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Ein verschollener judischer Mystiker der Aufklarungszeit: E. J. Hirschfeld VON GERSHOM SCHOLEM In der Festschrift zum 75. Geburtstag von Siegfried Moses* habe ich das Erloschen der kabbalistischen Tradition in Deutschland und deren letzte Manifestationen dargestellt. Aber das betraf vor allem die Tatigkeit von Mannern, die innerhalb der jiidischen Gemeinschaft wirkten und sich dort einen Namen gemacht (oder ihn versteckt) haben. Diese kabbalistisch gestimmten Geister hatten kein Interesse, unter die Nichtjuden zu gehen und etwa dort als kabbalistische Adepten aufzutreten. Aber es gab auch Randgestalten, die in anderen Spharen der nichtjiidischen Gesellschaft ihr Gliick versuchten. War doch gerade die zweite Halfte des achtzehnten Jahrhunderts die Zeit, in der die damals zu ausserordentlicher Bliite gelangte Freimaurerei, mindestens in einigen ihrer wichtigsten Zweige, eine Wendung durchmachte, in der zu den bis dahin iiblichen ausseren Formen der Esoterik, welche einen aufklarerisch-deistischen Inhalt urn- schlossen, auch ein Streben nach esoterischen Inhalten sich gesellte. Das war die Epoche der sogenannten ,,Strikten Observanz" und der wie Pilze aus der Erde schiessenden geheimen Orden, die teilweise innerhalb der freimaurerischen Biinde, teilweise in Konkurrenz zu ihnen, rosenkreuze- rische, alchemistische und theosophische Ziele verfolgten, in denen aber auch, wie in dem seiner Zeit beriihmten und Aufsehen erregenden ,,Illuminaten-Bund" radikale politische Ideen eine Rolle spielten. Das Durcheinander reaktionarer und progressiver Tendenzen geht hier ziemlich weit. Aristokraten, nicht selten Angehorige des hochsten Adels, beteiligten sich fiihrend an vielen dieser Organisationen, in denen die Grenzen zwischen Spiel und Ernst oft einigermassen verwischt sind. Die Geschichte dieser Bewegungen gehort ins geistige Vorfeld der franzosischen Revo- lution ebenso sehr wie in die des Fortlebens mystischer, theosophischer und okkultistischer Gedanken auch in der Aufklarungszeit. Merkwiirdige, oft auch zweifelhafte Charaktere aus den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen konnten hier, mindestens zeitweise, ihr Gliick versuchen, wie das etwa Fritz Heymann meisterhaft in seiner Schilderung der recht phantastischen Laufbahn des ,,Chevalier von Geldern", Heines Grossonkel, dargestellt hat. Denn in einigen dieser Organisationen wurden auch Juden *Verlag Bitaon, Tel Aviv 1962. 247 at University of Newcastle on August 19, 2014 http://leobaeck.oxfordjournals.org/ Downloaded from

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Ein verschollener judischer Mystiker der

Aufklarungszeit: E. J. Hirschfeld

VON GERSHOM SCHOLEM

In der Festschrift zum 75. Geburtstag von Siegfried Moses* habe ich dasErloschen der kabbalistischen Tradition in Deutschland und deren letzteManifestationen dargestellt. Aber das betraf vor allem die Tatigkeit vonMannern, die innerhalb der jiidischen Gemeinschaft wirkten und sichdort einen Namen gemacht (oder ihn versteckt) haben. Diese kabbalistischgestimmten Geister hatten kein Interesse, unter die Nichtjuden zu gehenund etwa dort als kabbalistische Adepten aufzutreten. Aber es gab auchRandgestalten, die in anderen Spharen der nichtjiidischen Gesellschaftihr Gliick versuchten. War doch gerade die zweite Halfte des achtzehntenJahrhunderts die Zeit, in der die damals zu ausserordentlicher Bliitegelangte Freimaurerei, mindestens in einigen ihrer wichtigsten Zweige,eine Wendung durchmachte, in der zu den bis dahin iiblichen ausserenFormen der Esoterik, welche einen aufklarerisch-deistischen Inhalt urn-schlossen, auch ein Streben nach esoterischen Inhalten sich gesellte. Daswar die Epoche der sogenannten ,,Strikten Observanz" und der wie Pilzeaus der Erde schiessenden geheimen Orden, die teilweise innerhalb derfreimaurerischen Biinde, teilweise in Konkurrenz zu ihnen, rosenkreuze-rische, alchemistische und theosophische Ziele verfolgten, in denen aberauch, wie in dem seiner Zeit beriihmten und Aufsehen erregenden,,Illuminaten-Bund" radikale politische Ideen eine Rolle spielten. DasDurcheinander reaktionarer und progressiver Tendenzen geht hier ziemlichweit. Aristokraten, nicht selten Angehorige des hochsten Adels, beteiligtensich fiihrend an vielen dieser Organisationen, in denen die Grenzenzwischen Spiel und Ernst oft einigermassen verwischt sind. Die Geschichtedieser Bewegungen gehort ins geistige Vorfeld der franzosischen Revo-lution ebenso sehr wie in die des Fortlebens mystischer, theosophischerund okkultistischer Gedanken auch in der Aufklarungszeit. Merkwiirdige,oft auch zweifelhafte Charaktere aus den verschiedensten gesellschaftlichenGruppen konnten hier, mindestens zeitweise, ihr Gliick versuchen, wiedas etwa Fritz Heymann meisterhaft in seiner Schilderung der rechtphantastischen Laufbahn des ,,Chevalier von Geldern", Heines Grossonkel,dargestellt hat. Denn in einigen dieser Organisationen wurden auch Juden

*Verlag Bitaon, Tel Aviv 1962.

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aufgenommen, obwohl im allgemeinen die Freimaurer, je starker sie derProtektion des hohen Adels gegen die schiefen Blicke und Verdachtigungenstreng kirchlicher Kreise bedurften, sich von der Aufnahme von Judenzuriickhielten.

Auf diesem Hintergrund haben wir die Erscheinung des in der jiidisch-geschichtlichen Literatur vollig unbekannt gebliebenen Mannes zu ver-stehen, mit dem sich die folgenden Seiten beschaftigen. Eine Verkniipfunggliicklicher Funde in der Literatur jener Zeit erlaubt es, die Gestaltdieses verschollenen Theosophen einigermassen deutlich zu machenund vielleicht dadurch zu weiteren Nachforschungen und Funden an-zuregen. Denn es ist kaum zweifelhaft, dass im freimaurerischen Schrift-tum jener Zeit und in den Archiven der Logen noch interessante Auf-schlusse iiber das Wesen und die Karriere dieses Mannes zu findensein werden.

Im Jahre 1796 erschien in Offenbach bei Frankfurt ,,auf Kosten derVerfasser" eine Schrift mit dem sonderbaren Titel: ,,Biblisches Organonoder Realiibersetzung der Bibel mit der mystischen Begleitung undkritischen Anmerkungen, von E. J. und P. Hirschfeld." Dieses iiberausseltene Buch erregte meine Aufmerksamkeit vor vielen Jahren, ohne dassich es mir lange Zeit hindurch verschaffen konnte. Ich verdanke derSelbstlosigkeit des Herrn J. Gottfarstein in Paris das wohl einzige Exemplar,das in den letzten Jahrzehnten im Buchhandel iiberhaupt aufgetaucht ist.Mir ist keine jiidische Bibliothek bekannt, die es besasse. Der erste (undeinzige) Autor, der die Aufmerksamkeit auf diese Schrift gelenkt hat,war Peter Beer in seiner ,,Geschichte, Lehren und Meinungen aller be-standenen und noch bestehenden religiosen Sekten der Juden und derGeheimlehre oder Kabbalah", 2. Band (1823), S. 390, der in einem beson-ders merkwiirdigen Zusammenhang darauf verweist. Er fiihrt in seinemBuche namlich lange Exzerpte aus einer Korrespondenz an, in welcher einungenannter Fiihrer der Prager jiidischen Frankisten am Anfang desneunzehnten Jahrhunderts einen Jiinger in die Geheimlehre dieser GruppeSchritt fur Schritt einzuweihen unternimmt. Mit dem Phanomen desFrankismus in deutschsprachigen Gebieten und der hier gepflegten hare-tischen Kabbala der letzten Anhanger Sabbatai Zwis befasse ich michhier nicht.1 Dies ist ein Problem, dessen nahere Erorterung in einenanderen Zusammenhang gehort, wenn es auch nicht ausgeschlossen ist, dassweitere Funde auch den hier behandelten Autor in noch nahere Beziehungzu diesen Kreisen setzen konnten, als bisher ersichtlich ist. Wir wissen ausanderen Quellen, dass Frankisten sich fur die mystische Freimaurerei undahnliche Bewegungen interessierten und ihre eigene Geheimorganisation

1Vgl. V. Zacek, Zwei Beitrage zur Geschichte des Frankismus in den bohmischenLandern, im Jahrbuch fur Geschichte der Juden in der Czechoslovakischen Republik.IX. Jahrgang (1938), S. 343—410, sowie meinen hebraischen Aufsatz in der Festschriftfur Prof. Isaak Baer, Jerusalem 1960, S. 409—430.

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als eine Art mystische Loge behandelten. Wolf Hoenig in Wien, dessenFamilie mit der mahrischen Frankistengruppe in engstem Zusammenhangstand, besass das Meisterpatent der Loge vom Grossen Orient in Paris.Einem seiner Verwandten werden wir im Folgenden noch begegnen. Jeden-falls macht der anonyme Briefschreiber aus Prag seinen Lehrling aufHirschfelds Buch aufmerksam, das er ihm sehr anempfiehlt. In welchemZusammenhang diese frankistische Empfehlung des Buches vorkam, erfah-ren wir bei Beer nicht, und das Manuskript dieser Briefe ist leider bisherverloren. Beer selber, dem das Buch vorlag, zitiert ,,zum Beweise, dass selbstdie ungeregelte Phantasie oder die Schwarmerei verschiedener Menschensich iiber einen Leisten ziehen lasst," einige lange Stellen (S. 391—400) ausder Einleitung dieser Schrift, die eine Rechtfertigung der mystischen Bibel-deutung als ,,das einzige Mittel, den durch Worte oder Demonstrationunerklarbaren Theil der Heiligen Schrift zu begreifen," liefern.

Dieses ,,Organon" ist nun wirklich ein sehr merkwiirdiges Produkt. Stelltes sich doch als das erste Buch dar, das von einem kabbalistischen Gedan-kengangen anhangenden Juden in deutscher Sprache verfasst ist, fiinfund-zwanzig Jahre vor dem Erscheinen jenes ,,Bibel'schen Orients", als dessenAutor Hans Bach endgiiltig den jungen Jacob Bernays, den spateren Ham-burger Oberrabbiner und Grossvater von Sigmund Freuds Frau, nachgewie-sen hat.2 Bei Bernays standen aber die kabbalistischen Gedanken in engemZusammenhang mit der romantischen Religionsphilosophie Schellingsund besonders Johann Jakob Wagners, bei dem er in Wiirzburg studierthatte. Es ist kein Wunder, dass der Vorkampfer und erste bedeutendeVertreter der Neuorthodoxie in Deutschland in seinen spateren Jahrenden romantisch-mystischen Synkretismus seiner anonymen Jugendschriftnicht mehr vertretbar fand und die Autorschaft ableugnete, wenn er sichauch von der Kabbala bis zuletzt nicht abwandte. Erzahlt doch MosesMendelson in Hamburg in seinem Nachruf auf Bernays, dieser habe ihmoft versichert, dass er auf das Studium der Kabbala mehr Anstrengungund Kopfzerbrechen verwandt habe, als auf all sein anderes Studium.3 Inganz anderen Zusammenhangen steht aber die Kabbala in dem Hirschfeld-schen Buch. Wahrend sie bei Bernays mit seiner Theorie der Mythologieverbunden war und die heidnischen Mythen unter Beihilfe romantisch-phantastischer Etymologien als eine Art Depravation einer echten Ur-religion erklart wurden, die sich in ihrer urspriinglichen monotheistischenRichtung in den Symbolen der Kabbala erhalten habe, ist sie bei Hirsch-feld, ohne dass dies im ubrigen etwa ausdriicklich gesagt wiirde, mit deneingangs erwahnten Bestrebungen der zeitgenossischen mystisch-theosophi-schen Biinde liiert. Das zeigt sich ebenso sehr an seiner Terminologie wie

2vgl. Hans Bach, Der Bibel'sche Orient und sein Verfasser, Sonderdruck aus der Zeit-schrift fur die Geschichte der Juden in Deutschland, Jahrg. VII (1937). Bernayslebte von 1792—1849 und war in seiner Heimatstadt Mainz noch ein Schiiler desder Kabbala ergebenen R. Hirz Scheyer, freilich wohl nur in Talmudicis.

3Bach, S. 26, aus dem ..Orient" vom 2. Juni 1849, S. 105.

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an den nicht seltenen Hinweisen auf Konventikelliteratur und Dinge, dieder Autor in miindlichen Unterweisungen oder in privaten Korresponden-zen an Schiiler und ,,Suchende" gegeben habe.

Das Buch besteht aus einer ,,Anzeige" (5 unpaginierte Seiten, die ichim Anhang mitteile), aus ,,Ausziigen aus einigen Briefen an einen deutschenPrinzen iiber Offenbarung und Gottesdienst, statt einer Vorrede", in denen(S. 1—36) sechs solcher Briefe, wenn auch mit Auslassungen, mitgeteiltwerden, sowie einer Probe des von ihm zur Subskription gestellten Werkes,welche seine t)bersetzung und mystische Erklarung von Genesis I, Vers 1—5enthalt, die in neuer Pagination 55 Seiten fiillen. Da der Autor von sichin der Einzahl spricht, wird nicht deutlich, worin eigentlich der Anteil desan zweiter Stelle genannten P. Hirschfeld, wohl eines Bruders des Haupt-autors, besteht.

Das Werk gibt den jeweiligen hebraischen Text des Bibelverses sowiedessen ,,Verbaliibersetzung", der er seine ,,Realiibersetzung" gegeniiber-stellt, welche er auch als ,,Organon" bezeichnet. Diese letztere ist nichtsanderes als eine theosophische Ausfuhrung iiber die in diesen Versenangedeuteten Mysterien der Entfaltung der Gottheit in der Schopfung. Ernennt das Verfahren seiner im Grunde kabbalistischen Exegese ,,trans-cendentale Hermeneutik" und spricht, in offensichtlichem Anklang anden Kantischen Sprachgebrauch der Worte, von einer ,,Critik der trans-cendentalen Hermeneutik", wie er sie etwa (S. 5) bei seiner Erklarungdes ersten Bibelverses erwahnt. Dort macht er darauf aufmerksam, dass die,,Hervorbringung der Dinge aus Nichts", was im allgemeinen Sinne (nam-lich nach den rabbinischen Exegesen) die Bedeutung des Verbums barain Gen. I, 1 sei, ein ,,Widerspruch in sich" sei, wahrend sie nach derCritik der transcendentalen Hermeneutik einer widerspruchsfreien Erkla-rung fahig ware, in der sich nun ebenfalls kantianische und kabbalistischeKategorien hochst sonderbar verbinden. Dazu treten dann bei Hirschfeldzu jedem Vers, auf der unteren Halfte der Seiten, unter der Uberschrift,,Mystik", durchaus ratselhaft gehaltene Epigramme und Andeutungen, indenen die Anschauungen des Autors, ohne iibrigens als Kabbala bezeichnetzu sein, doch in unmissverstandlich kabbalistischer Sprache zum Ausdruckkommen. Freilich sind sie auch in hohem Masse mit eigenen theosophischenSpekulationen durchsetzt.

Zu jedem Vers werden drei Obersetzungen angefiihrt: ,,Zur Verbaliiber-setzung des Grundtextes wahlte ich die Mendelssohnsche, als die neuesteklassische Ubersetzung. Allein ich werde auch zur griindlichen Berichti-gung und Erorterung der kritischen Bemerkungen, die beiden iibrigenHauptiibersetzungen (!) Luthers und der reformirten des Piskators . . .genau nachweisen." Die letztere ist die bei den Calvinisten im achtzehntenJahrhundert in manchen Gegenden in offiziellem kirchlichem Gebrauchstehende tlbersetzung des aus Strassburg stammenden Calvinisten JohannesPiscator (von 1602), die sich besonders eng an den hebraischen Text zu

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halten suchte. t)ber den weiteren Plan des Werkes, das nie erschienen ist,unterrichtet der Schluss der ,,Anzeige": ,,Damit aber nicht jemand dieRealiibersetzung des ersten Heftes und das bei der Genesis unvermeidlicheSpekulative zum Maasstabe des ganzen Werkes annehme, so kommt endlichnoch zu erinnern, dass nur die 3 oder 4 ersten Kapitel der Genesis, dieLehre der Priester und der Opfer, die verschiedenen Gebote und Verbote,die Theorie des Tempelbaues und der Stiftshiitte, die Beschaffenheit desUrim und Thummim, der Grund der verschiedenen Ceremonial-, Ritual-und Judicialgesetze, diejenigen Gegenstande sind, welche denen gewissnicht zu weitlaufig, zu ausgedehnt und zu speculativ erklart werden kon-nen, welchen daran gelegen ist, diese so wichtigen Materien nicht ober-flachlich, sondern wesentlich und nach all ihren eigentlichen Verhaltnissenzu durchdringen." Nicht zufallig sind dies die Gegenstande, die die kabba-listischen Spekulationen iiber die Thora stets beschaftigt haben und dieauch das Thema eines spaten Nachfahren dieser Geistesart wie Oskar Gold-berg in seiner ,,Wirklichkeit der Hebraer" (1925) bilden.

Nichts in dem Buche weist etwa auf irgendwelche Konzessionen anchristliche Anschauungen hin. Der Autor schreibt durchaus als Jude, demdie Lehre von den zehn Sephiroth — bei ihm ,,Hauptkrafte", ,,Radikal-krafte" oder ,,Gradationen" genannt —, von den Gottesnamen und ihrerSymbolik und der Zahlenmystik mit Hilfe der Gematria als Ausgangspunktseiner eigenen Spekulationen dient. Es scheint auch, dass der Autor seinemKorrespondenten (wie aus S. 26 der Einleitung hervorgeht) ein kabbalisti-sches Schema der zehn Sephiroth mit ihren Namen, Symbolen und Farbengeliefert hat, auf das er sich andeutend bezieht. Im Druck ist aber dasAdjektiv, durch das dieses Schema im urspriinglichen Brieftext wohl alskabbalistisches oder sephirothisches bezeichnet war, weggelassen und durchzwei Gedankenstriche ersetzt worden. Das entspricht der Tendenz desHeftes, in dem Kabbala immer nur in allgemeinen Metaphern, niemalsaber als solche erwahnt wird. Das Jiidische ist nach Moglichkeit abgestreiftund das Allgemein-Universelle daran fur eine christliche Horerschaft be-arbeitet. Andererseits darf man sagen: er schreibt weitgehend als einKabbalist, der versucht, sich innerhalb der deutschen Sprache und mitderen Begriffsmitteln auszudriicken. Sein Deutsch ist iibrigens unbeholfenund schwerfallig, was aber auch von fast alien anderen Literaturproduktender damaligen Rosenkreuzerei, Hochgradfreimaurerei und Theosophiegilt. Ein Satz wie: ,,Der wahrhaft Suchende muss daher sein Hauptabsehenauf die Entwicklung einer Eigenschaft richten, welche unmittelbar aus derQuelle Gottes schopft, welche der Unendliche unmittelbar dem Menscheneinpragte, und ihn nur dadurch zu seinem Ebenbilde machte" (S. 35 derEinleitung) ist eine spezifisch kabbalistische These. Die Eigenschaften, dieunmittelbar aus der Quelle Gottes schopfen, sind ebensosehr die Sephirothals die von ihnen herkommenden Eigenschaften des Menschen. Die Be-zeichnung Gottes als des Unendlichen ist eine Ubersetzung des kabbali-

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stischen Begriffes En-Soph. Das Nichts ist ,,die erste wirkende Kraft desersten Blattes" (S. 5), wofiir sich der Autor auf dieselbe Hiobstelle beruftwie die Kabbalisten. Es ist also ganz wie in der Kabbala eine Manifestationder gottlichen Kraft selber, die sich ,,auf den zehn Blattern, unter den zehnKraften, so wie durch die ganze Schopfung als verborgene Wurzel" zieht.Ebenso wird hier (S. 8) ganz im Sinne der kabbalistischen Deutung desersten Bibelverses das Schaffen Gottes unter einem gewissen Aspekt alsseine Emanation erklart. Wenn der Autor aber (S. 36) von der Communi-cation der Emanation mit dem Centralgeiste der Naturkeime" spricht,so ist das die Terminologie Boehmes oder eher noch Louis-Claude de Saint-Martins. In der Tat vermischt sich in dem Buch die kabbalistische Ter-minologie mit der von Saint-Martin, den der Autor den ,,bekanntenPhilosophe inconnu" nennt. Die Ideen Boehmes und Saint-Martins wurdenin den Kreisen, an die sich der Autor wendet, offenbar sehr geschatzt. Aufdas Buch der letzteren, Des Erreurs et de la Verite, welches bei seinemKorrespondenten in hohem Ansehen stand, bezieht der Briefschreiber sichauf S. 25, wobei er iibrigens eine durchaus kritische Haltung dem Buchgegeniiber einnimmt. Dabei muss man in Betracht ziehen, dass Saint-Martindamals eine Art ungekronter Konig in den Kreisen der deutschen undfranzosischen Theosophen war, und seine Schriften in den Organisationen,von denen oben die Rede war, mit grosster Hingebung studiert wurden.Die Bildungswelt Hirschfelds, soweit sie aus dem gedruckten Buch er-schlossen werden kann, stellt eine Amalgamierung der jiidischen Tradition,sowohl der rabbinischen als der kabbalistischen, mit der westlichen Lite-ratur und Philosophic dar. Er kann lateinisch und franzosisch zitieren,bezieht sich auf David Hume's Theorien iiber das Schone und aufLaurence Sterne's Yorick. Sein Riickgriff auf Kants Sprachgebrauch wurdeschon oben hervorgehoben. Nach der Meinung des Autors hat ,,der Schon-denker Voltaire, der iibrigens in allem, was er schrieb, keine 2 Zoll Tiefehalt, mit den iibrigen figurirenden Schondenkern seiner Nation, in einemZeitraumevon lOJahren der Offenbahrungmehr Nachteil zugefiigt, als dertiefdenkende Spinoza mit seinem ganzen Anhange in Jahrhunderten nichtzu thun vermogend gewesen ware" (S. 11). Das riihrt nach ihm daher, dass,,natiirlicherweise die meisten Menschen weit eher zum Lachen, als zumDenken geneigt sind."

Hirschfeld hatte offenbar Kenntnis von der oft nur handschriftlichverbreiteten Literatur der geheimen Orden rosenkreuzerischer und ahn-licher Richtungen, was darauf hinweist, dass er der einen oder anderendieser Verbindungen selber angehorte. Er steht dieser Literatur mit schar-fer Kritik gegeniiber, der er im Bewusstsein einer auf objektivere Traditionzuriickgehenden Initiation sein eignes mystisches Wissen entgegenzusetzenscheint. Die wahren Jiinger der Mystik heissen bei ihm, wie ja auch beiden ,,Asiatischen Briidern", auf die ich noch zu sprechen komme, die,,Suchenden". Sie werden, seiner Polemik nach, durch eine falsche Mystik

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so abgeschreckt, ,,dass jeden Suchenden schon beim blossen Anblick diesesWortes ein ihn in Erstarren setzender kalter Schauer anwandelte, so wiewenn jemand in Indien, aus dem Schlafe erwachend, von ungefahr eineKlapperschlange in der Nahe erblickte" (S. 21 der Einleitung). Von dieser,,sogenannten Mystik, so wie sie bisher dem suchenden Publiko aufge-biirdet wurde", distanziert er sich scharf. ,,Wenn ich bis auf den heutigenTag alle gedruckte und die meisten geschriebenen mystischen Hefte, dieich durchzublattern Gelegenheit hatte, auch nur mit aller Massigungbeurtheile, so muss ich freimiihtig eingestehen, dass ich nichts als offen-baren Betrug oder handgreiflichen Unsinn entdecken konnte. Ich wurdemanchmal schon dadurch gegen einen angehenden Suchenden aus Mitleidgeriihrt, wenn ich ihn mit den difformen Figuren, welche diese Werkezieren, und wodurch sie sich gleich beim ersten Anblick charakterisiren,beinahe bis zur Hirnentziindung beschaftiget sahe." Offensichtlich hatteder Autor Werke wie ,,Die geheimen Figuren der Rosenkreuzer" (Altona1785 ff) und ahnliche in diesen Kreisen verbreitete Elaborate im Auge,die er als ,,selbst entworfene monstrose Privatsysteme" von falschen Pro-pheten bezeichnet, als eine ,,geistige Seuche", gegen die es besser gewesenware, ,,von jeher in der litterarischen Welt eine Quarantaine einzufiihren"(S. 22). So kommt es, dass ,,die meisten Suchenden also entweder einenfalschen und ungereimten oder einen lacherlichen, oder besser, gar keinenBegriff von Mystik" haben. Dass solchen Anspriichen der zeitgenossischenHierophanten gegeniiber der Autor kein ,,monstroses Privatsystem", son-dern die Kabbala, wenn auch in vorsichtigen Umschreibungen zu repra-sentieren unternimmt, zeigt die Abteilung ,,Mystik" seines Buches klar.Leider gibt er keine Auskiinfte iiber sich selbst. Nur einmal sagt er, esliege nicht an seinem eigenen guten Willen, wenn er nichts Vollstandigereszu leisten vermogend sei. ,,Meine sonderbaren Schicksale haben die geringeAnlage in mir, eins oder das andere mit mehrerer Precision durchzu-arbeiten, bestandig unterbrochen, und haben mich so schiichtern gemacht,dass ich am Ende alien Muth und alles Zutrauen zu mir verlohr" (S. 23).Was diese sonderbaren Schicksale waren, wissen wir leider nicht genau,obwohl wir einiges dariiber im Folgenden werden feststellen konnen.Andererseits erfahren wir auch aus diesem Buch, dass der Autor hoheGonner und Freunde hatte, ,,mit denen ich iiber den Inhalt und iiberdas Studium der Heiligen Schrift seit vielen Jahren in wechselseitigerRelation zu stehen, das unschatzbare Vergniigen habe." Der Tenor derBriefe, mit denen er sich hier an eine ungenannte ,,Hochfiirstliche Durch-laucht" wendet, mit der er in engem Kontakt stand, zeigt deutlich, dasser von seinem Korrespondenten als eine Autoritat betrachtet wurde. DieAngabe auf dem Titelblatt, wonach das Buch zwei Verfasser hat, erklartsich vielleicht so, dass der Briefwechsel mit dem ,,deutschen Prinzen"von dem einen Hirschfeld, das ,,Organon" aber von beiden zusammenausgearbeitet wurde.

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Es ist mir bisher nicht gelungen, in der zeitgenossischen jiidischen Literaturdes achtzehnten Jahrhunderts oder in Schriften zur Geschichte westdeut-scher jiidischer Gemeinden etwas iiber Hirschfeld zu finden. Wohl aberhabe ich in nichtjiidischen Quellen einige wichtige Hinweise auf einen,Juden Hirschfeld" entdecken konnen, an dessen Identitat mit unseremAutor nicht zu zweifeln ist, und die uns in der Tat ein Licht iiber seinenvollen Namen, seine Stellung in den Bewegungen der Zeit, seine Beziehun-gen und die Identitat des deutschen Prinzen, an den seine Briefe gerichtetsind, aufstecken. Zwar waren Nachfragen in Archiven deutscher undenglischer Freimaurerorganisationen bisher leider erfolglos, ich bin jedochiiberzeugt, dass bei naherer Nachforschung noch weitere Dokumente iiberHirschfelds Tatigkeit sich werden nachweisen lassen, und vielleicht ver-anlassen diese Seiten einen mit der Literatur der geheimen Gesellschaftendes achtzehnten Jahrhunderts besser bekannten Leser zu weiteren Mit-teilungen.

Die erste dieser Nachrichten findet sich in einem Brief des Baron Jeanvon Tiirckheim, eines der bekanntesten Mitglieder des seinerzeit sehrtatigen und einflussreichen theosophischen und martinistischen Kreisesim Elsass, an Jean-Baptiste Willermoz in Lyon, der in den geheimen Ge-sellschaften der mystischen Freimaurerei zwischen 1765 und 1824 einebedeutende Rolle spielte.4 In diesen Zirkeln nahm eine ratselhafte Figureinen zentralen Platz ein, auf die diese Nachricht sich bezieht. Das warder Lehrer des spater dann so viel beriihmter gewordenen ,,Philosopheinconnu" Saint-Martin, von Willermoz und vielen anderen, der bei denZeitgenossen Martines de Pasqualis, richtiger de Pasqually heisst.5 DieserMann trat in den Jahren 1754 bis 1774 als Begriinder einer geheimenOrganisation auf, dem ,,Ordre des Elus Coens" (d.h. Cohens), dessenMitglieder sich auf grund einer theosophischen Lehre christlich-kabba-listischen Charakters, die sie miindlich und in geschriebenen Heften vonihrem Lehrer empfangen hatten, magischen und theurgischen Praktikenwidmeten. Diese Praktiken, iiber die wir aus erhaltenen Briefen sehrdetaillierte Beschreibungen haben, erinnern sonderbar an die magischenOperationen des ,,Baalschem von London", des seinerzeit beruhmten ,,Dr."Samuel Falk, wie sie in den handschriftlichen Tagebiichern seines Famulus

4Vgl. iiber ihn die Monographic von Alice Joly, Un Mystique Lyonnais et les Secretsde la Franc-Ma?onnerie 1730—1824, Magon 1938; Paul Vulliaud, Les Rose-Croix Lyon-nais au XVIIIe siecle, Paris 1929.

5Vgl. uber ihn Papus, Martines de Pasqually, Paris 1895; R. Le Forestier, La Franc-Maconnerie occultiste au XVIIIe siecle et l'Ordre des Elus Coens, Paris 1928, sowiedie zweibandige Monographic des hollandischen Freimaurers Gerard van Rijnberk,Un Thaumaturge au XVIIIe siecle, Martines de Pasqually, Lyon 1935—1938. Seinvoller Name war, wie durch ein Dokument (bei van Rijnberk vol. II, S. 14, 43)erwiesen ist, Jaque Delyoron Joachin Latour de la Case Martines Despasqually. Erist 1710 in Grenoble geboren.

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Ein verschollener jlidischer Mystiker 255

in grosser Umstandlichkeit beschrieben werden.6 Die Parallele gibt zudenken.

Bei vielen seiner Schiiler und noch mehr bei denen, die nur durchGeriichte von ihm horten, gait Pasqually aber als Jude oder Abkommlingvon Juden, und die Diskussion iiber diese Frage ist noch nicht geschlossen.Durch einen schweren Ubersetzungsfehler in dem sonst so wertvollenBuch van Rijnberks, dessen deutsche Kenntnisse mangelhaft waren, istdie wichtige Angabe des deutschen Freimaurers Ernst Friedrich Falckeiiber ein Selbstzeugnis des grossen Magus vollig missverstanden worden.Dieser schrieb 1779 in einem von Rijnberk (Bd. I, S 141) entdeckten Brief:,,Martinez Pasqualis, ein Spanier, will die Geheimnisse besitzen als einFamiliengut welcher [!] seit 300 Jahren bey seiner Familie in Spanien sey,und sie bey der Inquisition worunter die Vorfahren von ihm gewesen,erhalten." Van Rijnberk iibersetzte den entscheidenden Satz ganz falsch:,,Elle les aurait acquises de l'lnquisition, aupres de laquelle ces ancetresauraient servi!" Natiirlich muss es heissen, und das gerade ist der Wertdieses Zeugnisses, dass seine Familie, seiner Angabe nach, die Geheimnisse,die sie besass, auch unter der Inquisition, von der seine Vorfahren verfolgtwurden, unter der sie zu leiden hatten, erhalten und aufbewahrt hatten.Die Proposition ,,bey" hat hier, wie so oft, den Sinn von ,,trotz". Damithat sich also Martines de Pasqually als Nachkomme von Marannen undEmpfanger einer angeblich esoterischen Tradition von ihnen deklariert.Da sein Vater, der den Namen Martines de Pasqually, wie es scheint,als erster seinem urspriinglichen marannischen Familiennamen ,,de lasCasas" zugefiigt hat, 1671 in Alicante in Spanien geboren wurde, wie wirdurch van Rijnberks Forschungen jetzt wissen, scheint dies Selbstzeugnis,mindestens insofern es die Tatsache seiner marannisch-judischen Herkunftbetrifft, durchaus plausibel. Alicante war im 17. Jahrhundert einer derwichtigsten Hafen Spaniens, durch den viele Marannen bei ihrer Fluchtaus Spanien passiert sein diirften; als Wohnsitz von Marannen ist es sonstnicht bekannt. Ob die erwahnte Familie wirklich kabbalistische undtheurgische t)berlieferungen besass, wird sich nicht mehr leicht klarenlassen. Mir scheint hier viel Skepsis am Platze. Der von Martines hinter-lassene ,,Traite de la Reintegration des Etres", der lange Zeit unter denAdepten nur handschriftlich verbreitet und auch Hirschfeld bekannt ge-worden war, ist erst 1899 in Paris gedruckt worden. Seitdem ist es moglich,sich ein Urteil iiber die eventuelle kabbalistische Farbung seiner Lehrezu bilden. Dariiberherrschen, z.B. zwischen PaulVulliaud und Le Forestier,grosse Meinungsverschiedenheiten. Der Autor diirfte aber doch wohl einigesvon kabbalistischen Spekulationen der lurianischen Schule haben lautenhoren, wo ja der Begriff des Tikkun, der ,,reintegration" aller Wesen,eine zentrale Rolle spielte. Freilich ist es viel unwahrscheinlicher, dass

6Vgl. H. Adler, The Baal Shem of London. Transactions of the Jewish HistoricalSociety of England vol. V (1908). S. 148-173.

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lurianische Ideen zu den Marannen in Spanien gedrungen seien, als dassder Autor (oder sein Vater, der auch schon freimaurerische Interessenhatte) in der ersten Halfte des achtzehnten Jahrhunderts in Siidfrank-reich, in Avignon, Bayonne oder Bordeaux mit ihnen bekannt wurde.Jedenfalls hat er an die Idee des Tikkun einen jiidisch-christlichen Syn-kretismus gekniipft, der trotz der ausgezeichneten Analyse in dem schongenannten Buch von R. Le Forestier noch vieler Aufklarung bedarf, daauch dieser Forscher keinen genauen Begriff von dem hatte, was wirklichals kabbalistische Vorstellungen bezeichnet werden darf. Einige solcheVorstellungen sind aber in det Tat unverkennbar, wie die von derFunktion und dem Namen der letzten Sephira Malchuth, die bei ihmganz richtig Domination heisst. Andererseits beweist der Tenor des Buches,wenn auch an manchen Stellen jiidische Motive in sonderbaren Verzerrun-gen auftreten, eindeutig, dass der Autor keineswegs als Jude schrieb. Diechristlische Lehre vom Gottmenschen spielt bei ihm eine zentrale Rolle,die in der Messiologie der Kabbalisten nicht vorkommt, so sehr mancheAutoren, die sich mit Martines' Schrift befasst haben, von der falschenAnnahme ausgingen, dass diese Lehre sich auch bei den Kabbalisten findet.Wohl aber vermengt der Traktat offensichtlich die Vorstellung vom AdamKadmon, der Manifestation Gottes in der Urform des Menschen, mit dervom biblischen Adam, in dem (nach christlicher Lehre) Christus prafigu-riert sei.

Bei den Schiilern des Mystagogen aber, deren Begriffe vom Judentumdie blassesten waren, gait gerade dieses Manuskript zum Teil als Beweisseines Judentums und er selbst als ein Abgesandter mystischer Logen ausdem Orient, wo er, wie er hier und da Schiilern gegeniiber andeutete,besondere geheime Einweihungen erhalten habe. Diese Frage nach demCharakter und der Herkunft der Lehre des Martines braucht uns hier nurso weit zu beschaftigen als zum Verstandnis des Tiirckheimschen Briefesund anderer Dokumente notwendig ist. In seinem hohen Alter schreibtnamlich der elsassische Theosoph, der sich fur alles, was mit Martines dePasqually und seinem Schiiler Louis Claude de Saint-Martin zusammen-hing, lebhaft interessierte, am 4. August 1821 an Willermoz in Lyon: ,,Ona voulu dans le temps me persuader que Pascualis avait eu son manuscritd'un auteur nomme Al-Rachid* que l'original avait ete compose en chal-deen, et traduit ensuite en arabe et en espagnol. Un Juif, nomme Hirsch-feld, mort il y a deux ans et qui avait aussi ete lie avec le landgraveCharles, pretendait posseder une partie de ces manuscrits et en avoir parlea M. de Saint-Martin a Strasbourg, comme aussi que plusieurs passagesdes Erreurs et Verites etaient tires litteralement du Parthes, ouvrageclassique des cabalistes."7

7Zuerst mitgeteilt bei Auguste Viatte, Les Sources Occultes du Romantisme, 1770—1820,vol. I, Paris 1928, S. 46, und etwas voller bei van Rijnberk vol. I, S. 54.

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Diese iiberaus interessante Mitteilung muss im Zusammenhang mit einerweiteren Ausserung iiber Hirschfeld diskutiert werden, welche van Rijnberk(I, S. 138) aus Briefen des deutschen Freimaurers C. F. von Meyer an denPrinzen Christian von Hessen-Darmstadt mitgeteilt hat. Hier erfahrenwir des weiteren, dass Hirschfeld mit dem beriihmten Theosophen FranzJoseph Molitor,8 dem Autor des grossen deutschen Werkes iiber dieKabbala,9 in enger Verbindung stand, offenbar nicht lange vor HirschfeldsTod, der ja durch Tiirckheims Brief auf 1819 datiert werden kann.Molitor war zeitweise Lehrer am Frankfurter Philanthropin, der bekanntenjiidischen Schulgriindung,9" steckte tief in theosophischen Spekulationenund nahm an alien moglichen Geheimorganisationen teil, in denen erwohl auch hoffte, iiber die ihn leidenschaftlich interessierende Kabbalader Juden Naheres zu erfahren. Er begann gerade damals auch Verbindungzu jiidischen Kabbalisten aufzunehmen und nennt einen sehr gelehrtenJuden Metz in Offenbach, den er 1813 kennen lernte, als seinen Lehrer.10

Auch Molitor hielt Martines de Pasqually fur einen Kabbalisten, was beiseiner grosseren Sachkenntnis immerhin bemerkenswert ist.11 Er hat sichiiber ihn mit Hirschfeld unterhalten und dariiber an Meyer, wie dieserdem Prinzen Christian am 3. Mai 1817 aus Frankfurt schreibt, Mitteilungengemacht. Hirschfeld habe sich in den Kopf gesetzt, den Orden der ,,Asia-tischen Briider" wiederherstellen zu wollen. ,,Les manuscrits qu'il possededoivent etre fort interessants, mais il ne les fait voir a personne. Lesmanuscrits de Pasqualis doivent avoir ete ecrits originairement en Arabepar leur auteur Al Rachath, traduit ensuite en Chaldeen par Rachpahet de nouveau traduits en langue espagnole et au bout du compte enFran^ais. Hirschfeld pretend qu'une partie au moins, ce sont les memesque Martines Pasqualis a communiques a ses disciples, mais que les sienssont plus corrects que ceux-la et que dans l'annee 1790—1791 en passantpar Strasbourg il l'avait prouve a Saint-Martin."

Die Nachrichten, die wir hier iiber Hirschfeld erhalten, sind sehr inter-essant und fiihren uns weiter. Dass Hirschfeld sich noch am Ende seines

8Vgl. iiber ihn Karl Frankenstein, Molitors metaphysische Geschichtsphilosophie,Berlin 1928. Molitor lebte von 1779 bis 1860.

9Molitors Werk: ,,Philosophie der Geschichte oder iiber die Tradition" (in spaterenBanden heisst es noch "mit Vorziiglicher Riicksicht auf die Kabbalah") ist anonymin 4 Banden, Miinster 1827—1857 erschienen.

9aVgl. LBI Year Book III (1958).1<}Vgl. Frankenstein, S. 115. Unklar ist mir, ob es sich wirklich um einen Kabbalisten

Metz in Offenbach handelt, oder nicht vielmehr um den damals bekannten GelehrtenR. Isaak Metz in Mainz (geb. 1791), der auch Isaak Bernays erster Lehrer war.

iiC. F. von Meyer in einem Brief vom 19. April 1817 (bei van Rijnberk I, S. 137):,,Molitor beschaftigte sich ausschliesslich mit dem Studium des Hebraischen und derKabbala und hatte sich davon iiberzeugt, dass die Lehre der Martinisten, mindestenszum grossten Teil, aus dieser letzteren Wissenschaft geschopft war." In der Tatschreibt Molitor selbst in der 2. Auflage des ersten Teils, Miinster 1857, S. 472, dassMartinez Pasqualis ,,aus einer jiidischen Familie abstammte und ein grosser Kabbalistwar."

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Lebens mit Traumen von der Wiederherstellung des Ordens der Asiati-schen Briider trug, der seit der unautorisierten Veroffentlichung seinerUrkunden und einem grossen Skandal, der 1803 inSchwedenin Verbindungmit der Tatigkeit eines der Briider ausgebrochen war, seine Aktivitateingestellt hatte, beweist, dass er in besonders innigen Beziehungen zudiesem Orden gestanden haben muss. Wir werden dariiber noch Genaueresfeststellen konnen. Vorher diirfte es aber nutzlich sein, die eben ange-fiihrten Briefstellen genauer zu interpretieren, da sie auch ein Licht aufseinen Charakter werfen. Beweisen sie doch deutlich, dass er, wie so vieleMitglieder dieser geheimen Verbindungen, auch vor Mystifizierungenkeineswegs zuriickschreckte, bei denen er seine kabbalistische Literatur-kenntnis spielen Hess. Hirschfeld muss die Verbindung der Manuskripte,die Martines de Pasqually seinen Schiilern mitteilte, mit seinem eigenenganz oder halb kabbalistischen Vorstellungskreis, auf den ich unten zu-riickkomme, friih erkannt haben. Er scheint sich ja iiberhaupt als eineArt jiidischer Nachfolger dieses Mystagogen gefiihlt zu haben. Denn wennwir auch nicht wissen, wer der arabische Autor Al-Raschid sein soil, vondem (Hirschfeld zufolge) der Marannenabkommling Martines sein Manu-skript des Traktats iiber die Wiederherstellung aller Wesen erhalten habensoil, so ist doch klar, was Hirschfeld im Sinne hatte, als er davon sprach,dass das Original urspriinglich chaldaisch geschrieben sei, respektive (demzweiten Brief nach) zuerst arabisch abgefasst gewesen sei, dann aberdurch ,,Rachpah" ins Chaldaische und von dort ins Spanische iibersetztworden sei. Rachpah in der franzosischen trbersetzung des urspriinglichdeutsch geschriebenen Briefes gibt offenbar ein Raschpah des Originalswieder, und ich glaube mit Sicherheit sagen zu diirfen, dass das nichtsanderes ist als eine von dem Briefschreiber falsch gehorte Form des ihmvon Molitor miindlich mitgeteilten Namens Raschbai. Raschbai ist aberdie bei den Kabbalisten iibliche Abkiirzung des Namens Rabbi Schimonben Jochai, des angeblichen Autors des chaldaisch geschriebenen BuchesSohar. Hirschfeld wollte damit also offenbar andeuten, dass Martines dePasquallys Manuskripte aus dem Sohar, dem Buch des Raschbai, geflossenseien. Er hat diese Meinung, wie aus den Briefen hervorgeht, den ver-schiedensten Personen gegeniiber vertreten. Woher er noch zur Zeit seinerTatigkeit in den achtziger Jahren, also seiner Mitgliedschaft bei denAsiatischen Briidern, die teilweise Abschrift der ,,urspriinglichen" Quellendes Martines de Pasqually oder dessen eigene Abhandlungen hatte, wissenwir nicht.

Dass seine Mitteilungen auf diesem Gebiet aber keinen grossen Glaubenverdienen, zeigt auch seine weitere Behauptung in dem Brief des Baronsvon Tiirckheim, wbnach mehrere Stellen von Saint-Martins Hauptwerk,,wortlich aus dem Parthes, dem klassischen Buch der Kabbalisten, stamm-ten." Der Parthes ist natiirlich nichts anderes als Moses Cordoveros PardesRimmonim, der ,,Garten von Granatapfelbaumen", von dem keine tJber-

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setzung in eine europaische Sprache vorlag, und iiber das Hirschfelddaher mit Leichtigkeit mystifizierende Behauptungen aufstellen konnte.Ich habe Saint-Martins Buch gelesen und nichts von den angeblich wort-lichen Entlehnungen aus Cordoveros in der Tat klassischem Buch darinentdecken konnen. Auf Hirschfelds Charakter fallt damit nicht geradedas vorteilhafteste Licht. Wir haben es in ihm offenbar mit einem Judenzu tun, der seine kabbalistischen Kenntnisse mit denen der zeitgenossischenTheosophie in Frankreich und Deutschland in Verbindung zu bringenbestrebt war, dabei aber nicht ohne Mystifikationen und Aufschneidereiverfuhr.

Ill

Die Identitat des in den Briefen genannten Hirschfeld mit dem Autordes ,,Biblischen Organon" lasst sich vor allem durch die Angaben iiberseine Zugehorigkeit zum Orden der ,,Asiatischen Briider" evident machen.Denn als er in seinem hohen Alter von seinen Traumen iiber die Wieder-herstellung dieses Ordens sprach, waren fast vierzig Jahre seit seinemersten Auftreten in den mystischen Organisationen verstrichen. DieAngabe iiber seine Verbindung mit diesem Orden bildet in der Tat denSchliissel zu einer Anzahl von weiteren Informationen iiber ihn, die unsihrerseits dann auf wichtige, teilweise aus seiner Feder stammende Schrift-stiicke hinfiihren werden. Dieser Orden war namlich eine der fortge-schrittensten Organisationen der mystischen Freimaurerei. Er war nichtnur der erste solche Bund, der Juden als ,,uralte echte Briider aus Asien"aufnahm und dadurch, sowie durch sein judaisierendes Gebaren, Erbit-terung bei den konkurrierenden Freimaurerorden hervorrief, vielmehr warer geradezu eine Griindung, an der Juden, und gerade Hirschfeld, ent-scheidend beteiligt waren. Nach den Angaben im ,,Allgemeinen Handbuchder Freimaurerei", herausgegeben vom Verein deutscher Freimaurer,Leipzig 1900, Band I, S. 49, entstand dieser Orden in Wien 1782, und zuseinen Griindern gehorte, neben aus der Geschichte solcher Organisa-tionen, vor allem der ,,Strikten Observanz", auch sonst bekannten Frei-maurern, ein Schdnfeld in Wien, mit dem Ordensnamen Sacharja, sowie,,der Jude Hirschfeld (Ordensname Marcus ben Bina), von dem diekabbalistischen Richtungen des Ordens herriihren". Dieser Hirschfeld habeauch, als die Wiener sich unter der Drohung behordlicher Verfolgungenzuriickziehen mussten, beziehungsweise ihre Gruppe in Somnolenz verfiel,bei der Umorganisation des Ordens, die in Hamburg erfolgte, eine fiihrendeRolle gespielt. Wer Schonfeld in Wien ist, konnen wir leicht sagen: es istThomas von Schonfeld, olim Moses Dobruschka aus Briinn, spater in Pragund Wien, der damals gerade in die Hauptstadt iibersiedelt war, ein eifrigerMitarbeiter an osterreichischen und deutschen Zeitschriften, Dichter,Psalmeniibersetzer und im geheimen einer der wichtigsten Mitglieder

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der frankistischen Sekte vor und nach seiner Taufe.12 Er war zugleich, wieaoich. andere semes Kreises, zum Beispiel seiri Schwager Wolf Honig, em.aktives Mitglied freimaurerischer Biinde. Die Familien Honig undDobruschka, deren zweite Generation in den achtziger und neunzigerJahren des achtzehnten Jahrhunderts geadelt wurde und grossenteils,freilich nicht ganz, zum Christentum iiberging, hatten eine der wichtigstenwirtschaftlichen Machtpositionen des josephinischen Osterreichs inne,namlich das Tabakmonopol. Beide Familien standen in engster Verbin-dung mit den Frankisten, deren Haupt Jakob Frank ja bis 1786 in BriinnHof hielt, wo seine Kusine Schondl Dobruschka an der Spitze ihrerFamilie, der spateren Schdnfelds, stand. Besonders einer der Honigs, derungetaufte Low Honig von Honigsberg, ist uns als leidenschaftlicherFrankist bekannt.13

Nach den Angaben eines der Haupter des Ordens, des in der frei-maurerischen Literatur viel umstrittenen Hans Heinrich Freiherr vonEcker und Eckhofen, in einer in meinem Besitz befindlichen Verteidigungs-schrift, wurde ,,im Jahr 1780 [in Wirklichkeit war es 1782] die Vereini-gung der Obern Briider dieses Systems in Europa angefangen und im Jahr1784 wiirklich geschlossen, wodurch sie sich namlich in einen gesellschaft-lichen Korper und zu gemeinschaftlicher Fortpflanzung dieser Kentnisse[namlich der vorher dort erwahnten angeblichen uralten Kenntnisse desOrients] verbanden."14 Seit August 1786 hatte der Landgraf Karl vonHessen-Cassel die Wiirde des Grossmeisters der ,,Asiatischen Briider" inne,der als solcher den rabbinischen Ehrentitel Chacham Hackolel fuhrte,wahrend sein oberster Ordenskanzler, der vorgenannte Freiherr von Ecker,den nicht weniger hochklingenden talmudischen Titel Rosch Hamdabrimtrug.15 Dieser Prinz, iiber den eine ziemlich umfangreiche Literaturexistiert, die in den Nachschlagewerken und Bibliographien der Frei-maurerei nachgewiesen ist, war einer der leidenschaftlichsten Teilnehmeran alien mit der mystischen Freimaurerei zusammenhangenden Bestrebun-

12Vgl. den vorlaufigen Hinweis auf ihn in meinem Werk ,,Die jiidische Mystik", Zurich1957, S.452.

13Vgl. Vaclav Zacek, Zwei Beitrage zur Geschichte des Frankismus in den bohmischenLandern, im Jahrbuch fur Geschichte der Juden in der Czechoslovakischen Republik,IX. Jahrgang, 1938, S. 367.

14,,Abfertigung an den ungenannten Verfasser der verbreiteten sogenannten: Authen-tischen Nachricht von den Ritter- und Briider- Eingeweihten aus Asien", Hamburg1788, S. 89. Der Autor dieser polemischen Broschiire warf den Asiatischen Briiderneben auch ihre jiidischen Verbindungen und Neigungen vor.

!5Der Landgraf fuhrte den Ordensnamen Melchizedek, vgl. seinen Brief bei G. vanRijnberk, Episodes de la Vie £soterique 1790—1824, Lyon 1946, S. 44, wie auch dortS. 134 u. 233. Nach dem ,,Allgemeinen Handbuch der Freimaurerei" ware sein Ordens-name Chacham Al Gibor gewesen. In anderen Organisationen hat sich Karl von Hessendann der Aufnahme von Juden in Logen widersetzt, vielleicht auf Grund der Ge-schichte der Asiatischen Briider, wie aus der Tatsache hervorgeht, dass auf seineIntervention hin 1816 die Frankfurter Loge "Aurora zur aufgehenden Morgenrote",in der Molitor eine grosse Rolle spielte, geschlossen werden musste, gerade weil sieauch Juden aufgenommen hatte, vgl. Frankenstein, S. 114.

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gen seiner Zeit und spielte als hochgestellter Gonner, Jiinger und Meisterzugleich, in vielen ihrer Organisationen eine bedeutende Rolle. War erdoch der Schwager des Konigs Christian VII. von Danemark und spaterder Schwiegervater von dessen Nachfolger Friedrich VI. Er lebte inSchleswig, wo er lange Zeit Gouverneur der Herzogtiimer Schleswig undHolstein war, und starb erst, zweiundneunzigjahrig, im Jahre 1836. Erreiste zu alien wichtigen Zusammenkunften dieser Biinde und fiihrte Tage-biicher, aus denen sich vielleicht noch mehr iiber Hirschfeld erfahrenHesse. Denn die soeben dargelegten Verbindungen, die auf die fiihrendeRolle Hirschfelds und des Landgrafen in diesem ,,kabbalistische Richtun-gen" verfolgenden Orden zuriickgehen, entsprechen ja ganz dem, wasTiirckheim von der engen Verbindung Hirschfelds mit dem LandgrafenKarl bezeugt. Damit haben wir aber einen Hinweis darauf, wer derdeutsche Prinz gewesen sein mag, an den die in Hirschfelds Buch abge-druckten Briefe gerichtet sind. Zugleich verstehen wir, warum dieses Buchsowohl in Offenbach, dem letzten Zentrum der Frankisten, noch wahrendder Wirksamkeit der Sekte gedruckt als auch von ihnen zur Lektiireempfohlen wurde, wie wir oben sahen. Die Frage, ob Hirschfeld direktzu den Sabbatianern und Frankisten gehorte, wird uns noch beschaftigen.Jedenfalls stand er mindestens von seinen Ordenstagen her in engerBeziehung mit einigen unter ihnen. Die wirkliche Identitat des seinerzeitin Osterreich weithin bekannten Schonfeld wird ihm auch unter derchristlichen Verkleidung nicht lange verborgen geblieben sein, wenn ernicht iiberhaupt aus der gleichen Gruppe wie dieser kam. Die beidenManner diirften sich schnell erkannt und verstanden haben. Auch ausden letzten Jahren des ,,Edlen von Schonfeld", als er in Strassburg einerder gliihendsten Anhanger der franzosischen Revolution und unter demneuen Namen Junius Frei oder Frey Anfiihrer des dortigen Jacobiner-Clubs wurde, besitzen wir ein franzosisches Manuskript eines Vortragesiiber die Kabbala, das sich in den Archives Nationales in Paris unterseinen Papieren erhalten hat.16 Als Hirschfeld 1790—91 durch Strassburgpassierte und mit den dortigen Theosophen, darunter auch mit Saint-Martin (der sich von 1788—1791 dort aufhielt) in Verbindung trat, hater vielleicht auch seinen friiheren Ordensbruder und jetzigen Revolutionarbesucht.

Worin die kabbalistische Richtung der ,,Asiatischen Briider" im ein-zelnen bestand und was Hirschfelds Anteil an ihr war, lasst sich aberdurch gliickliche Funde noch genauer bestimmen. Zunachst fand ich unterKarl Wolfskehls Biichern, die jetzt in der Schocken Library in Jerusalemsind, das anonym erschienene Werk: ,,Das Ganze aller geheimen Ordens-

16Eine Photographie dieses Manuskripts habe ich bei Dr. Arje Weinshal in Tel Aviv lesenkonnen. Es benutzt den Terminus Kabbala freilich in einem ziemlich verschwom-menen Sinn, der dem Sprachgebrauch in dem unten S. 272 behandelten Text der"Asiatischen Briider" entspricht.

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Verbindungen. Ein Buch zur Belehrung und Warnung fur Nichteinge-weihte . . . von einem Freunde der Menschenverehrung" (Leipzig 1805),das S. 410—435 ein langeres Kapitel iiber den Orden enthalt. Der Autornennt zwar Hirschfeld nur unter seinem Ordensnamen, den wir aberaus anderen Quellen schon kennengelernt haben. Es heisst bei ihm (S. 418)iiber ,,Markus Ben Bina": ,,Dieser hatte den meisten Antheil an derAusbildung des Ordens der Asiatischen Briider; von ihm riihren diekabbalistischen Traume und Narrendeutungen her, die, ungeachtet ihrergeringen Consistenz, dies Flickwerk wenigstens zusammenhalten; diemeisten Ordenspapiere waren sein Eigenthum; die Obern lockten ihm die-selben ab, und gaben ihm keine andere Entschadigung dafiir, als dasssie ihn zum Ocker-Harim (obersten geheimen Archivverwahrer) machten."Dies ist in der Tat ein sehr wichtiges Zeugnis, das zugleich HirschfeldsStelle in der obersten Hierarchie des Ordens bestimmt. Auf die Frageder Ordenspapiere komme ich unten zuriick. Hier konnen wir vorerstfeststellen, dass die hochtrabende Nomenklatur der Ordensgrade offen-sichtlich Hirschfelds Kenntnissen des rabbinischen Hebraisch entsprang.Andere Freimaurerbiinde, bei denen Juden keine Rolle spiel ten, bekun-deten zwar dieselbe Neigung zu feierlichen hebraischen Nomenklaturen,die aber, dem Bildungsgrad der oft aus dem protestantischen Klerusstammenden Autoren entsprechend, im Rahmen des biblischen Hebraischblieben. Nur die ,,Asiatischen Briider" benutzten diese rein rabbinischeTerminologie, die von einem mit rabbinischen Titulaturen vertrautenJuden stammen muss. Die drei Amterbezeichnungen Chacham Hackolel,Rosch Hamdabrim und Ocker Harim sind solche durchaus typischenrabbinischen Ehrentitel. Als im Gefolge der in Wien entstandenenSchwierigkeiten der Orden 1785 reorganisiert wurde, fungierte nach denAngaben des ,,Allgemeinen Handbuchs der Freimaurerei" (I, S. 50) Hirsch-feld als Vorsteher des ,,kleinen Synedrions", das aus sieben Wiirdentragernund im ganzen aus 72 Mitgliedern bestand. Ausser ihm und seinen zwei,,Obern" Chacham Hackolel (Karl von Hessen) und Rosch Hamdabrim(Freiherr von Ecker) bestand namlich die Leitung noch aus sechs anderenWiirdentragern, die die Titel fiihrten: Isch Zadik, Pokeach Ibhrim,Thumim (oder Thummim) Bemahloth, Somech Nophlim, Tham Weja-schor, Metibh LackolJ17 Eine Mischung aschkenasischer und sephardischerAussprache des Hebraischen scheint hier durch. Vier der Titel, dieiibrigens alle Bezeichnungen moralischer Qualitaten darstellen, sind ausdem taglichen Gebetbuch, dem Siddur, gelaufig. Schwierig scheint nurder Titel Thumim oder Thummim Bemahloth, der manchen Autoren,die damals iiber den Orden schrieben, viel Kopfzerbrechen machte. In

!7Der Aufbau der Hierarchie des Ordens und die Namen seiner Grade und Wiirdensind in F. Muenters, bei Ecker abgedruckten ,,Authentischen Nachricht", S. 11—14aufgefuhrt, sowie noch korrekter in dem Abdruck der Ordens-Statuten in dem unten,Anmerkung 20, zitierten Werk, S. 9—13.

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Parallele zu den anderen Titulaturen diirfte darin eine nur leicht variierteForm von Tamin be-Ma'aloth stecken, das heisst ,,perfekt in guten Eigen-schaften". Nicht ausgeschlossen ist, dass die Form Thumim statt Tamimzugleich in mystagogischer Absicht gewahlt wurde, um den Briidern mitder alien bekannten Assoziation auf die Urim und Thummim, das Priester-orakel der Thora, zu imponieren, iiber das (nach den Angaben in demoben genannten Werk) bei ihnen viele Spekulationen angestellt wurden.Sie bildeten namlich die Insignia der dritten und letzten Hauptstufe desOrdens, und in einem zeitgenossischen Aufsatz iiber die ,,AsiatischenBriider" wird sogar berichtet, dass nach ihrer Angabe ,,das alte achteOriginal [der Urim und Thummim] in Wien bewahret wird":18 Wienwar aber der erste Sitz dieses Ordens. Denkbar ist auch, dass hier eineostliche Aussprache, wie sie in Galizien und vielleicht auch Mahren furTamim iiblich war, dabei mitwirkte, und vielleicht spielt beides inein-ander.19 Dass Hirschfeld sich selber den im Talmud fur einen besondersscharfsinnigen Kopf benutzten Ehrentitel Oker Harim, ,,der Berge ver-setzen kann" — das Ocker der Transkriptionen ist unbegriindet — vor-behielt, scheint anzuzeigen, dass er keine geringe Meinung von seineneigenen Talenten hatte.

Die Angabe, dass die meisten Ordenspapiere Markus Ben Binas, dasheisst Hirschfelds, Eigentum waren, legt zum mindesten die Vermutungnah, dass er sie grossenteils auch selber verfasst hat. Dazu ist die weitereAngabe im ,,Ganzen aller geheimen Ordens-Verbindungen", S. 413, zustellen, wonach die Ordenspapiere aus Wien stammen. ,,Einige darin ent-haltene Provinzialismen verrathen den ostreichischen Dialekt." Zusammen-genommen beweisen diese Nachrichten, dass Hirschfeld damals, um 1780,in Wien gelebt haben muss, wo auch schon lange Jahre vorher der eigent-liche Initiator des Ordens, Hans Heinrich von Ecker gewohnt hatte, derspater in den achtziger Jahren nach Schleswig iibersiedelte. Man mochtefreilich am ehesten annehmen, dass diese Ordenspapiere von Hirschfeldund Ecker zusammen produziert wurden.

IV

Diese Ordenspapiere liegen uns aber zum grossten Teil gedruckt vor. Siewurden 1803 offenbar um den Orden zu kompromittieren, von einem,,hohen Obern", der sein Vorwort mit dem Freimaurernamen Frater a

l. in der Berlinischen Monatsschrift XI (1788), S. 158.19Ganz irrige und wiiste Spekulationen iiber die Bedeutung dieser Titel finden sich in

dem mir vorliegenden Buch von Johann Caspar Velthusen, ,fokeach Iwrim, Be-leuchtung einiger mystischen AUegorien und Hieroglyphen in nachster Beziehung aufden. . . Orden der Asiatischen Briider, Stade 1804. Sie geben nichts fur die wirk-liche Geschichte des jiidischen und speziell kabbalistischen Elements in diesem Ordenher, dem der Autor nicht angehort hatte. Seine Kenntnisse stammen aus der in dernachsten Anmerkung zitierten Aktenpublikation, er hat aber nichts verstanden.

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Scrutato zeichnet, in einem Band von 382 Seiten veroffentlicht.20 DiesesBuch ist in der Tat hochst interessant und erlaubt uns endlich, die Fragegenau zu beantworten, worin eigentlich die vielberufenen ,,kabbalistischenRichtungen" des Ordens bestanden und erlauben uns zugleich, wenn wirdie im Vorangehenden gewonnenen Erkenntnisse iiber Hirschfeld und seineTatigkeit beriicksichtigen, mindestens einige wichtige Stiicke als sein Eigen-tum zu identifizieren. Der Herausgeber versichert, dass sein Original mitdiplomatischer Genauigkeit abgedruckt worden sei und Druckfehler ihmnicht zur Last fielen, sondern sich im Original befanden. Das gilt vor allemoffenbar fur die hebraischen und mit hebraischen Lettern gedrucktenWorte, die sich in einem furchterlichen Zustand befinden, aber doch ausdem Zusammenhang fast durchweg richtiggestellt werden konnen.

Das Buch enthalt drei Arten von Dokumenten: Statuten, Ritualien undZeremonien, die bei der Einweihung in die zwei Probestufen und dreiHauptstufen des Ordens zu befolgen sind, sowie Lehrschriften, in denenfiir jede Stufe das ihr gemasse geheime Wissen und die Theorien erlautertwerden, zum Teil in dogmatischem Vortrag, zum Teil in einer Art kate-chetischem Frage- und Antwortspiel. Diese Lehrschriften sind natiirlichvon besonderem Interesse. S. 65—82 wird das Ritual der ersten Probestufegebracht, des ,,Suchenden", S. 83—87 das der zweiten Probestufe, des,,Leidenden". Von S. 88—195 folgen theoretische Erlauterungen und,,Instructionen" zu diesen beiden Stufen. S. 196—202 folgt wieder ein,,Ceremoniel" fiir eine Festtafel eines iAufnahme-Kapitels, S. 203—207eine ,,Erlauterung iiber das Buch von sieben Siegeln", ein Resume desS. 83-195 vorgetragenen Stoffes. S. 208-229 enthalt das Ritual zur Auf-nahme in die erste Hauptstufe, wahrend von S. 230—365 in sechzehnAbschnitten ausfiihrliche ,,Instructionen und Erklarungen" zum Lehr-inhalt der zweiten und dritten ,,Haupt- und Grundstuffe, . . . so wieSchluss- und letzte Stiicke des Ordens" mitgeteilt werden.

Historische Nachrichten im engeren Sinne geben diese Aufzeichnungenso gut wie garnicht her. Immerhin ist aus den Daten ziemlich klar, dasshier keine vor 1781 datierten Akten vorhanden sind. tibrigens lauft dieZeitrechnung des Ordens von seiner mythischen Stiftung durch den Evan-gelisten Johannes im Jahre 40, und ist daher immer um vierzig Jahrevon der iiblichen verschieden. Hier und da erfahren wir einige Bestim-mungen iiber Briider, die unter ihrem Ordensnamen auftreten. So z.B.auf S. 55, dass der Bruder Sacharia (im Druck korrupt Scharica) 1784von seinen aktiven Pflichten befreit wurde und unter einem neuen

20,,Die Bruder St. Johannis des Evangelisten aus Asien in Europa oder die einzigewahre und achte Freimaurerei... von einem hohen Obern", Berlin 1803, beiJohann Wilhelm Schmidt. Ein Exemplar dieses sehr seltenen Buches habe ich durchdie freundliche Vermittlung des Leihverkehrs der westdeutschen Bibliotheken ausder Leopold-Sophien-Bibliothek in Ueberlingen am Bodensee entleihen und inJerusalem benutzen konnen, woftir ich hier meinen Dank aussprechen mochte.

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hierarchischen Namen Nachem unmittelbar als einer der zweiundsiebzigBriider des Synedrion direkt diesem unterstehen solle und seine Ordens-geschafte unmittelbar mit ihm abwickeln konne, ohne einem der Ordens-kapitel, den unteren regionalen Gliederungen, anzugehoren. Dies beziehtsich, da wir die Identitat des Bruders Sacharia schon kennengelernt haben,also auf die fortdauernde Mitgliedschaft des Frankisten Thomas vonSchonfeld, offenbar nach der Aufhebung des Wiener Ordenszentrums.liber Hirschfeld oder Markus ben Bina erfahren wir hier nichts Direktes.Ein wichtiges Lehrstiick, das die hochsten der zweiten Probestufe zu-ganglichen Mitteilungen iiber die Schopfung in sieben Kapiteln enthalt(S. 164—183), ist S. 182 folgendermassen unterzeichnet (ich behalte dieInterpunktion des Druckes bei): ,,Ich Ben-Jachim ein Knecht des erstenund letzten desjenigen der da ist, der da war, und der da seyn wird, undein unwiirdiger Sohn der sieben weisen Vater und Briider Vorsteher dersieben unbekannten Kirchen in Asien, im versammleten [!] grossenSynedrion, ein Dehmiithiger des Lichts habe dieses geschrieben fur dieMenschen, meine Freunde und Feinde, zum Besten meiner Verfolger,fur die Menschen meine Briider." Ob hinter diesem Ben-Jachim Hirsch-feld oder von Ecker zu suchen ist, hangt davon ab, wie wir HirschfeldsBereitschaft, sich judisch-christlicher synkretistischer Ideen zu bedienen,einschatzen. Jachin (hier auch Jachim geschrieben) und Boas, die beidenTempelsaulen, spielen in der freimaurerischen Symbolik eine bedeutendeRolle, und der Deckname Ben-Jachim (sic!) hangt wohl damit zusammen.Wer iibrigens immer die Autoren der hier mitgeteilten Lehrschriften seinmogen, sie sind am Ende stets von den vier Ordenswiirdentragern unter-zeichnet, die sich Rosch Hamdabrim, Pokeach Ibhrim, Thumim Bemah-loth und Metibh Lackol nennen.

Ich sprach von einem Synkretismus jiidischer und christlicher Vor-stellungen in diesem Orden. Es ist aus alien hier mitgeteilten Dokumenten,wie ja auch zu erwarten war, evident, dass er sich, seinem Namen getreu,christlicher Symbolik bedient, vom Stifter des Christentums und demLieblingsjlinger Johannes, dem Gottmenschen und anderen christlichenThemen immer wieder spricht und eben fur ein im wesentlichen christ-liches Ordenspublikum gedacht ist. Welcher Art die Exemptionen, diefiir jiidische Ordensbriider bei dem Aufnahmeritual gemacht wurden,gewesen sein mogen, erfahren wir nicht. Offenbar wurde vorausgesetzt, dasssie fiir ihre christlichen Mitbriider, unter denen sie doch nur eine kleineMinderheit dargestellt haben konnen, die christliche Symbolik als legitimund autoritativ betrachteten und anerkannten und daher, im Geist derToleranz, die hier geiibt wurde, sich auch nicht gescheut haben mogen,selber solche christliche Sprache im Ordensverkehr zu verwenden. Cha-rakteristisch ist, dass nach den Statuten nicht nur verschiedene christlicheFeiertage begangen werden sollten, sondern auch (S. 38) ,,der Tagda Moses gebohren wurde, der Tag da er die Kinder Israels aus Egypten

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fiihrte; der Tag da er die Gebote auf dem Sinai empfangen und endlichder Tag, da er zu seinen Vatern ging und sich von Israel trennte." Dieseverschiedenen, offenkundig jiidischen Feste, inklusive der in jiidischenfrommen Kreisen bekannten Jahrzeit Moses am 7. Adar, sollten alle aufden 21. Marz als den neuen Jahrestag des Ordens verlegt und auf einmalbegangen werden. An solchen Festtagen sollte Lamm- und Schweinefleisch,dann Brot und Wein mit Salz ,,von dem Obermeister unter die Briiderstehend vertheilt werden." Der Synkretismus springt hier ins Auge, wieauch klar ist, dass die jiidischen Briider dieses Ordens, wie immer sie sichin ihrem jiidischen Lebenskreis verhalten haben mogen, keine Bedenkentrugen, in ihrer Ordensbetatigung die Gebote der Thora zu iibertreten.Natiirlich fragt man sich, ob nicht diese Einstellung zu jiidischen undchristlichen Begehungen damit zusammenhangt, dass die jiidischen Briidersabbatianischen und frankistischen Gruppen nicht feme standen, wodergleichen ja gang und gabe war.

Die Darstellungen der Lehre des Ordens fur die unteren ,,Probestufen"und fur die hoheren drei ,,Hauptstufen" betreffen zum Teil natiirlichdie selben Gegenstande in fortschreitender Vertiefung. Vor allem gilt dasvon der theosophischen Kosmogonie und Kosmologie der Ordensschriften.Ober deren Charakter konnen wir nun ein klares Urteil fallen. Diesogenannte kabbalistische Richtung des Ordens ist im wesentlichenPseudo-Kabbala, und was die Beobachter so nennen, ist in Wirklichkeitein Amalgam verschiedener Elemente, die sich klar identifizieren lassen.Die beiden Grundelemente sind die Spekulationen von Saint-Martin indem 1775 erschienenen Werk ,,Des Erreurs et de la Verite" und die, vorallem Jakob Bohme und Paracelsus verpflichteten, aber durch ihrenchristlich-kabbalistischen Charakter besonders merkwiirdigen Darlegungeniiber die Schopfung in dem, bei den Theosophen des 18. Jahrhundertsin Deutschland iiberaus einflussreichen ,,Opus Mago-Cabbalisticum etTheosophicum" des Georg von Welling, das seit 1735 einigemal aufgelegtwurde.21 Diese Hauptquellen, die aber niemals mit Namen genannt werden,sind an nicht wenigen Stellen mit weiteren, in der Tat jiidischen undkabbalistischen Glanzlichtern versehen, an deren Herkunft aus HirschfeldsKopf kein Zweifel bestehen diirfte.

Die das Ganze dieser Lehrschriften beherrschende alchemistische Ideen-welt und Terminologie stammt vor allem aus dem Wellingschen Opus.Dorther kommt auch die, zum Teil wortwortlich iibernommene, judai-sierende Theorie von dem feurigen Wasser, dem im Hebraischen Schamajimvon Genesis I, 1 zusammengefassten Aesch-Majim als dem eigentlichenUr- und Grundstoff aller Schopfung, der im Urpunkt der gottlichen Krea-

21Ich benutze die Frankfurt 1760 erschienene Ausgabe dieses umfangreichen Werkes,das ubrigens auch Goethes Quelle bei seinen theosophischen und alchemistischenStudien bildete, wie er in "Dichtung und Wahrheit" II. Teil, gegen Ende des achtenBuches erzahlt.

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tion konzentriert ist und von dem aus sich alles weitere entfaltet hat. Vondort stammt auch alles, was hier iiber die geistige Schopfung, die dermateriellen voranging, und iiber den Fall des Luzifer, des ,,Sohns derMorgenrothe" und der durch diesen Fall entstandenen Scheidung undSchopfung der ganzen Welt vorgebracht wird. Das Merkwiirdige dabei ist,dass die beiden einschlagigen Kapitel (I. Teil, Kapitel 4 und 5) in WellingsWerk, obwohl durchaus im Geist der christlischen Theosophen, Paracelsus'und Bohmes, formuliert und entwickelt, sich unschwer mit legitim kab-balistischen Anschauungen, etwa uber den Zimzum, die Selbstbeschran-kung Gottes, und iiber den Bruch der Gefasse und den Fall der archetypi-schen Lichter in der lurianischen Kabbala zusammenbringen liessen. Dastertium comparationis bildet dabei die Lehre vom Urpunkt der Schopfung,in dem alle Potentialitaten der Kreatur konzentriert sind. Ich brauche aufdie an sich interessanten Ideen, die die Asiatischen Briider im Anschluss anWelling hieriiber vortragen, in diesem Zusammenhang nicht einzugehen,da auch ein nichtjiidischer Autor diese Resumes verfasst haben konnte.Ihre christliche Sprache sticht von den kabbalistischen Zusatzen, die sichhier und da finden, besonders iiber die Symbolik des Tetragrammatonsund einer, nur in kabbalistischen Schriften iiberlieferten, besonderenSchreibung desselben in sogenannten ,,Augenbuchstaben", deutlich ab.Mit den jiidischen Elementen hat aber die hier, und auch in Hirschfeldseigenem Buch, nachdriicklich hervortretende Symbolik des Hexagrammsnichts zu tun, das hier nicht etwa als Davidsschild, sondern als der,,Signatstern" bezeichnet wird. In ihm durchdringen sich die beiden beiden Alchemisten iiblichen Symbole fiir Feuer und Wasser ^ sj undbilden den oben genannten Urstoff Aesch-MajimP1 Das ist aber eineVorstellung, die nicht aus jiidischen Quellen stammt, sondern schon inalchemistischen Schriften um 1700 mehrfach vorgetragen wird.

Aus Saint-Martin stammen viele andere, diese Schriften immer wiederdurchziehende Vorstellungen, wie die, dass der esoterische Bereich, indem der Mensch um spirituelle Erkenntnis ringt, aus sieben Baumenbesteht, deren jeder sechzehn Wurzeln und vierhundertneunzig Zweigehat. Aus derselben Quelle stammt auch das immer wiederkehrende ,,schreck-liche Gesetz der Zahl sechsundfiinfzig" durch das der Mensch hindurchgehenmuss, um zur heiligen Zahl vierundsechzig (24) zu gelangen. Sechsund-fiinfzig ist namlich die Zahl, die der Summe der ersten zehn Zahlen, derheiligen Dekade oder dem ,,Buch von zehn Blattern" folgt. Das ,,Buchvon zehn Blattern" enthalt, in zahlensymbolischer Entwicklung der Be-

22Auch im ,,Biblischen Organon" heisst es S. 19: „ o'OBS Aeschmajim, Feuerwasser,das Zeichen oder Sinnbild z^x, oder der 6te Grad, das 6te Blatt, das Transzendentaleder Form. Allein dieses Sinnbild x̂ x darf nie getrennt, wie auf dem 4ten und 5tenBlatte, in A und y , sondern so wie hier auf dem 6ten Blatte in der vollkommend-sten Verbindung gedacht werden." Er erklart also das Hexagramm als Symbol dervierten bis sechsten Sephira.

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deutung der ersten Dekade, die positiven und negativen Urkrafte allerSchopfung, aber auch den ,,Inbegri£f des Gesetzes der zehn Gebote, dieMoses vom Sinai brachte, denn diese 10 Gebote wollen mehr sagen, alsdies, das von ihnen geschrieben stehet."

Die Erklarung, die in den Ordensschriften S. 175—181 von diesen zehnBlattern gegeben wird, die ,,das Buch des Menschen" bilden, diirfte Hirsch-felds Feder entstammen, wie vielleicht die ganzen sieben Kapitel vonS. 164—183, sowie die Erlauterung dazu S. 184—194. In dieser Erlauterungdurchdringen sich klar christlich-theosophische mit kabbalistischen Ideen,z.B. der von den vier Welten, deren hebraische Namen hier beibehaltensind. Auch Hirschfelds Buch von 1796 ist noch voll von Andeutungen aufdieses ,,Buch von zehn Blattern". Dass die echte Religion eben die Mago-Cabala sei, wie wir in den Ordensschriften (S. 206) lesen, entspricht genauden Ausfiihrungen Wellings (III. Teil, Kapitel 5) iiber die Verbindungder Mago-Cabala mit der wahren Religion. Freilich habe ich nicht alles,was der Autor der Lehrschriften von den Mago-Cabalisten anfiihrt, beiWelling gefunden, z.B. die mehrfach wiederkehrende Bezeichnung vonAdams Fall als dem ,,Ehebruch des freien Willens" (S. 193, 285), die wohlaus Saint-Martin stammt.

Dass all diese Ausfiihrungen, und besonders die alles durchziehendeZahlensymbolik, im Sinne des christlichen Sprachgebrauches des 18. Jahr-hunderts Nichtjuden als Kabbala vorkam, ist durchaus verstandlich. Fragenwir uns aber, ob Hirschfeld iiber diese Elemente hinaus auch einen wirklichkabbalistischen Beitrag zu den Ordensschriften geliefert hat, so ist dieAntwort in der Tat positiv. Denn wahrend in den Schriften der unterenOrdensstufen derartige wirklich kabbalistische und nicht nur pseudo-kab-balistische Ideen nur en passant erscheinen, haben wir vor allem im 5.Abschnitt der Instruction fur die Oberstufen (S. 265—276), aber auch anvielen anderen Stellen hier, legitim kabbalistische Elemente. Der genannteAbschnitt enthalt in iiberaus interessanter Darstellung eine Deduktionder Lehre von der Kontraktion des Urpunkts und den Vorgangen in derim Urpunkt konzentrierten Urmaterie, von der in Werken der christlichenTheosophen fast nichts zu finden ist, alles Wesentliche dagegen in hebra-ischen Quellen, vor allem dem 1612 in Hanau erschienenen grossen WerkSchefa Tal des Rabbi Scheftel Horowitz aus Prag. Hier erhalten wir auchvielleicht eine Erklarung fur die sonderbare Mystifikation Hirschfelds,von der wir oben sprachen, iiber den Zusammenhang zwischen CordoverosPardes und den Lehren des Martines, des Lehrers Saint-Martins. Das BuchSchefa Tal ist namlich in der Hauptsache eine Synopsis von CordoverosKabbala im Pardes, sodass Hirschfeld vielleicht (wie manche spaterenKabbalaforscher, die auch nicht besser iiber die historische Entwicklungder Kabbala Bescheid wussten) denken konnte, die Ausfiihrungen iiberden Zimzum und den Urpunkt stammten dorther. In Wirklichkeit stellengerade sie eine Einschaltung aus den damals in Umlauf kommenden

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Schriften der Schule Isaak Lurias dar. Deren Terminologie wird dort,und durch diese Vermittlung auch bei Hirschfeld wiedergegeben.23 AnVerbindung mit Wellings Spekulationen iiber das Chaos fehlt es dabeiauf diesen Seiten nicht.

Dazu tritt aber, iiberraschend genug, ein weiteres Element. Diese Seiten,und andeutungsweise schon einige Ausfiihrungen im ersten Kapitel deroben genannten sieben fur die Probestufen (besonders S. 165—166), be-nutzen in scharf profilierter Weise einen Gedanken, der weder im BuchSchefa Tal noch in anderen orthodoxen Darstellungen der lurianischenKabbala zu finden ist, sondern eine der kiihnsten und einflussreichstenneuen Ideen der haretischen Kabbala der Anhanger des Sabbatai Zwizum Teil fast wortlich umschreibt, der in den Schriften des Nathan vonGaza und seiner Anhanger entwickelt wurde. Ich habe bisher keinerleiAnhalt dafiir finden konnen, dass entsprechende Vorstellungen auch beichristlichen Philosophen auftreten. Vielmehr miissen wir es fur sicherhalten, dass gerade im Zusammenhang dieser so eindeutig aus jiidischenQuellen kommenden Seiten Hirschfeld seine Bekanntschaft mit der (nurhandschriftlich umlaufenden) Literatur der sabbatianischen Kabbalaverrat.

Diese Idee betrifft die Unterscheidung der denkenden und nichtdenken-den Lichter in Gott, das heisst der Lichter, in denen der Gedanke derSchopfung oder der Wille zur Schopfung vorhanden war, von denen, inwelchen dieser Wille nicht war und nicht ist, wie es hier S. 270 heisst:,,So ist das Wesen des Unendlichen, der iiber alien Ruhm, iiber alle Machterhoben und in sich selbst ist. Man darf also von ihm nicht denken, dassbios der Gedanke der Schopfung der einzige war, der ihn beschaftigte,man muss aber im Gegentheil denken, dass er so voll der tiefsten underhabensten Gedanken sey, dass er sogar jener geringern der Schopfungauch nicht mangelte. Jener Gedanke, in welchem jenes Licht, und derWille der Schopfung der Welten vorhanden war, ist von jenem unter-schieden, in welchem dieser Wille nicht war und nicht ist. Wie der Land-mann mit dem auf den Ackerbau bedachten Konig nur von dieser Sacheund dem Willen dieser Sache zu sprechen hat, niemals aber von denandern Gegenstanden, die zu erhaben vor ihn [d.h. fur ihn] und iiber ihmsind. Das Licht ohne Willen der Schopfung aber heisst bei uns Choschechoder Finsternis, so in seinem Urwort eine Entfernung oder Erdriickungbedeutet." Diese Unterscheidung ist die Grundidee, auf der, seit demSefer ha-Beri'ah, dem ,,Buch von der Schopfung" des Nathan von Gaza,die Kabbala der Sabbatianer beruht. Alles, was Hirschfeld, den wir mit

23Der Terminus Tehiru, der im Schefa Tal fur den Urpunkt benutzt wird, ist hier inleicht entstellter Form beibehalten, vgl. S. 274. Auch anderes wie die Idee eines,,Merk", d.h. eines Males, das die Schechina zuriicklasst, wenn sie von einem Orteweicht, hebraisch Reschimu, ist hier S. 274 benutzt. Auch die Bezeichnung desTehira [sic] oder Techira als ,,innerste Luft" kommt zuerst in diesen Quellen vor.

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Sicherheit fiir den Autor dieser ganzen Darlegungen in den Instruktionendes Ordens halten diirfen, iiber diese zwei Kategorien von Lichtern imEnsoph vorbringt — er gebraucht sowohl den hebraischen Terminus wieden deutschen ,,der Unendliche" — sowie alles, was er im Zusammenhangdamit iiber die ,,Zusammenziehung", das heisst den Zimzum der Kabba-listen, und die Entstehung der ,,Behaltnisse [dem hebraischen Kelimentsprechend] der sogenannten Sephiren" zu sagen weiss, entspricht derbesonderen Form dieser Spekulationen, wie sie bei den Sabbatianernvorgetragen wurden. Ja mehr, ich glaube sagen zu konnen, welchen Textdieser Literatur Hirschfeld paraphrasiert, und auch das ist iiberaus inter-essant. Es handelt sich um das zwischen 1725 und 1760 in Handschriftenweitverbreitete Buch We-abho hajom el ha-ajin, das in dem Streit umden Hamburger Oberrabiner Jonathan Eibeschiitz und dessen Krypto-Sabbatianismus eine zentrale Rolle gespielt hat. M. A. Perlmuter hat inder Tat in seinen eindringenden Untersuchungen iiber ,,Rabbi JonathanEibeschiitz and his Attitude towards Sabbatianism" iiberzeugend nach-gewiesen, dass Eibeschiitz dieses radikal sabbatianische theosophische Werkin seiner Jugend verfasst hat.24 Die spezifische Variation der Darstellungdes Zimzum und viele Einzelheiten bei Hirschfeld entsprechen genau demVortrag in diesem Buch. Die Form Tehira statt Tehiru fiir den Urpunktoder die ,,innerste Luft" der Schopfung ist die bei Eibeschiitz gebrauchte.Die Auffassung der Zusammenziehung durch die Wirkung der Eigenschaftder Strenge in dem auf Schopfung gerichteten Licht als einer Selbst-begattung des Unendlichen, bei Hirschfeld dem hebraischen Terminusgenau folgend als ,,eine Vereinigung in ihm und durch ihn" bezeichnet,25

hat er dort hergenommen. Aber die Hauptideen, vor allem die Auffassungdes Urpunktes als Chaos und Urmaterie zugleich, sowie iiber das Abirrender Lichter des Urpunkts bei ihrem Streben nach Riickkehr ins ,,um-kreisende Licht" des Ensoph und die daraus entstandene Verwirrung allerLichter und Kreise sind alien sabbatianischen Schriften iiber den Uranfangder Schopfung gemeinsam.

Interessant ist dabei, dass Hirschfeld diese Gedanken in der hoherenStufe fast unverstellt vortragt, in den Kapiteln fiir die Probestufen sieaber, vor allem S. 164—170, in einer Wellings und Saint-Martins Vor-stellungen moglichst angenaherten Form lehrt, wenn wir diese Seiten164—183 des pseudonymen Ben-Jachim, wie hiernach wohl billig, ebenfallsauf ihn zuriickfiihren. Hirschfeld formuliert hier die Lehre Nathans vonGaza iiber die ,,Lichter, die sich auf ihrem Wege verirrt haben", folgender-massen: ,,Von dem Urlicht aber ging ein anderes Licht aus, dieses Lichtwar eines der Principien des Urlichts, und zwischen diesen beiden Lichtern

24Perlmuters Buch ist hebraisch in Jerusalem 1947 erschienen. Besonders seine Analysedes Gedankengangs der von ihm behandelten Schrift, S. 82 ff., ist fiir den Vergleichmit Hirschfelds deutschen Ausfuhrungen besonders instruktiv.I Hebraischen siwwug minneh ubheh.

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bewegten sich die unzahligen Lichter in ihren Zirkeln. Der Mittelpunktdieses ausgegangenen Lichts war nichts, weil sich die Strahlen dieses Lichtsin seinem Mittelpunkt verlohren hatten. Allein die Lichter zwischen demUrlicht und dem ausgegangenen Principio des Lichts wollten mit Gewaltim Mittelpunkt des Urlichts eingehen, hatten aber weder Macht nochZahl, weder Maass noch Ordnung in sich. So entstand die Verwirrungunter den Lichtern... Die Lichter schritten aber durch die Gewalt derVerwirrung aus ihren Zirkeln und der Ausgang des Urlichts zog sichwieder zuriick. Diese Lichter aber waren die unsichtbaren und intellec-tuellen Wesen, die nicht denken." Mit den Lichtern, die in den Bereichder Finsternis fielen, bringt er dann in einer Weise, die naturlich denKabbalisten ganz fremd ist, Wellings Ideen iiber den Fall des Luzifer alsdie Verselbstandigung des im Urpunkt konzentrierten Herrschaftsbereichsdes ,,Sohn der Morgenrothe", durch die erst dieser Urpunkt zum Chaoswird, zusammen. Auch hier konnte er in der Tat zwar nicht in denorthodoxen Darstellungen der lurianischen Lehre, wohl aber bei denSabbatianern, auch in Eibeschiitz' Buch, eine ziemlich nah verwandteSpekulation finden. Beruht doch gerade deren Lehre darauf, dass in derTiefe des Abgrundes, der sich im Urpunkt des Tehiru eroffnet hat, die ,,ge-dankenlosen Lichter" nun als der Schopfung widerstrebende Krafte desBosen und Satanischen wirken. Wenn wir von der Hypothese ausgehen,die sich nun aufdrangt, dass Hirschfeld aus sabbatianischen Kreisen her-kam, sich jedenfalls zum mindesten von haretischen Schriften dieser Gruppebeeinflussen liess, so wird uns die besondere Art der Zusammenschau unddes Synkretismus der jiidischen und christlichen Theosophie bei ihmverstandlich.

Danach ist es naturlich nicht verwunderlich, dass auch an anderenStellen dieser Lehrschriften Symbole der Kabbalisten und Soharstellen,ohne iibrigens als solche gekennzeichnet zu sein, benutzt und paraphra-siert werden. So wenn er S. 273 das Weibliche als den ,,Mond, der nichtsvon sich selbst hat, und die schone Jungfer ohne Farbe" bezeichnet, oderwenn er an verschiedenen Stellen das Soharstiick I, Blatt 15a iiber denUranfang der Schopfung ausdeutet. Ebenso benutzt er S. 274 die Ideeder Waage, die das Gleichgewicht zwischen Strenge und Gnade darstellt,und ohne die die Gewalten der Strenge iibermassig zugenommen hatten,wie sie an einer beruhmten Soharstelle II, 176b, am Anfang des ,,Verbor-genen Buches", entwickelt wird. Am Abschluss einer der Instruktionentauschen Lehrer und Jiinger folgende Fragen und Antworten aus(S. 305-306):

Frag. Wenn entdeckte sich denn die schone Jungfer ohne Makel, und wennversteckte sie sich?

Antw. Sie entdeckt sich am Morgen, und versteckt sich am Mittag.Frag. Was muss man nicht sagen, wenn man zu einem Marmorstein gelangt?Antw. Nicht Mann, Mann, oder Wasser, Wasser.

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Die erste dieser verbliiffend klingenden Losungen ist aus dem Sohar II,95a genommen, wo die schone Jungfrau die Thora ist; die zweite aus einerbekannten theosophischen Stelle des Talmud iiber die vier Weisen, dieins Paradies gingen (Chagigah 14b), wo Rabbi Akiba die anderen warnt:,,Wenn Ihr zu dem Ort der reinen Marmorsteine kommt, so sagt nicht:Wasser, Wasser." Welcher spezifische Sinn in unseren Lehrschriften mitdiesen Losungsworten verbunden wurde, wenn iiberhaupt einer, bleibtunklar. Andererseits erhalten bedeutende kabbalistische Symbole, dieHirschfeld zu diesen Schriften beiges teuert hat, von ihm ausfiihrlicheErklarungen. So hat er der lurianischen Kabbala die Begriffe des ,,um-kreisenden Lichtes" und ,,umgekreisten Lichtes" entnommen, deren Duali-tat vom Anfang des Ensoph an alles durchzieht. Diese Begriffe kommenimmer wieder in diesen Schriften vor. In den lurianischen Schriften gibtes sowohl die Dualitat von Ensoph ha-Makiph und Ensoph ha-Mukaph,wie auch die von Or Makiph und Or Penimi. In Hirschfelds Sprachge-brauch sind diese beiden Begriffspaare zusammengeflossen.

An vielen Stellen wird auch die freimaurerische Symbolik, die die,,Asiatischen Briider" von den alteren Logen ubernommen haben, nichtnur im Sinne der Vorstellungen Saint-Martins, sondern auch mit Benutzungvon pseudokabbalistischen Theorien ausgedeutet. So erklart er S. 289 dasbekannte ratselhafte Losungswort der Freimaurer ,,Mack Benack" aus demHebraischen als Mack Benahag, im Sinne von ,,ein Schein in der Faulung".In Wirklichkeit wiirde der hebraische Ausdruck rui3 pQ , der dieserErklarung zugrunde liegt, gerade umgekehrt ,,Faulnis im Schein" bedeuten.Natiirlich entspricht die Vorstellung von einem Schein des Lichtes oderLebens, der gerade in der Faulung des Verwesenden wieder auftaucht, deralchemistischen Vorstellungswelt des Buches, wie sie an vielen Stellen iiberdie positive Bedeutung der Faulung, d.h. der putrefactio, hier zur Geltungkommt. Mit den kabbalistischen Elementen, die oben besprochen wurden,steht das in keinem Zusammenhang.

Abschliessend lasst sich noch bemerken, dass die Elemente, die wirklichvon Hirschfeld aus der kabbalistischen Literatur hier eingefiihrt wordensind, niemals als Kabbala bezeichnet werden. Demgegeniiber schliessen dieInstruktionen gerade mit einem Abschnitt, der ,,Allgemeine Grundsatze derCabala" betitelt ist (S. 357—365). Aber gerade er hat mit wirklicher Kab-bala iiberhaupt nichts zu tun, sondern beruht auf dem verschwommenenGebrauch, mit dem in okkultistischen Kreisen des 17. und 18. Jahrhundertsdas Wort Cabala nur allzu oft angewandt wurde. Alle Dinge in der Natursind einer bestandigen Veranderung unterworfen. ,,Wer die Ordnungdieser Veranderungen bemerket, und also aus den gegenwartigen die kiinf-tigen zu bestimmen weiss, der verdient den dem Pobel so sehr verachtetenEhrennamen, Cabalist" (S. 358). Dies ist der Sprachgebrauch vieler alche-mistischen Schriftsteller, besonders auch Georg von Wellings, bei denenKabbala und Magie Kenntnisse bezeichnen, von denen weder die theore-

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tischen noch die praktischen Kabbalisten im Judentum in ihren Schriftenhandeln. Zu dieser Vokabulatur brauchte man Hirschfeld nicht, und seinAnteil an den Lehrschriften des Ordens besteht offenbar gerade darin,dass er wirkliche kabbalistische Elemente mit diesen pseudokabbalistischenverband.

V

Nachdem wir im vorgehenden einen deutlichen Begriff von Hirschfeldskabbalistischen und vom Sabbatianismus beeinflussten metaphysischenIdeen erhalten haben, tritt seine Wirksamkeit bei den ,,Asiatischen Brii-dern" in etwas klareres Licht. Wir miissen annehmen, dass er mit Schonfeldvon vornherein schon enger zusammenhing, als wir am Eingang dieserUntersuchung vermuten konnten. Die Ursprungsgruppe der ,,AsiatischenBriider" in Wien scheint sich zuerst ,,Ritter vom wahren Licht" genanntzu haben. Bei der Umorganisation und Ausbreitung des neuen Ordensbegannen sich die regularen Freimaurer in Wien von ihm bedroht zufiihlen. Was im einzelnen hier vorging, vermag ich bisher nicht zu sagen.Jedenfalls verlegten Hirschfeld und sein christlicher Kollege, der Freiherrvon Ecker, das Feld ihrer Tatigkeit nach Hamburg. Sie errichteten dorteine ,,Obermeisterscha£t", die den Namen ,,Israel" bekam, und der sichauch mehrere Hamburger Juden, darunter der angesehene portugiesischeKaufmann Isaak Bravo anschlossen. Ich habe bisher in den teilweiseerhaltenen Akten der Drei-Gemeinden Hamburg, Altona und Wandsbeck,die im Generalarchiv fur jiidische Geschichte bei der Historischen Ge-sellschaft in Jerusalem liegen, keine Nachrichten uber einen Aufent-halt Hirschfelds, der bis 1790 gedauert haben diirfte, auffinden konnen.In diesen Jahren trat er in nahere Beziehungen zum Landgrafen Karl vonHessen, der, wie wir gesehen haben, zum Grossmeister des neuorgani-sierten Ordens gewahlt wurde. Im Archiv der danischen Freimaurer inKopenhagen befindet sich unter dem Nachlass des Prinzen, wie mir Dr.Raphael Edelmann freundlichst mitteilte, eine hebraische Rolle mit einemkabbalistischen Weltenschema, von der vielleicht angenommen werdenkann, dass sie von Hirschfeld fur ihn geschrieben wurde. In diesen Jahrenspielte in den Gesprachen, Briefen und Aufzeichnungen des Prinzen dieLehre von der Seelenwanderung eine grosse Rolle, die ihm nach vanRijnberks Annahme in den oberen Graden der ,,Asiatischen Briider" zu-gekommen ware, wo der Ausdruck Rotation dafiir gebraucht wurde. Inden gedruckten Ordenspapieren habe ich davon nichts finden konnen,es ist aber durchaus moglich. Da der Prinz des Hebraischen nicht kundigwar, muss ihm der Ausdruck Rotation, der eine genaue tibersetzung deshebraischen Wortes Gilgul darstellt, von einem in der kabbalistischenTerminologie bewanderten Juden beigebracht worden sein. Denn in dendamals verbreiteten lateinischen Quellen zur Kenntnis der Kabbala, wieetwa in der Kabbala Denudata des Christian Knorr von Rosenroth

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274 Gershorn Scholem(1677—1684), ist in diesem Zusammenhang immer von revolutio der Seelendie Rede, nicht von rotation

Nachdem wir nun mit Sicherheit wissen, welches die Beziehung Hirsch-felds zu den ,,Asiatischen Briidern" war, konnen wir einen Schritt weitergehen und seinen vollen Namen feststellen. Wahrend seiner HamburgerTatigkeit geriet er offenbar, nach Dokumenten des obengenannten Ar-chivs der Freimaurer in Kopenhagen, in Streitigkeiten mit Isaak Bravo,iiber deren Natur bisher keine genauen Mitteilungen vorliegen. Er wurdejedenfalls im Jahre 1790 aus dem Orden ausgeschlossen, woriiber ein inHamburg 1790 gedrucktes Heft von 25 Seiten wohl nahere Angaben macht,das ich mir aber bisher nicht habe beschaffen konnen. Es ist ein offiziellesRundschreiben des Ordens und fiihrt den Titel: ,,Circulare des hochw.General-Kapitels an die . . . Haupt- [und] Provinz-Kapiteln . . . die Exclu-sion des Ephraim Jos. Hirschel, vel Hirschfeld betreffend".27 Bis Naheresiiber die damit zusammenhangenden Vorgange festgestellt werden kann,sind wir vorlaufig auf die recht dunklen und vielleicht auch parteiischenAndeutungen iiber ,,Markus Ben Bina" in dem Buch ,,Das Ganze allergeheimen Ordens-Verbindungen" S. 418 angewiesen. In der Fortsetzung deroben (S. 262—263) mitgeteilten Angaben iiber ihn wird dort berichtet, dassdie Ordensoberen ihm die Ordenspapiere abgelockt hatten. ,,Als er siedariiber zur Rede stellte, hatte er ein trauriges Schicksal, (wahrscheinlichward er eingesperrt). Dennoch konnen die Obern seine Verdienste umden Orden nicht leugnen; je mehr er hebraische und kabbalistische Wortehineinwebte, desto mehr staunten sie seine Weisheit an; ermunterten ihn,immer fleissiger zu seyn, und versprachen ihm so viel, dass er glaubte, ersasse so recht in Abrahams Schoose; aber diese Herrlichkeit dauerte nichtlange; Markus hatte arbeitender Bruder seyn miissen; wusste wie alles zu-sammenhieng; worauf alles abzweckte; wollte nun entweder ganz gliicklichdurch dies Gaukelspiel werden, oder — genug, er sprang ab; Geld wolltenihm die Unbekannten, die hinter dem Vorhange spielten, nicht geben,weil sie selbst zu viel brauchten; Markus sollte die Brosamen aufsuchen,die von der Reichen Tische fielen; dies behagte ihm nicht; er fing zumurren an, und dieses Murren ward hie und da laut." Der Autor dieserMitteilungen, die wohl aus einer mir unzuganglich gebliebenen Veroffent-lichung iiber den Orden abgeschrieben sind, scheint also mancherleigewusst zu haben, was mit dem Ausschluss Hirschfelds in Zusammenhangstehen diirfte. Dass dabei auch Geldforderungen Hirschfelds eine Rolle

26Vgl. die ausfiihrlichen Mitteilungen dariiber bei van Rijnberk, Episodes, S. 95—114,der S. 104—105 irrige Vermutungen iiber die Herkunft dieses Terminus, die er beiHans von Ecker sucht, im Sprachgebrauch des Prinzen anstellt.

27Das Heft ist bei A. Wolfstieg, Bibliographic der freimaurerischen Literatur, unterNr. 42995 verzeichnet, wo iiberhaupt die Nummern 42967—42996 die Literatur iiberdie ,,Asiatischen Bruder" enthalten, die grosstenteils leider unauffindbar oder un-zuganglich ist. Ein Exemplar des Rundschreibens befindet sich vielleicht in demerwahnten Kopenhagener Archiv.

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Ein verschollener jiidischer Mystiker

gespielt haben miissen, ist ziemlich deutlich. Vielleicht liegt auch hieriiberin dem Kopenhagener Archiv noch naheres Material vor. Jedenfalls gehtHirschfelds grosse Bedeutung fiir den Orden aus diesen Mitteilungen klarhervor. Auf die ernsten Schwierigkeiten, in denen sich Hirschfeld eineZeitlang befunden haben muss, weist auch eine weitere Information hin,die an derselben Stelle iiber einen anderen Ordensbruder Pascual gegebenwird (S. 419): ,,Er weiss um die innere Beschaffenheit des Ordens, mussden Markus Ben Bina retten, kann es auch leicht, wenn er die Obern ent-larvt. Schweigt er, so miissen christliche Maurerbriider auftreten, undden Obern der Asiaten den letzten Stoss geben." Die unvermittelte An-rufung einer Intervention christlicher Maurerbriider in diesem Kontextzeigt, dass der Autor wusste, dass Markus Ben Bina ein Jude war.

Damit haben wir also den vollen Namen des Autors des ,,BiblischenOrganons" erfahren. Sein urspriinglicher Name Hirschel, den die Broschiireiiber den Ausschluss angibt, ist in dieser Zeit so verbreitet, dass sich keinesicheren Riickschliisse auf seine Familienzugehorigkeit ziehen lassen. Jederum 1750 geborene Jude, dessen Vater Zwi Hirsch hiess und der keinenanderen festen Familiennamen fiihrte, trug in Osterreich und Deutschlandin den Akten und bei der nichtjiidischen Umwelt den Namen Hirschl,Hirschel oder Herschel und unterzeichnete sich so. Da wir ihn um 1780in Wien finden, lasst sich vielleicht auf seine Herkunft aus Mahren oderBohmen schliessen, und das wiirde zu der oben erwahnten Angabepassen, dass die Ordenspapiere osterreichische Dialekteigentiimlichkeitenzeigen. Der Freiherr von Ecker war ein Norddeutscher. Hirschfelds schonerwahnter Bundesgenosse Schonfeld war am Beginn der Ordenstatigkeit(nach dem ,,Allgemeinen Handbuch der Freimaurerei") oberster Visitatordes Ordens fiir die siidlichen und dstlichen Provinzen, und man konntedaran erinnern, dass dessen Mutter Schondl Dobruschka, die KusineJakob Franks, eine geborene Hirschl war.28 Falls Hirschfeld ein Verwandtervon ihr war, so wiirde das natiirlich ausgezeichnet zu den Resultatenpassen, die wir oben aus der Analyse seiner kabbalistischen Lehrstiickeiiber seine Bekanntschaft mit der haretischen Kabbala der Sabbatianergewonnen haben. Aber unser Material geniigt bisher nicht, um Sicheresiiber solche Familienzusammenhange sagen zu konnen.

Nach dem Ausschluss aus dem Orden ist Hirschfeld nach Siiddeutsch-land gegangen, wo wir ihn dann 1790—91 in Strassburg gefunden haben.Aus dem Anfang der hier im Anhang abgedruckten ,,Anzeige" seinesBuches lasst sich folgern, dass seine Verbindungen mit dem LandgrafenKarl von Hessen und andern hochgestellten Mitgliedern dieses Kreises auch28Vgl. dazu Samuel Krauss in der Festschrift fiir Armand Kaminka, Wien 1937, S. 145.

Die Verbindung mit Jakob Frank hat zuerst Fritz Heymann aus den Akten fest-gestellt und mir seinerzeit davon briefliche Mitteilung gemacht. Leider ist er nichtmehr dazu gekommen, seine Forschungen iiber die mahrischen Frankisten, von denenwichtige Aufschliisse zu erwarten waren, schriftlich niederzulegen. Auch er ist inden vierziger Jahren ein Opfer des deutschen Judenmordes geworden.

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276 Gershorn Scholem

nach den Vorgangen von 1790 nicht abgebrochen zu sein scheinen. Fiihrter doch dessen Abfassung auf ,,die schmeichelhafte Aufmunterung und dasVeranlassen meiner respektiven Gdnner und Freunde" zuriick, mit denener seit vielen Jahren in wechselseitiger Verbindung stehe. An dem engenZusammenhang der in seinem Buch vorgetragenen Lehren und dem jiidi-schen Teil der Theosophie der ,,Asiatischen Briider", wie sie in denOrdensschriften erkennbar ist, kann in der Tat kein Zweifel bestehen. 1796wird er nicht weit von Offenbach gelebt haben, wenn er sein Buch dortzum Druck gebracht hat. Aus seinen letzten zwanzig Lebensjahren habenwir bisher keinerlei Nachricht und wissen nur, dass er nicht weit vonFrankfurt gelebt haben kann, da Franz Joseph Molitor, der mit ihm um1816 in Verbindung stand, nicht viel gereist ist.

So bleibt also noch vieles wahrscheinlich sehr Merkwiirdiges in derLaufbahn dieses jiidischen Theosophen ungeklart und weiterer Forschungbediirftig. So wird es auch ungewiss und zweifelhaft bleiben, ob er wirk-lich jenes wahre Mittel zur Verbindung mit Gott besass, dessen Verfehlungdurch die ,,Suchenden" nach ihm ,,immer den unseligen Unglauben zurtraurigen Folge hat", das wahre Mittel, ,,wodurch jenes so wohlthatigeausser ihnen existierende Wesen mit dem wahren innern Menschen in einevollkommene und wirksame Communication gebracht werden konnte".29

Immerhin scheint es, dass Ephraim Joseph Hirschfeld, so unsicher seinCharakter und seine Laufbahn im einzelnen sind, ein innerlicheres Ver-haltnis zur Theosophie und Mystik hatte als sein Zeitgenosse Simon vanGeldern, Heines Grossonkel, der in denselben Jahren und in verwandtenOrganisationen eine ziemlich triibe, hochstaplerische Rolle als einer der,,geheimen Obern" spielte und als ,,Hofkabbalist" und ,,Geheimer Magi-scher Rath" des Landgrafen von Hessen-Darmstadt sein Leben beschloss.30

29Biblisches Organon, S. 6 der Einleitung.3<>Vgl. Fritz Heymann, Der Chevalier von Geldern, Amsterdam 1937, S. 350.

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Ein verschollener judischer Mystiker 277ANHANG

Hirschfelds Anzeige seines Buches.

Auf die mir sehr schmeichelhafte Aufmunterung und das Veranlassen meiner respek-tiven Gonner und Freunde, mit denen ich iiber den Inhalt und iiber das Studiumder heiligen Schrift seit vielen Jahren in wechselseitiger Relation zu stehen, das un-schatzbare Vergnugen habe, machte ich mich anheischig, mein biblisches Organon, oder,eine Realiibersetzung der Bibel, mit der mystischen Begleitung und kritischen Anmer-kungen, auf Subscription im Druck heraus zu geben.

Ich erwagte freilich alle mit der Bearbeitung dieses Werks verbundenen Schwierig-keiten, indem ich bald einsahe, dass es zur Erreichung dieses Endzwecks nicht nur auf diebesondere Vertraulichkeit mit dem sublimen Geiste der heiligen Schrift, sondern auchauf die genaue Verbindung gewisser Eigenschaften mit ihren beziehungsweisen Ver-haltnissen untereinander ankomme, die sich dem scharfsten Auge nur gar zu oftentziehen, und daher noch ofters unter fremden und beinahe nicht mehr zu unter-scheidenden Gestalten erscheinen. — Diess schien mir bei einer Realiibersetzung derheiligen Schrift die grosste Schwierigkeit zu seyn, und sie ist's auch in der That. —

Ein anders ist's, tiber die Beschaffenheit oder Eigenschaft eines gewahlten Gegen-standes seine Meinung nach seiner Uberzeugung frei und uneingeschrankt nieder-schreiben, der Gegenstand gehore in das Reich der Einbildungskraft oder des denkendenVermogens. — Im letzten Falle wird das Resultat — wenn der gewahlte Stoff desselbennur nicht ganz und gar Kopie ist — immer etwas Eigenthiimliches und Unterschei-dendes in seinem Geprage haben, dem in den Grundprinzipien von einem andern, derdiesen nemlichen Gegenstand bearbeitet, geradezu widersprochen; dem von einemdritten eine andere Wendung, eine andere Form gegeben, oder das auch ganz andersgesagt werden kann, weil sich in solchen Fallen die Schriftsteller gemeiniglich um dieWette beeifern, ihr Privatsystem zum allgemeinen System des Publikums auszubilden.Und da einmal der gewahlte Stoff abstrakt und frei ist, so sind solche Schriftstellervon nichts als einzig und allein von ihrer eigenen sie iiberzeugenden Meinung abhangig.Nicht anders verhalt es sich mit jenen Vorwiirfen, an deren Spitze die Einbildungs-kraft steht. Der bildende Kiinstler, der sich ein ihm beliebiges Ideal zu seinem zubearbeitenden Stoffe wahlet, arbeitet ganz frei, und ist an nichts gebunden, wie der-jenige, der allenfalls ein historisches Stuck, oder nach einem gewissen Texte etwasbearbeiten soil. Ebenso kann z.B. derjenige, der in der Tonkunst frei setzt, seinemeigenen Geschmacke, seinen eigenen Empfindungen, kurz seiner eigenen Phantasievollkommen geniige leisten. Es stehet ihm frei, eine ihm beliebige Tonart zu wahlen;er kann, so oft wie es ihm beliebt, in eine andere Tonart ausweichen, und in dieseroder jener so lang verweilen und moduliren, wie es ihm gefallt oder behagt. Ganz andersverhalt es sich aber, wenn der Tonkiinstler nach dem ihm vorgelegten Texte setzensoil. Hier kann er seiner Einbildungskraft nicht so unbedingt freien Lauf lassen, ohnedurch den vorgeschriebenen Text geleitet zu werden. Die Empfindungen seiner Ein-bildungskraft diirfen einzig und allein nur durch den Stoff des Textes in Bewegunggesetzt werden, wenn er nicht im Gegentheil Gefahr laufen will, gar bald mit demSinne des Textes zu kontrastieren, usw.

Die heilige Schrift ist hier mein Text. Ich kann weder zur Linken noch zur Rechtenabweichen. Ich muss mich daher sorgfaltig bestreben, nur das, was in ihr und nichtdas, was in mir liegt, zu erlautern; ich muss nur sie und nicht mich erklaren. — Ichversuchte es zwar zu verschiedenen malen, und erklarte eine und die andere Stellenach meinen eigenen Grundsatzen, nach meinem eigenen Systeme: allein in einemAugenblicke war ich aus dem Geleise gedreht, und sahe die nachst darauf folgendeStelle mit meiner Erklarung im Widerspruche. So oft ich also diesen Versuch unter-nahm, gewann ich weiter nichts dabei, als dass ich immer drei oder vier Schritte wiederzuriick thun musste, nachdem ich vorhin einen Schritt vorwarts gegangen war. —

Eben so ist die Harmonie der Mystik mit dem geistigen Inhalte der heiligen Schriftnichts weniger, wie ein Ungefehr oder willkiihrlich. — Die Mystik ist an und fur sichein vollstandiges System, das nur die heilige Schrift zur Basis hat, mit der sie auchso sehr verbunden ist, dass ohne Mystik iiber den geistigen Sinn der vorzuglichstenStellen in der heiligen Schrift, ein Schleier, ein undurchsehbares Dunkel schwebt;dass aber auch im Gegenteil, ohne die reine Quelle der heiligen Schrift, die Mystikein trockenes nichts entsprechendes Wesen, ein Wesen ohne Leben, ein Fantom ist,

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Page 32: Ein verschollener judischer Mystiker der Aufklarungszeit: E. J. Hirschfeld

278 Gershorn Scholemund alsdann erst anfangt Realitat zu werden, in wie fern die heilige Schrift ihr Leit-faden ist. — Die heilige Schrift ist gleichsam die Kapelle, worauf der Gehalt der soverschiedenen willkiihrlichen mystischen Privatarbeiten genau gepriift werden muss,die sie, wenn sie nicht feuerbestandig sind, gar bald in unniitzen Schlacken wiederauswirft. — Uberhaupt ist die Mystik bei diesem Werk nur eine Zugabe fur diejenigen,welche in diesem Fache schon gearbeitet haben, wenigstens nicht ohne gehorige Vor-kenntnisse vorbereitet sind.

Und nun etwas naher zum Endzwecke dieser AnzeigelEs ist einmal Sitte, dass alles, was dergestalt offentlich im Publiko erscheint, sich

auch der offentlichen Prufung und Beurtheilung aussetzen muss. Ich kann daher nichtumhin, vorlaufig zu erinnern, dass ich nicht nur diese Prufung und Beurtheilung nichtscheue, sondern ich halte auch noch daftir, dass eine freie unbefangene Prufung undBeurtheilung eines jeden Werkes, eine fur das denkende Publikum sehr wohlthatigeund verdienstvolle Arbeit sey, je nachdem dasjenige, was gepriift und beurtheilt werdensoil, auch von einer jeden Seite nicht obenhin, sondern mit Anstrengung und Fleissdurchdacht wurde. — In dieser Hinsicht gebe ich nun den Plan und die Categorienhin, die dieses Werk in seinem Schose einschliesst. Ich werde daher einem jeden Recen-senten, dem es mit mir darum zu thun ist, Wahrheiten von einem so seltenen Gehalte,und Aufklarung tiber einen so ausserst sublimen und interessanten Gegenstand nichtnur auszubreiten, sondern auch zu priifen und zu reinigen, den warmsten und gefuhl-vollsten Dank wissen. Nicht wohl aber denen, welche bei der Prufung und Beurtheilungeines Werkes erst ihr Compendium, ihre Lieblingsideen, oder ihr Lieblingssystem zuRathe ziehen; die allenthalben nur sich und nicht mich horen — die endlich nur sichund nicht mich lesen mogen. Am wenigsten aber werde ich denjenigen Dank wissen,welche zwar weder eins noch das andere thun, deren Geschaft aber nur platterdingsdahin absiehet, Verwirrung und unnutze Streitigkeiten zu erzielen.

Damit aber nicht jemand die Realiibersetzung des ersten Heftes und das bei derGenesis unvermeidliche Spekulative zum Maasstabe des ganzen Werkes annehme, sokommt endlich noch zu erinnern, dass nur die 3 oder 4 ersten Kapitel der Genesis, dieLehre der Priester und der Opfer, die verschiedenen Gebote und Verbote, die Theoriedes Tempelbaues und der Stiftshutte, die Beschaffenheit des Urim und Thummim,der Grund der verschiedenen Ceremonial-, Ritual-, Moral-, und Judicialgesetze, die-jenigen Gegenstande sind, welche denen gewiss nicht zu weitlaufig, zu ausgedehnt undzu speculativ erklart werden konnen, welchen daran gelegen ist, diese so wichtigenMaterien nicht oberflachlich, sondern wesentlich und nach all ihren eigentlichen Ver-haltnissen zu durchdringen.

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