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Schlesischer Gottesfreund ISSN 1861- 9746 Verkaufspreis: 3,– Euro H 6114 63. JAHRGANG – OKTOBER 2012 – NR. 10 NACHRICHTEN UND BEITRÄGE AUS DEM EVANGELISCHEN SCHLESIEN Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Christus 1. Korinther 3,11 Spruch am Reformationstag Kanzel in der Kapelle von Schloß Carolath Foto: H. Wenske

Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, … 2013... · 2016-06-20 · 146 Geistliches Wort Martin Luther hat nie das Reformationsfest gefeiert. Er hatte am

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Schlesischer GottesfreundISSN 1861- 9746 Verkaufspreis: 3,– Euro H 6114

63. JAHRGANG – OKTOBER 2012 – NR. 10

NACHRICHTEN UND BEITRÄGE AUS DEM EVANGELISCHEN SCHLESIEN

Einen anderen Grund kann niemand legen

als den, der gelegt ist, welcher ist Christus

1. Korinther 3,11Spruch am Reformationstag

Kanzel in der Kapelle von Schloß Carolath Foto: H. Wenske

Page 2: Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, … 2013... · 2016-06-20 · 146 Geistliches Wort Martin Luther hat nie das Reformationsfest gefeiert. Er hatte am

146 Geistliches Wort

Martin Luther hat nie das Reformationsfest gefeiert.Er hatte am Tag vor dem 1. November keinenfreien Tag. Wenn es nicht gerade ein Sonntag war,

dann ging er an diesem Tag ans Lehrpult und zu denBüchern und zu den Leuten. Bei Tische sagte er vielleichtgerade an diesem Tag: „Wie kompts, das der erste trunckaus der Kanne am besten schmeckt?” Und am Abend ginger zeitig zu Bett. Denn das Licht der Kerzen und Fackelnmachte schnell müde. Einen Lutherfilm im Fernsehenkonnte er nicht sehen. Aber ein Gebet, das sprach er amAbend: Daß Gott ihm vergebe alle seine Sünden und daßFrieden werde - und daß er schauen dürfe einmal, was ergeglaubt hat. Einen Gute-Nacht-Kuß gab es für die Kinder– und die Freude am Zusammensein mit Katharina. Ganzübermütig konnte er mal seinem Gegner Cochläus zurufen:„Ich liege oft bei einer schönen Frau im Bett, bei meinerKäthen. Wenn das Cochläus wäre, sollt er nicht lebendigaufstehen.”

Und dann war er wohl manchmal auch schlaflos in derNacht zwischen dem 31. Oktober und dem 1. November.Denn am 1. November war Allerheiligen, da hatte er zupredigen. Und, wie heißt es in einer Tischrede? „Luthersagte, er sei oft im Schlaf gequält worden, weil er predigensollte – und kein Konzept hatte.” Aber dann kam ihmPsalm 4 Vers 9 zu Hilfe: „Ich liege und schlafe ganz mitFrieden, denn allein du, Herr, hilfst mir sicher wohnen.”

Wie gesagt, Luther hat nie Reformationstag gefeiert.Den hat erst 1667 Georg II. von Sachsen eingeführt. Unddann war es das Reformationsfest von 1817 mit der Abend-mahlsgemeinschaft am Hof Friedrich Wilhelm III. inPotsdam: Lutherische und Reformierte empfingen zum er-sten Mal in einer 300jährigen Geschichte gemeinsam dasHeilige Abendmahl. Und die Zuversicht war da in allenTeilen Preußens, die Zuversicht war da auch an vielen Or-ten in Schlesien: Nie wieder soll Zank sein zwischen denKindern der Reformation. Gut soll es sein, miteinander zuleben und zu feiern, Lutherische und Reformierte in einerKirche. Die Reformation wird vollendet, wo wir uns nichtgegeneinander abgrenzen, sondern miteinander evange-lisch sind. Miteinander evangelisch sein – das ist ganz undgar das Anliegen, das protestantische und das ökumenischeAnliegen dieses Feiertages.

Luther hat ihn so nie kennengelernt. Aber es wäre ganzin seinem Sinne und nach seinem Herzen gewesen, diesenTag als Feiertag zu begehen. Nicht als Tag für die großenReden oder die markigen Sprüche, nicht als Tag vonSelbstgerechtigkeit und Abgrenzung. Aber als einen Tagfür die Armen, für die, die so umgetrieben und elend sind,als Tag für die Traurigen und Leidtragenden, als Tag für dieSanftmütigen und die Barmherzigen, als Tag für die, diehungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, als Tag fürdie, die reinen Herzens sind – für die Friedfertigen. Daswäre ganz in Martin Luthers Sinne gewesen, daß heute das

alte Evangelium von Allerheiligen, das alte Evangeliumdes 1. November auch schon einen Tag davor gelesen wird.An einem neuen Feiertag, der einfach da ist für die Müdenund Ausgegrenzten, für die Bedrückten und Zweifler, da istauch für alle, die einem anderen Kraft geben und einLeuchten in die Augen und Freude ins Herz:

Selig sind, die da geistlich arm sind;denn ihrer ist das Himmelreich.Selig sind, die da Leid tragen;denn sie sollen getröstet werden.Selig sind die Sanftmütigen;denn sie werden das Erdreich besitzen.Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit;denn sie sollen satt werden.

Ja, dies ist ein Tag, um Gott alles hinzuhalten, all das hin-zuhalten, was unser Herz so schwer macht, so verzagt. UmGott hinzuhalten auch unsere ganze Sehnsucht: nachGlück, nach Gerechtigkeit, nach Frieden. Das ist ja so gut,wenn wir all das nicht verdrängen müssen, wenn es da seindarf, vor Gott da sein darf. Da läßt uns dieser Tag einfachsagen: Sieh doch, Gott, wie ich dran bin. Bitte, sieh uns an!Da dürfen wir sagen: Sieh doch, Gott, wie es uns drückt,das Leid, das wir tragen. Sieh doch, Gott, wie unsereSanftmut immer wieder auf Unmut trifft. Und sieh, wie wirhungern und dürsten nach Gerechtigkeit!

Die Worte der Seligpreisungen Jesu sind ja in ganzbesonderer Weise Worte vom Ansehen: Vom Ansehen, dasdenen geschenkt wird, die sich selbst unansehnlich sind;vom Ansehen, das denen gilt, die sonst eher belächelt wer-den; vom Ansehen, das den Geduldigen und Barmherzigen,den Weinenden und den mit wundem Herzen für dieGerechtigkeit Streitenden gilt. Glanz erhält und Glanz hatdas, was nicht im Glimmer dieser Welt steht.

Und wie die Worte der Seligpreisungen Worte vomAnsehen, von einem wahrhaft verwandelnden Ansehensind, so sind auch die reformatorische Theologie und derreformatorische Glaube eine Rede vom verwandelndenAnsehen, das uns von Gott geschenkt wird und das wirweiterschenken dürfen. Ganz im Zuge der Bergpredigt,ganz im Zuge der Seligpreisungen Jesu hat das der nochjunge Martin Luther 1518 bei der Heidelberger Disputationauf diesen Satz gebracht: „Gott sieht einen Menschen nichtan, weil er schön ist, sondern das macht einen Menschenschön: Daß Gott ihn ansieht.” So gilt: Schön bist du,Mensch, in deinen Tränen und in deiner Schwachheit;schön im Alter, wenn das Tun nicht den Vorrang hat, son-dern das Erinnern und Erwarten; mit Glanz begabt, auchwenn das Licht der Augen nachläßt; schön ist das Leben,das wird; schön bist du, Mensch: weil von Gott angesehen.Es war gerade die Niedrigkeit des Menschen, an der MartinLuther das gelernt hat. Es waren die Worte einer Mutter –und die Worte ihres Kindes, durch die Martin Luther etwas

Angesehen werden und angesehen sein ...EEiinnee PPrreeddiiggtt zzuumm RReeffoorrmmaattiioonnssttaagg mmiitt MMaatttthhääuuss 55,,33ffff

HANS-WILHEM PIETZ

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BEITRÄGE 147

gelernt hat vom verwandelnden Ansehen; die Worte desLobgesangs der Maria und die Worte der SeligpreisungenJesu. „Selig sind, die da geistlich arm sind” – diese WorteJesu klingen für Martin Luther zusammen mit dem Ruf sei-ner Mutter Maria: „Herr, du hast die Niedrigkeit deinerMagd angesehen.” Die Mutter singt: „Gott hat dieNiedrigkeit seiner Magd angesehen, siehe, von nun an wer-den mich selig preisen alle Kindeskinder.” Und sie singtvon dem Gott, der Barmherzigkeit gewährt, der dieGewaltigen vom Thron stößt, die Hungrigen füllt mitGütern und seiner Barmherzigkeit gedenkt. So singt dieMutter. Und der Sohn spricht: Selig die Barmherzigen,

selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, seligihr Armen: euch gehört das Ansehen, das die Welt verwan-delt und seinen Platz im Himmel hat.

An der Niedrigkeit des Menschen hat Martin Luther etwasvom verwandelnden Ansehen gelernt. Vom Schön-Werdenund Gut-Werden: Du bist angesehen – und: sieh an – siehdoch an – schau nicht weg – geh nicht vorüber!

Selig seid ihr: so – und dann.

Amen.

Gedanken zum Reformationsfest 2012DR. HANS-ULRICH MINKE

Neuerdings ist oft in Kirchenkreisen zu hören:Angesichts der geänderten Lebensbedingungen im21. Jahrhundert brauchen wir einen neuen Luther –

einen Luther, der uns hilft, an den dreieinigen Gott zu glau-ben und ihm zu folgen und der dazu beiträgt, daß dieKirche menschennäher, lebendiger und attraktiver wird.Gehofft und gewünscht wird also, daß sich unter den Be-dingungen unseres Jahrhunderts Aufbruch und Erneuerungwiederholen, die Luther 1517 einleitete, als er seine 95Thesen veröffentlichte und zur Diskussion stellte.

Es ist Zeit, darüber nachzudenken, was uns Luther unddie von ihm ausgelöste Erneuerungsbewegung bedeuten. Invier Wochen – am 31. Oktober – feiern evangelische Chri-sten das Reformationsfest – mehr noch: Sie bereiten sichzusammen mit einer interessierten Öffentlichkeit auf das500jährige Jubiläum des Thesenanschlages im Jahr 2017vor und müssen eine der Gegenwart entsprechende Stand-ortbestimmung versuchen.

Fraglos haben sich die kirchlichen und gesellschaft-lichen Verhältnisse gegenüber 1517 verändert. Die katholi-sche Kirche von damals, in der Luther Priester war, ist eineandere geworden, und die evangelische Kirche hat sich seitihrem Bestehen auch verändert. Und so jemanden wie denDominikaterpater Johannes Tetzel, der 1517 im branden-burgischen Jüterbog – also außerhalb des KurfürstentumsSachsen – Luthers Beichtkindern Ablaßbriefe verkaufteund damit dessen Seelsorge störte, gibt es auch nicht mehr.Hat nicht Luther in seiner 27. These zu Recht festgestellt:„Menschliche Gedanken predigen diejenigen, die sagen:Sobald die eingeworfene Münze im Kasten klingt, fliegtdie Seele aus dem Fegefeuer in den Himmel.” Das ist vor-bei. Dagegen gilt für alle Christen - nach 500 Jahren immernoch – die erste The-se Luthers: „Da unser Herr undMeister Jesus Christus sagt: Tut Buße usw. (Mt 4, 17) woll-te er, daß das ganze Leben der Gläubigen Buße sein sollte.”Unser Verhältnis zu Gott steht also für Luther auf demPrüfstand, und die Christen seiner Zeit dürften das gespürt

haben; nur so ist zu erklären, dass Luthers Thesen eineVolksbewegung auslösten und daß zum Beispiel unsereVorfahren in Nieder- und Oberschlesien am Ende der Re-formationszeit 1560 zu 90 % evangelisch-lutherisch warenund nach der gewaltsam durchgeführten Gegenreformation1740 noch zu 50 % evangelisch geblieben sind. Und ver-gessen wir nicht, daß „Luthers Lehr” unsere Vorfahren zueiner Fülle von Kirchenliedern motiviert hat, mit denen siean ihrem Glauben festgehalten haben.

Selbstverständlich muß in einem Gedenkartikel zurReformation daran erinnert werden, dass 500 Jahre Kir-chengeschichte Spuren hinterlassen haben, daß sich Ge-gensätze entschärft haben, daß neue Gegensätze hinzugekommen sind, daß sich die Frömmigkeit verändert hatund daß sich z.B. das Verhältnis von katholischen undevangelischen Christen zu einem bewußten ökumenischenMiteinander in der säkularen Gesellschaft gewandelt hat.Namhafte Mitglieder beider Kirchen haben Anfang Sep-tember daran erinnert. Bei all dem ist allerdings darauf zuachten, daß die Grundanliegen Luthers nicht verlorengehen, daß also das biblische Evangelium Fundament undRichtschnur bleibt, daß Gottes Gnade alleinige Basischristlicher Existenz ist und daß christliches Leben in JesusChristus seine Leitfigur hat. Nirgends kommen dieseGrundanliegen Luthers so präzise zur Sprache wie am 18.April 1521 in den Schlußsätzen seiner Rede vor demReichstag in Worms: „… wenn ich nicht überwundenwerde durch die Zeugnisse der Heiligen Schrift oder durchevidente Vernunftgründe …, bin ich durch die von mirangezogenen Schriftstellen besiegt und das Gewissen ist imWort Gottes gefangen und ich kann und will nicht irgend-etwas widerrufen, weil es wieder gefahrlos noch heilsamist, gegen das Gewissen zu handeln. Ich kann nicht anders;hier stehe ich. Gott helfe mir. Amen.”Solche Konsequenz, solche Glaubenstreue und solcheTapferkeit sind Tugenden, die Christen im 21. Jahrhundertgut anstehen, und Luther ist dafür Vorbild.

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BEITRÄGE148

Johann Christian Günther wurde am 8.April 1695 inStriegau geboren, unter dem Zeichen der Venus, wie er ein-mal später schreibt. Es war eine schwierige Geburt und erhatte zeitlebens eine schwache Konstitution. Sein VaterJohann Günther stammte aus Aschersleben, im östlichenVorharz. Er hatte in Leipzig Medizin studiert und dort dasExamen eines Physikus, die untere Stufe eines Arztes,absolviert. Seinerzeit kostete die „Doktor-Prüfung”, diePromotion, 150 Gulden, ein Betrag, den er, aus ärmlichenVerhältnissen stammend, nicht aufzubringen vermochte. Soarbeitete er in Striegau und den umliegenden Dörfern alsPhysicus und Invalido-Physicus. Ihm gehörte ein Haus mitGarten und einen weiteren Garten besaß er außerhalb derStadtmauern. Er galt als experimentierfreudiger Garten-fachmann, Wetterbeobachter und überdies als Freund derAntike. In einer in Leipzig und Bautzen erscheinendenZeitschrift wurden seine Wetter-, Gartenberichte und natur-wissenschaftliche Aufsätze über viele Jahre hin veröffent-licht. Auch war er nach der Vertreibung der protestanti-schen Pastoren nach dem 30jährigen Krieg heimlicherLaienseelsorger der Evangelischen in Striegau.

Die Mutter Anna, geb. Eichbänder, stammte ausBreslau. Sie war die Tochter eines Rechnungsführers beider Herzoginwitwe in Öls-Bernburg. Oft kränklich, mußtesie von ihrem Mann fast ständig aufwendig behandelt wer-den und hat wenig Einfluß auf die Erziehung ihres Sohnesausgeübt.

Striegau wies damals noch zahlreiche Ruinen aus dem30jährigen Krieg auf. Früher war die Stadt bekannt durchgutes Weißbier, Leinwand und die medizinische Heilerde,die kaiserlich anerkannt war und gegen Ruhr undAugenkrankheiten verwandt wurde.

Johann Christian hatte noch eine drei Jahre jüngereSchwester Johanna Eleonore; daneben gab es im Hausnoch die alte Grete, deren Lieder einen starken Eindruckbei ihm hinterließen und dann gabe es da noch Anna MariaRheinfelden, vielleicht die Tochter einer Magd, die gleich-altrig, einige Jahre mit Johann Christian aufwuchs.

Die Taufe des Jungen fand in Gränowitz bei Liegnitzstatt, weil auf Anordnung des Kaisers in den Erbfürstentü-mern Schweidnitz und Jauer den Protestanten 1653/54 alleKirchen weggenommen worden waren, so auch in Striegau.Taufpaten waren Frau Röhn, Frau des Striegauer Apothe-kers, Herr von Roy auf Halbendorf und Pastor Hänel inGränowitz.

Der Vater übernahm die Erziehung seines Sohnes.Pädagogisch bemüht, lehrte er ihn Latein und Griechisch.Bald konnte der Sprachbegabte Ovid und Vergil lesen. Aberauch Botanik und Zoologie brachte er ihm im Garten näher.Der wißbegierige Knabe las viel und auch Bücher, die ihmder Vater nicht gegeben hatte. Es setzte gelegentlich Prügelwegen seines Ungehorsams. Da der Vater oft in den Dör-

fern seines Bezirks unterwegs war, blieb Johann Christianviel Zeit für sich. Während seine Spielkameraden nur sehrmühsam lesen konnten, schaffte er es sogar, die lateini-schen Gedichte in deutsche Verse zu übersetzen und eigeneGedichte zu verfassen. Das erzürnte den Vater noch mehrund er versuchte ihm mit Strenge die brotlose Kunst auszu-treiben. Welch Paradoxum: Einerseits hatte ihm der Vaterdie Liebe zur höheren Wissenschaft eingeimpft, anderer-seits wollte er aus ihm einen braven Handwerker machen,da es ihm am Geld mangelte, dem Sohn ein Studium zufinanzieren. Dieser Zwiespalt machte aus dem eigentlichgehorsamen Sohn zeitweise einen widerspenstigen, derheimlich und mit schlechtem Gewissen las und dichtete.

Johann Christian GüntherAbb .aus: „Gedichte, 6. Aufl. Breßlau und Leipzig, 1764”

Markt und Rathaus von Striegau um 1830

„Endlich bleibt nicht ewig aus; Endlich wird der Trost erscheinen...”JJoohhaannnn CChhrriissttiiaann GGüünntthheerr –– LLeebbeenn uunndd WWeerrkk

CHRISTOPH SCHOLZ

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Eine Art von Schwermut wegen der fehlenden Schulbil-dung überkam den Jungen und entfremdete ihn mehr undmehr vom Vater. Dann war das Gebet für ihn eine Zuflucht.Die Mutter fand ihn einmal auf einer wüsten Stelle hinterdem Haus knieend und hörte, wie er Gott mit erhobenenHänden flehentlich bat, „daß er doch Mittel und Wegeschicken wolle, bei dem Studieren fort zu kommen.”(Steinbach 7f., Krämer II,174)

Da kam unerwartet Hilfe: Der wohlhabende, berühmteSchweidnitzer Arzt Dr. Thiem, der in Leipzig studiert, inLeyden promoviert hatte und den Titel kaiserlicher Leib-arzt tragen durfte, kam durch Striegau und traf sich mit sei-nem Kollegen Johann Günther, der ihm das Problem mitseinem Sohn darlegte. Dr. Thiem versprach, wenn derJunge nach Schweidnitz käme, werde er ihn in seinemHause aufnehmen und für Mittagstisch bei vornehmenBürgern sorgen.

Das Gebet spielte bei Johann Christian und darüber hin-aus noch einmal eine wichtige Rolle. Als der Schwedenkö-nig Karl XII. 1707 mit seinem Heer vor Striegau auftauch-te, begann auch dort das Kinderbeten fiir die Rückgabe derevangelischen Kirchen und Gründung von Schulen beiihnen. Täglich zweimal oder gar dreimal versammelte sicheine große Menge von Kindem zwischen vier und vierzehnJahren auf freiem Feld vor der Stadt. Sie stellten sich imKreis, sangen und beteten. Günther war ihr Anführer; ersprach die Liedertexte und Gebete vor. Viele Pastorenwandten sich dagegen. Sie hatten Angst vor Unruhen undkaiserlichem Einschreiten. Der Erfolg des Schwedenkö-nigs in Altranstädt wirkte dann allerdings wie eine Gebets-erhörung. Die Erinnerung daran spiegelt sich in einemGedicht Günthers wieder:

„Der Schweden Bey+piel weckt einmahlIn uns viel Andacht+flammen,Wir knieten in gehäufter ZahlAuch öffentlich zu+ammen;Der Eifer war mehr Ern+t als Schein

Und un+er täglich Himmel+chreynhat etwa auch viel PlagenDes Vaterlands ver+chlagen.

Auf Grund der Vereinbarung des Königs mit dem Kaiser inAltranstädt durften nicht nur sechs Gnadenkirchen gebautwerden, sondern die drei Friedenskirchen in Glogau, Jauerund Schweidnitz bekamen Schulen. Die Führungsschichtin Schweidnitz gründete 1707 sehr schnell ein Schulkol-legium und schon im Oktober eröffnete die Schule, im Ja-nuar wurde sie mit einer lateinischen Rede des Rechts-gelehrten Milich feierlich eingeweiht.

Als Johann Christian 1709 dem Schulrektor Leubscherzur Prüfung vorgestellt wurde, staunte er nicht schlechtüber dessen Kenntnisse und nahm ihn sofort in seineOberklasse auf, in der er auch selbst unterrichtete.Leubscher, ein gebildeter, einfühlsamer und großzügigerPädagoge, förderte den Jungen sehr. Dr .Thiem hielt seinVersprechen und nahm ihn in seinem Haus auf. Sein eige-ner Sohn besuchte ebenfalls die Gnadenschule vor derStadt. Durch den wechselnden Mittagstisch kam er auch inandere Häuser der Schweidnitzer Bildungsschicht, z.B. indas der Advokaten Milich, Vater und Sohn, des ArztesJachmann und des Diakons und Lehrers Scharff. In diesenFamilien konnte er deren Bibliotheken nutzen und war oftabends Hörer gelehrter Gespräche.

Die Neugründung Gnadenschule zeigte sich nicht alsübliche Paukschule, sondern man bediente sich mehr derMethoden des Sokrates. Sie förderte, besonders in derOberstufe, die Schüler mit Aufgaben, die mit ihremAlltagsleben zu tun hatten, also z.B. die Umsetzung derantiken Vorlagen in die Welt des 18. Jahrhunderts.Lehrpläne Leubschers sind erhalten. Er ließ den Schülerneine gewisse Freiheit und erzog sie zu selbständiger Arbeit.Günther wurde sehr schnell zum Sprecher der Schüler. Erverfaßte immer wieder zu Namensfesten Gedichte als Dankfür seine Lehrer und Förderer. Seine Lehrer verfaßten klei-

Schweidnitz um 1635, Stich von Merian (Ausschnitt)

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ne Theaterstücke, bei denen Günther wegen seiner schnel-len Auffassungsgabe gern größere Rollen übernahm. Dafürund für manche Gedichte bekam er mehrere Aus-zeichnun-gen. Als Beispiel ein geistliches Lied aus seinerSchülerzeit:

Endlich bleibt nicht ewig aus;Endlich wird der Tro+t er+cheinen;Endlich grünt der Hoffnung-Strauß;Endlich hört man auf zu weinen,Endlich bricht der Thränen Krug;Endlich +pricht der Tod: Genug!

Endlich, endlich kan der Neid,Endlich auch Herodes +terben;Endlich Davids Hirten-KleidSeinen Saum in Purpur färben.Endlich macht die Zeit den SaulZur Verfolgung +chwach und faul.

Endlich wird aus Wa++er Wein,Endlich kommt die rechte Stunde;Endlich fällt der Kercker ein;Endlich heilt die tieff+te Wunde,Endlich macht die Sclavereyden gefangnen Jo+eph frei.

Endlich nimmt des Lebens-Lauffun+ers Elends auch ein Ende;Endlich +teht ein Heiland auf,der das Joch der Knecht+chaft wende;Endlich machen viertzig JahrDie Verheißung zeitig wahr.

Endlich blüht die Aloe;Endlich trägt der Palm-Baum Früchte;Endlich +chwindet Furcht und Weh;Endlich wird der Schmerz zu nichte,Endlich +ieht man Freuden-Thal,Endlich, endlich kommt einmahl.

Er soll nach Aussagen von Mitschülern nicht überheblichgeworden sein. Auch mit den Eltern hielt er ständigenKontakt durch Briefe und brachte an Festtagen kleineGeschenke mit.

Bemerkenswert war, daß Günther nach einer antikenGeschichte in Prosa ein Theaterstück in Versen dichtete,wohl auf Anregung seines Lehrers Leubscher: die Eifer-suchtsgeschichte zwischen dem antiken Kaiser Theodosiusund seiner Frau Eudokia. Das Stück in 5 Akten wurde mit80 Schülern aufgeführt. Es endet mit einem Lobgedicht aufKaiser Karl VI. Die Aufführung bedeutete zugleich denAbschied Günthers aus Schweidnitz und auch den Ab-schied von zwei Liebesgeschichten. Deren erste rankte sichum Namen Flavia oder auch Florette. Diesen prosaischenNamen verlieh einem Mädchen, die eigentlich wohl AnnaMaria Rheinfelden hieß und die bei seinem Schulfreundvon Bock Magd und Viehhirtin auf Gut Roschkowitz bei

Nimptsch war. Jedesmal wenn er dort von Frau von Bockin den Schulferien eingeladen war, genoß er mit Flavia/Anna Maria die erste Liebe, mitten in ihrem Hirtendasein.Das versetzte ihn in die vergleichbare Stimmung der anti-ken Hirtengedichte von Theokrit und Vergil. Als diese ersteAngebetete stirbt verfaßt Günther zwei Klagelieder aufihren Tod, die seinen tiefen Schmerz atmen. Die anderenGedichte für sie sind verloren gegangen.

Die zweite fast lebenslange Liebe war Leonore,Eleonore Magdalena Jachmann, die zweitälteste Tochtereines Schweidnitzer Arztes, 1689 geboren. Alles zwischenihnen mußte geheim bleiben: die vielen Treffen, dasLiebesglück an versteckten Plätzen, die Verlobung und dieGedichte, die ihr inniges Verhältnis widerspiegeln. Leonoreblieb ihm treu, trotz der riesigen Hindernisse: Günther warnoch Schüler, seine Familie in Striegau gehörte nicht zuden Honoratioren, denn der Vater hatte wenig Vermögenund war zu dem schwer verärgert über die Dichtereien sei-nes Sohnes.

Da Günther im Formalen auf der Höhe seiner Zeitstand, alle barocken Stilelemente bis zur Perfektionbeherrschte und darüber hinaus – und das war das Neueund Ungewöhnliche – das ganz persönliche Erleben über-zeugend mitausdrücken konnte, war er zwar bei seinemRektor und den Honoratioren der Stadt beliebt undgeschätzt, wurde aber wegen seiner scharfen, wenn auchanonymen Angriffe auf einige Neider und einen Intrigantenin der Stadt hart angegriffen. Theodor Krause, ein dichten-der Jurist, aus Jauer stammend, hatte bei der Bewerbungum eine Lehrerstelle keinen Erfolg gehabt und war danachals Journalist tätig. Er gab ein Klatschblatt heraus, das denNamen trug: „Vergnügung müßiger Stunden OderAllerhand nützliche Zur heutigen galanten Gelehrsamkeitdienende Anmerkungen”. Hierin griff er, auch ohneNamensnennung, aber durchsichtig, den Schulrektor we-gen seiner zu großzügigen Haltung gegenüber denSchülern oder das angebliche Lotterleben einiger Schweid-nitzer Jugendlicher an und mischte den Kleinstadt-Klatschauf. Günthers zu freizügige Gedichte, die als Einzeldruckeim Umlauf waren, hatten ihm mißfallen und seine persön-lichen Anspielungen ihn getroffen. Daraus erwuchs einelange persönliche Gegnerschaft. Dem Vater in Striegauwurde alles haarklein mitgeteilt, was der Sohn für ein lie-derliches Leben führe und was für ruchlose Gedichte erschreibe. Das brachte Vater und Sohn immer mehr ausein-ander. Krause war im Schreiben durchaus begabt und ginggeschickt vor, indem er auch die lutherische Geistlichkeit,besonders den Pastor primarius der FriedenskircheSchweidnitz, Benjamin Schmolck, wegen der Moral mehrund mehr auf seine Seite brachte.

Günther hatte vor, in Frankfurt/Oder Medizin zu studie-ren, sicher auch im Blick auf seinen Vater. Da ihm dieAtmosphäre von Stadt und Universität nicht gefiel, wech-selte er nach einmonatigem Zwischenspiel nach Wittenbergund trug sich im November 1715 bei der medizinischenFakultät ein.

Redaktionell bearbeitet und leicht gekürzt; Literaturan-gaben folgen am Schluß des Aufsatzes. Fortsetzung folgt.

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I.Nachdem der „Schlesische Gottesfreund” in zwei langengelehrten Texten über die historische Bedeutung FriedrichsII. von Preußen für die evangelische und katholische Kirchein Schlesien informiert hat, soll Friedrich d. Gr. Noch einmalvon gan anderer Seite betrachtet werden. Denn in der volks-tümlichen Überlieferung hat dieser König noch ein ganzanderes Gesicht: in einer Fülle von Anekdoten, die man sichüber ihn erzählte (schon zu seinen Lebzeiten erschien einemehrbändige Sammlung bei dem durchaus geschäftstüchti-gen Berliner Buchhändler Nicolai), und manchmal weiß mannicht recht, ob sie Legende sind oder Tatsache. Wahrheit sindsie allemal - auf ihre Weise. Der Schriftleiter hat ein kleinesHeftchen aufgestöbert, in erster Auflage gedruckt 1936 inBreslau: Der Alte Fritz in Oberschlesien. Anekdoten umden Großen König, gesammelt von dem HeimatschriftstellerGeorg Hyckel, aus dem er drei Stücke hier „zum Bestengeben” möchte. G. Hyckel erzählt:

Ein Kai+erlicher wird ver+orgt

Als der Alte Fritz 1778 in das abgebrannte Neustadt kam,drängte sich ein Stelzfuß so nahe an den Wagen heran, daßder König auf ihn aufmerksam wurde.„Was will Er?” redete er ihn freundlich an.

„Majestät, ich bitte um eine kleine Versorgung, sonst mußich verhungern.” „Wo hat Er gedient?”

„Bei den Pallfyhusaren, Ew. Majestät.” „Was”, rief der König voll Staunen, „bei den Österreichern?Und da will Er eine Versorgung von mir? Gehe Er zu seiner

Kaiserin!”„Nein, Majestät”, antwortete der Invalide, „die hat mir

nichts getan, aber die preußischen Soldaten haben mir dasBein zerschossen, darum müssen auch Ew. Majestät dafüreinstehen.”

Nachdenklich blickte der Alte Fritz den Mann an; dannwandte er sich zu seinem Begleiter und lächelte: „Eigentlichhat der Kerl nicht Unrecht.”

Und so geschah es, daß der Kaiserliche fortan vomPreußenkönig eine monatliche Unterstützung empfing.

Die Goldfüch+e

Einst fuhr der König mit gewöhnlichem Bauernvorspann vonGlatz nach Patschkau. Die Wege waren spottschlecht, und sokam es, daß eins der Pferde, ein schöner Fuchs, stürzte undmit gebrochener Fessel liegen blieb.

Sein Reiter, ein älterer Bauersmann, sah bald, daß nichtmehr zu helfen war, erbat sich von einem der königlichenLeibjäger eine Pistole und schoß daß Tier tot. Er konnte nichtverhindern, daß ihm dabei die Tränen in die Augen traten.Der König hatte alles stillschweigend beobachtet, und nunforschte er: „Ist das sein einziges Pferd im Stall”

„Nein, Majestät, ich habe noch zwei andere. Aber dieseswar halt das beste.”

„Ja”, bestätigte der König, „es war ein schöner Schwarz-fuchs. Ich hab`s wohl gesehen. Aber was machen wir da? -Weiß Er was, nehme Er für seinen Schwarzfuchs dieseGoldfüchse. Diese sind auch nicht schlecht.”Damit reichte er dem beglückten Bauern zwanzig Frie-drichsdor und fuhr lächelnd weiter.

Der Raudener Wein

Die Raudener Zisterzienser hatten auf ausdrücklichesVerlangen des Königs einen Weinberg angelegt, der in derkalten Lage aber nur kümmerlich gedieh. Bei einem späterenBesuch des Klosters Rauden erinnerte sich Friedrich daranund meinte zum Abte: „Sage Er mir offen und ehrlich: trin-ken seine Mönche auch wirklich den selbstgekeltertenWein?” Darauf erwiderte der Abt: „Gewiß, Majestät, abernur in der – Marterwoche.”

Des Königs Schuldigkeit

Der Husar Knape im Regiment von Werner hatte im sieben-jährigen Kriege mit Mut und Geschick einen gefangenenpreußischen Bürgermeister aus der Hand der Österreicherbefreit. Dafür wollte ihn der General zum Offizier vorschla-gen. Doch Knape lehnte ab und erbat sich nur eine schriftli-che Zusicherung des Königs, daß er dann, wenn er nicht mehr

? Friedrich und kein Ende ! Noch einmal (zum letzten Male in diesem Friedrichs-Jahr, auf daß nicht womöglich Überdruß entstehe) soll in ganz loseaneinander gereihten Texten verschiedenen Charakters von König Friedrich II. von Preußen, Friedrich dem Großen,Friedrich dem Einzigen (so in einer schlesischen Predigt anläßlich seines Todes), dem Alten Fritz - wie hätten Sie esgerne? - geschrieben werden. -ß

Erbhuldigung Friedrichs in Breslau

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BEITRÄGE152

dienen könne, sich an den Monarchen um eine Versorgungwenden dürfe. Das wurde ihm bewilligt. Knape bestand nach-her noch manche Heldenstücke [...] Er machte auch denFeldzug von 1778 mit Erfolg mit.

Nun erst, als er die Abnahme seiner Kräfte fühlte, melde-te er sich als Invalide und bat um seinen Abschied. Bei einerBesichtigung wurde er dem König vorgestellt. Dieser erinner-te sich noch gut des Husaren und fragte, was für eine Stelle ersich nun wünsche.„Einen Zollbereiterdienst in Oberschlesien", war die Antwortdes Husaren.

„Er soll den ersten haben, der frei wird” erwiderteder König, „aber hat Er sonst keine Bitte?”

„O ja, Eure Majestät. Ich habe einen einzigen Sohn, denich für Eure Majestät erzog. Er wünscht Chirurgus zu werden,aber mir fehlen die Mittel dazu.”

„Das hat keine Not” entgegnete der König. „Ich werde fürden Jungen sorgen.”Der alte Soldat, von der Güte des Königs ergriffen, wollte sei-nen Dank sagen, doch der König unterbrach ihn freundlich:„Schon gut. Er hat nichts zu danken. Er hat mir treu gedientals ein guter Husar und seine Schuldigkeit getan. Nun halteich meine Versprechen. Das ist meine Schuldigkeit.”

Das Ge+chenk der Madonna

Es war die Zeit des Siebenjährigen Krieges. Die Österreicherwollten Neisse, das seit 1741 preußisch geworden war, durch-aus zurückerobern. Sie belagerten die Stadt und bombardier-ten sie aufs heftigste. Unzählige Kugeln beschädigten Häuserund Kirchen. Nur die Kreuzkirche in der Brüderstraße bliebvon allen Geschossen verschont. Eines Morgens fand derGlöckner nach einer schrecklichen Beschießung drei Brand-kugeln zu Füßen eines in einer Nische befindlichen Marien-bildes liegen. Viele fromme Bürger neigten dazu, den Schutzdes Gotteshauses diesem Gnadenbilde zuzuschreiben. Dank-bar schmückten sie seitdem das Bild täglich mit frischenBlumen, und reiche Frauen zierten das Gewand der Statuemit kostbaren Edelsteinen.

Da war eines Tages der kostbare Schmuck der Madonnaverschwunden, offenbar gestohlen. Ganz Neisse war empörtüber diesen Frevel. Allmählich richtete sich der Verdacht aufeinen Husaren, den man öfter, als bei einem Soldaten zu er-warten war, betend vordem Bilde gesehen hatte. Der Verdachtbestätigte sich, als bei einer Untersuchung im Mantelsack desHusaren der vermißte Schmuck gefunden wurde. Aber derFrevler behauptete immer wieder keck, er habe das Kleinodnicht gestohlen, sondern die Madonna selbst habe es ihmgeschenkt, um seine Frömmigkeit zu belohnen. Kein Menschglaubte ihm die Ausrede, auch nicht das Kriegsgericht, dasden Husaren zum Tode durch den Strang verurteilte.

Bevor aber das Urteil vollstreckt werden konnte, mußtedie Bestätigung des Königs eingeholt werden. Die Prozeß-akten wanderten also nach Berlin. Dort bekam die Angele-genheit eine besondere Wendung. Der König ließ nämlich beidem Kirchenamt nachfragen, ob ein solches Wunder, wie esder Angeklagte behauptete, nach kirchlicher Lehre möglich

sei. Die genannte Behörde antwortete ausführlich. Sie gab dieMöglichkeit zu, sprach aber gleichzeitig die Vermutung aus,daß im vorliegenden Falle der Beschuldigte den herrschendenfrommen Glauben nur als Ausrede benutze, um sich zu retten.

Doch der König hob das Urteil auf. Er schrieb an denRand des Aktenstückes: Nach der Meinung der Kirchen-behörde kann die Behauptung des Verurteilten richtig sein.Zudem ist kein Zeuge für seine Tat vorhanden. Also kann derSoldat nicht bestraft werden. Es ist ihm aber unter Verlust sei-nes Kopfes zu verbieten, jemals wieder Geschenke von derMadonna anzunehmen.

Nachsatz: Das Büchlein hat auf dem Vorsatzblatt eine hüb-sche Widmung: 9. November 1942. Als besondereAnerkennung für fleißiges Heilkräutersammeln imKriegssommer 1942 an Elli H*. Die Führerin der J.M.Gruppe 4/823. Ilse T*., J.M.Scharf.(ührerin)

II.„Wie die Krehlauer preußisch wurden.” Dazu muß manzunächst wissen, daß die Krehlauer gut katholisch und gutkaiserlich-österreichisch gesinnt waren.

Und weil auch das nicht jeder selbstverständlich wissenmuß: Krehlau ist ein Dorf knapp auf halbem Weg zwischenSteinau und Winzig. Schon im Jahre 1305 ist es als Kirchdorfgenannt, und weil das Gotteshaus Bischöflich-Breslauer Be-sitz war, blieb es mit den Dorfbewohnern eine kleine katholi-sche Insel im lutherisch gewordenen Fürstentum Wohlau. Dagab es natürlich mancherlei Ängste, ob die Glaubensunter-drückung unter dem neuen evangelischen Landesherrn mitnun umgekehrtem Vorzeichen fortdauern würde.

Aber lesen Sie selbst – und erfahren nebenbei noch, wasder Bethausbau in Wischütz mit dem Teufel zu tun hat. DerText ist ein Zufallsfund, zuerst gedruckt in: Heimatblätter desKreises Wohlau, Jg. 9,1930 Nr. 9. Also:

WWiiee ddiiee KKrreehhllaauueerr pprreeuußßiisscchh wwuurrddeenn

Der Ausgang des siebenjährigen Krieges hat aus preußischerSeite ebensoviel Jubel und Begeisterung über den GewinnSchlesiens hervorgerufen wie Trauer und Verstimmung überdessen Verlust bei den Österreichern. In zwei solche Gruppenteilten sich die Schlesier selbst. Große Kreise gingen mit freu-diger Zustimmung und zuversichtlichem Vertrauen zumneuen Staate über, andere, und darunter aus leichtverständli-chem Grunde die Katholiken sahen zum mindesten mitabwartender Zurückhaltung in die Zukunft. Auch hoffte maninsgeheim, daß Schlesien schließlich doch wieder habsbur-gisch würde.

Als Anhänger solcher Ideen können auch die Krehlauerwährend und kurz nach dem siebenjährigen Kriege gelten.Zwar sind sie vom Kriege selbst verschont geblieben, dafürließen aber die preußischen Verordnungen und Erlasse einenneuen Geist, einen strafferen Zug im ganzen Verwaltungs-körper fühlen, der nicht dazu angetan war, ihre Herzen imFluge zu erobern. Denn es bleibt doch immer wahr, wenn

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BEITRÄGE 153

man jemand aus seiner bequemen Ruhe. in der er dahinlebt,plötzlich aufrüttelt, erregt man zumeist Mißstimmung. Kamnoch hinzu, daß der Preußenkönig ein Andersgläubiger war,so wird man jene unzufriedene Stimmung wohl begreifenkönnen.

Zum Glück aber lag die Seelsorge dieser Zeit in den denk-bar besten Händen. Pfarrer Schaff war eine Persönlichkeit,die ihre Vorgänger an Arbeitskraft und Geist bei weitem über-traf. Er war der erste Krehlauer Pfarrer, dessen Gesichtskreisnicht mit den Grenzen seiner Pfarrei endigte, sondern der anden Ereignissen seiner Zeit innerlich teilnahm und sie sorg-fältig in sein Annalenbuch eintrug. Naturgemäß war er mitLeib und Seele Österreicher, der sein geliebtes Schlesienösterreichisch erhalten sehen möchte. Diese seine geheimeHoffnung flackerte jäh wieder auf bei der ThronbesteigungJosephs II. (1765), wo er nach einem kurzen Bericht dieserTatsache die wenigen Worte hinzufügt: „O silesia felix teexspectat eventus!” (O Schlesien, dich erwartet ein glückli-ches Ereignis). Mit Liebe und Verehrung hing er an seineralten Kaiserin Maria Theresia, der er bei ihrem Tode (l780)einen wehmütigen Nachruf widmete.

Trotz seiner Anhänglichkeit an sein altes Herrscherhauskonnten aber die Taten und vor allem die Gesinnung despreußischen Königs nicht unbeachtet an ihm vorübergehen.Schritt für Schritt eroberte sich dieser geniale Geist das Herzdes alternden Mannes, für den es hauptsächlich darauf an-kam, den Katholiken keine Schwierigkeiten in der Ausübungihrer Religion bereitet zu sehen. Aber die großzügige Duld-samkeit des Königs bereitete nicht nur ihm große Freude,sondern, wenn man ihn als Sprachrohr seiner Gemeinde gel-ten läßt, auch dieser.

Zweimal hatte die Wischützer Kirchgemeinde mit ihrerGutsherrschaft an den König ein Gesuch gerichtet, in dem sieum die Rückgabe der Wischützer Kirche bat, die ihr aufGrund des Westfälischen Friedens (1648) wieder entzogenworden war. Beim ersten Male hielten Abgeordnete persön-lich beim König darum an. Man merkt noch heute die FreudePfarrer Schaffs, wenn er in sein Annalenbuch eintragen konn-te: „Friedrich aber antwortete königlich: Ich bin nicht gekom-

men Kirchen, sondern das Land einzunehmen”. DieWischützer wiederholten später ihr Gesuch schriftlich, muß-ten sich aber gefallen lassen, daß der König eigenhändig anden Rand schrieb: „Die supplicanten [Bittsteller] sollen sichzum Teufel scheren und ein Bethaus bauen”. Dieses alles warGrund genug, Pfarrer Schaffs und der Krehlauer Mißtrauenzu beseitigen. Denn sie erkannten, daß die etwas schärferenVerordnungen allgemein wohltätigen Zwecken dienten unddie religiösen Fragen trotz des nicht gleichgesinnten Herr-schers keine Veränderung erfuhren. Einzig und allein diePerson des Königs bewirkte es, daß die Krehlauer mit Leibund Seele Preußen wurden. Denn sie verehrten ihn als weise,gerecht, wohltätig und freundlich, als wirklichen Landes-vater, weil er besonders den Schlesiern seine besondere Sorgeangedeihen ließ. Und diese Verehrung findet ihren Ausdruckin einer Verherrlichung Friedrichs des Großen durch PfarrerSchaff. der in sein Annalenbuch eintrug: „Wer wahreKenntnis und Klugheit besitzet, muß gewiß sagen, daß dieserKönig ein Muster der Monarchen, der Helden und Philo-sophen gewesen. Denn als Monarch stiftete er die weisestenGesetze, die nie wiederrufen werden durften, beständig zumallgemeinen Besten; als Held ist er nach Karl dem Großen dereinzigste, die Geschichte seiner Taten wird die Nachkom-menschaft davon sattsam überzeugen; als Philosoph! nichtwie es heunt viele gibt, deren Kopf voll Stroh, und die folg-lich ein schlechtes Herz haben. Friedrich aber hielt seineReligion im Innern, vor aller Welt verborgen, und zeigtedurch unzählbare, äußere Handlungen im Wohlsein, Herab-lassung und eigener Gerechtigkeitspflege wie deutlich undnach allen Umständen er sich selbst, und den geringsten sei-ner Untertanen kenne ...”Anmerkung: Die Zitate sind entnommen aus den Ortsaktendes Pfarrarchivs Krehlau. Konrad Foraita

III.Geschichte aktuell: „Alle Religionen sind gleich gut, wennnur die Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leutesind; und wenn Türken und Heiden kämen und wollten dasLand besiedeln, so wollten wir ihnen Moscheen und Kirchenbauen.”

Dieser Satz wurde vor zweieinhalb Jahrhunderten ge-schrieben, und zitiert wurde er auf einer Tagung in Berlin An-fang September, auf der sich die Vereine für Schlesische undfür Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte gemeinsamdem Thema „Friedrich II. von Preußen und die Kirchen” wid-meten. Und er zielt mitten in unsere Diskussionen über dieFrage, ob und wie weit der Islam nun zu Deutschland gehöreoder nicht. Und wie tendentiös das Erbe des Preußenkönigsoft gebraucht oder auch mißbraucht wird, zeigt sich auchetwa daran, daß die politisch „Rechtsaußen” unserer Repu-blik einerseits ihn hochhalten, andererseits aber von seinersich in jener Bemerkung vertretenen Toleranz nichts wissenwollen.

Jenseits solcher aktueller Spitzen ist historische Wissen-schaft natürlich zunächst Forschung an und Bericht über hi-storische Vorgänge; und beides wurde geleistet in vier Vor-trägen, in denen sich Prof. Dr. Johannes Wallmann (Berlin),

Protestantische Bauern, die sich gegen die Katholiken bewaffnethatten, ziehen sich auf Friedrichs Vorhaltungen hin zurück.

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Prof. Dr. Albrecht Beutel (Münster), Prof. Dr. Joachim Köh-ler (Tübingen) und Pfarrer Dr. Christian-Erdmann Schott(Mainz) mit verschiedenen Schwerpunkten der Religions-und Kirchenpolitik Friedrichs II. zuwendeten. Es mögen hiernur drei Aspekte genannt sein. Erstens: des Königs vielzitier-ter Satz, daß „jeder nach seiner Fasson selig werden” möge,der in gleicher Weise allen in einer christlichen oder auchnichtchristlichen Religion Lebenden wie aber auch allen Re-ligionsverächtern gleichen Raum gibt. Auch gilt jener Satzdurchaus nicht bedingungslos; das wurde in der Formulie-rung vorgetragen: „sie mögen glauben, was sie wollen, wennsie tun, was sie sollen”. Und was sie tun sollen, ist für denKönig auch eindeutig: ihre Steuern zahlen, die Gesetze hal-ten, ihre Arbeit tun und – ihren Militärdienst ableisten.

Friedrichs II. Stellung und Konflikt mit der katholischenKirche ist ihrem Kern nach dadurch bestimmt, daß hier einzwar aufgeklärter und toleranter, aber eben doch absolutisti-scher Herrscher in der katholischen Kirche auf eine Institu-tion trifft, deren Machtzentrum außerhalb seines Herr-schaftsbereichs liegt, in Rom, das seinem Selbstverständniszufolge sich weltlichen Herrschaftsansprüchen nicht beugenkonnte noch wollte. Des Königs Stellung zu seinen evangeli-schen Untertanen wurde vor allem aus dem Blickwinkel desvon ihm überfallartig eroberten Schlesien beschrieben. Dieevangelischen Schlesier nämlich waren seit fast einem Jahr-hundert harter gegenreformatorischer Unterdrückung ausge-setzt gewesen und mußten ihn selbstverständlich als „Befrei-er” begrüßen und feiern; für sie war er „Friedrich der Große”,„der Einzige”, geradezu liebevoll der „Alte Fritz”. Wenn sieaber der Hoffnung waren, unter dem neuen Herrscher wür-den sich nun die Verhältnisse umkehren, sahen sie sich baldenttäuscht: eine Gegenreformation mit umgekehrten Vorzei-chen fand nicht statt, wurde auch in keiner Weise geduldet.Der zweite Tag galt, bei warmem Spätsommerwetter, einereindrücklichen Exkursion „auf den Spuren Friedrichs II. insOderbruch und in die Neumark” mit der Besichtigung desSchul- und Bethauses in Neutrebbin-Wuschewier, einerFriederizianischen Siedlung im von ihm kultivierten Oder-bruch, der Schloßruine und Ordenskirche in Sonnenburg, derRuinenstadt und ehemaligen Festung Küstrin, mit derAbschluß-Andacht in der sorgfältig wiederhergestellten Kir-che von Friedersdorf nahe der durch die Abwehrschlacht imJahresanfang 1945 bekannten Seelower Höhen. Daß beideVeranstaltungstage in freundlicher, man möchte sagen: fröh-licher Atmosphäre stattfanden, widerspricht durchaus nichtder Ernsthaftigkeit der wissenschaftlichen Beschäftigung mitder gestellten Thematik: Friedrich II. von Preußen und dieKirchen.

Der Verein für Schlesische Kirchengeschichte traf sich amletzten Abend noch zu seiner Mitgliederversammlung, hörtegern, daß der Verein „grüne Zahlen schreibt”, wenn auchnicht üppige; hörte gern, daß das mehrbändige „SchlesischePfarrerbuch” nun vor baldigem Abschluß steht; hörte wenigergern, daß die Zahl der Mitglieder zwar langsam, aber stetigabnimmt; er besprach – noch ohne Festlegung auf Ort undTermin – als Thema der nächstjährigen Tagung dieBeschäftigung mit dem ersten Nachkriegsjahrzehnt der schle-sischen Kirche im „Görlitzer Kirchengebiet”. Und er

beschloß den Abend mit einem Glas Sekt: einer nachträg-lichen Gratulation zum 80. Geburtstag seines Ehrenvorsit-zenden Pfarrer Dr. Christian-Erdmann Schott.

Dietmar Neß

IV.DDaass DDeennkk –– mmaall

Sollte oder wollte ich ein Buch über Friedrich den Großenschreiben (ich weiß, die Aufgabe wäre zu groß für mich): es be-gänne mit einer Betrachtung des nachstehenden Fotos.

Man kann wohl kaum besser „ins Bild setzen”, was heute inder historischen Wertung, in der politischen Instrumentali-sierung, im allgemeinen Geschichtsbewußstein einer breitenBevölkerung wahrzunehmen ist, wenn das Gespräch auf denpreußischen König kommt, der wie wenige seine Zeit ge-prägt, seine Zeitgenossen fasziniert, die Nachwelt beschäftigthat. Zerstückelt, mehrfach gebrochen, dann wie zusammen-geflickt wirkend ein nur halbes Schulterstück eines offen-sichtlich alten, zertrümmerten Standbildes, von dem wohlauch die dunklere Hälfte des gespaltenen Gesichtes stammt,die auf einen helleren Kopf aufgesetzt ist; die Augen, diejeden Betrachter eines Friedrich-Bildes fast sugggestiv beein-drucken, die ganze Installation auf einem offensichtlich brü-chigen Sockel. In der bewußt als weites verwildertesTrümmerfeld belassenen Festung Küstrin stößt der auf histo-rischen Spuren des preußischen Königs wandernde Touristauf dieses Denk-mal ganz eigener Art. Die ganze Zwiespäl-tigkeit – weniger vielleicht des Königs selbst als seines Bil-des in der dreihundertjährigen Geschichte danach ist in ihmeindrücklich Gestalt geworden.

Dietmar NeßSelbstverständlicher Nachsatz: Das Foto, entstanden auf derberichteten Tagesexkursion, stellte uns Professor WinfriedLange, Bergisch Gladbach, zur Verfügung.

Abbildungen: S. 151 /S. 152 aus: Geschichte Friedrichs des Gro-ßen. Geschrieben von Franz Kugler. Gezeichnet von AdolphMenzel. Neue durchges. Aufl. Leipzig, 1856

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Es scheint so, als sei Karl von Holtei in Vergessenheit gera-ten. Aber wir Schlesier kennen unseren Dichter, der am 24.Januar 1798 in Breslau geboren wurde, in einem Hause, indem acht Jahre zuvor Johann Wolfgang von Goethe zweiMonate gewohnt hatte, in der Reusche-straße Nr. 45. Erstarb nach einem bewegten Leben am 12.2.1880 auch inBreslau. In seiner Heimatstadt gab eseine nach ihm benannte Holtei-Höhe aufder ehemaligen Ziegel-Bastion der altenFestungswerke. Dort befand sich auchein Denkmal von ihm in Form einerBronzebüste. Von der Holteihöhe aushatte man den schönsten Blick über dieOder hin zum Dom und der Kreuzkircheund zur Sandinsel.

In seinen Lebenserinnerungen „Vier-zig Jahre” erfahren wir Näheres überihn. Sein Vater war ein lebenslustigerHusarenoffizier; seine Mutter starb nachseiner Geburt. Karl von Holtei wird beiPflegeeltern aufgezogen, natürlich stan-desgemäß. Zunächst von Privatlehrernunterrichtet besucht er dann das Maria-Magdalenen-Gymnasium. Er berichtetsehr anschaulich über die BelagerungBreslaus durch Napoleon im Jahre 1807.Mit siebzehn Jahren meldet er sich frei-willig in den preußischen Befreiungs-krieg, ohne aber zum Einsatz zu kom-men, weil 1815 Napoleon endgültigbesiegt wird. Er legt sein Abitur ab, umanschließend Jura zu studieren. Doch viel mehr zieht es ihnzum Theater.

Ein Versspiel „Die Farben” des erst 21-Jährigen wurdeim Breslauer Stadttheater uraufgeführt, und ebenfalls mit21 Jahren debütierte er dort als Mortimer in Schillers´Maria Stuart`. Im Jahre 1821 heiratete er in erster Ehe diedamals bekannte Schauspielerin Louise Rogée. Er bekammit ihr einen Sohn und hatte die gute Stellung einesTheaterdirektors inne. Am Theater ging er aber neue, eige-ne Wege, die ihm nicht nur Lob, sondern auch harte Kritikeinbrachten, so daß er sich vom Theater trennen mußte.Seine Dramen beherrschten aber eine zeitlang die Bühnen,so „Der alte Feldherr”, „Leonore”, „Lorbeerbaum undBettelstab”, „Die Wiener in Paris” und die „Wiener in Ber-lin.”

Karl von Holtei war ein vielseitiger Mann. Er war zuseiner Zeit auch ein anerkannter Romancier. An ihmgerühmt wurde vor allem sein „Humor des Herzens”. Inseiner Poesie des Stillebens begrüßt uns oft die warmedeutsche Idylle mit ihrem ganzen Zauber; so etwa in seinenRomanen „Die Vagabunden” (vier Bände 1852), und „einSchneider” (drei Bände 1854), die eine Hinneigung zumTrivialen haben. Sein bedeutendster Roman „Christian

Lammfell” (zwei Bände 1853) enthüllt Holteis Tiefe desGemütes. „Was ihn vor anderen Romanschriftstellern aus-zeichnet, ist seine Genialität im „Naiven”, die Darstellungder Empfindungsweisen einfacher Gemüter, naiv-edlerNaturen”: so beschreibt ihn bereits 1855 der Literaturhi-storiker Rudolph Gottschall im zweiten Band seiner „Deut-

schen Nationalliteratur.”Man hat Holtei später eine „literari-

sche Wanderratte” genannt, denn er füh-rte ein unstetes Leben. Zeitweilig hielter sich in Österreich auf, dann wieder inParis. Doch immer zog es ihn in seineBreslauer Heimat zurück, was er in ei-nem Gedicht „Derheeme” am Ende soausdrückt: „In der Schläsing bihn ihchderheeme!” Er wurde zum Mundart-dichter in schlesischer Mundart, zuerstdurch sein Bändchen „Schlesische Ge-dichte”, erschienen 1830. Es sind köstli-che, humorvolle Gedichte wie vom„Zutabärg” oder „Sassafras und Sassa-prile„. Im Jahre 1880 werden noch seine„Beiträge zu einem schlesischen Wör-terbuch” veröffentlicht, mit denen erdem schlesischen Dialekt ein wissen-schaftliche Grundlage gab. Noch einmalRudolph Gottschall: „Dennoch warHoltei Kosmopolit in seiner ganzenExistenz, eine der eigentümlichstenErscheinungen unserer deutschen Li-teratur.”

In Dresden wird Holtei von dem Dichter Ludwig Tieckempfangen; im Jahr 1827 begibt er sich nach Weimar, umAnschluß an den Kreis um Goethe zu gewinnen, was ihmauch gelingt. Ihn verbindet eine Freundschaft mit GoethesSohn August. Seine eigentliche Vertraute in Weimar wurdeaber die Schriftstellerin Johanna Schopenhauer, die Mutterdes Philosophen. Auch lernt er Ludwig Börne und den pol-nischen Dichter Adam Mickiewicz kennen, feiert auchGoethes 80. Geburtstag mit. Johann Peter Eckermann be-richtet in seinen „Gesprächen mit Goethe” von Holteis Be-such. Kein Glück freilich hatte Holtei bei der Bemühung,Goethe davon zu überzeugen, den „Faust” für das Theaterzu bearbeiten und zu straffen, eine Aufgabe, die er selberübernehmen wollte. Er war damals Theaterdirektor in Ber-lin, anschließend in Darmstadt, unternahm Gastspielreisennach Hamburg, Leipzig und München. Später finden wirihn im baltischen Riga. Erst 1864 kehrt Holtei endgültignach Breslau zurück und wird in seiner Heimatstadt eingefeierter Dichter; eng befreundet auch mit dem damaligenFürstbischof Heinrich Förster, der den Protestanten abernicht zum katholischen Glauben bekehren konnte, wie wirin Holteis Erzählung „Fürstbischof und Vagabund” (1882)nachlesen können.

„Literarische Wanderratte”EEiinn EErriinnnneerrnn aann ddeenn sscchhlleessiisscchheenn DDiicchhtteerr KKaarrll vvoonn HHoolltteeii

REINHARD LEUE

Karl von HolteiLithographie von Joseph Kriehuber, 1856

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LESERBEITRAG156

Seit der Wende 1989 lese ich mitFreude und Interesse den SchlesischenGottesfreund über alle Veränderungenhinweg. Zu einigen Themen der letz-ten Ausgaben möchte ich einiges zuGehör bringen. Immer wieder geht esum die Besinnung auf unsere schlesi-sche Vergangenheit. Die Erinnerungenim September-Heft S. 131 - 136 gefal-len mir besonders gut. Lebendig, ehr-lich, sachlich und doch sehr zu Herzengehend wird erzählt. Von TraugottSchall ist ja im Monat Mai 2012, S.73schon ein ähnliches Thema behandeltworden. Im Juli 2012 auf S.108 obenmachte uns die Erinnerung an dieGroßeltern in Penzig besonders Freu-de, da die Großeltern meines Mannesin Deschka lebten, nach Penzig zurArbeit fuhren und wir dadurch zu die-ser Gegend besonders Beziehung ha-ben. Der folgende Leserbrief von FrauKahleyss befriedigte mich besonders,weil es mir immer unbegreiflich ist,daß so gut wie gar nicht mehr vondem entsetzlichen Leid und Jammerder deutschen Bevölkerung in denBombennächten des Krieges gespro-chen wird.

Ausgezeichnet finde ich denArtikel in der Juni-Nr. 2012, S.85. Einjunger Mensch der heutigen Gene-ration findet mit so viel Verständnisvon der Vergangenheit zur Zukunftunserer Geschichte. Schweidnitz undBreslau, von Kinderzeiten her be-kannt, lernte ich in vergangenen Jah-ren neu kennen und lieben. Schweid-nitz, die Heimatstadt meiner Eltern,die Infanterie-Garnison meiner 5 Brü-der, bewegte mich vor wenigen Wo-chen wieder neu, da ich dort den Spu-ren meiner Großeltern noch näherkam. In Breslau wurde mein Vaterordiniert, in der Christopherie-Kircheseine Mutter getauft.

Meine schlesische Heimat, diereichlich 16 Jahre in meinem liebevol-len Elternhaus, in der Freiheit desdörflichen Lebens, unter dem Schutzund der Schönheit des Riesengebirgesbegleitet mich prägend und beglük-kend mein ganzes Leben lang. DerAusbruch des Krieges, schon längerbei uns befürchtet, bleibt zwar unver-gessenes schlimmes Ereignis, nicht

weniger der Beginn des Rußland-Feldzuges an einem besonders strah-lenden Sommer-Sonntag oder dieNachricht von der Invasion an der At-lantik-Küste am 6. Juni 1944. Fünfmeiner Brüder kamen dann auch ausdem Krieg in Frankreich und Rußlandvon Sommer 1940 bis Frühjahr 1945nicht mehr zurück. Diese Verluste ver-narben kaum im Lauf des Lebens.Aber damals blieb doch eine fröhlicheKindheit in Freizeit und Schule, imDorf und in der Stadt. Der Einfluß desIII. Reiches wurde wenig empfunden.Die Jungmädelzeit war harmlos undwurde nebenbei erledigt. Im soge-nannten Kriegseinsatz ab Sommer1944 mußte ich nicht mit zum Un-ternehmen Barthold, sondern arbeiteteim Dorf beim Bauern. Angstvollwurde es dann mehr und mehr Anfang1945. Die vielen Bombenflüchtlingeverließen unser Dorf, die Flüchtlingeaus dem Osten kamen. Das Kriegs-grollen war zu hören. Meine Konfir-mation wurde vorgezogen. Die Un-sicherheit breitete sich mehr und mehraus, obwohl dann erst nach dem 8.Mai die ersten Russen zu uns in dasDorf kamen. Rechtlosigkeit, Plünde-rungen und allseitig bekannte Nöte be-stimmten das Leben. Da unser Pfarr-haus direkt an die Kirche angebautwar, hatten wir zunächst unter denRussen und dann unter den allmählicheinrückenden Polen z.T. weniger zuleiden als die übrige Bevölkerung.

Im Sommer 1945 beginnen dieAusweisungen der bäuerlichen Fami-lien. Die Fabrik- und Gutsarbeiterbleiben z.T. bis in die späten 40erJahre. Unter den Vertriebenen ist dasVerlangen nach weiterer Zusammen-gehörigkeit sehr groß. Viel Post gehthin und her; man sucht Trost und Hilfein aller Heimatlosigkeit – nicht zuletztbei seinem Heimatpastor. Wir müssenam 11. November 1946 gehen zusam-men mit der Familie des BaronsRotenhan und mehreren Pastoren desUmkreises. Kurz davor war meineMutter nach schwerem Krankenlagergestorben. So war alles ein Schock,ein Bruch in meinem Leben, den zuüberwinden ich jahrelang brauchte. Aber nun bin ich über 55 Jahre in

Greifswald, in der schönen kleinenUniversitätsstadt mit der reizvollenlandschaftlichen Umgebung. UnsereFamilie mit 4 Kindern und 6 Enkelnerfreut uns, dazu der langjährige treueFreundeskreis in der Stadt. Ich bindankbar, hier zu Hause zu sein. Aberentscheidend und prägend ist mir blei-bend die Vergangenheit in der schlesi-schen Heimat, im Hirschberger Tal,das ich zusammen mit meinem Mann1966 zum ersten Mal wiedersah. Esfolgten bald viele schöne heimatlicheReisen mit meiner Schwester, mitunseren heranwachsenden Kindern,mit Freunden und Verwandten. Zuersttraf man noch die bekannten Polen,war im Dorf nicht fremd, hatte über-wiegend freundschaftliche Beziehun-gen. Man gehörte irgendwie noch da-zu, wußte noch in so vielem Bescheid.Der erste katholische Pfarrer, der inunser neu saniertes Pfarrhaus zog,wurde uns mit seiner prächtigen Mut-ter und der großen Gastfreundschaftein guter Freund. Aber auch unbe-kannte ältere Polen suchten damalsebenso wie wir bei unseren vielfachenWegen von Krummhübel aus das ge-meinsame Gespräch, Austausch vonfrüherem Ergehen, Gebrauch der deut-schen Sprache. Es gab häufig herzli-che Verabschiedungen mit warmenHandküssen. Das hat sich jetzt imLauf der Jahre mit den jüngeren Men-schen etwas verschoben. Aber Freund-lichkeit und Zuwendung, gerade wennmeine heimatliche Vergangenheitbemerkt wird, ist mir immer wiedersehr bewegend. Ich könnte viele Ge-schichten von unvergessenen wohl-tuenden Begegnungen erzählen.

Heilsam waren mir in meinerTrauer um die verlorene Heimat vonAnfang an meine Besuche in Schle-sien. So ist es den Vertriebenen, diewieder in die Heimat gereist sind,weithin ergangen, und die Versöhnungunter unserer polnischen und deut-schen Bevölkerung hat seit langer Zeitstattgefunden ...

Ich bewege mich glücklich und frohin heimischen Gefilden. Ein weiter Bo-gen spannt sich von Schlesien über Pom-mern der ewigen Heimat entgegen

Mechthild Thymmel

Von Schlesien über Pommern der ewigen Heimat entgegen ...

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BUCHEMPFEHLUNG 157

Ernst KampermannHans OtteHans-Joachim Rauer (Hg.), Unter Fremden?Flüchtlinge und Vertriebene in derhannoverschen Landeskirche nachdem Zweiten Weltkrieg, Lutherisches Verlagshaus GmbH,Hannover 2012, 314 Seiten, 39,90

Wie schon in Oldenburg und Kurhes-sen-Waldeck ist nun auch in Hannoverdas Interesse an der Zeit nach demZweiten Weltkrieg erwacht. In diesenJahren nach 1945 verzeichnete dieHannoversche Landeskirche den größ-ten Zuwachs an Pastoren und Ge-meindegliedern in ihrer fünfhundert-jährigen Geschichte seit der Refor-mation. Umso erstaunlicher ist, daß siediese Thematik bislang fast völlig aus-geblendet hat und erst jetzt die erstenSchritte in Richtung einer integrieren-den Wahrnehmung gemacht werden.Dabei ist Hannover weiter als andereLandeskirchen, die das Problem bisheute nicht erkannt und darum auchnicht bearbeitet haben. Dieses offiziel-le Desinteresse kann dazu führen, daßman sich demnächst kaum noch aufZeitzeugen wird abstützen können.

In Hannover war das noch mög-lich. Die neun Autorinnen / Autoren,die an der Dokumentation „UnterFremden?” mitgearbeitet haben, sindjeder auf seine Weise ausgewieseneKenner und Experten. Die meistenvon ihnen schreiben über Ereignisse,von denen sie als Kinder mit betroffenund durch die sie für ihr weiteresLeben bis heute geprägt worden sind.Es ist gut, daß sie sich für dieses Buchzusammengetan haben. Manches wäreohne ihre persönlichen Erfahrungenvielleicht gar nicht mehr zur Sprachegekommen. So aber ist dieser Sam-melband ein Stückweit auch ein Zeit-zeugenbericht.

Der umfangreiche Stoff ist in dreiHauptteile gegliedert: Nach dem Vor-wort des Hannoverschen Landesbi-schofs Ralf Meister, der Einleitung derHerausgeber und dem Rückblick aufdas Schicksalsjahr 1945 von ErnstKampermann folgt der I. Teil: „DieFlüchtlingsgruppen” (S. 20-158). Da-

ran schließt sich der II. Teil an: „DieLandeskirche” (S. 159-236), gefolgtvom III. Teil "Quellen" (S. 237-301).Personen- und Autorenregister schlie-ßen den Band ab. Die Flüchtlings-gruppen des I. Teils sind: Schlesier(Hans-Joachim Rauer), Pommern(Rita Scheller), Ostpreußen (ArnoldSawitzki), Deutsch-Balten (HeinrichWittram), Bessarabiendeutsche (Ar-nulf Baumann), Mutterhäuser (ArnoldSawitzki, Reinhard Lieske). Aus derSicht der Landeskirche haben im II.Teil Arnulf Baumann über dieOstkirchen- und Aussiedlerarbeit, Pe-ter v. Tilling über die Aufnahme hei-matvertriebener Pastoren und ErnstKampermann über die Aufnahme derFlüchtlinge und Vertriebenen ge-schrieben.

Der Tenor, in dem die Beiträge ge-halten und zur Diskussion gestelltsind, faßt der Landesbischof in seinemGrußwort in den Satz: „Laßt uns redenin der Sprache der Versöhnung vondem, was aus einer schweren Ge-schichte uns geschenkt worden ist” (S.10). Dementsprechend erklären dieHerausgeber: Die „Kontroversen undEnttäuschungen (der Anfangszeit)haben sich erledigt. Geblieben abersind Erinnerungen daran, welche Be-reicherung, Anregungen und Neu-ansätze sich aus der Not bedingten Be-gegnung von Christen aus Ost undWest ergeben und nachhaltig ausge-wirkt haben” (S. 11).

Die Leser des „Schlesischen Got-tesfreundes” dürfte besonders der Bei-trag von Hans-Joachim Rauer interes-sieren. 1932 in Waldau bei Liegnitzgeboren, kam Rauer 1946 mit seinerFamilie nach Niedersachsen. Seine imJahr 2004 erschienene Autobiographie„Abbrüche – Umbrüche – Aufbrüche”zeichnet seinen weiteren Weg eindruk-ksvoll nach. Als langjähriger Oberlan-deskirchenrat im Personalreferat derHannoverschen Landeskirche verfügter über umfassende Personalkennt-nisse. Sein Beitrag ist mit 44 Seitender umfangreichste der Sammlung,was vor allem darauf zurückzuführenist, daß die Schlesier die größteGruppe unter den Vertriebenen inHannover bildeten. Dabei arbeitet

Rauer einleitend die unterschiedlichenPrägungen von Einheimischen undFremden heraus, die immer wieder zuReibungen geführt haben: Teilnahmeam Gemeindeleben – Gottesdienstbe-such – Altpreußische Union – Liturgie.Er zeigt, daß es für beide Seitenschwer war, sich aneinander zu ge-wöhnen. Umso erstaunlicher ist diegroße Zahl von Schlesiern, die bereitsin der ersten (S.31-44) und dann in derzweiten Generation (S. 45-59) zukirchlichen Führungspositionen, nichtnur in der Landeskirche, aufsteigenkonnten. In seinen Schlußbetrachtun-gen hält er fest: „Niedersachsen ist fürdie meisten von ihnen Heimat gewor-den, die Ev.-luth. Landeskirche Han-novers auch. Sie sind integriert, mitden Einheimischen verschmolzen,auch durch Ehen. Aber ihre alte schle-sische Heimat ist Teil ihrer Biographieund ihrer Erinnerung, ist nicht verges-sen. Auf unterschiedliche Weise fassensie das in Worte. Der Verfasser nenntsich einen „schlesischen Niedersach-sen”, andere akzentuieren anders,doch immer kommt beides vor, Schle-sien und Hannover” (S. 62).

Während im I. Teil des Sammel-bandes die Sicht der Vertriebenen do-miniert, artikuliert sich im II. Teil dieSicht der aufnehmenden Landeskir-che. Peter v. Tilling und Ernst Kam-permann zeigen sehr deutlich dieHilfswilligkeit, aber auch die Grenzenund die Überforderung, vor der dieseKirche damals stand. Daß sie den imBlick auf die Vertriebenen nicht sehrfreundlichen Oberlandeskirchenrat undGeistlichen Vizepräsidenten des luthe-rischen Landeskirchenamtes in Hanno-ver D. theol. Paul Fleisch (1878-1962)etwas in den Hintergrund treten lassen,ist nachvollziehbar.

Auffällig ist, daß sich diese Do-kumentation auf die Aufnahme-Pro-blematik beschränkt. Damit füllt siezweifellos eine Lücke in der Kirchen-geschichtsschreibung der Nachkriegs-zeit in Deutschland und speziell inHannover. Das ist sehr zu begrüßen.Die Frage ist aber, warum sie so kon-sequent auf jede geschichtstheologi-sche Deutung verzichtet. Es wird nichtrecht klar, was einheimische wie ver-

Buchbesprechung

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TERMINE – AUS DER LESERGEMEINDE158

VERANSTALTUNGEN DER

GEMEINSCHAFT EVANGELISCHER SCHLESIER

GGöörrlliittzz // LLAAGG SScchhlleessiisscchhee OObbeerrllaauussiittzz

TTaaggeessttrreeffffeenn

Sonnabend, 3. November von 10 bis 16 Uhr

im Gemeindehaus der Hoffnungskirchengemeinde

in Görlitz-Königshufen u.a. mit Wahl des neuen Vorstandes.

HHaammbbuurrgg

GGeemmeeiinnddeennaacchhmmiittttaagg ddeerr eevvaannggeelliisscchheenn SScchhlleessiieerr

Freitag, 5. Oktober und 2. November

im Gemeindesaal von St. Petri in Altona, Schmarjestr. 31.

LLAAGG BBaaddeenn--WWüürrtttteemmbbeerrgg//SSttuuttttggaarrtt

GGootttteessddiieennsstt mmiitt sscchhlleessiisscchheerr LLiittuurrggiiee

Sonntag, 28. Oktober um 14.30 Uhr,

Schloßkirche in Stuttgart.

OOllddeennbbuurrgg

GGeemmeeiinnddeennaacchhmmiittttaagg ddeerr eevvgg.. SScchhlleessiieerr

SSoonnnnttaagg,, ddeenn 1144.. OOkkttoobbeerr iinn ddeerr CChhrriissttuusskkiirrcchhee iinn OOllddeennbbuurrgg,,

Harlinger Straße 16-18. Beginn um 15 Uhr mit einem

Abendmahlsgottesdienst, anschl. Kaffeetafel, danach berichtet

Diakon K.H. Wehner über die soziale Arbeit der Herrnhuter

Brüdergemeine.

EVANGELISCHE GOTTESDIENSTEIN DEUTSCHER SPRACHE IN SCHLESIEN

BBrreessllaauu:: an jedem Sonntag um 10 Uhr in der Christophorikirche, pl. Św. Krzyzstofa 1.

LLaauubbaann:: an jedem 4. Sonntag um 9 Uhr in der Frauenkirche, ul. Kombatantów.LLiieeggnniittzz:: am 1. und 3. Sonntag um 13 Uhr in der Liebfrauenkirche, pl. Pastora Wolfgang Meißlera

SScchhwweeiiddnniittzz:: an jedem 4. Sonnabend um 9 Uhr in der Friedenskirche, pl. Pokoju 6.

WWaallddeennbbuurrgg::an jedem 2. Sonntag und jedem 4. Sonnabend um 14 Uhr in der Erlöserkirche, pl. Kościelny 4.

BBaadd WWaarrmmbbrruunnnn::

jeder 2. Sonnabend im Monat 14 Uhr

jeder 4. Sonntag im Monat 14 Uhr

Erlöserkirche, pl. Piastowski 18.

JJaauueerrFriedenskircheAuf Anfrage: Park Pokoju 2, 59-400 Jawor.Tel. (+4876) 870 51 45. E-Mail: [email protected]:: ul. Partyzantów 60, 51-675 Wrocław. Tel. 0048 - 71-3484598.Pfarrer Andrzej Fober

GEBURTSTAGE AUS DER LESERGEMEINDE

99. Am 27.10. Frau Ingeborg Heese, 26131 Olden-burg, früher Görlitz.93. Am 25.10. Herr Helmut Schwarz, 55130 Mainz,früher Karolinenthal/Posen.92. Am 01.10. Herr Rektor i.R. Werner Bartel, 30459Hannover, früher Bögendorf/Schweidnitz Am 10.10.Herr Konrektor Siegfried Rauhut.91. Am 30.10. Frau Gisela Nohr, 70619 Stuttgart, frü-her Hirschberg.89. Am 12.10. Diakonisse Edith Treutler, 34119 Kas-sel, früher Brauchitschdorf Am 21.10. Herr WernerGierß, 70193 Stuttgart, früher Oels. Am 27.10. FrauWaltraut Weinhold, 68163 Mannheim, früher Schweidnitz.88. Am 02.10. Frau Simplicie du Plessis, 81377 Mün-chen, früher Breslau.87. Am 02.10. Herr Dr. Hans-Joachim Trenner, 63619Bad Orb, früher Wohlau. Am 22.10. Frau HelgaSchmidt, 38104 Braunschweig, früher Breslau.86. Am 18.10. Herr Pfarrer i. R. Siegfried Fischer,02826 Görlitz, 85. Am 08.10. Herr Pfarrer Wilhelm Berger, 90419Nürnberg, früher Breslau. Am 23.10. Frau Christa Müh-le, 55124 Mainz, früher Penzig/Krs. Görlitz. Am 25.10.Herr Diakon Heinz Stumpe, 06502 Thale - OT Neinstedt,früher Breslau.84. Am 08.10. Frau Irene Zilz, 64291 Darmstadt. 83. Am 01.10. Herr Helmut Türpitz, 47506 Neukir-chen-Vluyn, früher Gotschdorf. Am 09.10. Herr HansSiehndel, 34130 Kassel, früher Schreiberhau, Krs. Hirsch-berg. Am 15.10. Herr Max Hamsch, 56348 Bornich Am 25.10. Frau Helga Walter, 90763 Fürth, früher Raussebei Maltsch, Krs. Neumarkt. Am 29.10. Frau CharlotteKessler, 72184 Eutingen-Weitingen, früher Carlsruhe O/S.81. Am 01.10. Herr Diakon Karl-Heinz Wehner,

triebene Prediger den Flüchtlingen inGottesdiensten und Seelsorge eigent-lich gesagt haben. Wie haben sie die-sen ungeheuren Vorgang der Vertrei-bung theologisch verstanden? Esscheint, daß die Kirche zu dieser Le-bensfrage der Vertriebenen nichtssagen konnte oder sagen wollte, mit

der Folge, daß die Deutung derGeschehnisse an die DDR-Kommu-nisten, an die 68er, an Historiker,Publizisten und andere überging unddie Kirche in eine Phase geschichts-theologischer Bedeutungslosigkeiteintrat. Für den Fall aber, daß dieseBeobachtung nicht stimmt, wäre es

eine großartige Tat, wenn diese odereine andere Autorengruppe in einemzweiten Band einmal zeigte, was dieEvangelische Kirche zu diesen Um-wälzungen eigentlich gesagt hat.

Christian-Erdmann Schott

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26125 Oldenburg, früher Landeshut. Am 05.10. FrauIngrid Keye, 38312 Ohrum, früher Breslau.80. Am 08.10. Frau Ursula Mitscherling, 24576 BadBramstedt. Am 25.10. Frau Renata Kiock, geb. Mo-drow, 09465 Sehma, früher Liebau Krs.Landeshut. Am31.10. Herr Pfarrer i.R. Joachim Basan, 42651 Solingen.79. Am 14.10. Herr Pfarrer i. R. Wilfried Baier, 02829Schöpstal/Kunnersdorf. Am 18.10. Frau Marie-LuiseRieger, 02796 Jonsdorf, früher Anhalt/Oder. Am 20.10.Herr Carl Findeis, 99192 Neudietendorf/Thür., früherÜberschar-Konradsdorf, Haus 6, Krs.Goldberg.78. Am 10.10. Frau Ursula Schopp, 50858 Köln, frü-her Jauer. Am 20.10. Herr Siegfried Obst, 44229Dortmund, früher Breslau u. Steinau/Oder. Am 24.10.Frau Renate Morlock-Gulitz, 75173 Pforzheim, früherLauban. Am 24.10. Herr Werner Opitz, 76316 Malsch, 77. Am 25.10. Herr Hubertus v. Lucke u. Kursko,55218 Ingelheim, früher Kempa O/S.76. Am 22.10. Frau Hedda Heckel, 97616 Bad Neu-stadt, früher Seidorf Kr. Hirschberg. Am 28.10. HerrPfarrer i.R. Leonhard Klette, 22869 Schenefeld, früherMechwitz, Krs. Ohlau.75. Am 13.10. Herr Pastor i. R. Peter Lobers, 02826Görlitz, früher Schadewalde Krs.Lauban. Am 27.10.Herr Pastor i. R. Reinhard Friedrich, 23843 Bad Oldesloe,früher Glogau. 74. Am 08.10. Herr Pastor Mag. Dietmar Neß, 02999Groß Särchen, früher Breslau. Am 10.10. Herr DetlevFlechtner, 37133 Friedland, Rittergut Besenhausen. Am26.10. Herr Diakon Reinhard Wohlfahrt, 33605 Bielefeld,früher Breslau.73. Am 08.10. Frau Christa Bloch, 39261 Zerbst, frü-her Breslau. Am 08.10. Herr Ludwig Schmidt, 02906Niesky, früher Rothenburg OL. Am 09.10. Herr PfarrerWilhelm von der Recke, 28211 Bremen, früher Sabitz, Krs. Lüben. Am 14.10. Frau Ursula Lüdersen, 31832Springe, früher Hastenberg-Petersdf. Am 16.10. HerrPfarrer Dr. Hans-Wilhelm Rahe, 48147 Münster, früherMinden. Am 21.10. Frau Barbara Mletzko, 73547Lorch/Württ., früher Dresden.72. Am 28.10. Herr Peter Riemann, 61250 Usin-gen/Ts., früher Storgard/Hinterpommern.71. Am 12.10. Herr Hermann Hoffmann, 26133 Ol-denburg. Am 14.10. Frau Ulrike Vetter, 30823 Garbsen,früher Parchwitz. Am 20.10. Frau Christa Duller, 89547Gussenstadt,früher Breslau. Am 20.10. Frau Karin Kas-per, 02827 Görlitz, früher Nieder-Bielau. Am 23.10.Herr Pfarrer Erhard Langer, 73733 Esslingen, früherStrehlen. Am 31.10. Frau Ilse Stalter, 70567 Stuttgart,früher Zindel/Krs. Brieg.70. Am 14.10. Herr Pfarrer Uwe Mader, 02827 Gör-litz, früher Sorau, Krs. Sorau.69. Am 20.10. Herr Pfarrer Martin Neß, 48308 Sen-den, früher Schönborn.62. Am 13.10. Frau Reg.-Oberamtsrätin i.R. HellaMoritz, 49419 Wagenfeld, früher Landeshut.61. Am 26.10. Herr Erich Kleemeyer, 29410 Salz-wedel, früher Riethausen.

ImpressumHerausgeber:

Gemeinschaft evangelischer Schlesier (Hilfskomitee) ee..VV..D 32440 Porta Westfalica, PF 1410, Tel.: 0571-971 99 74,

Bankverbindung: Stadtsparkasse Porta WestfalicaBLZ: 490 519 90 Kto.-Nr.: 26 997

E-mail: [email protected] für den Inhalt:

Mag. phil. et theol. Dietmar Neß Wittichenauer Straße 11a, D - 02999 Groß Särchen,

Tel./Fax: 03 57 26 - 5 56 75E-mail: [email protected].

Andreas Neumann-Nochten Hotherstraße 32, D - 02826 Görlitz

Tel.: 03581 - 878988E-mail: [email protected]

Beiträge/Grafik/Satz/Layout: Andreas Neumann-NochtenHerausgegeben in Zusammenarbeit mit derStiftung Evangelisches Schlesien und der Evangelischen Diözese Breslau/Wroclaw.Druck: MAXROI Graphics GmbH, Görlitz

159AUS DER LESERGEMEINDE

Datum: Unterschrift:

Titel:

Nachname:

Vorname:

Straße:

PLZ, Ort:

Geburtsdatum/-ort:

Beruf:

persönlicher bzw. familiärer

schlesischer Herkunftsort:

Sollten Sie nicht mit der Veröffentlichung einiger Ihrer persönlichenDaten in der Geburtstagsliste des „Gottesfreundes„ einverstandensein, kreuzen Sie es bitte in den entsprechenden Kästchen an.

Bitte einsenden an: Gemeinschaft evangelischer Schlesier e.V.

Postfach 1410, D – 32440 Porta Westfalica

oder Stiftung Evangelisches Schlesien

Schlaurother Straße 11, D – 02827 Görlitz

Bankverbindung: Stadtsparkasse Porta Westfalica

BLZ: 490 519 90 Kto.-Nr.: 26 997

Beitrittserklärung:Ich erkläre hiermit meinen Beitritt zur Gemeinschaft evangelischer

Schlesier e. V. bei einem Mitglieder-Jahrebeitrag von aktuell 30 Euro

für das laufende Kalenderjahr; im Rahmen meiner Vereinsmitglied-

schaft erhalte ich die Zeitschrift „Schlesischer Gottesfreund„ kosten-

frei.

Ich möchte kein Mitglied werden, bestelle aber die Monatszeit-

schrift „Schlesischer Gottesfreund„ zum Abo-Preis von 36 Euro pro

Jahr.Bitte senden Sie mir eine Probenummer der Zeitschrift „SchlesischerGottesfreund„ zu.

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160 Reiseimpressionen

Der Kahn der fröhlichen Leute......unter diesem Titel hatten wir bereits im JuliNeusalz, Carolath und Beuthen/O. besucht. Da dieNachfrage nach dieser Exkursion außerordentlichgroß war, wurde die Fahrt Ende August wiederholt.Die Resonanz war sehr erfreulich, gerade auch weildie besuchten Orte so gar keine typischen touristi-schen Ziele sind. Auch im nächsten Jahr werden wirwieder besondere Orte in Schlesien mit reicher (kir-chen)geschichtlicher Vergangenheit aufsuchen.

AbbildungenInnenansicht der reformiertenSchloßkapelle in CarolathDieehemalige ev. Kirche in Neu-salz (jetzt katholisch) Die Ru-ine der ehemaligen ev. Kirche inBeuthenGasthaus zum „Gol-denen Löwen“ am Ring in Beu-thenEhemaliger Betsaal derBrüdergemeine in Neusalz (jetztSporthalle) Hinweise am ehe-maligen Geschäftsgebäude derBrüdergemeine in Beuthen. (vonlinks oben im Uhrzeigersinn)

Alle Fotos : Harald Wenzke: Text: MK