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24.01.2015 1 Ethik in der Psychiatrie Grundlagen Ethik in der Psychiatrie und Psychotherapie 15. Vierwaldstätter-Psychiatrietag 22. Januar 2015 Dr. theol. Ruth Baumann-Hölzle Interdisziplinäres Institut für Ethik im Gesundheitswesen Stiftung Dialog Ethik 1 Übersich Ethik – Sitte – Moral Ethik – Recht Ethik in der Psychiatrie 24.01.2015 2 24.01.2015 2 Hinführung 24.01.2015 3 Der Mensch Doppelnatur des Menschen Naturwesen Vernunftwesen Verhältnis von Natur und Vernunft? Als reines Naturwesen wäre der Mensch nur instinktgesteuert Als reines Vernunftwesen wäre der Mensch absolut entscheidungsfähig Freiheit und Zwänge 24.01.2015 4

Ethik in der Psychiatrie Grundlagen - lups.ch · geschehen soll (informed consent) Urteilsunfähige Personen haben Anspruch auf Autonomie und Würde – es muss nach ihrem mutmasslichen

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Ethik in der Psychiatrie –

Grundlagen

Ethik in der Psychiatrie und Psychotherapie

15. Vierwaldstätter-Psychiatrietag 22. Januar 2015

Dr. theol. Ruth Baumann-Hölzle

Interdisziplinäres Institut für Ethik im Gesundheitswesen Stiftung Dialog Ethik 1

Übersich

  Ethik – Sitte – Moral   Ethik – Recht   Ethik in der Psychiatrie

24.01.2015 2

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Hinführung

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Der Mensch

  Doppelnatur des Menschen   Naturwesen   Vernunftwesen

  Verhältnis von Natur und Vernunft?   Als reines Naturwesen wäre der Mensch nur

instinktgesteuert   Als reines Vernunftwesen wäre der Mensch

absolut entscheidungsfähig   Freiheit und Zwänge

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Wer'bin'ich?'Was'will'ich?'Was'kann'ich?'Was'muss'ich'tun?''Was'soll'ich'tun?'

Persönlicher'Lebensentwurf'

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Si@e'

Moral'

Ethik'

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Moral'

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Ethik'

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Freiheit!'

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ETHIK'WISSENSCHAFT'VON'DER'MORAL'

Moral'

GruppenS'moral'

Individueller'Lebensentwurf'

Moral'

GruppenS'moral'

Individueller'Lebensentwurf'

Moral'

GruppenS'moral'

Individueller'Lebensentwurf'

ETHIK''als''

WISSENSCHAFT'VON'DER'MORAL'

Sitte – Moral – Ethik

  Sitte:   Unreflektiertes Set an Werten, Normen und Prinzipien, generiert

selbstverständliches Handeln   Gemeinsames Verständnis einer Gruppe

  Moral:   Reflektiertes Set an Werten, Normen und Prinzipien, generiert

selbstverständliches Handeln   Verständnis einer Person (Lebensentwurf) und/oder gemeinsames

Verständnis einer Gruppe (Gruppenmoral)

  Ethik:   Reflexion über Sitte und Moral

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Ethik

  Reflektiert Werte, Normen und Prinzipien   Befasst sich mit ethischen Problemen

Wertespannungen, neuen Handlungsmöglichkeiten

  Orientiert sich am Guten Leben und Guten Sterben für alle

  Kommt dann ins Spiel, wenn moralische Selbstverständlichkeiten zerbrechen

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Ich'wähle!' Ich'entscheide!'

Ich'will'nicht'leiden!'

Ich'habe'ein'Recht,'über''mein'Leben'zu'bes[mmen!'

In'was'für'einer'Gesellscha\'wollen'wir'leben?'

Finanzielle'Interessen?'

Herausforderung''Pflege'

Lebensunwertes'Leben?' Gesellscha\liche'Zwänge'

Menschenbild?'

Gesellscha\liche'Solidarität?'

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Kultur'Struktur'Implizit'und'explizit' Implizit'und'explizit'

Entscheidungen sind geprägt von

Allgemein'und'spezifisch'für'ethische'Dilemmata'

Der ethische Blick

  Hinschauen auf Wertehintergründe   In Entscheidungen und Handlungen   In Strukturen und Organisationen

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Ethische Verantwortung - Vier Beziehungsdimensionen

DuSBeziehung'

Funk[onale'WirSBeziehung'

in''Organisa[onen'

Soziale'WirSBeziehung'in'

der'Gesellscha\'

IchSBeziehung'

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Verantwortungsdimensionen

Organisa[on'

Gesellscha\'

Individuum'

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Normative Ebenen der Entscheidungsfindung

Organisa(onale,Bereichsverantwortung:,,Richtlinien,'Vorgehensweisen''

Organisa(onale,Gesamtverantwortung:,,Leitbild,'Charta,'Richtlinien,'Vorgehensweisen,'etc'

Persönlicher,Verantwortungsraum:,Individuelle'Moral,'Lebensentwurf,'innere'S[mmigkeit,'Gewissen'

Gesellscha::'Menschenwürde,'Menschenrechte,'Gesellscha\sklima,'Si@en,'Gesetze,'KindesS'und'Erwachsenenschutzrecht,'Respekt'gegenüber'dem'Abwehrrecht'–'Pflichten'gegenüber'dem'Lebensschutz'S'Fürsorgeverpflichtungen'

Ethik in der Psychiatrie

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Ethik...

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...ist'Öl'im'Getriebe'

...unterstützt'den'Umgang'mit'ethischen'Spannungsfeldern'und'

Dilemmasitua[onen''

...unterstützt'bei'Entscheidungen'

...ist'Sand'im'Getriebe'

...verlangt'Veränderungen'beim'Entscheiden''und'Handeln'

...hinterfragt'die'gängige'Praxis'und'gesellscha\lichen'Rahmenbedingungen'

Patientensituation

  Patient, 49 jährig, mit einer paranoiden Schizophrenie und einem Vergiftungswahn verweigert jegliche Medikamentation und Ernährung.

  Aufgrund seines schlechten Allgemeinzustandes müsste er dringend auch Medikamente zur Verbesserung seines somatischen Zustandes einnehmen.

  Patient ist sich bewusst, dass er mit der Medikamenten- und Nahrungsverweigerung sein Leben auf‘s Spiel setzt.

  Was würden Sie tun?

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Organisationale Analyse

  Wie kommt es, dass diese Patientensituation thematisiert wird?

  Wer darf sie wie thematisieren?   Wo findet das Problem statt?   Wer ist daran beteiligt?   Welche Kompetenzen haben die Personen?

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Verantwortungsdimensionen

Organisa[on'

Gesellscha\'

Individuum'

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Organisationsethik

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Ethik'organisieren'

Ethik'betreiben:'Werte'und'Normen'

reflek[eren'

Ethisch'reflek[ert'entscheiden'

und'handeln'

Organisationsethik

  Ethik organisieren: Diskursorte definieren; bestehende und neue

  Ethik betreiben: Werte- und Normen reflektieren   Ethisch reflektiert entscheiden und handeln

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Konkreter Ethischer Entscheidungsfindungsprozess

  Faktenanalyse:   Organisationale Voraussetzungen   Patientensituation

  Analyse der ethischen Güter   Formulierung des ethischen Dilemmas   Ethische Güterabwägung   Entscheid   Handlung   Evaluation

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Entscheidungssituationen

  Mit dem urteilsfähigen Patienten   Stellvertretend für den urteilsunfähigen Patienten

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Arzt – Patienten – Beziehung in der somatischen Medizin mit einem

urteilsfähigen Patienten

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Recht auf Information

Recht'auf'Würde''und'Selbstbes[mmung'

Recht'auf'Behandlung'

Recht'auf'sorgfäl[ge'Behandlung'

Pflicht,'den'Arzt'zu''informieren'

Recht'auf'Nichtwissen'

Recht'auf'eine'Zweitmeinung'

Recht'auf'Einsicht'in'die'Krankengeschichte'

Recht'auf'Vertraulichkeit'

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Die Selbstbestimmung des Patienten

niedrig hoch Partizipative Entscheidungsfindung

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www.dialog-ethik.ch

  gleichberechtigte Partner   gleichfähige Partner?   aktive Beteiligung von Patient und Arzt   geteilte Information   gemeinsam verantwortete Entscheidung?

,par[zipa[ve'Entscheidungsfindung'32

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www.dialog-ethik.ch

Kommunikation

«Gesagt ist noch nicht gehört. Gehört ist noch nicht verstanden. Verstanden ist noch nicht einverstanden. Einverstanden ist noch nicht beherzigt. Beherzigt ist noch nicht angewendet. Angewendet ist noch nicht beibehalten.»

Volksmund

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www.dialog-ethik.ch

Drei wirkungsvolle Regeln für ein gelingendes Gespräch zwischen Arzt und Patient:   Fragen   Fragen   Fragen

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Beide Seite tragen dazu bei

Fürsorge

Patient

Selbstbestimmung

dialogischer Austausch

- Beschwerden - Gefühle und Werte

Arzt,

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- medizinische Daten - Gestaltung der Beziehung

Entscheidung für welche beide

Verantwortung übernehmen

www.dialog-ethik.ch

Der Patient ist verpflichtet, dem Arzt alle Informationen zu geben, die für die Behandlung von Bedeutung sind:   Schmerzen   Beschwerden   Medikamente

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Informationspflicht des Patienten

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Arzt-Patienten-Beziehung

  Machtgefälle   Verantwortung zur Beziehungsgestaltung   Der urteilsfähige somatisch kranke Patient hat

das Recht, lebenserhaltende Massnahmen zu verweigern. Tod wird dabei in Kauf genommen.

 Freiheit zur Selbstschädigung

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Arzt – Patientenbeziehung in der Psychiatrie mit dem urteilsfähigen Patienten

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Arzt – Patienten - Beziehung

  Für den urteilsfähigen psychisch kranken Patienten gelten die gleichen Ansprüche an die Arzt – Patienten – Beziehung wie in der Somatik aber:

  In der Psychiatrie ist das Abwehrrecht des Patienten beschränkt.

  Im Gegensatz zur Somatik muss mit dem Patienten stets ein Behandlungsplan erstellt werden, dem der urteilsfähige Patient zustimmen können muss.

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Psychisch kranker Patient

Bei Urteilsfähigkeit:   Behandlungsplan muss unter Einbezug des

Patienten und seiner Vertrauensperson erstellt werden.

  Zustimmung ohne Hinweis auf Zwangsbehandlung   Anspruch auf Information über Gründe, Zweck, Art

und Modalitäten der Behandlungen als auch über mögliche Risiken und Nebenwirkungen, über Behandlungsalternativen und potenzielle Folgen des Unterlassens einer Behandlung zu informieren (Art. 433. Abs. 2 ZGB) Andrea Büchler & Margot Michel 2015, S. 141

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Behandlungsvereinbarung

Ausdruck einer Arzt-Patienten-Beziehung auf

Augenhöhe!

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Abwehrrecht des Psychischkranken

  Beschränkt sich auf somatisch medizinische Massnahmen

  Gegenüber psychiatrischen Behandlungen hingegen kann sich der Psychischkranke nur solange wehren, als die Schädigung gering sind.

  Zwangsmassnahmen sind möglich.   Dies aber sind Handlungen mit grösster

ethischer Eingriffstiefe in einem demokratisch verbrieften Rechtsstaat.

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Artikel 7 der BV

  „Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen“

  Der Menschenwürdeanspruch gilt grundsätzlich

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Existentieller Würde- und Autonomieanspruch

'''''Wesenha\er'WürdeS'u.''Autonomieanspruch'des'Menschen' 'absolut' 'unverlierbar' 'unbedingt'zu'achten'u.'zu'schützen' 'unabhängig'von'den'konkreten' 'Eigenscha\en'und'Fähigkeiten'

Tatsächliche''Autonomiefähigkeiten' 'GegenstandsS'u.'situa[onsbezogen'

 'Graduell'variabel' '(Teilweise)'verlierbar'

Ethischer'Orien[erungspunkt'einer'humanen'Gesellscha\'

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Menschenwürde und Menschenrechte Menschenwürde:

  Der Mensch hat eine Würde und keinen Preis   Der Mensch darf nicht für fremde Zwecke instrumentalisiert werden.   Der Mensch hat grundsätzlich Anspruch auf Selbstbestimmung im

Sinne von Autonomie als einem existentiellen Grundanspruch (auto-nomos = Selbstgesetzgebung)

  Dieser Grundanspruch ist ein Abwehrrecht, aber kein Einforderungsrecht.

  Dieser Grundanspruch geht mit dem Menschen als Menschen einher und ist gerade nicht abhängig von bestimmten Eigenschaften oder Fähigkeiten

  Menschenrechte:   Schutz des Menschen vor Instrumentalisierung

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Schweizerische Bundesverfassung Grundrechte Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit 1. Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die

Todesstrafe ist verboten. 2. Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche

Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.

3. Folter und jede Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind Verboten.

Körperverletzung

  Jede medizinische und pflegerische Handlung gilt in der Schweiz juristisch als Körperverletzung

  Die Einwilligung des Patienten/der Patientin hebt diesen Tatbestand nicht auf, sondern nur die Widerrechtlichkeit der Handlung

  Diese Abwehrrecht hat zur Folge, dass die Freiheit zur Selbstschädigung besteht.

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Autonomieanspruch   Auto-nomos = Selbstgesetzgebung der vernünftigen Wesen (I. Kant)   Anspruch auf Willensfreiheit   Anspruch auf Würde = Instrumentalisierungsverbot   Anspruch als Subjekt behandelt zu werden   Autonomieanspruch ist v. a. ein Abwehrrecht   Gilt unabhängig von konkreten Eigenschaften und Fähigkeiten!

  Personen müssen gefragt werden, wenn etwas mit ihnen geschehen soll (informed consent)

  Urteilsunfähige Personen haben Anspruch auf Autonomie und Würde – es muss nach ihrem mutmasslichen Willen gehandelt werden und sie dürfen nicht instrumentalisiert werden.

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Paradigmenwechsel in der medizinischen Entscheidungsfindung

  Von der Orientierung an der „Heiligkeit des Lebens“ und dem Arzt/der Ärztin als gute Mutter/guter Vater zum autonomen Entscheid des urteilsfähigen Patienten/der urteilsfähigen Patientin

  Anspruch auf informierte Zustimmung (informed consent)

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Informed consent

Einwilligungsfähigkeit („competence“) Informationsvermittlung („disclosure“) Informationsverständnis („comprehension“) Freiheit der Entscheidung („voluntariness“) Einwilligung in eine konkrete medizinische Massnahme („consent“)

'Belmont'report'1979'

Urteilsfähigkeit

  Normativ gilt das Abwehrrecht gilt auch für die urteilsunfähige Person (Instrumentalisierungsverbot)

  Dreh und Angelpunkt bei der praktischen Umsetzung der demokratisch verbrieften Werteordnung

  Doch sobald die Urteilsfähigkeit nicht mehr gegeben ist, tritt die Verpflichtung zur Lebenserhaltung an die erste Stelle

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Urteilsfähigkeit

  Urteilfähigkeit ist ein Rechtsbegriff (Büchler/Michel, S. 65)

  Urteilsfähigkeit bezieht sich immer auf den zu entscheidenden Gegenstand –ist immer relativ

  Die fachliche Bestimmung der Urteilsfähigkeit obliegt der Psychiatrie.

  KESB entscheidet in strittigen Fällen aufgrund von psychiatrischen Gutachten

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Definitionsmacht

  Definitionsmacht bei der Bestimmung der Urteilsfähigkeit hat eigentlich der Rechtsstaat

  Faktisch aber hat entscheidet die Psychiatrie mit ihren Gutachten

  Psychiatrie entscheidet bei Bestimmungen über die Urteilsfähigkeit über Handlungen mit der grössten staatrechtlichen Eingriffstiefe

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Autonomieorientierung

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Suche'nach'dem'angemessenen'Handeln'Entscheidungshoheit'des'Pa[enten/der'

Pa[en[n'und'der'Stellvertretung'

Orien[erung'an'der'Machbarkeit'

Orien[erung'Pa[entenwillen'und'dem'Angemessenen'

Ethisches Spannungsfeld

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Autonomieanspruch'des'urteilsfähigen-Individuums'als'Abwehrrecht'

Schutzverpflichtung'des'Staates'des'Lebensschutzes'

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Ethisches Spannungsfeld

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Autonomieanspruch'des'urteilsunfähigen-Individuums'als'

Abwehrrecht'

Schutzverpflichtung'des'Staates'des'Lebensschutzes'

Ethische Ambivalenz/Dilemma

Achtung'der'Selbstbes[mmung'

Hilfeleistungspflicht'

Individualethische'Perspek[ve'

Sozialethische'Perspek[ve'

Freiheitsraum'des'Individuums'

Schutz'Unversehrtheit'durch'Staat'

Individueller'Freiheitsanspruch'

Schutz'vor'gesellscha\lichen'Zwängen'

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BESTIMMUNG DER URTEILSFÄHIGKEIT

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Art. 16 Neues ZGB Urteilsfähigkeit

Urteilsfähig'im'Sinne'des'Gesetzes'ist'jede'Person,'der'nicht'wegen'ihres'Kindesalters,'infolge'geis[ger'Behinderung,'psychischer'Störung,'Rausch'oder'ähnlicher'Zustände'die'Fähigkeit'mangelt,'vernun\gemäss'zu'handeln.'

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Vernunftgemässes und vernünftiges Handeln

Vernun\gemässes'Handeln'ist'nicht'gleich'vernün\iges'Handeln'

Urteilsfähig'ist,'wer'eine'konkrete'Situa[on'logisch'durchdringen'und'einen'Entscheid'fällen'kann.'Diesen'Willen'muss'der'Betroffene'ausserdem'mi@eilen'können.''

Ohne'Anzeichen'für'das'Gegenteil'wird'bei'mündigen'Personen'ohne'Weiteres'vermutet,'dass'sie'urteilsfähig'sind.''

61 (Naef,'BaumannSHölzle,'Ritzenthaler)'

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Urteilsfähigkeit

• Fähigkeit,'vernun\gemäss'zu'handeln'

• Komponenten:'• Einsichtsfähigkeit'• Steuerungsfähigkeit'

Urteilsfähigkeit'

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Urteilsfähigkeit

• Erkenntnisfähigkeit'• Wertungsfähigkeit'• Fähigkeit'zur'Willensbildung'

• Fähigkeit,'gemäss'eigenem'Willen'zu'handeln ''

Urteilsfähigkeit'

'V.DITTMANN'

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Feststellung der Urteilsfähigkeit

Kriterien:   Fähigkeit, Informationen zu verstehen   Fähigkeit, Situation und Konsequenzen abzuwägen   Fähigkeit, Informationen zu gewichten   Fähigkeit, eigene Wahl zu äussern

SAMW-Richtlinien Betreuung von Pat. am Lebensende

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Urteilsfähigkeit

Beeinträch[gung'

Verstandesdefekt'

Willensdefekt'

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Relativität der Urteilsfähigkeit

Urteilsfähig'S'wozu'

hinsichtlich'einer'

bes[mmten'Handlung''

konkrete'Umstände'

zum'gegebenen'Zeitpunkt'

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Urteilsfähigkeit

  Vermutung der Urteilsfähigkeit   Beweislast der Urteilsunfähigkeit   Feststellung erfordert häufig psychiatrische

Einschätzung bzw. Gutachten

Urteilsunfähiger Patient

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Freiheit

  Somatisch Kranke: Freiheit zu selbstschädigendem Verhalten

  Psychisch Kranke: Freiheit zu selbstschädigendem Verhalten im somatischen Bereich, sofern sie in Bezug auf die somatisch medizinische Behandlung urteilsfähig sind.

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Urteilsunfähiger Patient

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Somatisch kranker Patient Bei Urteilsfähigkeit:   Muss in eine Behandlung einwilligen können   Jedoch keine Verpflichtung für einen Behandlungsplan   Kann jede medizinische Behandlung und Betreuung

ablehnen:   Freiheit zur Selbstschädigung Bei Urteilsunfähigkeit:   Umsetzung der Patientenverfügung   Stellvertretung muss ihre Zustimmung zum Behandlungsplan

geben können Im Notfall:   Im Zweifel für das Leben, wenn Urteilsfähigkeit fraglich

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Stellvertretung

1.  die in einer PV ernannte Vertretung 2.  die behördlich bestimmte Vertretung (Beistand) 3.  der Ehegatte bzw. die eingetragene Partnerin mit

der die urteilsunfähige Person einen Haushalt führt oder ihr Beistand leistet

4.  die Person mit der die urteilsunfähige Person und einen gemeinsamen Haushalt führt *

5.  die Nachkommen * 6.  die Eltern * 7.  die Geschwister * * … sofern sie der urteilsunfähigen Person Beistand

leisten.

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Psychisch kranker Patient

Bei Urteilsunfähigkeit: •  Patientenverfügung nur zu berücksichtigen •  Keine Stellvertretungskaskade   Behandlung ohne Zustimmung mit schriftlicher

Anordnung des Chefarztes oder der Chefärztin der Abteilung möglich.

  Zwangsbehandlung möglich - Grundrechtbindung berücksichtigen Andrea Büchler & Margot Michel 2015, S. 141f

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Zwangsbehandlung – Definition

  „Als Zwangsbehandlung gilt in erster Linie der Fall, in dem einem Betroffenen gegen seinen Willen unter Anwendung von physischer Gewalt Medikamente verabreicht werden. Von einer Zwangsbehandlung ist ferner auszugehen, wenn der Patient unter dem Druck bevorstehenden unmittelbaren Zwangs in die ärztliche Behandlung einwilligt (...) oder nach einer tatsächlich vorgenommenen zwangsweisen Verabreichung von Medikamenten diese im weiteren Verlauf des Aufenthalts „ohne Druck“ bzw. „freiwillig“ einnimmt (...).“ (BGer, Urteil vom 7. Oktober 2013, 5A_666/2013E.3.2. )

in Büchler A. &Michel M. Medizin – Mensch – Recht, S. 142

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Urteilsunfähige Patienten

Somatisch Kranke:   Stellvertreterentscheide

gemäss Entscheidungskaskade: Behandlungszustimmung durch Personen mit der grössten Beziehungsnähe

  Ärztliche Garantenstellung: Anrufung der KESB

Psychisch Kranke:   Stellvertreterentscheide

durch den behandelnden Arzt/Ärztin

  Garantenstellung der Vertrauenspersonen: Anrufung der KESB

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Stellvertretungskaskade

  Gilt auch für somatische Therapieentscheide für Psychischkranke

  „Die Behandlung somatischer Erkrankungen bei urteilsunfähigen, psychisch kranken Personen fällt hingegen, auch wenn sie in einer psychiatrischen Klinik erfolgt, nach überwiegender Auffassung in den Anwendungsbereich von Art. 377 ff.“

Andrea Büchler & Margot Michel (2015)

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Patientensituation

  Patient lehnt die medizinisch somatische Behandlung nicht mit der Begründung der schädlichen Wirkung der Medikation ab, sondern weil er befürchtet, dass ihn der Arzt vergiften möchte. Dies obwohl er explizit am Leben bleiben möchte.

  Darf der Patient in dieser Situation aus psychiatrischen Gründen gegen seine Willensäusserungen nicht nur psychiatrisch sondern auch somatisch zwangsbehandelt werden?

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Psychisch kranke Patienten

  Im medizinischen Notfall, darf der psychisch kranke Patient auch somatisch behandelt werden, wenn seine Zweifel an seiner Urteilsfähigkeit bestehen.

  Ausserhalb des medizinischen Notfalls muss die Einwilligung für die somatische Behandlung durch die Stellvertretung, respektive durch die KESB erfolgen.

  Trifft diese Schlussfolgerung auf den Patienten zu?

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Patientensituation - Fragen

  Inwiefern ist der Patient urteilsfähig im Hinblick auf die somatische Behandlung?

  Dürfte in dieser Situation die Stellvertretung den Behandlungsplan ablehnen?

  Worin besteht die rechtliche Verpflichtung des Behandlungsteams dem Patienten gegenüber?

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Patientensituation

  Dringliche Situation: Somatische Lebenserhaltung vor Abwehrrecht, da Ablehnung der Ernährung Ausdruck der psychischen Erkrankung ist.

  Aber: Nur ultima ratio nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten, den Mann zur Zustimmung des Behandlungsplanes zu bringen.

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Einwilligung'des'Pa[enten'und'S[mmigkeit'für'alle'Beteiligten'als'Ziel'ethischer'Entscheidungsfindung''

24.01.2015'

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit

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