-nehmlassung zur parlamentari-schen Initiative von Carlo Sommaruga anberaumt worden, welche eine direkte Vertretung der Auslandschweizer in den eid-genössischen Räten fordert. Bei dieser Gelegenheit erinnerten Eggly und Wyder daran, dass zum Artikel 40 der Bundesver-fassung noch immer kein allge-meines Ausführungsgesetz exis-tiert, das eine solide gesetzliche Grundlage für die Politik des Bundes in Bezug auf die Ausland-schweizer bilden würde. Eine wahrlich bedauernswerte Unter-lassung!

Forderungen an die Entschei-dungsträger der Schweiz for-muliert. Die Teilnahme an derJugendsession ist eine ein-zigartige Möglichkeit, hinter die Kulissen der Politik zu schauen. Die ASO führt die Jugendlichen ins Politsystem Schweiz ein und behandelt die Themen der Jugendsession mit den Teilnehmerinnen und Teil-nehmern im Vorfeld, damit sie sich aktiv an den Debatten beteiligen können. Willst du die Welt verändern? Jede Mei-nung zählt.

Neujahrsskilager in Lantsch (GR)26.12.2008 bis 04.01.2009Der beliebte Skiort Lenzer-heide in den Bündner Bergen liegt nur vier Kilometer von Lantsch entfernt. Wir sind in einem geräumigen Lagerdorf einquartiert und treiben täg-lich Wintersport auf der Len-zerheide. Ausgebildete Ski- und Snowboardleiter helfen den Jugendlichen, ihre Technik auf dem Schnee zu verbessern. An der Silvesterparty lassen wir die Korken knallen und starten mit viel Elan ins 2009.

Resolution der Auslandschweizer zugunsten der «Schweizer Revue»

Die Auslandschweizerinnen und -schweizer setzen sich für die «Schweizer Revue» ein. An den Jahrestreffen in ihren Wohnsitz-ländern haben die in Frankreich, Deutschland, Italien und Gross-britannien niedergelassenen Schweizerinnen und Schweizer ihrer Besorgnis über die Sparpläne Ausdruck gegeben, welche die Abgabe der «Schweizer Revue» in ihrer heutigen Form in Frage stellen.

Sie betonten die Bedeutung dieses Kommunikationsmediums, das als einziges alle Auslandschweizer-Haushaltungen erreicht. Ihrer Ansicht nach ist es wichtig, dass es systematisch an alle im Ausland immatrikulierten Landsleute abgegeben wird, damit diese einen starken Bezug zu ihrer Heimat bewahren. Die verab-schiedeten Resolutionen appellieren an die Vorsteherin des EDA, Frau Micheline Calmy-Rey, alles zu unternehmen, damit die «Schweizer Revue» in der jetzigen Form bestehen bleibt und weiterhin an alle in einem Register für Auslandschweizer einge-tragenen Schweizerinnen und Schweizer abgegeben wird.

AUSLANDSCHWEIZER-ORGANISATION Unsere Dienstleistungen:■ Rechtsdienst■ Jugenddienst■ AJAS Der Verein zur Förderung der Ausbildung junger Auslandschweizer■ KSA Das Komitee für Schweizer Schulen im Ausland■ SJAS Die Stiftung für junge AuslandschweizerAuslandschweizer-Organisation, Alpenstrasse 26, CH–3006 Bern Telefon +41 31 356 61 00, Fax +41 31 356 61 01, www.aso.ch

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Es lebe der FussballEin Turnier mit vielen unerwarteten Wendungen, ein Fussball-fest und eine Schweiz, die drei Wochen lang im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stand: Mit mehr als vier Millionen Zuschauern in den Schweizer Gaststädten war die Euro 2008 ein Riesenerfolg. Ein Stimmungsbild nach dem Schlusspfiff. Von Alain Wey

«Lo, lo, lo, lo, lo, lo … Lo!» Die Krönung der Spanier in Wien bildete den Schluss- und Höhepunkt der Euro 2008. Wie beim Sieg eines Teams aus dem Mittelmeerraum üb-lich, füllten sich auch in der Schweiz die Strassen der Städte mit Autos und Hupkon-zerten. Und in den Herzen so mancher Schweizer Fans stieg nach drei faszinieren-den Fussballwochen leise Melancholie auf. Es ist vorbei – aber schön ist es gewesen! Auch abseits der «Fanzonen» und der Stadien in den grossen Städten huldigten Stadt und Land gleichermassen dem runden Leder. Das Fri-Son in Freiburg beispielsweise verwan-delte sich in einen Fussballtempel mit drei Grossleinwänden und unerschütterlich gu-ter Laune, der auch Niederlagen nichts an-haben konnten. Wird die Schweiz eines Ta-ges zu einer grossen Fussballnation? Die Voraussetzungen sind gut: Fans gibt es zur Genüge. Nachwuchstalente auch. Viele Schweizer haben nach dem Ausscheiden der Nati klein beigegeben. Und dennoch – es fehlte nur wenig und alles hätte ganz anders kommen können. Zahlreiche Glanzleistun-gen und Begeisterungsstürme, eine einzige Volksfeststimmung: All das wird von der EM im Land der Berge und Seen ebenso in Erin-nerung bleiben wie die Gastfreundschaft und die perfekte Organisation im Hintergrund. Ein Rückblick.

«Die Atmosphäre in den Stadien und auf den Strassen, die Zeitungsartikel und die

Fernsehbeiträge zeig-ten es deutlich: Das völkerverbindende Volksfest Euro 2008 ist gelungen», erklär-ten Samuel Schmid, Minister für Vertei-digung, Bevölke-rungsschutz und Sport, und Benedikt Weibel, Delegierter des Bundesrates für die Euro 2008. Nach ersten Schätzungen sind für die 15 in der

Schweiz ausgetragenen Spiele mehr als vier Millionen Fans nach Basel, Genf, Zürich und Bern gereist. Insgesamt haben 930 000 Zu-schauerinnen und Zuschauer die Spiele in Bern verfolgt, 150 000 allein am 13. Juni, als die Hauptstadt anlässlich des Spiels Holland-Frankreich von einer orangen Flut über-schwemmt wurde (Fotos und Videoclips dazu auf www.oranjebern.ch). In Basel wur-den 1 050 000, in Genf 700 000 und in Zü-rich rund 2 000 000 Besucher gezählt (700 000 allein in der Zürcher Fanzone). Die 16 UBS-Arenen in der ganzen Schweiz wur-den von rund einer Million Zuschauern be-sucht. Trotz nicht idealer Witterungsbedin-gungen waren das Fest schön und die Atmosphäre gut. Ein deutscher Fan formu-lierte es so: «Einzig das Wetter konnten die Schweizer für uns nicht planen!» Dem An-sturm auf die öffentlichen Verkehrsmittel – sie wurden von 85 Prozent der Fans genutzt

– war die Schweiz problemlos gewachsen. Fast zwei Millionen Fussballbegeisterte reisten in einem der 4000 Sonderzüge an die Spiele der Euro 2008.

Mit seiner Nati konnte das Schweizer Pu-blikum zwar nicht sehr lange mitfiebern, aber es begeisterte sich für neue Favoriten und erlag der ungeheuren Spannung dieser Euro. Der alte Groll gegen die Türkei verwandelte sich im Verlaufe des Turniers in Respekt für den Kampfgeist dieser Mannschaft, der es dreimal gelang, das Spiel in den letzten Spiel-

minuten noch zu wenden. Es scheint, dass der Fussball in solchen Momenten das ganze Spektrum der menschlichen Emotionen in-tensiviert, von den niedrigsten bis zu den no-belsten. Die Oranjes und ihr improvisiertes Camping wird man ebenso wenig vergessen wie das Granatrot Portugals. Unvergesslich bleibt der Empfang, den die portugiesische Gemeinde in der Schweiz ihrer Nationalelf bereitete: 2000 Motorradfahrer folgten dem Teambus vom Flughafen Genf-Cointrin bis nach Neuenburg.

Die Euro 2008 war für die Schweiz zwei-fellos das bedeutendste internationale Ereig-nis der letzten 50 Jahre. Man kann sich gut vorstellen, dass ihr Erfolg bei den internati-onalen Sportgremien in Bezug auf die Orga-nisation anderer Grossveranstaltungen in unserem Land Wirkung zeigen wird. Selten wurden an einer EM in den Viertel- und Halbfinals so viele Tore geschossen; dieses Turnier wird also in ausgezeichneter Erinne-rung bleiben. Die Zukunft wird uns zeigen, welche «Euro-Effekte» die Zusammenarbeit mit Österreich und die Hunderttausenden Fans, die dem Charme unseres schönen Lan-des erlegen sind, bringen werden. Auch wenn die Nati eine goldene Gelegenheit verpasst hat, so zeigten die Schweizer doch Fairplay und einen Willen, den Kopf wieder zu erhe-ben und die guten Teams anzufeuern, dass es das Herz erfreute. Die Herzlichkeit der Holländer, die Virtuosität der Spanier und der Torriecher von Fernando Torres werden den Schweizer und Österreicher Fussball-fans unvergesslich bleiben. Während Mexiko 1986 «olé» schrie und Frankreich 1998 «I will survive» sang, gaben bei der Euro 2008 die Rhythmen der Rockmelodie «Seven Nation Army» der White Stripes den Ton an. Bei jedem Match skandierte das Publikum unermüdlich und euphorisch: «Lo, lo, lo, lo, lo, lo … Lo!» Mit anderen Worten: Es lebe der Fussball!

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Die Fanzone auf dem Bundesplatz in Bern fest in holländischer Hand.

Spaniens Trainer Aragonés als Torero.

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■ Zum ersten Mal seit sechs Jah-ren sank die Zahl der Arbeits-losen in der Schweiz unter 100 000. Die Arbeitslosenrate betrug im Mai schweizweit 2,4 Prozent, 3,7 Prozent in der Westschweiz und 1,9 Prozent in der Deutschschweiz. ■ Mit fast 16,8 Millionen Lo-giernächten – 6,2 Prozent mehr als im Vorjahr – erzielte die letzte Wintersaison das beste Ergebnis in der Geschichte des Schweizer Tourismus.■ Mit der Einführung des neuen biometrischen Passes verschwin-det auch die herkömmliche Identitätskarte ohne biometri-sche Daten. Dies hat im Juni nun auch der Nationalrat entschieden.

■ Fünf Schweizer Soldaten sind bei einer Raftingübung in den Stromschnellen der Kander bei Wimmis (BE) ertrunken. Der Kompanie-kommandant ist im Visier der Militärjustiz.■ Schweizer Unternehmen: Mehr als die Hälfte der neuen Topmanager (53 Prozent) stam-men aus dem Ausland. Gemäss dem Personalberatungsunter-nehmen Guido Schilling & Partner ist bei den CEO der Anteil der Ausländer/innen in-nerhalb eines Jahres von 32 Pro-zent auf 38 Prozent gestiegen. Der Anteil der Deutschen unter den ausländischen Führungs-kräften ist von 30 Prozent auf 34 Prozent angewachsen, weiter stammen 12 Prozent aus den USA und 10 Prozent aus Gross-britannien.■ Ab 2010 werden die Mieten nur noch der Teuerung ange-passt. Weil bei der Berechnung

der Teuerung auch die Miet-zinse berücksichtigt werden, befürchtet der Schweizerische Mieterinnen- und Mieterver-band die Entstehung einer Inflationsspirale.■ Der Schweizerische Natio-nalfonds hat im vergangenen Jahr 40 Millionen Franken mehr für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung ausgegeben als im Jahr zuvor, nämlich insgesamt 531 Millio-nen Franken – ein neuer Re-kord.■ Der Prozess zum Flug-zeugabsturz in Bassersdorf (ZH), der 2001 24 Todesopfer forderte, entlastete die Cross-

air. Die damaligen Führungs-kräfte der Fluggesellschaft, Moritz Suter und André Dosé, wurden vom Schweizerischen Bundesstrafgericht freigespro-chen.■ Zum ersten Mal gehört ein ausländisches Team zur Elite des Schweizer Fussballs. Als Tabellenerster der Challenge League stieg Vaduz (Liechten-

stein) in die Schweizer Super League auf.■ Nach einem Verlust von 11,5 Milliarden Franken im ers-ten Quartal kündigt die UBS an, dass sie bis Mitte 2009 5500 Stellen abbauen will, 1500 davon in der Schweiz. Gleich-zeitig steht die Bank im Ver-dacht, reichen amerikanischen Kunden geholfen zu haben, ihr Einkommen am Fiskus vorbei-zuschmuggeln.

■ Jean-Paul Clozel, Gründer des Biotechunternehmens Actelion, wurde unter 48 Kon-kurrenten aus mehr als 40 Ländern zum «World Entre-preneur of the Year» gewählt. Es ist das erste Mal, dass ein Schweizer diese vom Wirt-schaftsprüfungs- und Bera-tungsunternehmen Ernst & Young verliehene Auszeich-nung erhält.■ Nach dem Tessin, Solothurn, Graubünden, Appenzell Aus-serrhoden, St. Gallen und Genf ist Uri der siebte Kanton, der das Rauchen in öffentlichen Räumen verbietet. Das Wallis wird nächstens über eine solche Vorlage abstimmen.■ Pascal Couchepin musste er-klären, warum der Bundesrat 2007 beschloss, 100 Bundes-ordner mit heiklen Dokumen-ten im Zusammenhang mit einem mutmasslichen Atom-schmuggel heimlich zu ver-nichten. Es bestehen starke Zweifel an der Legalität dieser Aktion: Der Präsident der Aus-senpolitischen Kommission des Nationalrats, Geri Müller, verlangt eine Untersuchung, denn er vermutet, dass die USA Druck auf die Schweiz ausgeübt haben. AW/RRS

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„Ich wünsche Christoph Blocher, dass er den Zeitpunkt nicht verpasst, sich zurückzuziehen. Sonst kann er zur Hypothek für die Partei werden.“ Peter Spuhler, führender SVP-Politiker und Unternehmer

„Viele Schweizer bringen es fertig, bei jedem freudigen Ereignis vor allem Probleme zu sehen. Was ist los mit unserem Land, können wir uns nicht mehr freuen?“ Filippo Leutenegger, freisinniger Nationalrat aus dem Kanton Zürich

„Die Schweizer sind sehr unabhängig. Sie sind stolz auf ihr Land und ihre Demokratie. Wir respektieren, dass sie zurzeit den bilateralen Weg nach Europa gehen.“ Benita Ferrero-Walder, Aussenkommissarin der Europäischen Union

„Wenn wir ein wunderschönes Auto bauen, das nicht teuer ist und mit Wasserstoff fährt, werden es die Leute kaufen.“ Nicolas G. Hayek zu seinem Projekt eines emissionsfreien Autos mit Brennstoffzellen

„Nicht alle schweizerischen Agrarprodukte haben auf dem internationa-len Markt die gleichen Chancen. Käse und Würste haben die besseren Chancen als Äpfel und Rüebli.“

Rolf Büttiker, Präsident des Schweizer Fleisch-Fachverbandes

„Die Schweiz hat sich verpflichtet, den Verlust der Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren bis 2010 signifikant zu senken. Doch leider läuft in unserem Land nicht viel.“

Kurt Eichenberger, Projektleiter Biodiversität beim WWF

„50 Spitäler der über 300 Spitäler in der Schweiz würden genügen. Heute macht man in fast jedem kleinen Spital alles – nicht immer so gut, wie es möglich wäre.“

Manfred Manser, Chef der grössten Krankenkasse Helsana

„Alkohol hat sich zu einem alltäglichen Jugendthema entwickelt. Dazu nehmen die Gewaltdelikte alkoholisierter Jugendlicher stetig zu.“ Esther Maurer, Stadträtin in Zürich

„Wir Schweizer Spieler sind zu lieb. Doch an der Fussball-Europameis-terschaft ist etwas anderes gefragt. Du darfst dem Gegner keine Chance lassen, ins Spiel zu kommen.“

Patrick Müller, Abwehrspieler in der Nati, nach dem Ausscheiden der Schweiz

„In der Schweiz ist die Nationalmannschaft etwas Besonderes. Der Rückhalt in der Bevölkerung ist grösser als in Deutschland. Die Schwei-zer sind patriotischer.“

Ottmar Hitzfeld, Startrainer und neuer Coach der Schweizer Fussball-Nati