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t Aus der rnedizinischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses zu Karlstad. Dr. OOTTHARD S~DERBERC~E). Ein Fall von operierter Hirngeschwulst mit proximaler Armllhmung, kortikaler Blasen- stkdrung und Akustikusneuritis ohne Stanungs- papille bei einer Nephritiktt rnit naoh der Ope- ration einsetzenden Symptomen eines Hirnab- szesses. Von AKE BARKMAN. Die mit Erfolg operierten Falle von Tumor cerebri erreichen bekanntlich keine hohe Zahl im Vergleich zu der Haufigkeit dieser Krankheit. Es ist jedoch nicht dieser Gesichtspunkt - die gelungene Enukleation - der in meinem Fall das Hauptinte- resse bietet, sondern die Symptomatologie, welche zur Diskussion einiger interessanter neurologischer Probleme anregt. Es waren niihmlich bei der Patientin proximale Armliihmung, kortikale Bauohrnuskelsymptome, kortikale Biasenstorung und eine Akusti- kueneuritis ohne Stauungspapille zu konstatieren. Nach der Operation kam noch ein bemerkenswertes Symptom hinzu: be- grenzte Atrophien der kleinen Handmuskeln der geliihmten Seite. Der Fall wird noch interessanter durch den Umstand, dass die Pat. die Symptome einea Nierenleidens darbot. J.-Nr. $616/192?0. E. J. 56-jiihrige Frau. Keine hereditare Belastung betreffe Tuberkulose oder Erkrankungen des Nervensystems. Todesureache der Eltern ihr unbekannt. Die Pat. ist verheiratet und hat zehn Kinder, alle gesund; das jiingete

Ein Fall von operierter Hirngeschwulst mit proximaler Armlähmung, kortikaler Blasenstörung und Akustikusneuritis ohne Stauungspapille bei einer Nephritika mit nach der Operation

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t Aus der rnedizinischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses zu Karlstad. Dr. OOTTHARD S~DERBERC~E).

Ein Fall von operierter Hirngeschwulst mit proximaler Armllhmung, kortikaler Blasen- stkdrung und Akustikusneuritis ohne Stanungs- papille bei einer Nephritiktt rnit naoh der Ope- ration einsetzenden Symptomen eines Hirnab-

szesses. Von

AKE BARKMAN.

Die mit Erfolg operierten Falle von Tumor cerebri erreichen bekanntlich keine hohe Zahl im Vergleich zu der Haufigkeit dieser Krankheit. Es ist jedoch nicht dieser Gesichtspunkt - die gelungene Enukleation - der in meinem Fall das Hauptinte- resse bietet, sondern die Symptomatologie, welche zur Diskussion einiger interessanter neurologischer Probleme anregt. Es waren niihmlich bei der Patientin proximale Armliihmung, kortikale Bauohrnuskelsymptome, kortikale Biasenstorung und eine Akusti- kueneuritis ohne Stauungspapille zu konstatieren. Nach der Operation kam noch ein bemerkenswertes Symptom hinzu: be- grenzte Atrophien der kleinen Handmuskeln der geliihmten Seite. Der Fall wird noch interessanter durch den Umstand, dass die Pat. die Symptome einea Nierenleidens darbot.

J.-Nr. $616/192?0. E. J . 56-jiihrige Frau. Keine hereditare Belastung betreffe Tuberkulose oder Erkrankungen

des Nervensystems. Todesureache der Eltern ihr unbekannt. Die Pat. ist verheiratet und hat zehn Kinder, alle gesund; das jiingete

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ist 16 Jahro alt. Keine Fehlgeburt. Ihr Cfatte ist gesund. Sie vesneint venerische Infektionen. I m Alter von acht Jahren hattc sie Typhus. In den Reifejahren war sie aber stark und gesund. Im Jahre 1910 wurde die Pat. wegen Ulcus ventriculi operiert, an wel- chem sie wahrend der 6 bis 7 vorangehenden Jahre periodisch ge- litten hatte (wiederholtes Blutbrechen). Um die Weihnachtszeit 1910 wurde die Pat., wahrend sie eine Treppe hinabging, pliitzlich schwind- lig, wobei sio die Treppe hinunterstiirzte. Nachher bemerkte sic blaue Flecke am rechten Arm nebst Schmerzhaftigkeit in der Schei- telgegend ohne sichtbare Zeichen einer Kontusion. Bei derselbcn Gelegenheit bekam sie einen rechtsseitigcn Inguinalbruch. Im uhrigeu kann sie sich an kein Kopftrauma erinnern.

Im Jahre 1914 bemerkte die Pat. - am haufigsten bei kaltem Wetter oder wenn sie ermiidet war - Zuckungen im linken Hiift- und Kniegelenk. Schon urn diese Zeit verspiirte sie eine Schwache des linken Beines, zuerst im Fuss und in den Zehen. Etwa ein Jahr spater wurde die Pat. von Anfillen heimgesucht, die anfangs alle zwei bis vier Wochen auftraten, wiihrend der zwei bis drei letz- ten Jahre aber after, alle 8 bis 14 Tage. Der Anfall ausserte sich durch Zuckungen, die immer in der linken Halfte der Bauchwand begannen, in der HGhe des Nabels, so dass dieser nach links gezogen wurde und in den Riickenmuskeln des gleichen Niveaus. Von diescu Muskeln vesbreiteten sich die Zuckungen (nach dem Typus JACK- SON’S) zuerst auf die Muskeln der linken Hufte, des linken Knies und des Fusses. Sobald die Zuckungen dort aufgehort hatten, fingen die Riickenmuskeln langs des Ruckengrates (auf der linken (?) Seite) zu zucken an, und danach beteiligten sich die Schulter-, Oberarm-, Unterarm- und Hand-Fingermuskeln der linken Seite in der ge- nannten Ordnung an den Zuckungen. Zuletzt zuckten die Eals- muskeln, so dass ihr Kopf in der Richtung von vorn nach hinten nickte (keine Drehung oder Seitenbeugung). Eine Weile nach dem Anfall, doch nicht nach jedem, Zuckungen der rnimischen Cesichts- rnusMatur der linken Seite (dem mittleron (1) und unteren Zweig des N. VII entsprechend) und Verziehen der Zunge nach links hin. Heftiger Harndrang ohne Schmerzen, jede fiinf Minuten, unmittelbar nach den letzten Zuckungen beginnend und wahrend des folgenden Tages fortdauernd. Niemals bewusstlos wahrend der Anfalle. Die Parese des linken Beines war nach jedem Anfall starker geworden. Wahrend der ersten Jahre gingen die Paresen aber im L a d e einiger Tage nach dem Anfall zuriick; in den letzten Jahren dagegen be- standen die Paresen nach dem Anfall fort und zeigten allmihlich progressive Tendenz. Vor zwei Jahren bemerkte die Pat. nach einem argen Anfall, dass der linke Arm paretisch war. Die Parese, die sich am starksten im Schultergelenk geltend machte, ging wahrend des folgenden Tages ein wenig zuriick. Nachher pflegte sie nach den Anfallen zuzunehrnen und wies keine voriibergehenden Remissionen mehr auf. Die Pat. behauptet, dass die Paresen des linken Armes proximal stets mehr ausgesprochen gewesen sind. Sie hat niernale Paresen der Rumpfmuskulatur bemerkt, nur einige Scbwierigkeit

EIN FALL VON OPERIERTER HXRNOESCHWULST. 335 beim Hinteniiberbeugen beobachtet, wobei sie das Cefuhl hatte, a h ob sie nach hinten gezogen wiirde. Schon vor vier Jahren bemerkte die Pat., dass die Zunge beim Herausstrecken nach links abwich und dass das Zapfchen mit seiner Spitze nach links lag; dies alles hat sie im Spiegel beobachtet. Weiter hatte sie die Empfindung, als ob sie beim Schlucken das Zapfchen verwhlucken wiirde. Stan- dige Kalteparasthesie an der Uvula. Diese Empfindungen waren nach den Anfiillen am starksten ausgepriigt. Seit etwa fiinf Jahren wurde sie von einer Empfindung von ~Kaltwasserfliessen~ langs des linken Arms und Beins und in der Oegend des Ruckengrates vom Nacken bis zum Kreuz belastigt. Wahrend dieser Zeit taglich Kopf- weh von wechselnder Intensitat, am starksten wahrend der Regeln, die sich noch immer regelmassig einstellen. Den Kopfschmerz, der nicht allniichtlich auftrat, lokalisierte die Pat. am Scheitel, von wo er nach vorn gegen die Stirn bis zur Nasenwurzel, bisweilen bis zur Nasenspitze ausstrahlte. Wenn die Kopfschmerzen ihren Hohepunkt erreichten, Erbrechen, doch nicht regelmassig. Im April dieses Jah- res erbrach die Pat. einige Essloffel Blut; nachher kein Blutbrechen. Die Pat. hat niemals Ptosis oder Diplopie bemerkt. Das Sehver- mogen hat sich allmahlig verschlechtert sowohl beim Sehen in die Ferne wie in der Nahe. Das QehtkvermSgen hat wahrend der Krank- heit abgenommen. Sie wurde von akustischen Reizerscheinungen, wie TSnen, Trommeln und Cjausen auf beiden Ohren belastigt; am meisten wahrend der Regeln und wem die Kopfschmerzen sehr nrg waren. Keine Ayhasie. Die Pat. ist rechtshlndig. Sie behauptet, dass ihr Gedanken ganz klar ist mit Ausnahme der Zeit nach den Anfallen nach denen sie sich auch eine Weile schwindlig fuhlt. Keine Sprachstorung zwischen den Anfallen; nur wahrend derselben fallt es ihr schwer ,die Zunge zu beherrschena. Seit etwa 6 Jahrcn stan- dig Reissen im gnnzen Korper, am starksten im Kreuzbein und in dcn Wirbeln; lreine radikulare Ausbreitnng. Die Esslust zeitweisc gut. Nach der Operation Stuhltragheit. Die letzten (vier) Anfalle vor der Aufnnhme traten wahrend der Nacht von 5 auf den G Juni diesca Jahres auf.

Status am '1$ 1920 iind an den folgenden, Tagen. Die Pat. ist sehr mager, ohlie Andeutung von Kachexie. Die Ge-

sichtsfarbe normal, kein Odem. Das H e m : Ictus nicht verstarkt, liegt innerhalb der linken unreponjerten Mamillarlinie. Die linke Herz- grenze uberschreitet nicht die linke Marnillarlinie; die rechte Grenze lie@ am rechten Sternalmnd. Die Herztiine sind rein; keine Ak- zentuierung. Der Puls ist gespannt. Der sgstolische Rlutdruck 200 mm. H g ( R I ~ A - R O ~ ~ I ) . Lungen: Keine Dampfung, keine Rasselge- rlusche. Das Atmungsgerausch iut ein wenig scharf. Abdomen: Icein Schmerzpunkt. Kein Tumor. Leber und Milz normal. Ham: Die Reaktion sauer. Albumen in Spuren. Kein Zucker. Im Se- diment einzelne Eiterlcorperchcn und kornige Zylinder. Geschlechts- orgnne: (Spezialarzt J. E. JERLOV): Prolapsus uteri c. retentio urina + Eudometritis cervicis levis (Erosio). Der Schudel ist symmetrisch und mohlgebildet. Perkussionsempfindlichkeit in einem abgegrenzten

336 AHE BARKMAN.

Cfebiet c:a 5-6 cm. oberhalb des Haaransatzes und 1-2 cm. rechts von der Mittellinie. Keine sicheren Unterschiede des Perkussions- tons iiber verschiedenen Stellen des Kopfes. Keine Druckempfind- lichkeit ; kein Tympanismus ; kein Qerausch des gesprungenen Topfes. Das Riickgrat normal. Keine Nackensteifigkeit.

Kranialnerven: I. normal. 11. Sehscharfe 04 an beiden Augen. Augenhintergrmnd: Keine Stauungspapille. Die linke Papille unregel- massig begrenzt mit temporaler Atrophie (Trauma gegen das linke Auge in den Pubertatsjahren). Die Venen sind auf der rechten Seite erweitert. Qesichtsfeld vgl. Fig. I. III, IV, VI. Die Pupillen sind ein wenig jedoch nicht maximal kontrahiert; sie sind von gleicher

1. Ad I. A.

Fig. 1.

Orosse. Die Reaktion in allen Beziehungen normal. Kein Nystag- mus; keine Diplopie; keine Ptosis. Die Augenbewegungen normal. V. motorischer und sensibler Teil 0. B. Die Kornealreflexe lebhaft. VII. Parese des unteren Zweiges der linken Seite. Kein Spasmus. Vl'It. (Spezialarzt NILS WITT.)

Rechtes Ohr,

6 Meter normal + normal

-1- normal normal

normal 100 cm'

-

Fliistern Tr omm elf ell

Rinne Schwabach

Weber c5 C C

Ny stagmus Spontanzeigen Kalorisation

Linkes Ohr.

1 Meter. normal. +

verkiirzt.

verkiirzt. normal.

unmiiglich. 100 cm*.

-

-

EIN FALL VON OPERXERTER HIRNQESCHWULST. 337

Also: Akustikusneuritis der linken Seite. Vestibularis: 0. M. nor- mal. X. Der weiche Oaumen weicht bei der Intonierung nach rechts ab. XI. Parese der Hebermuskeln der linken Schulter. Die Sternocleido normal. XI. Die Zunge weicht nach links ab. Keine fibrillaren Zuckungen.

Motilitiit : Erhebliche Rigiditat des linken Armes rnit Adduktions- und Beugekontraktur in Schulter- resp. Ellbogengelenk. Am stark- sten ist die Parese der Abduktoren des Oberarmes und der Streck- muskeln des Ellbogens und Handgelenkes. Die Kraft in den Beuge- muskeln des Armes und in den Adduktoren der Schulter vie1 besser erhalten. Die Pat. kann die Finger bewegen; kann sich ohne Hilfe der Arme im Bett aufsetzen; also keine griibere Parese der Rumpf- muskeln bzw. der Fixationemuskeln der Oberschenkel am Becken, Sie kann sich in normalem Ausmass nach den Seiten und riickwarts beugen ohne umzufallen. Pamlyse der Zehen des linken Fusses. Minimale Bewegungsfiiigkeit im linken Fussgelenk. Starke Parese der Beugmuskeln des linken Beines und der Adduktoren der Linken Hufte. Das Bein in starker Streckkontraktur mit Spitzfusstellung. Die Streckbewegungen sind zwar erhalten; mit den entsprechenden Bewegungen der rechten Seite verglichen, die alle normale Kraft aufweieen, jedoch deutlich paretisch.

Sellsibilitut : Eypolisthesie fur Beriihrung, Schmerz und Temperatur am ganzen linken Arm und Bein und am lateralen Teil der linken Rumpfhialfte medialwarts in einer konkaven Kriimmung gegen die Mittellinie begrenzt. Vgl. Fig. 2.

Der Bewegungssinn ist in allen Gelenken des linken Armea und Beines nicht stark jedoch deutlich herabgesetzt (das Fussgelenk we- gen starker Kontraktur nicht gepriift). Ebenso ist der Lagesinn wegen starker Paresen im linken Arm und Bein nicht gepriift. Die Finger-Nasenspitze- und Knie-Hackenversuche werden mit den rechts- seitigen Extremitaten korrekt ausgefiihrt ; auf der linken Seite kSnnen sie infolge obenerwahnter Ursache nicht gepriift werden. DkS Re- fZexe: Die Triceps-, Radius- und Ulnareflexe sind rechts normal, links verstiirkt. Die Bauchdeckenreflexe fehlen (schlaff e Bauchwand). Die Patellar- und Fersenphanomene sind auf der rechten Seite nor- mal, auf der linken Seite verstiirkt mit Patellar- und Fussklonus- BABINSKI, OPPENHEIM und GORDON sind links positiv, rechts negativ. Die Pat. geht ohne Stiitze mit dem linken Bein epestisch-paretisch- Kein Cerebellargang ; keine Ataxie, kein Adiadochokinesis. ROMBERG neg.

Tagesnotiz 11/6. Der Blutdruck 160 mm Hg. Der Perkussions- schmirz des Schiidels ist heute nicht so ausgedehnt, wie friiher. Die Pat. markiert heute jedoch intensiven Schmen auf einem 5-ore- etuckgrossen Qebiet, das 7-10 cm. vom Haaransatz der Stirne und 2-4 cm. rechts von der Mttellinie liegt.

"/s. Wiihrend schwerer Kopfschmerzen aussert die Pat. heute nachmittag Schmen bei Perkussion auf einem hiihnereigrossen Ge- biet der rechten Schadelhalfte, der gleichen Lage wie sie gestern be- stimmt wurde.

Uewicht 53 kg.

Im Harn kein Albumen.

338 AKE BARKMAN.

14/6 H a m : Spuren von Albumen. Im Sediment einzelne rote und weisse Blutkijrperchen + Fragmente karniger Zylinder

151 , 6 . Der systolische Blutdruck 200 mm, Hg. Eeine abnormen Hautreflexe bei kraftigem Streichen iiber dem Radius, Ulna und Un-

n

terkiefer. Bei hiiftigem Streichen iiber die Stirne vom Haaransatz nach unten bis zu den Augenbrauen, wird auf der linken Seite nicht reagiert, auf der rechten Seite aber ist zuweilen ein Runzeln der Stirnhaut mit Aufziehen des lateralen Augenwinkels zu beobachten.

Der Ham wurde hider nicht tiglich untersncht, die Harnmenge nicht ge- messen, der Rest-N nicht bestimmt, weil schon von Anfnng an die Anfmerkaam- koit hanptsilchlich nuf die Nervensymptome gericbtet war.

EIN FALL VON OPERIERTER EIIRNQESCHWULST. 389

Fur faradischen und galvanischen Strom uberall normale Reaktion; keine dysmyotonische oder andererweitig veriinderte Reaktion. Wenn die Pat. die linke Hand gibt, dauert es eine Weile, ehe die volle Starke des Handedrucks erreicht ist und noch langer dauert es, bie

Fig. 2.

sie den &iff losen kann. Eine solche Verspatung der aktiven Be . wegung und der Erschlaffung eines Griffes wird auch bei cler Be- wegung des linken Ellbogens beobachtet. Mit dem rechten Hand werden die Bewegungen normal auagefuhrt. Der Augenhintergrund beiderseits wie vorher. Albumen + im Harm Blut: r. B. 3,840,000; w. B. 8,700; Hglb. 70 %. W. R. im Blut neg.

81!ci. Kein Albumen im H a m 23-21 1072. Acta mad. Scaiadinao. I-ol. Ll'.

340 AKE BARKMAN.

"/s. Barla: Kein Albumen. Im Sediment: einzelne rote Blut-

"/s, Kein Albumen; keine Zylinder. "/a. Bei der wiederholten Untersuchung der Armparesen ergibt

sich: Die Kraft der Bewegungen nimmt distal zu, so dass die Kraft des Handedrucks und der Beugung des Handgelenkes am grijcsten ist; geringer in der Dorsalflexion des Handgelenkes, in der Ahduk- tion der Finger und Opposition des Daumens. Proximal nimmt die Kraft ab. Im Ellbogengelenke ist sie jedoch noch gut am besten in der Flexion; am schlechsten in den Bewegungen des linken 8chul- tergelenkes, wo das Heben und die Innenrotation noch kraftiger ge- schiet als die iibrigen Bewegungen. Die statische Kraft (DYLEW) des linken Ellbogengelenkes ist grosser als die dynamische (Beuguuy). Der Bewegungssinn ist in den Fingergelenken am meisten hernbge- setzt; nicht so sehr im Ellbogen und Handgelenk; im Schultergeleuk nicht sicher angegriffen. Augenhintergrund wie zuvor. Blut: P. B. 3,140,000; w. B. 6,700; Hglb 70 %. Im Blutausstrich nichts Ps- thologisches.

kor erchen; keine Zylinder.

' i 7 . 14/7.

Systolischer Blutdruck 180-190 mm Hg. Mit der rechten Hand erkennt die Pat. schnell und korrekt

alle G-egenstande; mit der linken kann sie dies nicht: ein Feder- messer halt sie fur ein Gummirohr, einen Kragenknopf fur einen Ring, einen Schlussel fur Betwas Rundes,; ein Fiinforestiick kauu sie nicht benennen. Sie kann nicht mit Sicherheit entscheiden, welcher von zwei Gegenstanden (z. R. Federmeseer und Feder) langer oder dicker ist. Blutdruck 160 mm Hg. Das bei Perkuseion schnierz- hafte aebiet des Schadels kann heute als ein 4 cm langes Gebiet, 5-12 cm. von dem vorderen Haaransatz, in der Mittellinic begin- nend, herausperkutiert werden; Breite nicht bestimmbar. Augen- hintergrund wie friiher. In der Nacht von 6-7 Juli ein Anfall, der drei Minuten dauerte, ohne Bewusstlosigkeit, mit Zuckungen in den Schultermuskeln der linken Seite beginnend, von hier auf die Muskeln der linken Ellbogen-, Hand- und Fingergelenke sich ausbreitend. nm danach die Bauchmuskeln der linken Seite und die Muslrelu cles linken Beines zu befallen. Von diesem Tag an hat der Kopfschmerz zugenommen. Kein Erbrechen, aber Brechreiz. Die Paresen des linken Armes und Beines wie vorher.

26/7. Gewicht 52 kg. Die ESrpertemperatur wechselt zwischen 36°,e-370 morgens und 37',4-37 ,a abends, der Puls zwischen 90- 110 Schliige pro Minute.

Es mag hier a m Platze sein die Mitteilungen der Kranken- geschichte zu unterbrechen, urn ein differentialdiagnostisches Problem zu erortern. Die Pat. wies namlich sowohl Symptame eines Nierenleidens als auch Symptome einer organischen Lasion der rechten Zentralwindungsregion auf. Bekanntlich kijnnen gewisse Krankheiten der ersten Krankheitsgruppe, namlich

EIN FALL YON OPERIERTER HIRNOESCHWUW. 341

gewisse Nephritiden, wenn Nephritis im alten, weiten Sinn ge- nommen wird, ahnliche oder aquivalente Symptome vom Ner- vensystem hervorrufen, wie diese Pat. sie dttrtot. Andererseits liegt es nahe, die Symptome vom Nervensystem auf einen Tumor in der Region der rechten Zentralwindung zuriickzufiihren. Die Fragestellung ist also: ist die Pat. mit cinem Tumor cerebri + einer Nephrorathie behaftet, oder kiinnen alle Symptome der Pat. in Zusammenhang mit ihrer Nierenerkrankung gebracht werden? Die Schwierigkeit bei der Differentialdiagnose zwischen Tumor cerebri und ))Nephritis)) ist von OPPENEIEIM~ rnit folgenden Worten hervorgehobsn worden: b)Besonders zu beherzigen ist die Thatsache, dass die Nephritis nicht selten mit einem Augen- spiegelbefund verkniipft ist, der mit dem des Erntumors iden- tisch ist. Da auGh die anderen Erscheinungen der Urlimie:' der Kopfschmerz, die Benommenheit, die allgemeinen Convul- eionen, die Pulsverlangsamung, die apoplektiformen Anfalle, die corticalen Reiz- und Ausfallssymptome (JAcKsoN'sche Epi- lepeie, Hcmiplegie, Aphasie, Hemianopsie, Amaurose etc.) sich xu einem Symptomenbild vereinigen konnen, dam dem der E r n - geschwulst fast his in die Details entspricht, sol1 die Diagnose Tumor cerebri nie gestellt werden, berm die der Nephritis awge- schkwsen ist . . . Es ist mir allerdings passiert, dass ich die Diagnose Tumor cerebri in einem Falle stellte, in welchem Schrumpfniere und ein apoplektischer Herd im Gehirn gefunden wurde.,

Nicht ohne Interesse ist es also zu sehen, wie in diesem ape- ziellen Fall die endgiiltige Diagnose erreicht wurde. Erstens betreffs der Nierenerkrankung der Pat. wurden folgende Sympto- me, innerhalb der unten angegebenen Werte variierend, notiert. Der systolische Blutdruck 160-200 mm. Hg. Die Albumen- menge bald 0, bald +; kein messbarer Niederschlag im R o b e E~RACHP. Das Sediment enthielt einzelne rote Rlutk6rperchen, bisweilen auch kornige Zylinder, anderermale keine organischen Beatandteile. Wenn man nach diesen allerdings mangelhaften Notizen versuchen mill, die Nierenerkrankung der Pat. in daa System der modernen Nierenpathologen einzureihen, so h n n dies wohl einfach folgendermassen geschehen. Des hohen Blutdruckes wegen, 160-200 mm Hg, muss der Fall in eine von den Gruppen der diffusen Glomerulonephritiden oder Sklerosen verwiesen werden. Ausgeschlossen ist, dass die Pat. im akuten Stadium der diff usen Glomerulonephritis sich befindet. Dann bleibt unter anderen zunachst die Frage, ob sich die Pat. im I1 (Dauer) oder

842 %KE BARKMAN.

im I11 (End) Stadium der diffusen Glomerulonephritis befindet (Nomenklatur nach VOLHARD~). Dagegen ist zu sagen, dass die Pat., die sich eines guten Gedachtnisses und guter Beobachtungs- gabe erfreut, sich nicht erinnern kann, ob sie jemals an Symptomen gelitten hat, wie sie der akuten Glomerulonephritis zukommen (Gesichtsodem, blutfarbener Harn etc.). Im ubrigen ist hier zu bemerken, dass sowohl ihr Allgemeinbefinden als ihre Nieren- symptome in einigen Punkten nicht mit dem Symptomen- komplex dieser Narbenstadien ubereinstimmen. Zuletzt bleiben nun die benigne (primare) und die maligne (Kombinations-) Form der Sklerose ubrig, von welchen die letztgenannte ausgeschlossen werden kann, weil die Pat. weder Symptame einer Uriimia Vera noch die eines inkompensierten Herzleidens noch eine Retinitis aufwies. Wahrscheinlich ist also, dass die Pat. an einer benignen Sklerose leidet; die vorhandenen renalen Symptome wieder- sprechen jededalls dieser Annahme nicht.

Bekanntlich kan diese Erkrankung der Nieren, die ja auf Pra- und Arteriosklerose der Nierengefiisse beruht, mit ahnlichen Gefassveriinderungen in anderen Gefassgebieten kombiniert sein. Wenn diese Gefasslasionen innerhalb des zentralen Nervensystems gelegen sind, das ja von allen Organen am promptesten auf Liisionen jeder Art reagiert, konnen ihre Wirkungen in den Vorder- grund treten. Wie oft eine Gehirnblutung oder Gehirnerweiohung als erstea Symptom einer vorher latenten Sklerose auftritt ist allbekannt. Von anderen Symptomen, die in dieseu cerebralen Gefassschadigungen ihren Grund haben, ist die Symptomen- gruppe, der chronischen Pseudouriimie, zu nennen, welche hier naher erortert werden soll, um in erster Hand mit den cerebralen Symptomen meines Falles verglichen zu werden. Diese pseu- douramischen Symptome werden nach Ansicht der modernen Nierenpathologen durch aigiospastische Ischamien des Gehirns (und Ruckenmarks) verursacht und sind als hiquivalente spa- stischer Ischamien in anderen Korperteilen zu betrachten; vgl. die Symptome deB toten Fingers uncl des intermittierenden Hin- kens. Die bald transitoriechen, bald bleibenden Ausfallserschein- ungen, welche durch diese angiospastischen Zustande resp. die von ihnen ausgehenden Thrombosen hervorgeruf en werden, sind natiirlich van der Lokalisation der Lasionen im zentralen Ner- vensystem abhangig. Bei diesen Zustanden ist es, wie in meinem Fall nicht ungewohnlich, dass sowohl A d d l e vom Typus JACK- SON’S entstehen konnen (als Ausdruck voriibergehender, angio-

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spastischer Liisionen), wie auch bleibende Paresen (als Resultat einer Thrombose), welche Paresen nach jedeni Anfall zunehmen konnen wie es gleichfalls in meinern Fall eu beobachten war. Weiter ist es bekannt, dass den bleibenden Paresen bei der Pseudo- uramie eine Periode transitotischer Paresen vorangehen kann wie sie meine Pat. aufwies. Von den ubrigen, cerebralen Symp- tomen, welche die Pat. darbot, mag der Kopfschmerz und das dasselbe bismeilen begleitende Erbrechen erwahnt werden, welche von derselben cerebralen Liision verursacht werden konnen. Bei einer Diagnose, die in diese Richtung zielt und wenn die Auf- merksamkeit lediglich auf die Nephritis konzentriert wird, konn- ten alle Symptome der Pat. auf ihre Nierenerkrankung zuruck- gefiihrt werden. Bei reiflicher tfberlegung, speziell aber mit Berucksichtigung eines lokalen SymF tomes, das spater etwas nhher besprochen werden sol], kam ich bald zur AuffaRsung, dass dio Nierenaffektion nicht allein alle Symptome vom Nerven- system erklaren konnte, sondern dass ausserdem eine andere Erkrankung varliegen musse. Es ist ja offenbar, dass es sich in diesem Fall urn einen Erkrankungsprozess in der rechten Zentral- windungsregion handelte, welcher sich im Laufe von 6 Jahren langsam progredient entwickelt hatte. Symptomatologisch war er durch Anfalle vom Typus JACKSON’S in der linken Korperhalfte charakterisiert, welche anfangs von transitorischen. wahrend der letzten Jahre aber von bleibenden Paresen, zuerst im Fuss, spater in der iibrigen linken Korperhalfte gefolgt waren. Dieser langsame, progrediente Verlauf spricht mehr zu Gunsten eines Tumor cerebri als der Pseudouramie. Was am starksten fur die Diagnose Tumor cerebri spricht, ist folgendes Lokalsymptom: Ober dem Bereich des Schadels, wo nach der kraniocerebralen Topographie die Projektionsflache des oberen Teiles der rechten Zentralwindung am Schadel liegen sollte, war ein in seiner Aus- breitung zwar wechselnder (wiihrend starker Kopfschmerzen grosser) jedoch immer konstanter und distinkter Schmerz fur die Perkussion vorhanden. Ein Unterschied im Perkussionsschall konnte nicht beobachtet werden. Es war also wahrscheinlich, dam die Pat. an einem Tumor cerebri + benigner Sklerose litt. Die Lokaldiagnose bot danach keine Schwierigkeiten; der Tumor ist im oberen Teil der rechten Zentralwindungsregion zu suchen, weil die ersten Symptome das linke Bein betrafen.

In dieseni Zusammenhang mochte ich einen von GOTTHARD SODERBERGH beobachteten, mir uberlassenen, vorher nicht publi-

344 k E BARKMAN.

zierten Pall von Tumor cerebri + Nephritis chronica, in KIirze referieren, in welchem die Diagnose Tumor cerebri nur mit Hilfe des Perkussionsbefundes gestellt werden konnte.

Der Fall wurde im Jahre 1910 beobachtet. Es handelte sich um eine 42-jahrige Frau, die zeit 11 Jahren an Nephritis litt, wahrend welcher Zeit sie bisweilen Augenlidijdem beobachtet hatte. Seit 1906 epileptische Anfalle etwa jeden 4:ten Monat ohne JACKSON'B Typus. Seitm ehreren Jahren Eopfschmerz von wechselnder Lokali- sation, wahrend der letzten Zeit haufiger, mitunter auch mit Er- brechen. Seit einem Jahre abnehmendes Schvermijgen, speziell am rechten Auge. Wahrend der letzten Jahre bisweilen Diplopie. Bei der Aufnahme am **/B 1910 wurde folgendes beobachtet: 0,z %o Albu- men im Harn, einzelne kornige, mehrere hyaline Zylinder im Sedi- ment. Leicht gedunsenes und blasses Aussehen. Sehscharfe 0,5, auf beiden Augen. Die rechte Papille ein wenig geschwollen, blass; gewundene Venen, weiter als normal; die linke Papille ein wenig erhoben, die Oefasse schmaler (beginnende Atrophie?). Im iibrigen nichts von Interesse. Am "/B wurde notiert: Die Pat. ist schwind- lig, ihr Gang schlotterig. Sehscharfe 0,s rechts; O,e links. Parese des unteren Zweiges des rechten N. VII. Rechter Augenhinter- grund: Die Papille beinahe weiss mit einer cirkumskripten, blassen Zone unten-lateral (Atrophie). Die Arterien pathologisch eng. Lin- ker Augenhintergrund .- Die Papille grauweiss mit verschwommenen Grenzen; enge Arterien. "/e. Die Pat. hat starlres Kopfweh gehabt, am haufigsten auf der linken Seite nach vorn, bisweilen mit Erbrechen. In der Zwischenzeit und speziell wahrend der letzten Zeit psychotisch, desorientiert; in den lezten Tagen Sehhalluzinatio- nen. Die Pat. ist heute benommen. Keine ccrebellaren Symptomc. Druckempfindligkeit iiber der linken Halfte der Stirn ; keine sichere Perkussionsempfindlichkeit. Vielleicht Dampfung an der linken Stirnhalfte. Die Pupillen normal. Sehscharfe 0,i links; 0,s rechts; Leichte Parese des unteren Zweiges des rechten N. VII. Die Eo- mealreflexe normal. Eeine Paresen i n den Extremitaten. Alle Seh- nenreflexe verstarkt; kein Unterschied der beiden Seiten. Die spast- ischen Reflexe fehlen. Der Hwrnbefund wie am "/e. Die Pat. wurde am 6 / 7 unter Diagnose: linksseitiger Frontallappentumor auf die chirurgische Abteilung transportiert. Am ' 17 wurde palliative Trepanation ausgefiihrt. Nach der Operation wechselte die Albumen- menge zwischen 0,a-1 %o. Im Sediment einzelne Eiterkorperchen, mitunter kijrnige Zylinder. Exitus am 26/9. Bei der Obduktion wurde ein Tumor (Oliom) im linken und rechten Frontallappen ge- funden.

Dieses beilaufig. In meinem Fall war es also bei der Diagnose Tumor cerebri + benigne Sklerose geblieben. Die Moglichkeit, des Verhiiltnis zmischen dem Gehirntumor und den Nierensymp-

tonien ineiner Pat. noch in einer anderen Weise aiifziifassen, liisst Rich nicht bestwiten. Timioren, besonclers nialigne, kijnnen niinilicli die Nieren tosisch derart beeinflussen, dass d m e niit uNeI'hritisospmptoinen reagieren. Dass eiii Tumor den Syrnpto- menltoinplex der benignen Skleerose verursachen kann, wie in nieirieni Fall, I ~ U A S jedocli als nnrvalil.scheiiilich angesehen wer- den; gewiiihnlich rengiereii die Nieren auf solclie Toxine init c lrrn Nephrosenkomples. Jedenfalls lasse ich diese Frage offen, iim so niehr als niein Fa11 noch nicht geniigend lauge beokachtet ist, uni eirien Schluss aus der Nierenfunktion nach der Operation mi siehen. 31it der Diagnose: Tiinlor reg. central d s . (Beinzent- rum) wnrde die Pat. ain ?O/7 std die chiriugische Abteilung dieses R~~zirkskrrznitt . i i l iau~~~ behufs eines chirurgischen Eingriffs tram- p r t i ~ r t ,

Oq'errriim am '' 'I (Dr ROBERT HANSON). Auszug aus dem Ope- rnfionsbericht. Die Operation wurde in Lokalaniisthesic ausgefiihrt.

Nachdem ein ~ ~ e i c l i t c i l - I~noohenlappen iiber clem olwren Tcil der rcchten Zentralwiiitl ungsregion rlufgeklappt war, wurde die Dura besichtigt : im obcrcn Tcil drr entblossten Partic war die Dura an einenr 2-Kronensl~ckgrosseii Gebiet dicker und mehr grauweiss R1S (lie Umpcbung. Bei der Palpation derselben orhiclt man dic Enrpfinduiig voii griisscrcr Spannung als normal. Die Durn wurdc paralld niit und ' I 9 cm. t o n den Knochenrandern durchschnittcn. I h r 1)iiralappen war am Gehirn nicht adhiirent, ausser a n einem c:a 6 - Orcsutiickgrossen Gebict iihcr der obercn Hiilftc des Gyrus centralis anterior, von wo einigc diinnc Gcfisse nach der Durn verliefen Keine frcie 1"lussigkeit bci Iiroffnung tferselben. I)er Siilcua Ro- landi trat deutlich hervor, ebenso dcr Sulcus pracentralis. illle sichtlxireri Gyri w r e n abgeplattet ; kein Udem in den weichen (:rhirnliiiuten. &lit Ausiiahnie von dcn Gefdsscn z n dcr ohen- erwahntcn I'artie cler Dura iind von eincr duukleten Farbe dicses Cebietcs waren 1;eine meitcren Veriinderungcn in der Rcgioii der vorderen %cntralwrindung sichtbar. Dagcgen wurde in der Rcgion dcr hinteren Zentrdwindung ein 2-C)resstiiclrgrosser, grauer Tumor beobachtct, dcr 3-4 mm. iiber die Gehirnoberflkche emporragte. Er verschwand nacli der hIittcllinie hin untcr dem Ihochen. Sobald diescr an cinem 3 cm. lanpen GeLict in der hinteren HLlfte des mit tler Mittellinie pardlellcn, ohercn linochenraiides beinahe bis ziir Rlittellinie entfernt wortlcn war, wurde der, wenig mehr als 2- Owsstiickprosac, runde Tumor rnit wohl markierten Unrgrenzungen sichthar. Bci der Prllpation zeigtc das (Xchirn auf einenr Gebiet von 3-3 cni. rincrs um dcu Rand dc3 sichtbaren Tumors festere Kon- sistcuz. Die Yenen rings uni den Tumor waren ein wenig drlatictt. Hei dcr l'alpation tlcs Tumors wnrden Zuckungen im linken Bein Leobxhtet , urrtl die Pat. klaatc tiller KrQmpfe an dicwr Stelle. Man

- - -

Yd 1-21 IO i? . Actrr a~racl . Sconclttiric. C'd . L I - .

346 KKE BARKMAN.

lronntc den Zeigefinger zwjschen den Tumor urid dws Gehirn cin- fiihren, wobei mit Leichtigkeit ein hirnfirrniger, fester Tumor ails- gcschiilt und hernusgcschafft werden konnte. Die Spitze des 'J'u-

Fig. 3.

mors wurde von der obenerwiihnten Partie, die nach der Gehirn- oberfliiche ging, gebildet. Dcr untere dickere Teil des Tumors streckte sich nach vorn und lag also nntcr der oheren Hi l f te des Gyrus centralis anterior. hliissige Blutung voni Tumorbettc. 1)er

EIN FALL VON OPIERIERTER HIRROESCHWULGT. 347

Knochenlappen wurde niedergeklappt und mit Silberdrahten fixiert. Suturen. Die Pat. ertrug den Eingriff gut; klagte nur bei der Ent- fernung des Tumors uber Krampfe iom linken Bein. Temperatur- steigerung nach der Operation bis 38,7.

Bwchreibung des Tumors (Prosektor c. 0. FOREELIUS). Der Tumor (Fig. 31, formaldehydfixiert, wiegt 75 g. Er ver-

drangt 65 cm' Wasser. Sein grosster Diameter, die Hohe, ist 56 Millimeter; die Breite in einer Richtung ist 45, in der anderen 60 Millimeter. Seine Form ist knollig, oval rnit flacker zerfetzter Ba- sis. Die Oberflache, ausser an der Basis, ist glatt, rnit einer diin- nen Kapsel iiberzogen. Die Farbe ist im fixierten Zustand gelbweiss. Die Schnittflache hat einen schwachen Stich ins Gelbrot; sie ist teils durch faserige Biindeln in Felder eingeteilt; teils sind die Felder kornig, resp. kurzfaserig gezeichnet. An der Basis fehlt die Kapsel; die Oberflache zeigt verstreute Blutungen und hat durch faserige, herahhangende Gewebelappen ein zerfetztes Aussehen. Die Konsi- steuz des fixierten Tumors ist hart elastisch. Beim Streichen iiber dic Oberflache gibt er ein massiges Abschabsel. Mikroskopisch ist das Bild nicht ganz einheitlich. Der grosste Teil des Gewebes wird von grossen spulformigen Zellen mit grossem, blasigem, sparlich ge- zeichnetem Kerne gebildet. Der Zellkorper ist protoplasmareich, oft sehr lang, bisweilen beinahe bandformig wie eine Muskelzelle. Diese Zellen haben nur sehr sparliche Auslaufer von schlankerem Typus. Sie werden gewohnlich von einem starken System plumper Binde- gewebefasern getragen. J e naher man der Basis kommt, um so mchr tritt dieses Bindegewebestroma hervor; und hier weisen auch die bandfarmigen Auslaufer eine gewisse Tendenz zur Farbbarkeit mit Fuchsin: in eineelnen Fallen tritt diese sogar sehr stark hervor. In diesem grosszelligen Gewebe werden stellenweise Inseln von kleinzelliger Struktur angetroffen, rnit kleinen, intensiv farbbaren Kernen und mit reichlichem Virrvarr von Fasern, die diinn und mit Fuchsin nicht farbbar sind. Eine deutliche perivaskulare Anordnung kann weder in dem grosszelligen noch in dem kleinzelligen Gewebe nachgewiesen werden. Schliesslich werden in der Bindegewebekap- sel, speziell im basalen Teil des Tumors, sparliche Psammomkorner, und etwas reichlicher Bilder von in der Entwicklung gegen den Psammomtypus begriffene Endothelrohre angetroffen. Die Kapsel erweist sich mikroskopisch nicht so scharf wie makroskopisch abge- grenzt; sie ist durch einwachsende Zellmassen in zerstreute Binde- gewebsbiindel zerspaltet ; die Geschwulstmasse durchwachst sie bis zur Nahe der Oberflache. Die basale Flache weist keine mikroskopisch klare Grenze auf. Abschabsel von der Schnittflache des Tumors weist einselne, typische, sternformige Gliazellen auf ; die grosse Masse von Zellen aber haben eine ausgepragt langgestreckte Form, ohne reich- lichere Auslaufer, bald an Milzendothelzellen erinnernd, bald der Form der Muskelzellen sich nahernd. Diagnose: Spulzellsarkom mit eingeschlossenen Resten des primaren Gliagewebes.

348 HKJI BARKYAN.

Tagesmtke a5/7. Dae Befinden der Pat. nach der Operation gut. Temperatur 38' heute morgen. Pula gut. Die Paresen dea lin- ken Armes und Beines haben zugenommen. Die Pat. kann die Fin- ger minimal bewegen, nicht aber die Hand ballen. Sie kann nur rnit Schwierigkeit den Arm heben; sie kann fortdauernd die Zehen und den FUSS der linken Seite nicht bewegen. Das linke Bein ist stark hypertonisch, ausgestreckt. Die Knie- und Fersenphanomene sind normal auf der rechten, lebhafter auf der linken Seite. Bei Knei- fen uber dem Rist, Dorsalflexion der grossen Zehe am linken Bein. Fusszittern auf der linken Seite. BABIN6EI neg. auf beiden Seiten. GORDON und OPPENHEIM beiderseits neg. Die Pupillen sind gleich gross; die Reaktion normal. Die Augenbewegungen normal; keine Diplopie, kein Nystagmus. Die VII-Parese links heute nicht sehr auffallig .

"17. BABINSEI pos. auf der linken, neg. auf der rechten Seite. Vollige Paralyse des linken Armes. Pat. kann heute das linke Bein beugen, was sie vorher nicht vermocht hat. Die Rigiditat dieses Beines ist nicht so stark wie fruher.

"13. Die Pat. kann heute ein wenig den linken FUES bewegen, nicht aber die Zehen dieses Beines. Der linke Arm ist paralytiacb. Die Hypoasthesie fur Beriihrung wie vorher ; die Hypoalgesie der linken KSrperhalfte aber ist verschwunden. Das Allgemeinbefinden ist gut.

'/a. Die Pat. befindet sich subjektiv wohl; nur ein wenig Kopf- schmerz in der letzten Nacht. Die Kraft des linken Armes ist gros- ser. Keine sichere Hypoasthesie fur Schmerz oder Beriihrung. BA- BINBKI beidereeits neg. Kein FUSS- oder Patellarklonus. Seit ge- stern kann die Pat. den linken Arm bewegen. Heute ergibt sich bei der Untersuchung, dass die Kraft im Schultergelenk am grosvten ist, indem Pat. in diesem Qelenk auch mit obenvindung eines ge- ringen Widerstandes bewegen kann. Irn Ellbogengelenk aber kann sie Bewegungen nur unter den giinstigsten Bedingungen ausfiihren. Paralyse des Handgelenkes und der Fingergelenke. Eine Weile, ehe sie zum ersten Ma1 wieder den linken Arm bewegen konnte, fuhlte sie eine eisige Empfindung in der ganzen linken KSrperhiilfte, die eeit der Operation Dwie tod ist,.

" /e . Die Kraft des linken Beines nimmt stetig zu. Pat. kann mit Hilfe gehen. Die h a f t des linken Schulter- und Ellbogenge- lenkes ist ebenso besser. Pat. kann heuta die drei radialen Finger der linken Hand ein wenig bewegen; nicht aber das Handgelenli. Die Triceps-, Radius- und Ulnareflexe sind links lebhafter ale rechts. Kein Fusszittern oder Patellarklonus. BABINBKI auf beiden Seiten neg. Keine sichere Hypoasthesie der linken Korperhalfte. Pat. kann mit der linken Hand Holz von Eisen oder Qummi nicht un- terscheiden, auch die Liinge von Gegenst<anden nicht schatzen.

a4/ri. Die &aft des linken Beines wie am " /8 . Die Kraft des linken Armes dagegen hat deutlich zugenomrnen. Die Pat. kann heute die Finger der linken Hand beupen, sie aber nicht strecken, opponieren, sb- oder adducieren. Das linke Handgelenk kann sie

8@/7=8' /T.

EIN FALL VON OPERIEKTER HIRNOESCHWULST. 349

minimal bewegen. Mehr Kraft in der Beugung und Streckung des linken Ellbogengelenkes und in allen Bewegungen des linken Schul- tergelenkes. Deutliche AtrophLie des ganzen linken Armes, am mei- sten aber in den Mm. lnterossei, Thenar und Hypothenar, in dsr ulnaren Halfte der hterarmmuakeh und in den Beugemuskeln des Unterarmes.

Sensibklitut : Der Beriihrungs-, Schmerz-, W arme- und Kaltesinn uberall normal; der Pat. scheint dies eigentumlich, we3 sie die game linke Eorperhalfte wie eingeschlafen fiiblt. Der Bewegungssinn der Gelenke des linkFn Adrmes ist stark herabgesetzt; erst nach grijsserem Ausschlag als 45 -60 kann die Pat. die Bewegungsrichtung bestim- men. Stereognosie: Was die betrifft, so kann sie z. B. sagen, dass ein Gegeiistand, z. B. ein Messer ein Eisenstiick ist, Bweil es sich kalt anfiihltx; wird das Messer aber gewarmt, kann die Pat. das Ma- terial nicht entscheiden. Die Pupillenreflexe normal. Die Triceps-, Radius- und Ulnareflexe wie vorher. Keine spastischen Reflexe. Deutliche, aber nicht auffallend starke Rigiditiit des linken Armes und Beines. Unbedeutende Parese der. Nn. VII, X, XI und XII der linken Seite. Im Harn kein Albumen. Sediment = 0.

Die Pat. kann ohne Hilfe gehen, besser als vor der Opera- tion. Sie geht Bhemiplegisch,, indem sie den linken Fuss schleppt und die linke Fusspitze ,auswartso bewegt. Der Schmerz- und Be- riihrungssinn wie am g4/s; der Bewegungssinn ein wenig gebessert. Die &aft wie friiher; sie kann jedoch heute die Finger der linken Hand strecken. Seit der Operation kein Anfall; keine Blasenstorungen. Die Ietzte Woche kein Kopfweh. Systolischer Blutdruck 150 mm . Hg. Augenhintergrund beiderseits normal. Die Pat. fiihlt stets Kalte in Fuss und Hand der linken Seite.

" i s . Blutdruck 160 mm. Hg. Albumen in Spuren und einzelne Eiterkorperchen ohne Zylinder im Ham.

5/10. Blutdruck 150 mm. Hg. ''/io. Die Pat. war bis zurn '6/o gesund und stark und die Pa-

resen in Ruckbildung. An diesem Tag bekam sie aber einen Schut- telfrost von drei Anfdlen mit Zuckungen im linken Bein, davon d g eine mit Zuckungen auch in den linksseitigen Bauchmuskeln, gefolgt. Bei den Anfallen keine Zuckungen des linken Armes oder der linken Qesichtshalfte. Keine Blasenstorungen nachher. Seit diesem Tag taglich Kopfschmerzen in der rechten Scheitelhalfte iiber dem Operationsgebiet und fJbelkeit, aber kein Erbrechen. Die Pat. pat seit$em dae Bett gehu:et. Die Temperatur hat sich zwischen 39 - 37,7 abends und 38 -37' morgens gehalten. Der Eopfschmerz stellt sich immer nachmittags ein, bisweilen auch in der Nacht. Sie behauptet, dass wahrend dieser Tage die Kraft des linken Armes abgenommen hat, die des linken Beines aber stationar geblieben ist. Bei der Untersuchung wird folgendes beobachtet: Herz: Ictus ist bebend, erreicht die linke, unreponierte Mamillarlinie. Die rechte Grenze liegt am rechten Sternalrand; die linke Grenze drei cm. linke von der linken, unreponierten Mamillarlinie. A2 aczentuiert.

Keine Atrophie des linken Beines.

" i s .

Die Reflexe wie am '"8.

356 LICE BARKMAN.

Der syetolieche Blutdruck 150 mm. Nervemystem: Sehechiirfe 0,a rechts, Fingerziihlen links auf 2l/s Meter. Die linke Papille wie friiher; rechte PapiZZe: verschwommene Grenze; die Venen sind er- weitert und beugen sich iibes den undmtlichen Rand; die Papille ein wenig erhoben. Die linke Pupille ist ein wenig weiter als die rechte. Die Reaktion beiderseits normal. Die Augenbeweyngen in allen Richtungen in normalem Ausmass mijglioh, mit Ausnahme der Konvergenz, wobei das rechte Auge nicht folgt, sondern in der Mit- telstellung bleibt. Xein Nystagmus, keine Diplopie. Bei Anstreng- ung der Augen z. B. bei dem Konvergenzversuch aussert die Pat.: 'es tut in der rechten 8chlafe wehs. Deutliche Parese des unteren Zweiges des linken N. VII; geringe Parese der Augenschliesser der- selben Seite. N. VIII. vom Spezialant NIL8 WITT untersucht*: Rustersprache 1 Meter auf beiden Ohren (Neuritis der Nn. Acusticil. Parose dee Gaumenhebers und der Schulterheber links. Die Zunge weicht naoh links ab. Paralgse der Finger und des Handgelenks links; minimale Bewegungsfahigkeit im linken Ellbogengelenk; ein wenig starkere in den Bewegungen des linken Schultergelonkes. Die Bauchmuskeln normal. Auffallende Atrophie der Nm. Thercar, M e - rossei und H p p o t h a r deer l i s k n Seite. Sie kann die Zelien und das Fussgelenk links mit Muhe bewegen. Starke Parese der Beug- muskeln links, der Ab- und Adduktoren der linken Hufte. Die Streckbewegungen kraftiger; doch alle ein wenig paretisch. Die oberflachliche Sensibilitat normal. Der Bewegungasinn in allen Ge- lenken des linken Armes und in der grossen Zehe links stark herab- gesetzt. Die Bef lew: Triceps , Radius- und Ulnareflexe sind links lebhafter als rechts: Bauchdeckelcrefleze: die epigastrale poe. (Eon- traktion des rechten, nicht des linken Rectus), der linke obere und mittlere fehlen, die iibrigen sind vorhanden. Patellar- und Fersen- phanomen beiderseits pos. BABINSKI, OPPE~NHEIM und GORDON links + ; rechts neg. Betreffs ihres geistigen VermSgens ist es zweifellos, dass sie wahrend der letzten Wochen stumpfer geworden ist. H u t : w. B. 11,000 pro mm'. Im Sedi- ment einzelne EiterkSrperchen. Keine Zylinder. Die Harnmenge hat in den letzten Tagen zwischen 0,s-O,a Liter gewechselt.

''/io. Die Pat. verwoigert erneute Operation. Sie verlasst heUte das Krankenhaus.

I m Harm: Albumen in Spuren.

Zusuwrnenfussung des Falles. Es handelt sich urn eine 64- jiihrige Frau ohne tuberkulose Belastung und soweit bekannt ohne luetische Ansteokung. Ihre gegenwhrtige Kxankheit begann vor 6 Jahren rnit einzelnen Zuckungen im linken Hiift- und Kniegelenk und mit Psrese dieses Beines, zuerst im Fuss und und in den Zehen. Seit 5 Jahren Anfiille vom Typus JACKSON, in den linken Bauohmuekeln und in den entspreohenden Muskeln des Riiokens (der HBhe betreffs) beginnend, urn danach distal- w k t s suf das linke Bein und rings des Ruckgrates auf den linken

Em FALL VON OPERIERTER IIIRNGESCHWULST. 35 1

Arm uberzugreifen. Zuletzt Zuckungen in den Halsmuskeln und bisweilen in der mimischen Gesichtsmuskulatur der linken Seite und in der Zunge, welche nach links gezogen wurde; auch rasch vorubergehende Schwierigkeit zu schlucken. Nach den Anfallen anfangs transitorische, wahrend der letzten Jahre aber bleibende Paresen der linken Korperhalfte. Die Paresen hatten seitdem die Tendenz starker zu werden. Pat. beobachtete die Paresen zuerst im linken Bein, dann in der Gesichtsmuskulatur, in der Zunge und am weichen Gaumen, zuletzt im linken Arm, wo die Paresen immer proximal mehr ausgesprochen waren. I n den Rumpf- muskeln hat sie keine sicheren Paresen beobachtet. Ausserdem wurde sie am Tage nach dem Anfall von haufigem unwider- stehlichem Harndrang c:a jede 5 Minute, unmittelbar im Anschluss a n den Anfall beginnend, belastigt. Von sensiblen Symptomen hat sie ausser Reissen im ganzen Korper, am meisten im Kreuz und langs der Wirbel, die Empfindung von Kaltwasserrinnen im liuken Arm und Bein und um das Ruckengrat gehabt. Auch Kalteparasthesien in der Uvula, am meisten nach den Anfallen. In den 5 letzten Jahren taglich Kopfschmerzen, mitten am Scheitel lokalisiert. Das Sehvermogen hat allmahlich abgenom- men, sowohl beim Sehen in die Ferne, wie in der Nahe. Ebenso seit 5 Jahren akustische Reizerscheinungen, am starksten wahrend der Kopfschmerzen. - Objektiv bot die Pat. folgende Symptome: Perk ussionsschmerz iiber einem begrenzten Bereich der rechten Schadelhalfte, dessen vordere Grenze zwischen 5-10 cm. vom vorderen Haaransats wechselte und dessen mediale Grenze 1-4 cm. von der Mittellinie lag. Sehscharfe 0,s auf beiden Augen. Augen- hintergrund: Keine Stauungspapille. Parese des unteren Zweiges cies linken N. VII. Linkseitige Akustikusneuritis. Parese der linken Nn. X, X I und XII . Parese des linken Armes proximal zunehmend, so dass die Kraft im Handedruck und in der Beugung des Handgelenkes am grossten war; nicht so stark in der Dorsal- flexion des Handgelenkes, in der Abduktion der Finger und Opposition des Daumens. Von da proximalwarts abnehmende Kraft, so dass die Kraft in den Bewegungen des linken Ellbogen- gelenkes geringer war als in den distalen Gelenken, aber starker als in den Bewegungen des Schultergelenkes. DYLEFF in den linken Ellbogenbeugern pos. Paralyse der Zehen und des Fusses und starke Parese der Verkiirzer des linken Beines. Starke Rigiditat im linken Arm und Bein. Hypoasthesie fur alle Quali- taten in der linken Korperhalfte, von C: I1 und abwarts. Der

352 %KE BARKMAN.

sensible Teil des N. V. normal. Der Bewegungasinn im lihken Arm und Bein stark herabgesetzt. Unvermogen mit der linken Hand Gegenstknde zu erkennen. Die Sehnen- und Periostreflexe sind links lebhafter als rechts. BABINBKI, OPPENHEIM und GOR- DON am linken Bein pos., am rechten neg. Keine Cerebellarsymp- tome. Von Symptomen seitens der ubrigen Organe wies die Pat. erhohten Blutdruck auf, zwischen 150--200 mm. Hg wech- selnd, und transitorisch Albumen im Ham, nebat einzelnen roten und weissen Blntkorperchen und kornigen Zylindern im Sediment. Diese letzten Bef unde wurden von mir als zusammenhorend angesehen und als Ausdruck einer benignen Nierensklerose gedeutet. Wegen ihrer Nierenerkrankung wurde keine antilueti- sche Behandlung begonnen. Da die Pat. wlihrend der 6 Wochen langen Observation unter hygienisch-diiitetischer Behandlung keine Zeichen zur Verbesserung aufwies, wurde teils daraufbin, teils auch infolge obenerwahnter Grunde die Diff erentialdiagnose zwischen benigner Nierensklerose mit chronischer Pseudouriimie und benigner Sklerose + Tumor oerebri so entschieden, dass die letztgenannte Kombination als das wrthrscheinlichste anzusehen sei. Diese Diagnose erwies sich auch bei der Operation (23/7) als richtig, indem in der rechten, hinteren Zentralwindung ein huhnereigrosser Tumor gefunden und entf ernt wurde. Nach der Operation tendierten im Ganzen die Symptome zur Ruckbildung, indem die Kraft sowohl im Arm wie im linken Bein allmahlich zunahm, so dass die Pat. am l6/8 mit geringer Stutze aufrecht gehen konnte. Weiter gingen die oberfliichlichen Sensibilitiits- storungen vollig zuruck, wahrend die tiefe Sensibilitrit nur geringe Verbesserung aufwies. Die Rigiditat des linken Armes und Beinea wie die spastischen Reflexe versohwanden c:a 2 Wochen nach der Operation. Kein Kopfweh und kein Anfall. Ein bemerkens- wert,es Symptom kam nach der Operation hinzu: Es war niimlich offenbar, dass sich naoh der Operation eine begrenzte Atrophie der kleinen Handmuskeln links entwickelte. Die Pat. fuhlte sioh gesund und wohlauf und erfreute sich ihrer zunehmenden Gesundheit bis zum 2619. An diesem Tag stellte sich eine Ver- schlechterwg und ein Wendepunkt in ihrem Allgemeinbefinden ein. Es begann mit einem Schuttelfrost und drei Anfallen von Zuckungen im linken Bein und seitdem hat die Pat. tagliche Kopfschmerzen uber dem Operationsgebiet gehabt. Auch hatte ihr Geistesvermogen sichtlich gelitten, sie war stumpisinniger geworden. Objektiv war das Krankheitsbild durch folgenden

EIN FALL VON OPIDRIERTBR HIRNQEBCEIWULCT. 353

Bef und charakterisiert: Fieher von miissigem Grad; Leukocyten- zahl 11,000 pro mm3; verminderte Sehsohiirfe auf beiden Augen; beginnende Stauungspapille am rechten Auge; hinzu kam Akmti- kusneuritis rechts. Ausserdem hatten die Faresen in der linken Korperhalfte wieder deutlich zugenommen, wozu sic6 auch Parese der Augenmuskeln reohts gesellt hatte. Die obener- wahnte Atrophie der kleinen Handmuskeln links hatte sich noch mehr markiert. Die spastiechen Reflexe des linken Beines waren wieder aufgetreten. Druckempfindlichkeit uber dem Operations- gebiet.

Es konnte nun als wahrscheinlich angesehen werden, dass sich ein Abscessua cerebri im Operationsgebiet entwickelt hatte. Der Ausgangspunkt desselben war mutmasslich eine Supuratic<n am hinteren Wunderand. der erst mehrere M70chen nach der Operation ausheilte. Die Pat. wies den Vorschlag, sich einer erneuten Operation zu unterziehen. zuriick.

Wenn wir nun zur Diskussion der interessanten Symptome vom Nervensystem und der damit zusammenhangenden neurolo- gischen Probleme iibergehen, waren zunachst einige Worte iiber die Motilitatsstorungen der Pat. zu sagen. Bei der Analyse derselben war vor allem der eigentumliche Paresdypus des linken Arrnes auffallend. Am kraftigsten war namlich der Hande- druck und die Volarflexion des Handgelenkes, weniger kriif tig die Dorsalilexion des Handgelenkes, die Abduktion der Finger und Opposition dea Daumens. Von dort zunehmende Parese. Die Bewegungen des Ellbogengelenkes (5treckung schwiicher als Beugung) und noch ausgesprochener die des Schultergelenkes paretisch. Daselbst waren die Nachhintenstrecker, Aussenrota- toren, Ab- und Adduktoren am schwachsten, wiihrend die ubrigen Bewegungen noch atwas kraftiger ausgefiihrt wurden. Dieser Parese typus, der proximnle Tppus der brachialen Monoplegie, ist speziell Gegenstand eingehenderer Untersuchungen von zwei schwedischen Forschern, BERGMARK und SODERBEROH gewesen. Der erste, der die Aufmerksamkeit auf denselben lenkte, war BERGMARKS in seiner Doktordissertation (1908), wo er sein Vor- kommen und seine theoretische Bedeutung verteidigte. Bis dahin war der kategorische Satz BONHOEFFER~~ unwiderlegt geblieben: hEine kortikale monoplegische Storung im Armgebiet derart, dass sie etwa mehr den Schultergurtel oder die Bewegungen im

354 ARE BARKMAN.

Ellbogengelenk betraffen und die Hand frei liessen, wird nie angetroffen, Im Widerspruch zu dieser Regel legte nun BETCG- MARK neun FLlle vor, davon drei eigene, alle mit proxinialer Armlghmung bei kortikaler LLsion. Demzufolge stellte er feat, ))dam man aus klinischem Cesichtspunkt von einer Lokalisa tion im Sinne MUNK’S, der einzelnen Subzentra des Armes und Ilandes sprechen kannb. Ein Herd im Armzentrum musste sonach nicht notwendig die Funktion der Hand am stilrksten schiidigen, son- dern kann entweder das Schulter- oder das Ellbogengelenk stiirker befallen. Auf die nahe liegende Frage, warum dieser Paresetppus so selten beobachtet worden war, gab der Verfasser die foigende Erklarung. Die meisten Lasionen kortikalen Ursprungs sind vaskuliir bedingt. Nun weiss man (BEVOOR~), dass das Zentrum des Schultergelenkes und, wenn auch nicht in so hohem Grad, auch das Zentrum des Ellbogengelenkes hinsichtlich der kollate- ralen Blutzufuhr gunstiger gelegen sind, indem das Zentrum des Schultergelenkes eben am Grenzgebiet zwischen der Arteria cerebri media und Arteria cerebri anterior liegt. Das Zentrum der Hand dagegen wird nur aus der Arteria cerebri media mit Blut versorgt. Um andere Fiille von vaskularen Liisionen mit distaler Armparese zu erklaren, wo dieses einfache Argument kaum als hinreichend angesehen werden kann, wie z. B. in einem Fall rnit brachiocruraler Monoplegie mit der Liihmung im Bein am starksten auagesprochen, wo beide Extremitaten aber den distalen Paresetypus aufweisen, fiihrte er folgende Hypo- these BISCHERS an (zit. nach BERGMARK). oWie in der Tierreihe die motoriechen Funktionen mit hoheren Stufen immer mehr vom Grosshirn abhiingig werden, so sind auch beim Menschen die am hoahsten entwickelten Funktionen z. B. die assoziierten Bewegungen der Hand, am meisten von der Grosshirminde ab- hangig, und die Aussichten auf sine Restitution sind dann schlech- ter fiir die feineren, die assoziierten Bewegunpen als ftir die groberen Funktionen nach einer auoh nur partiellen Rinden- 1iision.b)

Spater hat BERQMARK~’ 7 noch zwei und SODERBRRQH~~ vier Fiille mit diesem Paresetypus beschrieben, wobei sie in ihren Publikationen das theoretiache Interesse desselben im Gegensatz zur Lehre BONHOEFFERS geltend machen und beide auf seine praktische Bedeutung eingehen. So lenkt SODERBERQH die Aufmerksamkeit unter Hinweis auf einen seiner Falle, auf die Bedeutung desselben bei der Differentiddiagnose zwischen

EIN FALL VON OPERIERTER HIRNGESCHWULST. 355

spinaler Hemiplegie und kortikaler, brachiocruraler Monoplegie. BERGMARK seinerseits weist auf das hiiufige Vorkommen vom Tumor gegeniiber den vaskuliiren Liisionen ale Ursctohe dieses Paresetypus, was aus den oben erwiihnten Griinden leicht b e grsiflich ist. Von 12 autopt.isch verifizierten Fiillen (p. mortem oder in vivo) waren 10 Tumoren und von allen bis 1914 publi- zierten 18 Fallen waren 11 Tumoren, 5 vaskulare Lasionen und zwei Traumen. Seither ist dieser Paresetypds erst wieder in diesem Jahre (1920) Gegenstand erneuter Diskussion geworden. KNAPP~O hat namlich die Frage zur erneuten Behandlung auf- genommen und die Statistik um zwei Fiille vermehrt; eine Ence- phalomalacie und einen Fall, der diesen Paresetypus nach Punk- tion einer apoplektischen Cyste aufwies, warend er vorher den distalen Typus aufgewiesen hatte. Zusammenfassend kann man hinsichtlich der Art und Lokalisation der betreffenden Schadigl- ungen folgendes sagen. Von 21 Fiillen (meinen mitgerechnet ) sinil 12 Tumoren, 7 vaskulke Lasionen und zwei Traumen. Von allen FiiIlen mit Autopsie (p. mortem oder in vivo) wurde die Schadigung an oder in der Rinde der vorderen Zentralwindung gefunden mit Ausnahme vom zweiten Fall KNAPP’S, einern Fall SODERBERGH’S und meinem Falle, in welchen die LIsion sub- kortikal lag. Betreffs des Falles KNAPP’S, ist es nicht unwahr- scheinlich, dass die Eingriffe (zwei Punktionen) die Ursache einer Schadigung der Zentra der proximalen Oelenke waren. Im iibrigen sei hinsichtlich der genaueren Lokalisation der Scha- digiingen und der Symptomatologie der einzelnen Falle auf die betreffenden Publikationen hingewiesen. Ziemlich klar ist also, bei welchen Fallen die proximale Armparese zu erwarten ist. Die Lasion wird in der Niihe der Rinde der vorderen Zentralwindung (das Subkortex muss in allen Fiillen auch ale geschiidigt angesehen werden) so gelegen sein, dass ihre Wirkung auf die geschldigten Foci z. B. das Schulterzentrum so kriiftig jst, dass die entsprechen- den Muskeln weit schwerer beeintrachtigt werden, als die der distalen Gelenke. Infolgedessen ist es auch klar, dass diese Schiidigungen von begrenzter Ausbreitung sein miissen, was ja auch mehr bei Tumor als bei vaskularen Lasionen gilt. Am gr6ss- ten ist wohl die Wahrscheinlichkeit einer begrenzten Liision bei gewissen Traumen, mamentlich Schussverletzungen und wahrend des letzten Weltkrieges sind auch solche beobachtet worden. Eine Zusammenfassung der diesbezuglichen Erfahrungen findet man in einer vor kurzem erschienenen Abhandlung von I(. GOLD-

356 AKE BARKMAN.

STEIN u. FRIEDA REICHMANN~~ &us welcher ich folgende Falle zitiere: isolierte Liihmung des Handgelenkea bei Freisein der Finger, isolierte Schulterliihmung ( HIQIER); gemeinsame isolierte Ghmung des Schulters und Ellbogengelenkes (KLEIST); Liihmung von Schulterblatt und Oberarm bei Freisein der distalen Ab- sohnitte (FOERSTER); gemeinsame Liihmung der Sohulter und Hii te (FOERSTER). Also funf neue Fiille von Traumen (Schuss- verletzungen), die diesen Paresetypus adweisen.

Die Kriegastatistik weist somoh ein Reaultat a d , das zugunsten derjenigen Autoren (BERUMARK u. SODERBERGH) spricht, welche den proximalen Typw der Armparese verteidigt haben.

In diesem Zusammenhang konnte ea von Interesse sein etwas auf die Syrnptome von den Bauchmuskeln, welche die Pat. darbot, einzugehen. Die Pat. beschrieb niimlioh ihre bnfiille, von welchen ich leider keinen gesehen habe, derart, dass sie immer mit Zuok- ungen in der linken Hiilfte der Bauchwand in der Hohe des Nabels, derart, dass dieser nach links gezogen wurde, und in den entspreohenden Mwkeln betreff s ihrer Hohe des Riickens be- gannen, um aioh danach nach unten zu verbreiten. Bei der Untersuchung wurden zwar keine Paresen der Bauchmuskeln der linken Seite beobachtet. Die Zuckungen der Bauchmuskeln bei der Pat. miissen jedoch als ein Teilphiinomen ihres JACKSON- Anfalles angesehen werden. Ihr Zustandekommen wiirde dann von der Einwirkung des Tumors a d ein hypothetisches, kortikales Zentrum fur die erwahnten Bauch-(und Riicken-)muskeln abhLngig sein. fiiigt man, was von einem solchen Zentrum be- kannt sei, so findet man in den gebrauchlichen Lehrbiichern und auch in der neuesten mir zuganglichen Fachliteratur iiber diese Frage niohts. Nur die Lokalisation des Zentrums der Rumpf- muskeln (also einsohliesslich Bauch- und Ruckenmuskeln) wird dort abgehandelt und auch uber diese Frege ist noch keine Einig- keit erreicht. In meinem Fall lag der Tumor jedenfalls so, dass seine Wirkung auf dieses eventuelle Zentrum nioht als unwabr- scheinlich anzusehen ist, wenn dieses in der Niihe des oberen Teiles der hinteren und vorderen Zentralwindung liegen wiirde, z. B. zwischen Arm- und Beinzentrum, was ja auch am wahr- scheinlichsten ist. Offen bleibt somit die Frage, ob das Rumpf- muskelzentrum in der Rinde wie das kortikale Armzentrum auch klinisch in niedere Subzentra eingeteilt ist, so dass wie in meinem Fall wahrend der JACKsoN’sohen Anfiille das Bauchmuskelzentrum allein, oder richtiger das Zentrum der Bauch- und Ruckenmuskeln

EIN FALL VON OPERIERTER HIFiNGEBCHWULST. 357

in der Hohe des Nabels ergriffen sein kann, ohne Teilnahme der an deren Rumpfmuskelzentra.

Betreffs der Bauchmuskelsymptome ware noch eine Eigen- tiimlichkeit z u bemerken; das ist die Einseitigkeit des Kramp- fee., was fiir die einseitige Innervation der Bauchmuskeln spre- chen wiirde. Dies widerspricht aber gerade den Angaben, die sich daruber in den Lehrbiichern finden (sehe OPPENHEIM:~~ Lehrbuch der Nervenkrankheiten, S. 893. Aufl. VI). Nach'diesen werden die Muskeln, welche in der Norm bilateral bewegt werden, auch bilateral innerviert. In der Literatur wird beziiglich der ein- oder doppelseitigen Innervation der Bauchmuskeln nur ein Fall von SICARD mit einseitiger Bauchmuskelparese bei residuiirer Hemiplegie erwiihnt. Vergebens sucht man nach einer auf breitere Basis gestellten Untersuchung uber die kortikale Innervation der Bauchmuskeln. Weitere Untersuchungen uber diese Frage sind demnach wiinschenswert.

Noch ein Motilitiitssymptom, niimlich die nach der Operation sich entwickelnden, lokalisierten Muskelatrophien des linken Ar- mes verdient eine Besprechung. Bei der Aufnahme wies die Pat. nur eine diffuse Atrophie des ganzen linken Armes auf. Am 2418, ein Monat nach der Operation, wurde aber folgendes notiert: Deutliche Atrophie der Muskeln des linken Armes, am meisten jedoch an den Mm. Interossei, Thenar und Hypothenar, an der ulnaren Gruppe der Unterarmmuskeln und Beugemuskeln des Unterarmes. Am 12/10 wurde, auffallende Atrophie von Thenar, Hypothenar und Inteross6en der linken Seite, notiert. Also, eine Pat. mit an der rechten, hinteren Zentralwindung lokalisiertem Tumor cerebri weist vor der Operation u. a. eine diffuse Reduktion der Muskeln des linken Armes auf. Ein Monat nach der Operation und noch deutlicher c:a 1112 Monatespater hat sich, wiihrend der Entwicklung eines Abszesses im Operations- gebiet in der Rinde, eine isolierte Atrophie der kleinen Hand- muskeln links entwickelt. Dies ist bemerkenswert in Anbetracht der allgemein anerkannten Renntnis von der Physiologie der einzelnen Neuronen. Wie sol1 nun dies erklart werden? Zuerst ist festzustellen, dam diese Atrophie von einem erfahrenen Neuro- logen verifiziert ist, der sie als unzweifelhaft vorhanden bestiitigte. Zwar wurde vor der Operation die Degenerationsreaktion ver- misst; nach der Operation wurde darauf nicht untersucht. Diesem Umstand kann man j edoch keine grosse Bedeutung beimessen, wenn man bedenkt, daas die elektrischen Reaktionen auch be1

24-21 1072. Bcta mrd. Scarrdinau. 1-01. L6'.

3 5 8 AKE BARKMAN.

Wurzellasionen vollstlndig intakt sein konnen. Die begrenzte Atrophie meines Falles behalt also ihren Wert. Mit grosser Wahrscheinlichkeit kann weiter ausgeechlossen werden, dass die Pat. an einer mit dem Tumor cerebri gleichzeitig bestehenden Affektion (z. B. multiple Tumoren) im untersten Cervikal- oder obersten Dorsalmark litt, deren Segmente die kleinen Handmus- keln innervieren. Jedenfalls konnten alle iibrigen Symptome der Pat. seitens des Nervensystems in Zusammenhang mit dem Tumor cerebri gebracht werden. Die Frage lautet dann: wie kann ein Tumor in der erwahnten Region isolierte Handmuskelatrophien geben? In der franzosischen Literatur (P. MARIE,^^ La Pratique neurologique, Paris 1911, S. 715) werden isolierte Atrophien z. B. der kleinen Handmuskeln bei cerebraler Affektion erwahnt, In der deutschen Literatur (OPPENHEIMS Lehrbuch 1913, 5. 898) wird zwm betreffs der Muskelatrophien bei kortikaler Llision, von einzelnen Fallen mit bedeutenden und friih einsetzenden Atrophien gesprochen, welche nicht auf Inaktivitat zuriick- gefiihrt werden konnten und welche mehr oder minder starke Herabsetzung der elektrischen Reizbarkeit aufwiesen; es handelt sich j edoch nicht ausdriicklich urn begrenzte Atrophien. OPPEN- HEIM ash Atrophien oft im Anschluss an eine Operation in der motorischen Region sich entwickeln. Betreffs der Erkliirungen der dort zitierten Autoren zu diesen Atrophien verweise ich auf die genannte Literaturstelle; zur Erklarung der isolierten Atro- phien in meinem Fall geben sie jedoch keine geniigende Erlau- terung. An einer anderen Stelle desselben Lehrbuches (S. 79), wo die Physiologie der Neuronen besprochen wird, referiert der Verf. die folgende Ansicht einiger Autoren: Fiir die Funktion der trophischen Zentra im Vorderhorn reiaht es nicht arm, dass sie intakt oder dass ihre Verbindungen mit den Muskeln unverzehrt sind, sondern es miissen ihnen auch Impulse teils von der Peri- pherie und teils von hoheren Zentren zuetromen, damit sie ihre Aufgaben erfiilllen konnen. Hiermit wird auch Beeinflussung der Trophik der Muskeln z. B. durch Cortex cerebri anerkannt. Im Einklang mit der obenerwahnten Hypothese FISCHERS, kann man sich dann wohl denken, dass die Atrophien in meinem Fall folgendermassen entstanden sind. Vor der Operation, da die Zentra der Sohulter- und Ellbogengelenke starker als das Hand- Fingermuskelzentrum betroff en waren (proximale Armlahmung), war es ja nicht erstaunlich, dass keine isolierten Handmuskel- atrophien zu finden waren. Da aber zum Teil vielleicht durch

EIN FALL TON OPERIIDRTER BIRPiOESCHWCLST. 359

den Eingriff und weiter noch durch die Entwicklung eines Ab- messes das vulnerablere Handmuskelzentrum mehr als das Schulter- und Ellbogenzentrum ladiert wurde, was sich klinisch durch das Auftreten des distalen Typus der Armparese kundgab, kann es nicht verwundern, dass begrenzte Atrophien der kleinen Handmuskeln auftraten. Beilaufig will ich nur bemerken, dass bei Kompression des obersten Teiles des Halsmarkes auch Atro- phien der kleinen Handmuskeln beobachtet sind ( OPPENHEIM*~, S~DERBERGH’~).

Betreffend die Sensihiltiilstorungen, wies die Pat. solche von bei kortikalen Liisionen gewohnlichem Typus auf, weshalb ich auf diese nicht naher eingehe, sondern nur auf die Untersuchungs- resultate verweise, die in der Krankengeschichte angegeben sind.

Die reichhaltige Symptomatologie des Fallea enthalt noch ein Symptom, das zur Diskussion einer naheliegenden Frage anregt. Das sind die Blasenstorungen der Pat. Sie &userten sich durch heftigen Harndrang und biiufige Miktionen, die unmittelbar nach den JAcKsoN’schen Anfallen einsetzten, um nachher den ganzen Tag zu dauern. Die Frage auf die uns das Symptom hier bringt, ist die Frage von dem kortikalen Blasenzentrum.

Allgemein wird angenommen, dass sich in der Region der vor- deren Zent.ralwindung ein Zentrum fur die willkiirliche Beherrsch- ung der Blase befindet. Da aber die niihere Lokalisation des- selben eben unter Diskussion ist, konnte es hier am Platze sein, die Untersuchungen friiherer Autoren in Kiirze und kritisch zu referieren. Die erste Zusammenstellung iiber cerebrale (darin inbegriffen kortikale) Blasenstorungen wurde von CZYHLARZ und MARBURG’S im Jahre 1901 publiziert. Programmassig be- grenzten sie die Untersuchungen auf alle jene, d i e im Verlaufe cerebraler Affektionen auftreten, insolange dieselben ohne Storung des Bewusstseins und der Psyche einhergehen, vorausgesetzt selbstverstandlich vollige Intaktheit des ubrigen nervos- muskulos- driisigen Blasenapparateso, In sieben zusammengestellten Fallen mit Blasenstorungen war die pathologisch-anatomische Ursaohe Hirngeschwulst in drei und Hirncyste, Piavenenthromben, Hirnabszess, diffuse Meningealtuberkeln in j e einem der iibrigen Falle. Da die Lokalisation des pathologischen Prozesses nur in den fiini ersten Beobachtungen niiher angegeben ist, will ich nur diese hier berticksichtigen. Bei diesen Fallen lag der Tumor in zwei Fallen im mittleren Drittel der vorderen Zentralwindung; im dritten Pall lag der Tumor in der obersten Stirnwindung, im

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Beginn der mittleren Stirnwindung, von wo er auf die vordere Zentralwindung, besonders auch in den zur ROLANDo’schen Furche gelegenen Partien und bis iiber die Mantelkante hinubergrifi; die hintere Zentralwindung war abgeplattet. Die Hirncyste lag im hinteren Abschnitt des mittleren Drittels des Gyrus post- oentralis, sowie des ganzen Gyms supramarginalis und angularis; bei der Operation nach welcher sich die Blasenstorungen ein- stellten, wurde ein pfennigstuckgrosses, c:a 3 Millimeter dickes Stiickchen des unteren Teiles des Lobus parietalis superior ent- fernt. Bei dem Fall mit Piavenenthromben fand man frische Erweichungen am oberen Drittel beider Zentralwindungen und zwar auf die mediale Seite ubergreifend, links den Priicuneus mitbetreffend. Die klinischen Symptome waren in den zwei ersten Fiillen Hemiparese mit JAUKSON’S Epilepsie; im dritten Fall Paralyse des linken Beines, Urinretention wiihrend drei Tage, und als diese zuriickgingen, kam Parese des linken Armes hinzu. Im vierten Fall gesteigerter Tonus des Armes und Beines derselben Seite und im funften Fall Parapareae der Beine und Arme. Die Blasenstorungen waren in den vier ersten Fallen Retention, im letzten Fall wird nur von ))Blasenstorungen)) ge- sprochen. Betreffs des Mechanismus der Blasenstorungen sagen die Verf.: nZu bemerken wiire, dass wir e~ wohl nur mit Ausfalls- nicht etwa mit Reizerscheinungen zu tun haben, was durch das vollige Fehlen eines Blasenspasmus wohl zur Genuge erwiesen ist.)) Die Verf. schliessen weiter, dass ))des Rindenfeld der Blase in der motorischen Zone sich befindet und zwar am ubergange vom Arm- zum Beinzentrum etwa in der Gegend, wo das Huft- zentrum zu suchen ist)). Gegen diese Schlusse ist wohl im Prinzip nichts einzuwenden.

Im Jabre 1918 hat KLEIST~’ das Resultat seiner Untersuchungen, ))das er auf eine sehr grosse Zahl von Hirnverletzten wahrend des Weltkrieges gegriindet hat)), vorgelegt. Er verlegt das Blasen- zentrum in den Bereich des Beinzentrums oder in dessen nachste Nachbarschaft. Dreimal sah er unwillkiirlichen Urinabgang und einmal Urinverhaltung, mur in Begleitung doppelseitiger Fuss- bzw. Beinlahmung)). Die Verletzungen lagen an oder iiber der Pfeilnaht, in der Begend des oberen Endes der Zentralwindungen. Die Falle hat er nicht niiher beschrieben. Gleichzeitig hiermit hat FOERSTER~~ zwei Fiille von Blasenstorungen bei Schiidel- verletzungen publiziert, welche bier in Kiirze referiert werden aollen.

EIN FALL VON OPFWERTER HIRNOEBOHWULST, 361

Der erste war eine Infanteriegeschossverletzung auf der Hohe dee Scheitels, wonach vollstandige Lahmung beider Beine und Arme, des Kopfes und Rumpfes nebst Blasenstorungen auftraten. 2Er musste lange katheterisiert werden., Bei der Untersuchung c:a 8 Mo- nate nach der Verletzung, wahrend welcher Zeit sich die Arm- lahmung gebessert hatte, wurde Folgendes beobachtet : Spastische Pa- rese des rechten, geringe Parese des linken Armes; eiserne Rigiditat aller Muskeln. Willkiirlich kann der Kranke nicht die geringste Be- wegung mit den unteren Extremitaten ausfiihren. Blasenstorung ist nicht notiert.

Der zweite Fall rnit Schrapnellverletzung auf der Hiihe des Schei- tels wies nachher vollstiindige Lahmung beider Beine und Blasen- lahmung (Retention), Liihmung des linken Armes und Sprach- lahmung auf. Die Arm- und Sprachlahmungen gingen zuriick; die Beinlahmungen aber blieben bestehen. Bei der Untersuchung c:a 2 Jahre nach der Verletzung wurde eine ausgesprochene spastische Ri- giditat beider Beine gefunden. Statt der anfanglichen, vollstiindigen Liihmung der Blase hatte sich bei dem Kranken eine Detrusor- schwache dauernd erhalten.

Wie aus diesen beiden letzten Referaten hervorgeht, verlegt KLEIST das Blasenzentrum in die Niihe des Beinzentrums. FOER- BTER dagegen hat in seiner Publikation keine Schliisse betreffs der naheren Lokalisation desselben gezogen. Nichtsdestoweniger sagt L. R. MULLER" in seiner Abhandlung uber die Blaseninner- vation: ))KLEIST schliesst , . . . dam ein Zentrum fur die will- kurliche Beherrschung der Blase auf der Scheitelhbhe im Bereich der vorderen Zentralwindung, Wielleicht auch im Lobulus para- centralis sich befindet. uber ganz iihnliche Beobachtungen wie KLEIST verfiigt FOERBTER. Wie mir FOERSTER brieflich mitteilte, sah auch er bei Schussverletzungen, welche die Hohe des Schadels trafen und das kortikale Fusazentrum in ausgiebiger Weise zer- storten, jedesmal Blasenstorungen. FOERSTER ist geneigt, den kortikalen Phocus der Blaseninnervation auf die Innenseite der Hemisphiire und dort in dem Lobulus paracentralis zu verlegen., Dansch setzt MULLER fort: ))Nach diesen iibereinstimmenden Beobachtungen von so zuverlassigen Forschern diirfen wir nicht mehr b r a n zweifeln, dam die Blasentiitigkeit tatsilchlicb von der Hirnrinde und zwar voin Lobulus paracentralis aus beein- flusst werden kann.u Diesen beiden Forschern schliesst sich nun M ~ L L E R an und damit ist ndie SchuIen fertig, die das Blasen- aentrum in den Lobulus paracentralis verlegt. Andererseits ist B. PFEIFER~ mit einer Beschreibung von zwanzig Piillen von Hirnrindenverletzungen aufgetreten, von welchen sieben rechts-

362 dI<E BARXMAW.

seitige Hemiplegie, sechs linkeseitige Hemiplegie und sieben doppelseitige Liihmungen aufwiesen; alle mit Blasenstorungen . I n seiner klar dargestellten und kritischen Ahhandlung komm t er zum Schluase, dass das Blasenzentrum zwischen Arm- und Beinzentrum gelegen ist und zmar aus folgenden Griinden: In den FLllen, in denen er Blasenstorungen bei halbseitiger Ljihmung beobachtete, war niemals das Bein allein betroffen; vielmehr war Arm oder Schulter und Hiifte starker betroffen, oft auch der Facialis mitbeteiligt; in einem Palle sogar allein geschiidigt. In seinen Fallen doppelseitiger motorischer Storungen war immer der Arm a d einer Seite mindestens mitbetroffen. Weiter sah er keine Blasenstorungen in einem Falle von doppelseitiger, schwerer Beinliihmung ohne die geringsten Liihmungserscheinungen an den oberen Extremitaten.

Die Frage des kortikalen Blasenzentrums ist vor kurzem neu- erlich von ADLER" in einem Aufsatz uber kortikale und nervose Blasenstorungen, wo er auch auf den Mechanismus der Blasen- funktion eingeht, aufgenommen worden. Wie es schon REHFISUH dargestellt hat, geschieht nach der Auffassung ADLERS die Ent- leerung der B l a ~ so, dass erstens der rjphincter internus will- kiirlich erschlaff t wird, und danach reflektorisch Erschlaffung des Sphincter externus und Kontraktion des Detriisors erfolgt; bei dem Anhalten dea Urins ist der Mechanismus folgender: zuerst Kontraktion des Sphincter externus mit folgendem, reflek- torischem Scblusse des Sphincter internus and Detrusorerschlaff- ung. In diesem Mechanismus sieht ADLER eine Losung der Frage betreff s der obenerwahnten, sich widersprechenden Aneben beziiglich der Lokalisation des Blasenzentrums; niimlich einer- seits der Auffassung von KLEIST, FOERSTER und L. R. MULLER, die nach MULLER das Blasenzentrum in den Lobulus paracentralis und andererseita CZPHLARZ, MARBURG und PFEIFER, die das Blasenzentrum in das Gebiet zwischen Arm- und Beinzentrum verlegen. ADLER sagt namlich: aBeide (Autorengruppen) haben wohl recht. Es liegt das Zentrum fur die Willkarfunktion des inneren Blasenschliessera im Lobulus paracentralis; das Ent- leerungszentrum; das fur die Willkurfunktion des iiusseren Blasensohliessers in der motorisohen Region der vorderen Zent- ralwindung (Qegend des Hiiftzentrums); das Zentrum fiir die motorische Hemmung der Urinentleemng. Mit einmal werden so eine ganze Reihe von Tatsachen besser verstlindlich, die friiher sich zu widersprechen schienen.))

ED7 FALL VON OPEBLERTER HEiNQESCBWULST. 363

Besser verstiindlich! Das Entleerungseentrum im Lobulus paracentralis fur die willkurliche Erschlaffung des glatten Sphinc- ter internus und das Zentrum fiir die motorische Hemmung der Urinentleerung im Huftzentrum fur die willkiirliche Kontrak- tion des quergestreiften Sphincter externus; also zwei so nahe- liegende und funktionell zugehorige Muskeln wie diese sollten 80 weit voneinander gelegene Zentra in der Hirnrinde haben. Das glanbe ich nicht, und ich glaube auch nicht, dass es durch die Untersuchungen ADLERS erwiesen ist. Vielmehr kann ich mich nicht dea Eindruckes ermehren, dasa die Losung der Frage von der Lokalisation des kortikalen Blasenzentrums seit den Untersuchungen von CZYHLARZ und MARBURG nicht naher ge- ruckt worden ist. Nur PFEIFER hat wiegende Argumente fiir die Aufiassung der letztgenannten Autoren vorgebracht.

Wie sol1 men endlioh die Blasenstorungen meiner Pat. erkliiren? Die Muskelzuckungen dea epileptischen Anfalles werden ja als Ausdruck einer Reizwirkung der entsprechenden kortikalen Muskelzentra angesehen. Nun traten die Reizerscheinungen von der Blase in meinem Ed1 unmittelbar nach den letzten Muskel- suckungen auf. Dann liegt es wohl nahe, die Blasenerscheinungen als a d einem Reizzustand des Blasenzentrums beruhend anzu- sehen. Also durch Reizung des Blasenzentrums sollten dann Reizerscheinungen von der Blase entstehen; umgekehrt kann man durch Liihmung des Blasenzentrums auch Lahmung der Blase (Retention) erwarten, was ja auch von CZYHLARZ und MARBURG angenommen wurde.

Schliesslich noch einige Betrachtungen iiber ein bemerkens- wertes Symptom, das die Pat. aufwies. Sie klagte niidich schon seit funf Jahren uber akustische Reizerscheinungen wie Tonen, Sausen und Trommeln in beiden Ohren und iiber allmahlich abnehmendes Horvermogen. Objektiv fand man bei der Auf- nahme Einlcsseitige Akwtikusneuritis ohne Verlinderung am Mittelohr. Keine Stauungspapille. 1 I f 2 Monate nach der Operation - wiihrend der Entwicklung eines Hirnabszesses im Operationagebiet - konnte der Spezialarzt NILS WITT folgendes feststellen: Doppelseitige Akustikusneuritis (Fliistern auf 1 Meter an beiden Ohren). Gleichzeitig fand man, dass die Seh- schiirfe bis 0,s rechts und Fingerzahlen a d 2 '!s Meter links abgenommen hatte (fruherer Wert 0,s beiderseits). Weiter fand man nun unzweideutige Symptome von Stauungspapille am rechten Auge, die im Anfang nicht beatanden hatten. Dass

364 AXE BARKMAN.

die Akustikusneuritis in meinem Fall schwerlich ale ein Lokal- symptom des Tumors resp. des Abszesses betrachtet werden kann ist wohl als sichergestellt amusehen. Denn der Tumor oder der Abszess konnten das Gehijrzentrum oder die zentralen oder peri- feren Horbahnen nicht direkt schadigen auf Grund h e r Lage im oberen Teil der hinteren Zentralwindung. Da jedoch die subjektiven akuatischen Beachwerden der Pat. von der Zeit &s Einsetzens ihrer iibrigen Symptome des Erntumors datierten und da weiter keine Erkrankung vom Mittelohr vorlag, lie@ es wohl nahe, dass diese Gehbrschiidigung auch auf eine Einwirkung des Tumors beruhen kann. Wie oben gesagt ist, kann ea sich nicht um ein Lokalsymptom handeln. Dann bleibt nur die Frage, ob diese Gehorschadigung als ein Allgemeinsymptom ihres progredienten Hirnleidens angesehen werden kann; also durch den allgemeinen Druok des Tumors resp. des Abszesses verursacht. Ms Analogie will ich auf die zllbekannte Tatsache hinweisen, dam bei intrakraniellen Prozessen, die den Raum in der Sohadelhohle einschriinken, eine Neuritis im Nervus opticus entstehen kann, infolge des erhohten Druckes der Cerebrospinal- fliissigkeit in der Optikusscheide. Von derselben Ursache hangen die Veranderungen ab, die bei Kleinhirngeschwulsten in den Hin- terstrangen des Riickenmarks und in den hinteren Wurzeln durch Anschwellung der periganglioniiren Subarachnoidalriiume der Spinalganglien, auftreten. Undenkbar ist dam nioht, die Gehor- abnahme in meinem Fall als auf einer Lymphstauung in den Lymphriiumen des N. acusticua oder im Innerohr beruhend zu erklaren. Sucht man in der Literatur, so findet man zwei Fiille beschrieben, die meinem Fall in dieser Hinsicht gleichen. Der eine Fall ist van SOUQTJEP beschrieben.

Es handelte sich um einen 40-jahrigen Yam, der anamnestisch folgendes angab. Seit drei Monaten Kopfschmerzen iiber der Stirn und im Hinterhaupt, Zuckungen im l i k e n Trigeminusgebiet. Dtls SehvermGgen hatte sich verschlechtert. Links Ohrensausen von An- fang, spater auch rechts, die schliesslich zur Taubheit fiihrten. Ob- jektiv wurde folgendea beobachtet: Totale Blindheit und Taubheit. Keine Veranderung am Mittelohr. Voriibergehende Attacken, die dem Labyrinthschwindel sehr ahl ich waren. Die Diagnose wurde auf einen Eleinhirn-Briickenwinkeltumor gestellt. Die Autopsie er- gab jedoch einen Tumor, von der Orosse einer Yandarine im linken Fron tallappen .

EIN FALL VON OPERIERTER HIRNGESCHWULST. 365

SODQUES war geneigt, dam es sich in diesem Fall urn eine Laby- rinthschiidigung durch Steigerung des intrakraniellen Druckes hmdelte. Ein iihnlicher Fall ist von RUCKERT*~ beschrieben.

Hier war es eine 42-jiihrige Witwe, die subjektiv in chronolo- gischer Reihenfolge folgendes darbot: Kopfschmerzen, zum Teil in der Stirn, zum Teil im Hinterkopf lokaliaiert, Ohrensausen, Erbrechen und Schwindel. Objektiv fand er Druckempfindlichkeit des Schiidels uber dem rechten Scheitelbein, Stauungspapille links (33 D), eine leichte Schwache des rechten Facialis, Nystagmus und eine pro- grediente Abnahme der Horfahigkeit rechts. Dam kamen cerebellare Sgmptome, wie taumelnder Gang. Im weiteren Verlauf wurde die Pat. amaurotisch, und das Cehiir nahm auf beiden Seiten bis zur vijlligen Taubheit ab. Keine Erkrankung am Mittelohr. Die Diag- nose wurde auf einen Tumor der hinteren Schadelpube gestellt. Bei der Autopsie aber wurde ein Stirntumor mit vorwiegender Be- teiligung des vorderen Balkenteils gefunden. Bei der mikroskopischen Untersuchung fand man das peripherische Neuron des Akustikus in- sofern geschadigt, als die Striae acusticae sowie der Stamm des Akustikus deutlich lichter und faserarmer als in der Norm waren. Die zentralen Hijrbahnen wie die Akustikuskerne waren aber intakt.

Weder in diesem noch im F a l l e S o u ~ u ~ ’ ~ wurden die Felsen- beine nilher untersucht. Die Frage muss also offen gelassen werden (SOUQUES und RUCKERT), ob die Schidigung des peri- pheren Neurons durch den Druck im Labyrinth oder am Stamm einsetzte. Bemerkenswert ist, dass in diesen beiden Fiillen die Symptom e vom N. acusticua und vestibularis lokaldiagnostisch so hoch eingeschiitzt wurden, dass in beiden Fallen die Diagnose auf einen Kleinhirn- oder Kleinhirnbriickenwinkeltumor gestellt wurde, was sich jedoch als unrichtig erwim.

Also, eine Akustikusneuritis bei einer intrakraniellen Affektion, die zur EinechrBnkung des Fassungsraums des Schadels tendiert, ist nicht immer als ein Lokalsymptom zu nehmen; man muss auch daran denken, ob nicht die Akustikusneuritis im speziellen Fa11 durch den Allgemeinen Druck in der SchBdelkapsel verur- sacht wird - also als ein Symptom des allgemeinen Hirndruckes zu deuten ist.

Schliesslich ist es mir eine liebe Pflioht allen jenen, die, mich bei dieser Arbeit unterstiitzt haben, meinen besten Dank aus- zusprechen: Dr GOTTHARD SODERBEROH, der mir das Material uberlassen hat, Dr NILS WITT und Dr EMIL JERLOV, die die nijtigen

366 LKE BARKMAN.

Spesialun tersuchungen vorgenommen, Dr ROBERT HANSON, der die Operatian und Laborator C. 0. FORSELIUS, der die pato- logische-anatomische Untersuchung des Tumors ausgefuhrt hat.

Zusammenfassung, ,419 besonders interessente Ergebnisse des Felles mill ioh fol-

gende Punkte widerhohlen: Erstens ergibt sich, dass die lokale Druck- oder Perkwsions-

empfindliohkeit des Schadels als differentialdiagnostische Stiitze fur die Hirngeschwulst qegeniiber der chronischen Pseudouramie uerwendbar Cst.

Der Fall spricht wei& zugunsten der Auffassung, dass das kortikale ArmmusMzentrwm auch klinisch in niedrigere Subzentra eingeiteilt ist. I n diesem Zwammenhang mochte ich die Frage aufwerfen, ob klinisch auch das kortikale Rump fmuskelzentrurn in Subzentra eingeteilt ist.

Eine Tatsache von grosser Tragweite sowohl von teoretischem wie praktischem G'esichtspunkt ist dm in der Literatur wenig hervor- qehobene Factum, dass begrenzte Atfophien (z. B. der kleinen Hand- musbln) awh bei Lu&on des ersten (zentralen) m o t k c h e n Neurons auftretefi konlzen.

Zuletzt mag hercorgehoben werden, dass eine Neuritis im N . aczcsticus durch den allgemeinen Druck eines den Passungsravm des Schadels einschrankenden Prozesses entetehen kann .

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EIN FALL VON OPERIERTER HrRNQELCHWULST. 367

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