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Archiv 0hren- usw. Heilk. u. Z. Hals- usw. tteilk. 181, 41--48 (1962) Aus der H~ls-Nasen-Ohrenklinik der Universit~t des Saarl~ndes Homburg/Saar (Direktor: Prof. Dr. P. FALK) Experimentelle Studien zur 0totoxicitiit des Dihydrostreptomycins Von K, MUSEBECKund W. SCltJ~TZLE 1Vfit 1 Text~bbildung (Eingegangen am 28. Juni 1962) Die toxische Wirkung des Dihydrostreptomycins (DHS) auf das Geh5rorgan ist klinisch und experimentell eingehend untersucht worden, wie die neueren Literaturfibersichten bei I%AUCH u. TAI~A~ (1960) und bei TYB~G~]~I~ (1962) zeigen. Die Beziehungen zwischen tt5rabfall und Strukturverlust der Itaarzellen sind durch diese Untersuchungen ab- gekl~rt, wobei Streptomycin und DHS betreffs der Cochlea-Toxicit/it~ nur graduelle Unterschiede aufweisen. Unsere ]fickenhaften Kenntnisse fiber den eigentlichen Angriffspunkt der Gfftwirkung der Streptomycin- gruppe, die ja auf dem Gebiet des Stoffwechseis liegen muB (Literatur bei M~CKTEI~ 1961), tragen dazu bei, dal3 es bisher noch nicht gelungen ist, eine geeignete Schutzsubstanz zu finden, die einen Cochleaschaden verhfitet. MlZV~:osm, Ko~IsHI n. NA~:AMVRA (1957) haben mit funktionellen und morphologischen Cochlea-Untersuchungen bewiesen, daI~ bei DHS- vergifteten Meerschweinchen vor dem H5r- und Strukturverlnst in der Cochlea latente Stoffwechselst5rungen entstehen, die bei Lttrmbelastung reversible Ermfidungsph/~nomene irreversibel werden lassen. Bereits bei 2--10 g DI:IS, die kanm HSrausf/ille verursachen, konnte NAKAMV~A (1957) mit histochemischen Methoden feinere StoffwechselstSrungen wie Abfall der Kerneiwefl]e, Phosphatase-Anstieg und Sulfhydrylzunahme erfassen. In Gehirnhomogenaten DI-iS-vorbehandelter Meerschweinchen war die Sauerstoffaufnahme (sowohl mit Succinat~ als auch mit Glucose als Substrat) herabgesetzt. Diese experimentellen Befunde und die elek- tronenoptischen Beobachtungen yon W~nsXI,L u. ttAw~INS (1962) fiber eine selektive Zerst5rung mitochondrienreicher Haarzellen bci Strepto- mycin-Tieren sprechen daffir, dal3 der Atmungsstoffwechsel durch das Streptomycin und dutch DHS zuerst gesch/idigt werden. Hinsichtlich der Ototoxicits ist bisher nicht ermittelt worden, welche gewebseigencn Fermente yon DHS gehemmt wcrden. Wir sind dieser Frage durch Untersuchung dos Atmnngsfermentes Succinodehydrogenase an DHS-vorbehandelten Meerschweinchen nachgegangen. Aus Vor- untersuchungen war uns die Abh~tngigkeit der Aktivit~t dieses Fermentes

Experimentelle Studien zur Ototoxicität des Dihydrostreptomycins

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Page 1: Experimentelle Studien zur Ototoxicität des Dihydrostreptomycins

Archiv 0hren- usw. Heilk. u. Z. Hals- usw. tteilk. 181, 41--48 (1962)

Aus der H~ls-Nasen-Ohrenklinik der Universit~t des Saarl~ndes Homburg/Saar (Direktor: Prof. Dr. P. FALK)

Experimentelle Studien zur 0totoxicitiit des Dihydrostreptomycins

Von K, MUSEBECK und W. SCltJ~TZLE

1Vfit 1 Text~bbildung

(Eingegangen am 28. Juni 1962)

Die toxische Wirkung des Dihydrostreptomycins (DHS) auf das Geh5rorgan ist klinisch und experimentell eingehend untersucht worden, wie die neueren Literaturfibersichten bei I%AUCH u. TAI~A~ (1960) und bei TYB~G~]~I~ (1962) zeigen. Die Beziehungen zwischen tt5rabfall und Strukturverlust der Itaarzellen sind durch diese Untersuchungen ab- gekl~rt, wobei Streptomycin und DHS betreffs der Cochlea-Toxicit/it~ nur graduelle Unterschiede aufweisen. Unsere ]fickenhaften Kenntnisse fiber den eigentlichen Angriffspunkt der Gfftwirkung der Streptomycin- gruppe, die ja auf dem Gebiet des Stoffwechseis liegen muB (Literatur bei M~CKTEI~ 1961), tragen dazu bei, dal3 es bisher noch nicht gelungen ist, eine geeignete Schutzsubstanz zu finden, die einen Cochleaschaden verhfitet.

MlZV~:osm, Ko~IsHI n. NA~:AMVRA (1957) haben mit funktionellen und morphologischen Cochlea-Untersuchungen bewiesen, daI~ bei DHS- vergifteten Meerschweinchen vor dem H5r- und Strukturverlnst in der Cochlea latente Stoffwechselst5rungen entstehen, die bei Lttrmbelastung reversible Ermfidungsph/~nomene irreversibel werden lassen. Bereits bei 2--10 g DI:IS, die kanm HSrausf/ille verursachen, konnte NAKAMV~A (1957) mit histochemischen Methoden feinere StoffwechselstSrungen wie Abfall der Kerneiwefl]e, Phosphatase-Anstieg und Sulfhydrylzunahme erfassen. In Gehirnhomogenaten DI-iS-vorbehandelter Meerschweinchen war die Sauerstoffaufnahme (sowohl mit Succinat~ als auch mit Glucose als Substrat) herabgesetzt. Diese experimentellen Befunde und die elek- tronenoptischen Beobachtungen yon W~nsXI, L u. ttAw~INS (1962) fiber eine selektive Zerst5rung mitochondrienreicher Haarzellen bci Strepto- mycin-Tieren sprechen daffir, dal3 der Atmungsstoffwechsel durch das Streptomycin und dutch DHS zuerst gesch/idigt werden.

Hinsichtlich der Ototoxicits ist bisher nicht ermittelt worden, welche gewebseigencn Fermente yon DHS gehemmt wcrden. Wir sind dieser Frage durch Untersuchung dos Atmnngsfermentes Succinodehydrogenase an DHS-vorbehandelten Meerschweinchen nachgegangen. Aus Vor- untersuchungen war uns die Abh~tngigkeit der Aktivit~t dieses Fermentes

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42 K. M0SEBECK und W. SC~XTZLE:

yon Sulfhydryl-Gruppen (SH) bekannt. Wir ffihrten daher parallel zur Fermentuntersuchung ebenfalls ira histoehemischen Verfahren eine Bestimmung des Stt-Gehaltes der Cochlea an DttS-Tieren durch, weft wit einen Zusammenhang zwisehen DHS nnd Sulfhydrylen vermuteten. Wenn nach HSN~C~wRTs (1953) Angaben die Guanidin-Gruppen des Streptomycin-Molek/ils mit SH-Gruppen reagieren und SH-haltige Nucleoproteide dutch eine solche Reaktion blockiert werden, kann man einen Abfall der Cochlea-SH erwarten. NAXAMC~AS oben erw/thnte Be- funde fiber eine SH-Zunahme stehen allerdings im Widerspruch dazu, so dab uns eigene Untersuchungen fiber den SH-Gehalt der Cochlea bei den DHS-vergifteten Tieren notwendig erschienen.

Das kliniseh yon H]~Cv, B]~T (1953) bei Streptomycinsch~den des Innenohres empfohlene BAL (British-Anti-Lewisit ~ Dimereaptopro- panol) ist ein Sulfhydryl, welches dadurch entgiftend wirkt, dal~ es eine st/~rkere Affinit/s zu den SH-Proteinen dos Gewebes hat als das Strepto- mycin und dieses yon den Proteinen verdr~ngt. Um die Schutzwirkung yon Sulfhydrylen bei DHS-Vergiftung zu prfifen, verabreichten wir den Tieren zus/~tzlieh das SH Thioctans/~ure, das weniger toxiseh als BAL ist und fin Organismus als Aktivator des Coenzym A vorkommt. Naeh MA~I~O (i 956) soll Thioetans~ure bei sub~kuter und chroniseher Strepto- myeinvergfftung eine Sehutzwirkung besitzen.

Methodik 23 Meersehweinehen (Inzuchtstamm Dr. Co~sA, Haferffitterung) wurden in

zwei Serien mit Dihydrostreptomycin-Sulfat 1 sowie mit Thiocts/~ure e allein oder in Kombination tgglich dnrch subeutane Injektionen behandelt. Wir teilten sie in folgende Versnehsgruppen anf (Tab. 1):

1. DHS, Serie I (200 mg/kg), II (400 mg/kg) 2. DttS + Thiocts/~ure, Serie I and II 3. Thioe~sgure, Serie I 4. Kontrolltiere, zu denen die Pr/~parate der vorangegangenen Mitteilung

hinzugezogen wnrden. Wegen Zerst6rung des Farbkomplexes (SI-LMethoden) dureh das Entkalkungs-

medium waren wir auf H/~utchenpr~parate angewiesen, und zwar wurde dazu nach kurzer Fixation mit Formalin bzw. Trichloressigs~ure die kn6eherne Kapsel yon den Cochleawindungen entfernt und der Modiolus belassen. Zur Beurteilung lagen dann jeweils nur wenige, vollst/~ndig erhaltene Schneekenbezirke vor, so dab die ein- zelnen Windungen nieht oder selten miteinander verglichen werden konnten. Bei der Sueeinodehydrogenase-Darstellung wurde erst durchstr6mt nnd inkubiert, dann fixiert und pr~pariert, hier war ein Vergleich zwischen der 1.--3. Windung grSBtenteils mSglieh.

Die Einzelheiten der F~rbe~eehnik des histochemisch yon uns verwendeten Sulfhydrylnachweises und der Sueeinodehydrogenase-Darstellung sind in einer vorangegangenen Mittei]ung fiber proteingebundene Sulfhydryle in der Cochlea niedergelegt worden.

1 Dihydrostreptomyein ,,Specia" (DHS-Sulfat). Thioets~ure ,,Hombnrg" (1,2-Dithia-cyclopentan-3-valeriansaure).

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Studien zur Ototoxicit~t des Dihydrostreptomycins 43

Tabelle 1. Versuchsbedingungen an 23 Meerschweinchen bei t4glicher Injektion von Dihydrostreptomycin-Sulfat, Thioctsgure oder Kombination beider Substanzen

Serie

I

I I

Anzahl der

Tiere

in Tagen Behandl.-

Zeit

14 14

i0 6

]~inzeldosis in (mg/kg)

DHS Thiocts.

200 -- 200 10

- - 10 400

400 10

Gesamtdosis ( i n mg)

DKS Thiocts.

1800--3000 2000--2800 100--140

- - 70--100 2000--2400

1800--2400 40--60

Besonderheiten der

histochemische] Untersuchung

B- Gr.Tab. 2 C-Gr.Tab.2

D- Gr.Tab. 2 nnr zwei untersueht nieht untersucht

Die histologische und histochemische Untersuchung der Cochlea erstreckte sich auf:

1. ttistologische Untersuchung formalinfixierter Paraffin- oder Celloidinschnitte. Ungefgrbte Prgparate zur Untersuchnng des Pigmentgehaltes dcr Stria vascularis mit dem Phasenkontrastmikroskop, Bleichung einiger Pr~parate mit Kalium- permanganat oder mi~ Wasserstoffsupcroxyd. ggmatoxylin-Eosin gefgrbte Pr~t- parate zu erg~nzcnden Strukturun~ersuchungen.

2. Nachweis proteingebundener Sulfhydryle der Cochlea: a) Ch6vremont-Fr6d6ric-Methode (1943), b) Bennett-lWethode (1948). 3. Sueeinodehydrogenase-Bestimmung mit der Formazan-Fgrbung nach den

Angaben yon P~A~SE (1961) unter Verwendung yon Nitroneotetrazol-Farbstoff.

Ergebnisse

1. I n de r Versuchsserie I fiel auf, dal~ die St r ia- und H a a rz e ] l e n s t ruk tu r in den ungefi~rbten und H E - g e f g r b t e n P r ~ p a r a t e n dnrch die DHS-Ver - g i f tung n ich t geseh~idigt worden ist . Dieser Befund s t i m m t m i t dem nor- ma len Ausfa l l des Preyer -Ref lexes fiberein, den wir vo r der D e k a p i t a t i o n prfif ten.

Die m i t sub le ta le r DHS-Dos i s yon 400 mg/kg s.c. begonnene Ver- suchsserie I I muBte abgebrochen werden, weft die Tiere, die m i t D t t S und zus~tzl ich Thioe tsgure behande l t worden waren, vorze i t ig s ta rben . W e g e n p o s t m o r t a l e r Ver~nderungen wurden sie n ich t h is tochemisch aus- gewer te t . Zwei Tiere d ieser Serie, die nur D H S (400 mg/kg) e rha l t en ha t - ten, lieBen h is tochemisch im S H - G e h a l t ke inen Unte r seh ied gegenfiber den Kon t ro l l en erkennen.

Die Suce inodehydrogenase war n ich t un t e r sueh t worden, t I i s to log iseh zeigten sieh le iehtere S t ruk tu r sch~den an der S t r ia vascnlar i s (Erwei te- rung der Gefi~Be, Vaeuol is ierung, Kernunregelmi~Bigkeiten) .

Die h i s tochemisehen Ergebnisse der Versuchsser ie I s ind aus de r Tab. 2 zu ersehen. Der P i g m e n t g e h a l t de r S t r ia vascular i s nn te r l ag t ro tz Answah l yon Tieren gleieher Fe l l fa rbe sehon bei unbe ha nde l t e n Kon- t ro l len groBen ind ivdne l len Schw~nkungen. I n dieser biologisehen

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44 K. MiYS~.BEeX und W. SC~XTZLE:

Tabelle 2. Histochemische Befunde in der Stria vascularis und in den Haarzellen (Hz) der Meerschweinchenschnecke bei unbehandelten ~tnd bei behandelten (DHS,

Thioctsdiure, DHS ~- Thioctsdiure) Meerschweinchen

Versuch

A. KontroUen Stria Hz

B. DHS (200 rag) S t r i a

Hz C. DHS (200 rag)

Thioctsdiure Stria Hz

D. Thioctsdiure Stria Hz Zeichenerkldirung.

stark positiv.

Anzahl der Tiere Pigmentgehalt

normal

normal

normal

vermehrt

Suffhydrylgehal~

C~-FI~: BE)71~ETT:

+ ++

Succinodehy- drogenase

§ §

+

Reaktion negativ, ~- Reaktion positiv, ~-~- Reaktion

Schwankungsbrcite befand sich auch die Pigmentdichte bei den DHS- und den DI{S-Thioctss Eine cchte Pigmcntzunahme mit gr5$eren, konfluierendcn Pigmentflecken der Stria vascularis konntcn wir dagegen bei den Thiocts~ure-Tieren feststellen.

2. Die Chbvremont-Frdddric-Methode des SH-Nachweises zeigte in der Stria vascularis tier DHS-Tiere eine deutlieh positive (gegcniiber unbehandelten Kontrollcn etwas, aber nieht eindeutig vermehrte) Reaktion. Lediglich bei den Thiocts/~ure-Tieren fiel die Reaktion st/~rker positiv als bei den Kontrolltiercn aus. In den ttaarzellen hel~cn sich mit dieser Methode keine Sulfhydrylc naehweiscn. Bei der Bennct t-Reaktion unterschied sich der SH-Gchalt tier Cochlea aller untersuchten Tiere (sowohl der Versuchs- als auch der Kontrolltiere) nicht voneinander. Die Reaktion war gleichbleibcnd positiv in tier Stria vascularis und im Corti- Organ.

3. Die Succinodehydrogenase war bei den Kontrollt ieren in Stria vascularis, Sulcus externus und Haarzellen nachgewiesen worden. Die F/~rbung anderer Gewebsabschnitte der Cochlea ist ffir den Vergleich yon geringerer Bedeutung, so da6 sie deswegen unerwKhnt bleiben. In der Stria vaseularis der DHS-Tiere beobachteten wir eine negative Reakt ion in der 2. und 3. Windung (soweit erha]ten), nur in der obersten Windung eine positive (Abb. 1). Der Succinodehydrogenase-Gehalt der Haarzellen war bei den behandelten Tieren nicht abgefallen. Auch im Sulcus externus war die Reaktion unver/s positiv. Die Thiocts/~ure-Tiere bat ten wir nicht in diese Untersuchung einbezogen.

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Studien zur Ototoxicit/~t des Dihydrostreptomycins 45

Besprechung der Ergebnisse Um mit Dihydrostreptomycin bei Meerschweinchen HSrabfall und

irreversible Strukturver&nderungen der Haarzellen zu erzeugen, bedarf es einer Gesamtdosis yon wenigstens 6--10 g (MIzvJ<os~I et al. 1957),

a b Abb.1 a und b. Suceinodebydrogenasereaktion im Ligamentum spirale, in der Stria vascularis und im Sulcus externus der ~eersehweinchenschnecke bei chroniseher Dihydrostreptomyeinvergiftung (200 mg/kg; 2,8 g Gesamtdosis). a Positive Suceinodehydrogenasereaktion in der S!0itzenwindung;

b Negative Succinodehydrogenasereaktion in der Stria vascularis der zweiten Windung. Phasenkongrast. Verg. 480 faeh

w/~hrend StoffwechselschKden bereits bei 2--10 g DHS zu beobachten sind (NAKAMURA 1957). Weft wir feinere StSrungen des Stoffwechsels untersuchen wollten, hatten wir unsere DHS-Dosis mit 1,8--3,0 g bewul~t an die untere Grenze bekannter Sch/~digungszeichen gelegt und in diesem Dosierungsbereieh histologiseh auch keine grSberen Strukturseh/~den der Cochlea bemerkt.

Die yon 1NTAKAMURA (1957) nach DtIS in der Stria vascularis beschrie- bene Zunahme der SII wurde mit der Chbvremont-Frdddric-Methode ver- zeichnet. Diese Methode erfal3t aber auch das Pigment yore Melanin- Typus. Sofern also diese Zunahme nicht nur durch eine gleichzeitige

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46 K. Mi)SEB:gCK und W. Se~)i~zL~:

Pigmentvermehrung bedingt ist, kSnnte sie auf eine gesteigerte Proteo- lyse mit Freiwerden von SIt-Gruppen hinweisen. In unserem niedrigen Dosierungsbereich hat te sich der proteingebundene SH-Gehalt der Stria vascularis und der Haarzellen DHS-behandelter Tiere mit der Bennett- Methode nicht verandert.

Aus dem Aktivitatsverlust der Succinodehydrogenase in der Stria vascularis DttS-vorbehandelter Tiere kann noeh nicht auf einen SIt- abhangigen Hemmungsmechanismus geschlossen werden, zumal sieh der StI-Gehalt nieht verandert hatte. Eine erhShte Aktivitat der SH- abhangigen ATPase in der Stria vaseularis DttS-vergffteter Tiere, die NAKAMU~A (1957) beschreibt, paBt ebenfalls nicht in die t typothese der Bloekierung gewebseigener SH-Gruppen. Weitere SH-Fermente mfil~ten daraufhin untersucht werden. Die Affinitat des DtIS zu Protein- SH- Grup- pen seheint nicht so grol~ zu sein wie bei den bekannten SH-Gfften Jodessigsaure, Alloxan oder Sublimat, mit denen dureh eine solehe SH- Blockierung ein Abfall der Gewebs-StI-Gruppen auszulSsen ist. Ein dementsprechender akuter Vergiftungszustand ist auch nieht bei der Ver- suehsserie IX mit subletaler DHS-Dosis erreieht worden, wie der unver- anderte Stt-Gehalt der Cochlea der zwei untersuehten Tiere bewies. In den Ganglienzellen des Gehirns soll naeh chronischer DHS-Vergfftung eine SH-Abnahme zu beobachten sein (NAKA~U~A 1957). HW~]~B]~RT (1953) hatte bei den Mausen, die auBer einer letalen DHS-Dosis BAL er- hielten, eine wesentlieh verlangerge l~ber]ebenszeit bemerkt, jedoch nicht den SH-Gehalt des Gewebes untersucht, der in unserem Zusammenhang aufschluBreich gewesen ware.

In weleher Weise sich Gift- und Entgiftungswirkung der Dithiole BAL und Thioctans/iure bei der DHS-Medikation voneinander unterscheiden, dariiber ist noeh wenig bekannt. Nach unseren Experimenten geh6rt jedenfalls die Thioetansaure nieht zu den Schutzsubstanzen bei DHS-Ver- giftungen; denn der letale Ausgang der zusatzlich mit Thioctsaure be- handelten Tiere der Serie I I weist eher auf eine potenzierende Wirkung bei DHS-Vergfftung hin. Diese Beobachtung fanden wir inzwischen yon BE~NABEI U. CA~MI (1959) angegeben, die wir somit bestatigen k6nnen. Nieht nur die toxische, sondern auch die antibiotisehe Wirkung des DHS ist bei Addition yon Sulfhydrylen erhSht. ANDERSON U. C I ~ (1947) bemerkten eine Steigerung der antibiotischen Wirkung des DHS naeh gleichzeitiger Zugabe yon BAL in die Bakterienkultur.

Von der klinischen Anwendung des BAL bei bereits eingetretener DHS-Vergiftung erwartete HENNEBE~T (1953), dab das Dithiol die gehemmten SH-Fermente reaktivieren solle. Die in dieses Sulfhydryl gesetzten Erwartungen haben sich aber nur in beschranktem Umfang erffillt (Literatur bei RAUCH u. TARAB 1960), wohl weft beim Auftreten von HSrausf/illen bereits irreversible Strukturschaden der Haarzellen

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S~udien zur Ototoxicitift des Dihydrostreptomycins 47

eingetreten sind. Nur im Stadium feinerer Strukturst6rung, die wir mit dem negativen Ausfall der Succinodehydrogenase-Reaktion in der Stria vascularis erfaBt haben, k6nnten BAL oder andere Schutzsubstanzen erfolgreich sein. Die Kl&rung dieser Schutzwirkung bleibt sp&teren Untersuchungen vorbeha]ten.

Die Stria vascularis wird ill der Sauerstoffmangelsituation fr~ther gesch&digt Ms die Haarzellen, wie BECK u. DEICXERT (1958), ferner KoID~, et al. (1960) nachweisen konnten. Eine &hnliche Situation kann auch (lurch DHS erzeugt werden, welches naeh unseren Befunden durch Bloclderung des Atmungsfermentes Succinodehydrogenase den aeroben Stoffwechsel st6rt, wobei sich diese StSrung zuerst in der Stria vascularis manffestiert. In Voruntersuchungen hatten ~ r zeigen k6nnen, dab sich eine Blockierung dieses Atmungsfermentes durch das SH-Gift Jodessig- s&ure ebenfalls in der Stria vascularis am st~rksten auswirkt. Da die Zellatmung an die Mitochondrien gebunden ist, gewinnt in diesem Zusammenhang die oben erw~hnte Beobachtung yon W]~s~J,L u. tIAwKrNs (1962) einer Mitochondrienzerst6rung durch Streptomycin besondere Bedeutung. Ein AbfM1 dcr Succinodehydrogenase-Reaktion in der Stria vascularis nach I)HS kann daher mit einer Mitochondrien- sch&digung in Verbindung gebracht werden. Parallel zu unseren Befunden lassen auch die Besonderheiten der Ausstattung yon Stria vascularis und Corti-Organ mit anaeroben und aeroben Fermenten (VosTEE~ 1961) eine Anf/illigkeit der sauerstoffempfindlichen Stria vascularis gegenfiber dem Atmungsferment-Gift DttS vermuten.

Die Stria vascularis der basalen Windungen ist dabei yon der St6rung des aeroben Stoffwechsels st/trker betroffen als die der Spitzenwindung; denn in letzterer war gr6Btenteils die Succinodehydrogenase-Reaktion positiv ausgefallen. Bekanntlich setzen die tI6rverluste nach DHS-Ver- giftung in den oberen Frequenzen ein. Sie sind anatomisch den basalen Windungen zugeordnet, in denen die Succinodehydrogenase-Reaktion unter unseren Versuchsbedingungen negativ verlief.

Ftir den Entstehungsmeehanismus der Innenohrsch/fdigung durch DHS l&gt sich folgern, dab zun~chst eine Ersch6pfung der Energie- reserven des H6rorganes im Bereich des Atmungsstoffwechsels der Stria vascularis eintritt und daI~ erst sekund/~r ein Strukturverlust der Sinnes- zellen resultiert.

Zusammenfassung 23 Meerschweinchen wurden mit Dihydrostreptomycin (DttS)-Sulfat

in zwei Serien behandelt. Bei niedriger Dosierung (200 mg/kg), die noch keine histologisch fagbaren Ver~nderungen vcrursachte, war der Sulf- hydrylgehalt der Cochlea praktisch unver&ndert. Die Succinodehydro- genase-Reaktion fiel in der Stria vascu]aris der basalen Windungcn nega- tiv aus, wiihrend die ttaarzellen positiv reagierten. Bei subletaler

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48 MtisE~.cK u. Sc~rX~z~E: Studien zur Ototoxieit~t des Dihych'ostreptomycins

Dosierung (400 mg/kg) steigerte die gleichzeitige Verabreichung yon Thiocts~ure (10 mg/kg) die Toxicit/~t des DHS. U n t e r diesen Versuchs- bedingungen ist somit Thiocts/~ure keine Schutzsubstanz. Bei der DHS- Vergfftung im niedrigen Dosierungsbereich t r a t zun/~chst ein Aktivit / i ts- ver lust der Succinodehydrogenase in tier Stria vascularis der basalen Cochleawindungen auf. Die Haarzel len besaSen noch einen normalen Fermentgeha l t . Fi i r den Mechanismus der DHS-Verg i f tung lies sich folgern, daf3 pr imer der Atmungsstoffwechsel der Stria vascularis ge- sch~digt wird u n d erst sekund/ir eine Beeinflussung der Sinneszellen zu beobaeh ten ist.

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Dr. Dr. K. M~3S]~BECK und Dr. W. SCHXTZL]~, Univ.-HNO-Klinik, 665 I-Iomburg/Saar