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Werkvertrag Nr. 21/05 Ermittlung von Störfallbeurteilungswerten für kanzerogene Stoffe Endbericht Bearbeitung: Dr. Martin Hassauer Dr. Fritz Kalberlah Forschungs- und Beratungsinstitut Gefahrstoffe (FoBiG) GmbH Werderring 16, 79098 Freiburg Im Auftrag des Landesumweltamtes Nordrhein-Westfalen August 2005

Ermittlung von Störfallbeurteilungswerten für kanzerogene

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Page 1: Ermittlung von Störfallbeurteilungswerten für kanzerogene

Werkvertrag Nr. 21/05

Ermittlung von Störfallbeurteilungswerten für kanzerogene Stoffe

Endbericht

Bearbeitung: Dr. Martin Hassauer Dr. Fritz Kalberlah

Forschungs- und Beratungsinstitut Gefahrstoffe (FoBiG) GmbH Werderring 16, 79098 Freiburg

Im Auftrag des Landesumweltamtes Nordrhein-Westfalen

August 2005

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1 Zusammenfassung Im vorliegenden Projekt im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen (Werkvertrag Nr.21/05) sollen Stoffe dahingehend bewertet werden, ob ein relevantes Krebsrisiko bei Störfallen (nach Einmalexposition) zu bedenken ist. Auf dem Hintergrund der Expositionsrelevanz in Nordrhein-Westfalen und der Risikoquantifizierungsmöglich-keiten (Vorliegen eines Mindestumfangs toxikologischer Daten) wurden folgende Substanzen zur Bearbeitung ausgewählt:

• Benzylchlorid (CAS-Nr.: 100-44-7) • Bis(chlormethyl)ether (CAS-Nr.: 542-88-1) • 1,3-Butadien (CAS-Nr.: 106-99-0) • Epichlorhydrin (CAS-Nr.: 106-89-8).

Für diese 4 Substanzen beinhaltet der folgende Bericht die Risikoquantifizierung für Krebserkrankungen nach Einmalexposition und die vergleichende Betrachtung anderer zu beachtender Gesundheitseffekte im Störfall. Es wird jeweils diskutiert, ob die Kanzerogenität oder aber die sonstige akute Toxizität für die Störfallbeurteilung herangezogen werden sollte. In der Methodik wird dem Vorgehen in Vorläufer-projekten 1 gefolgt. Für die einzelnen Substanzen ergaben sich folgende Ergebnisse: Benzylchlorid Die Substanz ist als krebserzeugend (EU Kategorie 2) eingestuft und ist mutagen. Nichtkrebserzeugende Wirkungen nach Kurzzeitexposition beinhalten vor allem mög-liche schwere Reizungen. Für die Substanz liegen bisher keine AEGL-Werte (Acute Exposure Guideline Levels) zum Schutz vor nichtkanzerogenen Wirkungen nach Kurzzeitexposition vor; ersatzweise wurden ERPG-Werte (Emergency Response Planning Guideline- Werte) herangezogen. Diese Werte liegen bei 1 bzw. 10 bzw. 25 ppm (gestuft nach Schweregrad; Bezugszeitraum 1Stunde). Es ist insbesondere ein Vergleich der krebserzeugenden Potenz mit dem ERPG-2 von Interesse (10 ppm, 1 Stunde). Zur krebserzeugenden Wirkung liegen keine adäquaten Humanstudien vor. Geeig-nete tierexperimentelle Daten konnten nur nach oraler Aufnahme, nicht jedoch nach inhalativer Exposition ermittelt werden. Es handelt sich dabei um Langzeitstudien an Ratten und Mäusen. Bei den Tieren wurden vermehrt Schilddrüsentumore (weibliche Ratten), Lungentumore (weibliche Mäuse) und Vormagentumore (männliche und weibliche Mäuse) gefunden. Die verschiedenen Tumorlokalisationen führten zu ähnli-chen Risikoquantifizierungen („unit risk“) der U.S. EPA, die nach Speziesextra-polation für den Menschen ein Risiko von 0,17 pro mg Benzylchlorid/kg Körper-gewicht und Tag ergeben (Basis: Schilddrüsentumore bei weiblichen Ratten).

1 FoBiG, Ermittlung von Störfallbeurteilungswerten für kanzerogene Stoffe, 2003. Im Auftrag des Landesumweltamtes Nordrhein-Westfalen, Essen. Werkvertrag Nr. 18/03 FoBiG, Machbarkeitsstudie zu Störfallbeurteilungswerten für kanzerogene Stoffe, 2001-2002. Im Auftrag des Landesumweltamtes Nordrhein-Westfalen, Essen. Werkvertrag Nr. 78/01

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Nach (intravenöser) Einmalexposition konnten DNA-Addukte vorgefunden werden, es liegen jedoch keine geeigneten Gentoxizitätsstudien vor, die mit der krebser-zeugenden Wirkung hätten korreliert werden können, um einen besseren Einblick in das Krebsgeschehen nach Einmalexposition zu erhalten. Auch Kurzzeitkrebsstudien oder Stop-Studien zur Kanzerogenität (subchronische Expositionsdauer mit Nachbe-obachtung) sind nicht verfügbar. Das kalkulierte Krebsrisiko von 1:10.000 nach Einmalexposition über 1 Stunde liegt mit 28 ppm etwa in Höhe des ERPG-3 Niveaus (das dem AEGL-3 Niveau entspricht).

Zusätzliches Krebsrisiko 1:10000 (1 h) (Basis unit risk der EPA, 2005) *

Zeitpunkt ERPG-Werte (1 h) * (nicht kanzerogener Endpunkt)

Defaultansatz ERPG-1 1 ppm ERPG-2 10 ppm ERPG-3 25 ppm

28 ppm

*: Näheres hierzu siehe unter Abschnitt 2.4

Folglich ist bei 10 ppm (ERPG-2) der Schutz vor nichtkanzerogenen Effekten im Störfall maßgeblich. Der berechnete Wert ist als konservativ einzuschätzen, da a) entsprechend der Berechnungsmethode des unit risk das obere 95%-Konfidenzintervall in die Abschät-zung eingegangen ist, b) standardmäßig ein Faktor 6 zusätzlich zu einer linearen Extrapolation herangezogen wurde, um einem (hier nur theoretisch denkbaren) überproportionalen Anstieg des Krebsrisikos bei Kurzzeitexposition Rechnung zu tragen, c) die Rattendaten herangezogen wurden, was bei der hohen Empfindlichkeit dieser Spezies bei Schilddrüseneffekten und des im Vergleich zu anderen Lokalisa-tionen etwas erhöhten unit risks als vorsichtige Annahme gewertet werden muss, d) grundsätzlich das Vorliegen eines Krebsrisikos nach inhalativer Einmalexposition bei Benzylchlorid nicht belegt ist. Es bestehen relevante Unsicherheiten in der Extra-polation, auch da Daten zur oralen Aufnahme für den Inhalationspfad herangezogen wurden und da die gewählten Vergleichswerte (ERPG statt AEGL) nicht sicher identisch sind. Epichlorhydrin Die Substanz ist als krebserzeugend (EU Kategorie 2) eingestuft und ist mutagen. Nichtkrebserzeugende Wirkungen nach Kurzzeitexposition beinhalten vor allem mög-liche schwere Reizungen. Für die Substanz liegen AEGL-Werte zum Schutz vor nichtkanzerogenen Wirkungen nach Kurzzeitexposition vor („proposed“-Status). Die AEGL-2 Werte liegen bei 53 ppm (30 Minuten) bis 10 ppm (8 Stunden). Die Werte wurden formal als ein Drittel der Konzentration festgelegt, die eine lebensbedrohliche Wirkung besitzt. Zudem beinhalten sie einen Schutz vor der Ausbildung pulmonaler Ödeme. Zur krebserzeugenden Wirkung liegen keine adäquaten Humanstudien vor. Geeig-nete tierexperimentelle Daten konnten nach einer Kurzzeitexposition über 30 Tage gefunden werden: nach einer Exposition über 30 Tage (Expositionshöhe 100 ppm) zeigten sich u.a. signifikant erhöht Tumore im Atemtrakt bei männlichen Ratten. Die Datenqualität ist wegen einer reduzierten Überlebensrate (Atemwegsinfektion) beein-

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trächtigt. Nach Einmalexposition wurde auf dieser Basis ein Risiko von 1:10.000 bei 8 Stunden Exposition gegenüber 1,7 ppm ermittelt.

Zusätzliches Krebsrisiko 1:10000 (Basis Laskin et al., 1980) *

Zeitpunkt AEGL-2 (nicht kanzerogener Endpunkt) *

Stoffspezifische Daten 8 Stunden 10 ppm 1,7 ppm 4 Stunden 16 ppm 3,5 ppm 1 Stunde 24 ppm 14 ppm

*: Näheres hierzu siehe unter Abschnitt 3.4

Gentoxizitätsdaten konnten nicht zur Validierung herangezogen werden. Andere vorliegende Risikoberechnungen (die im Rahmen der AEGL-Bearbeitung ermittelt wurden) scheinen fehlerhaft. Auf Basis dieser Berechnung ist ein relevantes Krebsrisiko bereits bei Einhaltung des AEGL-2 anzunehmen. Der berechnete Wert ist als konservativ einzuschätzen, da a) die absolute Zeitdauer (30 Tage) des Tierexperiments auch als Ausgangzeit der Berechnung für den Men-schen angenommen wurde; würde stattdessen die relative Lebenszeit herangezo-gen, ergäben sich deutlich höhere Konzentrationen, b) eine lineare Extrapolation erfolgte, obwohl ein gewisser (nicht näher einzugrenzender) Anteil der krebserzeu-genden Wirkung auch durch die Reizwirkung beeinflusst sein kann, c) grundsätzlich das Vorliegen eines Krebsrisikos nach inhalativer Einmalexposition bei Epichlor-hydrin nicht belegt ist. Es bestehen relevante Unsicherheiten in der Extrapolation, auch da die zugrunde gelegte Basisstudie Qualitätsmängel aufweist. Bis(chlormethyl)ether Die Substanz ist als krebserzeugend (EU Kategorie 1) eingestuft und ist mutagen. Nichtkrebserzeugende Wirkungen nach Kurzzeitexposition beinhalten vor allem mögliche schwere Lungenschäden und Reizungen. Für die Substanz liegen AEGL-Werte zum Schutz vor nichtkanzerogenen Wirkungen nach Kurzzeitexposition vor („proposed“-Status). Die AEGL-2 Werte liegen bei 55 ppb (30 Minuten) bis 20 ppb (8 Stunden). AEGL-1 Werte wurden nicht festgelegt, da Reizeffekte mit Warnwirkung erst beobachtet würden, wenn schon lebensbedrohliche Konzentrationen erreicht sind. Zur krebserzeugenden Wirkung liegen zwar adäquate Humanstudien vor, die jedoch keine quantitative Abschätzung des Risikos ermöglichen. Geeignete tierexperimen-telle Daten konnten nach einer Kurzzeitexposition über 10 und mehr Expositionen gefunden werden. Dabei zeigten sich erhöhte Tumorinzidenzen im Atemtrakt von Ratten. Aus diesen Daten ließ sich ein Krebsrisiko von 1:10.000 bei achtstündiger Einmalexposition gegenüber 10 ppb abschätzen. Dieses ermittelte Krebsrisiko würde nur zu einem leicht niedrigeren Störfallbeur-teilungswert führen als dies auf Basis der nichtkanzerogenen Wirkung mit dem AEGL-2 erreicht wird (Faktor ca. 2). Angesichts der hohen Unsicherheiten einer solchen Risikoermittlung für krebserzeugende Stoffe wird empfohlen, Handlungen auf dem AEGL-2-Wert für nichtkanzerogene Effekte abzustellen.

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Zusätzliches Krebsrisiko 1:10000 (beide auf Basis von Kuschner et al., 1975) *

Zeitpunkt AEGL-2 (nichtkanzerogener Endpunkt) * Basis unit risk

(EPA, 2005c) Basis Stoffspezifische Daten, Einmalexposition

8 Stunden 0,020 ppm 0,0043 ppm 0,010 ppm 4 Stunden 0,028 ppm 0,0086 ppm 0,020 ppm 1 Stunde 0,044 ppm 0,035 ppm 0,080 ppm

*: Näheres hierzu siehe unter Abschnitt 4.4

Der berechnete Wert ist als konservativ einzuschätzen, da a) die absolute Zeitdauer (10-malige Exposition) des Tierexperiments auch als Ausgangzeit der Berechnung für den Menschen angenommen wurde; würde stattdessen die relative Lebenszeit herangezogen, ergäben sich deutlich höhere Konzentrationen, b) es erfolgte eine lineare Extrapolation, obwohl ein gewisser (nicht näher einzugrenzender) Anteil der krebserzeugenden Wirkung auch durch die Reizwirkung beeinflusst sein kann. Es bestehen relevante Unsicherheiten in der Extrapolation. 1,3-Butadien Die Substanz ist als krebserzeugend (EU Kategorie 1) eingestuft und ist mutagen. Nichtkrebserzeugende Wirkungen nach Kurzzeitexposition beinhalten Reizungen, jedoch ist Butadien akut nicht toxisch. Für die Substanz liegen AEGL-Werte zum Schutz vor nichtkanzerogenen Wirkungen nach Kurzzeitexposition vor („proposed“-Status). Die AEGL-2 Werte liegen bei 6700 ppm (30 Minuten) bis 2700 ppm (8 Stunden). Zur krebserzeugenden Wirkung liegen zahlreiche Tierstudien vor, die jedoch wegen der unsicheren Extrapolation auf den Menschen (Empfindlichkeitsunterschiede, Metabolismusunterschiede) nicht herangezogen wurden. Epidemiologische Studien, die eine geeignete Risikoquantifizierung ermöglichen, liegen nur für berufliche Lang-zeitexposition vor (vor allem zu Leukämie und Lymphosarkomen). Dennoch wurden diese herangezogen und der in diesem Fall in der Methodik vorgesehene Sicher-heitsfaktor 6 zum Ansatz gebracht. Dieser rechtfertigte sich durch die Humandaten, die eine supralineare Risiko-Zeit-Beziehung nahe legen, und durch tierexperimentelle Daten mit einer Stop-Exposition, die ebenfalls für ein vergleichsweise höheres Risiko für Krebserkrankungen nach kürzerer Expositionsdauer im Vergleich zu lebenslanger Exposition sprechen. Aus dieser Berechnung ergab sich bei einer Exposition über 8 Stunden ein Risiko von 1:10.000, wenn die Expositionshöhe bei 11,6 ppm liegt.

Zusätzliches Krebsrisiko 1:10000 (Basis unit risk der EPA, 2002, 2005) *

Zeitpunkt AEGL-2 (nicht kanzerogener Endpunkt) *

Stoffspezifische Daten 8 Stunden 2700 ppm 11,6 ppm 4 Stunden 3400 ppm 23,2 ppm 1 Stunde 5300 ppm 92,7 ppm

*: Näheres hierzu siehe unter Abschnitt 5.4

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Da Butadien eine geringe Toxizität besitzt, jedoch eine relevante krebserzeugende Potenz, liegt der Störfallbeurteilungswert, der sich aus der Analyse des Krebsrisikos ergibt, somit sehr deutlich unterhalb des AEGL-2 für nichtkanzerogene Wirkungen. Der berechnete Wert ist als konservativ einzuschätzen, da a) standardmäßig ein Faktor 6 zusätzlich zu einer linearen Extrapolation herangezogen wurde, um einem überproportionalen Anstieg des Krebsrisikos bei Kurzzeitexposition Rechnung zu tragen; konkrete Daten sprechen für einen etwas kleineren Faktor (z.B. von 3 bis 4), der jedoch nicht eindeutig festzulegen ist ; b) grundsätzlich das Vorliegen eines Krebsrisikos nach inhalativer Einmalexposition bei Butadien nicht belegt ist. Es bestehen relevante Unsicherheiten in der Extrapolation, jedoch wird die Berechnung durch entsprechende Kalkulationen anderer Institutionen gestützt. Schlussfolgerung: Für zwei der vier betrachteten Substanzen (Epichlorhydrin und Butadien) scheint der AEGL-2, wenn dieser auf Basis nichtkanzerogener Effekte festgelegt ist, nicht hin-reichend vor einem relevanten Krebsrisiko zu schützen, welches auch nach Einmal-exposition bereits anzunehmen ist. Für die anderen beiden Substanzen (Benzyl-chlorid, Bis(chlormethyl)ether scheint der AEGL-2 Wert, der vor nichtkanzerogener Wirkung schützt, der geeignetere Störfallbeurteilungswert. Es ist jedoch abzuwägen, dass Quantifizierungen des Krebsrisikos auf sehr kurze Zeiträume grundsätzlich mit sehr hohen Unsicherheiten verbunden sind. Hinzu kommen im konkreten Falle spezielle Unsicherheiten, z.B. über die angemessene Bewertung der Expositions-dauer im Tierexperiment (muss diese als anteilige Lebenszeit angesehen werden oder als absolute Zeit?), die sich relevant auswirken. Diese Unsicherheiten sind derzeit nicht auflösbar. Dennoch führen die vorgenommenen Risikobetrachtungen zu einem differenzierten Bild in der Einordnung des maßnahmeorientierten AEGL-2-Werts. Freiburg, 31. August 2005 Dr. Fritz Kalberlah

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2 Benzylchlorid: Störfallbeurteilungswerte und krebserzeu-gende Wirkung nach Einmalexposition

2.1 Stoffspezifische Daten CAS-Nr.: 100-44-7 Molekulargewicht: 126,58 Strukturformel:

Benzylchlorid (α-Chlortoluol) ist eine farblose Flüssigkeit von stechendem aromati-schem Geruch und ausgeprägter Reizwirkung. Die Substanz ist in der EU als wahrscheinlich für den Menschen krebserzeugend eingestuft (siehe Tabelle 1.1).

Tabelle 1.1: Einstufung hinsichtlich Kanzerogenität (ECB, 2005; DFG, 2004; IARC 1999 ; EPA, 2005)

Kanzerogenität Organisation

Kategorie

EU 2

MAK 2 1)

WHO/IARC (2A) 2)

EPA B2 1: Gemische aus α-Chlortoluol, α,α-Dichlortoluol, α,α,α-Trichlortoluol und Benzoylchlorid sind in Kategorie 1 eingestuft 2: Einstufung von Benzylchlorid als Einzelsubstanz, Einstufung für kombinierte Exposition gegenüber α-chlorierten Toluolen und Benzoylchlorid: Kategorie 1

Benzylchlorid ist hinsichtlich Keimzellenmutagenität und Reproduktionstoxizität nicht eingestuft. Für die Umrechnung von ppm in mg/m3 werden folgende Faktoren verwendet: 1 ppm = 5,18 mg/m3, 1 mg/m3 = 0,19 ppm (IARC, 1999).

2.1.1 Kanzerogenität Benzylchlorid ist ein direkt wirkendes, schwaches Mutagen, welches kovalent an DNA bindet. Humandaten zur Kanzerogenität liegen nur zu Mischexposition mit anderen Chlortoluolen vor. Diese Gemische wirkten krebserzeugend. In Tierstudien zeigte die Substanz über verschiedene Applikationspfade kanzerogene Wirkung, sowohl lokal als auch systemisch.

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2.1.1.1 Humandaten Humanerfahrungen bezüglich Exposition gegenüber Benzylchlorid liegen nur für Mischexpositionssituationen gegenüber verschiedenen chlorierten Toluolen, u.a. Benzylchlorid, Benzoylchlorid sowie weiteren Substanzen vor. In mehreren Fallbe-richten und epidemiologischen Untersuchungen wurde das vermehrte Auftreten von Tumoren der Atemwege und des Verdauungstraktes gezeigt. Zunehmende Höhe und Dauer der Exposition sowie zunehmende Latenzzeit führten dabei zu erhöhtem Erkrankungsrisiko (CEPA, 2005; EPA, 2005; Henschler, 1992; HSE, 1997; IARC, 1999). Eine kausale Zuordnung der krebserzeugenden Effekte zur Exposition gegen-über Benzylchlorid ist wegen der Mischexposition nicht möglich.

2.1.1.2 Tierdaten Erste Hinweise auf kanzerogene Wirkungen ergaben sich aus einer älteren Studie mit subkutaner Verabreichung an Ratten, bei der nach Exposition über 51 Wochen (40 und 80 mg/kg • d, 1-mal pro Woche) lokale Sarkome und Lungenmetastasen auftraten. Bei mehreren Studien mit dermaler Exposition von Mäusen ergaben sich keine erhöhten Tumorraten, allerdings wurden in einer Studie statistisch nicht signifikant erhöhte Inzidenzen für Plattenepithelkarzinome gefunden, welche in der Kontrollgruppe nicht auftraten. Diese Studien werden wegen konzeptioneller Mängel in ihrer Aussagekraft kritisiert. Benzylchlorid wirkte in einem Initiations-/Promotions-protokoll bei Promotion mit Krotonöl nicht als Tumorinitiator (BG Chemie, 1996; CEPA, 2005; EPA, 2005; Henschler, 1992; HSE, 1997; OECD, 1998). Es liegt eine Kanzerogenitätsstudie nach heutigem Standard vor. Lijinski (1986) exponierten Ratten und Mäuse (je 52 pro Dosis und Geschlecht) oral per Schlund-sonde über 2 Jahre (3-mal pro Woche) gegenüber Benzylchlorid in Dosen von 15 und 30 mg/kg (Ratten) bzw. 50 und 100 mg/kg (Mäuse). Körpergewichtsentwicklung und Überlebensraten der Tiere waren bei beiden Spezies nicht beeinträchtigt. Die Tumorinzidenzen der Tiere beider Spezies sind in Tabelle 1.2 und Tabelle 1.3 wiedergegeben. In subchronischen Vorstudien dieses Autors (Dosen bis 250 mg/kg bei Ratten, bis 100 mg/kg bei Mäusen, 3-mal pro Woche, Dauer 26 Wochen) zeigten sich keine kanzerogenen Effekte (Lijinski, 1986).

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Tabelle 1.2: Tumorinzidenzen bei Ratten nach chronischer oraler Exposition (Lijinski, 1986)

Dosis, männliche Tiere (mg/kg) Dosis, weibliche Tiere (mg/kg)

Tumorlokalisation 0 15 30 0 15 30

Mononukleäre Leukämien 15/52 19/52 23/51 12/52 11/52 6/52

Leber, neoplastische Knoten

3/52 4/52 2/51 2/52 5/52 3/52

Schilddrüse, Adenome oder Karzinome

12/52 7/52 6/51 4/52 8/51 14/52 *

Pankreas, Inselzell-adenome oder -karzinome

14/52 22/52 21/51 3/52 8/52 3/52

*: signifikant unterschiedlich gegenüber den Kontrollen

Bei der chronischen Studie wurde lediglich bei weiblichen Ratten eine signifikant er-höhte Inzidenz für Schilddrüsentumore gefunden. Allerdings wurden bei männlichen Tieren zusätzlich 3 Plattenepitheltumore des Vormagens (2 Karzinome, 1 Papillom) sowie bei weiblichen Tieren ein Papillom in der Mundhöhle beobachtet. Nachdem derartige Tumore auch in behandelten Mäusen auftraten, nicht aber in den jeweiligen Kontrollgruppen, wurde vermutet, dass Vormagentumore auch in Ratten hervor-gerufen werden können (HSE, 1997). Der Autor gibt an, dass bei Ratten die maximal tolerierte Dosis (MTD) nicht erreicht wurde und deshalb die Studie nicht geeignet ist, um kanzerogene Effekte bei Ratten verlässlich zu erfassen (...“the experiment in rats was inadequate to properly evaluate the carcinogenicity of benzyl chloride in that species“).

Tabelle 1.3: Tumorinzidenzen bei Mäusen nach chronischer oraler Exposition (Lijinski, 1986)

Dosis, männliche Tiere (mg/kg) Dosis, weibliche Tiere (mg/kg)

Tumorlokalisation 0 50 100 0 50 100

Lunge, Adenome oder Karzinome 11/52 15/52 11/52 1/52 2/51 6/51*

Hämangiome oder Hämangiosarkome 0/52 0/51 5/52* 2/52 1/52 3/51

Leber, Adenome oder Karzinome 17/52 28/52* 20/51 7/52 5/51 3/51

Vormagen-karzinome 0/51 2/52 8/51* 0/52 2/50 3/51

Vormagen, Papillome oder Karzinome

0/51 4/52 32/52* 0/52 5/50 19/51*

*: signifikant unterschiedlich gegenüber den Kontrollen

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Signifikant erhöhte Tumorinzidenzen zeigten sich bei männlichen Mäusen bezüglich Tumoren des Herz-Kreislaufsystems, der Leber (hier jedoch ohne klare Dosis-Wirkungsbeziehung) sowie im Vormagen. Bei weiblichen Tieren waren die Tumor-raten in der Lunge und im Vormagen signifikant erhöht. Kurzzeitdaten zu krebserzeugender Wirkung liegen nicht vor, ebenso keine Kanzero-genitätsstudien für den inhalativen Pfad.

2.1.2 Gentoxizität Die Substanz zeigte in zahlreichen Studien an Bakterien (Ames-Test) im Stamm TA100 mit oder ohne metabolische Aktivierung überwiegend eine (schwache) mutagene Wirkung. Negative Befunde wurden mit ungeeigneten Versuchsbe-dingungen (Flüchtigkeit nicht berücksichtigt) erklärt. In anderen Stämmen von Salmonella trat dagegen nur vereinzelt gentoxische Wirkung auf. In E.coli und Hefen waren die Ergebnisse durchwegs positiv (Mutagenität, Rekombinationen, DNA-Schäden). In Nagerzellkulturen in vitro verursachte Benzylchlorid Genmutationen, Schwesterchromatidaustausch, Chromosomenaberrationen und DNA-Brüche. In humanen Zellen in vitro zeigten sich vermehrt DNA-Brüche, jedoch keine Chromoso-menaberrationen. Die Befunde bezüglich Schwesterchromatidaustausch waren widersprüchlich. Bei Verabreichung über Futter wurde in Drosophila das vermehrte Auftreten von somatischen Mutationen beobachtet, zu Geschlechtschromosomen-gebundenen Letalmutationen liegen widersprüchliche Ergebnisse vor. In Mäusen in vivo traten in mehreren Mikronukleustests (Expositionspfade oral, subkutan oder intraperitoneal (i.p.), ein- oder zweimalige Gabe) überwiegend keine chromosomen-schädigende Wirkungen im Knochenmark auf. Lediglich in einer Studie mit i.p. Applikation wurde bei Mäusen ein positives Resultat erhalten, hierzu liegen aber auch negative Befunde bei höherer Dosierung vor. Insofern ist das positive Ergebnis als fraglich zu werten. Auch 6-monatige Exposition von Ratten (vermutlich oral) verursachte keine Chromosomenaberrationen in diesem Gewebe. Nach mehrmaliger subkutaner bzw. i.p. Applikation wurden in Mäusen keine Spermienkopfanomalien beobachtet (BG Chemie, 1996; Henschler, 1992; HSE, 1997; IARC, 1999). Nach einmaliger intravenöser Gabe von radioaktiv markiertem Benzylchlorid an Mäuse (57 µg/Tier) wurde die Bindung der Substanz an DNA in Gehirn, Testes, Leber und Lunge gezeigt. In der Milz war nur eine geringe DNA-Alkylierung zu beobachten. Die Addukte waren vornehmlich N7-Benzylguanin (Walles, 1981).

2.1.3 Metabolismus Die Substanz kann inhalativ, oral und dermal aufgenommen werden. Nach ein-maliger oraler Gabe von 50 mg/kg wurde bei Ratten die Spitzenkonzentration im Plasma nach 30 min erreicht, die Eliminationshalbwertszeit (ß-Phase) aus dem Plasma war 58,5 h. Die Substanz wurde im ganzen Organismus verteilt. Der Großteil der Substanz wird über den Urin ausgeschieden, geringere Mengen auch über Faeces und via Abatmung (Hauptmenge CO2, weiterhin geringe Mengen der Mutter-substanz und andere Metaboliten). Die Verstoffwechslung erfolgt in verschiedenen Spezies überwiegend zu S-Benzyl-N-acetyl-cystein (Benzylmercaptursäure). Weitere Metaboliten im Urin waren Benzylalkohol, Benzaldehyd sowie Hippursäure. Die Elimination über den Urin variierte bei Ratten zwischen verschiedenen Studien etwas: während in zwei Studien bereits nach 24 h 65 - 75 % bzw. der größte Teil der

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verabreichten Dosis über den Urin ausgeschieden waren (Halbwertszeit ca. 6 h), wurde in einer anderen Arbeit im Urin die Ausscheidung von 76 % nach 72 h nachgewiesen (Halbwertszeit ca. 12 h). 7 % der aufgenommenen Menge war hierbei in der Atemluft enthalten. (Henschler, 1992; HSE, 1997; IARC, 1999).

2.2 Berechnung der krebserzeugenden Potenz von Benzylchlorid nach Einmalexposition

2.2.1 Mechanistische Überlegungen Benzylchlorid ist ein schwaches Mutagen in vitro. In vivo konnten bislang keine gentoxischen Effekte gezeigt werden, jedoch beschränken sich die Untersuchungen auf die Induktion von Chromosomenschäden in Knochenmark. Weitere Gewebe wurden nicht untersucht. Die Substanz scheint dennoch gentoxische Wirkung in vivo zu besitzen: nach intravenöser Gabe wurden in Mäusen in Gehirn, Testes, Leber und Lunge DNA-Addukte (N7-Benzylguanin) festgestellt (Walles, 1981). Nachdem Benzylchlorid in Metabolismusstudien mit oraler Exposition bereits nach kurzer Zeit im Plasma nachzuweisen war, ist zu vermuten, dass die Bildung von DNA-Addukten auch über andere Pfade als intravenöse Exposition von Relevanz ist. Bezüglich der tumorigenen Wirkungen ist für die Zielorgane Vormagen (bei oraler Exposition) und Haut (bei dermaler Exposition) zu vermuten, dass die zu beob-achtende fortgesetzte lokale Reizwirkung mit für die lokalen kanzerogenen Effekte ursächlich ist (HSE, 1997). Allerdings wurden auch systemisch Tumore erzeugt (Schilddrüse, Lunge), so dass Reizeffekte nicht als alleiniger Auslöser kanzerogener Wirkungen anzusehen sind.

2.2.2 Verwendung stoffspezifischer Daten

2.2.2.1 Verwendung von Kanzerogenitätsdaten bei Kurzzeitexposition Für den inhalativen Pfad sind keine adäquaten Daten zu krebserzeugender Wirkung bekannt, die Humandaten basieren auf Mischexposition und sind bezüglich der Expositionshöhe ungenügend charakterisiert. Daten zu kanzerogenen Effekten nach Kurzzeitexposition liegen nicht vor. Als Basis für eine quantitative Betrachtung kann damit nur die Studie von Lijinski (1986) dienen, bei der Ratten und Mäuse 2 Jahre gegenüber Benzylchlorid exponiert waren. Es ist der „Defaultansatz“ für Risikoextrapolation aus Kurzzeitexposition (vgl. Kalberlah und Hassauer, 2002) zum Ansatz zu bringen. Unter Umrechnung der 3-maligen Exposition pro Woche auf kontinuierliche Exposi-tion und unter Berücksichtigung der allometrischen Unterschiede von Ratte zu Mensch schätzte die US-amerikanische Umweltbehörde EPA ein Krebsrisiko von 0,17 pro mg/kg • d bei lebenslanger Exposition („unit risk“, Basis Schilddrüsentumore bei weiblichen Ratten). Für die Vormagentumore bei männlichen bzw. weiblichen Mäusen ergaben sich etwas niedrigere unit risk-Werte von 0,056 bzw. 0,12 pro mg/kg • d. Die Werte für die unterschiedlichen Lokalisationen unterscheiden sich aber nur um maximal den Faktor 3 und stimmen somit gut überein (EPA, 2005).

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Die Umrechnung des unit risk in Höhe von 0,17 pro mg/kg • d auf inhalative Exposition ergibt einen Wert von 4,9 • 10-5 pro µg/m3 (Annahmen: Atemvolumen 20 m3/d, Gewicht 70 kg, vollständige Aufnahme über den inhalativen Pfad, CEPA, 2005). Lebenslange Exposition gegenüber 2,0 µg/m3 entspricht dann einem Risiko von 1:10000. Hieraus ergibt sich rechnerisch die Konzentration, die bei 8 h Exposition mit einem Risiko von 1:10000 korrespondiert, wie folgt: Umrechnung einer 75-Jahr-Exposition (= 27375 Tage) auf 24 Stunden: 24-Stunden-Exposition = 2 µg/m3 x 27375 = 54750 µg/m3 d.h. eine Exposition gegenüber 54,75 mg/m3 über 24h entspricht einem Risiko von 1:10000 bei Annahme einer linearen Extrapolation. Um Unsicherheiten in der Bewertung des Krebsrisikos bei Extrapolation zu Kurz-zeitexpositionen einzukalkulieren, wird ein Unsicherheitsfaktor von 6 appliziert, wie er auch in den „Standing Operating Procedures“ zur Ableitung von AEGL-Werten (NRC, 2001) vorgesehen ist: 24 Stunden-Exposition: 54,75 mg/m3 / 6 = 9,13 mg/m3 (1,73 ppm) Es wird gängigerweise angenommen, dass bei einer Exposition über 8h ein höheres anteiliges Atemvolumen zugrunde zu legen ist, als bei Betrachtung einer 24 h Exposition, da in diesen 24 Stunden zum Teil Ruheaktivität besteht (10 m3 Atem-volumen/8h statt 20 m3/24h, Faktor 0,5 für das Atemvolumen, Faktor 2 für die resultierende Luftkonzentration). Damit ergeben sich unter linearer Umrechnung auf die kürzeren Zeiträume die in Tabelle 1.4 dokumentierten Werte.

Tabelle 1.4: Angenommenes zusätzliches Krebsrisiko bei Kurzzeitexposition; Berechnung auf Basis des unit risk der EPA (2005) anhand der Daten von Lijinski (1986), lineare Extrapolation

Zusätzliches Krebsrisiko von 1:10000 8 h Exposition 3,5 ppm (18,3 mg/m3) 4 h Exposition 7 ppm (36,5mg/m3) 1 h Exposition 28 ppm (146 mg/m3)

Extrapolationen auf kürzere Zeitpunkte werden wegen der großen Ungenauigkeit nicht vorgenommen.

2.2.2.2 Verwendung von Gentoxizitätsdaten Gentoxizitätsdaten mit inhalativer Exposition liegen nicht vor. Die Studie von Walles (1981) belegt, dass bereits nach einmaliger intravenöser Exposition ein Anstieg an DNA-Addukten in Gehirn, Testes, Leber und Lunge zu verzeichnen war. In der Milz war nur eine geringe DNA-Alkylierung zu beobachten. Eine quantitative Übertragung dieser Ergebnisse mit parenteraler Exposition auf inhalative Exposition scheint nicht sinnvoll. Es ist zudem nicht gesichert, dass aus diesen DNA-Veränderungen bereits Tumore entstehen können. DNA-Addukte sind nur als ein (möglicher, nicht zwingender) Schritt des Mehrstufenprozesses der Kanzerogenese anzusehen. Zudem können DNA-Addukte durch Reparaturmechanismen der Zelle wieder

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rückgängig gemacht werden. Walles (1981) zeigte eine Abnahme der DNA-Alkylierungsrate in Gehirn, Testes und Leber im Verlauf von 1 bis 24 h nach Exposition, allerdings auch eine Zunahme innerhalb dieses Zeitraumes in Lunge und Milz.

2.3 Berechnung im Rahmen der AEGL-Wert-Ableitung

2.3.1 AEGL-analoge Werte für Benzylchlorid AEGL-Werte für Benzylchlorid liegen nicht vor, jedoch wurden von der American Industrial Hygiene Association (AIHA, 1994) vergleichbare Emergency Response Planning Guideline-Werte (ERPG-Werte) für diese Substanz abgeleitet. Diese gliedern sich in:

• ERPG-1 (maximale tolerable Konzentration, unterhalb derer praktisch alle Individuen bei Exposition bis zu einer Stunde keine Effekte außer leichten transienten adversen Effekten oder Geruchswahrnehmung zeigen)

• ERPG-2 (maximale tolerable Konzentration, unterhalb derer praktisch alle Individuen bei Exposition bis zu einer Stunde keine irreversiblen oder andere schwere Effekte zeigen oder entwickeln...)

• ERPG-3 (maximale tolerable Konzentration, unterhalb derer praktisch alle Indi-viduen bei Exposition bis zu einer Stunde keine (akuten) lebensbedrohlichen Effekte zeigen oder entwickeln).

Die ERPG-Werte für Benzylchlorid werden ersatzweise für einen Vergleich der nicht-kanzerogenen und kanzerogenen Wirkungen bei Kurzzeitexposition herangezogen. Sie sind in der folgenden Tabelle 1.5 aufgeführt.

Tabelle 1.5: ERPG-Werte für Benzylchlorid (AIHA, 1994)

ERPG-Wert (1 h Bezugsbasis) Konzentration ERPG-1 1 ppm (5,2 mg/m3) ERPG-2 10 ppm (51,8 mg/m3) ERPG-3 25 ppm (129,5 mg/m3)

Der ERPG 1-Wert wurde abgeleitet auf Basis von Reizwirkungen beim Menschen, die im Bereich oberhalb von 1 ppm beobachtet wurden. Er soll vor Reizwirkungen schützen, jedoch ist noch Geruchswahrnehmung möglich (Geruchsschwelle 0,044 ppm). Der ERPG-2-Wert basiert ebenfalls auf den Beobachtungen zu Reizwirkungen beim Menschen (starke Reizwirkungen auf das Auge bei Konzentrationen von 17 ppm) sowie akuten Effekten in Tierstudien an Kaninchen bei 6 h Exposition gegen-über 10 ppm (beschleunigte Atmung, verringerte Aktivität). Er soll vor schweren Verätzungen der Augen sowie einer Verminderung der Fähigkeit zur Fluchtwahr-nehmung schützen. Der ERPG-3-Wert wurde angesichts von Letalkonzentrationen bei Tieren (LC16 für 2 h Exposition: 85 ppm bei Ratten, 44 ppm bei Mäusen) und einer nicht letal wirkenden Konzentration von 12 - 22 ppm bei Mäusen bei 4 h Exposition abgeleitet (AIHA, 1994).

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Der IDLH-Wert (Immediately Dangerous to Life or Health) des NIOSH (National Institute for Occupational Safety and Health, USA) in Höhe von 10 ppm soll vor Einschränkungen der Fluchtmöglichkeiten im Falle des Versagens von Atemgeräten schützen (NIOSH, 1996) und entspricht numerisch dem ERPG-2-Wert. Von der kalifornischen Umweltbehörde wurde ein „Acute Reference Exposure Level“ für 1 h Exposition in Höhe von 0,046 ppm (0,24 mg/m3) abgeleitet. Dieser Wert soll vor Reizwirkungen bei der Allgemeinbevölkerung schützen und basiert auf einem LOAEL von 20 ppm (ca. 100 mg/m3) für Reizwirkungen und verringerte Atemrate bei Tieren unter Berücksichtigung eines Sicherheitsfaktors von 600 (OEHHA, 1999). Das Sicherheitsniveau ist deutlich höher als bei den ERPG- oder IDLH-Werten und in diesem Kontext nicht vergleichbar.

2.4 Vergleich kanzerogene Potenz nach Einmalexposition vs. ERPG-Werte Ein Vergleich der ERPG-Werte mit den extrapolierten Luftkonzentrationen, die mit einem Risiko von 1:10000 für kanzerogene Effekte korrespondieren, zeigt, dass alle ERPG-Werte (1 bis 3) unterhalb der abgeschätzten Konzentration von 28 ppm (Basis kanzerogene Effekte) liegen. Die Daten sind in der folgenden Tabelle 1.6 gegen-übergestellt. Kanzerogene Effekte wären demnach in einer ähnlichen oder etwas höheren Kon-zentration als bei einem (noch zu erstellenden und hier über den ERPG-2-Wert größenordnungsmäßig abgeschätzten) AEGL-2-Wert zu erwarten, mit hoher Wahr-scheinlichkeit nicht darunter, da die vorgenommene Ableitung verschiedene konser-vative Annahmen enthält.

Tabelle 1.6: Vergleich der Störfallbeurteilungswerte für Benzylchlorid, auf Basis kanzerogener und nichtkanzerogener Endpunkte

Zusätzliches Krebsrisiko 1:10000 (1 h) (Basis unit risk der EPA, 2005)

Zeitpunkt ERPG-Werte (1 h) (nicht kanzerogener Endpunkt)

Defaultansatz ERPG-1 1 ppm ERPG-2 10 ppm ERPG-3 25 ppm

28 ppm

2.5 Diskussion Über kanzerogene Wirkung von Benzylchlorid bei Kurzzeitexposition können keine stoffspezifischen qualifizierten Daten herangezogen werden. Die Bewertung des gentoxischen Potentials von Benzylchlorid hat ergeben, dass solche Effekte bereits nach einmaliger Exposition nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen sind: die Bildung von DNA-Addukten wurde bereits nach einmaliger intravenöser Exposi-tion in mehreren Organen beobachtet. DNA-Addukte werden als erster Schritt für eine mögliche Tumorbildung gesehen, der jedoch nicht notwendigerweise zu Muta-tionen und Krebsentstehung führen muss. Mutagene Effekte, die nachfolgende Schritte im Tumor-Entstehungsprozess mit manifesten DNA-Schäden darstellen,

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wurden in vivo nach einmaliger oder mehrmaliger Exposition nicht beobachtet. Hierbei wurde jedoch nur chromosomenschädigende Wirkung im Knochenmark überprüft. Es sind weitere Studien nötig, um das gentoxische Potenzial in vivo abschließend bewerten zu können, speziell in den Organen, in denen bereits DNA-Addukte nachgewiesen wurden. Benzylchlorid wurde bezüglich kanzerogener Wirkung auf oralem, subkutanem und dermalem Pfad getestet und verursachte sowohl lokale Tumore als auch systemi-sche Tumore (nur bei oraler Exposition). Die Ergebnisse der Langzeit-Kanzerogeni-tätsstudie von Lijinski (1986) mit oraler Exposition wurden auf kurze Zeiträume und mangels geeigneter pfadspezifischer Daten auf inhalative Exposition extrapoliert. Eine Quantifizierung des Risikos mit Hilfe des Standardverfahrens nach NRC (2001) ergibt, dass kanzerogene Effekte in einer ähnlichen oder etwas höheren Konzentration als bei einem (noch zu erstellenden und hier größenordnungsmäßig über den ERPG-2-Wert abgeschätzten) AEGL-2-Wert zu erwarten wären, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht darunter, da die vorgenommene Ableitung verschiedene konservative Annahmen enthält.

2.6 Literatur AIHA, American Industrial Hygiene Association, 1994

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Walles, S. A. S., 1981 Reaction of benzyl chloride with haemoglobin and DNA in various organs of mice Toxicology Letters, Vol. 9, 1981, S. 379-387

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3 Epichlorhydrin: Störfallbeurteilungswerte und krebserzeu-gende Wirkung nach Einmalexposition

3.1 Stoffspezifische Daten CAS-Nr.: 106-89-8 Molekulargewicht: 92,53 Strukturformel

Epichlorhydrin (1-Chlor-2,3-epoxypropan) ist eine farblose, flüchtige Flüssigkeit von stechendem, chloroformartigem Geruch. Die Substanz ist in der EU als wahrschein-lich für den Menschen krebserzeugend eingestuft (siehe Tabelle 3.1).

Tabelle 3.1: Einstufung hinsichtlich Kanzerogenität (ECB, 2005; DFG, 2004; IARC 1999; EPA, 2005a)

Kanzerogenität Organisation

Kategorie

EU 2

MAK 2

WHO/IARC 2A

EPA B2

Epichlorhydrin wurde von Greim (2003) und DFG (2004), jedoch nicht von der EU als Keimzellmutagen der Kategorie 3B eingestuft. Für die Umrechnung von ppm in mg/m3 werden folgende Faktoren verwendet: 1 ppm = 3,78 mg/m3, 1 mg/m3 = 0,26 ppm (IARC, 1999).

3.1.1 Kanzerogenität Epichlorhydrin ist ein direkt wirkendes Mutagen, welches kovalent an DNA bindet. Humandaten zur Kanzerogenität geben Hinweise auf eine mögliche (schwache) kanzerogene Wirkung, die aber der Absicherung bedürfen. In Tierstudien zeigte die Substanz über verschiedene Applikationspfade vor allem eine lokale kanzerogene Wirkung, jedoch wurden bei Inhalation und parenteraler Applikation auch systemi-sche Tumore beobachtet.

3.1.1.1 Humandaten Bei einer Kohortenstudie wurde bei einem Kollektiv von 44 Arbeitern aus der Epi-chlorhydrin-Produktion eine nicht signifikant erhöhte Standardmortalitätsrate (SMR)

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für Lungentumore beobachtet (SMR 4,4) (Delzell et al., 1989). Kleine Fallzahlen, fehlende Charakterisierung der Expositionshöhe und Mischexposition beschränken die Aussagekraft der Befunde (Greim, 2003; IARC, 1999). Eine Kohortenstudie von Tsai et al. (1996) an Berufstätigen der Epichlorhydrin-Produktion berichtet erniedrigte Raten für Lungentumore („healthy worker effect“), jedoch erhöhte SMR für Prostatatumore und maligne Melanome, welche aber aufgrund der kleinen Fallzahlen nicht das Signifikanzniveau erreichten. Frühere Expositionskonzentrationen lagen im Bereich 10 - 20 ppm. Eine Korrelation zwischen Erkrankungshäufigkeit und Expositionshöhe war nicht ersichtlich. Es lag Mischexpo-sition mit Isopropanol vor. In einer retrospektiven Kohortenstudie an Arbeitern wurde in Zusammenhang mit Epichlorhydrin-Exposition eine verminderte krebsbedingte Mortalität beobachtet. Die Exposition wurde auf < 1 - 5 ppm geschätzt (Olsen et al., 1994). Bei einer „nested“-Fall-Kontrollstudie an Teilkollektiven der Studie von Delzell et al. (1989) war eine Assoziation von potenzieller Epichlorhydrin-Exposition und dem ver-mehrten Auftreten von Lungentumoren ersichtlich, jedoch nicht unter differenzierter Betrachtung von Expositionsdauer oder kumulativer Exposition. Für Tumore des zentralen Nervensystems zeigte sich eine solche Assoziation, jedoch waren die zusätzlichen Risiken bei kleinen Fallzahlen nicht signifikant. Auch hier lag Misch-exposition mit anderen Chemikalien vor (Barbone et al., 1994). In einer weiteren „nested“-Fall-Kontrollstudie an Berufstätigen war eine Exposition gegenüber Epichlorhydrin mit einem verringerten Risiko für Lungentumore korreliert (Bond et al., 1986). Die IARC (1999) wertet die vorliegenden Humanbefunde als „inadequate evidence for carcinogenicity“. Auch nach Greim (2003) sind die Befunde für eine abschließen-de Bewertung hinsichtlich kanzerogener Wirkungen beim Menschen nicht geeignet. Deshalb werden diese Daten nicht weiter für eine Krebsrisikoabschätzung berück-sichtigt.

3.1.1.2 Tierdaten In einer Studie von Laskin et al. (1980) wurden männliche Ratten an 6 h/d, 5 d/w inhalativ gegenüber bis zu 100 ppm exponiert. Die 100 ppm-Gruppe (zwei Teil-gruppen mit 40 bzw. 100 Tieren) wurde nur 30 Tage exponiert und dann lebenslang beobachtet. Weitere Gruppen mit 10 und 30 ppm (je 100 Tiere) wurden über die gesamte Lebensdauer exponiert. Bei der höchsten Konzentration (100 ppm, 30d) zeigte sich ein vermehrtes Auftreten von Plattenepithelkarzinomen der Nasenhöhlen (signifikant). In den Tieren der Hochdosisgruppe wurden weiterhin noch 1 Bronchial- und 2 Nasenhöhlenpapillome beobachtet. Bei der Expositionsgruppe 30 ppm traten 2 Tumore im Atemtrakt auf, hiervon 1 Plattenepithelkarzinom in der Nasenhöhle. Bei allen Gruppen (inkl. Kontrollgruppe) wurden einzelne systemische Tumore beob-achtet (maligne Lymphome, subkutane Fibrome und Fibrosarkome, Adenome der Hypophyse, Vormagenkarzinome). Die Autoren erachten aber lediglich die Atemwegstumore als behandlungsbedingt. Ein Qualitätsmangel dieser Studie ist eine generell verminderte Überlebensrate der Tiere aller Gruppen aufgrund einer Atem-wegsinfektion. Die Überlebensrate bis zum mittleren Zeitpunkt des ersten Auftretens von Tumoren in der 100 ppm-Gruppe war für die Kontrollen, die 10, 30 und 100 ppm-

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Gruppen nur ca. 40, 18, 26 und 50 % (CEPA, 2005; Laskin et al., 1980). Die Befunde sind in der folgenden Tabelle 3.2 zusammengefasst.

Tabelle 3.2: Tumorinzidenzen bei männlichen Ratten nach inhalativer Exposition (Laskin et al., 1980)

Expositionskonzentration (ppm) Tumorlokalisation

0 10 30 100 (30 Tage) Tiere mit Tumoren im Atemtrakt (Plattenepithel-karzinome)

0/150 0/100 2/100 (1/100)

18/140 * (15/140)

Tiere mit Tumoren außerhalb des Atemtraktes

5/150 5/100 3/100 14/140 **

*: signifikant unterschiedlich gegenüber Kontrollen **: vereinzelte Tumore verschiedener Lokalisationen

Weiterhin liegen zwei Langzeitstudien mit oraler Exposition vor. Eine Studie von Konishi et al. (1980) untersuchte die Effekte einer Verabreichung von Epichlorhydrin im Trinkwasser an männliche Ratten (81 Wochen, Trinkwasserkonzentrationen 375, 750 und 1500 mg/l). Es zeigte sich eine dosisabhängig vermehrte Bildung von Hyperplasien und Tumoren des Vormagens. In einer Studie von Wester et al. (1985) wurde Ratten die Substanz per Schlundsonde verabreicht (104 Wochen, 2 und 10 mg/kg • d an 5 d pro Woche, durchschnittlich 1,4 und 7,1 mg/kg • d). Die Autoren beobachteten ebenfalls eine dosisabhängig vermehrte Bildung von Hyperplasien, Papillomen und Tumoren des Vormagens. Bei einer Kurzzeitstudie an A/J-Mäusen wurden nach i.p. Applikation (Dosen von 20 - 100 mg/kg, 3-mal pro Woche, 8 Wochen) bei der Hochdosisgruppe vermehrt Lungentumore beobachtet (IARC, 1999). In mehreren Studien mit dermaler Exposition von Mäusen konnten keine erhöhten Tumorraten beobachtet werden (Greim, 2003). In einem Initiations-/Promotionsproto-koll wirkte Epichlorhydrin bei einmaliger dermaler Exposition von 2 mg/Tier und anschließender Promotion mit Phorbolester als Initiator. Diese kombinierte Behand-lung führte bei 9 Tieren zu Papillombildung auf der Haut sowie bei einem Tier zu einem Hauttumor, bei alleiniger Behandlung mit Promotor wurden 3 Papillome beob-achtet. Die Zeit bis zum Auftreten von Tumoren war bei Epichlorhydrin/Phorbolester-Behandlung geringer als bei alleiniger Promotorexposition (Greim, 2003). Für die Bewertung der kanzerogenen Potenz nach inhalativer Kurzzeitexposition wird der Studie von Laskin et al. (1980) mit inhalativer Exposition der Vorzug gegeben (siehe auch unter 3.2.1). Aus diesem Grund wird auf eine ausführlichere Darstellung der Daten der Studien mit anderen Expositionspfaden verzichtet. Vormagentumore im Nager, wie sie bei oraler Applikation beobachtet wurden, sind zudem in ihrer quantitativen Bedeutung für den Menschen schwer einzuordnen, so dass auch Pfad-zu-Pfad-Betrachtungen keine geeignete Bewertungsbasis für den Inhalationspfad erbringen würden.

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3.1.2 Gentoxizität

3.1.2.1 Humanbefunde Mehrere Untersuchungen an Arbeitern dokumentieren das vermehrte Auftreten von Schwesterchromatidaustausch und Chromosomenaberrationen in Lymphozyten nach mehrjähriger beruflicher Epichlorhydrin-Exposition, jedoch liegen auch einige Nega-tivbefunde vor (Giri, 1997; Greim, 2003; Kolman et al., 2002). Auch die Häufigkeit von Mikronuklei war schwach erhöht, bezüglich Genmutationen im HPRT-Lokus zeigte sich kein Effekt (Landin et al., 1997).

3.1.2.2 In vitro- und in vivo-Testsysteme Epichlorhydrin verursachte in Bakterientests Genmutationen in Salmonella, E.coli und Klebsellia pneumoniae, weiterhin DNA-Schäden in E.coli und B.subtilis. In Hefen wurden Genmutationen, Rekombinationen, Aneuploidien und DNA-Schäden indu-ziert. In Säugerzellen in vitro wurde das vermehrte Auftreten von Genmutationen, Chromosomenaberrationen, Schwesterchromatidaustausch und DNA-Brüchen beob-achtet. In der Mehrzahl der in vitro-Studien traten die gentoxischen Effekte bereits in Abwesenheit metabolischer Aktivierung auf und schwächten sich bei metabolischer Aktivierung ab (Giri, 1997; Greim, 2003; IARC, 1999). Eine Studie von Nesnow et al. (1992) verglich die chromosomenschädigende Wirkung von Epichlorhydrin in humanen und Nagerzellen und berichtet für die Endpunkte Schwesterchromatidaustausch und Chromosomenschäden eine 10- bzw. 178-fach höhere Empfindlichkeit in den humanen Zellen. In vitro wurde eine DNA-Bindung von Epichlorhydrin beobachtet, wobei als Haupt-addukt N7-(3-Chlor-2-hydroxypropyl)guanin gebildet wurde. Dieses kann weiter reagieren zu N7-(2,3-Dihydroxypropyl)guanin (Kolman et al., 2002). In Drosophila wurden bei 2 von 3 Studien Geschlechtschromosomen-gebundene rezessive Letalmutationen induziert. Nach ein- oder mehrmaliger i.p. Applikation wurden in Mäusen Chromosomenaberrationen im Knochenmark erzeugt, bei oraler Exposition waren die Befunde widersprüchlich. Schwesterchromatidaustausche in Knochenmarkszellen traten bei einer Studie an Mäusen mit i.p. Gabe nur nach partieller Hepatektomie auf (nicht aber in Leberzellen). Mehrere Mikronukleustests an Mäusen (i.p. Applikation) kamen zu negativen Resultaten. Tests auf die Induktion von Dominant-Letalmutationen erbrachten negative Ergebnisse (ein- oder mehrmali-ge orale oder i.p. Exposition von Mäusen) (Giri, 1997; Greim, 2003; IARC, 1999). Nach einmaliger i.p. Applikation an Ratten und Mäusen fanden sich in zwei Studien DNA-Addukte in Leber, Lunge, Niere, Milz, Herz, Gehirn und Magen. Die verab-reichten Dosen bewegten sich im Bereich 6,35 µmol/kg (0,6 mg/kg) bis 0,97 mmol/kg (89,7 mg/kg). Als Hauptaddukt wurde N7-(3-Chlor-2-hydroxypropyl)guanin identifi-ziert (Landin et al., 1999; Prodi et al., 1986).

3.1.3 Metabolismus Epichlorhydrin wird über den inhalativen und oralen Pfad zu über 90 % resorbiert. Die Substanz wird im ganzen Organismus verteilt. Es wurde kovalente Bildung von Epichlorhydrin an Hämoglobin nachgewiesen. Die Metabolisierung erfolgt zum einen

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durch Reaktion mit Glutathion, es bilden sich verschiedene Mercaptursäurederivate, die mit dem Urin ausgeschieden werden. Ein weiterer Stoffwechselschritt ist die Hydrolyse von Epichlorhydrin zu 3-Chlor-1,2-propandiol, welches weiter zu Chlor-milchsäure und Oxalsäure reagiert. Die Ausscheidung erfolgt zu über 90 % innerhalb von 72 h, überwiegend über Urin bzw. Abatmung (ca. 50 % bzw. 25 - 40 %), in geringen Mengen auch über Faeces (Greim, 2003).

3.2 Berechnung der krebserzeugenden Potenz von Epichlorhydrin nach Einmalexposition

3.2.1 Mechanistische Überlegungen Epichlorhydrin wird als direkt wirkendes Mutagen angesehen (Giri, 1997; Greim, 2003; IARC, 1999). Es kann Mutationen in Säugerzellen in vitro und in vivo indu-zieren. Eine von Nesnow et al. (1992) gezeigte höhere Empfindlichkeit menschlicher Zellen gegenüber Nagerzellen in vitro im Hinblick auf die Induktion von Chromo-somenschäden ist noch nicht als abgesichert zu betrachten: nachdem in in vitro-Systemen metabolische Aktivierung zu einer Verringerung der gentoxischen Aktivität führt (vgl. z.B. Giri, 1997) ist unklar, ob derartige Unterschiede auch in vivo bestehen (Einfluss von Metabolismus). Es wurde die Bildung von DNA-Addukten in vivo in verschiedenen Organen von Ratten und Mäusen nachgewiesen, in der Studie von Prodi et al. (1986) bereits nach einmaliger i.p. Applikation von Dosen von 0,6 mg/kg. Bezüglich der tumorigenen Wirkungen wird für den Vormagen (bei oraler Exposition) vermutet, dass evtl. auch die zu beobachtende fortgesetzte lokale Reizwirkung mit zu den lokalen kanzerogenen Effekten beiträgt (WHO,1996: „...tumors are seen only at the site of administration, where ECH is highly irritating“). Es ist also prinzipiell denkbar, dass auch bei Inhalation Reizwirkungen für die krebserzeugende Wirkung mitursächlich sind. Allerdings wurden Reizwirkungen nicht nur in der Hochdosis-gruppe der Studie von Laskin et al. (100 ppm) beobachtet. Gage (1959) zeigte Reizwirkungen in der Nase von Ratten bei Konzentrationen ab 27 ppm (18 Expositionen, 6 h/d), 17 ppm wirkten bei Ratten nicht mehr reizend (aber noch bei Kaninchen). Wenn also ein Zusammenwirken von Reizung und Gentoxizität unter-stellt wird, so ist eine deutliche Nichtlinearität erst in Konzentrationen anzunehmen, die nicht mehr reizend sind. Unter Berücksichtigung der Gentoxizitätsdaten in vivo, wo DNA-Addukte in verschiedenen Organen beobachtet wurden (Landin et al., 1999; Prodi et al., 1986), kann eine nicht nur lokale, sondern auch eine systemische gentoxische Wirkung unterstellt werden. Ginsberg et al. (1996) verglichen die kanzerogene Potenz aus den vorliegenden Kanzerogenitätsstudien mit inhalativer und oraler Exposition (Schlundsonde vs. Trinkwasser) und konnten zeigen, dass auf Basis der zugeführten Dosis die slope-Faktoren (Risiko pro mg/kg • d zugeführtes Epichlorhydrin) für inhalative Exposition und Exposition über Trinkwasser in der gleichen Größenordnung liegen, während das Risiko bei Schlundsondenverabreichung um zwei Größenordnungen höher war. Auf Basis der Spitzenkonzentrationen in den Organen war dagegen bei den drei Studien eine deutlich bessere Übereinstimmung der slope-Faktoren zu beobachten.

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Die Autoren diskutieren, dass bei (nach Ansicht der Autoren lokalen) Kanzerogenen wie Epichlorhydrin die Spitzenkonzentrationen ein geeignetes Maß für den Vergleich der kanzerogenen Potenz über verschiedene Pfade darstellt. Kurzzeitdaten zu krebserzeugender Wirkung liegen nur für den Inhalationspfad vor. In der Kanzerogenitätsstudie von Laskin et al. (1980) zeigte sich eine Dosis-Wirkungsbeziehung für Tumore des Atemtraktes. Die Tumorinzidenz bei dieser Inhalationsstudie war dabei aber nicht linear korreliert zum Konzentrations-Zeit-produkt: 30 d Exposition gegenüber 100 ppm (3000 ppm x Tage) wirkte deutlich stärker krebserzeugend als langfristige Exposition gegenüber 30 ppm (8700 ppm x Tage, basierend lt. Laskin et al. (1980) auf einer mittleren Überlebensdauer von 290 Tagen). Offensichtlich ist hier die absolute Höhe der Konzentration und die daraus resultierende höhere Spitzenkonzentration im Gewebe entscheidender als die kumulative Exposition (vgl. auch Ginsberg et al., 1996). Laskin et al. (1980) diskutieren eine möglichere längere Latenzzeit bis zum ersten Auftreten von Tumoren bei den niedrigeren Konzentrationen. Tumore mit längerer Entstehungs-dauer wären in dieser Studie bei den niedrigeren Konzentrationen aufgrund der ver-ringerten Überlebensrate der Tiere nicht mit ausreichender Sensitivität zu beob-achten gewesen.

3.2.2 Verwendung stoffspezifischer Daten

3.2.2.1 Verwendung von Kanzerogenitätsdaten bei Kurzzeitexposition Nach den Ausführungen in Abschnitt 3.2.1 kann abgeleitet werden, dass Reizwirkung einen möglichen Beitrag für krebserzeugende Wirkung leistet, der aber nicht quantifi-ziert werden kann. Deshalb und angesichts der gentoxischen Wirkung scheint eine lineare Extrapolation von den Studiendaten auf geringere Risiken (und damit geringere Expositionskonzentrationen) möglich. Eine gewisse Unsicherheit besteht dennoch im Hinblick auf den möglichen stärkeren Einfluss von Spitzenkonzentra-tionen im Vergleich zu kumulativer Exposition (s.o.). Möglicherweise ist der fehlende Nachweis krebserzeugender Wirkung bei den niedrigeren Expositionskonzentra-tionen in der Studie von Laskin et al. (1980) durch die verringerte Lebensdauer der Tiere bei den niedrigeren Konzentrationen bedingt (Laskin et al., 1980). Im Folgen-den wird eine Abschätzung des Krebsrisikos für einmalige Exposition auf Basis der Tumorinzidenzen der Studie von Laskin et al. (1980) mit 30 d Exposition und 100 ppm Expositionskonzentration durchgeführt. In der Hochdosisgruppe dieser Studie (100 ppm, 378 mg/m3, 30 d Exposition mit 6 h/d) wurde eine Tumorinzidenz von 18/140 Tieren gefunden (15 Plattenepithelkarzi-nome der Nasenhöhlen, 1 Bronchial- und 2 Nasenhöhlenpapillome). Dies entspricht einer prozentualen Tumorrate von 12,8 % für 30 Expositionen. Die Kontrollgruppe der Studie sowie historische Kontrollen zeigten bei 1920 Tieren keine derartigen Tumore. Bei Extrapolation auf einmalige Exposition (6 h) lässt sich in linearer Betrachtung für diese Expositionskonzentration eine Tumorinzidenz von 0,43 % abschätzen. Daraus ist linear ein Risiko von 1:10000 für 6 h Exposition gegenüber 8,8 mg/m3 abzuschätzen. Unter Bezug auf eine Expositionsdauer von 8 h ergibt sich eine Konzentration von 6,6 mg/m3. Eine weitere, wesentliche Unsicherheit dieser Abschätzung liegt darin begründet, ob von 30 Tagen Exposition beim Tier auf eine gleiche Expositionsdauer auch für den

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Mensch geschlossen werden kann, oder ob eine anteilige Lebenszeitexposition zu berücksichtigen ist. Bei einer aus den Daten der Abbildung 1 aus der Veröffent-lichung von Laskin et al. (1980) geschätzten mittleren Lebensdauer der Tiere von ca. 75 Wochen wäre die anteilige Exposition der Ratten der 100 ppm-Gruppe ca. 5 % der Lebensdauer. Dies entspräche beim Menschen einer Expositionsdauer von 3,75 Jahren (1370 Tage) bei 75 Jahren Lebensdauer. Der Unterschied der zeitlichen Bezugsbasis wäre somit beträchtlich (30 vs. 1370 Tage, Faktor ca. 50), ebenso der Unterschied der resultierenden Luftkonzentrationen, für die ein Risiko von 1:10000 abzuschätzen wäre. Nachdem bei Epichlorhydrin möglicherweise die Konzentration entscheidender ist als die kumulative Exposition, scheint eine Bezugsbasis von 30 Tagen (absolute Zeitbasis) auch für den Menschen in konservativer Vorgehensweise vertretbar. Damit ergeben sich unter linearer Umrechnung auf die kürzeren Zeiträume die in Tabelle 3.3 dokumentierten Werte.

Tabelle 3.3: Zusätzliches Krebsrisiko bei Kurzzeitexposition; Berechnung auf Basis der Daten von Laskin et al. (1980), lineare Extrapolation

Zusätzliches Krebsrisiko von 1:10000 8 h Exposition 1,7 ppm (6,6 mg/m3) 4 h Exposition 3,5 ppm (13,2 mg/m3) 1 h Exposition 14,0 ppm (52,8 mg/m3)

Extrapolationen auf kürzere Zeitpunkte werden wegen der großen Ungenauigkeit nicht vorgenommen. Es existiert eine Risikoabschätzung der EPA (1985, 1987) auf Basis der Teilstudie von Laskin et al. (1980) mit Exposition gegenüber 100 ppm für 30 Tage. Die EPA schätzte ein Krebsrisiko von 1,2 • 10-5 pro µg/m3 bei lebenslanger Exposition („unit risk“, unter Verwendung eines time-to-tumor-response-Modells). In EPA (2005a) wird hierfür ein Wert von 1,2 • 10-6 pro µg/m3 genannt, möglicherweise ist dies ein Übertragungsfehler. Auf Basis der Teilstudien mit lebenslanger Exposition schätzte die EPA (1985, 1987, 2005a) ein 10-fach niedrigeres Risiko von 1,2 • 10-6 pro µg/m3. Nachdem eine Risikoextrapolation von Effekten einer kurzfristigen Exposition auf Lebenszeit und nachfolgende Rückrechnung auf Kurzzeitexposition mit großen Unsicherheiten behaftet ist, wird diese Risikoabschätzung nicht weiter ausgewertet.

3.2.2.2 Verwendung von Gentoxizitätsdaten Gentoxizitätsdaten mit inhalativer Exposition liegen nicht vor. Nach oraler Exposition wurde meist keine mutagene Wirkung in vivo beobachtet, jedoch nach i.p. Applikation. Nach einmaliger i.p. Gabe niedriger Dosen (0,6 mg/kg, Prodi et al., 1986) wurden bereits DNA-Addukte nachgewiesen. Eine quantitative Übertragung dieser Ergebnisse mit parenteraler Exposition auf inhalative Exposition scheint nicht sinnvoll.

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3.3 Berechnung im Rahmen der AEGL-Wert-Ableitung

3.3.1 AEGL-Werte für Epichlorhydrin Für Epichlorhydrin liegen die in der folgenden Tabelle 3.4 aufgeführten AEGL-Werte („proposed“ Status) vor (EPA, 2005b).

Tabelle 3.4: AEGL-Werte für Epichlorhydrin (EPA, 2005b)

AEGL-Werte Konzentration (ppm)

10 min 30 min 1 h 4 h 8 h AEGL-1 5,7 5,7 5,7 5,7 5,7 AEGL-2 53 53 24 16 10 AEGL-3 570 160 72 43 30

Gegenüber den AEGL-Werten im Hintergrund-Dokument von EPA (o.J.) (Public Draft) ergaben sich bei EPA (2005b) geringfügige Veränderungen (AEGL-1: 5,7 ppm statt 5 ppm). In EPA (o.J.) wurde der AEGL-1-Wert auf Basis der Geruchsschwelle abgeleitet. Der AEGL-1-Wert in EPA (2005b) basiert auf Humandaten zu Reiz-wirkung (NOAEL 17 ppm, Sicherheitsfaktor 3; EPA, 2005c) und ist unabhängig von unterschiedlicher Expositionsdauer. Der AEGL-2-Wert wurde mangels geeigneter Daten mittels eines Faktors von 3 auf den AEGL-3-Wert abgeleitet, welcher auf Letalitätsdaten von Tieren basiert. Der Wert für 10 min-Exposition wurde nicht vom AEGL-3-Wert extrapoliert, sondern es wurde (zum Schutz vor der Ausbildung pulmonärer Ödeme) der 30 min-Wert übernommen. In EPA (o.J.) wurde weiterhin auch eine Vergleichsbetrachtung zu kanzerogener Wirkung durchgeführt. Hierbei wurde das unit risk der EPA auf Basis in Höhe von 1,2 • 10-6 pro µg/m3 als Ausgangswert genommen (Basis: Daten von Laskin et al. (1980), 10 und 30-ppm-Gruppen mit lebenslanger Exposition, nicht signifikantes Risiko) Hieraus wurde eine Konzentration von 94 ppm (24 h) abgeschätzt, die mit einem Risiko von 10-4 korrespondiert. Unter Berücksichtigung einer Beziehung Konzen-trationn • Zeit = konstant (Haber’sches Gesetz) mit n = 0,87 wurden hieraus Werte von 332, 737, 3627, 8046 und 28445 ppm für Expositionen von 8, 4, 1 und 0,5 h sowie für 10 min berechnet (der Wert für n = 0,87 wurde aus Letalitätsdaten mit unterschiedlicher Expositionsdauer ermittelt). Diese Werte übersteigen die AEGL-Werte für nichtkanzerogene Effekte (siehe Abschnitt 3.4) deutlich.

3.4 Vergleich kanzerogene Potenz nach Einmalexposition vs. AEGL-Werte Der Vergleich der AEGL-2 Werte mit den Krebsrisiko-basierten Werten zeigt, dass die AEGL-2 Werte auf Basis nichtkanzerogener Effekte oberhalb der kalkulierten Werte für ein Risiko von 10-4 liegen, wenn die Kurzzeitdaten von Laskin et al. (1980) zu 30 d Exposition zugrunde gelegt werden. Die Daten sind in der folgenden Tabelle 3.5 gegenübergestellt.

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Tabelle 3.5: Vergleich der Störfallbeurteilungswerte für Epichlorhydrin, auf Basis kanzerogener und nichtkanzerogener Endpunkte

Zusätzliches Krebsrisiko 1:10000 (Basis Laskin et al., 1980)

Zeitpunkt AEGL-2 (nicht kanzerogener Endpunkt)

Stoffspezifische Daten 8 Stunden 10 ppm 1,7 ppm 4 Stunden 16 ppm 3,5 ppm 1 Stunde 24 ppm 14 ppm

3.5 Diskussion Die Bewertung des gentoxischen Potentials von Epichlorhydrin hat ergeben, dass Effekte bereits nach einmaliger Exposition nicht mit ausreichender Sicherheit auszu-schließen sind: mutagene Wirkung und die Bildung von DNA-Addukten wurden bereits nach einmaliger i.p. Exposition in mehreren Organen beobachtet. Epichlorhydrin wurde bezüglich kanzerogener Wirkung auf inhalativem und oralem Pfad getestet und verursachte vor allem lokale Tumore. Eine Risikoabschätzung auf Basis der Studie von Laskin et al. (1980) hat ergeben, dass eine relevante krebser-zeugende Wirkung (Risiko ≥ 10-4) bereits in Konzentrationen unterhalb der AEGL-2-Werte (Basis nichtkanzerogene Effekte) nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen ist, wenn die 30 d Exposition der Studie direkt auf 30 d Exposition für den Menschen übertragen wird. Dabei wird ein dominierender Einfluss der Gentoxi-zität unterstellt (lineare Extrapolation auch unterhalb der Reizschwelle). Wird dagegen eine maßgebliche Beteiligung der Reizwirkung einbezogen, so muss in Höhe der Reizschwelle eine Nichtlinearität angenommen werden (Knickpunkt einer Hockeystick-Kurve). Die Reizschwelle liegt bei ca. 6 ppm (5,7 ppm entsprechen dem AEGL-1) bzw. 10 ppm (8 Stunden, AEGL-2). Unterhalb dieser Konzentration wäre dann eine deutlich stärkere Abnahme des Risikos zu erwarten. Die bei Unterstellung von Linearität ermittelten Werte für ein 1:10000-Risiko liegen nicht deutlich niedriger als die Reizschwelle und enthalten somit keinen großen systematischen Fehler. Allerdings wäre es im Rahmen der bestehenden Unsicherheiten auch vertretbar, bei dieser Datenlage den AEGL-1 (5,7 ppm) als formale regulationsrelevante Konzen-tration heranzuziehen, bei deren Unterschreitung nicht mehr mit einem Krebsrisiko > 1:10000 zu rechnen ist (Zeitpunkte bei 4 bis 8 Stunden, 14 ppm bei 1 Stunde). Es bleibt weiterhin unklar, ob eine anteilige prozentuale Berücksichtigung der Expositionsdauer (Bezug auf die gesamte Lebenszeit) bei der Risikoextrapolation besser gerechtfertigt wäre. Unter Verwendung der relativen Expositionsdauer pro Lebenszeit würden sich um etwa den Faktor 50 höhere Werte ergeben. Dieser Ansatz wird jedoch verworfen, weil möglicherweise bereits die absolute Konzentra-tion von 100 ppm zu 12,8 % Krebs führt, wenn die Zeitdauer keinen oder nur einen nachgeordneten Einfluss hat und die reizende Konzentration ausschlaggebende Bedeutung besitzt. Dieser Ansatz berücksichtigt nicht, dass möglicherweise der Reizeffekt einen chronischen Charakter haben muss, um als „chronischer Proliferationsreiz“ zusam-men mit der Gentoxizität zu Krebs zu führen (vgl. Diskussion zu Formaldehyd). Angesichts der bereits nach 30 Tagen beobachteten kanzerogenen Wirkung im

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Tierversuch kann diese weniger konservative Vermutung jedoch nicht hinreichend gestützt werden. Eine weitere Unsicherheit der Risikoextrapolation ist durch die Ergebnisse der Studie von Nesnow et al. (1992) gegeben, welche eine erhöhte Empfindlichkeit von huma-nen Zellen in vitro auf gentoxische Wirkungen im Vergleich zu Nagerzellen beobach-teten. Nachdem hierzu aber keine entsprechenden in vivo-Vergleichsdaten zu gen-toxischen Effekten vorliegen, können diese Resultate nicht in eine Risikoabschät-zung einbezogen werden. Nachdem in in vitro-Systemen metabolische Aktivierung zu einer Verringerung der gentoxischen Aktivität führt (vgl. z.B. Giri, 1997) ist unklar, ob diese Unterschiede auch in vivo bestehen. Zusammenfassend beinhaltet die Abschätzung der Krebsrisiken bei Kurzzeitexposition also relevante Unsicherheiten. Im vorliegenden Fall wurde eine konservative Vorgehensweise der Abschätzung gewählt. Eine Krebsrisikoabschätzung der EPA (o.J.) für vergleichende AEGL-Werte auf Basis kanzerogener Effekte kommt zu deutlich höheren Konzentrationen bei Kurzzeitex-position. Diese Vorgehensweise scheint aber unter mehreren Aspekten kritikwürdig:

S Unsicherheiten der Risikoabschätzung der EPA (2005a) (Einpunkt-Schät-zung auf Basis nicht signifikanter Tumorinzidenzen)

S 10-fach höheres Krebsrisiko bei Kurzzeitexposition als in der Langzeit-studie (vgl. Abschnitt 3.2.2.1)

S Anwendung des Haber’schen Gesetzes mit einem Faktor n = 0,87 (Basis Letaldaten für Krebsgeschehen, trotz völlig unterschiedlichem Mechanis-mus).

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4 Bis(chlormethyl)ether: Störfallbeurteilungswerte und krebserzeugende Wirkung nach Einmalexposition

4.1 Stoffspezifische Daten CAS-Nr.: 542-88-1 Molekulargewicht: 114,96 Strukturformel

Bis(chlormethyl)ether (BCME) ist eine farblose, flüchtige Flüssigkeit. Die Dämpfe wirken stark reizend. Die Substanz ist von der EU als Humankanzerogen eingestuft (siehe Tabelle 4.1).

Tabelle 4.1: Einstufung hinsichtlich Kanzerogenität (ECB, 2005; DFG, 2004; IARC 1987; EPA, 2005a)

Kanzerogenität Organisation

Kategorie

EU 1

MAK 1

WHO/IARC 1

EPA A

BCME ist hinsichtlich Keimzellenmutagenität und Reproduktionstoxizität nicht eingestuft. Für die Umrechnung von ppm in mg/m3 werden folgende Faktoren verwendet: 1 ppm = 4,75 mg/m3, 1 mg/m3 = 0,21 ppm (Delic und Fairhurst, 1990).

4.1.1 Kanzerogenität BCME wird als DNA-alkylierender Substanz eine direkte gentoxische Wirkung unter-stellt, auch wenn die vorliegenden experimentellen Gentoxizitätsdaten noch ungenü-gend für eine abschließende Bewertung sind. Humandaten von beruflich exponierten Personen belegen eine kanzerogene Wirkung von BCME und auch von BCME in Mischexposition mit Chlormethylmethylether (CMME). In Tierstudien mit inhalativer Exposition wurden bereits bei niedrigen Konzentrationen und kurzzeitiger Exposition gegenüber BCME krebserzeugende Wirkungen gezeigt, vor allem in den oberen Atemwegen. Auch bei dermaler, subkutaner und i.p.Exposition wurden bei Nagern vermehrt Tumore beobachtet. Studien mit oraler Exposition sind nicht bekannt.

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4.1.1.1 Humandaten Ältere Studien belegen in kleinen Kollektiven sowie anhand von Fallberichten einen Zusammenhang zwischen beruflichem Umgang mit BCME und dem vermehrten Auf-treten von Lungenkrebs. Eine Reihe von weiteren epidemiologischen Studien berich-tet für verschiedene Produktionsstandorte im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhte Krebsrisiken bei Beschäftigten mit beruflicher Mischexposition gegenüber BCME und CMME (CMME mit einem BCME-Gehalt von 1 - 8 %). Die Spanne für das relative Risiko für Lungenkrebs (kleinzellige Karzinome) war in diesen Studien 3,0 (95 % Konfidenzintervall 2,24 - 3,98, signifikant erhöht) bis 7,6 (95 % Konfidenz-intervall 4,3 - 13,5, signifikant erhöht). Es zeigte sich eine deutliche Dosis-Wirkungs-beziehung, bei Subkohorten der höchsten Expositionskategorien lagen die höchsten relativen Risiken bei maximal 21 (signifikant erhöht) (Blair und Kazerouni, 1997; CEPA, 2005; Delic und Fairhurst, 1990; NTP, 2005; WHO, 1998). Die fehlende Berücksichtigung des Rauchverhaltens ist ein Mangel der meisten vor-liegenden Studien, jedoch wird aus dem Auftreten von vorwiegend kleinzelligen anaplastischen Karzinomen (bei Rauchern parallel auch Adenokarzinome und Plattenepithelkarzinome), der hohen SMR und kurzer Latenzzeit geschlossen, dass Rauchen nur eine untergeordnete Störgröße darstellt. Bei Studien mit Kontrolle des Raucherstatus war dieser kein Störfaktor (Delic und Fairhurst, 1990). BCME wird durchgängig als Humankanzerogen eingestuft (vgl. Tabelle 4.1). In der aktuellsten vorliegenden Untersuchung von Weiss und Nash (1997) wurden bei 125 Arbeitern mit mehrjähriger Exposition gegenüber BCME und CMME („Philadelphia-Kohorte“) im Beobachtungszeitraum von 1963 - 1992 insgesamt 25 Todesfälle durch Lungenkrebs berichtet. Nach Aufteilung in Expositionskategorien (keine Exposition, n = 32, leichte Exposition, n = 34, mittelstarke Exposition, n = 31, starke Exposition, n = 28) ergaben sich Standardmortalitätsraten (SMR) für leichte, mittlere und starke Exposition von 1,38 (95 % Konfidenzintervall 0,17 - 4,98, nicht signifikant); 7,49 (95 % Konfidenzintervall 3,23 - 14,75, signifikant erhöht) und 15,21 (95 % Konfidenzintervall 7,87 - 26,6, signifikant erhöht). Es erfolgte keine statistische Berücksichtigung des Rauchverhaltens, jedoch wurde aus der Art der Tumore (überwiegend kleinzellige Tumore) und der kurzen Latenzzeit auf eine starke Beteiligung der Chlormethylether bei der Tumorentstehung geschlossen. Kurzzeitdaten zu krebserzeugender Wirkung beim Menschen liegen nicht vor.

4.1.1.2 Tierdaten Hinweise auf kanzerogene Wirkungen nach Kurzzeitexposition ergaben sich in einer Studie von Drew et al. (1975), wo je 50 männliche Ratten und Hamster 1-, 3-, 10- und 30-mal 7 h gegenüber BCME in einer Konzentration von 1 ppm exponiert und lebenslang nachbeobachtet wurden. Bei einem Hamster mit einmaliger Exposition wurde ein undifferenzierter maligner Tumor in der Nase beobachtet, bei Ratten mit einmaliger Exposition traten keine Tumore auf. Bei der Gruppe mit 3-maliger Exposition entwickelte sich bei einer Ratte ein Plattenepitheltumor auf der Haut, bei einem Hamster ein Ästhesionneuroepitheliom in der Nase. Ratten und Hamster mit mehrmaliger Exposition zeigten weiterhin dosisabhängig vermehrt Hyperplasien und Metaplasien in der Trachea und den Bronchien. Mehrmalige Exposition führte zu deutlich erhöhter Mortalität: die mittlere Überlebensdauer der Ratten bei 3, 10 und 30 Expositionen betrug 168, 21 und 23 Tage, bei Kontrollen bzw. einmaliger Exposition

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462 bzw. 457 Tage (ähnlich bei Hamstern). Die geringe Überlebensrate der Tiere erlaubt keine verlässlichen quantitativen Aussagen zu einer kanzerogenen Wirkung. In einer Studie von Kuschner et al. (1975) wurden männliche Ratten für verschiedene Zeiten inhalativ gegenüber einer BCME-Konzentration von 0,1 ppm exponiert. Bei einer täglichen Expositionsdauer von 6 h erfolgten 10 - 100 Expositionen mit lebens-langer Nachbeobachtung. Ab 60 Expositionen war die mittlere Überlebensdauer ver-mindert. Die Tumorinzidenzen im Atemtrakt (überwiegend Ästhesionneuroepithelio-me der Nase und Lungenkarzinome) für die einzelnen Gruppen von Tieren mit einer Überlebensdauer von > 210 Tagen sind in der folgenden Tabelle 4.2 dargestellt.

Tabelle 4.2: Tumorinzidenzen im Atemtrakt von Ratten (Expositionskonzentration 0,1 ppm; Kuschner et al., 1975)

Anzahl Expositionen (6 h/d) Tumoren im Atemtrakt % Tumorinzidenz Kontrolle 0/240 0

10 1/41 2,4 20 3/46 6,5 40 4/18 22,2 60 4/18 22,2 80 15/34 44,1

100 12/20 60,0

Leong et al. (1981) exponierten männliche Ratten und Mäuse inhalativ gegenüber BCME in Konzentrationen von 0,001 - 0,1 ppm (6 h/d, 5 d/w, 6 Monate) mit lebens-langer Nachbeobachtung. Die höchste Konzentration bewirkte bei Ratten eine ver-ringerte Überlebensdauer der Tiere und eine ausgeprägte kanzerogene Wirkung in den Atemwegen: 96/111 Tieren entwickelten in der Nase Ästhesionneuroepitheliome, je ein Tier hatte ein Nasenkarzinom bzw. eine Lungenmetastase eines Ästhesion-neuroepithelioms, bei vier weiteren wurden pulmonäre Adenome beobachtet. Bei den niedrigeren Konzentrationen traten keine Tumore auf (Gruppengrößen ca. 110 Tiere). Bei der Parallelstudie an Mäusen war die Überlebensrate aufgrund einer Harntrakt-Infektion verringert. Bei Auswertung aller Tiere zeigten sich keine signifi-kant erhöhten Tumorraten. Bei den länger als 6 Monate überlebenden Tieren der Hochdosisgruppe (7 - 24 Monate) wurden dagegen gegenüber den Kontrollen signifi-kant vermehrt pulmonäre Adenome beobachtet. Weitere Studien belegen bei Exposition über andere Pfade (dermale, subkutane und i.p. Exposition) die kanzerogene Wirkung von BCME in Ratten und Mäusen. In einem Initiations-/Promotionsprotokoll an Mäusen wirkte BCME bei einmaliger dermaler Exposition, gefolgt von einer Promotionsphase mit Crotonöl, als Tumorinitiator (Delic und Fairhurst, 1990; WHO, 1998).

4.1.2 Gentoxizität In Bakterien (Salmonella, E.coli) wirkte BCME mit oder ohne metabolische Aktivie-rung mutagen. In vitro-Untersuchungen an Säugerzellen zeigten die Induktion von unplanmäßiger DNA-Synthese und Zelltransformation in humanen Zellen. In vitro alkylierte BCME DNA an Guanin und Adenin. In vivo liegen zwei Untersuchungen zu klastogenen Wirkungen an Ratten vor (Exposition inhalativ: 0,001 - 0,1 ppm, 6 h/d, 5

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d/w für 3 bis 6 Monate; oral: 4 - 130 mg/kg • d, 5 d/w, 4 Wochen). Beide Studien zeigten keine Effekte in Knochenmarkszellen. Zwei Studien an Hamstern (orale Exposition einmalig 236 mg/kg oder 130 mg/kg) dokumentieren eine leicht vermehrte Rate von Chromosomenaberrationen in Zellen des Knochenmarks. Aus mehreren Untersuchungen an isolierten humanen Lymphozyten von mehrjährig BCME- und CMME-exponierten Arbeitern ergaben sich Hinweise auf eine schwache chromosomenschädigende Wirkung. Die Expositionskonzentrationen lagen dabei für BCME im Bereich 0,01 - 0,1 µg/m3 (ca. 0,002 - 0,02 ppb), für CMME im Bereich 20 bis > 200 µg/m3 (Delic und Fairhurst, 1990; WHO, 1998). In der Sekundärliteratur werden die meisten der vorliegenden Studien zu gentoxi-schen Effekten wegen konzeptioneller Mängel und ungenügender Dokumentation kritisiert (Delic und Fairhurst, 1990; WHO, 1998). Anhand der vorliegenden Daten kann die Relevanz gentoxischer Wirkung noch nicht abschließend beurteilt werden. Aufgrund der alkylierenden Wirkung von BCME wird allerdings ein gentoxisches Potenzial unterstellt (Delic und Fairhurst, 1990; Kuschner et al., 1975).

4.1.3 Metabolismus Daten zu Toxikokinetik und Metabolismus liegen nicht vor. In Gegenwart von Wasser hydrolysiert BCME innerhalb 1 min zu Formaldehyd und Salzsäure, wobei sich ein Gleichgewicht von 20 % der Muttersubstanz und den Hydrolyseprodukten einstellt. Es ist aber unklar, ob BCME oder seine Hydrolyseprodukte in vivo metabolisiert werden. Es wird vermutet, dass aufgrund der hohen Reaktivität toxische Wirkungen wahrscheinlich überwiegend lokal auftreten (Delic und Fairhurst, 1990; EPA, 2005c; WHO, 1998).

4.2 Berechnung der krebserzeugenden Potenz von BCME nach Einmalexposition

4.2.1 Mechanistische Überlegungen Nachdem BCME DNA-alkylierende Eigenschaften besitzt, wird eine direkte gentoxi-sche Wirkung unterstellt (Delic und Fairhurst, 1990; Kuschner et al., 1975). Unter der Annahme einer gentoxischen Wirkung als Ursache der kanzerogenen Effekte wäre von einer Effektkonzentration linear auf ein Risikoniveau von 10-4 zu extrapolieren. Wenn jedoch zytotoxische Wirkungen (Reizwirkungen) als weitere relevante Ursache kanzerogener Effekte zu sehen sind, wäre eine nichtlineare Dosis-Wirkungsbezie-hung möglich. Folgende Angaben zu Reizwirkungen bei niedrigen Konzentrationen liegen vor: eine offensichtlich nicht verlässliche Quelle berichtet, dass 3 ppm beim Menschen akute Reizwirkung auf Augen und Atemtrakt beim Menschen auslösten (Delic und Fairhurst, 1990). Bei mehrmaliger Exposition von Ratten und Hamstern gegenüber 1 ppm wurden histologische Veränderungen in der Trachea und den Bronchien beobachtet, nach einmaliger Exposition gegenüber 0,7 ppm erhöhte relative Lungengewichte, Hyperplasien des Respirationsepithels (nur Ratten) und Pneumonien (nur Hamster). Die Erhöhung der relativen Lungengewichte wird von den Autoren als Folge von Lungenschädigung interpretiert (Drew et al., 1975). Bei Leong et al. (1981) zeigten sich bei subchronischer intermittierender Exposition von Mäusen gegenüber Konzentrationen bis 0,1 ppm keine Reizwirkungen (zu Rei-

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zungen bei Ratten wurden keine Angaben gemacht). Damit zeigt sich, dass kanze-rogene Wirkungen bei Konzentrationen auftraten, die im Bereich der Reizschwelle im Tier oder möglicherweise sogar etwas unterhalb davon liegen. Damit ist zu vermuten, dass im Konzentrationsbereich von 0,1 ppm die Reizwirkung nicht die überwiegende Ursache der lokalen Tumorentstehung in den Atemwegen darstellen sollte. Es zeigte sich weiterhin eine geringe Effektzunahme hinsichtlich kanzerogener Effekte bei niedrigen Konzentrationen im Tier: 0,1 ppm wirkten noch deutlich krebserzeugend (Kuschner et al., 1975; Leong et al., 1981), bei der nächst-niedrigeren getesteten Konzentration von 0,01 ppm waren (trotz längerer Über-lebensdauer) keine Nasentumore mehr zu beobachten (Leong et al., 1981).

4.2.2 Verwendung stoffspezifischer Daten

4.2.2.1 Verwendung von Kanzerogenitätsdaten bei Kurzzeitexposition Nach den Ausführungen in Abschnitt 4.2.1 kann abgeleitet werden, dass bei den beobachteten Effektkonzentrationen von 0,1 ppm für Kanzerogenität die Reizwirkung keinen dominierenden Beitrag zu der krebserzeugenden Wirkung leisten sollte. Im Folgenden wird eine Abschätzung des Krebsrisikos für einmalige Exposition auf Basis der Tumorinzidenzen der Studie von Kuschner et al. (1975) mit 10 - 100 d Exposition und 0,1 ppm Expositionskonzentration durchgeführt. In dieser Studie zeigte sich eine klare Dosis-Wirkungsabhängigkeit mit zunehmender Expositions-dauer. Zwar wurden in der Studie von Drew et al. (1975) Tiere noch kürzer exponiert, jedoch hatten diese eine so stark verringerte Überlebensrate, dass keine verläss-lichen Aussagen zu kanzerogener Wirkung bei üblicher Überlebensdauer gemacht werden können. Mit den in Tabelle 4.2 aufgelisteten Tumorinzidenzen der Studie von Kuschner et al. (1975) wurde eine Benchmark-Modellierung (Weibull-Modell) durchführt. Aus dieser ergab sich für einmalige 6 h Exposition gegenüber 0,1 ppm eine zu erwartende Krebshäufigkeit von etwa 0,07 % (7 • 10-4) . Nach Umrechnung der 6 h Expositionsdauer auf 8 h resultiert sich hieraus ein Krebsrisiko von 1 • 10-4 bei einer Konzentration von 0,01 ppm (0,048 mg/m3, einmalige 8 h Exposition). Eine wesentliche Unsicherheit der Abschätzung von Krebsrisiken liegt darin begrün-det, ob von den absoluten Expositionstagen beim Tier auf eine gleiche Expositions-dauer auch für den Mensch geschlossen werden kann, oder ob eine anteilige Lebenszeitexposition zu berücksichtigen ist. Der Unterschied der beiden zeitlichen Bezugsbasen ist beträchtlich: bei einer mittleren Lebensdauer der Tiere von ca. 70 Wochen (darüber abnehmend) entsprechen bei Bezug auf die Lebensdauer 1, 10, 20 bzw. 40 Expositionen ca. 0,2; 2; 4 bzw. 8 % der Lebensdauer. Dies entspräche beim Menschen bei angenommenen 75 Jahren Lebensdauer einer Expositionsdauer von 55, 548, 1095 und 2190 Tagen. Der Unterschied zum absoluten Zeitbezug (10, 20 und 40 Expositionen) beträgt also einen Faktor ca. 55, ebenso der Unterschied der resultierenden Luftkonzentrationen, für die ein Risiko von 1:10000 abzuschätzen wäre. Eine weitere Unsicherheit der linearen Extrapolation ist darin zu sehen, dass eine deutliche Nichtlinearität für Kanzerogenität bei Konzentrationen unterhalb von 0,1 ppm zu beobachten war. Während in der Studie von Leong et al. (1981) eine Exposition von 0,1 ppm bei Ratten noch stark krebserzeugend wirkte, traten bei 0,01 ppm (trotz längerer Überlebensdauer der Tiere) keine Nasentumore auf. Ob

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tatsächlich ein nichtlinearer Wirkungsverlauf vorliegt, oder kanzerogene Effekte in geringer Inzidenz nicht sensitiv genug erfasst wurden, kann nicht abschließend geklärt werden. Bei der vermuteten gentoxischen Wirkung scheint ein linearer Dosis-Wirkungsverlauf allerdings nicht unplausibel. Damit ergeben sich unter linearer Umrechnung auf die kürzeren Zeiträume die in Tabelle 4.3 dokumentierten Konzentrationen. Angesichts der geschilderten Unsicher-heiten der Abschätzung sind diese Luftkonzentrationen als konservative Abschät-zungen zu betrachten.

Tabelle 4.3: Zusätzliches Krebsrisiko bei Kurzzeitexposition; Berechnung auf Basis der Daten von Kuschner et al. (1975), lineare Extrapolation

Zusätzliches Krebsrisiko von 1:10000 8 h Exposition 0,01 ppm (0,048 mg/m3) 4 h Exposition 0,02 ppm (0,095 mg/m3) 1 h Exposition 0,08 ppm (0,38 mg/m3)

Extrapolationen auf kürzere Zeitpunkte werden wegen der großen Ungenauigkeit nicht vorgenommen. Die EPA schätzte auf Basis der Daten von Kuschner et al. (1975) ein Krebsrisiko (unit risk) von 6,2 • 10-2 pro µg/m3 bei lebenslanger Exposition (EPA, 2005a). Nachdem eine Risikoextrapolation von Effekten einer kurzfristigen Exposition auf Lebenszeit und nachfolgende Rückrechnung auf Kurzzeitexposition mit großen Unsicherheiten behaftet ist, wird diese Risikoabschätzung nicht weiter ausgewertet. Wie sich aus Abschnitt 4.3.1 ergibt, unterscheiden sich die aus dieser Risikoab-schätzung von EPA (2005c) erhaltenen Luftkonzentrationen für ein Risiko von 10-4 von denen auf Basis der Einmalexposition (s.o.) abgeschätzten nur geringfügig.

4.2.2.2 Verwendung von Gentoxizitätsdaten Beim Menschen ergaben sich Hinweise auf eine chromosomenschädigende Wirkung in peripheren Lymphozyten nach beruflicher Exposition gegenüber BCME im Bereich 0,01 - 0,1 µg/m3 (ca. 0,002 - 0,02 ppb), wobei Mischexposition gegenüber CMME (20 bis > 200 µg/m3) vorlag. Die vorliegenden in vivo-Daten zu inhalativer Exposition von Nagern zeigen in Knochenmarkszellen keine gentoxische Wirkung. Nach oraler Exposition wurde dagegen in Tierstudien eine schwache klastogene Aktivität in Knochenmarkszellen beobachtet. Eine quantitative Auswertung dieser Ergebnisse erscheint nicht sinnvoll, da zu vermuten ist, dass aufgrund der hohen Reaktivität vor allem eine lokale gentoxische Wirkung in Geweben des oberen Atemtraktes stattfindet, welche aber in den vorliegenden Studien nicht untersucht wurden.

4.3 Berechnung im Rahmen der AEGL-Wert-Ableitung

4.3.1 AEGL-Werte für BCME Für BCME liegen die in der folgenden Tabelle 4.4 aufgeführten AEGL-Werte („proposed“ Status) vor (EPA, 2005b,c).

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Tabelle 4.4: AEGL-Werte für BCME (EPA, 2005b,c)

AEGL-Werte Konzentration (ppm)

10 min 30 min 1 h 4 h 8 h AEGL-1 1) 1) 1) 1) 1) AEGL-2 0,055 0,055 0,044 2) 0,028 2) 0,020 2) AEGL-3 0,23 2) 0,23 2) 0,18 2) 0,11 2) 0,075 2)

1: keine Werte abgeleitet (...“not recommended because effects exceeding the severity of AEGL-1 occurred at concentrations that did not produce sensory irritation in humans or animals”) 2: Für diese Konzentrationen wurde ein Krebsrisiko > 1 • 10-4 abgeschätzt (EPA, 2005c) Für das AEGL-1-Niveau wurden keine Werte abgeleitet: Mortalität wurde bereits bei Konzentrationen beobachtet, bei denen keine Reizeffekte bei Mensch und Tier beobachtet wurden. Die AEGL-2-Werte wurden auf Basis von irreversiblen Lungenschäden bei Ratten und Hamstern nach einmaliger Exposition (Studie von Drew et al., 1975) abgeleitet, die AEGL-3-Werte anhand von Letalitätsdaten der Studie von Drew et al. (1975). In EPA (2005c) wurde weiterhin auch eine Vergleichsbetrachtung von nichtkanzero-gener und kanzerogener Wirkung durchgeführt („preliminary cancer assessment“). Hierbei wurde das unit risk der EPA (2005a) auf Basis der Daten von Kuschner et al. (1975) in Höhe von 6,2 • 10-2 pro µg/m3 als Ausgangswert gewählt. Eine Luftkonzen-tration mit einen korrespondierenden Risiko von 10-4 ergibt sich daraus rechnerisch zu 1,6 • 10-3 µg/m3 für lebenslange Exposition und zu 40,96 µg/m3 (0,0014 ppm) für 24 h Exposition. Berücksichtigung des Standardfaktors von 6 (NRC, 2001) ergibt die in der folgenden Tabelle 4.5 dargestellten Werte. Hierzu wird angemerkt, dass die Wahl kanzerogener Endpunkte für die Ableitung von AEGL-Werten als nicht ange-messen erscheint, weil kanzerogene Effekte nicht nach einmaliger Exposition beob-achtet wurden (der bei Hamstern aufgetretene Tumor, siehe Abschnitt 4.1.1.2, wurde offensichtlich nicht berücksichtigt). Außerdem seien methodische Unterschiede bei der Ableitung der AEGL-Wertepaare (kanzerogen/nichtkanzerogen) zu berücksichti-gen, welche unterschiedliche Unsicherheiten bedingen (Extrapolation von Lebens-zeitrisiko auf 0,5 - 8 h, vs. Extrapolation von einer 7 h Exposition).

Tabelle 4.5: AEGL-Werte für BCME, abgeleitet auf Basis kanzerogener Wirkung, Risiko 10-4 (EPA, 2005c)

AEGL-Wert Konzentration (ppm)

10 min 30 min 1 h 4 h 8 h 0,069 0,069 0,035 0,0086 0,0043

4.4 Vergleich kanzerogene Potenz nach Einmalexposition vs. AEGL-Werte Ein Vergleich der AEGL-2-Werte mit den in Abschnitt 4.2.2.1 extrapolierten Luftkon-zentrationen, die mit einem Risiko von 1:10000 für kanzerogene Effekte korrespon-dieren, zeigt, dass die krebsbasierten Luftkonzentrationen für 4 und 8 h Exposition etwas unterhalb der AEGL-2-Werte auf Basis nichtkanzerogener Effekte liegen, für den 1 h-Wert etwas höher. Die Unterschiede bewegen sich jedoch im Rahmen eines

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Faktors von maximal 2. Angesichts der Unsicherheiten der Abschätzung des Krebsrisikos unter konservativen Annahmen ist demnach davon auszugehen, dass das Krebsrisiko bei Einhaltung der AEGL-2-Werte für nichtkanzerogene Effekte auch bei 4 und 8 h Expositionsdauer einen Wert von 10-4 nicht wesentlich überschreiten sollte. Kanzerogene Effekte (Risiko ca. 10-4) wären demnach bei ähnlichen Kon-zentrationen als den AEGL-2-Werten (Basis nichtkanzerogene Effekte) zu erwarten. Die Daten sind in der folgenden Tabelle 4.6 gegenübergestellt. Die Abschätzung der EPA (2005c) kommt ausgehend von einer unit risk-Abschätzung (ebenfalls auf Basis der Studie von Kuschner et al., 1975) zu sehr ähnlichen Luftkonzentrationen, die mit einem Krebsrisiko von 10-4 korrespondieren (Unterschied ca. Faktor von 2). Diese sind zum Vergleich ebenfalls mit aufgeführt.

Tabelle 4.6: Vergleich der Störfallbeurteilungswerte für BCME, auf Basis kanzero-gener und nichtkanzerogener Endpunkte

Zusätzliches Krebsrisiko 1:10000 (beide auf Basis von Kuschner et al., 1975)

Zeitpunkt AEGL-2 (nicht kanzerogener Endpunkt) Basis unit risk

(EPA, 2005c) Basis Stoffspezifische Daten, Einmalexposition

8 Stunden 0,020 ppm 0,0043 ppm 0,010 ppm 4 Stunden 0,028 ppm 0,0086 ppm 0,020 ppm 1 Stunde 0,044 ppm 0,035 ppm 0,080 ppm

4.5 Diskussion Kanzerogene Effekte von BCME zeigten sich in Tieren bei inhalativer Exposition bereits nach einmaliger Exposition, jedoch sind die Daten mit Exposition bis zu 10 Tagen wegen geringer Tumorzahlen quantitativ nicht verlässlich für die Ableitung von krebsbasierten Luftwerten für einmalige Exposition. Trotz einer ungenügenden Datenlage für gentoxische Wirkungen wird eine solche aus mechanistischen Überle-gungen (DNA-alkylierende Wirkung) vermutet und eine lineare Risikoextrapolation für angemessen erachtet. Eine Risikoabschätzung wurde auf Basis der Studiendaten von Kuschner et al. (1975) mit 10 - 100-maliger Exposition (Extrapolation auf einmalige Exposition mittels Benchmark-Modellierung) durchgeführt. Bei der Expositionskonzentration von 0,1 ppm in dieser Studie waren offensichtlich noch keine dominierenden Einflüsse von zytotoxischen Spitzenkonzentrationen zu berücksichtigen. Als Berechnungsbasis wurde in konservativer Vorgehensweise die absolute Exposition und nicht der prozentuale Anteil der Exposition an der Lebensdauer gewählt. Die Abschätzung hat ergeben, dass bei Konzentrationen in Höhe der AEGL-2-Werte (Basis nichtkanzero-gene Effekte) auch eine relevante krebserzeugende Wirkung (Risiko im Bereich 10-4) zu erwarten ist. Die vorgenommene Ableitung enthält aber verschiedene konservative Annahmen. Die Vergleichsbetrachtung der EPA (2005c) für AEGL-Werte auf Basis der kanzerogenen Wirkung ergibt vergleichbare, etwas niedrigere Ergebnisse. Diese basieren auf dem unit risk der EPA (2005a) für lebenslange Exposition, welches

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ebenfalls auf der Studie von Kuschner et al. (1975) abgeleitet wurde. Die Unter-schiede erklären sich aus der unterschiedlichen Vorgehensweise: im Rahmen dieses Projektes wurden die Tumorinzidenzen der Kurzzeitstudien von Kuschner et al. (1975) direkt für die Risikoabschätzung bei Einmalexposition verwendet. Das bei EPA (2005c) auf Basis derselben Versuchsdaten verwendete unit risk stellt das obere 95 %-Vertrauensintervall einer Risikoextrapolation in den Niedrigdosisbereich, hochgerechnet auf Lebenszeit, dar, und es erfolgte anschließend eine Rückrechung auf einmalige Exposition. Diese Vorgehensweise scheint etwas größere Unsicher-heiten zu beinhalten als die direkte Extrapolation von Risiken anhand der Kurzzeit-daten.

4.6 Literatur Blair, A., Kazerouni, N., 1997

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DFG, Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004 MAK- und BAT-Werte-Liste 2004. Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe. Mitteilung 40 WILEY-VCH Verlag GmbH, Weinheim, 2004

Drew, R. T., Laskin, S., Kuschner, M., Nelson, N., 1975 Inhalation carcinogenicity of alpha halo ethers. I. The acute inhalation toxicity of chloromethyl methyl ether and bis(chloromethyl)ether Archives of Environmental Health, Vol. 30, 1975, S. 61-69

ECB, European Chemicals Bureau, 2005 European Chemical Substances Information System (ESIS) Online: http://ecb.jrc.it/existing-chemicals/content1.php#, Druckdatum: Juni 2005

EPA, Environmental Protection Agency, 2005a Integrated Risk Information System (IRIS) online: http:/www.epa.gov./iris/; Druckdatum: Juli, 2005

EPA, Environmental Protection Agency, 2005b Acute Exposure Guideline Levels (AEGLs) - Bis(chloromethyl) ether Results Online: http://www.epa.gov/oppt/aegl/rest124.htm; Druckdatum: Juni 2005

EPA, Environmental Protection Agency, 2005c Acute Exposure Guideline Levels (AEGLs) for Bis-chloromethyl ether (BCME) NAC/Draft 1: 6/2005 U.S. Environmental Protection Agency, National Advisory Committee/AEGL, Washington DC, 2005

IARC, International Agency for Research on Cancer, 1987 IARC Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans. Suppl. 7. Overall Evaluations of Carcinogenicity: An Update of IARC Monographs Vol. 1 to 42 WHO, World Health Organization, Geneva, 1987

Kuschner, M., Laskin, S., Drew, R. T., Cappiello, V., Nelson, N., 1975 Inhalation carcinogenicity of alpha halo ethers. III. Lifetime and limited period inhalation studies with bis(chloromethyl)ether at 0.1 ppm Archives of Environmental Health, Vol. 30, 1975, S. 73-77

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Leong, B. K. J., Kociba, R. J., Jersey, G. C., 1981 A lifetime study of rats and mice exposed to vapors of bis(chloromethyl)ether Toxicology and Applied Pharmacology, Vol. 58, 1981, S. 269-281

NTP, National Toxicology Program, 2005 11th Report on Carcinogens (RoC). Bis(Chloromethyl) Ether and Technical-Grade Chloromethyl Methyl Ether U.S. Department of Health and Human Services; Public Health Service, 2005

Weiss, W., Nash, D., 1997 An epidemic of lung cancer due to chlormethyl ethers. 30 years of observation Journal of Occupational and Environmental Medicine, Vol. 39, 1997, S. 1003-1009

WHO, World Health Organization, 1998 Environmental Health Criteria 201, Selected Chloroalkyl Ethers IPCS, International Programme on Chemical Safety, World Health Organization, Geneva, 1998

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5 1,3-Butadien: Störfallbeurteilungswerte und krebserzeu-gende Wirkung nach Einmalexposition

5.1 Stoffspezifische Daten CAS-Nr.: 106-99-0 Molekulargewicht: 54,09 Strukturformel

1,3-Butadien ist ein farbloses Gas mit leicht aromatischem Geruch, welches bei Konzentrationen ab etwa 2 % in der Luft explosiv reagieren kann. Die Substanz ist in der EU als krebserzeugend für den Menschen eingestuft (siehe Tabelle 5.1).

Tabelle 5.1: Einstufung hinsichtlich Kanzerogenität

Kanzerogenität Organisation

Kategorie

EU 1

MAK 1

WHO/IARC 2A

EPA A

ECB, 2005; DFG, 2004; IARC 1999; EPA, 2005 Butadien ist von der EU hinsichtlich Keimzellenmutagenität in Kategorie 2 eingestuft, von der DFG als Keimzellmutagen der Kategorie 2 (ECB, 2005; DFG, 2004). Für die Umrechnung von ppm in mg/m3 werden folgende Faktoren verwendet: 1 ppm = 2,21 mg/m3, 1 mg/m3 = 0,45 ppm (IARC, 1999).

5.1.1 Kanzerogenität Butadien wirkt in Form seiner Metabolite Mono- und Diepoxide in vitro und in vivo unter Bildung von DNA-Addukten mutagen. Bei Studien an Berufstätigen zeigte sich eine krebserzeugende Wirkung in Form erhöhter Raten an Leukämien und anderen lymphatischen Neoplasien. In Mäusen wirkte die Substanz bereits bei niedrigen Expositionskonzentrationen in verschiedenen Organen kanzerogen. Bei Ratten wur-de im Vergleich zu Mäusen eine deutlich schwächere krebserzeugende Wirkung ge-zeigt. Diese Speziesunterschiede sind allem Anschein nach in einem unterschied-lichen Metabolismus begründet.

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5.1.1.1 Humandaten Es liegen zahlreiche Untersuchungen zur kanzerogenen Wirkung von Butadien beim Menschen vor. In den Veröffentlichungen von Himmelstein et al. (1997) und der IARC (1992; 1999) sowie in EPA (2002) und ECB (2002) wurden diese Studien zusammengefasst und bewertet. In einer US-amerikanischen Kohortenstudie an Arbeitern aus der Butadienproduktion (mindestens 6 Monate Beschäftigungsdauer) zeigte sich eine signifikant erhöhte Mortalität für alle Arten lymphohämatopoetischer Tumore (SMR: 1,5, 95 % Konfi-denzintervall 1,1 - 2,0). Nicht signifikant erhöht waren die Risiken für Lympho-sarkome (ein Typ von Non-Hodgkin-Lymphomen, SMR: 1,9, 95 % Konfidenzintervall 0,9 - 3,6) und andere lymphatische Neoplasien (SMR: 1,5, 95 % Konfidenzintervall 0,8 - 2,5). Leukämien sowie Lymphosarkome waren bei kurzfristig Beschäftigten (< 5 Jahre) erhöht (SMR 1,5 bzw. 2,6, mit 95 % Konfidenzintervallen von 0,6 - 2,9 bzw. 1,0 - 5,7). Dagegen war die Mortalität durch Leukämien und Lymphosarkome bei Arbeitern, die länger als 5 Jahre beschäftigt waren, nicht erhöht (SMR 0,8 bzw. 1,3, mit 95 % Konfidenzintervallen von 0,3 - 1,9 bzw. 0,3 - 3,7). Bei Arbeitern, die in den Anfangsjahren der Produktion eingestellt wurden, war die Mortalität durch Lympho-sarkome erhöht (SMR: 2,5; 95 % Konfidenzintervall 1,0 - 5,0). Es liegen allerdings keine Erkenntnisse zu früheren Beschäftigungen dieser Arbeiter vor. Nur in dieser Studie wurde eine erhöhte Mortalität an Nierentumoren beschrieben (Downs et al., 1987; Divine, 1990; Divine et al., 1993; Divine und Hartman, 1996). In einer Studie an Beschäftigten zweier US-amerikanischer Werke (Meinhardt et al., 1982), in denen Styrol-Butadien-Gummi produziert wurde, wurde in einem Werk ein erhöhtes Mortalitätsrisiko durch Leukämien beobachtet. Das Risiko für andere Neo-plasien des lymphatischen und hämatopoetischen Systems war nicht erhöht. In einer weiteren Kohortenstudie an Arbeitern aus acht Fabriken desselben Produktions-zweigs in Kanada und USA (Matanoski et al., 1990a) konnte ein erhöhtes Risiko für lymphatische hämatopoetische Tumore insgesamt nicht festgestellt werden, doch war das Risiko in einer Teilgruppe mit höherer Butadienexposition erhöht. In einer Fall-Kontrollstudie innerhalb dieser Kohortenstudie (Santos-Burgoa, 1988, Matanoski et al., 1990b) fand sich eine starke Überhäufigkeit von Leukämien, die mit einer Exposition gegenüber Butadien, nicht aber Styrol, assoziiert war. In einer weiteren Fall-Kontroll-Studie wurde unter den Beschäftigten in der Her-stellung von Styrol-Butadien-Gummi ein stark erhöhtes Auftreten von lymphatischen und hämatopoetischen Neoplasien einschließlich lymphatischer Leukämien (zusätz-liches Risiko 6,2, 99,9% Konfidenzintervall 4,1 - 12,5) bei mehr als 5 Jahren Beschäftigungsdauer gefunden (McMichael et al., 1976). Eine neuere Kohortenstudie an Arbeitern der Styrol-Butadien-Gummiindustrie (Delzell et al., 1995, 1996) umfasst das Kollektiv der Beschäftigten von 7 der 8 Fabriken aus der Studie von Matanoski et al. (1990a) sowie aus den 2 Fabriken der Studie von Meinhardt et al. (1982). In dieser Studie zeigte sich bei Arbeitern mit mindestens 1 Jahr Exposition eine leicht erhöhte Mortalitätsrate für Leukämien (SMR: 1,31; 95 % Konfidenzintervall: 1,0 - 1,7), nicht aber für Lymphosarkome und andere lymphatische Neoplasien. Das Leukämierisiko stieg mit zunehmender Butadienexposition an. Eine Expositionsabschätzung zu dieser Studie wurde von Macaluso et al. (1996) veröffentlicht. Auf Basis dieser Expositionsschätzungen führten Delzell und Mitarbeiter (1995) eine Regressionsanalyse durch, die auf einen

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linearen Zusammenhang zwischen Leukämie-bedingter Mortalität und kumulativer Butadienexposition hinwies (relative Risiken für unterschiedliche Expositionsgruppen: 1; 1,1; 1,8; 2,1 und 3,6 bei kumulativer Exposition von 0, >0 - 19, 20 - 99, 100 - 199, und >200 ppm • Jahre). Entsprechende Confounder wurden berücksichtigt (Alter, Jahre seit Arbeitsbeginn, Zeitraum der Beschäftigung, Rasse). Die Evaluierung ergab ebenfalls, dass der Exposition gegenüber Styrol keine wesentliche Rolle als Stör-größe zukommt. Diese Studie diente der EPA (2002, 2005) zur Abschätzung des Krebsrisikos von Butadien für den Menschen (unit risk). Macaluso et al. (1996) werteten die Leukämie-bedingte Mortalität von Arbeitern der Styrol-Butadien-Gummi-Industrie aus (mindestens 1 Jahr Beschäftigungsdauer), wobei sechsundachtzig Prozent dieser Arbeiter auch in der Studie von Delzell et al. (1995, 1996) mit erfasst wurden. Die Leukämie-bedingte Mortalität stieg mit zuneh-mender kumulativer Exposition. Die Autoren unterteilten die Exposition in 5 Klassen (0, <1, 1 - 19, 20 - 79, ≥ 80 ppm • Jahre). Für die einzelnen Klassen wurden folgende SMR-Werte ermittelt: 0,8 (0,3 - 1,5), 0,4 (0,4 - 1,1), 1,3 (0,7 - 2,3), 1,7 (1,0 - 2,7) und 2,6 (1,6 - 4,1). Ward et al. (1995, 1996) beobachteten in einem kleinen Kollektiv von Arbeitern der Butadienproduktion ein erhöhtes Auftreten von Lymphosarkomen und Retikulosar-komen bei mehr als 2 Jahre Beschäftigten (SMR 5,8, 95 % Konfidenzintervall 1,6 - 14,8). In zwei weiteren, kleineren Studien wurde kein Zusammenhang zwischen Butadienexposition und Krebsmortalität beobachtet (Bond et al., 1992; Cowles et al., 1994). Himmelstein et al. (1997), EPA (2002) und ECB (2002) folgern, dass die Daten der Kohortenstudie von Delzell et al., (1995; 1996) überzeugende Hinweise auf eine Leukämie-erzeugende Exposition in der Styrol-Butadien-Gummiindustrie liefern. Die Zunahme der Mortalität durch Leukämien mit steigender geschätzter Butadien-exposition spricht dafür, dass die Leukämien durch Butadien verursacht werden. Eine geringe Unsicherheit besteht allerdings, da immer eine Mischexposition zumin-dest mit Styrol vorlag. Diese scheint aber nach den Auswertungen von Delzell et al. (1995) keinen wesentlichen Störfaktor darzustellen. Kurzzeitdaten zu krebserzeugender Wirkung beim Menschen liegen nicht vor.

5.1.1.2 Tierdaten In zahlreichen Untersuchungen an Ratten und Mäusen hat sich Butadien nach inhalativer Exposition als krebserzeugend erwiesen (siehe Übersichten in IARC, 1999; EPA, 2002; ECB, 2002). Auch für den Metaboliten 1,2-3,4-Diepoxybutan wurde eine krebserzeugende Wirkung bei Ratten und Mäusen nach dermaler Gabe oder subkutaner Injektion (IARC, 1999) oder inhalativer Exposition (Henderson et al., 1999) gefunden. Die Befunde zur kanzerogenen Wirkung des Metaboliten Epoxy-butan sind zweifelhaft (IARC, 1999). Butadien führte bei Ratten und Mäusen zu Tumoren multipler Lokalisationen. Das Tumorspektrum unterschied sich in beiden Arten voneinander, nur Brustdrüsen-tumore traten in beiden Spezies auf. Bei Mäusen wurden verschiedenste Tumore induziert, darunter maligne Lymphome und Hämangiosarkome des Herzens. Das Tumorspektrum bei Ratten nach Butadienexposition war im Vergleich zu Mäusen eingeschränkt. Neben den Tumoren in der Brustdrüse weiblicher Tiere, die auch eine

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hohe Spontaninzidenz aufweisen, traten bei Weibchen vor allem Tumore der Schild-drüse und des Uterus auf, während Männchen Leydigzelltumore und Adenome des exokrinen Pankreas entwickelten (IARC, 1999; EPA, 2002; ECB, 2002). Daten zu Einmalexposition: Eine Studie von Bucher et al. (1993) untersuchte die Effekte einer einmaligen Exposition von B6C3F1-Mäusen gegenüber Butadien in hohen Konzentrationen (2 h Dauer, 1000 - 10000 ppm). Am Ende der Nachbeob-achtungszeit von 2 Jahren zeigten sich keine signifikant erhöhten Tumorinzidenzen. Allerdings war bei der höchsten Konzentration ein, wenn auch geringer Anstieg der Inzidenz für Lymphome bei männlichen Tieren zu beobachten (Kontrolle: 7/59; 1000 ppm: 8/58; 5000 ppm: 8/58; 10000 ppm: 10/58), ebenso bei Vormagentumoren (Kontrolle: 0/59; 1000 ppm: 1/58; 5000 ppm: 1/58; 10000 ppm: 3/58). Für diese Endpunkte zeigten sich in den Langzeitstudien signifikant erhöhte Tumorraten. Die Lymphomrate bei den Kontrolltieren der Studie von Bucher et al. (1993) war zudem höher als in dem „stop-exposure“-Experiment und in den Langzeitstudien des NTP (1993) am selben Mäusestamm. Wenn man die dort gefundenen Lymphomraten der Kontrolltiere (4/50) zum Vergleich heranzieht, wäre die Lymphominzidenz in der Hochdosisgruppe (8/50) bereits signifikant erhöht (in mehreren anderen NTP-Studien waren die Kontrollwerte mit 1/50 sogar noch geringer). Im Rahmen von Langzeitstudien des NTP (1993) an Mäusen wurden auch die Auswirkungen von unterschiedlicher Expositionskonzentration und -dauer an männ-lichen Mäusen (mit Nachbeobachtung bis zu 2 Jahren nach Expositionsstart) unter-sucht. Zwei unterschiedliche Versuchsprotokolle mit jeweils gleicher kumulativer Dosis zeigten, dass eine höhere Konzentration, die über einen kürzeren Zeitraum einwirkt, stärker wirksam für die Bildung von Lymphomen ist als eine niedrigere Konzentration, die über einen längeren Zeitraum einwirkt. Bei allen exponierten Tieren war die Überlebensdauer vermindert. Die Ergebnisse der Studie sind in der folgenden Tabelle 5.2 zusammengefasst.

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Tabelle 5.2: Tumorinzidenz bei B6C3F1-Mäusen nach „stop-exposure“-Butadien-exposition und Nachbeobachtung, bei Signifikanz-Auswertung erfolgte Korrektur auf vorzeitige Mortalität (NTP, 1993)

200 ppm, 40 Wochen

625 ppm, 13 Wochen

312 ppm, 52 Wochen

625 ppm, 26 Wochen

Tumorlokalisation 0 ppm

Konzentrations-Zeit-Produkt 8000 ppm Wochen

Konzentrations-Zeit-Produkt 16000 ppm Wochen

männliche Tiere Maligne Lymphome (alle Formen)

4/50 8/50* 22/50* 8/50* 33/50*

Herz (Hämangiosarkome)

0/50 15/50* 7/50* 33/50* 13/50*

Lunge (Adenome, Adenokarzinome oder Karzinome)

21/50 36/50* 28/50* 32/50* 17/50

Vormagen (Plattenepitheltumore)

1/50 3/50 7/50* 9/50* 10/50*

Leber (Adenome oder Karzinome

21/50 33/49* 24/49 24/50 13/50

Hardersche Drüse (Adenome oder Karzinome)

6/50 27/50* 23/50* 30/50* 13/50*

Präputialdrüse (Karzinome)

0/50 1/50 5/50* 4/50* 3/50*

*: signifikant unterschiedlich gegenüber den Kontrollen

Im Folgenden werden die bewertungsrelevanten Befunde der Kanzerogenitäts-studien an Ratten von Owen et al. (1987) und von zwei Studien des NTP an Mäusen (NTP, 1984, 1993) dargestellt. In der Studie von Owen et al. (1987) wurden die Tiere (je 110 Sprague-Dawley-Ratten pro Geschlecht und Gruppe) 2 Jahre (6 Stunden/Tag, 5 Tage/Woche) lang gegenüber 0 ppm, 1000 ppm bzw. 8000 ppm exponiert. Bei Weibchen führte Buta-dienexposition zu einem signifikant vermehrten Auftreten von Follikelzelladenomen und -karzinomen der Schilddrüse in der höchsten Dosisgruppe (Fisher‘s exact Test; IARC, 1999). Dagegen war bei den folgenden Tumoren nur ein positiver Dosistrend zu beobachten: Uterussarkome, Karzinome der Zymbaldrüse und Brustdrüsenade-nome und -karzinome. Als behandlungsbedingt wurden von den Autoren die Brust-drüsen- und Schilddrüsentumore angesehen. Bei Männchen war die Inzidenz von Leydigzelltumoren und von Adenomen des exokrinen Pankreas signifikant erhöht, wobei letztere von den Autoren der Studie nicht eindeutig als behandlungsbedingt angesehen werden. Die Ergebnisse der Studie sind in der folgenden Tabelle 5.3 zusammengefasst. Es wurden je 100 Tiere pro Gruppe untersucht.

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Tabelle 5.3: Tumorinzidenzen bei Ratten nach intermittierender chronischer inhalativer Butadienexposition (Owen et al., 1987)

Tumorlokalisation männliche Ratten weibliche Ratten

0 ppm 1000 ppm

8000 ppm

0 ppm 1000 ppm

8000 ppm

exokrine Pankreas-adenome 3/100 1/100 10/100* 2/100 0/100 0/100

Uterussarkome - - - 1/100 4/100 5/100 Zymbaldrüsen-adenome 1/100 1/100 1/100 0/100 0/100 0/100 Zymbaldrüsen-karzinome 0/100 0/100 1/100 0/100 0/100 4/100 Brustdrüse (Adenome und Karzinome) 1/100 2/100 0/100 50/100 79/100* 81/100* Follikelzelladenome (Schilddrüse) 3/100 5/100 1/100 0/100 2/100 10/100* Follikelzellkarzinome (Schilddrüse) 1/100 0/100 0/100 0/100 2/100 1/100

Leydigzelltumore 0/100 3/100 8/100* - - - *: signifikant unterschiedlich gegenüber den Kontrollen

Im Rahmen des NTP wurden zwei Studien an B6C3F1-Mäusen durchgeführt. In der ersten Studie wurden je 50 Männchen und Weibchen gegenüber 0 ppm, 625 ppm bzw. 1250 ppm exponiert (6 Stunden/Tag, 5 Tage/Woche). Nach 60 bzw. 61 Wochen (männliche bzw. weibliche Tiere) wurde die Studie wegen hoher krebsbedingter Mortalität der butadienexponierten Tiere abgebrochen. Bei Exponierten beiderlei Ge-schlechts war eine erhöhte Inzidenz folgender Tumore zu beobachten: Hämangiosar-kome des Herzens sowie Hämangiosarkome in der Bauchhöhle, im subkutanen Gewebe und in der Leber. Weiterhin wurden maligne Lymphome, Tumore in den Alveolen und Bronchien, epitheliale Hyperplasien des Vormagens, Papillome und Plattenepithelkarzinome des Vormagens sowie Brustdrüsenkarzinome, Ovarial-tumore und Lebertumore bei weiblichen Tieren beobachtet. Die genannten Tumore wurden in der Kontrollgruppe nicht oder nur in geringer Zahl beobachtet (Lungen-/Bronchialtumore) (NTP, 1984). In einer zweiten Studie des NTP (1993; vorveröffentlicht: Melnick et al., 1990) wurden B6C3F1-Mäuse (je 70 Männchen und Weibchen pro Gruppe; je 90 Tiere pro Geschlecht in der höchsten Dosisgruppe) zwei Jahre lang gegenüber 6,25; 20; 62,5; 200 und 625 ppm exponiert (6 Stunden/Tag, 5 Tage/Woche). Auch in dieser Studie traten bei beiden Geschlechtern vermehrt Tumore in zahlreichen Organen auf. Bereits bei der niedrigsten Konzentration von 6,25 ppm war die Inzidenz von Lungentumoren bei weiblichen Mäusen (15/50) signifikant höher als in der Kontroll-gruppe (4/50). Ab 20 ppm war die Mortalität aufgrund der Entwicklung von Tumoren erhöht. Kein Männchen der am höchsten exponierten Gruppe und kein Weibchen der beiden am höchsten exponierten Gruppen überlebte bis zum Ende der Studie. Bei der höchsten Dosis traten maligne Lymphome auf. In beiden Geschlechtern war die Lokalisation der Tumore ähnlich, doch entwickelten sich diese bei Weibchen zumeist

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schon bei geringerer Butadienkonzentration. Die Ergebnisse der Studie sind in der folgenden Tabelle 5.4 zusammengefasst.

Tabelle 5.4: Tumorinzidenz bei B6C3F1-Mäusen nach 2-jähriger intermittierender Butadienexposition, bei Signifikanz-Auswertung erfolgte Korrektur auf vorzeitige Mortalität (NTP, 1993)

Tumorlokalisation 0 ppm 6,25 ppm

20 ppm 62,5 ppm

200 ppm 625 ppm

männliche Tiere Maligne Lymphome (alle Formen)

4/50 2/50 4/50 6/50 2/50 51/73*

Herz (Hämangiosarkome)

0/50 0/49 1/50 5/48* 20/48* 4/73*

Lunge (Adenome, Adenokarzinome oder Karzinome)

21/50 23/50 19/50 31/49* 35/50* 3/73*

Vormagen (Platten-epitheltumore)

1/50 0/50 0/50 1/50 8/50* 4/73*

Leber (Adenome oder Karzinome)

21/50 23/50 30/50 25/48 33/48* 5/72

Hardersche Drüse (Adenome oder Karzinome)

6/50 7/50 9/50 20/50* 31/50* 6/73*

Präputialdrüse (Karzinome)

0/50 0/50 0/50 0/50 5/50* 0/73

weibliche Tiere Maligne Lymphome (alle Formen)

6/50 12/50 11/50* 7/50 9/50* 32/80*

Herz (Hämangiosarkome)

0/50 0/50 0/50 1/49 21/50* 23/80*

Lunge (Adenome, Adenokarzinome oder Karzinome)

4/50 15/50* 19/50* 24/50* 25/49* 22/78*

Vormagen (Platten-epitheltumore)

0/50 0/50 3/50 2/50* 4/50* 22/80*

Leber (Adenome oder Karzinome)

15/49 14/49 15/50 19/50* 16/50* 2/80

Ovarien (Neoplasien der Granulosazellen)

1/49 0/49 1/48 9/50* 8/50* 6/79

Brustdrüse (alle Neoplasien)

0/50 0/50 0/50 0/50 0/50 4/80*

Hardersche Drüse (Adenome oder Karzinome)

8/50 10/50 7/50 15/50* 20/50* 9/80

*: signifikant unterschiedlich gegenüber den Kontrollen

Die beschriebenen Befunde belegen die hohe Empfindlichkeit von B6C3F1-Mäusen im Vergleich zu Sprague-Dawley-Ratten. Konzentrationen, die bei Ratten nach zwei-jähriger Exposition zu einem Anstieg der Tumorinzidenzen führten, lagen über

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denen, die bei Mäusen eine tumorbedingte, frühzeitige und hohe Mortalität beding-ten. Die niedrigste Konzentration (6,25 ppm), die bei Mäusen noch zur Bildung von Tumoren führte, lag um mehr als zwei Größenordnungen unter der niedrigsten effektiven Konzentration bei Ratten. Das Tumorspektrum unterschied sich in beiden Arten voneinander und war bei Mäusen deutlich breiter, nur Brustdrüsentumore wurden in beiden Spezies festgestellt.

5.1.2 Gentoxizität Die gentoxische Wirkung des Butadiens wurde in vielen Tests in vitro und in vivo untersucht. Es erwies sich sowohl in bakteriellen Systemen als auch in Säugerzellen in vitro bei metabolischer Aktivierung als mutagen (Ames-Test in Stämmen TA100, TA1530, TA1535, Schwesterchromatidaustausche (SCE) in Hamster- und Human-zellkulturen). Butadien führte in vitro zu Zelltransformationen. In vivo wurde nach inhalativer Exposition von Mäusen die Induktion von unplanmäßiger DNA-Synthese, DNA-Crosslinks, und -Strangbrüchen, Genmutationen in Thymus- und Milzzellen, SCE in Knochenmarkszellen, Mikronuklei in Knochenmarks-, Blut-, Milz- und Keim-zellen, sowie strukturellen Chromosomenaberrationen in Knochenmarkszellen nach-gewiesen. Ein positiver Fellflecken-Test an Mäusen zeigte mutagene Wirkung auch bei Exposition in utero. In Ratten wurden keine Chromosomenmutationen beobach-tet, jedoch Genmutationen in Thymuszellen und DNA-Brüche in Hepatozyten. Mehrere Dominant-Letal-Tests in Mäusen kamen überwiegend zu positiven Ergeb-nissen (Keimzellmutagen), ein Test an der Ratte erbrachte ein negatives Resultat. Die unterschiedlichen Befunde bei Ratten und Mäusen werden als Folge der unter-schiedlichen Metabolisierung von Butadien im Organismus der beiden Spezies ge-sehen. Weiterhin wurde für Butadien die Bindung an DNA in vitro und in vivo nach-gewiesen. Offensichtlich reagiert Butadien erst nach metabolischer Aktivierung zu reaktiven Metaboliten mit der DNA. Für die Metabolite 1,2-Epoxybuten und 1,2-3,4-Diepoxybutan wurde gleichfalls eine gentoxische Wirkung in vitro und in vivo nachgewiesen (ECB, 2002; EPA, 2002; IARC, 1999). Bei Mäusen scheint für die Ausbildung von Mutationen bei niedrigen Expositionskonzentrationen vor allem der Metabolit Diepoxybutan verantwortlich, bei höheren Konzentrationen und in Ratten andere Metabolite, u.a. Epoxybuten (Meng et al., 1999a). Im Folgenden werden einige Studien detaillierter berichtet, bei denen nach ein- oder mehrmaliger Exposition gegenüber Butadien gentoxische Effekte auftraten. Unter-schiedliche Befunde sind vermutlich Folge der Verwendung von verschiedenen Stämmen, Geschlechtern und unterschiedlichen Versuchsdesigns. Victorin et al. (1990) exponierten männliche Mäuse einmalig 23 h gegenüber Buta-dien in Konzentrationen von 10 und 500 ppm. Bei der Untersuchung 7 h nach Expo-sitionsende zeigte sich bei beiden Konzentrationen ein signifikanter (dosisab-hängiger) Anstieg von Mikronuklei in Knochenmarkszellen. In der Studie von Kreiling et al. (1986) wurden männliche Ratten und Mäuse in einer geschlossenen Kammer einmalig gegenüber Butadien exponiert (initial ca. 750 ppm). Für Ratten war die entsprechende Expositionsdauer 6,6 h, für Mäuse 4 h. In beiden Spezies wurde 30 min nach Expositionsende eine vergleichbare Menge an DNA-Addukten in Leberzellen nachgewiesen.

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Nach einmaliger 7 h-Exposition gegenüber Konzentrationen von 100 - 2000 ppm zeigten sich bei Mäusen DNA-Crosslinks in Lunge und Leber, nicht aber in Ratten Vangala et al. (1993). In einer erst kürzlich erschienenen Arbeit untersuchten Booth et al. (2004) die DNA-Adduktbildung nach Butadienexposition in verschiedenen Organen von Ratten und Mäusen nach ein- und mehrmaliger Exposition. Bei einmaliger Exposition (6 h) wurde eine Konzentration von 20 ppm getestet, bei 5-maliger Exposition (6 h/d) Konzen-trationen von 1, 5 und 20 ppm. Die zu untersuchenden Gewebe wurden unmittelbar nach Expositionsende isoliert. Die Autoren wiesen in Organen beider Spezies überwiegend das N7-(2,3,4-Hydroxybutyl)guanin nach (ein Reaktionsprodukt von Butandiolepoxid), andere N7-Guanin-Addukte, falls überhaupt detektierbar, nur in deutlich geringeren Mengen. Die Autoren berichten zum Vergleich bereits früher veröffentlichte Befunde von einmaligen Expositionen gegenüber 200 ppm. Die Befunde sind in der folgenden Tabelle 5.5 dargestellt.

Tabelle 5.5: DNA-Addukte (pro 108 Nucleotide) nach einmaliger 6 h-Exposition von Ratten und Mäusen gegenüber 20 und 200 ppm (Booth et al., 2004)

Ratte Maus

Konzentration 20 ppm 200 ppm 20 ppm 200 ppm Leber 5,75 ± 1,32 13 ± 1 13,91 ± 3,64 90 ± 11 Lunge 3,31 ± 1,74 11 ± 1 13,67 ± 0,97 139 Testes 1,39 ± 0,50 n.a. 6,04 ± 0,80 n.a.

n.a.: nicht angegeben

Es zeigte sich, dass in den entsprechenden Organen bei Mäusen durchwegs höhere Mengen an DNA-Addukten gebildet wurden als bei Ratten (ca. Faktor 2 - 4) und dass (mit Ausnahme in der Lunge der Maus) der Anstieg mit einer Steigung < 1 erfolgte (geringere Faktoren als 10 beim Vergleich der 20 und 200 ppm-Expositionen). Bei 5-maliger Exposition gegenüber 20 ppm war eine Wirkungsverstärkung zu beobachten, auch hier erfolgte die Zunahme mit einer Steigung < 1 (Ratte: Leber: 16,35 ± 4,80, Lunge: 17,02 ± 4,07, Testes 5,43 ± 1,41 Addukte pro 108 Nucleotide; Maus: Leber: 48,63 ± 12,61, Lunge: 42,47 ± 13,12, Testes 25,67 ± 4,56 Addukte pro 108 Nucleotide). Hierbei wurden noch weitere N7-Guaninaddukte in geringeren Mengen nachgewiesen. Allerdings diskutieren die Autoren, dass die Unterschiede in der Bildungsrate der DNA-Addukte in den beiden Spezies deutlich geringer sind als die Unterschiede in der kanzerogenen Potenz. In einer Studie von Cunningham et al. (1986) wurden Mäuse und Ratten 2-mal 6 h gegenüber Butadien in Konzentrationen von 10 - 10000 ppm exponiert. Bei Mäusen zeigte sich ein signifikant vermehrtes Auftreten von Mikronuklei und SCE ab 100 ppm. Bei Ratten waren bei gleichem Expositionsschema keine entsprechenden Effekte zu beobachten. Mikronuklei zeigten sich auch vermehrt in Milz- und peripheren Blutzellen von Mäusen nach 5- maliger 6 h-Exposition gegenüber Butadien in Konzentrationen von 130 - 500 ppm (Stephanou et al., 1998).

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5-malige 6 h-Exposition von männlichen Mäusen gegenüber Butadien in Konzentra-tionen von 200, 500 und 1300 ppm bewirkte in der Studie von Tates et al. (1998) einen dosisabhängigen Anstieg von HPRT-Mutationen in Lymphozyten, signifikant waren die Ergebnisse nur bei der höchsten Konzentration. Eine 4-wöchige (6 h/d, 5 d/w) Exposition gegenüber Konzentrationen bis 130 ppm führte zu keinen vermehrten Mutationen. Andere Autoren fanden dagegen eine Wirkung bei vergleichbarer Expositionsdauer bereits bei niedrigeren Konzentrationen: In der Studie von Meng et al. (1999b) waren bei weiblichen Mäusen nach Exposition im Bereich von 20 - 1250 ppm (6 h/d, 5 d/w, bis zu 4w) in Thymus-Lymphozyten die HPRT-Mutationen bei allen Konzentrationen signifikant vermehrt. Signifikante Effekte zeigten sich bei 20 ppm in Mäusen schon nach 2 Wochen Expositionsdauer, nicht aber in Ratten. Bei Ratten waren signifikante Effekte erst bei 625 ppm (4 Wochen) ersichtlich, auch quantitativ waren die Mutationsfrequenzen bei Ratten deutlich geringer als bei Mäusen. Vangala et al. (1993) untersuchten die Induktion von Einzelstrang-DNA-Brüchen und DNA-Crosslinks in männlichen Ratten und Mäusen 0 - 5 h nach Butadienexposition. 7-malige 7 h Exposition gegenüber 2000 ppm verursachte in beiden Spezies DNA-Brüche in der Leber, wenn die Tiere unmittelbar nach Exposition untersucht wurden. 5 h nach Expositionsende waren DNA-Brüche nur noch in Ratten nachweisbar. Koivisto et al. (1999) zeigten, dass in Mäusen nach in vivo-Exposition (6 h/d, 5 d) im Bereich von 50 - 1300 ppm überwiegend kovalente Reaktionsprodukte von Butandiolepoxid an der N7-Position von Guanin gebildet wurden. Bei Untersuchungen zur Gentoxizität von Butadien am Menschen (berufliche Exposi-tion) wurden unter Arbeitsplatzbedingungen mehrfach negative Ergebnisse gefunden (untersuchte Endpunkte: Mikrokerne, Schwesterchromatidaustausche und Chromo-somenaberrationen in peripheren Lymphozyten). Bei Arbeitern der Butadienproduk-tion war aber die Frequenz von HPRT-Mutationen in Lymphozyten erhöht (Exposition 0,3 - 1,1 ppm), während ein solcher Effekt nicht bei Arbeitern in der Gummipro-duktion zu beobachten war. Die Methoden, die für die Bestimmung der HPRT-Mutationen verwendet wurden, sind jedoch nicht direkt vergleichbar (ECB, 2002; EPA, 2002; Himmelstein et al., 1997).

5.1.3 Metabolismus 1,3-Butadien wird im ersten Schritt überwiegend oxidativ zu 1,2-Epoxy-3-buten metabolisiert. Die Bildungsrate dieses Primärmetaboliten ist bei Mäusen höher als bei Ratten und vermutlich auch bei Primaten. Pharmakokinetische Modelle sagen eine höhere Bildungsrate bei Nagern im Vergleich zum Menschen voraus. Die weitere Metabolisierung von Epoxybuten kann über Hydrolyse zu 3-Buten-1,2-diol, Epoxidierung zu Diepoxybutan und Konjugation mit Glutathion erfolgen. Auch der Metabolit Diepoxybutan wird bei Mäusen in höherem Ausmaß gebildet als bei Ratte oder Mensch. Aus den Metaboliten im Urin beim Menschen nach in vivo-Exposition wurde geschlossen, dass Epoxybuten beim Menschen vornehmlich (durch Epoxidhydrolase) zu Butendiol hydrolysiert und dann mit Glutathion konjugiert wird und wenig direkte Glutathionkonjugation des Epoxids erfolgt. Bei Ratten erfolgt neben der Hydrolyse des Epoxids auch direkte Glutathionkonjugation, bei Mäusen überwiegt die Konjugation mit Glutathion (ECB, 2002; Gelbke, 1993; IARC, 1999).

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Die folgende Abbildung 5.1 gibt eine Übersicht über die Metabolisierung von Butadien.

Abbildung 5.1: Metabolismus von Butadien in Säugern (Ratten, Mäuse,

Cynomolgus-Affen und Mensch) (IARC, 1999)

5.2 Berechnung der krebserzeugenden Potenz von Butadien nach Einmalexposition

5.2.1 Mechanistische Überlegungen In zahlreichen Experimenten wurden die (vor allem) quantitativen Unterschiede in den Stoffwechselprozessen bei Mäusen, Ratten und Menschen, die für die beob-achtete krebserzeugende bzw. gentoxische Wirkung von Butadien von wesentlicher Bedeutung sind, untersucht. Dabei wurden folgende Ergebnisse erhalten:

• Die inhalative Resorption von Butadien bei Mäusen ist 4 - 7-fach höher als bei Ratten und Affen (ECB, 2002; Gelbke, 1993).

• Die Bildungsrate des Metaboliten Epoxybuten ist bei Mäusen höher als bei Ratten und vermutlich auch bei Primaten. In vitro-Untersuchungen mit Leber- und Lungenmikrosomen zeigen, dass Mensch und Ratte Epoxybuten in etwa gleichem Ausmaß bilden, die Maus jedoch eine ca. 10-fach höhere Bildung aufweist. In in vivo-Studien wurde bei äquivalenter Exposition eine 2 - 20-fach

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höhere Bildungsrate bei der Maus im Vergleich zur Ratte beobachtet (ECB, 2002; Gelbke, 1993; IARC, 1999).

• Die weitere Metabolisierung von Epoxybuten kann über Hydrolyse zu 3-Buten-1,2-diol, Epoxidierung zu Diepoxybutan und Konjugation mit Glutathion erfol-gen. Bei Mäusen überwiegt (in vitro) im Gegensatz zu den anderen Spezies die Konjugation des Epoxybutens mit Glutathion (ECB, 2002; Gelbke, 1993; IARC, 1999).

• Die Bildung von Diepoxybutan aus Epoxybuten wurde in vitro mit Lebermikro-somen nachgewiesen. Während einige Autoren diesen Metaboliten bei der Ratte nicht nachweisen konnten, fanden andere, dass Maus und Ratte eine vergleichbare Bildungsrate aufweisen, welche über der beim Menschen liegt. Bei Menschen wurde diesbezüglich eine große interindividuelle Variabilität beobachtet (Himmelstein et al., 1997). In vivo Untersuchungen an Maus und Ratte zeigten, dass bei vergleichbarer Exposition bei der Maus deutlich höhere Gewebespiegel an Diepoxybutan resultieren als bei der Ratte (ECB, 2002; IARC, 1999).

• Als Butadienmetabolit konnte im Urin von Menschen nur das Glutathionkonjugat (Mercaptursäure) von Butendiol nachgewiesen werden, während bei Mäusen vor allem das Mercaptursäurederivat des Epoxybutens ausgeschieden wird (Gelbke, 1993).

Die Unterschiede im Metabolismus sprechen dafür, dass die innere Belastung ge-genüber Epoxybuten bei Mäusen höher als bei Ratten und Primaten (einschließlich dem Menschen) ist. Wie anhand der inzwischen vorliegenden PBPK-Modelle gezeigt wurde, reichen diese Unterschiede nicht aus, um die Unterschiede in der kanzeroge-nen Wirkung zwischen Ratten und Mäusen zu erklären. Bisher ist über die Bedeu-tung des Diepoxybutans bei der Entstehung von Tumoren nach Butadienexposition nur wenig bekannt. Vorläufige Befunde von pharmakokinetischen Modellen liefern Hinweise, dass die Bildung dieses Metaboliten bei Mäusen von größerer Bedeutung als bei Ratten und Menschen ist. Es wurde daher vermutet, dass Diepoxybutan einen wesentlichen Faktor in der Kanzerogenese bei Mäusen darstellt, dagegen keine oder eine geringe Rolle in diesem Prozess bei anderen Arten spielt (Gelbke, 1993). Diese Ansicht relativiert sich aber etwas angesichts der Studien zur Bildung von DNA-Addukten in Mäusen und Ratten (Booth et al., 2004), wo gezeigt wurde, dass in beiden Spezies ein Hydrolyseprodukt des Diepoxybutans (Dihydroxybutanepoxid) kovalent mit der DNA reagiert. Allerdings waren die Effekte in Ratten schwächer ausgeprägt als in Mäusen. Die WHO (1996) folgert aus den vorliegenden Untersuchungsergebnissen, dass der Mensch hinsichtlich der Empfindlichkeit gegenüber Butadien-induzierter Tumorent-stehung eher mit der Ratte, einer insensitiven Spezies, als mit der Maus, einer sehr empfindlichen Spezies, zu vergleichen ist. Aufgrund der beobachteten Stoffwechsel-unterschiede bleibt offen, ob die vorliegenden Tiermodelle geeignet sind, die kanzerogene Wirkung des Butadiens beim Menschen vorherzusagen. Unter Berücksichtigung mechanistischer Aspekte folgerten Melnick und Kohn (1995), dass die Maus das geeignetere Modell sei, weil Butadien

S bei Mensch und Maus zu Tumoren der gleichen Lokalisation führt (lymphatische und hämatopoetische Tumore),

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S gentoxisch im Knochenmark von Mäusen, aber nicht von Ratten wirkt und Butadien auch in humanen Lymphozyten SCE induziert,

S zu ähnlichen Mutationen bei Mensch und Maus führt, S gleiche DNA-Addukte (N-7-Guaninaddukte) bei Mensch und Maus, aber

nicht in der Ratte, induziert (Anmerkung: dieser Punkt ist nach neuerem Kenntnisstand nicht zutreffend, da in neueren Untersuchungen auch in der Ratte N-7-Guaninaddukte, allerdings bei der Ratte in geringerem Umfang als bei der Maus, nachgewiesen wurden, Booth et al., 2004; IARC, 1999).

Auch die EPA (2002) kommt zu dem Schluss, dass die Maus gegenüber der Ratte die geeignetere Spezies für eine Risikoextrapolation ist, da sie sensitiver ist und eine zum Menschen vergleichbare Tumorlokalisation aufweist. Insgesamt hält die EPA jedoch eine Risikoextrapolation auf Basis epidemiologischer Daten als am besten geeignet und leitet ein unit risk auf Basis von Humandaten ab. Die Übertragung von Tierdaten auf den Menschen sei angesichts der Unterschiede bei Zielorganen und Empfindlichkeiten der Spezies als höchst unsicher zu betrachten. Sanner und Dybing (2005) stellten einen Vergleich der Empfindlichkeit des Men-schen bezüglich kanzerogener Effekte im Vergleich zu Nagern an. Sie verglichen hierzu die Dosen, für die aus epidemiologischen Studien und aus Kanzerogenitäts-studien an Tieren jeweils ein Krebsrisiko von 10-3 abzuschätzen ist. In dieser Ver-gleichsbetrachtung kommen die Autoren zu dem Schluss, dass der Mensch bezüg-lich krebserzeugender Wirkungen empfindlicher als Labortiere reagiert. Allerdings ist nicht angegeben, welche Humanstudie und welche der zum Vergleich aufgelisteten Tierstudien (Ratte oder Maus) für diesen Vergleich herangezogen wurden. Aus den Dosisangaben für Ratten ergibt sich eine geringere Empfindlichkeit des Menschen im Vergleich zum Tier, für Mäuse eine höhere Empfindlichkeit. Zudem ist unklar, welche Rattenstudie verwendet wurde, da als Quelle die Studie des NTP (1984) an Mäusen aufgeführt ist. Insofern muss die Aussagekraft dieser Studie angezweifelt werden.

5.2.2 Verwendung stoffspezifischer Daten

5.2.2.1 Verwendung von Kanzerogenitätsdaten bei Kurzzeitexposition Für den Menschen liegen keine Kurzzeitdaten vor. Nachdem die Daten aus Kanzero-genitätsstudien an Tieren hinsichtlich ihrer quantitativen Übertragbarkeit auf den Menschen mit Unsicherheiten behaftet sind (vgl. Abschnitt 5.2.1), werden für die Abschätzung des Krebsrisikos bei Kurzzeitexposition die Risikoabschätzungen auf Basis von Humanstudien bei beruflicher Exposition herangezogen. Eine Risikoab-schätzung der EPA (2002, 2005) basiert auf den epidemiologischen Studien von Delzell et al. (1995, 1996) und kommt zu einem unit risk-Wert von 0,08 pro ppm entsprechend 3 • 10-5 pro µg/m3. Die Abschätzung der EPA scheint in erster Betrachtung hinsichtlich der Qualität der Daten und der Risikoextrapolation geeignet für die quantitative Risikoabschätzung, beinhaltet jedoch die generellen Unsicherhei-ten einer retrospektiven Expositionsabschätzung. Risikoextrapolation des unit risk auf Kurzzeit: Rechnerisch ergibt sich aus dem unit risk in Höhe von 0,08 pro ppm für ein Risiko von 1:10000 eine Konzentration von 2,8 µg/m3. Als Konzentration, die bei 8 h Exposition mit einem Risiko von 1:10000 korrespondiert, ergibt sich wie folgt:

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Umrechnung einer 75-Jahr-Exposition (= 27375 Tage) auf 24 Stunden: 24-Stunden-Exposition = 2,8 µg/m3 x 27375 = 76650 µg/m3 d.h. eine Exposition gegenüber 76,7 mg/m3 über 24h entspricht einem Risiko von 1:10000 bei Annahme einer linearen Extrapolation. Um Unsicherheiten in der Bewertung des Krebsrisikos bei Extrapolation zu Kurzzeit-expositionen einzukalkulieren, wird ein Unsicherheitsfaktor von 6 appliziert, wie er auch in den „Standing Operating Procedures“ zur Ableitung von AEGL-Werten (NRC, 2001) vorgesehen ist: 24 Stunden-Exposition: 76,7 mg/m3 / 6 = 12,8 mg/m3 (5,8 ppm) Es wird gängigerweise angenommen, dass bei einer Exposition über 8 h ein höheres anteiliges Atemvolumen zugrunde zu legen ist, als bei Betrachtung einer 24 h Exposition, da in diesen 24 Stunden zum Teil Ruheaktivität besteht (10 m3 Atem-volumen/8h statt 20 m3/24h, Faktor 0,5 für das Atemvolumen, Faktor 2 für die resultierende Luftkonzentration). Damit ergeben sich unter linearer Umrechnung auf die kürzeren Zeiträume die in Tabelle 5.6 dokumentierten Werte.

Tabelle 5.6: Zusätzliches Krebsrisiko bei Kurzzeitexposition; Berechnung auf Basis des unit risk der EPA (2002, 2005) anhand der Humandaten von Delzell et al. (1995, 1996), lineare Extrapolation

Zusätzliches Krebsrisiko von 1:10000 8 h Exposition 11,6 ppm (25,6 mg/m3) 4 h Exposition 23,2 ppm (51,2 mg/m3) 1 h Exposition 92,7 ppm (204,8 mg/m3)

Extrapolationen auf kürzere Zeitpunkte werden wegen der großen Ungenauigkeit nicht vorgenommen. Plausibilitätsbetrachtung anhand von Humanstudien: Aus den epidemiologischen Studien von Delzell et al. (1995) und Macaluso et al. (1996) ergaben sich bezüglich der kanzerogenen Potenz von Butadien ähnliche Ergebnisse (Unterschiede u.a. durch unterschiedliche Kategorisierung der Exposition und leicht unterschiedliche Kollektive). Die Dosis-Wirkungsverläufe dieser beiden epidemiologischen Studien sind in der folgenden Abbildung 5.2 gezeigt. Aus der graphischen Darstellung der Mortalitätsraten geht hervor, dass sich mit zunehmender kumulativer Exposition in beiden Studien die Zunahme des Krebsrisikos leicht abschwächte (supralineare Tendenz). Bei Delzell et al. (1995) war im Verlauf ab 150 ppm • Jahre wieder ein leichter Anstieg zu beobachten, jedoch ist dieser geringe Anstieg vermutlich mit durch die Wahl der oberen Grenze der höchsten Exposi-tionskategorie (nach EPA, 2002) bedingt. Es lässt sich somit im Umkehrschluss ableiten, dass mit abnehmender kumulativer Exposition (entweder kürzere Zeiträume oder niedrigere Expositionen) ein im Vergleich zu linearer Extrapolation (ausgehend vom höchsten zum niedrigsten Datenpunkt der Kurven) ein höheres Krebsrisiko abzuschätzen ist. Insofern scheint die Verwendung eines zusätzlichen Faktors (Standardvorgehensweise bei NRC, 2001) bei Extrapolation auf kürzere Zeiträume bzw. niedrigere Expositionen prinzipiell gerechtfertigt. Die Verwendung eines Faktors in Höhe von 6 ist aber vermutlich eine konservative Vorgehensweise.

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0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

4

0 50 100 150 200 250 300 350 400ppm x Jahre

SMR

Delzell et al., 1995Macaluso et al., 1996

Abbildung 5.2: Dosis-Wirkungsverlauf krebserzeugender Wirkung in den epidemio-logischen Studien von Delzell et al. (1995) und Macaluso et al. (1996)

Plausibilitätsbetrachtung anhand von Tierstudien: Die Verwendung des Faktors von 6 bei Extrapolation von Langzeitdaten auf Kurz-zeitexposition wird im konkreten Fall gestützt durch die relative Empfindlichkeit innerhalb einer Tierspezies (Maus) bei unterschiedlicher Expositionsdauer (NTP, 1993): Aus diesen Studien ergab sich, dass die jeweils resultierenden T25-Werte (Konzentrationen mit 25 % Tumorinzidenz) mit abnehmender Expositionsdauer eine Zunahme der relativen Wirkstärke der Substanz aufzeigen: eine Extrapolation der T25 für lebenslange Exposition auf 13 Wochen bedingt gegenüber der tatsächlichen T25 bei 13 Wochen Expositionsdauer eine Risikounterschätzung um den Faktor 4 (vgl. Kalberlah und Hassauer, 2002). Auch auf Basis von Tierdaten scheint somit der Standardfaktor von 6 eine konservative Annahme. Zum Vergleich der Kurzzeitwerte auf Basis von Humandaten bei beruflicher Exposi-tion können orientierend auch anhand der Studie von Bucher et al. (1993) Luftkon-zentrationen mit einem korrespondierenden Krebsrisiko von 10-4 bei Einmalexposi-tion einer empfindlichen Spezies (Maus) abgeschätzt werden. Für 8 h Exposition ergäbe sich hier für den humanrelevanten Endpunkt Lymphome eine etwas niedrige-re Luftkonzentration von 2 - 4 ppm (bei Bezug auf die Inzidenz der internen Kontroll-gruppe bzw. unter Berücksichtigung der niedrigeren Inzidenzen der Kontrollgruppen anderer Studien am selben Mäusestamm). Weiterhin können die Daten der „stop-exposure“-Gruppe mit 13 Wochen inter-mittierender Exposition gegenüber 625 ppm und lebenslanger Nachbeobachtung

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(NTP, 1993) ausgewertet werden. Aus der Inzidenz der Expositions- und der Kontrollgruppe (44 bzw. 8 %) für Lymphome bei männlichen Mäusen ergibt sich eine T25 von 399,6 ppm (bezogen auf 13 Wochen Exposition, 6 h/d, 5 d/w). Ausgehend von dieser T25 lässt sich linear eine Konzentration von 7,8 ppm errechnen, die mit einem Risiko von 10-4 bei einmalig 8 h Expositionsdauer korrespondiert. Mäuse sind im Bezug auf krebserzeugende Wirkungen von Butadien als empfindli-che Spezies anzusehen. Insofern sind im Vergleich zu den Humandaten die niedrige-ren abgeschätzten Luftkonzentrationen von 2 - 7,8 ppm für den Endpunkt Kanzero-genität bei der Maus (Spanne aus Experimenten mit Einmalexposition und „stop-exposure“) im Rahmen der Unsicherheiten der Extrapolation als Bestätigung für die auf Basis von Humandaten ermittelten Werte (vgl. Abschnitt 5.3) anzusehen.

5.2.2.2 Verwendung von Gentoxizitätsdaten In Nagerstudien zeigten sich bereits nach einmaliger Exposition gentoxische Effekte. Aus den vorliegenden Untersuchungen geht hervor, dass Mäuse hinsichtlich gentoxi-scher Effekte empfindlicher reagieren als Ratten (vgl. Abschnitt 5.1.2). Die entspre-chenden Sensitivitätsunterschiede sind jedoch geringer als die Unterschiede in der kanzerogenen Wirkung in den beiden Spezies. Insofern scheinen weitere Prozesse bei der Tumorentstehung von Relevanz. Wegen der offensichtlichen quantitativen Speziesunterschiede bezüglich des Meta-bolismus und der resultierenden Unterschiede in der Sensitivität hinsichtlich Gentoxi-zität (und auch Kanzerogenität) scheinen Tierdaten nicht zur quantitativen Abschät-zung des gentoxischen Potenzials für den Menschen geeignet. Als Orientierung kann aber dienen, dass DNA-Addukte von Butandiolepoxid in Leber, Lunge und Testes von Mäusen und Ratten bereits nach einmaliger 6 h-Exposition gegenüber 20 ppm beobachtet wurden (bei Mäusen höher als bei Ratten; Studie von Booth et al., 2004). Auch einmalige Exposition von Ratten und Mäusen in einem geschlossenen System führte zur Bildung von DNA-Addukten in Ratten und Mäusen (Kreiling et al., 1986). Es ist allerdings nicht gesichert, dass aus diesen DNA-Veränderungen bereits Tumore entstehen können. DNA-Addukte sind nur als ein (möglicher, nicht zwingender) Schritt des Mehrstufenprozesses der Kanzerogenese anzusehen. Zudem können DNA-Addukte durch Reparaturmechanismen der Zelle wieder rückgängig gemacht werden. Chromosomenmutationen (Mikronuklei, SCE) wurden in Mäusen nach ein- und zweimaliger Exposition gegenüber Konzentrationen ≥ 10 ppm beobachtet (Victorin et al., 1990). Damit zeigt sich, dass in der empfindlichen Spezies Maus Chromosomenschäden bereits bei ein- oder zweimaliger Exposition im Bereich der Konzentrationen auftreten können, für die bei einmaliger Exposition ein relevantes Krebsrisiko (10-4) abzuschätzen ist. Bei Ratten traten mutagene Wirkungen erst bei höherer Exposition und in geringerem Umfang als bei Mäusen auf. Nach mehrjähriger beruflicher Exposition zeigten sich mutagene Effekte bereits bei niedrigen Expositionskonzentrationen (0,3 - 1,1 ppm) (ECB, 2002; EPA, 2002; Himmelstein et al., 1997). In vivo-Humandaten liegen zu Kurzzeitexposition nicht vor.

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5.3 Berechnung im Rahmen der AEGL-Wert-Ableitung

5.3.1 AEGL-Werte für Butadien Für Butadien werden auf der EPA-Webseite die in der folgenden Tabelle 5.7 aufge-führten AEGL-Werte („proposed“ Status) aufgelistet (EPA, 2004a). In einem Hinter-grunddokument der EPA (2004b) sind etwas davon abweichende AEGL-2-Werte be-richtet (6100, 6100, 4800, 3100 und 2000 ppm für 10 min, 30 min, 1 h, 4 h und 8 h).

Tabelle 5.7: AEGL-Werte für Butadien (EPA, 2004a)

AEGL-Werte Konzentration (ppm)

10 min 30 min 1 h 4 h 8 h AEGL-1 670 670 670 670 670 AEGL-2 6700 1) 6700 1) 5300 1) 3400 1) 2700 1) AEGL-3 27000 2) 27000 2) 220002) 140002) 6800 1) 1: die Werte sind höher als 10 % der unteren Grenze für Explosivität, es müssen entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden 2: die kalkulierten Werte von 27000, 27000, 22000 und 14000 ppm für 10 min, 0,5; 1 und 4 h sind höher als 50 % der unteren Grenze für Explosivität, es müssen entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden

Die AEGL-1-Werte wurden auf Basis von Reizeffekten am Auge beim Menschen ab-geleitet, die AEGL-2-Werte auf Basis von subchronischer Toxizität in einer Ratten-studie (bei der höchsten getesteten Konzentration keine Effekte), die AEGL-3-Werte anhand von Letalitätsdaten beim Tier (EPA, 2004b). In EPA (2004b) wurde weiterhin auch eine Vergleichsbetrachtung von nichtkanzero-gener und kanzerogener Wirkung durchgeführt. Hierbei wurde ebenfalls das unit risk der EPA auf Basis der Humandaten in Höhe von 0,08 pro ppm (3 • 10-5 pro µg/m3, siehe Abschnitt 5.2.2.1) als Ausgangswert gewählt. Eine Luftkonzentration mit einem korrespondierenden Risiko von 10-4 ergibt sich daraus rechnerisch zu 1,25 • 10-3 ppm (2,8 µg/m3) für lebenslange Exposition und zu 33,3 ppm für 24 h Exposition. Berücksichtigung des Standardfaktors von 6 (NRC, 2001) ergeben die in der folgen-den Tabelle 5.8 dargestellten Werte. Die Unterschiede zu den in Abschnitt 5.2.2.1 abgeleiteten Werten basieren lediglich auf methodischen Unterschieden (70 vs. 75 Jahre angenommene Lebensdauer, unterschiedliche Vorgehensweise bei der Extra-polation von 24 h auf 8 h). In EPA (2004b) wird auch diskutiert, dass in der Studie von Bucher et al. (1993) eine einmalige 2 h Exposition gegenüber Konzentrationen von bis zu 10000 ppm bei Mäusen keine kanzerogene Wirkung zeigte. Allerdings wurden in dieser Studie nicht signifikant erhöhte Tumorinzidenzen für Endpunkte (Lymphome, Vormagentumore) beobachtet, die bei Langzeitstudien signifikant erhöht auftraten (siehe Abschnitt 5.1.1.2).

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Tabelle 5.8: AEGL-Werte für Butadien, abgeleitet auf Basis kanzerogener Wirkung (EPA, 2004b)

AEGL-Wert Konzentration (ppm)

10 min 30 min 1 h 4 h 8 h 790 260 130 33 17

Von der American Industrial Hygiene Association wurden Emergency Response Planning Guideline-Werte (ERPG-Werte) für diese Substanz abgeleitet (Expositions-dauer: 1 h). Der aktuelle ERPG-2-Wert (maximale tolerable Konzentration, unterhalb derer praktisch alle Individuen bei Exposition bis zu einer Stunde keine irreversiblen oder andere schwere Effekte zeigen oder entwickeln...) in Höhe von 200 ppm ist um über eine Größenordnung niedriger als der AEGL-2-Wert für 1 h Exposition (EPA, 2004a). Für den ERPG-2-Wert würde nach einer älteren Ausführung der AIHA (AIHA, 1991) unter Berücksichtigung von Kanzerogenitätsdaten ein niedrigerer Wert von 35 ppm resultieren (Risikoabschätzung auf Basis von Studien an Mäusen, keine Details der Ableitung berichtet). Eine kursorische Qualitätsprüfung ergab, dass die zugrunde liegende Risikoabschätzung mit großen Unsicherheiten behaftet ist. Der zentrale Kritikpunkt ist die Verwendung einer Mäusestudie als Basis. Toxikokinetik und Metabolismus von Butadien bei Maus und Mensch sind so verschieden, dass eine Risikoextrapolation von Mausdaten auf den Menschen nicht valide ist.

5.4 Vergleich kanzerogene Potenz nach Einmalexposition vs. AEGL-Werte Auf Basis der unit risk-Schätzungen anhand von Humandaten (EPA, 2002, 2005) ergibt sich, dass die AEGL-2 Werte auf Basis nichtkanzerogener Effekte (EPA, 2004a) deutlich höher als die kalkulierten Werte für ein Risiko von 10-4 sind. Die Daten sind in der folgenden Tabelle 5.9 gegenübergestellt.

Tabelle 5.9: Vergleich der Störfallbeurteilungswerte für Butadien, auf Basis kanzerogener und nichtkanzerogener Endpunkte

Zusätzliches Krebsrisiko 1:10000 (Basis unit risk der EPA, 2002, 2005)

Zeitpunkt AEGL-2 (nicht kanzerogener Endpunkt)

Stoffspezifische Daten 8 Stunden 2700 ppm 11,6 ppm 4 Stunden 3400 ppm 23,2 ppm 1 Stunde 5300 ppm 92,7 ppm

5.5 Diskussion Gentoxische Effekte in Mäusen und Ratten zeigten sich bereits nach ein- und mehr-maliger Exposition. Wegen der berichteten speziesspezifischen (quantitativen) Unter-schiede im Metabolismus sind die Ergebnisse entsprechender Tierstudien quantitativ nicht verlässlich auf den Menschen übertragbar (ECB, 2004; EPA, 2002). Dennoch

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geben die Befunde wichtige qualitative Hinweise auf mögliche Effekte bei Konzen-trationen im Bereich der krebsbasierten Werte für Kurzzeitexposition (12 - 93 ppm). So zeigte sich z.B. in der Studie von Victorin et al. (1990), dass Chromosomen-schäden bereits nach einmaliger 23 h-Exposition von Mäusen gegenüber Butadien in Konzentrationen ab 10 ppm auftraten. Auch DNA-Addukte wurden in Ratten und Mäusen nach einmaliger 6 h dauernden Exposition gegenüber 20 ppm nachge-wiesen. Kanzerogene Effekte im Tier zeigten sich bereits nach subchronischer Exposition von Mäusen sowie in Langzeitstudien an Ratten und Mäusen. Nach einmaliger Expo-sition gegenüber hohen Konzentrationen waren in einer Studie an Mäusen zwar noch keine signifikant erhöhten Tumorraten zu beobachten (Bucher et al., 1993). Aller-dings ergaben sich aus dieser Studie Hinweise auf mögliche kanzerogene Wirkung bei Einmalexposition einer empfindlichen Spezies: für 2 Tumorarten (Lymphome, Vormagentumore) waren die Inzidenzen leicht, aber noch nicht signifikant erhöht. Für diese beiden Endpunkte zeigten sich auch in den Langzeitstudien (signifikant) erhöh-te Tumorraten. Die Lymphomrate bei den Kontrolltieren der Studie von Bucher et al. (1993) war zudem höher als in dem „stop-exposure“-Experiment und in den Lang-zeitstudien des NTP (1993) am selben Mäusestamm. Wenn man die dort gefunde-nen Lymphomraten der Kontrolltiere (4/50) zum Vergleich heranzieht, wäre die Lymphominzidenz in der Hochdosisgruppe bereits signifikant erhöht. Wegen der geschilderten Unsicherheiten bei der Speziesübertragung wurden für die Krebsrisikoabschätzung für Kurzzeitexposition gegenüber Butadien (wie auch von EPA, 2004b) als Basis die Humandaten bei beruflicher Exposition vorgenommen. Beim plausiblen Wirkungsmechanismus Gentoxizität für die krebserzeugende Wir-kung von Butadien scheint eine derartige Vorgehensweise adäquat. Eine Risiko-extrapolation auf Basis des unit risk der EPA (2002; 2005) auf Einmalexposition ergab, dass relevante krebserzeugende Wirkung (Risiko ≥ 10-4) bereits in Konzen-trationen deutlich unterhalb der AEGL-2-Werte (Basis nichtkanzerogene Effekte) zu erwarten ist. Allerdings enthält die Vorgehensweise verschiedene konservative Annahmen. Die geringen Unterschiede der von EPA (2004b) abgeleiteten AEGL-Werte für Kanzerogenität (vgl. Abschnitt 5.3.1) und der in Abschnitt 5.2.2.1 abgeleiteten Werte ergeben sich durch Unterschiede in der verwendeten Methodik (Basis 70 vs. 75 Jahre Gesamtlebensdauer, andere Extrapolation von 24 h auf 8 h Exposition).

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