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Übersicht | HNO 5•2002 418 Zusammenfassung Hintergrund. Retropharyngeale Raumfor- derungen stellen große diagnostische und therapeutische Anforderungen an den be- handelnden Arzt. Methoden. Anhand von 6 ausgewählten ei- genen Fällen und der Literatur werden die Raumforderungen des retropharyngealen Raums systematisch dargestellt. Ergebnisse. Die Veränderungen fallen zufäl- lig bei einer HNO-ärztlichen Untersuchung auf, oder der Patient konsultiert den Arzt we- gen Dyspnoe, Dysphagie, Stimmveränderun- gen, Schlafapnoesyndrom bzw. Nacken- schmerzen. 6 eigene Patienten mit Abszess, Lipom, malignem Schwannom, Sarkoidose, ektoper A. carotis interna oder M. Forestier zeigen die vielfältigen Ursachen. Präoperati- ves Halsröntgen seitlich und CT bzw. MRT ist unerlässlich, um schwerwiegende Komplika- tionen (Verletzungen von Wirbelsäule, Ge- hirn, Rückenmark oder der A. carotis interna) zu vermeiden. Zur Histologiesicherung bietet sich der transorale Zugangsweg an, zur Ab- szessentlastung wegen besserer Drainage auch ein Vorgehen von außen. Schlussfolgerung. Die Therapie der retro- pharyngealen Raumforderungen wird we- gen der uneinheitlichen Ätiologie durch die zugrundeliegenden Erkrankungen be- stimmt. Schlüsselwörter Retropharyngealer Abszess · Gutartige retropharyngeale Tumoren · Bösartige retropharyngeale Tumoren · Erkrankungen des Retropharyngealraums · Retropharyngeales Hämatom · Ektope A. carotis interna Bei Patienten mit Dysphagie oder Dys- pnoe bzw. selten auch als Zufallsbefund entdeckt der Hals-Nasen-Ohren-Arzt gelegentlich eine Vorwölbung der Ra- chenhinterwand, die ursächlich für die genannten Beschwerden verantwortlich sein kann. Sowohl differenzialdiagnos- tisch als auch therapeutisch stellt eine solche retropharyngeale Raumforde- rung, genau wie parapharyngeale Raumforderungen [9], nicht zuletzt we- gen der unmittelbaren Nähe zur Wirbel- säule und zur A. carotis interna hohe Anforderungen an das diagnostische und therapeutische Geschick des behan- delnden Arztes. Die Pharynxhinterwand liegt der Halswirbelsäule bzw. der prävertebralen Muskulatur an und wird nur durch lockeres Bindegewebe (Spatium retro- pharyngeum) von diesen Strukturen ge- trennt. Dieses auch als Retropharynge- alraum bezeichnete Spatium retropha- ryngeum wird ventral von der Pharynx- mukosa und dem M. constrictor pha- ryngis sowie dorsal von der Fascia cer- vicalis (Lamina praevertebralis) be- grenzt. Da der Retropharyngealraum von der Schädelbasis bis ins Mediasti- num (Höhe des 1.–2. Brustwirbels) reicht, können sich retropharyngeale Krankheitsprozesse, insbesondere Ent- zündungen, weit in kraniokaudale Rich- tung ausbreiten [35]. Neben Abszedierungen, gutartigen und bösartigen Tumoren sowie knö- chernen Veränderungen der Wirbelsäu- le kommen in seltenen Fällen auch Sy- stemerkrankungen ursächlich in Be- tracht.Wenn es sich nicht um eine Not- fallsituation, z. B. mit akuter Luftnot, handelt, ist vor einer operativen Inter- vention eine gründliche Differenzial- diagnostik unumgänglich, um größeren Schaden oder sogar letale Komplikatio- nen zu verhindern. Obwohl Diagnostik und Therapie dieser seltenen Erkrankungen fast aus- schließlich durch HNO-Ärzte erfolgen, erschöpft sich die Darstellung dieses Krankheitsbildes in der bisher erschiene- nen Literatur nahezu ausnahmslos in Einzelfallberichten. Darüber hinaus be- treffen Hinweise in den otorhinolaryngo- logischen Operationslehren vornehmlich die Behandlung retropharyngealer Abs- zesse, ohne die Vielfalt der möglichen an- deren Ursachen zu berücksichtigen. Eine detaillierte Analyse dieses Krankheitsbildes erscheint besonders im Hinblick auf die jüngeren Kollegen unseres Fachs in einem frühen Ausbil- dungsstatus zwingend notwendig, da die ersten von ihnen durchzuführen- den operativen Eingriffe (Adenoto- mie/Tonsillektomie) genau in der Regi- on durchgeführt werden, in denen man auf eine retropharyngeale Raumforde- rung treffen kann. Nicht auszudenken, wenn es z. B. im Rahmen einer Adenoto- mie zur Verletzung einer retropharyn- geal verlaufenden A. carotis interna oder eines Aneurysmas der A. carotis interna kommt, weil diesen Normvarianten bis- her zu wenig Beachtung geschenkt wur- de. Übersicht HNO 2002 · 50:418–423 © Springer-Verlag 2002 F. Schmäl · W. Stoll · Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Universitätsklinikums Münster Differenzialdiagnose und Management retropharyngealer Raumforderungen Priv.-Doz. Dr. Frank Schmäl HNO-Klinik des Universitätsklinikums Münster, Kardinal-von-Galen-Ring 10, 48129 Münster E-Mail: [email protected] Redaktion H.P. Zenner,Tübingen

Differenzialdiagnose und Management retropharyngealer Raumforderungen

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Page 1: Differenzialdiagnose und Management retropharyngealer Raumforderungen

Übersicht

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Zusammenfassung

Hintergrund. Retropharyngeale Raumfor-

derungen stellen große diagnostische und

therapeutische Anforderungen an den be-

handelnden Arzt.

Methoden. Anhand von 6 ausgewählten ei-

genen Fällen und der Literatur werden die

Raumforderungen des retropharyngealen

Raums systematisch dargestellt.

Ergebnisse. Die Veränderungen fallen zufäl-

lig bei einer HNO-ärztlichen Untersuchung

auf, oder der Patient konsultiert den Arzt we-

gen Dyspnoe, Dysphagie, Stimmveränderun-

gen, Schlafapnoesyndrom bzw. Nacken-

schmerzen. 6 eigene Patienten mit Abszess,

Lipom, malignem Schwannom, Sarkoidose,

ektoper A. carotis interna oder M. Forestier

zeigen die vielfältigen Ursachen. Präoperati-

ves Halsröntgen seitlich und CT bzw. MRT ist

unerlässlich, um schwerwiegende Komplika-

tionen (Verletzungen von Wirbelsäule, Ge-

hirn, Rückenmark oder der A. carotis interna)

zu vermeiden. Zur Histologiesicherung bietet

sich der transorale Zugangsweg an, zur Ab-

szessentlastung wegen besserer Drainage

auch ein Vorgehen von außen.

Schlussfolgerung. Die Therapie der retro-

pharyngealen Raumforderungen wird we-

gen der uneinheitlichen Ätiologie durch die

zugrundeliegenden Erkrankungen be-

stimmt.

Schlüsselwörter

Retropharyngealer Abszess ·

Gutartige retropharyngeale Tumoren ·

Bösartige retropharyngeale Tumoren ·

Erkrankungen des Retropharyngealraums ·

Retropharyngeales Hämatom ·

Ektope A. carotis interna

Bei Patienten mit Dysphagie oder Dys-pnoe bzw. selten auch als Zufallsbefundentdeckt der Hals-Nasen-Ohren-Arztgelegentlich eine Vorwölbung der Ra-chenhinterwand, die ursächlich für diegenannten Beschwerden verantwortlichsein kann. Sowohl differenzialdiagnos-tisch als auch therapeutisch stellt einesolche retropharyngeale Raumforde-rung, genau wie parapharyngealeRaumforderungen [9], nicht zuletzt we-gen der unmittelbaren Nähe zur Wirbel-säule und zur A. carotis interna hoheAnforderungen an das diagnostischeund therapeutische Geschick des behan-delnden Arztes.

Die Pharynxhinterwand liegt derHalswirbelsäule bzw. der prävertebralenMuskulatur an und wird nur durchlockeres Bindegewebe (Spatium retro-pharyngeum) von diesen Strukturen ge-trennt. Dieses auch als Retropharynge-alraum bezeichnete Spatium retropha-ryngeum wird ventral von der Pharynx-mukosa und dem M. constrictor pha-ryngis sowie dorsal von der Fascia cer-vicalis (Lamina praevertebralis) be-grenzt. Da der Retropharyngealraumvon der Schädelbasis bis ins Mediasti-num (Höhe des 1.–2. Brustwirbels)reicht, können sich retropharyngealeKrankheitsprozesse, insbesondere Ent-zündungen, weit in kraniokaudale Rich-tung ausbreiten [35].

Neben Abszedierungen, gutartigenund bösartigen Tumoren sowie knö-chernen Veränderungen der Wirbelsäu-le kommen in seltenen Fällen auch Sy-stemerkrankungen ursächlich in Be-tracht. Wenn es sich nicht um eine Not-fallsituation, z. B. mit akuter Luftnot,

handelt, ist vor einer operativen Inter-vention eine gründliche Differenzial-diagnostik unumgänglich, um größerenSchaden oder sogar letale Komplikatio-nen zu verhindern.

Obwohl Diagnostik und Therapiedieser seltenen Erkrankungen fast aus-schließlich durch HNO-Ärzte erfolgen,erschöpft sich die Darstellung diesesKrankheitsbildes in der bisher erschiene-nen Literatur nahezu ausnahmslos inEinzelfallberichten. Darüber hinaus be-treffen Hinweise in den otorhinolaryngo-logischen Operationslehren vornehmlichdie Behandlung retropharyngealer Abs-zesse,ohne die Vielfalt der möglichen an-deren Ursachen zu berücksichtigen.

Eine detaillierte Analyse diesesKrankheitsbildes erscheint besondersim Hinblick auf die jüngeren Kollegenunseres Fachs in einem frühen Ausbil-dungsstatus zwingend notwendig,da dieersten von ihnen durchzuführen-den operativen Eingriffe (Adenoto-mie/Tonsillektomie) genau in der Regi-on durchgeführt werden, in denen manauf eine retropharyngeale Raumforde-rung treffen kann. Nicht auszudenken,wenn es z. B. im Rahmen einer Adenoto-mie zur Verletzung einer retropharyn-geal verlaufenden A.carotis interna odereines Aneurysmas der A. carotis internakommt, weil diesen Normvarianten bis-her zu wenig Beachtung geschenkt wur-de.

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F. Schmäl · W. Stoll · Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Universitätsklinikums Münster

Differenzialdiagnose und Management retropharyngealerRaumforderungen

Priv.-Doz. Dr. Frank SchmälHNO-Klinik des Universitätsklinikums Münster,

Kardinal-von-Galen-Ring 10, 48129 Münster

E-Mail: [email protected]

RedaktionH.P. Zenner, Tübingen

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F. Schmäl · W. Stoll

Differential diagnosis and managementof retropharyngeal diseases

Abstract

Backround. Diseases of the retropharyngeal

space place high request on the diagnostic

and therapeutic knowledge of the otorhino-

laryngologist.

Methods. Under consideration of six own

cases and of all other published case reports,

this inhomogeneous symptom is analysed

systematically.

Results. Commonly, these alterations of the

retropharyngeal space are observed inciden-

tally during routine throat examination or in

patients suffering from dyspnoea, dyspha-

gia, dysphonia, sleep apnoea syndrome or

neck pain. Six own cases show the very inho-

mogeneous aetiology (retropharyngeal ab-

scess, lipoma, malignant schwannoma, sar-

coidosis, aberrant internal carotid artery, For-

estier disease).Therefore, before surgery, a

sufficient radiologic diagnosis (lateral neck

radiography and CT or MRI respectively) is

necessary to avoid grave complications (in-

jury to the cervical spine, the brain, the spi-

nal cord or the internal carotid artery). A tis-

sue sample can be obtained by the transoral

approach while the lateral cervical approach

seems to be the better way to treat a retro-

pharyngeal abscess.

Conclusion. Because of the very different

aetiology of retropharyngeal space diseases

the therapy finally depends on the definite

diagnosis.

Keywords

Retropharyngeal abscess · Retropharyngeal

benigne tumors · Retropharyngeal

malignant tumors · Diseases of the

retropharyngeal space · Retropharyngeal

hematoma · Aberrant internal carotid artery ·

Review of literature

Ziel der vorliegenden Arbeit ist esdaher, ausgehend von 6 ausgewähltenFällen aus dem eigenen Krankengut undder bisher zum Thema erschienenen Li-teratur, die Raumforderungen des retro-pharyngealen Raums systematisch dar-zustellen und darüber hinaus die Spann-breite der möglichen Ursachen und diediagnostischen sowie therapeutischenBesonderheiten exemplarisch herauszu-arbeiten.

Fallbeispiele

Fall 1. Der Patient (63 Jahre),bei dem voreinigen Jahren eine beidseitige Tonsill-ektomie durchgeführt wurde. Seit 6 Ta-gen bestanden Schluckschmerzen mitbeginnender Kieferklemme und Fieber;

eine orale Antibiotikatherapie ergab kei-ne Besserung. Bei der Inspektion derMundhöhle zeigte sich eine deutlicheVorwölbung der seitlichen und hinterenrechten Oropharynxwand. Leukozyten7240/µl; BSG (nach Westergren)74/115 mm; CRP 3,7 mg/dl, axilläre Tem-peratur 36,7°C. Im CT des Halses zeigtesich eine Vorwölbung des rechten retro-pharyngealen Raums mit sichelförmigerprävertebraler Einschmelzung in Höhedes horizontalen Unterkieferastes(Abb. 1) im Sinne eines retropharyngea-len Abszesses. Dieser wurde in Intubati-onsnarkose über einen äußeren Zugangvon rechts zervikal durch Einlage einerEasy-Flow-Lasche drainiert. Nach tägli-chen Spülungen (Ethacridin und H2O2)konnte die Drainage am 4. Tag entferntwerden.Histologisch ergab sich eine ein-schmelzende Entzündung. Der postope-rative Verlauf gestaltete sich komplikati-onslos,und der Patient konnte nach 7 Ta-gen die Klinik beschwerdefrei verlassen.

Fall 2. Bei dem Patienten (54 Jahre) fielseit einigen Monaten eine kloßige Spra-che auf. Bei der HNO-ärztlichen Unter-suchung zeigte sich eine ausgedehnteVorwölbung der linken Oropharynxhin-terwand, die palpatorisch weich war.MRT und Spiral-CT ergaben den Ver-dacht auf ein retropharyngeales Lipommit einer maximalen kraniokaudalenAusdehnung von ca. 7 cm (Abb. 2). DieRaumforderung wurde in Intubations-narkose über eine enorale vertikale Inzi-sion entfernt. Nach Wundverschlusswurde eine Magensonde eingelegt undfür einige Tage belassen. Der postopera-tive Verlauf war komplikationslos, diekloßige Sprache nach 2 Wochen ver-schwunden. Die histologische Aufarbei-tung ergab das im MRT und CT bereitsvermutete Lipom.

Fall 3. Der Patient (25 Jahre) konsultier-te wegen grippaler Beschwerden denHNO-Arzt. Bei der Untersuchung undauch im anschließend durchgeführtenMRT fiel eine rechtsseitige submuköseRaumforderung des Epi-und Oropha-rynx auf. In Intubationsnarkose wurdeder gekapselte Tumor (maximalerDurchmesser 3,8 cm) über einen enora-len Zugang makroskopisch in sano ent-fernt. Histologisch ergab sich ein nied-rigmalignes Schwannom. Postoperativwurde eine Radiatio mit einer Herddosisvon 60 Gy durchgeführt.

HNO2002 · 50:418–423 © Springer-Verlag 2002

Abb. 1 � Retropharyngealabszess mit Vorwöl-bung des rechten retropharyngealen Raumsund sichelförmiger prävertebraler Einschmel-zung (Pfeil) in Höhe des horizontalen Unterkieferastes

Abb. 2 � Retropharyngeales Lipom (Pfeil) mit deutlicher Einengung des Oro- und Hypo-

pharynx

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Fall 4. Bei der Patientin (62 Jahre) fiel imRahmen einer Hörsturzbehandlung alsZufallsbefund eine rechtsseitige Vorwöl-bung der Oropharynxhinterwand auf.Im MRT zeigte sich eine 2×3×0,8 cmgroße, glatt begrenzte Raumforderungdes Spatium retropharyngeum. In Intu-bationsnarkose wurde über einen enora-len Zugang eine PE aus der strangförmi-gen Raumforderung entnommen.

Histologisch ergab sich eine gra-nulomatöse Entzündung vom Sarkoido-setyp. Internistisch wurde bei extrapul-monaler Sarkoidose Grad I–II eine 4-wöchige Kortisontherapie eingeleitet.

Fall 5. Der Patient (80 Jahre) stellte sichzur Sanierung einer beidseitigen chro-nischen Otitis media mesotympanalis inder Klinik vor. Erst im Rahmen einerzweiten, bei der stationären Aufnahmedurchgeführten HNO-ärztlichen Spie-geluntersuchung fiel eine pulsierendestrangförmige Vorwölbung der rechtenOropharynxhinterwand auf. Im Hals-CTmit Kontrastmittel zeigte sich eine Elon-gation der A. carotis interna beidseitsmit Schleifenbildung und enger Lagebe-ziehung zur Rachenhinterwand ohneaneurysmatische Aufweitung (Abb. 3).

Fall 6. Der Patient (80 Jahre) stellte sichwegen Dysphagie in unserer ambulan-ten Sprechstunde vor. Bei der Spiegelun-tersuchung zeigte sich eine Vorwölbungder Rachenhinterwand knapp über demNiveau der Aryknorpel.Die Schleimhautüber dieser Vorwölbung war intakt. Zurweiteren Diagnostik wurde ein Hals-CTangefertigt.Dieses zeigte als Ursache der

retropharyngealen Raumforderung ei-nen Spondylophyten der Halswirbelsäu-le (Abb. 4). Es konnte somit die Diagno-se eines M. Forestier (Spondylosis hy-perostotica) gestellt werden.

Diskussion

Die 6 beispielhaften Fälle zeigen zum ei-nen die Vielgestaltigkeit retropharyngea-ler Raumforderungen und verdeutlichenzum anderen, wie oft recht schwerwie-gende Diagnosen (malignes Schwannom,ektope A.carotis interna) erst als Zufalls-befund, z. T. auch erst bei einer wieder-holten routinemäßig durchgeführtenSpiegeluntersuchung auffallen. Wird einso wesentlicher Befund wie eine retro-pharyngeal vor der Wirbelsäule verlau-fende A. carotis interna in Unkenntnisdieser Varietät übersehen,so besteht z.B.im Rahmen einer erschwerten Intubati-on oder gar bei fehlindizierter Probeex-zision die Gefahr der Gefäßverletzungmit nachfolgender,meist letaler Blutung.

Während retropharyngeale Abszes-se hinreichend und retropharyngeale Li-pome [6,12,25,29,46,50,57,89,97,157,198,212, 213] mehrfach beschrieben wurden,gibt es lediglich 16 Fälle einer retropha-ryngeal lokalisierten A. carotis interna[24,58,59,110,118,203] und nur einen Falleines malignen Schwannoms des Retro-pharyngealraums [188].Eine Sarkoidose

als Ursache für eine Gewebsvermehrungim Spatium retropharyngeum ist jedochbisher noch nicht publiziert worden.

Symptome

Eine nähere Differenzierung der retro-pharyngealen Raumforderungen ist auf-grund der vorgebrachten Symptomenicht möglich, da retropharyngealeRaumforderungen generell meistens diegleiche Symptomatik aufweisen.

Vielfach beschriebene Hauptsymp-tome sind Dysphagie, z. T. mit Speichel-fluss, Dyspnoe, z. T. mit Auftreten einesSchlafapnoesyndroms [6, 46], sowieStimmveränderungen. Darüber hinaustreten gelegentlich Nackenschmerzen[174] bis hin zur atlantoaxialen Subluxa-tion [20, 41, 76, 121, 206] mit Kopfschief-haltung im Sinne eines Grisel-Syndroms[63, 160, 207] auf, wie es auch gelegent-lich nach zu „forcierter“ Adenotomie ge-sehen wird [146]. Es kann weiterhindurch Beeinträchtigung der Tubenfunk-tion zum Paukenerguss und sogar beiVerbindung zwischen retropharyngea-lem Abszess und Mittelohrraum zur eit-rigen Otorrhö [102] kommen.

Um die Vielzahl der im Rahmen vonKasuistiken beschriebenen Raumforde-rungen des Retropharyngealraums zuüberblicken, ist es notwendig, eine Klas-sifizierung vorzunehmen.

Abb. 3 � Retropharyngeal verlaufende A. caro-tis interna rechts (Pfeil A) und Schleifenbildungder A. carotis interna links (Pfeil B)

Abb. 4 � Ventraler Spondylophyt der Halswirbelsäule (Pfeil) als Ursache einerretropharyngealen Raumforderung

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Entzündliche Veränderungen

Die häufigsten pathologischen Prozessedes Retropharyngealraums sind ent-zündliche Veränderungen.

Hier ist an erster Stelle der retropha-ryngeale Abszess zu nennen, der häufigim Kindesalter [8, 10, 16, 32, 62, 104, 122,131,135,151,162,192,209],und zwar beson-ders im Rahmen von Infektionen deroberen Atemwege [68, 101, 169] auftritt.

Takoudes und Haddad [192] fandenbei 4 von 7 Kindern mit einem Retropha-ryngealabszess eindeutige Zeichen einerEpstein-Barr-Virus-Infektion (typischesklinisches Bild, spezifischer Antikörper-nachweis). Im Gegensatz zu Ameh [8],der bei 10 Kindern mit einem Alter<1 Jahr und einem retropharyngealenAbszess aufgrund der antibiotischenVorbehandlung meistens sterile Abstri-che fand, beobachtete Brook [19] in derMehrzahl der Fälle nur anaerobes Keim-wachstum,während Barratt et al. [11] so-wie Miyazaki et al. [120] wiederum einsehr breites Keimspektrum fanden.

Die Gefährlichkeit dieser retropha-ryngealen Abszedierung im Kindesalterwird deutlich, wenn man einerseits be-rücksichtigt, dass 2 der 10 von Ameh [8]beobachteten Kleinstkinder an dem Ab-szess bzw.seinen Folgen verstorben sind[8], und andererseits die Inspektion desEpi-, Oro- und Hypopharynx gerade beikleinen Kindern im Rahmen der HNO-ärztlichen Untersuchung sehr häufig auf-grund mangelnder Kooperation unmög-lich ist [162].Die meisten Kinder wurdenerst beim HNO-Arzt vorgestellt, als eineObstruktion der Atemwege auftrat [8,62], oder konsultierten aufgrund völligunspezifischer Symptome wie Fieberund zervikaler Lymphadenitis den Arzt.

Wie eigene Beobachtungen und dieanderer [166, 169] bestätigen, verschiebtsich allerdings im letzten Jahrzehnt derErkrankungsgipfel vom Kindes- zumErwachsenenalter.

Neben einer primär infektiösen Ge-nese des retropharyngealen Abszesseskommen auch sekundäre Infektionennach Verletzungen der pharyngealenSchleimhaut durch eingespießte Fremd-körper [4,68, 101, 139, 143,200,215] – mei-stens Fischgräten oder Geflügelknochen– oder Schleimhautverletzungen im Rah-men von Intubationen [60, 129, 183, 208]bzw. Endoskopien [26] ursächlich in Be-tracht.Auch nach Pfählungsverletzungenund selbst nach oropharyngealen Baga-

tellverletzungen [101, 164, 175] und Ohr-piercinginfektion [20] sind retropharyn-geale Abszesse beschrieben.

Darüber hinaus kann es auch, wievon Hareyama et al. [75] beschrieben, imRahmen einer kombinierten Radio-Chemo-Therapie eines Nasopharynxkar-zinoms zur Abszessbildung in der tumor-freien Nachbarregion kommen.In diesemZusammenhang ist es besonders wichtig,dass im Rahmen der Abszessdrainage ei-ne Biopsie erfolgt, da, wie mehrfach be-richtet, ein Retropharyngealabszess gele-gentlich Erstsymptom einer malignen Er-krankung, z. B. eines Nasopharynxkarzi-noms [28, 134] oder eines Hypopharynx-karzinoms [208], sein kann.

Weiterhin kann es auch im Gefolgevon Erkrankungen der dem Pharynx be-nachbarten Organe,z.B.bei einer eitrigenThyreoiditis, zur Ausbildung eines retro-pharyngealen Abszesses kommen [36].

Als Komplikationen einer retropha-ryngealen Abszedierung sind eine media-stinale Beteiligung [47,117,189,191,205],ei-ne transversale zervikale Myelopathie[77],ein Eitereinbruch in den Spinalkanal[68], eine Meningitis [197], eine tödlicheEiteraspiration [201],die entzündliche Be-teiligung der A.carotis mit gleichzeitigemVasospasmus [83] sowie die Notwendig-keit einer Tracheotomie [8] zu nennen.

Differenzialdiagnostisch muss beieinem retropharyngealem Abszess auchan die Infektion einer branchiogenen Zys-te (ausgehend von der Bursa pharyngea,d.h.vom Ductus craniopharyngicus) ge-dacht werden, wie sie von Huang et al.[82] bei einem 5 Wochen alten Kind undvon Hewel et al. [80] bei einem 44 jähri-gen Patienten beobachtet wurde. Im letz-teren Fall führte die Zyste einige Wochennach der vermeintlichen Abszessent-lastung zu einem Rezidiv mit der Not-wendigkeit einer erneuten Operation.

Besonders bei symptomlosen, sog.kalten Abszessen des Retropharyngeal-raums mit Wirbelkörperdestruktion istan eine tuberkulöse Spondylodiszitis [2,3, 5, 27, 54, 93, 100, 112, 116, 126, 142], diesog.„Pott's disease“, zu denken. Vorder-gründige Zeichen sind hier Wirbelsäu-lendeformitäten [127]. Aber auch die inneuerer Zeit häufiger im Kindesalterauftretenden atypischen Mykobakterio-sen können als retropharyngealer Abs-zess imponieren [153].

Darüber hinaus sind auch nicht tu-berkulöse Infektionen der Wirbelsäule imSinne einer Wirbelkörperosteomyelitis

[55, 88, 158] in der Lage, einen retropha-ryngealen Abszess oder sogar gleichzeitigeinen epiduralen Abszess [85] zu bilden.

Auch eine chronische, nicht spezifi-sche Entzündung des kranialen retro-pharyngealen Raums im Sinne einesidiopathischen inflammatorischen Pseu-dotumors (histologische Ausschlussdi-agnose) kann als Vorwölbung der Rachen-hinterwand imponieren und sogar zuHirnnervenläsionen wie z. B. einer bila-teralen Abduzensparese führen [56].

Benigne Tumoren

Die häufigsten gutartigen retropharyn-gealen Tumoren sind Lipome, von denenbis heute ca. 25 Fälle [6, 12, 25, 29, 46, 50, 57,89, 97, 157, 198, 212, 213] beschrieben sind.

Darüber hinaus wurden folgenderetropharyngeale Tumoren beobachtet:Chordome [44, 163],ein Chondroosteom[12], ein Angiomyom [61], Lymphangio-me [52, 69, 114, 167], ein Myxom [133], einFibromyxom [72], ein Riesenzelltumor[137], Neurofibrome [66, 182] Ganglio-neurome [114, 136, 148, 149], eine retro-pharyngeale Fibromatose [109], Fibro-me [1, 12, 14, 84], ein Fall von nodulärerFasziitis [125], benigne Schwannome[190, 204], ein Leiomyom [45], Hamarto-me [37, 87, 103], isolierte pleomorpheAdenome der kleinen schleimhautasso-ziierten Speicheldrüsen [108, 193].

Auch Erkrankungen der Schilddrü-se, wie z. B. eine Struma [94, 114, 168], einNebenschilddrüsenadenom [147, 187]sowie eine Hashimoto-Thyreoiditis[90], sind als Ursache für eine retropha-ryngeale Raumforderung genannt.

Des Weiteren muss bei retropha-ryngealen Schwellungen neben denoben beschriebenen entzündlichen Er-krankungen der Wirbelsäule auch an ei-ne Synovialzyste des vorderen Längs-bandes der Halswirbelsäule [7] oder anspinale Osteophyten (sog. M. Forestier)[22, 138] gedacht werden.

Maligne Tumoren

Neben den eben genannten gutartigenTumoren kommen natürlich auch dieverschiedensten Malignome im Bereichdes Retropharyngealraums vor.Folgendemaligne Raumforderungen sind bisherbeschrieben: Liposarkome [31, 78, 150,214],ein Ewing-Sarkom [174],Neuroblas-tome [67, 211], ein Rhabdomyosarkom[91], ein malignes Schwannom [188], ein

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Übersicht

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malignes Mesenchymom [107],Synovial-sarkome [105, 106], Schilddrüsenmali-gnome [48, 179] sowie ein Fibrosarkom,welches nach Bestrahlung eines Hodg-kin-Lymphoms des Halses auftrat [181].

Als sekundäre Malignome sind be-sonders retropharyngeale Lymphkno-tenmetastasen des Nasopharynxkarzi-noms zu nennen.

Sonstige Veränderungen

Neben den eigentlichen Tumoren desSpatium retropharyngeum können auchnoch nichttumoröse Veränderungen zueiner Vorwölbung der dorsalen Pha-rynxschleimhaut führen.

Aufgrund letaler Komplikationen(rasch progrediente Atemwegsverle-gung) kommt dem retropharyngealenHämatom hier eine besondere klinischeBedeutung [23, 165] zu. Solche Hämato-me wurden nach Schleudertraumata derHalswirbelsäule [40, 74, 113, 115, 170, 199,202], nach Halswirbelsäulenfrakturen[38, 39, 96, 119, 128, 194, 208], nach Spon-tanfrakturen aufgrund von Wirbelsäu-lenmetastasen [49],nach erschwerter In-tubation [26, 155] nach fehlerhafterPunktion der V. jugularis interna [185]und nach einer verschluckten Fischgräte[130] beobachtet.Die Einnahme von Me-dikamenten, die die Blutgerinnung be-einträchtigen (Aspirin®, Marcumar®)kann solch eine Hämatomentwicklungim Rahmen eines Traumas begünstigen[13, 124, 159] oder sogar alleinige Ursache[21, 64, 70, 71, 132, 173, 195] für die Häma-tomentstehung sein. Darüber hinauswurden retropharyngeale Hämatome beiPatienten mit angeborenen Störungender Blutgerinnung (z. B. Hämophilie)[92] und bei Patienten mit Poly-cythaemia vera [111] beobachtet. Selbstnach einer einfachen Hustenattacke[154], nach Karotissinusmassage [196],nach starker Kopfreklination [33, 178]und sogar idiopatisch ohne jede erkenn-bare Ursache [86] oder spontan in einemNebenschilddrüsenadenom [95] fandsich eine retropharyngeale Hämatombil-dung. Bei längerem Bestehen kann es imHämatom zu Kalzifizierungen kommen[43],die dann auf der seitlichen Röntgen-aufnahme des Halses sichtbar werden.

Neben einem retropharyngealenHämatom kann auch ein durch Schleim-hautverletzung entstandenes retropha-ryngeales Emphysem [15, 18, 176, 177]oder ein aufsteigendes Medias-tinalem-

physem [172] aufgrund seiner raumfor-dernden Wirkung zu einer lebensbe-drohlichen Atemwegsverlegung führen.

Weiterhin kann sich hinter einer re-tropharyngealen Raumforderung aucheine anatomische Normvariante wie ei-ne Meningozele mit Ausdehnung in denRetropharyngealraum [98], eine ektopeA. carotis interna [203] oder ein konge-nitales Aneurysma der A. carotis verber-gen [73], welches primär fälschlich sogarfür einen retropharyngealen Abszess ge-halten wurde. Der Verlauf der A. carotisinterna an der Rachenhinterwand wur-de bisher neben dem hier aufgeführtenFall immerhin bei 16 weiteren Patienten[24, 58, 59, 110, 118, 203] beschrieben.

Auch Systemerkrankungen, wie diebei einer Patientin des eigenen Kollektivsbeobachtete Sarkoidose oder ein in derLiteratur beschriebener Fall der „Castl-eman's disease“ (benigne lymphoproli-ferative Erkrankung), können als retro-pharyngeale Schwellung imponieren[171]. Das Kawasaki-Syndrom, auch alsmukokutanes Lymphknotensyndrombekannt, ist eine akute fieberhafte Er-krankung mit den Symp-tomen einerVaskulitis, die bei Kleinkindern auftritt.Im Rahmen dieser Erkrankung wurdenebenfalls retropharyngeale Schwellun-gen beobachtet [79,81, 145, 156],die dannunbedingt von den oben beschriebenenkindlichen Retropharyngealabszessendurch ein bildgebendes Verfahren (CToder MRT) abzugrenzen sind.

Diagnostik

Als erste bildgebende Maßnahme ist ei-ne seitliche Röntgenaufnahme des Hal-ses [16, 17, 65, 68, 135, 166] auch im Zeital-ter der Schichtbildverfahren indiziert.Verglichen mit 210 gesunden Personengelten nach Sethi u. Chew [166] eine re-tropharyngeale prävertebrale Weichteil-ausdehnung von mehr als 5 mm und ei-ne retrotracheale prävertebrale Weich-teilausdehnung >15 mm als patholo-gisch; sie fanden sich bei allen 23 unter-suchten Patienten mit einem retropha-ryngealen Abszess.

Bezüglich der Wertigkeit ultraschall-gestützter Verfahren divergieren die Mei-nungen.Glasier et al. [65] räumen bei derDifferenzierung zwischen Adenitis undretropharyngealem Abszess der Ultra-schalluntersuchung gegenüber dem CTVorteile ein, und Chao et al. [30] propa-gieren die Farbdopplersonographie als

eine sensitive Methode zur Diagnostikvon retropharyngealen Abszessen. Dem-gegenüber sehen Steinhart et al. [184]zwar bei der Beurteilung von oropharyn-gealen Tumoren Vorteile der Endosono-graphie, jedoch sei die Sensitivität bei Pe-ritonsillarabszessen unzureichend.

Aus eigener Erfahrung ist die Sono-graphie zwar bei der Diagnostik von pe-ritonsillären und parapharyngealen Ab-s-zessen hilfreich [152], jedoch bei iso-lierter retropharyngealer Abszedierungdem CT und MRT unterlegen, so dassdie Schichtbildverfahren zur Darstel-lung des Halses unabdingbare Bestand-teile der präoperativen Diagnostik sind[51, 104, 144].

Bezüglich der Differenzialdiagnosezwischen Abszess und nicht abszedieren-der Entzündung fanden Stone et al. [186]eine gute Übereinstimmung zwischender Darstellung im CT und dem intraope-rativen Befund bei 73,5% von 32 Kindernmit Verdacht auf einen retropharyngea-len Abszess. Allerdings wird die Wertig-keit des Hals-CT z. B. bei der Erkennungretropharyngealer Lymphknotenmeta-stasen bei Kopf-Hals-Tumoren aufgrundeiner Sensitivität von 50% und einer Spe-zifität von 70% als gering eingestuft [123].Gelegentlich kann ein CT auch einenfalsch-positiven Befund liefern: Poe et al.[140] beobachteten bei 4 Patienten mit ei-ner Jugularvenenthrombose im CT einÖdem bzw. eine Pseudogewebeansamm-lung im retropharyngealen Raum, ohnedass sich intraoperativ in dieser RegionZeichen einer Infektion fanden.

Bei Verdacht auf einen Prozess, aus-gehend von der Wirbelsäule, ist darüberhinaus ggf. eine konventionelle Rönt-gendiagnostik der Halswirbelsäule in2 Ebenen oder eine Knochenszintigra-phie indiziert.

Therapie

Eine konservative, d. h. alleinige antibio-tische Therapie von retropharyngealenEntzündungsprozessen ist allenfalls imAnfangsstadium einer „Retropharyngi-tis“ ohne erkennbare Einschmelzung zurechtfertigen. Sobald jedoch eine Absze-dierung zu erkennen ist, muss eine ope-rative Drainage dieser Region wegen derGefahr einer absteigenden Infektion mitnachfolgender Mediastinitis erfolgen.

Die Operation eines retropharyn-gealen Befundes sollte aufgrund der Ge-fahr einer Eiteraspiration bei Abszessen

Page 6: Differenzialdiagnose und Management retropharyngealer Raumforderungen

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und der Gefahr einer Blutaspirationgrundsätzlich in Intubationsnarkosedurchgeführt werden. Besteht bereits,z. B. bei einer tuberkulösen Spondylo-diszitis, eine Instabilität der Wirbelsäu-le oder leidet der Patient unter einer ent-zündlich bedingten Kieferklemme,so isteine transnasale flexibel-endoskopischeWachintubation notwendig.

Prinzipiell bestehen 2 mögliche Zu-gangswege zum Retropharyngealraum;transoral über eine Tonsillektomieein-stellung [34, 99, 131] oder von außen ent-sprechend dem Vorgehen bei der Entfer-nung eines Zenker-Divertikels bzw. beieiner collaren Mediastinotomie [53].

Die Wahl des Zugangswegs ist sehrstark von der zugrundeliegenden Patho-logie abhängig. Zur Entfernung einesNasenrachenfibroms bietet sich als chi-rurgischer Zugangsweg zum Epipharynxdie laterale Rhinotomie an, während zurHistologiesicherung bei retropharyngea-len Raumforderungen dem transoralenVorgehen der Vorzug zu geben ist.

Wie bei 3 eigenen Patienten (Lipom,malignes Schwannom, Sarkoidose) ge-zeigt, handelt es sich beim transoralenZugang um einen komplikationsarmenund schonenden Weg zum retropharyn-gealen Raum, der sogar kurative Tumor-entfernungen (Lipom, malignesSchwannom) ermöglicht. Nach Einset-zen des Negus-Spatels empfiehlt sich,wie vor jeder Adenotomie und Tonsill-ektomie, trotz vorhandenem CT oderMRT eine Palpation der retropharyn-gealen Vorwölbung, um eine Gefäß-anomalie sicher auszuschließen [161].

Besteht palpatorisch auch nur dergeringste Verdacht, dass es sich um ei-nen flüssigkeitsgefüllten Befund (Zyste,Meningozele, atypisches Gefäß) handelt,so kann u. U. eine vorsichtige Punktionmittels einer 1-ml-Spritze und aufgesetz-ter Insulinkanüle zur Klärung beitragen.Eine postoperative Tracheotomie auf-grund einer Atemwegsverlegung war inkeinem der 6 dargestellten Fälle erfor-derlich, sollte jedoch grundsätzlich beider Operationsaufklärung mit dem Pati-enten besprochen werden. Teilweise istgerade bei Kindern versucht worden, dieAtmung bis zur Abheilung der retropha-ryngealen Entzündung zur Vermeidungeiner Tracheotomie durch eine nasaleCPAP-Beatmung zu optimieren [180].

Problematischer gestaltet sich je-doch die Wahl des geeigneten Zugangs-wegs bei der Entlastung eines retropha-

ryngealen Abszesses. Während die reineAbszessentlastung natürlich häufig auchmühelos über den transoralen Weg ge-lingt, bereitet die suffiziente postoperati-ve Abszessdrainage auf diesem Weg nichtunerhebliche Schwierigkeiten. In denneuen Operationslehren wird zwar vonder Abszessdrainage über eine nasal ein-gelegte Magensonde berichtet [135], hierscheint jedoch die erfolgreiche Fixierungdes Magensondenendes im Retropharyn-gealraum aufgrund der geringen ventra-len Gewebsbedeckung und der dorsal lie-genden starren Wirbelsäule erheblich er-schwert, wenn nicht gar unmöglich. Da-her ist bei größeren Abszessen zumindestim Erwachsenenalter, die auch den Para-pharyngealraum erreichen, eine Draina-ge von außen der erfolgversprechendereWeg. Eine ultraschallgestützte [210] odereine CT-gestützte Abszesspunktion [141]ist allenfalls in Einzelfällen, z. B. bei Kon-traindikationen für eine Intubationsnar-kose, indiziert.

Die Therapie eines retropharyngea-len Hämatoms hängt vom Grad derAtemwegsverlegung ab. Handelt es sichum einen geringen Befund, so kann einestationäre Beobachtung des Patientenunter antibiotischem Schutz ausrei-chend sein.

Besteht jedoch aufgrund des Häma-toms akute Dyspnoe,so ist eine Sicherungdes Atemwegs (transnasale flexibel-endo-skopische Wachintubation mit anschlie-ßender Tracheotomie) sowie eine Häma-tomentlastung von außen unumgänglich.

Die Therapie des retropharyngealenNasopharynxkarzinoms besteht in der Re-gel in einer Strahlentherapie, ggf. kombi-niert mit einer Chemotherapie [42]. Einlokales Tumordebulking und/oder einebeidseitige „neck dissection“ sollten in en-ger Zusammenarbeit mit dem Strahlen-therapeuten erörtert werden.

Zusammengefasst können somit ei-ner retropharyngealen Raumforderungdie verschiedensten Erkrankungen ur-sächlich zugrunde liegen. Eine präope-rative Bildgebung (Halsröntgen seitlichund CT bzw. MRT) ist unerlässlich, umschwerwiegende Komplikationen (Ver-letzungen von Wirbelsäule, Gehirn,Rückenmark sowie der A. carotis inter-na) zu vermeiden. Zur Histologiesiche-rung bietet sich der transorale Zugangs-weg an,während bei einer Abszessentlas-tung auch ein Vorgehen von außen zurbesseren Drainage zu erwägen ist. Dietherapeutischen Optionen richten sich

nach der ursächlich verantwortlichenErkrankung und reichen von einfacherKenntnisnahme und Dokumentation(ektope A. carotis interna), konservati-ver medikamentöser Therapie (Hashi-moto-Thyreoiditis, Sarkoidose), chirur-gischer Entfernung (Lipom), ggf. mit zu-sätzlicher postoperativer Radiatio (ma-lignes Schwannom), bis hin zur Kombi-nation von systemischer und chirurgi-scher Therapie bei einer Tuberkulosedes Wirbelkörpers (Tuberkulostatikaund Wirbelkörperverblockung). Retro-pharyngeale Raumforderungen erfor-dern eine enge interdisziplinäre Zusam-menarbeit, wobei dem HNO-Arzt so-wohl bei der Diagnostik als auch imRahmen der Therapie eine entscheiden-de Rolle zukommt.

Fazit für die Praxis

Retropharyngeale Veränderungen werdenhäufig zufällig bei einer HNO-ärztlichenUntersuchung bemerkt, oder der betref-fende Patient konsultiert den Arzt wegenDyspnoe, Dysphagie, Stimmveränderun-gen, Schlafapnoesyndrom bzw. Nacken-schmerzen.Wie an 6 eigenen Patientenmit retropharyngealen Raumforderungen(Abszess, Lipom, malignes Schwannom,Sarkoidose, ektope A. carotis interna, M.Forestier) gezeigt, können diesem Krank-heitsbild vielfältige Ursachen zugrundeliegen. Da bei falscher Einschätzung desBefundes u. U. im Rahmen einer unbe-dachten Probeexzision letale Komplikatio-nen auftreten können, ist eine sorgfältigepräoperative Abklärung (Halsröntgen seit-lich und CT bzw. MRT) unter Einbeziehungaller möglichen Differenzialdiagnosenzwingend erforderlich, um eine suffizienteund risikoarme Behandlung des Patientenzu gewährleisten.

Die komplette Literaturliste zu die-sem Beitrag finden Sie in der elek-tronischen Version der „HNO“ unter

http://link.springer.de/link/service/journals/00106/refs/2050005/r20500418.pdf