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Dr. Marion Bär
Emotionen von Menschen mit Demenz verstehen – Herausforderung und/oder wertvolle
Ressource?
Wirken – Bewirken – MitwirkenMenschen mit Demenz und deren Angehörige im stationären Bereich, zu Hause und im Quartier gut begleitenPotsdam, 19.09.2017
Bildquelle: https://www.aponet.de/aktuelles/forschung/20140927-demenz-erinnerungen-verblassen-gefuehle-bleiben.html
Emotionalität hat viele Facetten
Sich ein Bild vom Erleben und den Intentionen eines Gegenübers machen können (Theory of Mind)
Sich emotional „anstecken“ lassen können (Grundlage von Empathie)
Emotionen erleben und ausdrücken können
Emotionen kontrollieren können
Verändert sich die Emotionalität durch die Demenz?
Das hängt von der Grunderkrankung ab!• Unterschiede zwischen Alzheimerdemenz (AD), vaskulärer Demenz und
frontotemporaler Demenz• Die meisten Studien zur Emotionalität wurden mit Alzheimerpatienten
durchgeführt
Emotionen erkennen können Mimische Zeichen (Bertoux et al., 2009):• bei frontotemporaler Demenz deutlich beeinträchtigt• aber auch bei Alzheimerdemenz im Verlauf der Erkrankung Auditive Signale (Drapeau et al., 2009): • der emotionale Gehalt auditiver Reize (Geräusche, Stimmmelodie,
Musik) wird bei leichter bis mittelschwerer AD gut erkannt
Erleben und Ausdruck von Emotionen• Insgesamt wenige Studien• Bisherige Befunde deuten auf ein intaktes Erleben und einen intakten
Ausdruck von Emotionen im gesamten Verlauf der AD hin (Blessing et al., 2014)
• Allerdings Beeinträchtigungen möglich durch• begleitende Symptome wie Apathie oder Depression• Parkinsonsymptomatik
Emotionskontrolle• Bei beginnender AD gut erhalten, lässt im Verlauf aber nach• Verlust emotionaler Kontrolle ein diagnostischer Hinweis auf vaskuläre
Demenz (S3 Leitlinie Demenz)
Verändert sich die Emotionalität durch die Demenz?
Emotionen von Menschen mit Demenz verstehen …
wertvolle Ressourceund
unverzichtbare Notwendigkeitund immer wieder auch
Herausforderung
Verstehen – ein Prozess…um aus äußerlich gegebenen, sinnlich wahrnehmbaren Zeichen ein „Inneres“, Psychisches zu erkennen (nach W. Dilthey)
Wahr-nehmen
Deuten
ReagierenKommunikation
Nur „ein bisschen Empathie“?
Wahr-nehmen
Deuten
Reagieren
Können wir wirklich nachfühlen, was das heißt: mit einer Demenz leben?
Sorge haben, nicht mehr ernst genommen werden
Sich verloren fühlen
Was einfach war, wird anstrengend
Vertrautheit Verlässlichkeit
Anregung ohne ÜberforderungAngepasstes Tempo
Wertschätzung
Immer wieder an Grenzen stoßen
Immer weniger Kontrolle haben
Emotionale Zeichen besser erkennen –Beobachtung systematisieren
Möglichkeit: mit Einschätzungsbögen arbeiten
Aus: Heidelberger Instrumente zur Lebensqualität Demenzkranker (H.I.L.DE), Arbeitsblatt Emotionalität
Emotional herausfordernde Situationen
Wenn ich doch nur verstehen könnte…
…warum du so verzweifelt bist!
…was dich jetzt so wütend macht, dass
du mir drohst!
…wie ich dich pflegen soll, wenn du dich weigerst!
Ratlosigkeit
Konflikt
Handlungsdruck
Verantwortungsdruck
Leidensdruck
Was ist JETZT gerade?
• Bin ich innerlich anwesend?• Schleppe ich „Ballast“ mit (die innere „ToDo‐Liste“,
gefühlter Zeitdruck, Stress)• Mit welchen Vorannahmen begegne ich dem
Menschen?
• Was nehme ich wahr? (alle Sinne)• … in der Situation?• … bei meinem Gegenüber?
Habe ich einen freien Blick?
Denkfallen: Pseudo‐rationale Zuschreibungen
z.B. ….mit Wissen aus dem Biografiebogen
Frau S. will nur Aufmerksamkeit. Früher hatte sie ihre Großfamilie um sich, das fehlt ihr jetzt eben.
….mit eigene Persönlichkeitstheorien
Herr G. hat sich noch nie etwas sagen lassen, er ist einfach ein dominanter Typ!
Die Person hat i.d. Regel keine Chance, sich gegen solche Unterstellungen zu wehren!
Die „Demenzschranke“ (James, 2013)
postuliert: • Quelle „problematischen“
Verhaltens liegt ausschließlich in kranker Person
• Verursacht durch die Krankheit
• (medikamentöse) Therapie ist erforderlich, um das „Symptom“ zu „beseitigen“
Hintergrundfaktoren• Demenzbedingte Einschränkungen
• Gesundheitliche Situation• Psychosoziale Bedingungen: Persönlichkeit
Bedürfnisorientiertes Verhaltensmodell bei Demenz(Kolanowski et al., 1999)
Auslösende FaktorenBedürfnisse, die blockiert sind/nicht gesehen werden Stressfaktoren, die auf den Menschen einwirken
Unverzichtbar: ein tragendes Team Kein Team, das• Die Lösungsfindung komplett an das einzelne Teammitglied delegiert
(„Da musst du sehen, wie du klarkommst, das macht hier jeder so….“)• Gemeinsam in der Problemtrance verharrt („Wir können alle gar nichts
tun…“)Sondern in dem gemeinsam vertreten wird:• Menschen mit Demenz begleiten, heißt auch, von Zeit zu Zeit mit
(emotional) herausfordernden Situationen konfrontiert zu sein• Den Menschen in solchen Situationen zu verstehen und Lösungen zu
finden ist ein Weg, der unterschiedlich lang sein kann• Wir sind alle weder unfehlbar noch allmächtig, wir haben auch
(meistens) nicht die Zeitressourcen, die erforderlich wären, aber wir nutzen gemeinsam die Spielräume, die wir haben . Wir hören nicht auf, zu suchen!
• Jeder Beitrag und jede konstruktive Idee ist dabei willkommen (…auch wenn sie vielleicht vom Praktikanten kommt)
Verstehende Diagnostik: Gemeinsame Suche nach Lösungen (aus: Bartholomeyczik et al. 2006)
1. Verhalten beobachten (Was genau? Wann? Wann nicht?)2. Verhalten beschreiben, ohne zu werten3. Analyse
• Wer ist betroffen?• Wie könnte der Mensch mit Demenz die Situation
sehen?• Was sind unsere Ideen, was zur Situation führt?
4. Interventionen: Was können wir tun?5. Interventionen durchführen6. Evaluieren
Fehlt da nicht etwas?
Das Verstehen von Emotionen dient nicht nur dazu, Lösungen für
herausfordernde Situation zu finden.
Emotionen sind kein Selbstzweck. Sie sind Ausdruck innerer
Lebendigkeit und Individualität.
Bilder: „Lebensfreude bei Demenz“, Forum Demenz Wiesbaden
Emotionale Bindungen
…an Personen, Erinnerungen, Ziele, Tätigkeiten, persönliche Projekte, Dinge …… die mein Leben bereichern, … an denen ich hänge, … die mir wichtig sind,… die für mich persönlich wert‐voll sind
sind der Schlüssel zu Lebenssinn und Lebensfreude – egal ob mit oder ohne Demenz
DEMIAN Fallbesprechung
Situationen sammeln, in denen der Mensch…
…sich freut: ……………………………………………….......................................... …sich wohl fühlt: …………………………………………………………………………………auf etwas mit Interesse und Aufmerksamkeit reagiert: ……………………
Beobachtungen und Vermutungen : Personen, die ihr/ihm wichtig sind:…………………………………………………….Tätigkeiten, die ihr/ihm Freude machen: ……………………………………………Gegenstände, die ihr/ihm wichtig sind: ………………………………………………Geschichten, die sie/er immer wieder gerne erzählt: …………………………Lieblingsorte: …………………………………………………..
Positive Alltagssituationen
„Sie freut sich, wenn Kinder zu Besuch kommen“*
„Sie erfreut sich an schöner Kleidung und Make‐up.“
„Sie freut sich, wenn sie im Wohnbereich mithelfen kann und dafür Anerkennung erhält“
Positive Alltagssituationen sind beobachtbar
Alltagssituationen können gestaltet werden
*Beispiele aus dem DEMIAN Projekt
Positive Alltagssituationen: Für Sie ‐ Vielleicht nur ein Moment!
Für einen Menschen mit Demenz vielleicht der Lichtblick des Tages!
‘quality of the moment’Pringle (2003)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
„Lebensfreude bei Demenz“ Forum Demenz Wiesbaden