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1 Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften Fachrichtung Psychologie Entwicklungspsychologische Untersuchungen im Vorschulbereich: Aktuelle Forschungsansätze zur (sozial-)kognitiven Entwicklung Prof. Dr. Matthias Kliegel Fachtagung zur gezielten Förderung von Anfang an Meißen, 26.03.2011 NB. Die folgenden Folien sind eine komprimierte und auf die zentralen Sachinformationen fokussierte Version des gehaltenen Vortrags ohne speicherintensive Abbildungen 2 Traditionelle Definition Entwicklung = Veränderungsreihe (mehrere Schritte) Endzustand höherwertig Abfolge der Schritte unumkehrbar Veränderungen qualitativ (Strukturveränderung, nicht bloss quantitatives Wachstum)

Entwicklungspsychologische Untersuchungen im … · Jean Piaget (1896-1980) 3 5 Assimilation = Einverleibung bzw. Eingliederung von Informationen in bereits ausgearbeitete kognitive

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1

Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften Fachrichtung Psychologie

Entwicklungspsychologische Untersuchungen im Vorschulbereich:

Aktuelle Forschungsansätze zur (sozial-)kognitiven Entwicklung

Prof. Dr. Matthias Kliegel

Fachtagung zur gezielten Förderung von Anfang an Meißen, 26.03.2011

NB. Die folgenden Folien sind eine komprimierte und auf die zentralen Sachinformationen fokussierte Version des gehaltenen Vortrags ohne speicherintensive Abbildungen

2

Traditionelle Definition

Entwicklung =

• Veränderungsreihe

(mehrere Schritte)

• Endzustand höherwertig

• Abfolge der Schritte unumkehrbar

• Veränderungen qualitativ

(Strukturveränderung, nicht bloss quantitatives Wachstum)

2

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Erklärung: Egozentrismus

� Unfähigkeit zwischen der eigenen Perspektive und der eines anderen Menschen zu unterscheiden

� Tendenz die Welt nur aus dem eigenen Blickwinkel zu betrachten

� stammt aus der Entwicklungstheorie von Piaget

� typisch für die sogenannte präoperationale Phase

� diese beschreibt und erklärt die kindliche Entwicklung im Vorschulalter

Entwicklungspsychologische Zugänge im Kontext der traditionelle Definition

Ein Klassiker… der Dreibergeversuch…

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Zwei grundlegende Mechanismen der kognitiven Entwic klung

Organisation Adaptation

= Tendenz eines Organismus, seine

kognitive Strukturen in ganzheitliche

Systeme höherer Ordnung zu

integrieren und zu koordinieren.

greifenstreicheln

Arm bewegen

= Anpassung eines Lebewesens an

die Erfordernisse seiner Umwelt, so

dass die eigenen Ziele erreicht

werden

AssimilationAkkomodation

Adaptation

komplementäre und simultan ablaufende Prozesse

Piagets Annahme

Jean Piaget (1896-1980)

3

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Assimilation= Einverleibung bzw. Eingliederung von Informationen in bereits

ausgearbeitete kognitive Strukturen eines Subjekts.

� Informationen werden in bereits bestehendes Wissen integriert, ohne dass dieses Wissen umstrukturiert werden muss (verschiedene äussere Oberflächenmerkmale von Clowns).

Konzept „Clown“

Assimilation

6

Akkomodation

= Anpassung bestehender Wissensstrukturen an neue Informationen. Akk. ist erforderlich, wenn sich eine Information mit den bestehenden kognitiven Strukturen nicht hinreichend interpretieren lässt.

� Veränderung bestehender kognitiver Strukturen , so dass sie an neue Information angepasst sind (z.B. über Reorganisation,Generalisierung, Differenzierung, Integration, Koordination kognitiver

Strukturen).

Konzept „Clown“

Akkommodation der kognitiven Strukturen an Standardkonzept von Clown

Information, dass Mann aussieht wie Clown, aber keinen Quatsch macht....

4

7

Piagets Phasen: Übersicht

Sensumotorische Phase

Präoperationale Phase

Konkret-operationale Phase

formal-operationale Phase

-2

2 -

66

-12

12 -

Vorschulalter

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Die präoperationale Phase: Symbolische Repräsentationen

Erhöhte symbolische Fähigkeiten: Beispiel Zeichnungen (vierjähriges Mädchen): einfache Konventionen wie V-förmige Blätter der Blumen

Symbolspiel (Phantasiespiel)

Ein deutliches Zeichen für das Verstehen von symbolischen Repräsentationen ist das symbolische Spielen.

Ein Objekt steht dabei für ein anderes, nicht verfügbares Objekt.

5

9

Prinzipien des Kausalverständnisses :

� Diese Prinzipien treten laut Piaget & Inhelder in einer bestimmten Reihenfolge auf , wobei das vorhergehende nicht unbedingt durch das nachfolgende abgelöst werden muss, sondern daneben bestehen bleiben kann, auch wenn sich dadurch ein Widerspruch ergibt.

Die präoperationale Phase:

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Phänomenistische Kausalität (ca. - 5J.)

= Wegen raum-zeitlicher Koinzidenzenzweier Phänomene gilt eines als

die Ursache des anderen

Bsp.: - Der Kieselstein sinkt, weil er weiss ist.

Prinzipien des Kausalverständnisses

6

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Animistisches Denken (ca. 5-7J.)= Die Tendenz junger Kinder, unbelebten Objekten,

Eigenschaften lebender Wesen zuzuschreiben(Gedanken, Wünsche, Gefühle und Absichten)

Bsp.: - Der Teller will, dass es Mittagessen gibt.- Das Fahrrad ruht sich in der Garage aus.- Der Mond sagt der Sonne, wann sie untergehen muss.

(oder: sie weiss es, weil sie dann rot wird.)

Prinzipien des Kausalverständnisses

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= Fokussierung auf einen Aspekt ;Unfähigkeit mehrere Informationen gleichzeitig zu berücksichtigen;

eindimensionales Denken

Die meisten Fünf- und Sechsjährigen glauben, dass der dünnere Behälter mehr Flüssigkeit enthält (Invarianz kontinuierlicher Mengen)

Die präoperationale Phase:Zentrierung

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� geniale Pionierarbeit �mit zu behebenden Mängeln

Kritik an Piaget

negativ positiv

Altersangaben

verbale Methoden

Stufentheorie

Fülle an Datenmaterial, Phänomenbeschreibungen,und fruchtbare Beobachtungen,mit theoretischem Rahmen

Kreativität, Ideen

aufgeworfene Fragen

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David Klahr

“For 40 years now we have had assimilation and accommodation, the mysterious and shadowy forces

of equilibration, the Batman and Robin of the

developmental processes. What are they? How do

they do their thing? ... What we need is to get beyond vague verbal statements of the nature of

developmental process.”

Kritik an Piaget

8

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Denken = Informationsverarbeitung

� schrittweise Verarbeitung der Information in mehreren Speichern

� Speicher haben begrenzte Kapazität

Was entwickelt sich?

� Mentale Strukturen und Operationen (Piaget)

� Speicherkapazität und Strategien

(Informationsverarbeitungs-Ansatz)

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Das bekannteste und einflussreichste Gedächtnismodell ist das Mehrspeichermodell von Atkinson und Shiffrin

���� Innerhalb der Informationsverarbeitungsansätze ist die Beschreibung des Prozesses von Input zu Output rele vant.

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Arbeitsgedächtnis:

Mehrkomponentenmodell

nach Allan Baddeley & Graham Hitch

� Unter Arbeitsgedächtnis verstehen Baddeley & Hitch…

… ein Gedächtnissystem, das zeitweilig Informationen aufbewahrt und manipuliert, wenn wir kognitive Aufgaben ausführen…

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Bedeutung des Arbeitsgedächtnisses

ArbeitsgedächtnisEmotionserkennungund -regulation

Konzentration &Aufmerksamkeit

Lesen, Schreiben& Rechnen

Merkfähigkeit & Gedächtnis

Selbstvertrauen Selbstwirksamkeitserwartung

soziale Interaktion

subjektives Wohlbefinden

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Das Modell

(nach Baddeley, 1986, 1992; Baddeley & Hitch, 1974)

Drei-Komponenten-Modell• Phonologische / artikulatorische Schleife: Hilfssystem, das eine geringe Menge

sprachbezogener Information kurzfristig speichern und aufbereiten kann• Bildhaft-räumlicher Notizblock: Hilfssystem, das mentale Bilder

speichern und transformieren kann• Zentrale Exekutive: Koordination der Hilfssysteme, beschränkte Kapazität �

Delegationsprinzip & Aufmerksamkeitsmanagement

ZentraleExekutive

Bildhaft-räumlicherNotizblock

Phono-logischeSchleife

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Entwicklung der PL (Phonologischen Schleife)

Kindersalter:

11

21

Hauptbefunde

• phonologischer Speicher früh entwickelt

• subvokaler Rehearsal-Prozess für nicht-auditorische Stimuli erst mit ca. 7 Jahren spontan eingesetzt

Kindesalter:

Belege

� keine Bewegungen der Lippen unter 7 Jahren

� Kinder unter 7 Jahren sind aber trainierbar, den subvokalen Rehearsal-Prozess für Bilder einzusetzen

22

Entwicklungsstörungen der phonologischen Schleife

• phonologische Schleife scheint Sprachlernen zu unterstützen (korreliert mit Wortschatz und Sprachproduktion)

• Kinder mit spezifischen Sprachstörungen haben sehr schlecht entwickelte phonologische Schleife

Kindesalter:

12

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Zoelch et al. (2007)

Entwicklung des VSSP (Bildhaft-räumlicher Notizblock)

Kindesalter:

24

• Wissen (LZG)?

• Informationsverarbeitungsstrategien?

• Processing Speed?

Mechanismen bislang unklar

� Frage: Wie kommen Leistungsverbesserungen zustande?

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25

Entwicklung der CE (Zentrale Exekutive)

• Entwicklung in allen Aufgaben, Sprünge oft zwischen 4-5 Jahren und nach 8 Jahren

• 4-jährige: noch deutliche Defizite in Leistungen

• 5- bis 8-jährige: Defizite nur noch in schwierigen bzw. komplexen Aufgaben (neurobiologische Erklärung:Präfrontaler Kortex noch mitten in der Entwicklung)

Kindesalter:

26

Neuester Ansatz: Arbeitsgedächtnistraining

Argumentation

1. Arbeitsgedächtnis als zentrale Verarbeitungsresso urce2. In die meisten komplexen kognitiven Operationen involviert3. zahlreiche Studien zum Aufbau der Arbeitsgedächtn iskapazität im Vorschulalter

���� Ist das Arbeitsgedächtnis trainierbar?���� Wenn ja, ist es auch im Vorschulalter trainierbar?���� Wenn das Arbeitsgedächtnis in so viele Operationen involviert ist,

gibt es dann Transfereffekte?

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Arbeitsgedächtnistraining bei Kindern:

Klingberg et al. (2002, 2005): Training of working memory in children with ADHD

Klingberg et al. (2002, 2005): computerisiertes AG-Training Training mit ADHS Kindern über einen Zeitraum von 5 Wochen

Aufgaben: Artikulatorische SchleifeAufgaben mit räumlichen Anordnungen (bildhaft-räumlicher Notitzblock)� adaptive Steigerung der Schwierigkeit

Ergebnisse: signifikante Verbesserungen in den Trainingsaufgaben und Transfereffekte auf nicht trainierte kognitive Leistungen

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AG-Training bei jungen Erwachsenen:Jaeggi et al. (2008): Improving fluid intelligence with training on working memory

Training: N-back Transfer: Raven

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29

Bedeutung einer Förderung des Arbeitsgedächtnisses

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Arbeitsgedächtnistraining im Jugendalter

Kombination von

kognitivem und körperlichen Training

Wie beeinflusst körperliche Aktivität das Lernen?

Eigene laufende Studien:

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Körperliche Aktivierung

Training 1

Basel

ine

2 m

in.

4 m

in.

6 m

in.

8 m

in.

10 m

in.

12 m

in.

14 m

in.

16 m

in.

18 m

in.

20 m

in.

befo

re T

S

80

100

120

140

traininggroup 1(combined)

controlgroup 1(physical)

Hea

rt r

ate

(bea

ts/m

in.)

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Training trajectories

1 2 350

100

150

200

250

300

traininggroup 1(combined)

traininggroup 2(cognitive)

Training

Sw

itchi

ng c

osts

(in

m

s)

Kognitives Training

(weniger ist besser) Verbesserungen durch Trainings – leichte Vorteile für kombinierte Gruppe

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33

Bedeutung einer Förderung des Arbeitsgedächtnisses

Effekte für Vorschule wahrscheinlich aber noch unge prüft

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit