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K. H. Stauder: Pathogenese und Therapie der Epilepsie. 321 Epilepsi e. Pathogenese und Therapie. u K. It. Stauder, Mfinchen. l~ber die pathogenetischen und therapeutischen Probleme der Epflepsie zu berichten, das heiBt leider nicht, Ihnen einen l~berblick geben kSnnen fiber eine schon vollends geborgene wissenschaftliche Ernte, sondern das heiBt, Sie mitten hinein ffihren auf ein Schlachtfeld lebhafter K/~mpfe und Auseinandersetzungen. Ich kann lhnen in der Zeit, die mir zur Ver- ffigung steht, nicht alles schildern, was auf diesem Schlachtfeld vor sich geht ; wollte ich das, so kSnnte ich an vielen Stellen ja auch nur das wieder- holen, was Ihnen Foerster, Trendelenburg, Spielmeyer u. a. vor Jahren in klassischen Referaten auseinandergesetzt haben. Dabei mfil3te ich auch vieles wieder bringen, was Ihnen alien 1/ingst bekannt ist. Ich daft meine Aufgabe vielmehr darin sehen, Ihnen mit kurzen Strichen das auf- zuzeigen, was in den letzten Jahren an Neuem hinzugekommen ist. Ich werde aus diesem Schlachtfeld also im wesentlichen die Frontenheraus- arbeiten, an denen Entscheidendes zur Zeit geschieht. Im wesentlichen handelt es sich dabei um 3 Frontabschnitte :um den Wasser- und Mineral- haushalt der Epileptiker, um ihren Eiweil3stoffwechsel und um das Problem der im Anfall entstehenden Krampfgifte und ihrer humoralen l~bertragbarkeit. Sie werden mich ffagen: wo bleiben in dieser ~bersicht die Gef~I~vor- g~nge, deren Bedeutung in der Pathogenese des epileptisehen Krampf- anfalles seit Nothnagel unbestritten ist, deren Bedeutung Sie eben wieder in dem Referat des Herrn v. Braunmi~hl gesehen haben ? Dabei haben sich die Befunde, die die Bedeutung funktionellen Gef~flgeschehens beleuchten, in den letzten Jahren erheblich vermehrt. Sie wissen ja, dal3 nicht nur die anatomische Forsehung nieht stehen geblieben ist, sondern dab auch die Klinik hier wesentliehe Beitr~ge geliefert hat. Mit den yon Herrn v. Braunmi~hl erw~hnten Herzbefunden bei jugendliehen Epileptikern (Neubiirger) stimmen auch die klinisehen Erfahrungen gut iiberein. Wir wissen dureh Hiller und Stemmer, dal3 viele Epileptiker ~hnliche anginSse Beschwerden haben, wie die Angina pectoris-Kranken. Man hat inzwischen auch im Elektrokardiogramm (Padilla und Cossio) einen Herzstillstand im epileptischen Anfall festgestellt; Winternitz, Eu/inger und Molz haben Ver~nderungen im EKG. gesehen, die wir sonst nur yon den Angiospasmen der Coronarkranken und yon Infarktbildungen im linken Ventrikel her kennen. Dazu kommen neuerdings capillar- mikroskopische Befunde bei Epileptikern, die deren vasolabile Diathese wahrscheinlich machen. Wir wissen weiter dureh Krap/, dab im spiit- epileptischen Anfall h~ufig die labile BlutdruckerhShung eine Rolle spielt; und v. Hoefllin hat, auch wenn er Krap/ in vielen tbmkten Z. f. d. g. Neur. u. Psych. 161 (Bet.). 21

Epilepsie

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K. H. Stauder: Pathogenese und Therapie der Epilepsie. 321

Epilepsi e. Pathogenese und Therapie.

u K. It. Stauder, Mfinchen.

l~ber die pathogenetischen und therapeutischen Probleme der Epflepsie zu berichten, das heiBt leider nicht, Ihnen einen l~berblick geben kSnnen fiber eine schon vollends geborgene wissenschaftliche Ernte, sondern das heiBt, Sie mitten hinein ffihren auf ein Schlachtfeld lebhafter K/~mpfe und Auseinandersetzungen. Ich kann lhnen in der Zeit, die mir zur Ver- ffigung steht, nicht alles schildern, was auf diesem Schlachtfeld vor sich geht ; wollte ich das, so kSnnte ich an vielen Stellen ja auch nur das wieder- holen, was Ihnen Foerster, Trendelenburg, Spielmeyer u. a. vor Jahren in klassischen Referaten auseinandergesetzt haben. Dabei mfil3te ich auch vieles wieder bringen, was Ihnen alien 1/ingst bekannt ist. Ich daft meine Aufgabe vielmehr darin sehen, Ihnen mit kurzen Strichen das auf- zuzeigen, w a s in den letzten Jahren an Neuem hinzugekommen ist. Ich werde aus diesem Schlachtfeld also im wesentlichen die Frontenheraus- arbeiten, an denen Entscheidendes zur Zeit geschieht. Im wesentlichen handelt es sich dabei um 3 Frontabschnitte :um den Wasser- und Mineral- haushalt der Epileptiker, um ihren Eiweil3stoffwechsel und um das Problem der im Anfall entstehenden Krampfgifte und ihrer humoralen l~bertragbarkeit.

Sie werden mich ffagen: wo bleiben in dieser ~bersicht die Gef~I~vor- g~nge, deren Bedeutung in der Pathogenese des epileptisehen Krampf- anfalles seit Nothnagel unbestritten ist, deren Bedeutung Sie eben wieder in dem Referat des Herrn v. Braunmi~hl gesehen haben ? Dabei haben sich die Befunde, die die Bedeutung funktionellen Gef~flgeschehens beleuchten, in den letzten Jahren erheblich vermehrt. Sie wissen ja, dal3 nicht nur die anatomische Forsehung nieht stehen geblieben ist, sondern dab auch die Klinik hier wesentliehe Beitr~ge geliefert hat. Mit den yon Herrn v. Braunmi~hl erw~hnten Herzbefunden bei jugendliehen Epileptikern (Neubiirger) stimmen auch die klinisehen Erfahrungen gut iiberein. Wir wissen dureh Hiller und Stemmer, dal3 viele Epileptiker ~hnliche anginSse Beschwerden haben, wie die Angina pectoris-Kranken. Man hat inzwischen auch im Elektrokardiogramm (Padilla und Cossio) einen Herzstillstand im epileptischen Anfall festgestellt; Winternitz, Eu/inger und Molz haben Ver~nderungen im EKG. gesehen, die wir sonst nur yon den Angiospasmen der Coronarkranken und yon Infarktbildungen im linken Ventrikel her kennen. Dazu kommen neuerdings capillar- mikroskopische Befunde bei Epileptikern, die deren vasolabile Diathese wahrscheinlich machen. Wir wissen weiter dureh Krap/, dab im spiit- epileptischen Anfall h~ufig die labile BlutdruckerhShung eine Rolle spielt; und v. Hoefllin hat, auch wenn er Krap/ in vielen tbmkten

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widersprochen hat, mindestens die Bedeutung der funktionellen Durch- blutungsstSrungen durch seine Untersuchungen best/~tigt. Marx und Weber haben auch bei jugendlichen Epileptikern ErhShungen des l~uhe- blutdruckes gefunden - - und so best/~tigen Klinik und Anatomie hier die Erfahrungen v. Bergmanns, da$ es gerade bei den Kreislaufvorgi~ngen von den reinen FunktionsstSrungen zum anatomischen Pathos alle flieBenden l~berg/~nge gibt.

Abet wir sind damit in tier Aufz~hlung der neuen Befunde fiber die Rolle des Gef/~l~systems in der Pathogenese des epileptischen Anfalls nicht am Ende. Die Gef/~$vorgi~nge reichen welt in die klinische Sympto- matologie der Epilepsie hinein. Ich babe vor Jahren gezeigt, da$ ja auch der Vestibularapparat des Epileptikers gefi~Babh/~ngigen Schwankungen unterworfen ist und dal3 die so auftretenden 13bererregbarkeitszust/~nde die Erscheinungsweisen der Sinnesti~uschungen im epileptischen Aus- nahmezustand bestimmen kSnnen; ieh babe weiter zeigen kSnnen, dal3 sich vor den Anf/~llen im zentralen Gesiehtsfeld der Epileptiker flfigel- fSrmige AusfMle linden, die schon durch ihre Fliichtigkeit ihre Gef/~i~- abhi~ngigkeit verraten und nach ihrer Form mit den Veri~nderungen beim kreislaufbedingten Glaukom (Salzer) eine erhebliche Xhnlichkeit haben; Ausfi~lle, die wir fiberdies als Friihsymptom der Arteriosklerose und der Migr/~ne kennen.

Endlieh hat man (Marx und seine Mitarbeiter) die pressorisehen Sub- stanzen, die die Volhardsche Schule im Serum yon Hypertensionskranken schon frfiher nachgewiesen hat, jetzt auch bei Epileptikern gefunden und zwar in der Aura und in der ersten HMfte der Anfi~lle; in der zweiten Hi~lfte und im Intervall dagegen nicht mehr. Diese pressorischen Sub- stanzen bewirken bei der Katze einen mittleren Blutdruekanstieg, der gelegentlich his zu 2 Stunden anhalten kann. Ob diese Substanzen etwas zu tun haben mit dem ttormon des Hypophysenhinterlappens, werden wir sp/~ter erSrtern. Sie wissen, da$ man sehlieBlich den Sinus caroticus fiir cerebrale Gef/~Bdysregulationen verantwortlieh gemacht hat. Lennox hat mit seinen Mitarbeitern in der Jugularis-Stromuhr Gef/~$spasmen aufzeigen kSnnen und die Bedeutung des Sauerstoffmangels in der Pathogenese des Anfalls immer wieder besonders betont. SchlieBlich hat man angiospastisehe Vorg/~nge in der Netzhaut des Epileptikers direkt beobaehtet (Rossi), und einzelne Autoren haben sogar die Druckschwan- kungen gemessen (Dubar und Pargowla).

Freilieh sind einzelne dieser Befunde widersprochen. So wollen vor ahem Hadorn und Tillmann die Ver/~nderungen im EKG. nicht wahr haben. Aber wie solche Autoren dann die auf dem Sektionstisch erwie- senen tterzver/~nderungen Neubiirgers erkl/~ren wollen, darauf sind sie vorl/s die Antwort schuldig geblieben. Aber Sie sehen, dab die Befunde, welehe die Bedeutung angiospastiseher Vorg/s in der Pathogenese des epileptischen Anfalles best~tigen, erheblich angewachsen sind. Wir

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werden allerdings yon der Auffassung, daB es sieh um reine Angiospasmen handelt, zu etwas weiteren Begriffen im Sirme der funktionellen Patho- logie v. Bergmanns vorstoBen mfissen.

Da$ sich bei allen Epileptikern diese Gef/~Bvorgange linden, ist bisher nicht bewiesen. Aber wir werden noeh sine Reihe yon anderen Fragen aufwerfen mfissen. KSnnen derm funktionelle Gef/~$vorg/~nge fiberhaupt einen so komplizierten Mechanismus wie den epileptisehen Anfall urs/~ehlich bedingen ? Und warum fiihren solche Gef/~$vorggnge in einem Falle zu Anf~llen und im andern nicht ? Denn wit alle wissen doch, dab sich /~hnliehe, wenn nicht gleiche Gef/~Bvorg/~nge bei einer Reihe yon anderen Krankheitszust/~nden auch finden, vor ahem bei der Migrgne, bei manehen Angiotrophoneurosen, bei der Hypertension, bei manchen vegetativen Syndromen, bei den vielen Krankheitszust~nden, die unter der Bezeich- hung der Vasopathie eine vorl/~ufige Garage gefunden haben, und selbst bei manehen Psychosen. Es ist also nieht wahrscheinlich, daB diese Gef/~Bvorg/~nge die einzige Ursaehe des epileptischen Anfalles sind. Sicher sind sie, wie Spielmeyer das ausgedrfickt hat, eines der entschei- denden und wahrscheinlieh das letzte Glied in der Ursachenkette. Teleo- logisch gesehen freilich werden uns diese Gef/~Bvorg/~nge vielleicht eher als das Mittel erscheinen mfissen, dessen sich der K6rper bedient, um sieh yon einer bereits vorhandenen Sch/~dliehkeit zu befreien. Wit werden diesen Gef/~$vorg/~ngen im Verlaufe unserer weiteren ~berlegungen immer wieder begegnen; immer aber in anderen Zusammenhangen und - - ieh darf wohl auch sagen - - in einer ver/~nderten Bedeutung als noch vor wenigen Jahren.

Ich darf Ihnen jetzt in groben Strichen die Frontabsehnitte skizzieren, yon denen ich eingangs gesproehen babe. Es ist richtig, da$ das Verdienst um die Erforsehung des Wasser- und Mineralhaushaltes der Epileptiker im wesentliehen McQuarrie und seinen Mitarbeitern zukommt. Aber die Anf/~nge der Untersuchungen reichen in der psychiatrischen Literatur schon sehr viel welter zurfiek. Schon vor fast 30 Jahren haben Allers und Rohde festgestellt, daB dem epileptischen Anfall eine Wasserretention des KSrpers vorangeht, die sich in einem Gewichtsanstieg kundgibt. Frisch, Walter und Weinberger haben in dieser extrarenalen Wasserhaus- haltsst6rung auch bereits das Problem des Quellungszustandes der Gewebe und damit der Erregbarkeit gesehen. Und Wuth hat schon vor einer Reihe yon Jahren die Wichtigkeit der Diurese nicht nur fiberzeugend theoretisch abgeleitet, sondern auch praktisch erprobt. Auch die Thyreoi- dinbehandlung Boltens und die Erfahrungen Temple Fays fiber subarach- noidale l~lfissigkeitsansammlungen im Encephalogramm vor den Anfi~llen gehSren hierher. SchlieBlich ist schon lange bekannt gewesen, dab der Gewichtsverlust der Hungerkur im wesentlichen ein Wasserverlust ist und dab die S/~uerung des Gewebes allein, gemessen an der Wasserstoff. ionenkonzentration keine gesetzmis Beziehungen zu den AnfgUen

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hat. Und endlich hat Rowntree gezeigt, daft es beim Hunde eine Wasser- vergiftung mit tonisch-klonischen Kr impfen gibt. Das ist freilieh beim gesunden Menschen kaum mSglieh. Aber beim Epileptiker kann, wie wir dureh die Untersuchungen von Engel und aus der letzten Zeit von Janz, wissen, schon ein einfacher WasserstoB anfallsausl6send wirken. Wie ist das mSglich ? Naeh H6ber ist die Erregbarkeit der Zelle eine Funktion des Quellungszustandes der Zellkolloide. Permeabilit~tssteigerung und erhShte Quellung bedeuten also ~bererregbarkeit.

Demnach miissen alle Maflnahmen An]~iUe verhi~ten, welche die ZeUen abdichten und Wasser austreiben. Das hat sich inzwischen in vielen Ver- suchen bestitig~. Inwieweit das Cholesterin dabei eine Rolle spielt, l~Bt sich noch nicht sieher sagen. Cholesterin soll die Zellw~nde abdichten und Wasser ausscheiden, ebenso wie sein Antagonist im Wasserhaushalt das Lecithin, Chlor und Wasser in den Geweben anreichert (DegIcwitz). Und McQuarrie meint, dab beim Auftreten der Anfs das Verhiltnis Cholesterin : Lecithin zugunsten des Lecithins verschoben sei. Bei einer grSBeren Cholesterinanreicherung im Blute, die fibrigens aueh ein Ereignis der ketogenen Di i t ist, sollen die Anf~lle ausbleiben. Man wird die Bedeutung dieser Untersuchungen vorliufig nicht zu wiehtig nehmen diirfen, v. Bergmann hat die Sorge um den Cholesterinspiegel, der heute auch in der Pathogenese der Hypertension und Arteriosklerose auftaucht, als eine Modefurcht bezeiehnet und darauf hingewiesen, dab die wenig- sten Arbeiten sieh um eine wirkliche Cholesterinbilanz bemiihten, dab nicht einmal festgestellt werde, wie viel cholesterinhaltige Nahrung vor den Bestimmungen zugeffihrt worden sei.

Ebenso wie alle zelldichtenden und diuretischen MaBnahmen Anfille verhiiten miissen, ebenso muB Odembereitscha/t und Wassersperre das Au/treten der An/~ille begiinstigen. Der beste Beweis dafiir ist der Wasser- stoBversuch in Verbindung mit Pitressin bzw. Tonephin. Engel und Janz haben uns gezeigt, dab von den Provokationsmethoden, die uns zur Zeit zur Verfiigung stehen, der Wasser-Pitressinversuch die theoretiseh am besten unterbaute und praktisch einzig brauehbare ist. Denn dieser Versuch fiihrt wirklieh nur bei Epileptikern, nicht aber bei anders Hirn- kranken oder gar bei Gesunden zu Anfillen.

Gestatten Sie mir, dab ich einen Augenblick absehweife zur Frage der Provokationsmethoden fiberhaupt. Das Cardiazol, das in letzter Zeit so viel verwendet worden ist, erfiillt die Voraussetzungen, die wir an eine Provokationsmethode stellen, soviel ich sehe, nicht. Deml der Campher ist - - und das wissen wir schon seit Muskens, nieht erst aus den Untersuchungen der letzten Zeit - - ein Krampfgift, das nicht nur bei Epileptikern, sondern auch bei allen organischen Hirnerkrankungen, bei vielen Gesunden und den meisten Tieren zu Anfillen fiihrt. Es kann deswegen zur Diagnose oder gar Differentialdiagnose nichts beitragen. Der Chlorithylvereisungsversuch M u c k s - Sie wissen, dab er die Stelle, an

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der man den Radialispuls palpiert, unter einen Chlor/~thylspray setzt-- hat in den letzten Jahren viel yon sich reden gemacht. Aber weder Janz an der K6nigsberger Klinik noch ich selbst haben damit etwas Brauchbares gesehen. Ich habe nur bei Vereisungen der Carotisgegend gelegentlich epileptisehe Anf~lle ausl6sen kSnnen. Und soviel ieh sehe, ist es den meisten Naehuntersuehern nicht anders ergangen. Der Muclcsche Ver- such ist also als Provokationsmethode sicher nicht geeignet. Aber viel- leicht wird er ffir die Theorie der Reflexepilepsie noeh einnml eine gewisse Bedeutung erlangen kSnnen. Der Hyperventilationsversuch Foersters endlieh, der, wie Sie alle wissen, die Pathogeneseforschung des letzten Jahrzehnts entscheidend beeinfluBt hat, hat leider praktisch das nicht gehalten, was wir a]le yon ihm erwartet haben. Jedenfalls hat keiner der Naehuntersucher die ersten Zahlen Foersters je wieder erreieht, und es scheint aueh naeh meinen eigenen Erfahrungen, dab sich dabei tetanisehe und vegetative Syndrome welt 5fter herauslocken lassen als wirkliche epileptisehe KrampfanfMle.

Ich darf nach diesem kurzen Absehweifen wieder zum Wasserhaushalt der Epileptiker zurfickkehren. Es ist selbstverst/~ndlich, dab eine Wasser- retention yon einiger M/~chtigkeit im K6rper nicht isoliert erfolgen kann. Denn wenn Permeabilit/~tssteigerung und Krampfbereitschaft parallel gehen, so muB zugleich mit der Quellung ein Ionenabstrom aus dem Gewebe stattfinden (Engel). Das ist sowohl ffir den spontanen Anfall wie fiir den Pitressinversuch erwiesen. Beim Pitressinwasserversuch wird w/~hrend der Retentionsperiode trotz der insgesamt geringer~ Harn- mengen, die ausgeschieden werden, eine fiberschieBende Ausscheidung von Chlor, Natrium und vor allen yon Kalium gefunden. DaB Hand in Hand damit das Kalium im Blur abnimmt, wissen wir durch Engel und Ziegler. Und so bleibt, wie Engel sagt, mehr oder minder ,,reines Wasser" im K6rper zurfiek, der osmotische Druek sinkt, und die Gewebsquellung muB zunehmen.

Diese reversible Permeabilit/~tssteigerung, in ihrer Bedeutung sehon yon Georgi erkannt, die unter der Wirkung des Pitressins stattfindet, 1/~Bt sieh natfirlich auch beim gesunden Menschen nachweisen, nur mit dem Unterschiede, dab er eben keine epileptischen Anf/~lle bekommt. ])as sagt aber zugleieh, da'B die Ummineralisation keine Krampf]olge sein kann. Naeh den AnfMlen folgt naeh den Untersuchungen der McQuarriesehen Sehule eine Salzverarmung der Ausscheidung, der eine allm/~hliche Einsparung der genannten Elektrolyte folgt.

Das entseheidende ist nun aber, dab sich die gleiehen Ver/~nderungen wie im Pitressinversuch auch bei den spontanen Anf/~llen finden sollen; und zwar hat die McQuarriesche Schule vor den Anf/~llen und in Zeiten erh6hter Krampfbereitschaft eine gesteigerte Kaliumausscheidung ge. funden, w/~hrend sich im Intervall der Quotient zugunsten des Natriums verlagert. Ieh will darauf im einzelnen nicht noeh einmal eingehen.

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Inwieweit hormonale Eirrflfisse dabei eine Rolle spielen kSnnen, ist noch nieht endgiiltig gesiehert. Aber wir werden doch fragen miissen, ob nicht aueh beim spontanen Anfall das Hypophysenhinter]appenhormon im Spiele sein kann. Denn das Pitressin bewirkt ja gerade die typisehe Ummineralisation, die auch im spontanen Anfall stattfindet.

Allerdings fiihrt das ttypophysenhinterlappenhormon, wie Sie wissen, neben der Antidiurese aueh zu einer Blutdrucksteigerung. Also, werden Sie sagen, miindet das ganze Problem doch wieder in die Problematik der vasalen Faktoren ein. Aber das ist nicht wahrscheinlieh. Denn die Blutdrueksteigerung unter Pitressinwirkung hat ihren HShepunkt 1/~ngst fiberschritten, wenn der Anfall auftritt, w/~hrend dann gerade die Wasser- retention ihren H6hepunkt erreicht hat. Auch nimmt bei mehrmaligen Injektionen yon Pitressin, wie sie ja im Versueh notwendig sind, die Blutdrucksteigerung nicht zu, wohl aber die Nierensperre.

Ob die pressorisehen Substanzen im Anfallsblute des Epileptikers etwas mit diesem ttormon zu tun haben, 1/iBt sich noch nieht endgiiltig entscheiden. Das Pitressin bewirkt eine schlagartige starke Blutdruck- steigerung yon Minutendauer. Die pressorischen Substanzen im Epilep- tikerblut dagegen treiben, wie wir gehSrt haben, den Blutdruek nur zu mittleren HShen hinauf, dafiir aber unter Umst/s ffir Stunden. Marx fragt aber mit Recht : Miissen sich denn die Wirkungen des Hormons im lebendigen Organismus ebenso abspielen wie in kiinstliehen Versuehen mit Handelspr/~paraten ? Wiehtiger ist schon, dab man die vasokon- striktorischen Stoffe auch dann beim Epileptiker geSunden hat, wenn es sieh nicht um spontane, sondern um Pitressinanf/~lle gehandelt hat. Das allein kSnnte freilich ein FehlschluB sein, denn man kSnnte ja sehr einfaeh das injizierte Pitressin bei der Blutentnahme zuriickgewonnen haben. Aber die Versuchsergebnisse gewinnen doch eine gewisse Bedeutung dadurch, dab die pressorisehen Substanzen von Marx und Weber eine Reihe /~hnlicher physikalischer Eigenschaften haben wie das Pitressin. Ieh kann darauf im einzelnen leider nicht eingehen. Und so spricht man- ches dafiir, dab beide Substanzen eine recht groBe Xhnlichkeit haben. Der Beweis freilich, dab sie identiseh sind, steht bislang noeh aus. - - Vom Wasser- und Mineralhaushalt her betrachtet also sind die Gef/~B- vorg/~nge ein Ergebnis hormonaler Einflfisse.

Das ist im wesentlichen der UmriB des einen Frontabschnittes, yon dem wir gesproehen haben. Kleine Stellungsk/~mpfe um Einzelbebaup- tungen dauern noch an. Und wir werden nicht fibersehen kSnnen, dab eine ganze Reihe yon Autoren (Fettermann, Kumin, Hartenberg, Wilson, Limberger, Kammerer, Sant'Angelo u.a.) die Bedeutung der Wasser- retention nicht anerkennen.

W/~hrend die Schule McQuarries meint, dab in der Pathogenese des epileptischen Krampfanfalles wesentliche Verschiebungen des EiweiB- stoffweehsels keine Rolle spielen, stehen gerade die StiekstoHverhdiltnisse

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bei Frisch im Mittelpunkte eines fertigen pathogenetischen Aufrisses. Frisch geht von ~thnlichen Beobaehtungen aus wie seinerzeit Wagner von Jauregg bei den Anf~ngen seiner Malariatherapie. Sie wissen alle, dab gelegentlieh sehwerste Epilepsien dann stillstehen, wenn manche ander- weitige Erkrankungen hinzutreten. Das kann das eine Mal eine Grippe oder Angina, ein Seharlach oder Typhus sein, es kSnnen septische Erkran- kungen, vor allem aber konsumierende Prozesse (maligne Tumoren, zer- fallende Tuberkulosen u.a .m.) sein. Auch Hungerzust~nde, grSBere Blutungen (naeh operativen Eingriffen), Eiterungen, Zellgewebsentziin- dungen gehSren hierher; und wahrseheinlich auch das alte Haarseil- verfahren, dem man gute Erfolge gerade bei der Epilepsie, soviel ich sehe, doeh niemals ganz hat absprechen k5nnen. Ich selbst kann diese Er- fahrungen nur bests Wir kennen, um nur ein Beispiel herauszu- greifen, an der Miinehener Klinik Epileptiker, die w~hrend einer regel- m~Big wiederkehrenden sehweren Furunkulose oft monatelang w~hrend des ganzen Frfihjahrs und Sommers anfallsfrei bleiben, w~hrend sie nach Abheilung der Furunkulose wieder ihre regelm~Bigen, h~ufigen und sehweren Anf~lle haben.

Was ist der gemeinsame Nenner dieser anfallswidrigen Krankheits- zust~nde ? Da sie alle mit einem vermehrten Zellzerfall einhergehen, so muB auch ein vermehrter Abbau kSrpereigenen EiweiBes stattfinden, und zwar gleiehviel, ob er dureh den erhShten Energiestoffweehsel einer fieber- haften Infektionskrankheit, durch Entzfindung und Eiterung oder durch die negative Stickstoffbilanz des Hungers zustande kommt. Diese Vor- g~nge haben aber auch einen charakteristischen h~matologisehen Aus- druck: bei ihnen allen verschiebt sieh das Verh~ltnis Albumin: Glo- bulin zugunsten des Globulins. Wie sind diese Stiekstoffverh~ltnisse, werden Sie gleich fragen, aber nun beim Epileptiker ? Der Epileptiker hat nicht nur erhebliche Eiweil~schwankungen, die wir schon durch die Untersuchungen von de Crinis, Besta, Wuth u. a. kennen, sondern er hat im Anfall auch eine Versehiebung (bei gleichzeitiger Eiweil~vermehrung) der EiweiBwerte naeh der Albuminseite; es handelt sich also genau um das entgegengesetzte Verhalten wie bei den oben erw~hnten anfallswid- rigen EiweiBzerfallsprozessen. Das wissen wit schon seit l~ngerer Zeit aus den Untersuchungen yon Max Meyer, _Fried und Frisch.

Haben diese EiweiBverh~tltnisse aber nun fiberhaupt etwas mit der Krampfneigung zu tun ? Frisch und Elias haben da wieder Versuehe angestellt. Sie haben bei Hunden die faradische Stromst~rke festgestellt, mit der sieh gerade noch rindenepileptische Krampfanf~lle erzeugen lassen. Sind diese Hunde dureh entspreehende Prozesse (Hunger oder Immunisierung gegen bestimmte starke Gifte) - - Prozesse, von denen man weiB, dab sie sehnell zu einer Globulinanreicherung fiihren - - ent- sprechend vorbereitet worden, so ist nun (Absinken des Albumin-Globu- linquotienten z. B. yon 18 auf 1,7) die drei~ache Stromst~rke erforderlich

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gewesen. Diese experimentellen Erfahrungen stehen nieht isoliert da. Sie wissen, dab die Epileptiker auch sonst eine ausgesproehene Resistenz gegen erhShten Zellzerfall haben. Ich daft Sie an die schSnen Unter- suchungen yon Volland fiber den Verlauf der Carcinome bei Epileptikern erinnern und daran, dab Tuberkulosen bei Epileptikern doch ausge- sproehen milde verlaufen und dab die schweren Phthisen zu den grSBten Seltenheiten gehSren. Ob die Resistenz der Epileptiker gegen die Para- lyse trotz der H~ufigkeit der Lues unter ihnen damit zusammenh~ngt, soll dahingestellt bleiben.

Ich fibersehe nicht, dab auch eine Reihe von Befunden, wie die St5- rungen der Stiekstoffausscheidung vor den Anfs (Frisch), yon ein- zelnen Autoren widersprochen worden ist. Aber mir scheint, das ist ffir unsere heutigen ~berlegungen ziemlich unwiehtig. Es gibt eine ganze Reihe namhafter Autoren, die an der zentralen Stellung des EiweiBstoff- weehsels in der Pathogenese des Anfalls nicht zweifeln.

Mit diesen EiweiBver~nderungen h~ngt nach Frisch aber nun auch die ganze WasserhaushaltstSrung zusammen. Und zwar so: die Hydrophilie eines Kolloids ws mit dessen Dispersits Die Kraft , mittels der kolloidales Gewebe Wasser anzieht und fesths der kolloidosmotische, kurz onkotisehe Druek (Schade), betr~gt z. B. ffir das hochdisperse und feinmolekulare Albumin 7,45 ccm Wasser, ffir die gleiehe Einheit des grobmolekularen und grobdispersen Globulins dagegen nur 2,51. Wenn nun vor den Anf~llen, wie wir jetzt wissen, eine Vermehrung hoch- disperser Kolloide stattfindet, so kSnnen ganz betr~ehtliche Wasser- mengen im K5rper festgehalten werden - - und der Niere wird ent- spreehend weniger zur Verffigung gestellt. Ich kann auf weitere Einzel- heiten hier leider nicht eingehen. Die manchen Autoren verwunderliche Tatsaehe z. B., dab der Pitressin-Wasserversuch bei gleichzeitiger Koch- salzzulage versage, erscheint Frisch auf Grund seiner Konzeptionen selbstverst~ndlich. Denn reines Wasser kSnne yon dem flfissigkeits- gierigen Kolloid leiehter angezogen werden als Salzwasser, das dem intracelluls kolloidosmotischen Druck einen extracelluls Druck gegenfiberstelle.

Wahrscheinlieh spielt bei all diesen Vorg~ngen auch noch das Calcium eine besondere Rolle, und die Ihnen allen bekannte Herabsetzung der Alkalireserve durch das Auftreten intermedi~r gebildeter S~uren u. a. m. Natiirlich handelt es sich bei all diesen Vorg~ngen an sich nieht um krankhaftes Geschehen. Aber doch wohl um eine konstitutionell gebundene Stoffweehseleigenart, in der man mit Frisch den diSpositionellen Faktor zur Epilepsie sehen kann, den Faktor also, den Buscaino mit seiner Bio- pathie meint ; ihr steht auch bei Frisch eine Cerebropathie gegenfiber, die er in zahlreichen 5rtlichen Hirnver~nderungen sieht und in jedem Einzel- falle von Epilepsie postuliert. Damit entfernt er sich freilich schon vom aUgemein anerkannten Forschungsgut.

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Die vasomotorisehen Vorg~nge, denen Frisch eine gewisse Mittler- funktion den auBerpers6nliehen, vor allem atmosph~rischen Einfliissen gegenfiber einr~umt, sind nun bei ihm keine LfiekenbiiBer der Pathogenese, sondern durch eine sinnvolle Hypothese im Rahmen des Ganzen unter- gebracht. Das Reizvolle an ihr ist, da~ aueh diese Hypothese ihren Ursprung im Eiweil~stoffwechsel hat. Ich muB dazu mit ein paar Worten etwas weiter ausholen.

Der Stoffaustausch in der Capillare untersteht, wie Sie wissen, zwei antagonistisehen Kr~ften, dem mechanischen Innendruek (Filtrations- druck) und dem onkotischen Druek des Gewebes. Im arteriellen Schenkel fiberwiegt der mechanische Innendruck, deshalb strSmt hier nur Fliissig- keit aus dem Gef~B naeh dem Gewebe ab. Je weiter es naeh der Peri- pherie zu geht, desto mehr sinkt der mechanische Innendruck, und es mul3 einen Punkt geben, an dem beide, der Innendruck und der onko- tische Druck des Gewebes, sich das Gleiehgewieht halten. Von diesem Punkt an fiberwiegt der onkotisehe Gewebsdruck, und deswegen strSmt auf diesem Abschnitt wieder die Fliissigkeit aus dem Gewebe nach dem venSsen Sehenkel der Capillare zurfiek. Nun hat man die Pathologie dieser Verh~ltnisse bisher nur betraehtet yon Ver/~nderungen zugunsten des Innendruekes wie bei der Thrombose oder der Nephrose, bei denen der Umschlagspunkt naturgem~B gegen die Vene zu hinaufriickt, mit dem Ergebnis, daB dann noeh auf einer Strecke, die sonst bereits der Riick- flutung dient, Ni~hrfliissigkeit aus der Arterie ins Gewebe abstrSmt; Ergebnis: 0dembildung. Wie nun, wenn der onkotisehe Druek seine gewohnten MaBe einmal iibersteigt ? Und beim Epileptiker muB er ja steigen. Man kann rechnen, dab vor den Anf~llen ein onkotiseher Anstieg auf 400---500 mm Wasser erfolgen muB (Frisch). Der Umschlagspunkt muB jetzt also gegen die Arterie hinaufrficken, und so wird die Strecke verkfirzt, die sonst die Ern~hrung garantiert; es mul3 also die Erni~hrung des Gewebes notleiden und ein akuter Gewebshunger auftreten.

Wie kann der Organismus diesen onkotischen r nun kom- pensieren ? Er kann es im vcesentlichen dadurch, dab er durch eine Steigerung des Blutdruckes dag Druckgleichgewicht wieder herstellt und den Gleiehgewichtspunkt in seine alte Lage riickt. Einen solehen Druckanstieg aber kann der K6rper wohl nur erreichen durch eine so universelle Vasokonstriktion, wie sie eben im epfleptischen Anfall start- finder. Dabei hat Frisch eine Reihe von recht guten Zeugen. So wissen wir z. B. durch Handowsky und E. P. Pick, dab aueh die vasokonstrik- torischen Wirkungen alternden Serums an die Albuminfraktion gebunden sind. Und schlieBlieh kSnnten ffir diese Konzeptionen Frischs noeh weitere Beweise erbraeht werden, wenn man feststellen kSnnte, dab die vaso- mot~rischen Vorgs beim Epileptiker immer dann am st/~rksten sind, wenn auch die Albumin-Globulinvermehrung am ausgesprochensten ist. In diesem Gebiiude yon Erisch sind also die Gefi~I~vorg~nge letzten

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Endes die Abwehrreaktionen auf bedrohliche StSrungen im Gewebseiwei~- stoffwechsel; wir sehen sie hier also in einer ganz anderen Funktion als vorhin bei den McQuarrieschen Betrachtungen des Wasserhaushaltes.

Aus diesen Betrachtungen ergibt sich eine groBe Fiille yon Bezie- hungen zu Einzelbefunden in der Pathogenese. Sie kSnnen bei der kurzen Zeit, die uns zur Verffigung steht, hier nicht diskutiert werden. Ich habe Ihnen aueh absichtlieh keine Tafeln aufgehi~ngt, die das Zusammenspiel der einzelnen Faktoren erl~utern. Auf ihnen miissen heute immer noch hypothetische GrSBen neben wirklich erforschten eingetragen werden. Und so spiegeln solche Tafeln meist schon ein endgiiltiges Wissen vor, das wir in Wirklichkeit noch gar nicht besitzen. Au/ das Zusammenspiel aller Faktoren abet kommt es selbstverst~indlich an. Nur sind wir bis heute noeh nieht so weir, dieses Zusammenspiel wirklich aufzeigen zu kSnnen. Und mir seheint immer mehr, dab sich gerade in der letzten Zeit unter der geschiekten Regie einzelner Spielleiter gewisse Stoffwechsel- einzelgrSBen zu Stars entwiekelt haben, w~hrend die Leistungen des Ensembles viel zu wenig gewiirdigt werden.

Der dritte Frontabschnitt, an dem sich in den letzten Jahres Wichtiges voUzogen hat, betrifft, wie wir eingangs gesagt haben, die im epileptisehen An/all entstehenden Kramp/gi/te und ihre humorale Ubertragbarkeit ; Vor- g~nge also, die uns einen Einblick in das geben, was im Anfall gesehieht. Friedrieh Wilhelm Kroll hat sehon vor Jahren sowohl im faradiseh ge- reizten Krampffokus desTierhirns als auch im operativ entfernten Krampf- herd des Epileptikers Stoffe nachgewiesen, die einem anderen Tier inji- ziert, zu sehweren geh~uften, ja sogar t6dlichen Anf~llen ffihren k6nnen. Diese Befunde sind nieht so erstaunlich, wie es auf den ersten Blick aussieht. Wir wissen heute, dab in den Organen lokale ,,organhor- mone", wie v. Bergmann sie nennt, entstehen, die iibertragbar sind und das gleiehe Organ bei einem anderen Tier gleichsinnig beeinflussen. So hat Loewi im Tierversuch bei Vagusreizung des Herzens in der Durch- spiilungsfliissigkeit des Herzens einen Stoff gefunden, der das Herz eines damit injizierten anderen Tieres wiederum langsam schlagen li~t. Umgekehrt hat man unter Sympathicdsreizung Wirkstoffe gefunden, die das Herz eines anderen Tieres so beeinflussen, als wi~re es vom Herzsympa- thicus, also dem Accelerans, getrieben.

Wenn also bei Reizung eines nervSsen Organs yon diesem gleiehsinnig wirkende Reizstoffe gebildet werden, so mug man auch bei Him- und Rfickenmark eine Krampfstoffbildung unter faradischem Krampfreiz erwarten. KroU glaubt das im wesentliehen best~ttigt zu haben; und zwar ist das Him selbst der Entstehungsort dieser Krampfstoffe. Sie sollen sich bei leichter faradiseher Reizung nur in der gereizten I-Iemisph/~re, nicht in der anderen linden, bei starker faradischer Reizung dagegen, bei der die Kr/impfe auch auf die andere Seite iiberspringen, auch in der ungereizten HirnhMfte. DaB dieser Transport nieht auf rein nervSsem

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Wege, sondern wahrseheinlich auf dem Blutwege geschieht, dafiir gibt es schon yon vornherein zwei wesentliche Griinde : einmal, da~ die Latenz bis zur Krampfentladung der anderen Hemisphere 8--10 Min. betragen kann; und zweitens, da] der Krampf auch naeh vollst~ndiger Trennung beider Hirnhglften noeh auf die andere Seite iibergeht. Wahrscheinlieh ist die Bildung dieser Krampfgifte auf die Rinde beschr~nkt, denn wenn man Rinden. und Subcortexextrakt getrennt extrahiert und injiziert, so finden sie sich nur in ersterem. Und ebenso ist der Extrakt des Sub- cortex naeh vollstgndiger Rindenabtragung naeh Kroll ohne Wirkung. Angeblich sind diese Krampfstoffe spezifiseh; d.h. aus dem Him ge- wonnene Krampfgifte dieser Art erzeugen wiederum nur eerebrale Kr~mpfe. Aus dem Riickenmark gewonnene nur Rfickenmarkskri~mpfe mit Streck- erscheinungen und Opistotonus. Wenn man bei intakter Hirn-Riicken- marksverbindung das Him reizt und dann Hirn und Riiekenmark getrennt extrahiert und verarbeitet, so bekommt man mit dem Hirnextrakt wiederum eerebrale, mR dem Riickenmarksextrakt wiederum spinale Krgmpfe.

DaB Kroll im fibrigen auch die allgemeineren biologisehen Gesetz- m~Bigkeiten der lokalen Organhormone, yon denen wir eben gesprochen haben, noeh welter verfolgt hat, darauf kann ich hier nur kurz hinweisen. Er will mit dem Hirnextrakt sehlafender Tiere wiederum andere Tiere in i~hnlichen Schlaf versetzt haben. Und zwar nicht nur bei medikamentSs erzwungenen tierischen Schlafzustgnden - - dabei kSnnte ja einfaeh das Schlafmittel wieder fibertragen worden sein, - - sondern auch mit den Hirnextrakten soleher Tiere, bei denen die Schlafzustgnde mit dem Leduc- schen Gleichstrom herbeigefiihrt worden sind, und endlieh aueh mit den Hirnextrakten winterschlafender Hamster. Interessanterweise sollen dabei die Empfgngertiere nicht nur in Schlaf verfallen, sondern auch die gleichen Stoffwechselvergnderungen erleiden, wie sie sich im Winterschlaf vollziehen.

Nun scheinen Blur und Liquor diese fibertragbaren Krampfgifte offenbar nieht zu enthalten, wenn sie aueh yon einzelnen Autoren immer wieder behauptet worden sind. Jedenfalls enthalten die kleinen Mengen Blur und Liquor, die man einem Tier landl~ufig entnimmt, diese Stoffe nicht. DaB sie aber doch im Blute kreisen, hat Kroll nach seinen Mit- teilungen zeigen kSnnen. Damit kiinstliehe Anastomosen nicht not- wendig werden und trotzdem das Gesamtblut des Spenders im anderen Tiere kreist, hat Kroll Untersuehungen an graviden Tieren (Meersehwein- chen, Hunde und Katzen) angestellt. Die Feten werden im Uterus frei- gelegt oder vor dem RSntgensehirm beobaehtet, gleichzeitig wird das Muttertier unter faradische I-Iirnreize gestellt. Dabei sollen nach Kroll die Feten gleichsinnige Anf~lle bekommen wie das Muttertier, und zwar auch dann, wenn das Riiekenmark des Muttertieres vollst~ndig dureh- trennt wird. Klemm~ man bei diesen Versuehen die Placentarvene

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ab, so h6rt der Krampf auf. Klemmt man die Aorta descendens des Muttertieres ab, so h6ren alle gungen zu krampfen auf. Ja KroU behauptet sogar, dab dann, wenn man beim Muttertier nur Rfickenmarks- kr~mpfe (spinale Durchsehneidung nach oben) erzeugt, die Feten nur wieder Riickenmarkskr~mpfe bekommen sollen. Auf eine Reihe yon recht bemerkenswerten Befunden, dab n~mlich die sp~ter ausgetragenen Feten solcher Tiere noch weiter krampfen, kaIm ich bier leider nut kurz verweisen. Sie haben aber in den Beobachtungen yon Esch, Wilke, Schwarzkop/u. a., dab n~mlich die Kinder yon Eklamptischen nach der Entbindung gelegentlich noch Anfiille haben, ein gewisses Analogon.

Ob diese Krollschen Krampfstoffe nun auch wieder irgendwelche Hormoneigenschaften haben, wie er vermutet, liegt noch vollst~ndig im Dunkel. Aber dab sich yon hier neue M6glichkeiten der Forschung und der Therapie er6ffnen, wird man doch wohl zugeben kSnnen. Vor allem k6nnten sich ffir die Therapie der Eklampie doch recht wertvolle neue Gesichtspunkte ergeben. Auf alle Einzelheiten dieser Untersuchungen k6nnen wir hier leider nicht eingehen. Und mir scheint, dab auch manche Einzelheiten erst durch weitere Versuche noch gestfitzt werden miissen.

Wir haben gesehen: Frisch braucht neben den Stoffwechselvorgiingen weitere l~aktoren in der Pathogenese des epileptischen Krampfanfalles. Und die eifrigsten Verfechter der Wasserretentionstheorie kommen nicht aus ohne weitere, konstitutionelle Faktoren, die Engel mit Recht in den Erblichkeitsbeziehungen sieht. Mir scheint, dab gerade das immer wieder fibersehen worden ist, vor allem yon einer Anzahl yon ausl~ndischen Forschern, die immer nur die symptomatische Einmaligkeit des Einzel- falles gelten lassen wollen und, wie Abadie und sein Kreis, eine vererb- bare Fallsucht fiberhaupt leugnen. Die letzten Ursachen der Pathogenese und damit der epileptischen Anf~lle sind bis heute nicht ergriindet. Und deshalb ist ffir uns bis heute die Behandlung der Epilepsie ein vor- wiegend eugenisches Problem; nicht deswegen, weil wir die pathogene- tischen Veranlassungen des Anfalles nicht kennten oder well wir diese Forschungsergebnisse miBachteten, sondern gerade deshalb, well wit sie in ihrer Beschri~nktheit genau kennen und wissen, dab sie allein wohl die Einzelfaktoren der epileptischen Krampfbedingungen kl~ren k6nnen, nicht aber die Entstehungsbedingungen der epileptischen Krankheiten.

Freilich kann sich unsere eugenische Arbeit nicht ersch6pfen in den Verfiigungen der heutigen Sterilisierungsgesetze; nichts kann Ihnen das besser unterstreiehen als die ausffihrlichen Darlegungen Conrads, die Sie soeben geh6rt haben. Und dab fiberall in unserem ~rztlichen Handeln heute eugenische Gesichtspunkte mit am Werke sein sollen, das ist uns schon zu einer Selbstversti~ndlichkeit geworden.

Im Gegensatz dazu abet bleibt die Behandlung des Epileptikers ein ausschlieBlich individuelles Problem. Es erscheint mir kein Zufall, dab Paracelsus sein gr6Btes Werk fiber die hinfallenden Krankheiten dazu

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benfi~zt hat, die Grundlagen des Arztseins und des Menschenbehandelns fiberhaupt darzulegen. Wenn v. Bergmann einmal den kiihnen Satz gepr~gt hat, dab in der Diagnose der ttypertonie nicht die Blutdruek- messung, sondern die Anamnese entscheide, so gilt dies noch viel mehr ffir die Diagnose und Therapie der epileptischen Krankheiten. Man kani~ Fallsiichtige nicht behandeln, wenn man ihre Lebensgeschichte n i c h t - ich daft wohl sagen - - genau so gut kennt wie seine eigene. Dann wird man Stoffwechselkrankheiten mit Anf~llen meist schon anamnestisch abgrenzen k6nnen; ich daft als Beispiel etwa die hypoglyk~mischen Zust~nde mit epileptischen Anf~llen nennen, die heute in der Literatur (Kuhn, Frank u. a.) wieder eine recht grol~e Rolle spielen.

Well die Behandlung der Epileptiker aber eine rein individuelle und in jedem Falle einzigartige ist, so daft ich den zweiten Teil meiner Auf- gabe, Ihnen die Therapie darzustellen, wohl nicht darin sehen, dal~ ich nun jedes Mitre1 und Mittelchen mit Ihnen bespreche, sondern darin, dab ich Ihnen einige grunds~tzliche Gesichtspunkte fiir die Behandlung der Epileptiker ableite. Wit wollen hier nicht im einzelnen die M~ngel ankreiden, die vielen therapeutischen Ver6ffentliehungen gerade bei der Epilepsie auch heute immer noch anhaften - - das zu ldeine Material, die zu kurze Beobachtungsdauer, und wie sie alle heiBen m6gen. Aber wir wollen doch zwei Forderungen namhafter Epilepsieforscher aus der letzten Zeit in diesem Zusammenhang erst einmal mit allem Nachdruck unterstreiehen: F. Braun, Ziirich, hat gesagt: Um Anf~lle fiir l~ngere Zeit zum Verschwinden zu bringen, genfigten schon Kleinigkeiten: ein Wechsel der Arzneimittel, der Kost, des Klimas, der Umgebung. Von Anfallsfreiheit solle man erst sprechen, wenn mindestens 1 Jahr lang kein Anfall mehr aufgetreten sei. Und Chirurgen sollten ihre sog. ,,tteilungen" erst nach 5 anfallsfreien Jahren bekannt geben. Braun selbst hat Rfick- f~lle auch nach 15j~hriger Anfallspause noch gesehen. Und Pen/ield hat sich in jtingster Zeit noch sch~rfer ausgedrfickt: man solle endlich auf- hSren, bei der Epilepsie von Heilung zu sprechen.

Wet Erfolg und MiBerfolg einer Behandlungsart gerade bei den Epileptikern beurteilen will, der muB vor allem die Gesetzmafligkeiten der epi[eptischen Verldu/e und besonders die Spontanremissionen kennen. Wir alle kennen sie noch nicht genug. Carl Schneider hat uns in den iktophilen und iktophoben Lebensphasen - - F. Braun hat sie 1eider nicht bests - - solche, wenn auch noch grobe erste Gesetzm~Bigkeiten auf- gezeigt. Sicherlich sind sie nicht die einzigen und deshalb ist gerade hier noch unendlich viel Arbeit zu leisten.

Vor allem aber ist die Therapie ebenso wie die Diagnostik der Epilepsie viel zu einseitig und monosymptomatisch am Symptom des Anfalls orientiert. Um den epileptischen Charakter als therapeutisches Problem hat sieh so gut wie niemand gekiimmert mit Ausnahme von Ewald, der jfingst darauf hingewiesen hat; man hat sich nicht einmal in der

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negativen Hinsich~ um ihn gekfimmert, ob unsere Behandlungsmethoden nicht vielleicht doeh den psychischen Verfall der Epileptiker beseh]eu- nigen. Sie wissen, dab dieser furehtbare Verdacht schon zu den G]anz- zeiten der Bromtherapie erstmalig aufgetaucht ist. Und selbst Muskens, dem der epileptische Charakter im ganzen doch wohl als eine bSswillige Erfindung der Anstaltspsyehiater vorsehwebte, hat gerade diesen Ein- wand sehr ernst genommen. Aber er selbst hat diese Frage nie klar beantworten kSnnen; und soviel ieh sehe, isC es bis heute auch nach ihm niemandem gelungen.

Ich kann Ihnen heute sagen, dab das Luminal in den bisher gegebenen groBen Dosen die Forderungen, die wit hier stellen, nicht er/i~llt. Ieh habe jetzt in langwierigen klinischen und experimentellen Untersuchungen zeigen kSnnen, dab das Luminal in vielen Fiillen von Epilepsie sogar kontraindiziert ist, vor allen bei den athletischen Menschen aus eneehe. tisehen Sippen (Mauz), besonders dann, wenn sie an sieh schon hiiufig spontane Bewui3tseinstrfibungen haben. Auf dem Boden dieser Kon- stitutionen gedeiht die epileptische Wesens~nderung besonders schnell und destruierend. Und das Luminal ist dann, vor allem in grSl3eren Dosen, der beste Helfershelfer des psychischen Verfalls. Man kann im Rorschaehversueh zeigen, dal3 das Luminal vor allem die Persevations- neigung verst~rkt, die meines Erachtens das Kernsymptom der epilep- tischen Wesens~nderung ist. Ich kann auf Einzelheiten dieser Unter- suehungen hier leider nicht eingehen. Ieh weft3 auch noch nicht, ob das Prominal ebenso verheerende Wirkungen hat wie die groBen Luminaldosen. Gegen die kleinen Luminaldosen (hSchste Tagesdosis 0,1), glaube ich, wird man, wenn man sparsam damit umgeht, so grol]e Bedenken, vor ahem auBerhalb der enechetischen Sippen, nicht haben miissen.

Das Einzelbeispiel des Luminals zeigt Ihnen aber auch, dal3 wir ffir die Prfifung auch nur eines einzigen Mittels immer wieder untersuchen, prfifen und beobachten mfissen. Wenn wir aber mit uns selbst so schaff ins Gericht gehen, meine D. u. H., so gilt das nicht nut fiir die Behand- lungsmethoden der sog. Schulmedizin, sondern ebenso auch ffir die Naturheilkunde und HomSopathie. Sic kenn~ - - ich folge hier 2'. "Braun- Zfirich - - ungefs 75 Epilepsiemitte], deren Indikationen sich nach dem Auftreten einzelner Symp~ome und kleinster Anhaltspunkte richten. Treten die Anf~lle bei Vollmond auf, so soll man Calcarea carbonica geben, beginnen sie im linken Arm, dann Silicea, fangen sie mit ttitze- wellen im Leib an, Indigo, um nur einige Beispiele zu nennen.

Wir ffagen jetzt, da wir die Schwierigkeiten einer kritischen Effolgs- beurteilung eben erSrtert haben mit _~. Braun, wer denn mit waehem s Gewissen und strenger Selbstkritik all diese Indikationen und ihre Erfolge gepriift hat. Wo hat vor allem ein einzelner Beobachter eine solehe Menge mit gleiehartiger Aura beginnender F~lle, um solche

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Indikationen iiberhaupt durehpriifen kSnnen ? Und endlich werden wir fragen miissen, ob unsere primitivste Forderung, dab die Therapie den psyehisehen Verfall nieht beschleunige, such an diesen 75 Mitteln gepriift worden ist.

Naturheilkunde treiben heiBt wohl nieht, ffir jedes Symptom ein eigenes Mittel bereithalten, sondern es heiBt wohl, wenn Namen fiberhaupt etwas besagen, den KSrper in seinem Kampfe unterstiitzen und sich die unmittelbaren XuBerungen der Krankheit in der Beobaehtung dabei zu- nutze zu maehen. Die Klinik der Eiwefl]zerfallsprozesse, die wit oben dargestellt haben, bedeutet hier vielleieht einen neuen VorstoB. Auch die meisten di/~tetisehen Methoden, die Sie alle kennen, die Hungerkur, die Entw/~sserung, die ketogene Di/~t und manehe medikament6se Mittel, wle das entw/~ssernde Bor (Conrad Meyer), sind darin natorliehe Be- handlungsmethoden, dab sie eine anfallswidrige Stoffwechsellage begiin- stigen. Ich kann nicht alle M/~nner aufffihren, die an diesen Problemen gearbeitet und sie gefSrdert haben. Aber neben den Arbeiten der Schulen McQuarries und Siebecks daft ich vor allem die breit angelegten Unter- suchungen Stubb~ Teglbjaergs erwi~hnen, die an einem groBen Material durch Monate iiberpriift worden sind. Freilich fehlt es auch nicht an Autoren, die, wie Peteyra Ka/er, die ketogene Diiitkur als eine hefllose Schinderei bezeichnen, die in keinem rechten Verh~ltnis zum Erfolg stehe.

Ob sich durch Erzeugung einer Cholesteriniimie einmal in die Permeabi- litgtsvorg/~nge therapeutisch eingreifen 1/~Bt, ist noch recht zweifelhaft; immer wieder erfahren wir, dab die Blutspiegel dauernd kaum zu beein- flussen sind, dab sie sieh vielmehr schnell immer wieder auf ihre Stan- dardwerte einspielen. Bertha Wiisten hat z. B. in ihren Kalkuntersuchun- gen jfingst wieder darauf hingewiesen; und so ist mindestens der Nachweis der Wirksamkeit in der Dauerbehandlung an Hand der Blutspiegel kaum je schlagend zu erbringen. I)al3 dagegen etwa der Kalk im Status epi- lepticus yon nachhaltiger Wirksamkeit sein kann, das darf wohl als gesichert gelten.

Abet damit sind wit schon wieder bei einer anderen Gesetzm/~Bigkeit : Manche Mittel, die keinen Er/olg in der Dauerbehandlung haben, leisten Vorziigliehes im Status epileptieus (im Ausnahmezustand) und umgekehrt. Ich selbst habe mit dem Arteriolenstoff yon Lange und Felix in der Behandlung der Krampfanf/~lle Hervorragendes gesehen; ich habe aber umgekehrt beobachtet, dab er epileptische D/immerzust~nde verl/~ngert und verschlechtert.

Was bleibt uns also auBer den di/itetischen Behandlungsmethoden noch ffir die Behandlung der Epilepsie, werden Sie fragen. Es gibt viele M6glichkeiten und sie sind Ihnen fast alle bekannt. DaB wir das Brom in seiner alten klassischen Verordnung oder in seinen neuen Darreiehungs- formen heute ebenso wenig entbehren kSnnen wie manehe Barbitur- s/~urepr/~parate, yon denen ich vor allem das Luvasyl nenne, ist Ihnen

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alien bekannt. Wiehtig an diesen Pr~paraten allein aber sind die Dosen und der Zeitpunkt des Beginns der Behandlung. Es ist keine Kunst, Kranke groBe Arzneimengen schlucken zu lassen und sie so dauernd zu narkotisieren. Wir werden immer die kleinste noch wirksame Dosis suchen mfissen und gerade darauf alle Sorgfalt verwenden. Und der Zeitpunkt ? Die meisten Autoren sprechen einer mSglichst frfihzeitigen Anwendung dieser Priiparate das Wort. Und sie tun es mit guten Grfin- den, vor ahem mit dem Hinweis auf das Gesetz der Bahnung, dab n~mlich jeder epileptische Anfa]l das Auftreten des n~chsten begfinstige und vor- bereite.

Auf der anderen Seite aber lehrt eine differenzierte Beobachtung, dab abwartende t tal tung mit geringen allgemeinen Umstellungen ohne narkotische Mittel in frischen F~llen gleich viel vermag. Man kann so jahrelang Anfs hintanhalten und behalf die Trfimpfe der Narkose- therapie noch immer in der Hand. Abet auch hier werden sorgsame und fiber lange Zeit fortgesetzte Beobachtungen notwendig sein, bis wir ganz klar sehen. Auch die Ge/~i[3mittel im engeren Sinn bedfirfen erst noch einer weiteren kritischen Sichtung. An der Wirksamkeit etwa des Acetyleholins, des Arteriolenstoffes von Lange und Felix, des Padutins und anderer ist heute kaum mehr zu zweifeln. Aber fiber ihren endgfiltigen Wert in der Epilepsiebehandlung wird sich erst dann etwas Sicheres aus- machen lassen, wenn wir die Stellung der Gef~Bvorgitnge - - denn hier greifen diese Mittel ja an - - in der Pathogenese des Krampfanfal!es genauer pr~zisieren kSnnen. Ich habe heute im Gegensatz zu fffiher die grSBten Bedenken, ob wir auf Grund der Erw~gungen, die ich Ihnen im ersten Tell dieses Referates vorgetragen habe, an dem Punkt , an dem diese Gefs schon heute ffir uns in der Ket te der pathogenetischen Einzelglieder stehen, fiberhaupt noch in das Krampf- geschehen eingreifen dfirfen; denn es kSnnte ja sein, dab wir mit der therapeutischen Lahmlegung der Vasokonstriktorischen Vorg~nge nur den Akt verzweifelter Notwehr des Organismus hindern, wi~hrend der zellpathologische Angreifer tun und lassen kann, was er will. ' Schon deswegen sind auch alle Eingri//e an der sog. Carotisdri~se ~uBerst frag- wiirdig. Ffihrende Chirurgen wie Pen]ield haben sie in letzter Zeit auch sonst abgelehnt. Diese Eingriffe unterstellen ein Wissen fiber die Patho- genese der Epilepsie und die Funktionen der Carotisdrfise, das wir in Wahrheit noch gar nicht besitzen, trotz der sehSnen Untersuehungen yon Marinezcu und seinen Mitarbeitern.

~ber chirurgische Eingriffe im allgemeinen mich zu verbreitern, besitze ich nicht die nStigen Erfahrungen und Voraussetzungen. Mir scheint, dab sie immer Sache des Einzelfalles in der Therapie der Epi- lepsie bleiben werden. Und wir alle hoffen, dab die moderne Hirn- ehirurgie auch hier das Werk Foersters, Pen/ields und Olivecronas fort- fiihren wird.

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Die Encephalographie, die wir bier nicht zu den chirurgischen Ein- griffen rechnen, weft sie in die Hand des Neurologen und Psychiaters gehSrt, hat, wie Sie wissen, bei der Epilepsie nicht nur eine diagnostische, sondern auch eine therapeutische Seite. Auf die theoretischen Erw~gungen - - die Anregung und Beschleunigung des Stoffaustausches --, die dieser Therapie zugrunde liegen, kann ich hier der Kfirze halber leider nicht mehr eingehen. Im wesentlichen kann man wohl heute schon sagen, dab die Encephalographie als Therapie vorwiegend nur bei den Kindern, weniger bei Erwachsenen Erfolge hat. Ja gelegentlich ffihrt die Luft- einblasung bei Erwachsenen sogar zu geh~uften Anf~llen.

Endlieh aber dfirfen wir nicht vergessen, dab jede Behandlung eines Epileptikers auch Psychotherapie ist. Wir wissen alle, dab man die Epi- leptiker in den Anstalten in die Arbeitstherapie steckt und dab sie dank mancher Eigenschaften ausgezeiehnete Arbeiter sind. Aber dab es auch eine erfolgreiche Psychotherapie und Arbeitstherapie des schweren epileptischen Ausnahmezustandes gibt, das hat uns erst Carl Schneider gelehrt; und mir scheint, dab hier einer der wiehtigsten Fortschritte ~ler Epilepsietherapie iiberhaupt liegt.

Sie wissen, dab alle Augenblicke neue therapeutische Kometen an unserem Himmel aufsteigen. Aber ihr Schicksal ist die Fliichtigkeit ihrer Erscheinung. Das klassisehe Beispiel dafiir ist die Tollwutvaccine, die uns jiingst Nicoli~ auf Grund einer Einzelbeobachtung empfohlen hat. Auch die ReizkSrpertherapie und Eigenblutbehandlung, die so viel yon sich reden gemacht haben, dfirfen heute sehon wieder als erledigt gelten. Die Eigenblutbehandlung vor allem bewirkt - - ich stimme darin Frisch durchaus bei - - wohl eine Anfallspause wie fast jede neue Epilepsietherapie; aber dieser Anfallspause folgt bei der Eigen- blutbehandlung fast unvermeidlich eine Phase besonders sehwerer und geh~ufter epileptischer Anf~lle. Wenn man aber nun, wie russische Autoren, das Eigenblut gar subarachnoidal einffihrt, so kann man das nur als einen jener grotesken Auswiichse der modernen Medizin an- sprechen, genau wie die Anlegung des doppelseitigen Pneumothorax (als Gegenkraft gegen die Hyperventilation), die uns andere Autoren vor einigen Jahren als Epilepsietherapie empfohlen haben.

DaB man freilich dort, wo allergische Faktoren in den pathogenetischen Kreis eingreifen, gelegentlich mit Desensibilisierungsversuchen vorgehen kann, soll nieht bestritten werden. Aber damit sind wir auch wieder bei dem Problem der anamnestischen Durehdringung des Einzelfalles, von dem wir ausgegangen sind. Hierher gehSrt aueh die Therapie der beson- deren Verlaufsformen der Epilepsie, etwa der ,,menstruellen Epilepsie", die wir aus den Untersuchungen der Kehrerschen Schule neuerdings wieder eindringlich kennen gelernt haben. DaB eine sorgfiiltige ErschlieBung endokriner oder anderer soleher Hilfsfaktoren groBen therapeutischen Gewinn bedeuten kann, l~Bt sich im Einzelfall immer wieder zeigen.

Z. f. d. g. Neut . u. Psych. 161 (Bcr.). 22

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Und so haben wir gewfl~ ein umfangreiches therapeutisches Rtistzeug. Abet nur der, der aus der Beobachtung die Gesetzm~l~igkeiten der Krankheit wie des Einzelfalles erforscht, dem, wenn ich einmal so sagen daft, die anamnestische Tiefenanalyse das Kernstfick der Untersuehung und Behandlung eines Epileptikers ist - - ich gehe darin mit Pohlisch vollkommen einig - - , wird dieses therapeutische Rfistzeug sinnvoll anwenden und echte Erfolge erzielen kSnnen. Krankenbehandlung ist bei einer so ausgemacht chronischen Erkrankung wie der Epilepsie mehr denn irgendwo eine Kunst, und jeder neue Epilepsiefall ein Appell an den ganzen Arzt. Es mul~ ein steinernes Herz sein, das sich nicht bewegen ls die Hilfen bei der hinfallenden Krankheit zu beachten, der Krankheit , die zu erkennen und zu heilen wir nie yon den Knien aufstehen sollten, hat Paracelsus einmal gesagt.

(Aus der psychiatrisch-neurologischen Abteilung des A|lgemeinen Krankenhauses der Stadt Linz a. D.)

Uber den diagnostischen Wert des Cardiazolversuches bei Epilepsie.

Von

F. Langsteiner und G, Stiefler.

Bei der Diagnosestellung der Epflepsie stellt der ~rztlich beobachtete Anfall naturgem~B das sicherste Kriterium dar, mSgen auch PersSn- lichkeit, Erblichkeitsverhs als wichtige Umst~nde bei der Diagnose gelten. Spontane Anf~lle lassen oft sehr auf sich warren oder entziehen sich der ~rztlichen Feststellung, wenn nicht ffir die Beobachtung des Kranken besonders gfinstige s Verhi~ltnisse vorliegen; Ifir gewShn- lich spielt die Gunst des Augenblickes die wesentliche Rolle. Man bemfihte sich daher yon jeher um sog. Provokationsversuche, deren Bedeutung ohne weiteres klar liegt, wenn man sich z. B. an die Konstatierung yon epfleptischen Anfs w~hrend des Krieges erinnert oder heute die Be- dingungen der Erbgesundheitspflege beriicksichtigt. Der altbekannte Alkoholversuch, je 20 ccm 40% Alkohols in Abst~nden yon 5--10 Min. bis zu einer Gesamtmenge yon 200 ccm oder der Kochsalzversuch, der in der Daxreichung groBer Kochsalzmengen bei dutch Brom anfallfrei gemachten Epfleptikern besteht, waren nicht sehr verl~l~lich und hat ten den Nachteil, dab der Zeitpunkt des Anfalles unbestimmt war. Die Carotidenkbmpression yon Tsimina]cis birgt gewisse Gefahren und Be- denklichkeiten, ebenso der gleichfalls w~hrend des Krieges eingeffihrte Cocainversuch yon Jel[inelc und der Suprareninversuch Benede]cs; der Hundertsatz der erzielten Anf~lle war verhs gering, anderseits