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ELLE FANNING IST ECHT WITZIG FERIDUN ZAIMOGLU ZIERT SICH JOSH WOOD BLONDIERT NICHT JEDEN IN IHRER HAUT SCHÖNHEIT SPEZIAL APRIL 2018

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EDITORIAL 5

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Verantwortlicher Redakteur:Dr. Alfons Kaiser

Redaktionelle Mitarbeit:Peter Badenhop, Isabelle Braun, Sylvia Buchacher, JohannaChristner, Susanne Dembsky, Laura J. Gerlach, AzizaKasumov, Celina Plag, Julia Schaaf, Peter-Philipp Schmitt,Dr. Stefanie Schütte, Dr. Birte Carolin Sebastian,Sabine Spieler, Bernd Steinle, Julia Stelzner, Peter Thomas,Cigdem Toprak, Meltem Toprak, Antje Wewer,Jennifer Wiebking

Bildredaktion:Christian-Matthias Pohlert

Art-Direction:Peter Breul

E-Mail Redaktion:[email protected]

Alle Artikel werden exklusiv für das „FrankfurterAllgemeine Magazin“ geschrieben. Alle Rechtevorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH,Frankfurt am Main.

Eine Verwertung dieser urheberrechtlich geschütztenRedaktionsbeilage sowie der in ihr enthaltenen Beiträgeund Abbildungen, besonders durch Vervielfältigungoder Verbreitung, ist – mit Ausnahme der gesetzlichzulässigen Fälle – ohne vorherige schriftlicheZustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.Besonders ist eine Einspeicherung oder Verbreitungvon Inhalten aus dem Frankfurter AllgemeineMagazin in Datenbanksystemen, zum Beispiel alselektronischer Pressespiegel oder Archiv, ohneZustimmung des Verlags unzulässig.

Sofern Sie Artikel dieses Magazins nachdrucken, inIhr Internet-Angebot oder in Ihr Intranet übernehmen,speichern oder per E-Mail versenden wollen, können Siedie erforderlichen Rechte bei der F.A.Z. GmbHerwerben unter www.faz-rechte.de. Auskunft erhaltenSie unter [email protected] oder telefonischunter (069)7591-2985.

Redaktion und Verlag:(zugleich ladungsfähige Anschrift für die im Impressumgenannten Verantwortlichen und Vertretungsberechtigten)Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbHHellerhofstraße 2-460327 Frankfurt am Main

Geschäftsführung:Thomas Lindner (Vorsitzender)Dr. Volker Breid

Verantwortlich für Anzeigen:Ingo Müller

Leitung Anzeigenverkauf Frankfurter Allgemeine Magazin:Kerry O’Donoghue, E-Mail: [email protected]

Produktionsleitung:Andreas Gierth

Layout:Verena Lindner, Anja Tschulena

Einzelhefte können zum Preis von €5,– [email protected] bezogen werden.

Druck:Prinovis GmbH&Co. KG – Betrieb NürnbergBreslauer Straße 300, 90471 Nürnberg

an sieht es meinen Haaren zwar nicht an, aber einFriseurtermin ist mir lieb und teuer. Meistenskostet mich das einen Urlaubstag, denn meinFriseur und ich haben die gleichen Arbeitszeiten.

Samstags haben wir zu tun – er im Salon, ich in der Redaktion.Montags ist frei. Was die Sache nicht einfacher macht: MeinFriseur arbeitet in Hannover, dort, wo ich herkomme. Was soll ichsagen? Alle anderen haben meine Haare bislang nicht besserverstanden. Dafür mache ich mich also gerne auf den Weg. Einer,der es andersherum hält, ist Josh Wood, ein Kolorist. Viele Frauenund Männer sind überzeugt davon, dass er mit Haaren besserumgeht als jeder andere. Und im Gegensatz zu mir können siedafür Unsummen ausgeben. Für ein Blond lassen sie den Britenum die Welt fliegen. In diesem Heft erzählt er von seinem selt-samen Beruf. Aber keine Angst: Hier soll es nicht nur um Luxusgehen, obwohl ja selbst ein Grundbedürfnis wie Schlaf in derLeistungsgesellschaft zunehmend zu etwas Wertvollem gewordenist. Mit dem Thema Schönheit, oder nennen wir es Körperpflege,muss sich jeder auseinandersetzen, und das interessiert uns. MeineKollegin Julia Schaaf hört einer Frau zu, deren Haare nach Jahrendes Ausprobierens verschiedener Shampoos so sind, wie sie seinsollen, dank einer selbst angerührten Roggenmehl-Mixtur, mit dersie alle paar Tage gereinigt werden. Dass das Schönheitsverständnisder Deutschen stark von Natürlichkeit geprägt ist, bringen aus-gerechnet junge Menschen mit ausländischen Wurzeln auf denPunkt. Die Schwestern Cigdem und Meltem Toprak haben siezusammen mit dem Fotografen-Duo Lottermann and Fuentes aufder Straße angesprochen. Der einen ist die Augenform wichtig,aber dafür gebe es ja Eyeliner. Und ein anderer sagt über seinenFriseur: „Er schneidet brutal!“ Vor ein paar Wochen hatte ich mireinen Samstag freigenommen. Mein Vater und ich wollten einenAusflug machen. Dann kam ich in Hannover an, und Papa war

krank. Die Grippe. Ich rief also am Samstagmorgen beimFriseur an und fragte vorsichtig, ob jemand abgesagt

habe, ob noch spontan termintechnisch etwas zumachen sei. Und er antwortete: 12.50 Uhr.

Brutal! Jennifer Wiebking

WIEIMSCHLAF

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MITARBEITER 7

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AZIZA KASUMOV studiert undarbeitet seit knapp vier Jahren imausgetrockneten und überhitztenLos Angeles. Trotzdem trägt sielieber lange Hosen und Mäntelals zerrissene Jeansshorts undTube-Tops. Sieht schicker aus,und frau muss sich nicht ständigdie Beine rasieren. Zur Göttinmacht einen das so oder so nicht.Wie das Frauen aus aller Welttrotzdem erfolgreich verkauftwird und warum Männer in derRasiererabteilung oder beimFriseur billiger wegkommen –das hat sie für dieses Heftaufgeschrieben. (Seite 46)

LAURA J. GERLACH ist Foto-grafin und Objektkünstlerin inFrankfurt und Paris. Zur Zeitbefasst sie sich mit einer Doku-mentation aller noch vorhan-denen Frankfurter Küchen derArchitektin Margarete Schütte-Lihotzky aus den zwanzigerJahren. Wenn sie als Journalistinschreibt, dann zu Themen, dieentweder exotisch oder anderswonicht zu lesen sind. Auf GünterPfannmüllers Fotoprojekt„Äthiopien auf Augenhöhe“(Seite 48) trifft beides zu: Esist gleichermaßen exotisch wiedringlich – denn der zivilisiertenWelt stünde es gut an, Vielfaltund Individualität nicht einfachaussterben zu lassen.

CELINA PLAG fragt sich alsBeobachterin von Lebensstilen,welche gesellschaftlichen Bedürf-nisse hinter Trenderscheinungenstehen. Schlaflose Nächte hat siedeshalb zwar selten. Aber dieNachtruhe – und vor allem dieNicht-Nachtruhe – vieler Men-schen ist ihr ein großes Thema.Für dieses Heft hat sie sich mitder veränderten Wertschätzungdes Schlafs befasst (Seite 32) –und mit den Produkten, die ihnangeblich fördern sollen.

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BEITERCIGDEM UND MELTEMTOPRAK sind Schwestern undJournalistinnen – schreibenaber über verschiedene Themen.Meltem (links) setzt sich mitMode und Kultur auseinander,Cigdem mit Politik. Sie hattedie Idee, die junge Migranten-Community in Deutschlandjenseits von politischen Debattenzu porträtieren. Das Schönheits-verständnis dieser Frauen undMänner war für die Toprak-Schwestern, die selbst türkischeWurzeln haben, ein passenderAufhänger (Seite 24). Zusammenmit den Bildern des Fotogra-finnen-Duos Lottermann and

Fuentes, die selbst ser-bischen und kolumbia-nischen Hintergrundhaben, wurde darausein echt multikultu-relles Projekt. Typisch

Frankfurt eben.

mit den Bildern des Fotogra-finnen-Duos Lottermann an

Fuentes, die selbst serbischen und kolumnischen Hintergruhaben, wurde darein echt multikulrelles Projekt. Typ

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CALIBER RM 07-01LIMITED EDITION JADE

RICHARD MILLE BOUTIQUE MÜNCHENMAXIMILIANSTRASSE 34+49 89 45 22 13 00

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9INHALT

ZUM TITELAlo Mana, 25, vom Stamm der Hamerwurde von Günter Pfannmüller inÄthiopien fotografiert.

FRIEDLICH Die geruhsame Nachtist längst ein Luxusgut. TeureHelfer gibt es auch schon. Seite 32

MANIERLICH Sollten berühmteFrauen in der Öffentlichkeit mitSonnenbrillen auftreten? Seite 35

FRÜHZEITLICH Terrakotta warschon für die Alten Ägypter einkosmetisches Produkt. Seite 38

WEIBLICH Dienste im Namender Schönheit kosten Frauen mehrals Männer. Seite 46

NATÜRLICH Wie wichtig sindBiosiegel für die Produzenten neuerBeauty-Produkte? Seite 60

BEKÖMMLICH Roggenmehl tutauch den Haaren gut, zusammenmit Wasser als Shampoo. Seite 65

Die nächste Ausgabe des Magazins liegt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 12. Mai bei.Im Netz: www.faz.net/stil Facebook: Frankfurter Allgemeine Stil Instagram: @fazmagazin

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Schönheit sieht für jedenanders aus. Und mitMigrationshintergrundnoch einmal anders.Elina Katyal und weiterejunge Frauen undMänner (Seite 24), diewir auf der Straßeangesprochen haben,erklären sich.

11 KARL LAGERFELD14 ERDEM MORALIOĞLU18 JOSH WOOD40 FERIDUN ZAIMOGLU66 ELLE FANNING

Und wer ist die Schönsteim ganzen Land? DieSpiegel von heute –wie diese von PetiteFriture – würden daraufwohl antworten: „Wirnatürlich.“ (Seite 22)

Wohin soll’s imSommer gehen? Undwas bleibt von derReise, wenn dieFerien vorbei sind?Auf beide Fragenantworten wir mitDüften. (Seite 62)

Die Beauty-Branche entdeckt dieCannabis-Pflanze (Seite 44). Denn siehat noch Wirkung, auch wenn der Rauschlängst verzogen ist.

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11KARLIKATUR

Männer und Schönheit! Nein, darum geht es hier nicht. Aber Karl Lager-felds ins Bild gesetzter Kommentar zu der Abschottungspolitik DonaldTrumps passt auch ganz gut in diese Spezial-Ausgabe. Denn jahrhunderte-lang war der schönste Schmuck des Mannes seine Rüstung. Unglaublich,wieviel Technik, Geld und Mühen man einst in die unförmige Schutz-bekleidung investierte. Das Metallgehäuse diente natürlich der Abwehr derfeindlichen Lanze, vor allem aber auch der Repräsentation. Und das ist hierderWitz. Natürlich geht es bei Lagerfeld, der Trump schon seit Jahrzehnten

kennt, nicht nur um Importzölle, mit denen sich der amerikanische Präsidentzu schützen sucht. Es geht ihm auch um einen armen reichen Mann, der sounzeitgemäß in seiner Ritterrüstung steckt wie zuletzt Don Quichote. Undder die unglückliche Figur, die er da macht, auch noch mit Patriotismusin Form eines Fähnchens auf dem Helm krönt. „America first!“ DieserSchlachtruf kann unserem Zeichner nur eine satirische Herabsetzung wertsein. Für eine solche Rüstungsindustrie braucht man wirklich keine impor-tierten Metalle. Das kriegt Amerika noch selbst hin. (kai.)

KARL LAGERFELD SIEHT EINEN RITTER VON DER TRAURIGEN GESTALT

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12 PRÊT-À-PARLER

PRÊT-À-PARLER

Natürlich steht der Mann für viel mehr, aber Theo Waigelist hierzulande auch noch immer eine der berühmtestenFiguren mit markanten Augenbrauen. Das ändert sichnicht, obwohl im Hinblick auf dieses Detail im oberenGesichtsdrittel so einiges passiert ist, seit Herr Euro nichtmehr mitmischt. Es gibt jetzt zum Beispiel eine Antwortdarauf, warum sie überhaupt so sind, wie sie sind. Forscherder University of York haben sich kürzlich mit der Fragebeschäftigt, warum der Homo Erectus und später derNeandertaler mit so üppigen Oberaugenwülsten aus-gestattet waren, diese aber nicht weitervererbt haben. DieThese, die sie vor ein paar Wochen in der Zeitschrift

„Nature Ecology & Evolution“ vorgestellt haben: Je mehrer sich zum sozialen Wesen entwickelte, desto wichtigerwurde die Mimik. Für den Ausdruck, um die Brauen etwahochzuziehen, mussten sich die Knochen zurückbilden.

Aber auch in der jüngeren Vergangenheit waren dieAugenbrauen mal wichtiger, mal störender. Nach TheoWaigel kam erst das russische Model Natalia Vodianovamit markanten Brauen. Scharen von Teenagern zupftensich trotzdem weiter dünne Striche. Es brauchte schonCara Delevingne, das britische Model, um dem ThemaAuthentizität zu geben, wie man im Beauty-Business sagt.Seitdem geht es zwischen Oberlid und Stirn wieder markant

zu: Dazu genügen ein paar Striche von einem dieser klas-sischen Stifte, wie zum Beispiel dem von Elizabeth Arden,„Beautiful Color“ (5). Oder dem „Brôw Define Pencil“von Lancôme (3). Oder „Eyebrow Show“ von Givenchy (2).Der Ausdruck ist sogleich stärker.

Selbst zur Frage des Augenbrauenprodukts gibt es jetztneue Thesen, genauer gesagt mindestens zwei. Clinique (1)lanciert einen „Just Browsing“, einen Mascara für die Wim-pern mit Bürste, und Chanel (4) kommt mit einem Stick,mit „Stylo Sourcils“, der so dick ist, dass die Augenbrauendamit garantiert markant geraten. Ein soziales Wesen bleibtman aber trotzdem. (jwi.) Fotos Frank Röth, Jan Roeder

Der Boom nimmt kein Ende. Vor einiger Zeit sah es zwarso aus, als habe der Gin-Hype seinen Höhepunkt erreicht.Aber das war ein Trugschluss. Längst ist klar: Der Trendzum Wacholderschnaps ist ungebrochen. Die Regale inden Bars und Supermärkten werden immer voller. Einerder interessantesten Newcomer ist der Elephant Gin ausHamburg. Ersonnen haben den charaktervollen wiesanften Sprit Tessa und Robin Gerlach. Die beiden sind,wie so viele in der Gin-Community, Seiteneinsteiger: Erwar früher als Berater, sie im Film-Marketing tätig. Aufeiner Kenia-Reise kam ihnen 2011 die Idee, einen Wachol-derschnaps mit afrikanischer Note zu kreieren.

Nach einiger Tüftelei verkorkten sie 2013 ihre ersteFlasche. Inzwischen produzieren die Gerlachs auch einenintensiven Strength Gin mit 57 statt der üblichen 45 Pro-zent Alkohol sowie einen etwa ein Jahr in Eichenholz ge-reiften Aged Gin mit 52 Prozent. Aromatisiert werden allediese Brände außer mit Wacholder, frischen Äpfeln undBergkiefer mit zwölf weiteren Kräutern, Früchten undWurzeln, darunter das afrikanische Wermutkraut, derAffenbrotbaum und der Löwenschwanz-Strauch. VonAnfang an fließen 15 Prozent aus dem Gewinn an zweiafrikanische Stiftungen, die sich für das Überleben derstark gefährdeten Elefanten einsetzen. (bad.)

THEO-WAIGEL-FEATURES GEFÄLLIG?

HOCHPROZENTER FÜR DICKHÄUTER

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Die Etiketten desElephant Strengh Ginwerden per Handnummeriert und tragendie Namen der„Glorreichen Sieben“,der eindrucksvollstenElefanten des Krüger-Nationalparks inSüdafrika.

Foto Rainer Wohlfahrt

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Frau Gebhardt, Sie sind Architektin und haben ein Faiblefür historische Bauten. Zugleich führen Sie seit mehr als30 Jahren ein Unternehmen für Naturkosmetik. Nun habenSie für Ihre Kosmetikfabrikation das BenediktinerklosterWessobrunn in Oberbayern erworben, ein Kulturdenkmal.Wie kamen Sie darauf?Wir waren seit mehr als zehn Jahren auf der Suche nachgeeigneten Räumlichkeiten, um unsere Produktion zuerweitern. Ich war schon fast soweit, dass ich auch auf dergrünen Wiese gebaut hätte. Doch das entsprach nichtwirklich meinen Bedürfnissen. Ich will nicht einfach nurNatur verbauen, sondern lieber ein Gebäude, das leersteht, in eine gute Nutzung überführen.

Wie groß ist das Kloster?Das Hauptgebäude hat etwa 7000 Quadratmeter, dazukommen die Landwirtschaft mit Stallungen und Tenne,zwei Gästehäuser, eine Brauerei und die Schreinerei.Zusammen sind es mehr als 10.000 Quadratmeter.

Das verschlingt doch Unsummen!Gar nicht mal. Nicht alle Räume müssen immer vollgeheizt werden, und das Kloster war in einem hervor-ragenden Zustand. Die Nonnen waren echt auf Zack.Die haben sich in alle technischen Dinge eingearbeitet.

Wie viele Nonnen lebten im Kloster?Zwölf. Das Durchschnittsalter lag bei 77 Jahren.

Und die Schwestern haben das Kloster aus eigener Kraftin Stand gehalten?Ja, überwiegend. Ich glaube, sie wollten keine Männerins Kloster lassen. Die Schwestern haben lieber selbstgelernt, wie man die Heizung richtet. Wenn Dachplattenaus-getauscht werden mussten, sind sie halt aufs Dachgeklettert.

Gab es Widerstände dagegen, dass eine Kosmetikfirma indas Kloster ziehen will?Natürlich gab es Diskussionen, ob so ein wichtigesKloster in private Hände gelangen sollte. Man hörteStimmen wie: „Jetzt kommt da eine Seifensiederei insKloster.“ Der Begriff stammt noch aus der Zeit, alsman unter Kosmetik hauptsächlich Seife zur Reinigungder Haut verstand. Auch ich finde es generell besser,wenn der Freistaat solche bedeutenden Kulturdenkmälerübernimmt. Aber man hatte sich damals andersentschieden.

Und die Nonnen?Sie haben den Verkauf befürwortet. Meine Ausbildungals Architektin mit Erfahrung in historischen Bautenerschien glaubwürdig. Ich glaube, sie freuten sich auch,

dass ich ihren Klostergarten wiederbelebe. Auf einemHektar wachsen heute Heilkräuter für meine Demeter-zertifizierte Kosmetik.

Wie wirkt sich die Ruhe des Ortes auf Sie und IhreMitarbeiter aus?Wir haben sehr viele Bewerbungen von Menschen ausder Großstadt. Unsere Welt ist so laut geworden. VieleMenschen wünschen sich einen ruhigeren Arbeitsplatz,an dem man mitten in der Natur ist. Im Jahr 753 wurdenhier drei artesische Wasserquellen entdeckt. Das nahmman damals als Fingerzeig Gottes und gründete dasKloster. Wir haben hier, wie im ganzen Alpenvorland,eine hervorragende Wasserqualität, die wir auch fürunsere Kosmetik nutzen.

Wird es eine Klosterlinie Martina Gebhardt geben?Was sollte ich da anders machen als jetzt? Meine Rezep-turen entstammen historischen Aufzeichnungen ausKlöstern. Eine Zeitschrift, die 1986 über meine Anfängeberichtete, betitelte den Artikel damals: „Die Kloster-kräuterkosmetik“. Das hat sich heute tatsächlichrealisiert.

Was ist mehr Balsam für die Seele: Ihr Kloster oder IhreCremes?Ich möchte keinem den Vorzug geben. Auf jeden Fallist das Kloster eine Erfüllung.

Die Fragen stellte Susanne Dembsky.

PRÊT-À-PARLER

„Die Nonnen waren auf Zack“: Martina Gebhardt hat ihre neuenArbeitsräume im Kloster Wessobrunn, 60 Kilometer südlich vonMünchen, zu schätzen gelernt.

Heute eine Küche, morgen vielleicht ein Bücherregal: Das Modellvon Stocubo wächst mit Ansprüchen und Alter seiner Besitzer.

EINE BEAUTY-UNTERNEHMERIN GEHT INS KLOSTER

Ob nun Spaghetti mit Nutella, Pudding mit Ketchup oderOmelett mit Marmelade – der Phantasie von Kindern sindauch beim Kochen keine Grenzen gesetzt. Bei vielen derangehenden Spitzenköche steht eine Kinderküche daherganz oben auf der Wunschliste. Der Spielzeugmarkt hatdas erkannt: Die Auswahl an Spielküchen ist groß, unter-schieden wird nicht nur in Preis und Material, sondernauch in Ausführung und Zubehör. Auch große Herstellerwie Miele, Tefal und Bosch sind mit Miniaturversionenihrer Küchen auf dem Markt vertreten.

Besonders clever ist jedoch das Modell des BerlinerHerstellers Stocubo, der für seine würfelförmigen Regal-Module bekannt ist. Die kleinen Köche werden vor Be-geisterung überkochen: vier Kochfelder mit Drehreglern,ein aufklappbarer Backofen mit Rost, eine Spüle mit inte-griertemWasserhahn und eine Menge Stauraum für Back-und Kochutensilien – endlich mal werden Mama, Papaund Teddy anständig bekocht.

Gefertigt wird die Küche in Handarbeit aus robustenMDF-Holzfaserplatten, die haltbar und zudem ökologischabbaubar sind. „Zu uns kommen Eltern, Großeltern,Tanten und Onkel, die sich bewusst für Möbel aus nach-haltigem Material entscheiden“, sagt Julia Haneke, Ge-schäftsführerin von Stocubo. Der Clou an dem hölzernenSpielzeug: Mit wachsendem Alter des Kindes kann die

HIER BEKOMMEN DIE KINDER DIE HERDPRÄMIE

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Küche zu einem Bücherregal oder einem Nachttisch um-funktioniert werden. „Unser Zubehör wie etwa dasWasch-becken aus Stahl kann problemlos entfernt werden“, sagtJulia Haneke.

Diese Küche dient also nicht nur dazu, die Grob- undFeinmotorik der kleinen Gourmets zu verbessern undüberhaupt erst zu lernen, was in einer Küche so abgeht.Dank der modularen Bauweise setzen sich die Kinder auchmit dem ausgeklügelten Baukastenprinzip auseinander.Die Idee zu der Küche ist noch jung. „Vergangene Weih-nachten bastelte eine Kollegin für ihre Kinder aus Möbel-Resten und B-Ware eine Kinderküche“, sagt Haneke. „DasErgebnis war wahnsinnig schön und kam bei ihren Kleinenunglaublich gut an.“ Aus der zufälligen Bastelei ist nunauch einMarketing-Tool geworden: Über die Küche werdenganz neue Kunden auf die Regalsysteme des Herstellersaufmerksam.

Wer sich eine der in Berlin gefertigten Küchen an-schafft, kann nebenbei auch Gutes tun. 15 Prozent desVerkaufserlöses gehen an eine Grundschule im Brenn-punktbezirk Wedding, die sich für die künstlerische För-derung der Schüler einsetzt. Entscheiden muss man sichalso nur noch für eine Farbe: Die Kinderküche ist mitRückwänden in Mandaringelb, Ozeanblau, Chinarot oderLimonengrün zu haben. Johanna Christner

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MATT UND SATT: ERDEM ENTWIRFT JETZT MAKE-UPEin Gespräch mit dem Designer Erdem Moralioğlu kannso losgehen: Auf die übliche Eingangsfrage nach dem all-gemeinen Befinden antwortet er auf Deutsch: „Hallo, ichbin gut, wie geht’s?“ Auf die zweite Frage dann: „Ganz gut,phantastisch.“ Auf die dritte: „Nein.“

Vielleicht könnte man sich mit dem Modemacher, dertürkische Wurzeln hat und in Kanada aufwuchs, nochweiter in der für ihn hörbar fremden Sprache unterhalten?Aber Erdem Moralioğlu lacht und wechselt sicherheitshal-ber ins Englische: „Mehr kann ich nicht. Ich hatte maleine tolle Schnittmacherin, sie lehrte mich Deutsch undich sie Französisch. Der Erfolg hielt sich in Grenzen.“

Also wieder eine Frau. Weibliche Inspiration – viel-leicht keine Überraschung für einen Designer, der fürFrauen entwirft. Aber dieser Mann, der sein Label in Lon-don, das nach seinem Vornamen benannt ist, seit 2005führt, der Meister der wunderschönen und doch nicht kit-schigen Abendroben, zieht das konsequent durch. Zu jederseiner Kollektionen gibt es eine anschauliche Geschichte– und eine Frau. Für diese Frühjahrssaison ist es zum Bei-spiel Königin Elisabeth II., in ihren wilderen Jahren. Er-dem Moralioğlu hatte dafür sogar in den Archiven vonSchloss Windsor recherchieren dürfen. In den fünfzigerJahren traf die Queen in einem Theater in Leeds auf dieJazzlegende Duke Ellington. Er schrieb daraufhin ein Liedfür sie, und sie antwortete: „Ich werde es mir anhören.“

Erdem Moralioğlu sagt zu seinen Ideen: „Ich will dasFormelle auf den Kopf stellen.“ Vor zwei Jahren sagte ernach seiner Schau: „Sie guckt ,Dolce Vita‘ in Endlosschleife,versucht, ihren ersten Roman zu schreiben, will Schauspie-lerin werden, aber am Ende reißt sie sich die Gardine vonder Wand und trägt sie als Kleid.“ Also nicht die Königin,damals ging es um eine andere Frau. Das ist die Art vonErdem-Moralioğlu-Geschichte, ach was, von echten Kleider-dramen.

Seine Kleider schätzen dann aber doch Frauen, zu derenwichtigsten Aufgaben es gehört, in der Öffentlichkeit be-herrscht zu wirken – früher Samantha Cameron, heute KateBosworth oder die Herzogin von Cambridge. Auch Prin-zessin Eugenie trug anlässlich der Bekanntgabe ihrer Verlo-bung im Januar eines seiner Kleider. Möglich, dass ErdemMoralioğlu in diesen Tagen an einer noch wichtigeren Robearbeitet, am Brautkleid für Meghan Markle. Die Story seinerHerbstkollektion passt schon mal. Die Frau, die er im Sinnhatte, ist Adele Astaire, eine Amerikanerin, Fred Astairesältere Schwester und in jüngeren Jahren Schauspielerin, bissie in Großbritannien den Aristokraten Lord Cavendishheiratete. Es gäbe also Parallelen. Seiner Marke würde eseinen Schub geben.

Solche Initiativen sind wichtig, um Aufmerksamkeit zugewinnen, um noch mehr Frauen zu erreichen. Das ist auchder Grund, weshalb Erdem Moralioğlu im November die

alljährliche Designerkollektion für H&M entworfen hatund jetzt ‒ ein bisschen luxuriöser ‒ mit dem Make-up-Unternehmen Nars gemeinsame Sache macht. „Make-uphat sehr viel Macht“, sagt Moralioğlu. Auch Frauen werdendamit vielleicht ein bisschen mächtiger sein können, odersich zumindest so fühlen, was nicht von Nachteil ist. Ein-mal roten Lippenstift auftragen, fertig. „Make-up ist in jedemFall ein guter Anfang, um sich besser zu fühlen“, sagt derDesigner.

Er denkt dabei wieder an eine Frau. „Meine Mutter hatnie sonderlich viel Make-up getragen, aber dafür immerknallroten Lippenstift. Und wenn sie den aufgetragen hatte,änderte sich etwas. Ihr Gesicht war plötzlich anders, es warwie ein Rüstzeug. Das erste, was ich den Leuten von Narssagte: Ich möchte einen großartigen roten Lippenstiftmachen.“ Er sollte matt und satt zugleich sein.

Und welche Frau durfte ihn als erste testen? SeineZwillingsschwester. Dass dieser Designer Frauen so nahe-steht, dass er ihre Geschichten so genau in Kollektionenüberträgt, wird also auch etwas mit der engen Beziehungzu tun haben, die er seit der Geburt – oder sogar schonlänger – zu dieser Frau pflegte. „Sie ist 15 Minuten jünger.Wir standen uns schon immer nah. Als jetzt alle Proto-typen fertig waren, habe ich ihr einige davon gegeben. Denroten Lippenstift, Carnal Carnation, trägt sie nun schoneine ganze Weile.“ Jennifer Wiebking

Mutter, Schwester, Musen,Kundinnen – dieserDesigner steht den Frauenbesonders nahe: „MeineMutter hat nie sonderlichviel Make-up getragen,aber dafür immer rotenLippenstift. Und wenn sieden aufgetragen hatte,änderte sich etwas. Es warwie ein Rüstzeug.“

Meister der Abendroben: DieKleider von Erdem schätzenauch die Frauen im britischenKönigshaus, zum BeispielPrinzessin Eugenie (rechts),die im Januar in einem Modelldes Designers ihre Verlobungbekanntgab. Wer weiß,vielleicht ist Erdem auchder Modemacher, der dasHochzeitskleid für MeghanMarkle entwirft. FO

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Das gibt viele Likes: Wer auf Heidi Klum, Papst Franziskus, dieKirschblüten in Tokio oder auf den ehemaligen italienischenMinisterpräsidenten Matteo Renzi trifft, der weiß sofort, was erzu tun hat. Allein diese Gewissheit ruft gute Laune hervor.

„JUGENDLICHE MACHEN AUS DER OHNMACHTEIN ALLMACHTSGEFÜHL“

Frau Imdahl, ein Ergebnis der neuen Jugendstudie, dieIhr Marktforschungsinstitut Rheingold im Auftrag desIndustrieverbands Körperpflege und Waschmittel (IKW)erarbeitet hat, lautet: Jugendlichen ist es peinlich, Selfieszu machen. Warum?Das hat zwei psychologische Gründe. Wenn man sichentwickelt, muss man sich auf der einen Seite abgrenzen,gegen die eigenen Eltern zum Beispiel, und auf deranderen Seite anpassen, um den eigenen Stil und eineeigene Persönlichkeit zu entwickeln. Deshalb sagenJugendliche: Wie peinlich, dass die da alle ihre selbstver-liebten Selfies posten, da mache ich nicht mit. Ich machenur ganz selten Selfies. Im Lauf der Zeit stellt sich dannaber heraus, dass sie alle sehr viele Selfies machen. Es istihnen also peinlich, als selbstverliebt entlarvt zu werdenund sich mit dem eigenen Selbst auseinanderzusetzen.

Hat sich in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren etwasverändert? Ist es jetzt vielleicht ein bisschen weniger peinlich,Selfies zu machen?Die Selbstverliebtheit hat in den vergangenen Jahrenmassiv zugenommen. Es geht darum, besonders zu sein,anders zu sein. Die Eltern dieser Generation haben ihrenKindern vermittelt, dass sie besondere Kinder sind,dass sie etwas Besonderes werden können, dass sie es nurwollen müssen. Es geht erst einmal um sie selbst. Siewollen die Likes bekommen, und ein bisschen bestehtdie Hoffnung, über Instagram berühmt zu werden.

Für 30 Prozent der Jugendlichen ist das laut Ihrer Studieheute ein Lebensziel. Vor zehn Jahren waren es gerade mal14 Prozent. Eine erhebliche Steigerung.Das liegt auch daran, dass die Jugendlichen in einer Zeitaufgewachsen sind, in der sie sich relativ ohnmächtigfühlen, gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen imHinblick auf Krisen und gegenüber familiären Entwick-lungen. Wenn man sich in seinem brüchigen Umfeldohnmächtig fühlt, dann ist der psychologische Effekt,dass man das oft ins Gegenteil verkehrt und sich all-mächtig macht. Die Jugendlichen haben das Gefühl, siekönnten alles werden, alles aus sich machen, sie habenextreme Allmachtsphantasien. Es gibt keine Grenzen.Sie machen aus der Ohnmacht ein Allmachtsgefühl.

Welche Bedeutung hat dabei das Selfie?Eine zentrale. Man könnte diese Generation ja fastGeneration Selfie nennen, weil es sich so sehr um sieselber dreht und weil ein Selfie auch ein weiteres Mittelist, das eigene Leben zu kontrollieren. Die Jugendlichensagen, sie schauen sich das Leben erst mal durch dieKameraperspektive an und gehen aus dem eigentlichenErleben raus. Sie erleben den Moment nicht, wenn er da

ist. Sie machen das Foto, oder auch 100 Fotos, undposten das beste. An der Zahl der Likes bewerten sie, wiegut das Erleben war und ob es etwas ist, was sie erlebthaben möchten. Sie kontrollieren ihr eigenes Erleben.Ein riesiger Allmachtsgedanke.

Wenn man keine Likes bekommt, ist das Erlebte wertlos?Ja, dann haben sie gar nichts erlebt. Es wird erst dannzum realen Erleben. Sie haben ein anderes Realitäts-verständnis. Wenn die Freundin für ihre Tannenbaum-Fotos mehr Likes bekommt, ist Weihnachten für dieAndere gelaufen. Bei Urlauben ist es ähnlich.

Ist es gefährlich, wenn Jugendliche über Bilder von sich selbstständige Bestätigung erwarten?Sie machen sich sehr zurecht für die Fotos. Die Mädchenschminken sich, die Jungs gehen zum Teil vorher zumFriseur. Alles wird perfekt inszeniert und kontrolliert. BeiJungs sehen wir die Gefahr, dass sie Mädchen kaum nochals normal wahrnehmen, wenn sie nicht geschminkt sind.

Klingt nicht gut.Andererseits: Das Aussehen ist einer der wenigen Bereiche,in denen Jugendliche Sicherheit erlangen. Es gibt dengesellschaftlichen und den familiären Kontrollverlust, unddann gibt es in der Pubertät den hormonellen Bereich.Man bekommt Pickel und fettige Haare, und die Sexuali-tät beginnt. Das Aussehen ist einer der wenigen Bereiche,in denen Jugendliche das Gefühl haben, sie könnten dasaktiv selbst in den Griff bekommen. Perfekte Nägel, tolleOptik, tolle Fotos: Das verschafft ihnen Sicherheit. DasAussehen ist Druck, aber auch Entlastung, denn das habensie im Griff. Das darf man ihnen auf gar keinen Fallwegnehmen. Das habe ich auch den Eltern gesagt. DieseForm von Anpassung verschafft ihnen viel Sicherheit.

Die Fragen stellte Jennifer Wiebking.

PRÊT-À-PARLER„Le jour se lève“ – so können nur französische Filme heißen.„Der Tag bricht an“ klingt arg prosaisch für diese tragischeLiebesgeschichte. Mehr wollen wir gar nicht erzählen überden Inhalt des Dramas aus dem Jahr 1939, falls es jemandnochmal in echt durchleiden möchte. Seltsam, dass dieMarke Louis Vuitton mit ihrem neuen Damen-Parfum,das gerade herausgekommen ist, ausgerechnet auf diesendüsteren Film anspielt. Aber Meister-Parfumeur JacquesCavallier, der in der Düfte-Stadt Grasse geboren wurdeund schon für Dior, Givenchy, Issey Miyake und anderetätig war, hat eine Nase auch für die großen Erzählungen.Und: Der Name passt ins disruptive Geschäft des Luxus-Riesen. Hätte man noch vor kurzem geglaubt, VirgilAbloh könnte Männermode-Designer bei Louis Vuittonwerden? Und ebensowenig konnteman sich bisher vorstellen,nicht einmal mit dem besten Geruchssinn, dass eine solcheTragödie durch eine simple Umcodierung doch noch gutausgehen kann. Tut sie aber. (kai.)

EINE TRAGÖDIE GEHTDOCH NOCH GUT AUS

Schön sparsam: Ist der Flakon leer,kann man ihn im Geschäft wiedernachfüllen lassen – fast wie zu Zeitendes gleichnamigen Films von 1939.

Erforscht die Generationen: Psychologin Ines Imdahl

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Trotz seiner Ausstellung im Palais Galliera bleibt MartinMargiela unsichtbar. Per Mail lässt er wissen, dass er weiterschweigt. Alexandre Samson, Kurator des Pariser Mode-museums, könne alles erläutern. Zwei Monate zuvor, beieinem zufälligen Treffen in Brüssel, bin ich einem umwer-fend charmanten Mann begegnet, der gut aussieht, vieljünger als 60 Jahre (inzwischen ist er 61 Jahre alt). MartinMargiela, der Jeans, einen beigefarbenen Rollkragenpulloverund Boots trägt, ist so lebhaft wie gelassen, so neugierigwie entspannt. Diese wichtige Ausstellung, die ihn zurückbringt ins Herz der Mode, freut ihn sehr. Viel mehr be-kommt man aus dem großen Unbekannten der Mode abernicht heraus.

Martin Margiela behält ein einmal funktionierendesKonzept einfach bei. Bis zuletzt ließ er seine Arbeiten fürsich sprechen. In der Ausstellung begegnet man ihm alsogewissermaßen persönlich. Seine Präsenz ist allgegenwärtig,auch und gerade in der Abwesenheit. Der Preis, den erbezahlen muss, um sich seine Freiheit in der Anonymitätzu erhalten, um sein eigenes Werk auf seine eigene Art zuinterpretieren, ist nicht allzu hoch.

Man sieht das auch an der anderen Ausstellung zuseinem Werk, „Margiela, les années Hermès“, die geradeim Musée des Arts décoratifs stattfindet, keine zwei Kilo-meter Luftlinie entfernt. Kaat Debo, die Direktorin desModemuseums in Antwerpen, wo die Ausstellung zuerstgezeigt wurde, erzählt, wie minutiös Margiela selbst auchdaran mitgearbeitet habe: „Jedes einzelne Wort hat er im-mer wieder korrigiert, verworfen und kontrolliert, in einerunermüdlichen Akribie.“

Vielleicht ist das seine Reaktion auf den Dokumentar-film „We Margiela“ der Niederländerin Menna LauraMeijer, der von vielen als unglücklich, wenn nicht miss-glückt aufgefasst wird. Man konnte darin den Eindruckbekommen, Margiela selbst habe sich zwar im Haus aufge-halten, sei aber mehr damit beschäftigt gewesen, nichtin Erscheinung zu treten, als mit der Mode, die von denMitarbeitern allein entworfen worden sei.

Diese Auffassung zu korrigieren und zugleich an sei-nem Nachruhm zu arbeiten sind somit zwei wichtigeMotive für die Arbeit im Palais Galliera. Das verleiht derAusstellung eine besondere Bedeutung. Erst in den frühenMorgenstunden des Eröffnungstages hat er sich aus demMuseum gestohlen – nachdem er den weißen Teppich, derzu den Stufen des Palais hinaufführt und an seine ersteModenschau erinnert, selbst ausgerollt hat.

Manche der ausgestellten Stücke hat man noch nieaußerhalb seiner Modenschauen gesehen. Man kann esals Glücksfall bezeichnen, dass das Palais Galliera schon1990 angefangen hat, Margiela zu sammeln. Seine ersteMuseums-Ausstellung fand 1991 sogar hier statt als eineGruppenshow zusammen mit Jean-Paul Gaultier undVivienne Westwood.

Nun also ist erstmals systematisch Rückschau ange-sagt. Das muss ein seltsames Gefühl für einen Designersein, der durch das System gezwungen ist, dauernd nachvorne zu schauen. Mehr als die Hälfte der Teile stammenaus der Sammlung Galliera. Für weitere Stücke musste dasMuseums-Team bei Maison Margiela anfragen. Die Markegehört seit 2002 (und seit 2005 zu 100 Prozent) zur Holding„Only The Brave“ des Diesel-Gründers Renzo Rosso.Martin Margiela verließ 2009 sein eigenes Haus, ohne eineigenes Teil mitzunehmen.

Zu den Leihgaben der Marke kommen unzähligeLeihgaben von Privatpersonen hinzu, vor allem natürlichvon Mitgliedern der „Margiela-Familie“ wie seinem erstenModel Kristina de Coninck oder der langjährigenMargiela-Fotografin Marina Faust. Auch dadurch kommt dieseAusstellung ihm am nächsten, näher als die durchausgelungenen Retrospektiven im Modemuseum Antwerpen(2008), im Haus der Kunst in München (2009) oder imMuseum Boijmans van Beuningen (1997), als MargielaBakterien in die von ihm entworfenen Kleidungsstückeinjizieren ließ. Der entscheidende Unterschied: Er hat alleStücke, die hier gezeigt werden, selbst ausgewählt. Manwandelt, wenn man so will, durch seine Autobiographie.Manche Teile scheint er ausgewählt zu haben als Kommen-tar zu dem Dokumentarfilm, zu ehemaligen Verbündetenoder ehemaligen Mitarbeitern, die ihn heute teilweise

skrupellos kopieren, ohne ihm damit eine Referenz zu er-weisen. Und die damit sogar viel Geld verdienen. Er selbsthat erst Geld verdient, als er von 1997 bis 2003 nebenbeifür das Haus Hermès arbeitete.

Ein wichtiges Thema sind Perücken und Haare inden unterschiedlichsten Formen, die in einem aus sechsPerücken bestehenden Teil als Hommage an Sonia Rykielzu kulminieren scheinen. Die Gesichter seiner Models hater immer wieder hinter Strümpfen und Stoffen versteckt.Das hat sicher nicht nur damit zu tun, dass er Schnitteund Silhouetten besonders hervorheben wollte. Auch seinInteresse am Surrealismus spielt hinein.

Der Tabi-Schuh mit separatem Fach für den großenZeh steht gleich in der ersten Vitrine – als hätte er denFrauen von Anfang an eine neue und sichere Basis gebenwollen. In den großen Fußstapfen der Tabis verlieren sichlängst auch Vetements und John Galliano, der Nachfolgervon Margiela bei Maison Margiela. Überhaupt die Acces-soires, die wie dezente Interventionen wirken: Ringe auseiner Art Schnürsenkel, Hautbemalungen, ungewöhnlicheMake-ups wie um die Augen gemalte Sonnenbrillen, überdie jeweils echte Sonnenbrillen gesetzt wurden, die dannein Trompe-l’oeil-Gefühl beim Betrachter hervorrufen,wenn die Models die echten Sonnenbrillen in die Haarehochschieben, die gemalte Sonnenbrille aber weiter dasAuge umspielt. Solche Man-Ray-Fortsetzungen lassen er-

ahnen, dass Martin Margiela als Maler ausgebildet wurde,bevor er mit Mode überhaupt in Berührung kam.

Vieles ist hochaktuell: seine Vorliebe für Übergrößenzum Beispiel oder sein Faible für starke Frauen. JungeModels haben ihn noch nie interessiert, es geht ihm tat-sächlich um Frauen. Und so geht es in einem fort: Manstaunt über den greifbaren Zeitgeist, über das Feuerwerkan Ideen, über die Art, Geschichten zu einer Kollektionzu erzählen, bevor das „Storytelling“ im Marketing über-haupt erfunden war.

Mode um der Mode willen interessiert ihn nicht. SeineSaisons kann man nicht an Jahresangaben festmachen. InBrüssel hat er zu seiner inszenierten Abwesenheit gesagt,dass es ihm nicht darum gehe, geheimnisvoll zu erscheinen,dass er aber eine Distanz zur Modewelt empfinde. Modemache uns alle zu Opfern, der Rhythmus des Marktes seigeradezu unmenschlich. Er habe davon nicht mehr Teilsein wollen. Er wollte sich daraus befreien und will es bisjetzt. Viele scheint das zu berühren. In der Ausstellungherrscht eine beinahe andächtige Stimmung, ganz ohneden üblichen Fashion-Hype, ohne nervöses Fotografieren,sogar fast ohne Influencer. Birte Carolin Sebastian

MARTIN MARGIELAVERSTECKT SICH WEITER

UND LÄSST PUPPENFÜR SICH SPRECHEN

„Margiela/Galliera, 1989-2009“, Palais Galliera, Paris,bis zum 15. Juli 2018

„Margiela, les années Hermès“, Musée des Arts décoratifs, Paris,bis zum 2. September 2018

Verrückte Perücken: Die Ausstellung im Palais Galliera in Paris zeigt, dass der Modemacher Martin Margiela seinen revolutionären Reizimmer auch daraus bezogen hat, dass er keine Mode macht.

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19PORTRÄT

Man trifft ihn zum Tee. Josh Wood sitzt aufeinem tiefen Sessel in einem Café in Soho.Er gießt sich Milch in die Tasse, nimmtvon den Kanapees mit Lachs und Meerret-

tich, bestreicht einen Scone mit Marmelade und greiftzum Schluss dieser feierlichen kleinen Szene auch zu denbunten glasierten Kuchen, die hier den passenden Namentragen: fancy cakes. Es ist die Tee-Zeremonie der Briten,und Josh Wood ist Brite – einer der vielen Kreativen, dieschnell über sich hinauswachsen, die weiter in Londonbleiben, aber trotzdem auf der ganzenWelt an spannendenProjekten beteiligt sind. Die britische Hauptstadt scheintsolche Kreative besonders oft hervorzubringen, häufigerals viele andere Städte der Welt. In den sechziger Jahrenging es los, mit Musikern wie den Beatles, mit Models wieTwiggy, Modedesignern wie Mary Quant und einem Friseurwie Vidal Sassoon. Er war übrigens JoshWoods Lehrmeister.Aber dazu später.

Das Image der Briten, in Sachen Einfallsreichtum ganzvorne dabei sein zu wollen, hält sich bis heute. Josh Woodist ein schönes Beispiel dafür. Er ist Haarkolorist, einer derbesten und somit auch einer der teuersten. Zu den Mode-wochen, sagt er, sei er mittlerweile mehr in Mailand als inLondon tätig. „Sie haben hier kein furchtbar großes Budget.“Und er sagt, Gastlichkeit sei doch längst mehr als eineTasse Kaffee. Wood arbeitet mit verschiedenen Floristenund mit Künstlern zusammen. Der frisch gepresste Saft,den er serviert, soll den Haaren zu mehr Glanz verhelfen.Treue Stammkunden bekommen einen eigenen Schlüsselzu seinem sogenannten Atelier in Notting Hill, das wirk-lich eher ein Atelier als ein Salon ist. Dank diesem Ort unddiesem Mann bleiben Frauen wie Elle Macpherson, KylieMinogue oder Sam Taylor-Johnson blond.

Wobei der Kolorist der Stars nicht nur an diesem Ortarbeitet. Wohl genauso oft ist Wood unterwegs. Auch inChina will man nicht so gerne graue Haare sehen. Oder inSüdamerika. Josh Wood reist im Namen der Haarfarbeum die Welt. Nebenbei ist er auch noch Kreativ-Direktorfür Farben von Redken, das macht es nicht einfacher. „Ver-gangene Woche sagte ich zu einem meiner Mitarbeiter:Geh nach Hause und hol Deinen Pass, Du fliegst heuteAbend nach New York.“ Ein Spontan-Termin.

Josh Wood musste an dem Abend auch nach New Yorkfliegen, aber er quetschte noch eine Kundin in Boston da-zwischen. „Als ich dann später in New York meine Arbeitbeendet hatte und mich eigentlich auf zu Hause freute,sagte jemand, ich könne jetzt nicht fliegen, Coach wollenoch Farbe.“ Es war gerade New Yorker Modewoche, under musste mal wieder einer Marke beispringen.

Wood ist fast immer ohne Koffer unterwegs. Entwedernimmt sein Team alles mit, oder er schickt das Gepäckvor, oder er lässt die Notfallausrüstung gleich in den Häu-sern seiner Kunden. Er ist ja eh regelmäßig da.

Wer diese Hausbesuche bekommt, will er nicht sagen.„Es sind nicht unbedingt bekannte Personen, sondernsolche, die nicht in London wohnen, die nicht einfach einVisum bekommen und reisen können.“ Vorhersehbar seienseine Termine schon. „Im Dezember zum Beispiel bin ichimmer auf St. Barth oder in St. Moritz. Oder im Sommer:Südfrankreich, Sardinien. Ich sage Ihnen: Das Schlimmstesind für mich die Boote. Wenn ich irgendwo ankomme,um auf einem dieser Boote einen Termin wahrzunehmen,ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Boot schon wie-der weiter ist. Dann fange ich an, dem Boot hinterher zureisen. Nach Sardinien weiter über Italien nach Kroatien.“

Es klingt wie das glamouröse Pendant zu einer Reisemit der Deutschen Bahn, wenn es mal nicht so gut läuftund man von Frankfurt nach Hamburg über Köln fahrenmuss. Die Kundinnen seien oft Russinnen, Inderinnenund Chinesen, Männer und Frauen. „In China ist es nor-mal, dass sich auch Männer die Haare färben lassen. Fürmich ein doppelter Markt.“ Josh Wood lächelt. Der Un-sicherheit seiner Kunden, für die er um den Erdball fliegt,begegnet er mit großer Freundlichkeit, mit Wärme.

Aber alles macht er nicht mit. Zwei Tage vor Weih-nachten sollte er noch mal in St. Moritz vorbeischauen.Wood flog also nach Zürich, die Koffer waren nicht da. Erzögerte keine Minute und saß im selben Flieger zurücknach London. Auf die Koffer warten und riskieren, alleinein Zürich Weihnachten zu feiern? „Einsam, nur für mich,Weihnachts-Kracker aufreißen?“ Sich die Knallbonbonsentgehen lassen, mit denen Briten traditionell die Festtagebegehen? Nicht einmal Strähnchen sind das wert. Einearme Dame wird in den Schweizer Bergen also mit grauemHaaransatz gefeiert haben.

Josh Wood ist Haarkolorist.Mit seinen Farben passt er

in eine Welt, in der Bilder nochwichtiger werden.

Von Jennifer Wiebking

Rot bis blond: MitDavid Bowiearbeitete Josh Woodin den Neunzigernzusammen. Zuseinen Kundenzählen bis heute ElleMacpherson (Mitte)und Jemima Khan.

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20 PORTRÄT

Immerhin montags, dienstags und mittwochs versuchter meistens, in London zu bleiben. Bis zu 15 Kundenschafft er dann am Tag. Wenn es gut läuft, hat er morgensschon ein Workout hinter sich, um 6.30 Uhr, spätestensum sieben Uhr. Wood bricht ein Stück eines fancy cakesmit Schachbrettmuster in Gelb und Pink ab. Er kann sichdas erlauben.

„Psycle, hier an der Regent Street, ich bin besessen.“Also von seinem Workout. Es ist die Londoner Variantevon Soul Cycle aus Amerika, eine besonders intensiveSpinning-Stunde. „Ich trinke nicht, ich gehe kaum feiern.Dieses Gruppenerlebnis einer Cycle-Stunde ist meine Artvon Nachtclub.“ Oder er liegt um 6.30 Uhr auf einer Yoga-Matte. Davor ist er schon mit dem Hund rausgegangen.Sein Partner ist Lehrer in East London. Privat bleibt er aufdem Boden – anders, als man das angesichts seiner Kundenund seiner Aufträge vermuten würde.

So wuchs er auch auf. Zum Friseurhandwerk kam erjedenfalls nicht, weil er schon als kleiner Junge an denHaaren von Schwestern oder Nachbarinnen herumexperi-mentiert hätte. „Ich habe die Haare von anderen Leutenniemals angefasst.“ Wood brauchte vielmehr Geld, undeine Freundin empfahl ihm den Salon in seiner Heimat-stadt Barnsley, in Nordengland, man verdiene dort zehnPfund die Stunde. Es begann simpel. „Ich war da, um denBoden zu fegen.“ Nach einer Weile ließ man ihn doch andie Haare, und er hatte Großes damit vor. Aber Barnsleyist eine Stadt, die früher vornehmlich vom Kohlebergbaulebte. Dort verstand man Woods Haar-Konzepte nicht sorecht. Schnell wurde er gefeuert.

Aber da war er schon angefixt vom Dasein als Friseur.„Ich sah es als Karriere, nicht als Job.“ Er bewarb sich ineinem Vidal-Sassoon-Salon in Leeds. Dort merkte manschnell, dass Wood Haare schneiden kann, aber dass esihm eigentlich um Farbe ging. Man schickte ihn nachLondon, in den Salon an der South Molton Street, insZentrum der Vidal-Sassoon-Welt, an die Seite des Meisters.Wood kam mit 20 Pfund in der Tasche an. „Gut, es warendie frühen Neunziger. 20 Pfund brachten einen damalsweiter als heute. Aber diese Welt fühlte sich für mich trotz-dem erst einmal sehr fremd an.“ Er wird nicht lange ge-braucht haben, um sich an sie zu gewöhnen. Über einen

Freund lernte er David Bowie kennen, bei einemAbendessen.„Natürlich wusste ich, wer er war und interessierte michfür Musik, aber die Promi-Kultur ging weitgehend an mirvorbei.“ Bei dem Abendessen einer Freundin sprachenBowie und Wood über eine Ausstellung. „Er sagte, diewürde er gerne sehen, und ich sagte: Komm einfach mitmir.“ Das war 1995. Und weil er auch Bowies Frau Imanschon kannte, war die Freundschaft zwischen dem Friseurund demMusiker besiegelt.

Dann bat Bowie ihn, mit auf Tournee zu gehen, umdirekt mit ihm arbeiten zu können. Die roten Haare, dieer auf dem Cover seines Albums „Earthling“ trägt, sindvon Josh Wood gefärbt. „Damals war das nichts Außer-gewöhnliches für mich“, sagt Wood. Ein Freund schickteihm vor kurzem ein Video von seiner Geburtstagspartyaus dieser Zeit, in einem Londoner Club. „David Bowiesingt für mich ‚Happy Birthday‘. Das hatte ich total ver-gessen. Aber vielleicht bin ich auch deshalb mit Prominentenrecht erfolgreich: Ich behandle sie wie jeden anderen auch.Bei uns im Salon sitzt Mrs. Smith neben Dido.“

Wood arbeitete damals oft in New York, wo man dasThema Körperpflege schon auf ein anderes Niveau ge-bracht hatte. „In Europa galt es lange als notwendigesÜbel. Wer besuchte früher schon einen Salon? In derNachkriegszeit tat das meine Großmutter, die sich dorteinmal die Woche die Haare machen ließ.“ In den frühenNeunzigern, in New York, sah er dann wieder Frauen, dieähnlich regelmäßig zum Friseur gingen, um sich die Haareföhnen zu lassen. „Plötzlich galt das als etwas furchtbarGlamouröses. Wenn es früher schlechter Stil gewesenwäre, zu oft und zu lange beim Friseur zu sitzen, dann istheute jeder zweite Laden in London ein Nagelstudio odereine Blowdry-Bar“ – ein Laden also, in dem man sich dieHaare vernünftig in Form föhnen lässt.

Im Jahr 1999 eröffnete Wood seinen ersten Salon inLondon, Real Hair. Das Thema zog. Glätteisen von GHDwurden zu Schätzen der Frauen, Stilvorbild war Rachel aus„Friends“. „In den vergangenen Jahren hat der Wunschnach besonderen Frisuren noch mal zugenommen“, sagtWood. „Das muss auch an den sozialen Medien liegen.“Mit seiner Farbe passt er in eine zunehmend auf Bilderreduzierte Welt. Wood sagt, viele seiner Kunden seien nunoffen dafür, über besondere Farben nachzudenken. „Haarein Pink oder Platinblond sind heute Smalltalk-Themen.“Und es seien auch keine Trends mehr, sondern Farben, andie sich Frauen allen Ernstes herantrauten. „Als ich an-fing, und eine Frau ließ sich zum ersten Mal auf Farbe ein,behielt sie die oft den Rest ihres Lebens.“

Grau sei zudem zu einer echten Bewegung geworden,nicht weil es das Alter will, sondern weil man sich dasGrau eigens so färben lässt. Auch Wood trägt so ein Grau.Gerade ist er 50 Jahre alt geworden. „Manchmal kann essogar aufwändiger sein, als die Haare braun zu färben.“

Auch auf den Laufstegen ist die Idee angekommen,dass man die Haarfarbe wie ein Accessoire trägt. Ent-sprechend hat Josh Wood während der Schauenwochenzu tun. So war er mit den legendären Dreadlocks in Pinkbei Marc Jacobs vor anderthalb Jahren beschäftigt, diewunderschön aussahen, aber das Thema der kulturellenAneignung maßgeblich mit anstießen. Oder bei Versacevor einem Jahr: Die Models sollten Strähnen in Orange,Blau, Rot tragen, falsche Haarteile, die sie kurz vor derSchau in die natürlichen Haare klebten. Die ganze Nachtwar Wood mit seinem Team am Färben. „Donatella kamständig rein und sagte: knalliger, knalliger.“

Vor allem für Frauen sind Farben gerade so wichtig.Aber die Fachleute, die diese Looks erdenken und erschaffen,die Frauen dazu bringen, sie zu tragen, sind, let’s face it,meistens Männer. Noch immer. „Es ändert sich“, sagt JoshWood und nippt noch einmal an der Teetasse.

Josh Wood hat keine Eile, es ist ein Samstag, und erspricht einfach zu gerne über Haare. „Zu Zeiten meinerGroßmutter waren es sogar vornehmlich Frauen. Dasänderte sich dann in den Siebzigern.“ Ausgerechnet: DieGeschichte des Friseurhandwerks verläuft antizyklisch zurEmanzipation der Frauen. „Und schwule Männer habendas Geschäft dann maßgeblich verändert. Sie sind Männer,aber zugleich nette Freundinnen.“

In seinem Salon sitztMrs. Smith nebenStars, sagt JoshWood – also nebenKylie Minogue(oben), JanuaryJones (Mitte) oderDido (unten).

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ZAUBERSPIEGEL

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Bin ich schön? Der Blick ins Ebenbild gibt dieAntwort. Und die Spiegel selbst? Wir reflektieren über

16 Entwürfe, die sich sehen lassen können.Von Peter-Philipp Schmitt

DESIGN

FUSILLI ist ein beweglicher Spiegel, der auch an derWand befestigt werden kann. Er lässt sich beidseitigverwenden – als Normal- und Vergrößerungsspiegel. DerEntwurf stammt von den Benedinis. Vater Giampaolo,Mutter Bibi und Tochter Camilla haben schon vieleProdukte für ihr Familienunternehmen Agape entwickelt.

FRANCIS mit seinen vielen Farben hat die FranzösinConstance Guisset für das junge Design-Label PetiteFriture entworfen. Ihre Inspiration waren Farben, die sichin Wasser auflösen. Die vermeintliche Eintrübung, diewie eine altersbedingte Oxidation des Spiegels aussieht, istdigital auf die Rückseite der Glasoberfläche gedruckt.

SCIE ist das französische Wort für Säge. Der mit Zähnenversehene Spiegel (Domestic) besteht nicht aus Glas,sondern aus Kunststoff. Ausgedacht hat ihn sich dasDesignstudio Big-Game in Lausanne, das der FranzoseAugustin Scott de Martinville, der Belgier Elric Petit undder Schweizer Grégoire Jeanmonod 2004 gegründet haben.

DI DI nennt sich ein System aus zusammensetzbarenMetallelementen, das vom italienischen Designer-DuoAlberto Basaglia und Natalia Rota Nodari für YDFentworfen wurde. Die Spiegel mit Ablageflächen und dieGarderoben bestehen aus poliertem oder pulverbeschich-tetem Stahl in neun verschiedenen Farben.

SHIMMER hält, was der Name verspicht: Der Spiegel ausbesonders leichtem Glas schillert je nach Blickwinkel undLichteinfall in vielen Farben. Das hängt zum einen ander Beschichtung, zum anderen an seiner Form. Die Ideedazu hatte Patricia Urquiola, die für den Hersteller GlasItalia auch einen schimmernden Tisch entworfen hat.

SPIN ist ein weiteres Produkt aus dem Haus Agape.Der italienische Hersteller, 1973 von der Familie Benedinigegründet, ist ein Spezialist für Bäder, und dazu gehörenauch Spiegel. Dieser besteht sogar aus zwei Spiegeln (einermit Vergrößerungseffekt), lässt sich am Rahmen ausBirkenschichtholz ausrichten und in der Höhe verstellen.

FRÜHLING gehört zu einemVier-Jahreszeiten-Set, dasdurch die Teekanne Sommer,den Weinkrug Herbst undden Kerzenleuchter Winterkomplettiert wird. Diezerbrechliche Kollektion hatHella Jongerius für diePorzellan-Manufaktur Nym-phenburg entworfen. Dabeihat sie sich an alten Dekorender mehr als 250 Jahre altenMünchner Marke orientiert.

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ECLISSI bildet eine Eklipse nach, bei der sich die Sonnevor den Mond schiebt und Finsternis herbeiführt. Auchbei dem Entwurf des in Ungarn geborenen DesignersGergely Ágoston für Agape überlappen sich zwei Spiegel.Der kleinere lässt sich um den größeren drehen, so dassauch zwei unterschiedlich große Personen sie nutzen können.

ARCH schafft eine optische Täuschung. Der Spiegelscheint zugleich eine Tür zu sein, die einen Spaltbreitoffen steht – dabei fällt nur ein „Schatten“ auf dieOberfläche. Die funktionale Illusion hat das New YorkerStudio Bower, von Danny Giannella und Tammer Hijazigegründet, für die Pariser Galerie Triode entworfen.

GUILT wiegt mehr als 80 Kilogramm. Der stacheligeSpiegel aus gehämmertem Metall mit einem Durchmesservon 1,60 Metern soll „Glamour“ ins Haus bringen – wiealle Entwürfe von Janet Morais. Sie hat vor einigen Jahrendie New Yorker Marke Koket gegründet, die auch denGeschmack eines Donald Trump treffen dürfte.

SATURNO lässt sich beleuchten, die LEDs können mitdem Handy bedient werden. Der Spiegel aus bronziertemGraphit stammt von Matteo Nunziati (Natevo). DerItaliener wollte ein Kunstwerk schaffen. Das zeigt sich vorallem am Rahmen, der mit flüssigem Metall von Handgegossen wird, so dass jeder Spiegel ein Unikat ist.

HULI ist der Name eines Volksstamms in Papua-Neu-guinea. Seine Mitglieder bemalen ihre Gesichter auffällig,um Feinde zu beeindrucken. Davon haben sich JoaquimPaulo und Eduardo Silva, die Designer der portugiesischenMarke Brabbu, inspirieren lassen und diesen großen(Durchmesser: 1,20 Meter) Messingspiegel gestaltet.

VANITY ist zweigeteilt. Der Rahmen aus Stahl steht aufdem Boden, das Glas hängt an der Wand. Das polierteMetall reflektiert dabei mindestens so stark wie der leichtgebogene Spiegel. Der optische Effekt sei märchenhaft, soDesigner Alessandro Dubini, der bei seinemWerk (Lema)wohl an die eitle Stiefmutter von Schneewittchen dachte.

D.950.1 wurde von Molteni & C neu aufgelegt. DerMailänder Designer Gio Ponti (1891 bis 1979) hat dieunterschiedlich großen Spiegel 1950 entworfen. JederRahmen besteht aus weiß handlackiertem Kernholz desTulpenbaums, der zu den Magnoliengewächsen gehört.Die Rahmen gibt es auch ohne Spiegel, für Bilder.

HAIKU lässt sich indirekt mit LEDs beleuchten. Siewerden mit einem Sensor aktiviert, der durch eineeinfache Fußbewegung ausgelöst wird. Sebastian Desch,Chefdesigner von Team 7, hat den Spiegel konzipiert –und eine Garderobe mit gleichem Holzrahmen dazu.Die beiden stehen oder hängen am besten nebeneinander.

OFFICINA steht auf vonHand geschmiedetenBeinen. Der Spiegel desfranzösischen BrüderpaarsRonan & Erwan Bouroullecgehört zu einer Kollektionmit Tischen, Stühlen,Bänken, Hockern, Kleider-und Kerzenständern. DasEisen wird in Torre di Mostogeschmiedet, wo auch deritalienische HerstellerMagis ansässig ist.

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24 SCHÖNHEIT VOLL

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DARIA REZAI wurde inBamberg geboren und istin Frankfurt aufgewachsen.Die Zweiundzwanzigjährigehat iranische Wurzeln. Aufdie Frage, wie sie Schönheitdefiniert, reagiert sie nach-denklich. „Wenn man einguter Mensch ist, dann strahltdas schon viel Schönheit aus.“Was die äußerliche Schönheitbetrifft, achtet sie auf das Ge-samtbild. Dabei spielen Augen,Nase und Lippen eine Rolle.Für ihren eigenen Look hat sieheute 20 Minuten gebraucht.„Ich bin trainiert“, sagt sieund lacht. Sie schminktsich, seit sie 14 Jahre alt ist.Bei ihren ersten Versuchenhatte sie einen orangefarbenenTeint mit einem Kajalstrich,der ihr nicht stand. Auf ihreSeidenwimpern möchte sie inZukunft verzichten: zu nervig.Für den Urlaub in Thailandhat sich die Studentin derBiomedizinischen ChemieGel-Nägel machen lassen.Ihre Stärken liegen in denNaturwissenschaften, und dasie Labore „cooler“ findet alsKrankenhäuser, war die Sacheklar. Geschenkt, dass das eineher männerdominierter Berufist. „Wenn ich’s kann, dannkann ich’s.“

ALICIA LISHCHUK sindeine reine Haut und ein guterTeint wichtig „Es klingt viel-leicht komisch, aber ich magauch eine schöne Augenform“,sagt die Neunzehnjährige.„Das kann man mit einemEyeliner schaffen oder mitaufgesetzten Wimpern.“ Dieangehende Friseurin hat ihrenLidschatten mit Rouge undeinem Bronzer selbst gemischt.Neben Foundation und High-lighter trägt sie aufgeklebteSeidenwimpern. Ihre Make-up-Utensilien hat sie immerbei sich, in ihrer Handtasche.Die Frankfurterin, derenVater aus Deutschland undderen Mutter aus der Ukrainestammt, achtet auch auf ihreNägel. Dabei müssen es nichtimmer lange Gel-Nägel sein.„Es kann auch Tage geben,an denen sie kurz sind. Siemüssen aber immer lackiertsein.“ Ohne getuschte oderaufgeklebte Wimpern gehtAlicia Lishchuk niemals ausdem Haus. Für ihren Lookbraucht sie Zeit. Allein für ihrMake-up sitzt sie eine Stundevor dem Spiegel. Wenn ihreHaare noch gestylt werdensollen, sind es schnell zwei.Schönheitseingriffe? Hatsie noch nie vorgenommen.Offen dafür ist sie aber.

25SCHÖNHEIT

Warum wir? Das fragtenviele der jungen Frauen undMänner, die wir auf derStraße angesprochen haben.Weil es um ein anderesVerständnis von Schönheitgeht. Die migrantischeCommunity zeigt es uns.Fotos Lottermann and FuentesTexte Cigdem und Meltem Toprak

eidenwimpern. Aufwendig frisierte Haare. Mar-kant zurechtgezupfte Augenbrauen. Lange Gel-Nägel. Ein verschönerter Bart. Das alles istBombe. Bombe bedeutet für viele junge Men-schen mit Migrationshintergrund in Deutsch-

land mehr als etwas ganz Tolles. Mit einem Bomben-Looksuchen sie nach Anerkennung für kulturelle Identitäten.Der Bomben-Look ist auch eine stille Rebellion gegenvorherrschende Schönheitsideale. Bombe ist deshalb auchals Kompliment gemeint, für Männer, für Frauen, dieauffällig schön sind und mit ihrer Attraktivität Aufmerk-samkeit auf sich ziehen.

Es ist somit auch der Gegenentwurf zum allgemeinenSchönheitsverständnis der deutschen Gesellschaft. Natür-lichkeit ist ihnen nicht auffällig genug. Mit kleinen Tricksund der richtigen Kosmetik betonen diese jungen Men-schen stattdessen ihren kulturellen Hintergrund.

Fast alle, die wir für diese Geschichte in Frankfurttrafen, treten sehr selbstbewusst auf, ob auf der Einkaufs-straße Zeil, in der Shisha-Bar „Shishantash“, an der Konsta-blerwache, auf der Tanzfläche im „Club Adlib“ an derHanauer Landstraße oder beim Shopping in Zara undDouglas, wo wir sie bei unserem Street-Casting zusammenmit den Fotografinnen Vanessa Fuentes und Nada Lotter-mann gescoutet haben. Dennoch waren viele verunsichert,dass sie in diesem Magazin zum Thema Schönheit porträ-tiert werden sollten. Viele lehnten ab. „Warumwir?“, fragtenauch Andrea Cavallo und Santiago Salemme, die nacheinigen Bedenken doch noch zusagten. Auch Jakov Pavicglaubte während des Shootings zunächst, dass es sich umein Video-Prank handele. „Moment mal, Du bist dochTürkin“, sagte Santiago Salemme, „warum arbeitest Dudann für eine deutsche Zeitung?“

Die jungen Menschen, die wir trafen, wollen nichtübersehen werden. Aber wenn sie gesehen und besehenwerden, reagieren sie – bei aller Freundlichkeit – miss-trauisch. Die Befürchtung, dass sie in deutschen Medienin ein schlechtes Licht gesetzt werden, war bei vielen groß.Sie verbinden gutes Aussehen mit einem guten Lebens-gefühl – in einer Gesellschaft, in der sie sich oft unwohlfühlen, allein aufgrund ihres Äußeren.

Oft genug stößt der Bomben-Look aber auch in ihrenHeimatländern auf Irritation und Ablehnung. Währendman den Look in der Türkei als „almanci“ abwertet, kon-notieren ihn Menschen in den migrantischen Communitysin Deutschland oft als „kanakisch“. Dabei ist der Schön-heitsstil dieser jungen Frauen und Männer, die sich denmigrantischen Milieus zugehörig fühlen (ob deutsch odernicht-deutsch), geradezu revolutionär. Denn die Trendsvon morgen werden in Städten wie Frankfurt gesetzt, inurbanen Zentren, die reich sind an ethnischer und kultu-reller Vielfalt.

EMEN ABDULLAH istgerade dabei, mit seiner KusineNegin ein Snapchat-Video zudrehen. Der Siebenundzwanzig-jährige mit afghanischenWurzeln kommt aus Oberursel.Er macht sich gerade miteinem ambulanten Pflege-dienst selbständig. GutesAussehen ist ihm sehr wichtig.„Kleider machen Leute.“ Ihmist aufgefallen, dass Menschenschnell Vorurteile haben. IhrGegenüber nehmen sie anderswahr, wenn es gut aussieht.Einmal die Woche geht EmenAbdullah also im Bahnhofs-viertel zum türkischen Friseur,zwei Mal im Monat insSolarium. Er treibt Sport undcremt sich jeden Morgen ein,mit Nivea Creme for Men.Zehn bis 15 Minuten brauchter, um sich schön zu machen.Sein Vorbild: George Clooney.„Der ist ein Mann mit Stil undKlasse. Er ist kein Hipster,sondern immer gut angezogen,klassisch, schön männlich.“

ELINA KATYAL studiertWirtschaftsingenieurswesenin Darmstadt und pendeltzur Zeit aus Bingen. In Kabulgeboren, kam sie im Alter voneinem Jahr mit ihrer Familienach Deutschland. Im Alltagist die Zweiundzwanzig-jährige stets ungeschminkt,im Schlabberlook. „Ich findemich ungeschminkt hübscherund fühle mich wohler. Aberin einem Club kommt dasein bisschen blöd, wenn manso rumläuft.“ TonnenweiseSchminke aufs Gesicht zuklatschen bringe ja nichts,wenn nicht auch das Inneredes Menschen gut aussehe.„Ohne Make-up sieht niemandso aus“, sagt sie und zeigt dabeiauf ihr stark geschminktesGesicht mit falschen Wimpern.Der Look ist gerade in Mode.Trotzdem ist Elina Katyalnicht der Meinung, dass diesesSchönheitsverständnis in derdeutschen Gesellschaft auchakzeptiert werden muss.

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26 SCHÖNHEIT

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SCHÖN

ANNABELLA MICK hatgerade Abitur gemacht, Leis-tungskurse Mathe und Sport.Bald fängt sie mit dem Studi-um an. Die Neunzehnjährigegeht gerne in Shisha-Cafésoder in Clubs wie das „Adlib“.Viele Freunde der gebürtigenDeutschen haben ausländischeWurzeln, sie verortet sich ineiner Welt, die kulturell undethnisch gemischt ist. DieSchönheitsideale der migran-tischen jungen Frauen findetsie „richtig schön“. Sie sagt:„Mädchen sind hübscher, dieein bisschen südändlischeraussehen, die vollere Augen-brauen haben, volleres Haar,dunklere Augen.“ AnnabellaMicks Haare sind trotzdemblond. „Eigentlich sind deut-sche Frauen natürlich. Ich jetztnicht. Ich bin auch deutsch,aber ich bin nicht natürlich.“Sie lacht. Ihre Mutterbeschreibt sie als „komplettnatürlich“. Sie sagt, dieTochter solle sich nicht soschminken, aber zur Schuleging Annabella Mick nur mithergerichteten Augenbrauen,für die sie genau acht Minutenbraucht.

ABDERRAHIM ELOMMALI ALIAS ABDIgehört mit Celo zum Frank-furter Rapperduo Celo &Abdi. Er glaubt, dass er beiFrauen wegen seines Erfolgsgut ankommt. Wichtig istihm, dass seine Fingernägelkurz und sauber sind. Außer-dem cremt er sich wegen seinertrockenen Haut oft die Händeein. Tattoos hat er nicht.Seinen Bart trägt er „klassisch“.Sein Vater ist ihm ein Vorbild,auch in Sachen Stil. SeineAugenbrauen lässt er seitkurzem wieder zupfen. DerDreißigjährige hat Erfahrung:Schon in der achten Klassehat er sie mit einem Freundgegenseitig bearbeitet, miteinem Schweizer Taschen-messer. Man wollte „Gigo“sein, attraktiv, bei Mädelslanden. Vor diesem Shootingtrug er nach einem langenDampfbad im Fitnessstudioauch eine Matcha-Maske auf.Hat er bei dm gekauft undes auf Instagram seinen Fansgezeigt. Schönheit bedeutet fürihn Charakter. Ein Charakter,der ehrlich und humorvollist, wenn jemand hier und damal einen Witz „droppt“.

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TAMARA TRAN wurde inFrankfurt geboren. Ihre Elternkommen aus Vietnam. Ihr lan-ges schwarzes Haar hat sie sichblond gefärbt. Ein Marken-zeichen. Muss man haben.Wenn es um Make-up geht, istsie perfektionistisch. Also mussalles „symmetrisch, sauber undebenmäßig sein, typbedingt“.Es klingt wie aus einer Rekla-me, aber es ist der Anspruchder Dreiundzwanzigjährigen.„Es muss halt immer zumCharakter passen.“ Was gehörtzu einem Beauty-Look dazu?Falsche Wimpern? Lippenstift?„Was mir am wichtigsten ist,sind Augenbrauen. Ohne ge-malte Augenbrauen würde ichnicht aus dem Haus gehen.“Wenn die Lehramtsstudentinin der Grundschule arbeitetoder in die Uni geht, ist sie bisauf die Augenbrauen immerungeschminkt. Ihren Schülernsei das ohnehin egal. Schiefangeguckt werde man aber vonKollegen, wenn man falscheWimpern oder Gel-Nägelträgt. Sie orientiert sich mehran westlichen Schönheits-idealen, würde aber gernemehr Vielfalt in Deutschlandsehen, auch in den Medien.

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28 SCHÖNHEIT

ILYAS D. ist erst 22 Jahre alt,hat sich aber schon selbstän-dig gemacht. Gemeinsam mitseinem Freund vertreibt erPrintprodukte wie beispiels-weise Stadtpläne. Dem Hotel-kaufmann macht das Verkau-fen Spaß. Was Schönheit undStil angeht, nimmt sich derFrankfurter seinen Vater mitalgerischen Wurzeln als Vor-bild. „Der Herr ist mittlerweileüber 50 Jahre alt und putztsich noch raus.“ Wie lange erselbst im Bad braucht, um sichschön zu machen? „Boah, mitDuschen und so? Komplett-paket? Vierzig Minuten so.Die Haare dauern lange.“ Mitder Kurzhaarfrisur war früheralles einfacher. „Nur mit demHandtuch drüber.“ Seine Haarevertraut er „Friseur Said“ ander Konstablerwache an. „Derbeste Friseur in Frankfurt!“Die Augenbrauen von Ilyas D.sind ungezupft, seine rechteAugenbraue ziert eine Narbe.

29SCHÖNHEIT

ANDREA CAVALLO sagt:„Es ist wichtig, gut auszu-sehen, um bei Frauen an-zukommen.“ Seine Mutterist italienische Albanerin,sein Vater hat spanische unditalienische Wurzeln. DerAchtzehnjährige wurde inDeutschland geboren, fühltsich aber als Italiener, denner hat dort sieben Jahre mitseiner Familie gelebt. Wenn esum seinen Haarschnitt geht,vertraut er „Coiffure Ajabli“an der Konstablerwache. Dortlässt er sich auch die Augen-brauen in Form bringen undden Bart schneiden. Wasdas äußere Erscheinungsbildbetrifft, sieht Andrea Cavalloeine Ähnlichkeit zwischenArabern, Türken und Italie-nern. Er selbst zählt sich zu dermigrantischen Community.„Fast alle meine Kollegen sindAusländer.“ Für seine alltäg-liche Schönheitspflege cremter sich oft mit Nivea Soft ein,benutzt Parfum und Roll-on-Deo. Heute sind seine sonstmit Wachs frisierten Haarekaum zu sehen. Seine Kappeträgt er aber nicht oft. „Das istnur heute so, weil ich geradeaus dem Fitti komme.“ Alsoaus dem Fitnessstudio.

EROL HUSEINCEHAJICALIAS CELO ist Sohnbosnischer Einwanderer. Bevorer mit seinem Kumpel Abdidas Rapduo Celo & Abdigründete, versuchte er sichmit einem Studium, das erjedoch abbrach. Der Sechs-unddreißigjährige bezeichnetsich als „Frankfurter Jungen,der rappt“. Was sein Aussehenbetrifft: Jeder Rapper sehe sichals „der sexyste, denn sonstwäre man ja kein Künstler“.Sein Selbstbewusstsein sei seinCharisma. Von Frauen höreer oft, er habe schöne blaueAugen. Seine Glatze hat er zuseinem Pseudonym gemacht:Glatze heißt auf BosnischCela. Die Kappe von Gucci?„Wegen der guten Qualitätund weil ich das Muster schonseit langem feiere. Wenn duSelbstbewusstsein hast, dannhast du auch automatischinnere Schönheit, automatischAusstrahlung, automatischkannst du Makel wie gelbeZähne oder dunkle Augenringevertuschen.“

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30 SCHÖNHEIT

JAKOV PAVIC trägt einenkroatischen Namen. Erkommt aus Frankfurt undstudiert Business Manage-ment. Ist ihm gutes Aussehenwichtig? Die Antwort fälltknapp aus: „Muss schon.“Bevor er rausgeht, duscht er,gelt sich das Haar mit gut-riechendem Wachs und achtetauf die Schuhe, vorzugsweiseSneaker. „Maske“, ruft Daria.Das Mädchen an seiner Seiteist seine Fast-Freundin.Erst bestreitet der Zweiund-zwanzigjährige die Kosmetik,dann gibt er zu, dass er sie sichbeim Friseur auftragen lässt:„Picasso in Höchst, besterMann, ich supporte, gehtalle zu Picasso. Er schneidetbrutal!“ Stilvorbilder aus demSport hat er nicht, aber erinteressiert sich für Basketballund Fußball. Zur Zeit gehter nur ins Fitnessstudio. Ermöchte für sich selbst gutaussehen. Wie seine Freundeaussehen, juckt ihn nicht.Mit ihnen sitzt er oft in einerShisha-Bar im Ostend. Wennes danach noch in den „BelleClub“ an der Hanauer Land-straße gehen soll, machen sichdie Jungs auch feiner zurecht.

EVELYN SCHWERT machtgerade Abitur. „Schönheitbedeutet für mich, Schönheitauszustrahlen.“ Falsche Wim-pern verwendet die Achtzehn-jährige nicht. „Es steht mirnicht, und ich kann sie auchnicht aufkleben.“ Ihre Natur-locken glättet sie oft. Inwiefernihre russischen Wurzeln ihrSchönheitsverständnis beein-flussen, kann sie nicht sagen,sie war noch nie in Russland.Stattdessen versteht sie sichzu 50 Prozent als deutsch, zu50 Prozent als „kanakisch“,wie sie es sagt. „Man siehtmir an, dass ich ausländischaussehe.“ Ungeschminkt fühltsie sich oft nicht schön. Den-noch, an Schultagen deckt sienur Pickel ab und tuscht ihreWimpern. Abends, im Club,ist sie stärker geschminkt. IhrStilvorbild: Kylie Jenner.

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SANTIAGO SALEMME istSales-Coach-Trainer bei einemgroßen Mobilfunkanbieter.Die Mutter des Achtzehnjäh-rigen kommt aus Barcelona.Er legt Wert auf ein gepflegtesÄußeres. „Schönheit ist mirsehr wichtig. Männer sollenschon ordentlich unterwegssein.“ Dazu zählen für ihn eingepflegter Bart und frisierteHaare. „Dafür gehe ich zumFriseur, glasklar.“ Ob seineAugenbrauen gezupft wordensind? Das möchte SantiagoSalemme erst nicht zugeben,lacht aber und sagt dann:„Ja, sind sie.“ Zu seinem all-täglichen Look gehören auchBling-Bling-Ohrringe. Wennes um das Aussehen geht,nimmt er sich den kolum-bianischen Sänger Malumazum Vorbild. Und jemandaus Deutschland? Den kur-dischen Rapper Azzi Memoaus Hanau bewundert erfür sein Aussehen.

NEGIN BEDAR sagt: „Mirist es als Frau sehr wichtig,schön auszusehen. Ich machemich nicht schön für andereMenschen, sondern für michselbst.“ Die Sechsundzwan-zigjährige ist in Deutschlandgeboren und aufgewachsen,aber sie sagt, sie sei Afghanin.Und sie macht alles, damit siesich in ihrer Haut wohlfühlt,dazu gehören auch ästhetischeund operative Eingriffe. DieLippen hat sie sich untersprit-zen, die Nase richten lassen.„Sonst nichts.“ Auch ihreWimpern sind „drangemacht“.Zum Beauty-Look gehörenWimpernverlängerungen,Maniküre und Pediküre. „Eingepflegtes Äußeres muss sein.“Viel Zeit für ihr aufwendigesMake-up benötigt sie nicht.Heute waren es 30 Minuten.„Übungssache! Ich mache dasjeden Tag“, sagt die gelernteHotelfachfrau. Ob sie amArbeitsplatz mit Vorurteilenwegen ihres Make-ups zukämpfen hat? „Nein, gar nicht.Die Hoteldirektorin liebt es.Ich bekomme auch viele Kom-plimente von Gästen, denenmeine Nägel und Wimperngefallen.“ Inspiriert dazu hatsie der Kardashian-Clan. „KimKardashian finde ich mega.Sie ist eine Frau, von der ichsage: Sie ist der Wahnsinn.“

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32 SCHLAF

in wenig fühlt es sich so an,als würde man über demHamburger Hafen schweben,hier oben im Konferenzraumdes Bürogebäudes, in bester

Lage direkt am Fischmarkt. Durch großePanoramafenster kann man den Blick übervorbeituckernde Dampfer schweifen lassen,über bedächtig schwenkende Kräne unddie Wellen. Fast ist es so, als könnte mansie hören, wie bei diesen Apps, die Meeres-rauschen als Einschlafhilfe empfehlen.Entspannend ist die Weite und die Ruhedes Wassers jedenfalls schon mal. Es istdeshalb ein guter Rahmen für das, woranJessica Hoyer hier arbeitet: Bynacht, eineKosmetiklinie für schönen Schlaf.

Kopfkissensprays, Anti-Stress-Augen-cremes, Entspannungsbalsams: Viele ausge-schlafene Unternehmen lancieren Produkterund um den Schönheitsschlaf. HoyersHamburger Neugründung, die sich der er-holsamen Nacht verschreibt, ist allerdingsaußergewöhnlich. Bynacht gibt es erst seitOktober 2017, aber Jessica Hoyer dachte

von Anfang an groß. Sie beginnt mit einemstattlichen Sortiment aus 13 Tiegeln undFlakons, vom Reiniger über Feuchtigkeits-spender bis zu Serum, Augencreme, Anti-Aging-Creme, Öl. Eine ganze Menge füreine junge Marke. „Alle haben gesagt, dubist verrückt, übernimm dich nicht. Abermir war wichtig, dass Bynacht für jeden dasProdukt parat hält, das man sich von einerNachtlinie verspricht.“

An hanseatischem Kaufmanns-Genfehlt es der gebürtigen Hamburgerin nicht,an Professionalität auch nicht. Mit den hel-len blonden Haaren und dem strahlendenTeint wirkt sie, als würde sie ihre Produktenachts inhalieren. Die Unternehmerin siehtausgeschlafen aus. Hoyer weiß, wie mansich als Marke präsentieren und positionie-ren muss – immerhin hat sie selbst jahre-lang in der Werbebranche gearbeitet, bevorsie Bynacht gründete, und hat andere Mar-ken mit ihren Strategien zum Ziel geführt.Das kommt ihr jetzt zugute.

Der Impuls, selbst Gründerin zu werden,ergab sich allerdings aus einer persönlichen

Schlafen kann man, wenn man tot ist? Von wegen!Die Nachtruhe ist zum Luxusgut geworden.

Daher gibt es nun Schlafdüfte, Cremes, besondereMatratzen und gute Ratschläge. Hilft das?

Von Celina PlagFotos Matthias Weissengruber

Augen zuund durch

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33SCHLAF

Leidensgeschichte. Hoyer litt unter perma-nentem Schlafentzug. „Beruflich war ichständig auf Reisen und hatte ein großesArbeitspensum. Irgendwann wusste ichmorgens nach dem Aufwachen nicht mehr,wo ich gerade bin oder welchen Wochentagwir haben“, sagt sie. „Ich bin gar nichtmehr runtergekommen. Selbst wenn ichmal Zeit hatte, mich hinzulegen, ging so-fort die Kopfachterbahn los. An Schlaf warnicht mehr zu denken.“

Statt Schäfchen zählte sie die Stundenbis zum Weckerklingeln: noch fünf Stunden,noch vier . . . Mit jeder Sekunde wurde sienervöser und die Chance auf Schlaf un-wahrscheinlicher. Auf Dauer ging das nichtgut. Sie litt an Konzentrationsstörungen,Leistungsabbau und Kopfschmerzen – undan ihrem müden Aussehen.

Karoshi: So bezeichnet man in Japandas Phänomen, wenn Menschen vor Über-arbeitung am Arbeitsplatz sterben. AlsJessica Hoyer über den Begriff stolperte,war sie schockiert. „Ein eigener Name, dasheißt doch, dass es ein existierendes Problem

ist.“ Hoyer wollte mehr Ruhe in ihrem rast-losen Leben. Für ihren Job in der eigenenAgentur, zu deren Kunden Beiersdorf undIntersport zählten, flog sie oft in die Ver-einigten Staaten. Die Duty-Free-Shops dortsind Schlemmerparadiese für Schlaf los-reisende. Sie probierte es mit Kapseln, diedas Schlafhormon Melatonin enthalten.Aber mit denen fühlte sie sich tagsüber, alsläge ein trüber Schleier über ihrem Leben.„Auch nicht gut, wenn man Leistung er-bringen muss“, sagt sie. Und dann war danoch etwas: Sie wurde Mutter. „Trotzdemhabe ich die Arbeit lange nicht zurück-gestellt, sondern immer alles vom Schlafabgezwackt.“

Damit steht sie nicht alleine da. Schlaf-mangel kann einen Menschen langfristigkörperlich und psychisch zerstören. Vielenist das nicht bewusst. Laut einer Studiedes Schweizer Gottlieb-Duttweiler-Instituts(GDI) zur „Zukunft des Schlafens“ ausdem Jahr 2014 wird in westlichen Ländernim Durchschnitt heute eine Stunde weni-ger geschlafen als noch vor 20 Jahren. Und

35 Prozent der Befragten gaben an, schlech-ter zu schlafen als noch vor zehn Jahren.Wer dauerhaft an Übermüdung leidet, er-höht sein Risiko für Herzkrankheiten, Blut-hochdruck, Diabetes oder Depressionen.„Und trotzdem nehmen viele Menschendas Thema Schlaf nicht ernst genug“, fin-det Hoyer.

Aber was hat das mit Beautyproduktenzu tun? Kann ein Kissenspray oder ein Ent-spannungsbalsam das überhaupt schaffen:für eine gute Nacht zu sorgen?

„In der Nacht regenerieren sich die Or-gane und die Haut. Während wir schlafen,ist sie hochaktiv und kann in der Zeitachtmal mehr Nährstoffe aufnehmen“, sagtHoyer. Insofern erklärt sich auch die Inves-tition in eine reichhaltige Nachtcreme oderin ein Präparat für die feine Haut unter denAugen, zumindest ansatzweise. Dass chro-nischer Schlafmangel außerdem zu vorzei-tiger Hautalterung führt, belegt eine Studiedes Verbands der Dermatologen aus Groß-britannien. Demnach wiesen die Test-personen mit einem guten Schlaf deut-

lich geringere Hautalterungswerte auf alsjene mit einem schlechten Schlaf.

Interessant ist außerdem eine Studiezum Thema Schönheit und Schlaf desStockholmer Osher Zentrums für IntegrativeMedizin. Probanden wurden einmal nacheiner Nacht mit wenig Schlaf und einmalnach acht vollen Stunden fotografiert. DieBilder wurden Beobachtern in zufälligerReihenfolge gezeigt. Als gesünder undattraktiver wurden die Ausgeschlafenen be-wertet. Ein Mangel an Schlaf steht einemalso wirklich ins Gesicht geschrieben. Inso-fern macht Schlaf tatsächlich nicht nurgesund, sondern auch schön.

Das bedeutet aber auch: Cremes bringennichts – wenn man nicht schläft. „Wenneine Marke dir verspricht, dass schon zweiStunden Schlaf ausreichend sind, um blen-dend auszusehen, sofern du dabei derenProdukt aufträgst, dann kann das einfachnicht stimmen“, sagt Hoyer. Für Bynachtwar es ihr deshalb wichtig, nicht nur einePflegelinie zu kreieren, die sich um dieBedürfnisse der Haut in der Nacht dreht,sondern eine Serie, die das Runterkommen,Einschlafen und Durchschlafen ebensofördert – damit die Pflege ihre Wirkungüberhaupt entfalten kann.

Deshalb noch mal die Frage: Schafftdas ein Produkt überhaupt? Thomas Penzelist wissenschaftlicher Leiter des Interdiszi-plinären Schlafmedizinischen Zentrumsder Berliner Charité. Er bestätigt, dass sichder Schlaf in den vergangenen 30 Jahrenum durchschnittlich eine Stunde verkürzthat. „Mehr Licht, mehr Stress und die Ver-dichtung der Arbeitszeit wecken bei denMenschen den Wunsch, den Schlaf zuverdichten.“ Viele schlafen also kürzer.

Dass sie deshalb auch schlechter schlafen,sei hingegen nicht bewiesen. „Allerdingsist die Achtsamkeit gegenüber dem Schlafin den vergangenen 30 Jahren gestiegen.“Menschen vereinbaren häufig einen Terminbei Thomas Penzel, wenn ihnen eine Appein schlechtes Ergebnis diagnostiziert hat.„Das heißt aber nicht, dass sie wirklichschlecht schlafen.“

Der Schlafforscher hält auch nichts vonDuftkerzen oder Kissensprays. „Die Wirk-samkeit ist nicht wissenschaftlich nach-gewiesen.“ Wer bis hierher gelesen hat,könnte jetzt also aufhören.

Ein Argument für Lifestyle-Produkte,die besseren Schlaf versprechen, gibt es aberdoch. „Solche Produkte haben psycholo-gische Strahlkraft“, sagt Thomas Penzel.„Besonders wenn etwas teuer oder schmerz-haft war, glauben die Menschen an dieWirksamkeit eines Produkts.“

Im Fall von Jessica Hoyer war es derpersönliche Faktor. Ihre Mutter ist Aroma-therapeutin. „Als ich irgendwann gar nichtmehr schlafen konnte, mischte sie mirein Präparat aus ätherischen Ölen.“ Das seidie Erlösung gewesen. „Endlich konnte ichschlafen.“ Hoyer entwickelte für Bynacht

Runterkommen, eindösen,durchschlafen: Immer mehrAnbieter versprechen Hilfsmittelfür einen guten Schlaf. Der„Power Sleeping Room“ imHotel Post Bezau im BregenzerWald scheint zu wirken.

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34 SCHLAF

daraufhin ein Zwei-Phasen-Programm: dasbesonders reichhaltige Pflegesortiment fürdie Nacht sowie Balsams für die Zeit vorder Nachtruhe auf der Basis wohlduftenderreiner ätherischer Öle wie Ylang-Ylangoder Melisse in einer Wirkkomposition, diesie „Sleep Perfecters“ nennt. Sie werdennicht ins Gesicht, sondern auf die Puls-punkte aufgetragen und sanft einmassiert.Die leicht sämige Konsistenz schmilztauf der Haut zu einem Ölkomplex. „Den,White Noise Balm‘ kann man bereitsabends beim Kochen auftragen.“

Hoyer, die vor Bynacht keine besondereAffinität zur Beauty hatte, arbeitete sichsieben Jahre lang ein. Dabei besprach siesich oft mit deutschen Kosmetiklabors undeiner Schlafexpertin der New York Univer-sity, Rebecca Robbins. „Und in den ganzensieben Jahren dachte ich: Hoffentlichkommt mir keiner zuvor.“

Die Sorge war berechtigt, wie dieMenge an Schlaf-Apps, Schlafschulen undRelax-Tees zeigt. „Der Markt für Schlaf-Dinge explodiert förmlich“, sagt auchThomas Penzel von der Berliner Charité.In einer leistungsorientierten Gesellschaftwird vermeintlich nutzlose Zeit eingespart.Wenn Leben und Arbeiten flexibler werden,jeder bei Tag und bei Nacht online ist,dann fällt es immer schwerer, einfach ein-zuschlafen. Schlaf werde deshalb zunehmendals Luxusgut und Statussymbol gesehen,heißt es in der Studie des GDI – Über-müdung sei das neue Übergewicht.

Frederic Böert kann dem nur zustim-men. Er ist ein vitaler Typ, steht jedenMorgen um zehn vor sieben auf und gehtabends zeitig ins Bett. Er ist fest davonüberzeugt, dass die Lust auf Schlaf in derGesellschaft weiter wächst. Davon würdeer selbst profitieren, denn der Unternehmerhat 2015 in Berlin gemeinsam mit einemPartner Muun gegründet, eine Marke, diesich mit ihren Produkten dem guten Schlafwidmet. „Die meisten Unternehmen, diesich mit Schlaf beschäftigen, wollen einendarauf trimmen, noch leistungsstärker zuwerden. Mit Muun stehen wir eigentlichfür das Gegenteil.“

Also einfach mal runterfahren? „Natür-lich hat nach wie vor jeder Angst, dasLeben zu verpassen. Aber zugleich gibt esniemanden mehr, der sich nicht abends aufsein Bett freut.“ Mit ihrem ersten Produkthaben sie vor drei Jahren die Grundlagedafür gelegt, dass man eine Matratze nichtmehr nur als funktionale Schlafunterlagewahrnimmt, sondern als begehrenswertesDesign-Objekt. Muun war also zunächsteines der zahlreichen Matratzen-Start-ups,die seit einigen Jahren ebenfalls Boden ge-winnen – ein weiterer Hinweis darauf, dasseine Gesellschaft auf der Suche nach besse-rem Schlaf ist.

Im vergangenen Jahr hat Muun zudemMutabi herausgebracht, eine Schlafduft-Kollektion. Ob die Linie tatsächlich denSchlaf fördert, kann Böert nicht sagen, ersei kein Wissenschaftler. Überhaupt gehees beim Einschlafen um die Gesamtsituation:

Sind Bettdecke und Kissen richtig? Stimmtdie Raumtemperatur? „Ein guter Schlafwird von vielen Faktoren beeinflusst“, sagtFrederic Böert. „Düfte können dabei beru-higend wirken und Rituale schaffen. UndRegelmäßigkeit ist fürs Einschlafen sehrwichtig.“ Kinder haben ihr Gutenachtlied,Erwachsene ihr Buch oder ihr Glas Wasseram Bett.

Bei einem solchen Ritual geht es jaauch darum, sich Zeit zu nehmen – wasviele viel zu wenig machen. Nicht nur dieSchlafdauer leidet darunter. „Wer beispiels-weise eine Creme aufträgt, pflegt nicht nurdie Haut“, sagt Susanne Kaufmann, diedas gleichnamige Bio-Beauty-Unternehmenführt. „Dahinter steht, dass man sich fürsich selbst bewusst Zeit nimmt und sichetwas Gutes tut.“ Neben ihrer Natur-kosmetik-Linie unterhält Susanne Kauf-mann auch das Hotel Post Bezau im Bre-genzerwald in Vorarlberg. Bei der Ankunftwird jeder Gast untersucht und nach demBefinden befragt. Das Thema schlechterSchlaf sei heute weiter verbreitet als früher.„Das Leben ist stressiger“, sagt SusanneKaufmann. „Dadurch wird der Schlafwichtiger.“ Die Gründe für den Schlaf-mangel werden im Hotel Post Bezau unter-sucht. „Frauen in der Menopause leidenzum Beispiel häufig an Schlafproblemen,hormonell bedingt. Aber auch falsche Er-nährung kann ein Grund sein.“

Im Wellness-Tempel Bezau reagiertman auf die Schlaflosigkeit mit speziellenHotelzimmern. In den „Power SleepingRooms“ sollen frei schwingende doppel-seitige Lamellenroste in den Betten auselastischem Eschenholz die Bewegungendes Körpers ausgleichen und dadurch dieTiefe und Qualität der Nachtruhe fördernsowie Wirbelsäulen und Bandscheiben ent-lasten. „Außerdem stellen wir dort nachtsdas W-Lan ab, damit die Gäste wirklicheinmal abschalten und auch keinen Elektro-smog um sich herum haben“, sagt SusanneKaufmann. Sie selbst hat für den powersleep übrigens einen recht simplen Tipp:einfach ein Fußbad nehmen, angereichertmit Badesalz. Das sollte helfen.

Augen zuund durch

Nachts kein W-Lan: Keine Chance für Elektrosmog im Hotel Post Bezau von Susanne Kaufmann.

ZAHLEN ZUM SCHLAF

Schlechter Schlaf wird zunehmendals Leiden betrachtet.Im Schlafinstitut an der BerlinerCharité ist die Patientenzahl seitden Neunzigern von 2000 bis 3000auf 5000 im Jahr gestiegen. Etwa40 Prozent der Patienten können nichtmehr einschlafen oder durchschlafen.

Je besser ausgebildet, umsoregelmäßiger der Schlaf.42 Prozent der Befragten einer Studiezum „Jahr der Wissenschaft“ 2011gaben an, unter der Woche zu einerfesten Zeit zu Bett zu gehen – unterihnen besonders viele mit höheremSchulabschluss.

Ein Drittel der Vierzig- bisNeunundfünfzigjährigen hat einSchlafdefizit.Studie der Techniker Krankenkasse, 2017

Singles schlafen besser.Fast drei von vier Singles, aber nurrund 60 Prozent derjenigen, diein einer Beziehung leben, gaben an,gut zu schlafen.Studie der Techniker Krankenkasse, 2017

Wer abends lange fernsieht,schläft schlechter.Studie der Techniker Krankenkasse, 2017

Jeden Fünften unter Dreißig störtdas Handy beim Schlafen.Studie der Techniker Krankenkasse, 2017

14 Prozent der deutschen Frauenmachen Albträume für schlechtenSchlaf verantwortlich.Studie der Techniker Krankenkasse, 2017

Geldsorgen bringen 35 Prozentum den Schlaf.Studie der Rabo-Direct-Bank, 2016

Deutsche Männer schlafen wenig.Siebeneinhalb Stunden Schlaf sindzwar mehr als japanische Männerschlafen, aber zum Beispiel wenigerSchlaf als bei Mexikanern.Universität von Michigan, 2016

Deutsche Frauen schlafen lange.Im internationalen Vergleich liegensie mit etwa acht Stunden Schlaf imoberen Drittel.Universität von Michigan, 2016

Männer aus Singapur schlafenwenig.Nur etwas mehr als sieben Stundenist im internationalen Vergleich diekürzeste Schlafdauer.Universität von Michigan, 2016

Frauen aus den Niederlandenschlafen am längsten.Sie bringen es auf mehr als achtStunden.Universität von Michigan, 2016

Wer viel Zeit draußen bei natür-lichem Licht verbringt, geht eher insBett – wer viel drinnen ist, später.Universität von Michigan, 2016

35SONNENBRILLEN

enn jemand eine dunkle Brille trägt, mussdas erst mal nicht viel bedeuten. Gut mög-

lich, dass einfach nur das Sonnenlicht blen-det. Wenn die dunkle Brille aber die Augen,

einen guten Teil der Stirn und die Wangen maskiert und eszudem gerade gar nicht sehr hell ist, lässt das tief blicken.Besonders dann, wenn niemand sonst eine Sonnenbrilleträgt. Und noch spannender wird es, wenn der Sonnebrillen-träger eine Trägerin ist.

Immer mehr berühmte Frauen bedienen sich diesessimplen Stilmittels: Sie treten in der Öffentlichkeit mitSonnenbrille auf der Nase auf. Dabei geht es nicht einmalum die Stars in den typischen Sonnenbrillen-Situationen,wenn sie über den Flughafen von Los Angeles hetzen undnicht erkannt werden wollen – oder wenn sie gerade vomYoga kommen und verschwitzt ihre Matte zum Gelände-wagen tragen.

Es geht um Frauen wie Ivanka Trump. Als die Tochterdes amerikanischen Präsidenten zum Beispiel im Novemberin Tokio landete, behielt sie die Sonnenbrille für die Foto-grafen einfach auf. Oder sie trug sie eigens für den Auftritt,wer weiß. Sie winkte jedenfalls und lächelte ein bisschen,als hätte sie mit dem Blitzlicht-Empfang gerechnet undwäre auch durchaus erfreut darüber.

Die Sonnenbrille in so einem Moment mal abnehmen?Geht offenbar nicht. Noch hartnäckiger ist da die Frauihres Vaters, Melania Trump. Sie trägt Sonnenbrillen auchim Regen, wie etwa im August beim Abflug nach Texas zuden Opfern des Hurrikans Harvey. Sie trägt Sonnenbrillensogar bei Nacht, wie im Oktober bei der Rückkehr ausLas Vegas, nachdem sie Überlebende des verheerenden An-schlags dort besucht hatte, bei dem ein Attentäter 58 Men-schen erschossen und Hunderte verletzt hatte. Die Sonnewird damals kein Grund für die Brille gewesen sein. In densozialen Netzwerken jedenfalls wurde der Auftritt schnellzur Sonnenbrillen-Krise.

Sonnenbrillen – natürlich sind sie seit langem auch einStilmittel. Längst sind sie nicht mehr nur ein Schutz, zudem Ärzte übrigens schon seit den dreißiger Jahren raten,nicht mehr nur eine Möglichkeit, cooler auszusehen oderundercover unterwegs zu sein. Sonnenbrillen sind ein wichtigesDetail im Auftritt geworden, eine bewusste Entscheidung.Die trafen interessanterweise in ungewöhnlichen Situationen,also in geschlossenen Räumen oder bei wolkenverhange-nem Himmel, bislang vor allem Männer. Selbst JackieKennedy, eine weitere berühmte Sonnenbrillenträgerin, dieihre Modelle genutzt haben soll, um andere Menschenheimlich zu beobachten, setzte sie dann im Gespräch ab.Anders als Udo Lindenberg oder Karl Lagerfeld, die ihreSonnenbrille auch tragen, wenn sie anständig „Guten Tag“sagen. Oder wie Michael Jackson damals. Als wäre es Frauenangeboren, ein bisschen höflicher zu sein. Denn eine derersten inoffiziellen Umgangsregeln lautet ja: wenn möglichnicht mit Sonnenbrille kommunizieren.

Wenn jetzt immer mehr berühmte Frauen in unpassendenSituationen Sonnenbrillen tragen, knüpfen sie an diesemännlichen Beispiele an. Es ist auch ein Zeichen. Jil Sanderetwa entschied sich für dieses Michael-Jackson-Statement,

Furcht? Freude? Traurigkeit?Wenn berühmte Frauenöffentlich auftreten, ist oftnicht viel zu erkennen – weilsie große Sonnenbrillen tragen.Von Jennifer Wiebking

Sehenundnichtsehenlassen

als sie in Frankfurt im vergangenen Herbst ihre Ausstellungim Museum Angewandte Kunst eröffnete. Es war die ersteEinzelausstellung über die Designerin, an der sie auchselbst maßgeblich mitarbeiten durfte, ein großer Momentalso. Als sie kurz für die Fotografen für ein Bild erschien,verdeckten dunkle Gläser ihre Augen.

Ist das nun unhöflich? Wäre es unhöflich, wenn an ihrerStelle Karl Lagerfeld gestanden hätte, mit Sonnenbrille?Oder Johnny Depp? Noch einer dieser Männer, die seltenohne dunkle Gläser auf der Nase zu sehen sind. Oder wennes um eine der wenigen Frauen ginge, die das schon längerso halten, die Autorin Joan Didion? Oder um Susan Saran-don, die damit über den roten Teppich läuft? Was natürlicheinerseits den fiesen Blitzlichtern geschuldet sein wird. An-dererseits kann man in Zeiten, da sich Frauen bei Premierenund Preisverleihungen immer weniger einem bestimmtenRollenbild fügen, nämlich der Ballkönigin, auch eine Reak-tion auf #MeToo, also eine Botschaft, darin lesen. Sie lautet:Ihr könnt mich mal.

Eine ähnliche Rolle spielte Susan Sarandon Anfang derNeunziger, als Louise in „Thelma und Louise“, einem Film,in dem zwei Frauen einen Roadtrip unternehmen und aufihrem Weg einen Mann töten, eine Tankstelle überfallen,einen Polizisten im Kofferraum seines Wagens einsperren.Das alles in Jeans und T-Shirt und mit Sonnenbrille. UndSusan Sarandon ist nicht die einzige: Auch Whoopi Gold-berg erschien am Oscar-Abend in Los Angeles auf demroten Teppich mit Sonnenbrille zum Abendkleid.

Melania Trumps Art, Menschen in Notsituationen alsFirst Lady nicht direkt in die Augen zu schauen, sondernihnen mit dunklen Schutzgläsern zu begegnen, wird zu-mindest teilweise auch damit zu tun haben, dass sie ebennie First Lady werden wollte: Hände schütteln, Essen ver-teilen, Anteilnahme zeigen.

Man muss das nicht tiefenpsychologisch angehen, einpaar Anekdoten aus der Zeit des Präsidentschaftswahl-kampfs ihres Mannes Donald reichen. So schrieb die Zeit-schrift „Vanity Fair“ im vergangenen Jahr über MelaniaTrump, sie sei gegen die Kandidatur ihres Mannes gewesen– aus Angst, er könnte gewinnen. Und der Jumpsuit, densie für die Wahlnacht ausgesucht hatte, so erzählte es ihrbefreundeter Stylist Phillip Bloch, sei keine Requisite gewesen,um an der Seite eines Siegers zu stehen. „Dieses Outfit sahaus wie: Ich nehme den nächsten Flieger nach Palm Beach.Zum Glück ist das jetzt vorbei.“ Es war nicht vorbei. AberMelania Trumps Motto, so war es ebenfalls zu lesen, laute:leben und leben lassen. Oder eben: sehen und nicht sehenlassen.

Die dunkle Sonnenbrille erlaubt es, physisch noch an-wesend, gedanklich aber schon weit weg zu sein. DieMimik eines Menschen ist so kaum mehr zu erkennen –etwa der Oberlidheber, der Überraschung oder Schrecksignalisiert; oder der Zustand des Augenringmuskels, andessen Zusammenziehen man Ärger und Freude erkennenkann. Furcht? Traurigkeit? Nichts zu sehen. Sonnenbrillenkönnen ein Segen für die Menschheit sein, obwohl sie ihreBesitzer weniger menschlich erscheinen lassen, und auchihre Besitzerinnen.

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Bei den Oscars: Whoopi Goldberg Auf Besuch in Japan: Ivanka Trump Auf dem Weg nach Texas: Melania Trump

Bei den SAG-Awards: Susan Sarandon

Bei der Eröffnung ihrer Ausstellung: Jil Sander

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36

Platz 2

Luxus-BräuneStatt Tüchern gibt esvon Comodynes einenBräunungshandschuh, derdie Anwendung erleichtert.Er ist allerdings so stark

getränkt, dass es sich empfiehlt, ein paarMinuten zu warten, bevor man in denPullover schlüpft. Mit dem Effekt bin ichdafür mehr als zufrieden. Es ist einenatürliche Bräune, ein zarter Bronzeton,der nichts mit dem Brutzelbraun von einerWoche Pauschalurlaub in Südspanienzu tun hat.

Comodynes Self-Tanning Body Glove, drei Stück,13,99 Euro, erhältlich bei Douglas

SANFTES OLIV ODER FIESES ORANGE?TEST

Der Sheetmasken-Trend ist ein großes Thema. Aber taugtgetränktes Fleece auch zur Selbstbräunung? Ein Tücher-Test. Von Sabine Spieler

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Platz 3

Sommersaison eröffnetAuch diese Tücherriechen unverkennbarnach Selbstbräuner.Dafür sind sie frei vonParabenen und enthal-ten Aloe Vera und

Argan-Öl als pflegende Substanzen. Dasspürt man schon beim Auftragen. Einhaltensollte man die empfohlene Wartezeit von15 Minuten, bevor man sich wiederanzieht. Meiner Ungeduld ist es geschuldet,dass meine Lieblingsseidenbluse einleichtes Batikmuster hat.

Preven’s Paris Selbstbräunungstücher, fünf Stück,4,90 Euro, erhältlich über den Online-Shop New Pharma

Platz 4

Leicht olivDas Tuch der Eigenmarke vondm ist mit 35 Cent pro Stückunschlagbar günstig. DerDuft – eine Mischung ausSelbstbräuner und Parfum– ist gewöhnungsbedürftig,aber das scheint in dieser

Kategorie bis auf Platz 1 Standard zu sein.Nach zwei bis drei Stunden ist eineGrundbräune zu erkennen, die nichtorange, sondern leicht oliv-stichig ist. Wiebei einer Italienerin, die einen Nachmittagam Meer verbracht hat.

Sundance Selbstbräunungstuch, ein Stück, 0,35 Euro,erhältlich in dm-Filialen

Platz 1

Weniger wintermüdeGanz schön teuer, aberdafür haben dieseTücher auch nicht denentsetzlich süßlichenSelbstbräunungsgeruchwie viele andere. Die

Anwendung ist simpel: Nach der Gesichts-reinigung fahre ich mit dem Tuch über dieHaut, danach trage ich Tagespflege auf.Den Bräunungseffekt erkenne ich zwarnicht nach drei Stunden, wie vom Herstellerversprochen. Aber nach einem Tag siehtmein Teint weniger wintermüde aus.

Dr. Dennis Gross Alpha Beta Gradual Glow Pad, 20 Stück,42 Euro, erhältlich über den Online-Shop Niche Beauty

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Platz 6

CurrypasteVon diesem Produkt binich enttäuscht: Während dieSelbstbräunungsmilch vonDouglas eine natürlicheBräune ergibt, sehen meineBeine jetzt aus wie Hähnchen-schenkel, die mit Currypaste

eingerieben wurden. Und auch meinGesicht ist so fleckig, dass ich ohneMake-up nicht aus dem Haus gehe.Hinzu kommt der Duft. In Zukunftnur noch die Selbstbräunungscreme.

Douglas, Self Tanning Tissue, ein Stück, 1,99 Euro,erhältlich bei Douglas

Platz 7

Juckreiz und FleckenNatural Bronzer – klingterst einmal gut. Das Tuchist ordentlich getränkt,nicht zu stark und nicht zuschwach, und der Inhaltreicht auch locker für

Gesicht, Arme und Dekolleté. Leiderspüre ich aber recht schnell einen Juckreizan beiden Armen, später bilden sich sogarFlecken. So habe ich mir Selbstbräunungnicht vorgestellt.

Garnier Ambre Solaire Selbstbräunungstuch,ein Stück, 0,95 Euro, erhältlich in Drogerien

Platz 8

Fluch der KaribikCaribic Tan: klingt gut.Doch der Inhalt ist davonweit entfernt. Das Tuch – esist gelblich-braun – ist nichtnur optisch gewöhnungs-bedürftig. „Was riecht hier sostreng“, fragt mein Mann, alser ins Badezimmer kommt.

Das Ergebnis toppt das noch: Als ich nachein paar Stunden in den Spiegel schaue,kriege ich fast einen Schreikrampf. Ichsehe aus wie eine Mischung aus Karotteund Dosenwürstchen.

Caribic Tan Selbstbräunungstücher, 25 Stück,12,99 Euro, erhältlich über Amazon

Platz 5

Dezent NormaloIch finde schon den NamenSun Ozon der Eigenmarkevon Rossmann für ihreSonnenpflegeprodukteunglücklich. So bin ichschon vor dem Test vor-eingenommen, obwohl an

dem Tuch nichts auszusetzen ist. Es istgenauso groß wie seine Mitstreiter, riechtgenauso süßlich und ist genauso einfachin der Handhabung. Nach drei Stundenist eine dezente Bräune zu erkennen.

Sun Ozon Selbstbräunungstuch, zwei Stück, 0,69 Euro,erhältlich bei Rossmann

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MAKE-UP38

Obere Reihe (von links nach rechts): Smashbox x Casey Holmes Spotlight Palette; Elizabeth Arden Four Ever Bronze; mittlere Reihe: Smashbox Bronze Lights; Clinique True Bronze; untere Reihe: Estée LauderBronze Goddess; Givenchy Les Saisons Healthy Glow Powder

Terrakotta-Puder ist eines der ältestenkosmetischen Produkte. Schon die Alten Ägypter

schminkten sich mit der Tonerde.Hier hinterlässt das Fotografen-Duo Schmott

seine Spuren darauf.

Ton inTon

MAKE-UP 39

Obere Reihe (von links nach rechts): Bobbi Brown Bronzing Powder; Guerlain Terracotta Light; mittlere Reihe: Lancaster Sun Kissed Glow; Clarins Bronzing Duo; untere Reihe: Dr. Hauschka Bronzing Powder;Catrice California in a Box

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40 INTERVIEW 41INTERVIEW

Herr Zaimoglu, eine französische Kosmeti-kerin sagte einmal, ein gutes Buch helfe derSchönheit manchmal mehr als jede Creme.Macht Lesen oder Schreiben schön?Ich kann nicht in allgemeinen Begriffensprechen. Ich spreche über mich, um nichtmit allgemeiner Weltkennzeichnungs-Prosa zu kommen. Das Schreiben machtFalten und eine zerfurchte Stirn. DasSchreiben sorgt für Geheimratsecken, sodass man dann die Haare geradezu vomRücken bis in die Stirn feudeln muss.Das Schreiben ist für mich immer mitÜberwindung, mit Selbstauslöschungverbunden. Ich muss es leider so drama-tisch sagen. Es ist in jeder Hinsicht einkörperlicher Akt. Eine schöne Erlösungdarf man da nicht erwarten. Es ist einegute Arbeit, die mich komischerweiseauch verjüngt, mir aber auch sehr zusetzt.

Was ist aber schön daran?Wenn es gelingt, eine Geschichte zuerzählen. Nicht die Formulierung. Nichtdie harte Recherche. Nicht das Blendwerk.Sondern wenn es mir gelingt, eine schöneSpur zu legen, die nicht meine Spur ist.Dann empfinde ich es als schön. Aberäußerlich: Man muss da nur näherherangehen, dann sieht man Krater undNarben in meinem Gesicht.

Vielleicht sind die ja das Schöne.Ja. Die rühren daher, dass es im Zugedes Schreibens einen Seelenausschlag imdoppelten Sinne des Wortes gibt. Aus-schlag bedeutet die Geschichte am Endeeiner Recherche. Und das erfahre ich auchkörperlich. Ein bisschen schön ist es, dasSchreiben, und ein bisschen schön machtes auch. Aber ich bin verlegen, weil ichSchönheit immer in Zusammenhang mitFrauen bringe. Eine Frau ist schön. Aberdieser Reifegrad der Schönheit kannnicht übertragen werden auf Tätigkeiten,auf Dinge.

Was diese Kosmetikerin meinte, war wohlletztlich die Vorstellung von einer Einheitvon Körper und Geist. Oft wird hierzulandeaber die äußere Schönheit dem Geist eher

gegenübergestellt. Jemand, der sich geistiganspruchsvoll betätigt, befasst sich bessernicht mit dem Körper oder den Kleidern.Stimmt das noch so?In manchen Bezirken der Kultur scheintes tatsächlich so zu sein. Eine Dichterinsagte zu mir einmal: „Weißt du, waspassiert, wenn sich vor eine Jury zweiAutoren stellen? Der eine hat dieses etwasfransige, verlebte Äußere. Der anderesieht ordentlich aus und hat sich, weil erlebenslustig ist, auch etwas dabei gedacht,was er anzieht. Ich sage es dir: Die Jurywird sich gegen den lebenslustigenSchreiber entscheiden.“ Also, diesesVorurteil lebt immer noch.

Woher mag das rühren?Diese Gespaltenheit ist nichts weiter alseine sehr dämliche Idee. Das kommtdavon, wenn Männer glauben, sie müsstensich als Archäologen betätigen. Undgraben und graben und graben. Da istzwar nichts. Aber dann erfinden sie etwas.Nämlich den Geist. Haha. Oft genughabe ich mit eigenen Augen gesehen, dassein Entscheid, der als objektives Urteilverkauft wurde, nichts weiter als einsubjektiver Eindruck war – beziehungs-weise ein Vorurteil. Und das lebt immernoch in der Kultur. Ich stelle auch mitErschrecken fest, dass seit Jahren inder deutschen Gegenwartsprosa eherder Institutsjargon gepflegt wird. UndHerzsätze, Herzverrücktheit, Ausbruch,Glut werden verworfen. Ich übersetze dasSchöne hier in das Ungebärdige, in dasUngestüme, in das Nicht-Formatierte.Das Format ist leider eigentlich unförmig,ungelenk, abgepaust, nachgeplappert,tausendmal gelesen. Das wird goutiert.Nur die versklavte Schönheit wirdzugelassen. Wir haben es also heute auchin der Kultur mit einem Tüv zu tun.

Gerade für Sie dürfte das alles schwierigsein. Denn Sie scheinen auf Ihr ÄußeresWert zu legen. Sie tragen meist Schwarz,haben Ketten, Armbänder und Ringe.Haben Sie das Gefühl, dass Sie dafürmanchmal beäugt werden?

Immer. Ich sehe aus wie Rumpelstilzchenin modern.

Sagen wir eher, Sie sind der bunte Vogel,der in diesem Fall der schwarze ist.Ich bin so etwas wie der grinsendeSargträger. So sehe ich aus. Der auch nichteinem bürgerlichen Anspruch entspricht,in Maßen Schmuck zu tragen. Nein, ichmuss es übertreiben. Weil ich es liebe.Natürlich habe ich diese Erfahrunggemacht. Sie müssen sich vorstellen, dassmir erwachsene Männer und auch Frauenim Kultursektor erzählen, ich sei alsLiterat untauglich.

Wegen der Ringe?Das Äußere. Und das geht ja noch weiter.Ich versuche mich in einer szenischenLesung, aber das geht nicht. Der seriöseSchriftsteller hat mit einer unmoduliertenStimme das Publikum zu massakrieren.Dann gilt er als unbestechlich. Das istdie Vorstellung. Und so einer wie ich, derpasst da nicht. Ich habe aber kein takti-sches Verhältnis zum Textil und zumSchmuck. Ich verstehe wohl, dass – wieneulich vorgekommen – eine Mutter mitKinderwagen nach einem Blick auf michnicht in den Aufzug kommen will. Sie hatlieber erst gewartet. Ich spiele nicht mitden Momenten des inspirierten Grauens.Nein, das ist es nicht. Ich mag es so. Ichmag es, wenn es klimpert. Ich mag Ringe,groß wie Käfer. Schwarz ist für mich dierichtige Farbe.

Wann haben Sie damit angefangen, sich sobewusst zu kleiden? Schon in der Schule?Um Gottes willen! Ich bin sehr strengerzogen. Und ich wusste, was mein Vaterund meine Mutter gut finden. Damals inder Schule hatte ich einen Seitenscheitelund Popperhemden, und ich trug Pullunder.Das Andere kam erst, nachdem ichgewissermaßen dem elterlichen Hausentzogen war. Und dann konnte ich esauch übertreiben mit den Ringen.

Das heißt aber auch, dass Ihnen in derSchulzeit schon wichtig war, was Sie trugen?

Meine Mutter sagte vor ein paar Jahren,Mode sei ungemütlich. Das ist gut. Esgeht nicht um Gemütlichkeit. Wenn ichmich zu Hause umschaute, sah ich, dassmeine Mutter großen Wert darauf legte,schön auszusehen. Mein Vater sah undsieht noch immer sehr gut aus. Wenn errausging, trug er ein weißes Hemd zumAnzug. Das war wunderbar. Und glänzendeitalienische Schuhe. Aber er konnte daringehen. Er musste deswegen nicht ständigan sich herumzerren. Es sah aus wie einezweite Haut. Das fand ich gut.

So ein Auftreten eines Mannes außerhalbder Arbeitswelt gibt es hier eher selten.Hat das eventuell doch mit einem anderenKulturverständnis in Deutschland zu tun?Ist hier vielleicht die Wertschätzung dafürverloren gegangen, sich schön zu machen?Ich habe in Deutschland zu viele wunder-bar angezogene Frauen und Männergesehen, als dass ich sagen könnte, dassei jetzt kulturbedingt. Ehrlich gesagt,wünschte ich mir, dass der eine oderandere Fremdstämmige, aus dem Orientvielleicht, sich besser kleiden würde. Nein,da gibt es überhaupt nichts zu meckern.Es geht eher um die Freude daran, nichtnur kleidsames Textil zu tragen. Sonderngenau die Hose und genau die Strümpfe,die Freude, einen genau kalkuliertenStilbruch zu inszenieren – wie schön! Dasist doch ein Spiel. Wieso versteht man dasnicht? Die Freude an diesem Spiel und derSpieltrieb, das alles habe ich in Deutsch-land in den Siebzigern gesehen, in denAchtzigern. Was mich befremdet hat,waren diese wie angeklebt aussehendenkleinen Rasenstücke, diese dickenKoteletten. Aber dem einen oder anderenstand auch das gut. Ich habe heute einbisschen Probleme mit den „Mormonen-bärten“ vieler junger Männer. Das versteheich irgendwie nicht. Das müsste auch jetztlangsam überwunden sein.

Der Höhepunkt dieser Mode scheint tatsäch-lich vorbei zu sein. Zurück zu Ihren Eltern.Ich sah meine Mutter, ich sah meinenVater, ich sah meine Schwester. Sie waren

Feridun Zaimoglu über die Mormonenbärte junger Männer, nichtepilierte Augenbrauen und die Teilung zwischen Geist und KleidInterview Stefanie Schütte, Fotos Daniel Pilar

Was unförmig ist,nachgeplappert,ungelenk, abgepaust,wird goutiert:„Nur die versklavteSchönheit wirdzugelassen. Wirhaben es auch in derKultur mit einemTüv zu tun.“

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42 INTERVIEW

trotz ihrer knappen Mittel imstande, sichdie Schönheit zu erkämpfen. Meine Mutterbesaß ein Original-Kleid von Dior, auf dassie lange, lange gespart hatte. Draußen sahich gut gekleidete Leute aus der Arbeiter-klasse. Und bei den Bürgern, die wir Arbei-terkinder natürlich misstrauisch beäugten,um nicht zuzugeben, dass sie wirklich guteJungs waren. Wir konnten ja nicht mitden jungen Frauen sprechen. Man darf sichnun nicht vorstellen, dass wir Affenlauteausgestoßen hätten, aber sie warengeländegängig, immer geländegängig.Und wir kamen ins Stolpern. Damals inMünchen-Moosach trugen wir weißeHemden, bis oben zugeknöpft, ganz kurzeHaare, dann Armeestiefel und gebleichteJeans. Am besten mit grober Naht – bevordie Nazis auf die Idee kamen, die Skinhead-Mode zu übernehmen.

Beschreiben Sie das bitte noch einmalgenauer.Die Jeans waren unbedingt von C&A. Nurdie „Bürgergecken“, auf die wir neidischwaren, siehe oben, hatten Markenjeans wieMustang – die Arbeiterklasse ging zuC&A. Wir haben uns natürlich die Weltschön gemacht. Denn so toll sah das allesnicht aus. Wir haben die Mutter angebet-telt und sind zum Änderungsschneidergegangen. Und dann wurde die C&A-Jeans auf Silhouette genäht. Wir wolltennicht hippiesk aussehen. Blöd wie wirwaren, dachten wir, das Gegenteil davonsei eine stilisierte Grobheit.

Seit wann gilt Schmuck bei Männern alsunseriös? Hat das mit der christlichen Tra-dition zu tun oder eher mit der bürgerlichenKultur? Ist das möglicherweise nicht dochin islamischen Ländern anders?Aber zum Beispiel in Spanien, Portugalund Italien, also in katholischen Ländernmit dem Hang zum barocken Moment des

Lebens, hat der Mann das Amulett oderKettenanhänger und Rosenkränze. Und erschmückt sich.

Uns hingegen kommt der Protestantismusin die Quere. Aber Martin Luther, überden Sie ein Buch geschrieben haben, wareigentlich gar nicht so ein Asket. Zumindestim späteren Leben nicht. Haben wir da viel-leicht etwas falsch verstanden? Evangelischassoziiert man oft mit schmucklos.Ja. Und im Islam ist es so, dass wenn mannach dem Glauben geht, Männer keinGold tragen dürfen.

Aber anderen Schmuck?Genau. Und das haben sie gemacht. Goldund Seide sind verboten, weil beides teuerwar und ist. Lieber Armenspeisung als sichschmücken. Ich denke jetzt aber nocheinmal über Luther nach. Die erste Theselautet ja, dass man sein Leben lang büßensoll. Er wendete sich damit gegen dieBeichte als formelle Reinwaschung. DieseBuße wurde leider Gottes nicht im Sinneeiner schönen Verschlankung verstanden,eines „Raus mit dem Plunder“. Nein, es zogauch plötzlich Nüchternheit ein. Nüch-ternheit kann schön sein, aber es ging soweit, dass man sich wegen der Erbsündeseines Geschlechts nicht erfreuen durfte.

Eine der wichtigsten Funktion von Mode istes natürlich, Geschlechtlichkeit darzustellen.Und das durfte nicht sein. Was wiransprechen müssen, ist die Lust. Dass mandas Leben lustvoll betont. Dass man nichtirgendwelchen Leuten Rechenschaftschuldig ist. Sondern sich für sich selbstanzieht, nach eigener Lust, um gute Launezu bekommen. Wenn Nüchternheit heißt,sich Lust zu verbieten, finde ich dasfraglich. Weil es den Menschen verätzt.Er verbietet sich Lebensfreude. Aber dassoll hier natürlich um Gottes Willen keinSchmuck- oder Modediktat werden. Esgibt auch Menschen, die einfach nichtdarauf stehen, die gerne auf schöne Sachenverzichten. Aber ich habe den Eindruck,dass der Alltag vom grauen Textil gestaltetwird. Es ist alles sehr verbräunt undvergraut.

Weil äußere Schönheit nicht wertgeschätzt,sondern schnell abgetan wird.Als Tand und Tinnef.

Da kommen wir wieder auf die Teilungzwischen Geist und Kleid zurück, die auchin Bezug auf die Körperpflege gilt. Inves-tieren Sie viel Zeit in Körperpflege?Ich finde das sehr übertrieben. Manchmalwar ich bei dem einen oder anderenKumpel und dachte: Bin ich jetzt imBadezimmer einer Frau oder eines Mannes?Diese ganzen Tiegel und Töpfe. Man hattemich auch im Verdacht, wegen meinerAugenbrauen. Da hat doch tatsächlichjemand darüber nachgedacht, ob ich mirdie Brauen epiliere. Nein. Sie haben es indiesem Zusammenhang mit einemMenschen zu tun, der nach dem Bart-Trimmen Wasser benutzt. Kein After-Shave. Auch keinen Männer-Duft. Ichmache das aber nicht, weil ich etwasausdrücken möchte. Nein. Wasser, Seife,das reicht.

Sie verwirklichen das Spielerische in derKleidung. Andere machen das eben im Bad.Und duschen ewig lange, cremen sich ein,richten sich aufwendig her.Bei Frauen finde ich das wunderbar. Ichfinde das nur bei Männern ein bisschenseltsam.

Ihr Schönheitsbegriff unterscheidet also aufjeden Fall zwischen Frauen und Männern?Ja. Aber wer bin ich, dass ich mir über-haupt über das Frauliche Gedankenmachen könnte? Um Gottes Willen! Dassich da etwas schlecht finden könnte odervorschreiben. Es ist ja ein Wahnsinn, wieschön eine alte Dame sein kann. Die altenDamen meines Viertels gehen herum, undich bin begeistert. Mit dem Wenigen sindsie wunderbar. Während wir Kerle wie dieKälber herumtrotten. Schauen Sie michan. Bei Schwarz fällt das jetzt nicht auf.Aber was ist denn das? Ein abgegriffenesIndoor-Jäckchen in Schwarz. Ein lang-ärmeliges Schiesser-Retro-Shirt. Eineenge Hose. Dann habe ich knöchelhoheNahkampf-Treter. Als würde ich jetztwandern gehen wollen.

Aber Sie haben einen eigenen Look. InModekreisen gilt Eigenständigkeit als Lob.Wahrscheinlich sind Sie durch Ihre Arbeit inder bildenden Kunst auch ein sehr visuellerMensch.Ich mag das schön Anzuschauendeanschauen. Manchmal klebe ich amSchaufenster und knalle mit der Rübegegen das Glas, wenn da so schöne kleineDinge sind. Das kann eine Schale sein odereine alte Konfektschachtel oder derNeudruck einer alten Weltkarte. Ich liebees, mir das anzusehen. Ich habe mich oftgenug in Einzelheiten verloren. DieEinzelheit – blinkend, blitzend, blinzelnd– ist für mich von einem beträchtlichenWert. Mir fallen immer Kleinigkeiten auf.Wegen meiner Schüchternheit als Kindund Jugendlicher starrte ich immer auf denBoden. Da habe ich dann viele Sachengefunden.

Sie sind also ein Sachensucher.Den großen Rahmen setzen, das könnenviele. Viele glauben aber auch, dass dieEinzelheit ein verwaistes Stück ist. Sieentwerten das schöne Stück. Und ich mages. Das Meiste kann ich mir natürlichnicht leisten. Wenn ich dann ein schönesBrotmesser sehe oder ein Muster auf einemTeller: Himmel! Oder ich sehe, dassjemand nicht einfach angelegte Konfektionträgt. Dieser junge Mann oder dieser alteMann trägt Sachen, die ihm so schönpassen. Ein Fehler ist es, dabei immer nachStimmigkeit zu suchen. Ich habe zumBeispiel früher irgendwo gelesen, dassDunkelblau und Schwarz niemals zusam-menpassen. Und dann fiel mir auf, dassdie Rentner, die türkischstämmigenHerren der ersten Generation, genau dasgemacht haben. Und es hat irgendwiegepasst. An mir hätte es wohl furchtbarausgesehen. Aber bei ihnen passte es.Schlampigkeit ist nicht eine Frage derDefinition. Sondern man schaut, obMenschen sich in ihre Kleider hineinleben.Dann hat dieser Mann ein blaues Jackettund eine schwarze Bundfaltenhose. Ansich betrachtet, etwas seltsam. Aber es istdas Gegenteil von Schäbigkeit. Und soetwas fällt mir auf.

Feridun Zaimoglu ist einer der wort-gewandtesten und auffälligsten deutschenSchriftsteller. Der vielfach preisgekrönteLiterat kleidet sich meistens in schlichtesSchwarz, trägt dazu aber fast so viele Ringewie Karl Lagerfeld, zudem Ketten undsilberne Armreifen. Zaimoglu wurde 1964in der türkischen Stadt Bolu geboren undwuchs in München, Berlin und Bonn auf.Seit 1985 lebt er in Kiel, wo er Kunst undMedizin studierte. Außer Romanen verfasster auch Theaterstücke und Drehbücher. Imvergangenen Jahr erschien von dem beken-nenden Muslim der Lutherroman „Evange-lio“, der sogar die Sprache der Lutherzeitaufnahm. Das Gespräch findet in seinemArbeitszimmer in Kiel statt, zwischen Bü-chern und einer beeindruckenden Samm-lung von Gartenzwergen.

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44 PFLEGE 45PFLEGE

ieses Produkt war schon da, als Hanf dasZeug war, nach dem es an provinziellenBushaltestellen roch. Oder plötzlich an dernächsten Straßenecke. Oder zum Festivalauf der grünen Wiese. Jedenfalls kam TheBody Shop schon Anfang der neunzigerJahre auf Hanfsamenöl, zu einer Zeit, alssich Frauen gerade eigentlich kollektivmit Calvin Kleins Eternity parfümierten,mit Eau Dynamisante von Clarins, alsdie Klientel von Schönheitsprodukten fürHanf eher nicht so viel übrig hatte. TheBody Shop, das Unternehmen, das zu derZeit noch nicht zu L’Oréal gehörte, son-dern unabhängig dabei war, mit seinen

Läden die Fußgängerzonen zu erobern, widmete der Pflanzedamals eine eigene Produktlinie. Schon die Verpackungmachte klar, dass es hier um Hanf ging.

Wenn es um The Body Shop seitdem ruhiger gewordenist, dann liegt das gewiss nicht an diesen Produkten. DieHandcreme mit Cannabis zum Beispiel zählt auch heutenoch zu den am häufigsten verkauften Produkten desUnternehmens.

Mittlerweile hat sich viel verändert: Hanf hat zur Zeiteinen richtigen Lauf, auch abseits der Kifferszene. Seitetwas mehr als einem Jahr gibt es Cannabis in Deutschlandauf Rezept, und in den Vereinigten Staaten legalisierenimmer mehr Bundesstaaten den Konsum. Zuletzt kamVermont hinzu, als neunter Bundesstaat. Nach Jahrzehntenim gesellschaftlichen Abseits steigt das Ansehen der Pflanze,ein ganz neuer Wirtschaftszweig ist entstanden. Der Duftvon Gras zieht bis in die Beauty-Branche – die Gaben derKulturpflanze haben nicht mehr nur in der Handcremevon The Body Shop ihre Berechtigung, sondern auch imGesichtsserum, im Haarwachs, in Lotionen und Sham-poos. Dabei kommt Hanf nicht zum ersten Mal so oft zumEinsatz wie jetzt. Bis zur Industriellen Revolution wurdeaus den schier unverwüstlichen Fasern Papier hergestellt,neben Kleidung und Seilen.

In den Kosmetik-Unternehmen schätzt man jetzt wiederdie spezielle Fettsäure-Zusammensetzung des Öls. „Hanfölschützt die Haut vor Feuchtigkeitsverlust, wirkt reizlinderndbei Entzündungen und hat positive Effekte auf empfindlicheHaut oder Hauterkrankungen“, sagt der Pharmazeut Alex-ander Ehrmann, der in seinen Saint-Charles-Naturapothekenin Wien und Berlin Hanf-Produkte aus regionaler Produktionverkauft. Zwei essentielle Fettsäuren finden sich im Hanf-samenöl fast im gleichen Verhältnis wie in der Haut, sagtEhrmann. Die Versorgung mit Nährstoffen und der Schutzvor dem Austrocknen sind gewissermaßen garantiert. VorRäucherstäbchen, Peace-Zeichen und anderen Merkmalender Kifferkultur ist man bei Ehrmann trotzdem sicher. Erverkauft das Hanföl mit Cannabidiol, einem Wirkstoff derHanfpflanze, in kleinen braunen Flaschen mit weißemEtikett und schwarzer Aufschrift. Wie viele ApothekerJahrzehnte vor ihm.

Auch andere Hersteller setzen zunehmend auf dasTrend-Öl, Babor zum Beispiel mit entsprechenden Ampullen.Das darin enthaltene Hanfsamenöl soll gestresste Hautwieder ins Gleichgewicht bringen, sodass sich die Folgenlanger Partynächte nicht mal mehr erahnen lassen. Daswar’s dann aber auch: Die Wirkung beschränkt sich auf

Bis vor kurzem hatten Kifferdas Monopol auf Hanf. Dochnun entdeckt die Beauty-Branchedie Nutzpflanze für sich.Von Sylvia Buchacher

Beauty-Effekte. „Für die Hautpflege wird lediglich dasHanfsamenöl verwendet, ohne Cannabinoide“, sagt AndreaWeber, Leiterin des Babor-Forschungszentrums.

Hanföl wird übrigens aus den Samen des Nutzhanfs ge-wonnen und enthält deshalb keine nennenswerten Mengenan Cannabinoiden, zu denen auch die bewusstseinserwei-ternden Stoffe zählen. Cannabinoide wurden schon vorJahrtausenden gegen Krankheiten wie Migräne und Rheumaeingesetzt und kommen hauptsächlich in den Blüten undBlättern vor. Zu den zwei bekanntesten der mehr als 100teilweise noch unerforschten Stoffe gehören THC (Tetra-hydrocannabinol), das für die psychoaktive, also die berau-schende Wirkung von Cannabis verantwortlich ist, undCBD (Cannabidiol), das vor allem in der Medizin ein-gesetzt wurde und nun von der Beauty-Branche entdecktwird, zum Beispiel von Alexander Ehrmann.

Besonders die schmerzlindernden und entzündungs-hemmenden Eigenschaften spielen im neuen Sortiment derHanfprodukte eine wichtige Rolle. Die ersten CBD-Pro-dukte für einen größeren Markt wurden zunächst für dieBehandlung von Muskelkater und Arthritis entwickelt.Heute setzen vor allem amerikanische Unternehmen aufden Wirkstoff, der sich besonders bei Akne bewährt hat.Zugleich bekämpft er Anzeichen der Hautalterung undregt die Zellerneuerung an.

Und keine Angst, was den Bewusstseinszustand angeht!Man wird nicht high, wenn man sich ein mit CBD versetztesProdukt aufs Gesicht schmiert. Das Cannabinoid hat keinepsychoaktiven Eigenschaften, sofern es aus Industriehanfgewonnen wurde, und darf bei einem sehr geringen THC-Gehalt auch in Deutschland legal angebaut und verkauftwerden. Hierzulande wird CBD-Öl nach wie vor aus-schließlich als Nahrungsergänzungsmittel verwendet undhat sich vor allem bei Schlafproblemen, Burnout, Angst-störungen und entzündungsbedingten Schmerzen als wirksam

erwiesen. Hollywood kennt sich damit aus: Die Schauspie-lerin Gwyneth Paltrow sagte neulich in einem Interview,sie nehme in besonders stressigen Zeiten vor demZubettgehen ein paar Tropfen CBD-Öl ein, um sich zuentspannen. Und Whoopi Goldberg hat vor zwei Jahrendie Marke Whoopi & Maya gegründet, um medizinischeCannabis-Produkte zu entwickeln, die unter anderemgegen Menstruationsbeschwerden helfen sollen. Vieleamerikanische Bundesstaaten sind allerdings noch nichtbereit für Goldbergs Formel – wegen des psychoaktivenTHC in den Produkten.

Dass Cannabinoide so großen Einfluss haben, hat eineneinfachen Grund: Sie sind uns Menschen alles andere alsfremd. Die Wirkung der pflanzlichen Stoffe ähnelt demWirkmechanismus bestimmter körpereigener Substanzen,der Endocannabinoide. Sie werden vom Körper gebildetund müssen nicht von außen aufgenommen werden. „Stoffeaus der Hanfpflanze wie zum Beispiel THC oder CBDentfalten ihre Wirkungen durch das Andocken an Canna-binoid-Rezeptoren im Körper“, sagt Pharmazeut Ehrmann.„Die zahlreichen Funktionen des Endocannabinoid-Systems sind noch nicht vollständig untersucht, doch eshat beispielsweise eine wichtige Schutzfunktion: Es wirdbei übermäßigem Stress aktiv und hilft dem Körper, zu seinemNormalzustand zurückzufinden.“

Die Botenstoffe sind außerdem an der Regulierung vonAngst, Euphorie, Hunger, Schmerzlinderung und Muskel-entspannung beteiligt. Sobald man also pflanzliche Canna-binoide zu sich nimmt, unterstützen sie das eigene Systemund entfalten gleichzeitig ihr medizinisches Potential.

Aber was hat das jetzt noch mit Beauty zu tun? Khus +Khus ist eine der Marken, die dieses Potential nutzen wollen.Das amerikanische Naturkosmetikunternehmen hat sichin seinen Pflegeprodukten auf besondere Pflanzenwirk-stoffe spezialisiert. Die Gründerin Kristi Blustein verwen-det ausschließlich biologische und nachhaltig angebauteInhaltsstoffe. Eher durch Zufall erfuhr sie vor zwei Jahrenüber eine Freundin von der besonderen Wirkung desCBD-Extrakts in der Hautpflege. Nach gründlicherRecherche entschied sie sich, den Stoff auch in einemihrer Produkte zu verwenden. Ihr Sen Face Serum, einGesichtsserum gegen Unreinheiten, Hautalterung undRötungen, kommt äußerlich schlicht daher. Das Designist in Schwarz-Weiß gehalten, und auch der angenehmeKräuterduft erinnert so gar nicht an die Rauchschwadenan der Straßenecke.

Dass sich diese Produkte gerade eher in den VereinigtenStaaten durchsetzen, hat das schwedische Gründerpaar hin-ter Herb Essntls beobachtet. „Amerikanische Konsumentensind schon besser an Cannabis-Produkte gewöhnt, siehaben sich schon eine Meinung über die Wirkung gebildetund wissen, worauf sie Wert legen“, sagt die MitgründerinUlrika Karlberg, die mittlerweile in Los Angeles lebt.„Europäische Konsumenten sind eher noch neugierig. Fürsie sind Cannabis-Produkte in der Hautpflege neuer undnoch recht exotisch.“

Trotzdem: Cannabidiol wird sich auf Dauer auch hier-zulande durchsetzen. „Es herrscht Goldgräberstimmung“,sagt Alexander Ehrmann. Als SOS-Creme für verschiedeneHautbedürfnisse scheint CBD einfach gut geeignet zu sein.Bis es soweit ist, genehmigt man sich eben noch ein paarTropfen CBD-Öl.

Berauschend schön:Hanf-Produkte vonHerb Essntls, TheBody Shop, Babor,der Saint-Charles-Apotheke undKhus + Khus(im Uhrzeigersinnvon links oben)

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46 GLEICHBERECHTIGUNG

a sitze ich also, zarte 14 Jahrealt, an einem düsteren Donners-tagabend (so kommt es mir zu-mindest heute vor), und blei-be mit der Fernbedienung aufProSieben hängen. Ich lehnemich zurück, bis ich im Sofaversinke, und bewundere Hei-

dis Mädels, wie sie mit unendlich langenBeinen über den unendlich langen Lauf-steg schweben, in Kleidern, die von einemanderen Planeten zu kommen scheinen alsmeine H&M-Garderobe.

Werbepause. „Venus“ von der BandShocking Blue ertönt, und Topmodel-Kandidatin Alisar (die spätere Gewinnerin)sitzt in einem Ferienresort, mit Beinen soglatt, „dass man sie berühren muss“. Ichlerne: Mit Gillette Venus Embrace hatAlisar ihre innere Göttin entdeckt.

Ich bin mitten in der Pubertät undmöchte natürlich auch meine innere Göttinentdecken. Also tigere ich am nächstenTag los zu Real. Ich stehe vor dem Rasierer-regal und suche nach dem Gillette VenusEmbrace. Er kostet um die 15 Euro. Kurzhalte ich inne. Egal! Ich denke an AlisarsBeine und greife zu.

Heute bin ich 22 Jahre alt, und dieRasierer von Gillette Venus sind ein festerBestandteil meines Lebens. Alle paar Mo-nate, wenn ich die Klinge in einer Mischungaus Geiz und Faulheit wieder zu langebenutzt habe, pilgere ich zum Drogerie-markt, kaufe vier Gillette-Venus-Ersatz-klingen, zahle brav meine mehr oder wenigerzehn Euro und lege noch ein paar weitereSachen mit aufs Band, damit ich mir nichtso dämlich vorkomme, weil ich geradeeinen Stundenlohn für glatte Beine aus-gegeben habe.

Preisunterschiede zwischen Schönheits-produkten für Männer und Frauen? DerGender Pay Gap ist ja allseits bekannt: Inder Europäischen Union verdienten Frau-en 2014 pro Stunde 16 Prozent weniger alsMänner. Müssen Frauen, die weniger ver-dienen, also für bestimmte Produkte auchnoch mehr zahlen?

Die Antidiskriminierungsstelle des Bun-des hat im Herbst eine Studie veröffent-licht, die Preisdifferenzierungen nach Ge-schlecht für Produkte und Dienstleis-tungen untersucht hat. Die gute Nachrichtzuerst: Bei vergleichbaren Produkten zahlenFrauen in Deutschland selten mehr. Doch

es gibt einige Ausnahmen, zum Beispiel somanche Rasierermarke. Bei Aldi kostet dieVier-Klingen-Packung für Frauen 15 Pro-zent mehr als die für Männer ‒ das machteine Preisdifferenz von 50 Cent pro Klinge.Einziger Unterschied zwischen den Rasie-rern: Farbe und Verpackung.

Frappierend sind die Unterschiede vorallem bei Dienstleistungen. Frauen zahlenfür einen vergleichbaren Kurzhaarschnitt12,50 Euro mehr als Männer, erfahre ichaus der Studie. In der Reinigung wird pau-schal für die Damenbluse im Durchschnitt1,80 Euro mehr berechnet, unabhängigvon der Verarbeitung oder dem Stoff. Unddann sind da noch die Produkte, die sichnur schwer vergleichen lassen: Hautcremes,Shampoos, Parfums. Auch hier scheinendie Preise im Damenregal höher angelegtzu sein. Doch weil die Rezeptur anders ist,lässt sich den Herstellern nichts vorwerfen.

Ich rufe Iris an der Heiden vom IF!Institut für sozioökonomische Forschungan. Sie hat die Studie gemeinsam mitMaria Wersig, Jura-Professorin an derFachhochschule Dortmund, im Auftragdes Bundes ausgeführt. Warum also? „DieBegründung lautet, dass die Arbeit an derFrau ja aufwendiger ist, weil sie eine Frauist“, sagt an der Heiden. Das sei geschlech-terstereotypisch, also „natürlich falsch“,aber schwer aufzubrechen.

Dabei ist das gesetzwidrig. Maria Wersigverweist auf das Allgemeine Gleichbehand-lungsgesetz, umgangssprachlich Antidis-kriminierungsgesetz. Darin steht, dass nie-mand bei Massengeschäften, wenn alsoLeistungen oder Produkte, Rasierklingenoder Friseurschnitte, am Markt angebotenwerden, diskriminiert werden darf, wedernach Herkunft, Religion oder Geschlecht.Das gilt sowohl für unmittelbare als auchfür mittelbare Diskriminierung, wenn alsoentweder auf dem rosafarbenen Produktexplizit „für Frauen“ steht, oder wenndurch farbliche Kennzeichnung und ab-gebildete Frauenbeine suggeriert wird, dasses sich um ein Frauenprodukt handelt.Bietet die Firma das gleiche Produkt, wennauch in anderer Farbe, für Männer an,muss der Preis derselbe sein.

Warum klagt dann niemand? Dazusagt Iris an der Heiden: Wegen 30 Centklagt man eben nicht.

Was sonst wäre zu tun, damit Frauenvon ihren 16 Prozent weniger Lohn nicht

beim nächsten Einkaufsbummel oder Fri-seurbesuch auch noch mehr Geld an derTheke liegen lassen als Männer? ChristineLüders, die Leiterin der Antidiskriminie-rungsstelle des Bundes, berichtet, dass siemit den Friseur-Innungen in Deutschlandins Gespräch kommen wolle, um eineLösung nach dem Vorbild Österreich aus-zuarbeiten. Dort haben die Innungengemeinsam mit der Gleichbehandlungs-anwaltschaft geschlechtsneutrale Muster-preislisten erarbeitet, die zwar nicht zwin-gend sind, an die sich aber viele halten.Männer ließen sich heute schließlich auchSträhnen machen, sagt Christine Lüders,deshalb solle man entsprechend nach Auf-wand und nicht nach Geschlecht zahlen.„Wenn wir darüber sprechen, ist ein Um-denken möglich.“

Bis dahin empfiehlt die Gleichstel-lungsbeauftragte den Frauen, Friseure direktdarauf anzusprechen, wenn ihnen derSchnitt pauschal teurer berechnet wird.Dasselbe gilt für die Reinigung. Die Nach-frage bestimme das Angebot, sagt auchChristine Whelan, Professorin für Konsum-verhalten an der Universität Wisconsin-Madison im amerikanischen BundesstaatWisconsin: Frauen sollten ihren Protestmit dem Scheckbuch ausdrücken. Zuvor,sagt Whelan, brauche es allerdings eineBildungskampagne, die Frauen beibringe:Nur weil wir Frauen sind, müssen wirnicht das pinkfarbene Ding kaufen. Beiihrer Tochter fängt Whelan damit an: ImSupermarkt habe sie der Kleinen gezeigt,dass der rosafarbene Fahrradhelm zweiDollar mehr kostet als der blaue. Gekaufthaben sie den blauen, zu Hause haben sieihn mit Aufklebern versehen.

Ich gehe also wieder los zum Testkauf,dieses Mal zu Target, der amerikanischenDrogeriekette, Filiale Downtown Los An-geles, wo ich seit fast vier Jahren lebe. Wiepraktisch, dass hier die Frauenrasierernicht direkt neben denen der Männerhängen, sondern gegenüber. So merkt viel-leicht keiner, dass die Preisunterschiede inAmerika gravierend sind. Dabei verdienenFrauen hier so viel weniger, dass sie, aufsJahr umgerechnet, im Vergleich zumDurchschnittsgehalt von Männern biszum 10. April für umsonst arbeiten.

Im Dezember 2015 hat die Stadt NewYork eine Studie zu Preisdifferenzierungennach Geschlecht herausgegeben, vom Kin-

derfahrrad über Windeln für Erwachsenebis zum T-Shirt von Abercrombie & Fitch.Obwohl darin teilweise nur schlechtvergleichbare Produkte gegenübergestelltwurden und die Ergebnisse daher mit Vor-sicht zu genießen sind, schlug die StudieWellen. Kinderspielzeug war demnach imDurchschnitt sieben Prozent teurer fürMädchen, Kinderbekleidung vier Prozent.Erwachsenenbekleidung werde um achtProzent, Pflegeprodukte um acht Prozentund Kosmetikartikel um ganze 13 Prozentteurer an Frauen verkauft.

In Kalifornien gibt es seit 1995 einGesetz, das Preisdifferenzierung nach Ge-schlecht bei Dienstleistungen verbietet ‒ein Teil des deutschen Antidiskriminie-rungsgesetzes gilt also sozusagen auch hier.Preislisten, die nach Männerhaarschnittund Frauenhaarschnitt aufgeteilt sind,sind verboten. Beim Verkauf von Rasierernist geschlechterspezifische Diskriminierungallerdings erlaubt.

Im Juni 2016 wollte Ben Hueso, De-mokrat aus San Diego und Abgeordneterim kalifornischen Senat, das Gesetz aufProdukte erweitern. Am Rednerpult desSenats wedelte er mit einem blauen undeinem pinkfarbenen Rasierer derselbenMarke durch die Luft und rief, dass einZwölferpack der Rasierer im selben Super-markt für Frauen fünf Dollar mehr koste.„Wir wissen, dass Frauen bereits über eingeringeres Einkommen verfügen. Warumberechnen wir ihnen darüber hinaus mehrfür essentielle Produkte, die sie in ihremtäglichen Leben brauchen?“

Der Gesetzvorschlag wurde abgelehnt‒ zu groß der Gegenwind, zu angreifbarwürde das die Hersteller für Klagenmachen. Im liberalen Kalifornien weigertman sich also, Geschlechterdiskriminie-rung bei Produktpreisen zu verbieten.

Ich entdecke die Gillette-Venus-Rasiererim Frauenregal bei Target und denke anHeidi Klum. Das hier ist Amerika, undwer will, kann für den neuen GilletteVenus, genannt Swirl, 14 Dollar hinlegen,um dann ein paar Wochen später fürknapp 30 Dollar sechs Ersatzklingen zukaufen. Bei den Männern kostet dieZwölf-Monats-Vorratspackung für denGillette Fusion 43,49 Dollar, Rasierer undzwölf Klingen inbegriffen. Mein Blickwandert weiter zu den Billigrasierern, dielieblos in Gitterkisten im untersten Regal-

Für den Friseurbesuch, die Anschaffung von Rasierklingen, denService in der Reinigung müssen Frauen mehr zahlen als Männer. Die „pink tax“

ist nicht im Sinne des Gesetzes. Aber niemand klagt dagegen.Von Aziza Kasumov

ROSA IST EINETEURE FARBE

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47GLEICHBERECHTIGUNG

Einmal-Rasierer, einer inRosa, einer für Männer undeiner von Billie: In derDusche unserer Autorinsammelt sich nach derRecherche für diesen Artikeldas Enthaarungswerkzeug.

fach liegen. Bei den Frauen ist die preis-werteste Variante von BIC, 14 Rasierer für5,99 Dollar, Silk Touch, versteht sich, diePackung ist pink, die Plastikgestelle kom-men in sanften Pastelltönen daher. Macht43 Cent pro Rasierer. Bei den Herren istdie billigste Variante von Up & Up, dieRasierer sind blau und kosten nur 32 Centpro Stück. Ich kaufe ein ZwölferpackHerrenrasierer für 3,79 Dollar und fühlemich clever.

Zu Hause rasiere ich mir die Beine mitmeinem blauen Rasierer, und meine Haut

fühlt sich danach genauso sanft an, wie ichmir die Haut von Alisar vorstelle. Meineinnere Göttin, entzaubert durch ein paarBilligrasierer aus der Herrenabteilung! Nurunter den Achseln und in den Kniekehlenerweist sich der Herrenrasierer als sperrig.Es geht ums Prinzip, denke ich, undschneide die Zweifel ab wie widerborstigeHärchen.

Auch Georgina Gooley hat jahrelang dieblauen Männerrasierer gekauft, um demMarketingpersonal der Rasiererherstellerein Schnippchen zu schlagen, um mit dem

Scheckbuch zu protestieren, um sich vonder sogenannten „pink tax“, der rosaSteuer, zu befreien. Dann begriff sie einesTages, wie absurd es ist, dass Frauen fürdie Produkte einer Industrie, in der sie nurder Schlussgedanke sind, entweder mehrzahlen sollen oder auf Herrenproduktezurückgreifen müssen. Warum könnenRasierer nicht für Frauen gemacht seinund sich dennoch mit einem gerechtenPreisschild schmücken? Gooley beschloss,die Dinge selbst in die Hand zu nehmen –und gründete Billie.

Billie verkauft Rasierer, speziell fürFrauen entwickelt. Der Griff ist an die Artangepasst, wie Frauen ihre Rasierer halten,und in den Farben Korallenrot, Pfirsich,und Hellblau erhältlich. Neun Dollar kostetdas „Starter Pack“, mit Griff und zweiErsatzklingen. Das Päckchen wird an dieHaustür geliefert, ohne Extra-Gebühr,und alle drei Monate kommt Nachschub.Mit mir möchte Gooley nicht reden ‒Billie verkauft nicht nach Deutschland,hier hört der gute Wille also auf.

Ich bestelle trotzdem. Mir klingen dieWorte von Iris an der Heiden im Ohr, diegesagt hat: „Ich möchte gerne die Elternsehen, die aus Preisgründen ihren Sohnmit einem pinkfarbenen Schulranzen indie Schule schicken.“ Das „Blaue-Rasierer-Argument“ sei für sie hinfällig.

Warum also müssen Frauen auf Her-renrasierer zurückgreifen, für ihre Weib-lichkeit draufzahlen, beim Friseur mehrGeld lassen? Weil wir aufwendiger sindund länger brauchen als Männer? Oderweil Firmen aus einem gesellschaftlichenSchönheitsdruck Profit schlagen?

Wir zahlen 19 Prozent Steuer auf Tam-pons, und wir arbeiten selbst in Deutsch-land bis zum 18. März für umsonst. Wirzahlen mehr für die Kinderscooter unsererTöchter, weil sie rosa sind. Wir zahlendreistellige Beträge für Verhütungsmittelund müssen uns dann anhören, dass eineKondompackung für 20 Euro ja diese Aus-gaben ausgleicht. Nein, wir müssen eigent-lich kein Geld für Make-up ausgeben –werden dann aber gefragt, ob wir kranksind, weil wir so blass aussehen.

Wir brauchen das ja eigentlich nicht!Sind wir, wenn wir uns trotzdem darüberbeschweren, einfach nur bedauerlicheWesen, die, wie mancher sagt, „wedererfolgreich noch erfolgreich verheiratet“sind, sondern mit 45 Juniorersatzprofesso-rinnen für Sozialwissenschaften werden?

Meine Rasierer von Billie sind da. Ichpacke sie aus, stecke die Klinge auf denGriff und rasiere mir die Beine. Mein hell-blauer Rasierer ist kein revolutionäresGerät, er hat fünf Klingen pro Rasierkopf,umrandet von einem Feuchtigkeitsband ‒so wie mein Gillette Venus Embrace, fürden ich als Vierzehnjährige 15 Euro ausge-geben habe. Jetzt zahle ich umgerechnetknapp 7,50 Euro. Keine „rosa Steuer“! Dasnenne ich einen fairen Deal.FO

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48 PORTRÄTS

as menschliche Gesicht ist der wohl interessantesteTeil der Erdoberfläche“: Mit den Worten GeorgChristoph Lichtenbergs, des großen Allround-Genies aus dem 18. Jahrhundert, beschreibt Günter

Pfannmüller seinen Wunsch, Porträts zu erschaffen, dienicht einfach gestohlen sind. In den Jahren, in denen er fürdeutsche und internationale Zeitschriften als Reportage-Fotograf unterwegs war – von der Wetterau bis auf diePhilippinen, vom Spessart bis nach China –, hatte er zwarimmer wieder Menschen porträtiert, aber sie waren ihmunwissentlich vor die Linse gekommen. Er jedoch wollteechte Porträts aufnehmen, nicht gestohlene. Sie sollteneine Begegnung sein, die das Gegenüber würdevoll zeigt.Der Porträtierte sollte auf Augenhöhe sein mit dem Be-trachter.

Günter Pfannmüller, der 1950 in Frankfurt geborenwurde, gründete 1980 in seiner Heimatstadt sein eigenesFotostudio. Er bediente Kunden aus Deutschland unddem Ausland mit Werbefotos. Das war lange vor demZeitalter der digitalen Fotografie. Und vor dem Zeitalter

Der Fotograf Günter Pfannmüller nennt sein ethnologischesProjekt, das er vor einem Vierteljahrhundert mit dem AutorWilhelm Klein begann, „Auf der Suche nach der Würde“. Esist aktueller denn je: Einige der Völker sind vom Aussterbenbedroht. Von Laura J. Gerlach, Fotos Günter Pfannmüller

Kuije, 19 Jahre altes Karo-Mädchen, mit Perlenschmuck und Armreifen, einem Nagelpiercing in der Lippe und typischer Lehmfrisur

ÄTHIOPIENAUF AUGENHOHE

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49PORTRÄTS

Beregi, ein Hamer-Mädchen von 15 Jahren, trägt eine Patronenhülse im Armreif und Muschel-Implantate. Solche „Immunanreize“ sollen auch ein Zeichen dafür sein, dass eine Frau gesund und stark ist.

Munte (links),22 Jahre alt, undGao, 17 Jahre, sindKaro-Frauen. Sietragen Gesichtsbema-lung, Nagelpiercing,Ketten und mit Perlenbestickte Ziegenfelle.Karo-Leute sind meistGemüse- undKornbauern, die mitihren Nachbarn, denHamer, friedlichleben und ihreFeldfrüchte gegenMilch, Fleisch undBlut tauschen.

des großen Sparens. Über gut honorierte Aufträge konnteer nichtkommerzielle künstlerische Projekte querfinanzieren.Sein dokumentarisches Projekt auf der Suche nach derWürde des Menschen ist zu einem Langzeitprojekt, ja, zueiner Lebensaufgabe geworden: „Ich bin ein Sammler. Ichwollte als Fotograf mit meinen Fähigkeiten und zu meinerZeit etwas festhalten, das vom Aussterben bedroht ist.“

Reisen zu den entlegensten Orten der Welt brachtenihn und seinen Reisegefährten, den Autor Wilhelm Klein,dahin, wo die Menschen noch ursprünglich lebten, freivom Einfluss der westlichen Welt und vom technischenFortschritt, so, wie es ihre Vorfahren seit Jahrhundertentaten, im Einklang mit der Natur und mit Hilfe einesUrwissens, das als Erfahrungsschatz von Generation zuGeneration weitergegeben wurde. Nicht so sehr Abenteu-erlust, sondern vielmehr Liebe zur Natur waren innererAntrieb, etwas zu bewahren in Bild und Beschreibung,was der Erde verlorengeht und heute größtenteils schonverlorengegangen ist – die Mikrokulturen indigener Völkerund Stämme in Asien, Afrika, Amerika und Australien.

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50 PORTRÄTS

ÄTHIOPIENAUF AUGENHOHE

Bunu und Monoka sind 14 Jahre alt. Als Kettenschmuck verwen-den sie Perlen, Sicherheitsnadeln und Kugelschreiberdeckel.

Nabokè, das fünfzehnjährige Mursi-Mädchen, trägt einenTonteller in ihrem Ohrläppchen.

Hailo, 28 Jahre alt, ist vom Stamm der Hamer. Das Lederhalsbandmit Metallabschluss ist das Zeichen dafür, dass sie verheiratet ist.

Die Karo-MädchenGabuschè und Burna

sind 15 Jahre alt.Zur Zierde sinddie Ziegenfellemit Perlen und

Muscheln bestickt.

Sie alle sind Opfer der westlichen Welt, die Lebensräumezerstört und das destruktive Bedürfnis weckt, ihr nachzu-eifern – und damit, vermeintlich freiwillig, Tradition,Kultur, Wissen und Naturverbundenheit aufzugeben.

Pfannmüller und Klein benennen große Namen alskonzeptionelle Vorbilder ihres Projekts: Irving Penn, derebenfalls mit einem Zelt die Welt bereiste und in seinemFotoprojekt „Worlds in a small room“ Menschen aus Peru,Nepal, Marokko und Neuguinea versammelte; und Ed-ward Curtis, der die Indianer Nordamerikas, die sich ihresAussterbens bewusst waren, fern jeder Attitüde von Über-legenheit gegenüber einem womöglich wissenschaftlichenObjekt fotografierte.

Für diese Entdeckungsreisen musste man eine gewisseInfrastruktur bereithalten. Pfannmüller entwarf ein kubi-sches Zelt als Tageslicht-Studio, zerlegbar für die Reise,leicht aufzubauen am Ort, die Öffnung einer Seite nachNorden hin ausgerichtet. Das transportable Studio, dasHerzstück des Projekts, diente auch als vertrauensbildendeMaßnahme. Aus dem großen Paket aus Stangen und Stoffkonnte nur mit helfenden Händen das Zelt entstehen. DieCrew war also auf die Hilfe der Einheimischen angewiesen.Der Frage nach der Bereitschaft, sich fotografieren zu lassen,ging ein Gemeinschaftswerk voraus. Man erbaute einengemeinsamen Raum. Das war eine Incentive-Erfahrungaus ganz praktischen Gründen. Bevor man die Menschenporträtierte, kamen sie am Zelt zusammen, dem Raum fürdie Begegnung von Fotograf und Modell.

Die weitere Ausrüstung von knapp einer halben TonneGewicht und mehr als 1400 Teilen umfasste auch zweiklassische analoge Fotokamerasysteme: eine Hasselblad,Mittelformat, und eine Leica M6, Kleinbildformat. GegenStöße und Sand waren sie weitgehend geschützt, und siewaren einfach, fast freihändig, zu bedienen. Am Set nahmdie Kamera nur wenig Platz ein. Das Gerät der fahrendenFremden war kein großer, bedrohlicher technischer Zauber,sondern ein unscheinbares Kästchen. Das ins provisorischeStudio geleitete Tageslicht machte auch eine Blitzanlageüberflüssig.

Der „echte“ Film hatte den Vorteil, dass weder Strom-noch Datensicherung nötig und keine empfindlichenund risikobehafteten Festplatten und Computer im Spielwaren. Die belichteten 6x6-Filmrollen der Studioauf-nahmen wurden in ihre Kästen zurückgesteckt, beschriftet,nummeriert, in Listen verzeichnet mit Namen, Alter undBeruf der jeweils abgelichteten Personen, manchmal demFamilienstand und natürlich der Stammeszugehörigkeit.Die analoge Technik ließ einen schnellen Wechsel derFilmkassetten an der Kamera zu, so dass vom Sofortbild-Polaroid als Belichtungstest schnell zu Farb- oder Schwarz-weißfilm gewechselt werden konnte. Die Polaroids dienten

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Die Lehmkappe der Männer ist eine Auszeichnung der Hamer für besonderen Jagderfolg. Der Federschmuck des 23 Jahre alten TagashuColi besteht aus drei Federn, die sich im Wind bewegen – das gilt als positive Verbindung zwischen Erde und Himmel.

Aldi, eine 42 Jahre alte Karo-Frau, trägt sehr viele schmückende Armreifen aus Metall.

ÄTHIOPIENAUF AUGENHOHE

nicht nur zur Überprüfung von Belichtung und Schärfe,sondern im Anschluss auch als Gegengeschenke an dieModelle – einige hatten sich noch nie auf einem Bildgesehen. Das war wiederum ein Anreiz für weitere Bewohnerder Dörfer, ebenfalls Modell zu sitzen.

Im November und Dezember 1996 bereisten GünterPfannmüller und Wilhelm Klein mit den Set-ManagerinnenSabine Seitz und Renate Klein Äthiopien. Von AddisAbeba aus starteten sie mit zwei Geländewagen, zwei Fahrernund einem Übersetzer über Arba Minch und Jinka Rich-tung Südosten ins Gebiet des Rift Valley zum Fluss undNationalpark Omo. In den folgenden Wochen trafen sieauf unterschiedliche indigene Völker, und es entstandenFotos von Mitgliedern der Mursi, Karo und Hamer.

Der Besuch bei den Mursi hinterlässt einen besonderstiefen Eindruck: „Unser Geist reicht nicht aus, um zu ver-stehen, wie eine solche Lebensform gegenüber unsererhochtechnisierten überhaupt noch existieren kann“,schreibt Pfannmüller in seinem Tagebuch. „Außer einemSpeer, einem Messer und Kalebassen verfügen diese Men-schen über keinen Besitz.“

Der Lebensraum der Mursi, deren Frauen Teller ausTon in ihren gespaltenen Unterlippen und Ohrläppchentragen, ist heute stark gefährdet. Die äthiopische Regie-rung vertreibt die Stämme, um das Flussgebiet umzu-gestalten. Mit einem großen Projekt zur Ausweitung derStaudämme im Omo wird die Lebensgrundlage derBewohner zerstört, die auf dem natürlichen Rhythmus desunberührten Flusses beruht.

Der Fluss, der saisonal über die Ufer tritt und für dieBewässerung des Bodens sorgt, ist die Grundlage für denAnbau der lebensnotwendigen Hirse. Die Regenzeit be-wässert jene Gebiete, die nicht am Flusslauf gelegen sindund in Zeiten der Regengüsse zu fruchtbaren Ackerbödenwerden. Die Natur- und Erdverbundenheit der Mursikommt in der Verwendung von Ton, Lehm und Erde zumAusdruck, die auch zur rituellen Bemalung und als Zau-ber, Arznei und Gesundheitsvorsorge dienen. In diesePraktiken greift die Regierung ebenfalls verschärft ein.

Pfannmüllers Bilder zeigen die Mursi selbstbewusstund kämpferisch. Die Frauen präsentieren ihren Lippen-und Ohrenschmuck voller Stolz dem Blick der Kamera.

In Kleins Texten ist ein weiterer Besitz der Mursi er-wähnt: die Kalaschnikows. Wie allen ehemaligen Pflicht-mitgliedern der nationalen Wehrtrupps war es auch denMursi erlaubt, ihre Waffe nach Ende des Wehrdienstes alsEigentum zu übernehmen und fortan zu führen. Der Einsatzder Kalaschnikows ist jedoch beschränkt, denn Handelund Besitz von Munition sind verboten. So entstand einSchwarzmarkt, der auch das Interesse der Mursi an Geldgeweckt hat. Klein beschreibt, wie sich die anfänglichfriedliche Atmosphäre beim Fotografieren wandelte. Der

Der 24 Jahre alte Bahar Barunu hat eine für Mursi-Männer typische Körperbemalung.

Die Hamer-Frau Alo Mana, 25 Jahre alt, ist auf dem Weg zum Markt in Turmi, um ihr Stroh gegen andere Produkte zu tauschen. In derKalebasse hat sie Wasser für unterwegs. Ihre Sandalen sind aus dem Gummi alter Autoreifen hergestellt.

w w w . g o l d s c h m i e d e - h o f a c k e r . d eK o b l e n z 0 2 6 1 1 2 2 0 2 | T r i e r 0 6 5 1 9 1 2 0 9 7 7

D I E FA S Z I N AT I O N D E R E D E L S T E I N E

MYSTÈRE

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ÄTHIOPIENAUF AUGENHOHE

Der Mursi-MannBaikadai Ndunku,26 Jahre alt, kommtgerade vom Fischen:Der Fluss hat dieBemalung von seinenBeinen abgewaschen.

Manitè Jagro ist 27 Jahre alt. Die Mursi-Frau mit Tellerlippe undgeschlitzten Ohrläppchen stillt ihr Baby.

Die Federn stecken in einem Halter an der Lehmkappe. Bori Gadiist ein 60 Jahre alter Jäger des Karo-Stammes.

Karto, 17 Jahre alte Karo-Bäuerin, ist mit Roter Butter einge-schmiert, ihr Kopf ist rasiert – das steht für ihre Initiation.

Wunsch der Mursi, sich porträtieren zu lassen, stand baldhinter dem Verlangen nach Bezahlung zurück.

In den neunziger Jahren, als diese Fotos entstanden,trugen die Menschen noch überwiegend ihre traditionelleKleidung und zeigten sich in Bemalung. Klein nannte eseine Erscheinung von „gelebter Poesie“. Die auffälligeHautbemalung der Karo-Leute ist als Ritus und Zeichenzu verstehen. Die Hamer zeigten sich in umgelegten Ziegen-fellen. Die Eisenringe an den Fesseln der jungen Frauenwaren zugleich Schmuck, Symbol – und Accessoire zumRhythmusschlagen beim Tanz.

Auch Kleidungstraditionen und Körperschmuck wer-den immer stärker vom Westen beeinflusst. Bei jungenStammesmitgliedern finden heute Teile aus westlichenAltkleidersammlungen und Billigwaren aus China häufigerAnklang als die traditionelle Kleidung.

Wie schafft es Pfannmüller, statt Exotik die Würde inden Vordergrund treten zu lassen? Er erklärt es mit derLangsamkeit des fotografischen Prozesses: Das Klickendes Spiegels ist fast geräuschlos, das ins Zelt fallendeNordlicht erfasst den Protagonisten, taucht die Situationin eine betonte Dreidimensionalität. Der Hintergrund: einroher Stoff, von einem Bühnenbildner so entworfen, dasser für Aura sorgt; die Ruhe im Umgang zwischen Fotografund Gegenüber; die Kamerahöhe niedrig, dem Porträtiertenauf Augenhöhe begegnend. Eine geringe Tiefenschärfe,auf den Augen liegend, um wesentliche Züge des Men-schen hervortreten zu lassen. Nicht so sehr die Äußerlich-keit der Erscheinung, sondern die Seele, von der es heißt,sie habe ihren Sitz in den Augen, rückt die Menschlichkeitin den Vordergrund. Die Kleidung, der Schmuck, dieKörperbemalung, die rituellen Accessoires unterstreichendiesen Eindruck nur.

„Über der Erde lodert ein Feuer, das Pflanzen undTiere, Kulturen, Sprachen, alte Fertigkeiten und visionäreWeisheit verschlingt. Diese Flammen zu ersticken und diePoesie der Vielfalt wieder zu erfinden ist die bedeutendsteHerausforderung unserer Zeit“, schreibt der amerikanischeEthnologe Wade Davis. Von dieser Poesie berichtenPfannmüller in seinen Bildern und Klein in seinen Texten.Sie sind ein Aufruf an den Betrachter, an uns alle: Derenorme Verlust, den wir der Welt schon zugefügt haben,ist kaum wiedergutzumachen. Wir müssen eintreten fürden Erhalt und die Poesie der Vielfalt. Menschen sind un-terschiedlich. Sie müssen gleichberechtigt in einer Weltleben, in der die jeweilige Individualität zum Ausdruck ge-bracht werden kann. Darin liegen Schönheit und Würdebegründet.

Zu dem Projekt sind folgende Bücher erschienen:„In search of dignity“, Aperture-Verlag, New York 2002„Visages de la dignité“, GEO Gallimard, Paris 2002„Unantastbar“, Zweitausendeins, Frankfurt 2008

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REISE

OMIn der gehetzten Weltsind die SkandinavierVorbilder. Schwedenzum Beispiel nehmendas Leben leichter.Ihr Geheimnis: allesin Maßen. Eine Reiseins Land des Lagom.Von Stefanie Schütte

undgroßen Vorbild wird. Kindererziehung,Inneneinrichtung, Mode, Essen – dasalles verstehen Schweden, Dänen, Norwe-ger und vielleicht sogar Finnen aus Sichtvon Nicht-Skandinaviern angeblich besser.Denn sie haben ja einfache Prinzipien,zum Beispiel Hygge, was so viel heißt wieheimelig oder gemütlich, oder eben jetztLagom.

Allein im vergangenen Jahr sind viernennenswerte Bücher in Deutschlandzum Thema erschienen. Die in Schwedenlebende Bloggerin Niki Brantmark dekli-niert in ihrem Buch „Lagom. Der schwe-dische Weg zum Glück“ (Christian-Verlag)das Gefühl für alle Lebenslagen durch,von der Einrichtung über das Kochen bishin zur Kindererziehung. Ähnlich haltenes die Autorinnen Linnea Dunne(„Glücklich leben in Balance“, Callwey)und Anna Brones („Das Geheimnis desschwedischen Lebensglücks“, Busse See-wald). Auch Lola Åkerström („In derMitte liegt das Glück“, Knesebeck) gibtviele Tipps für ein Leben in Lagom-Manier.Gleichzeitig versucht sie, dem Wort selbstund seiner Geschichte auf die Spur zukommen und die schwedische Gesell-schaft zu analysieren.

Genau übersetzen kann man das Wortnämlich gar nicht. Es heißt so viel wie„ausreichend“, „nicht zu viel und nicht zuwenig“ oder „genau die richtige Menge“.Lagom transportiert die Idee, dass sichjeder nur so viel nimmt, dass es für allereicht. In Skandinavien gilt fast überalldas Motto: „Zusammen ist man wenigerallein.“ Das Wohl der Gemeinschaft zähltmehr als hemmungslose Selbstverwirkli-chung. Und Schweden ist das „Lagomlandet“, das Land des Lagom.

Wahrscheinlich kommt der Begriffvon „laghum“, der altertümlichen Dativ-form des Wortes „lag“, was wiederum„Gesetz“ oder „Regel“ bedeutet. Mankönnte „lagom“ somit als Regel definieren,

die für alle gleichermaßen gilt. „Lag“ be-deutet aber auch „Gruppe“ oder „Team“.In diesem Fall stünde Lagom für „lagetom“. Und das bedeutet: „um das Teamherum“. Schon die Wikinger sollen denGrundsatz beherzigt haben. Sie ließenihren Met in einem Trinkhorn herum-gehen. Jeder in der Runde nahm einenSchluck – immer nur so viel, dass für dieanderen genug übrigblieb.

Dass das Wort in Zeiten schwindenderRessourcen und eines wachsenden Über-drusses am Überfluss gerade herum-gereicht wird, wundert eigentlich nicht.Dass es von beinahe allen Lagom-Autorenzum wichtigsten Schlüssel für ein glück-liches Dasein erhoben wird, wirkt hin-gegen etwas übertrieben. Allerdings landetSchweden im „World Happiness Report“,dem Ranking der glücklichsten Nationen,seit Jahren tatsächlich regelmäßig aufeinem der ersten zehn Plätze. Und Åker-ströms Diagnose, dass Lagom helfe,„einen Strom der Ausgeglichenheit durchunser Leben fließen zu lassen“ – die kannich nur bestätigen.

Am besten erlebt man dieses Lebens-gefühl an Ort und Stelle – in Stockholmund seinem Schärengarten. In der Haupt-stadt selbst muss man eigentlich nur ein-mal im trendigen Stadtteil Södermalm bei„Hermans“ zum Mittagessen einkehren.Jeder Gast zahlt hier 195 Kronen, alsorund 20 Euro, und kann sich dann voneinem köstlichen vegetarischen Buffet be-dienen. Wasser und Kaffee gibt es gratisdazu – wie in vielen schwedischen Restau-rants. Die „Fika“, die regelmäßige Kaffee-pause, gilt als feste Institution, auch dasnatürlich ein Beispiel für Lagom. DieSchweden arbeiten zwar hart und konzen-triert, doch zum Ausgleich muss immerZeit für eine Pause sein.

Das „Hermans“ liegt auf einer Anhöhein der Fjällgatan. Man sitzt im Garten aufeinfachen Holzbänken und genießt den

„Geh an einem Sommermorgen in Stock-holm zum Kai am Strandväg hinunterund schau nach, ob dort ein kleiner weißerSchärendampfer mit dem Namen „Salt-kråkan I“ liegt. Wenn es so ist, dann ist esder richtige Dampfer, und man brauchtnur an Bord zu gehen.“

Die ersten Sätze von Astrid LindgrensBuch zur Fernsehserie „Ferien auf Salt-krokan“ gehören bis heute zu meinenliebsten Romananfängen. Im Frühjahrtreiben sie mir fast die Tränen in dieAugen, so stark wecken sie meine Sehn-sucht nach dem Sommer, nach Stockholmund den Schären. Denn der bringt – keinKlischee – tatsächlich pures, unverfälsch-tes, seligmachendes Glück.

Wir haben ein kleines Sommerhausauf einer Schäreninsel. Schwedensommer,das ist für mich die große Freiheit. Min-destens zweimal am Tag ins kalte Wasserspringen, schwimmen, tauchen, auf war-men Granitfelsen sitzen, Zimtschneckenessen oder das Nationalgericht S.O.S.:„Smör, Ost och Sill“ – Butter, Käse undHering. Oder Blaubeeren pflücken unddamit Pfannkuchen backen. Kochen,ratschen, lesen, lachen – und auch imRestaurant niemals hohe Schuhe und vielSchmuck tragen oder sich aufwändigschminken. Ich bin in meinem Lebenschon an alle möglichen Orte gereist, aberso entspannt wie in den Schären im Juni,Juli und August geht es nirgendwo anderszu. Jeder scheint dort ungestört seinenBedürfnissen nachgehen zu dürfen – undachtet dennoch darauf, damit niemandenzu stören oder zu behindern. Als ob dasganze Leben sich auf eine angenehmeBalance einpendeln würde.

Einer der Hauptgründe dafür liegt inder schwedischen Philosophie des Lagom,der Suche nach der richtigen Mitte.

Das Wort, das für ein Lebensprinzipsteht, ist eines der neuen Beispiele dafür,wie Skandinavien für Mitteleuropäer zum

56 REISE

Mischung ausMuseum, Res-taurant, Shop und grü-nem Ausflugsziel. Das helle großzügi-ge Gebäude wurde von dem ArchitektenJohan Nyrén perfekt in die Granitfelsenund die Landschaft eingepasst. Vondrinnen hat man so atemraubende Aus-sichten auf das Land und die See, dassdiese sogar die Ausstellungen überstrah-len. Draußen kann man stundenlangin der Sonne sitzen, sich immer wiederam Buffet mit regionalen Spezialitätenbedienen oder in der Natur herumwan-dern. Ähnlich wie im „Hermans“ treffensich hier junge und alte Leute, ärmereund reichere.

Erdacht und verwirklicht wurde diesernahbare Kunst-Tempel von dem schwe-dischen Unternehmer Björn Jakobsonund seiner Frau, der ProduktdesignerinLillemor. Das Paar revolutionierte mitder Marke Baby Björn und einer ergo-nomischen Babytrage in den siebzigerJahren das Lebensgefühl junger Eltern.Kleinkinder konnten fortan leicht überallhin mitgenommen werden. Heute sinddie Jakobsons beide Anfang 80, dochetwas bewegen wollen sie noch immer.Ihr vor rund sechs Jahren eröffnetes „Arti-pelag“ soll Natur und Kultur zusammen-bringen.

Wer nicht ganz so kunstsinnig ist,aber einen ähnlich entspannten Familien-tag mit gemütlichem Essen auf Holz-bänken, mit glitzerndem Meer und prallerNatur erleben möchte, sollte die kleineInsel Rögrund im südlichen Archipelbesuchen. Dort steht die wohl schönsteJugendherberge der Welt, „GrundetsVandrarhem“, mit den entzückend ein-gerichteten Stugas. Hier geht es wirklichwie auf Saltkrokan zu. Wildblumenwachsen auf den Granitfelsen, im Waldwarten Blaubeerbüsche auf hungrigePflücker. Im Restaurant gibt es typisch

Hem“ entfernt, am Norrmalmstorg. Selbstwenn man nichts kaufen will, sollte manvorbeischauen. Das Geschäft ist in denRäumen einer ehemaligen Bank, derSveriges Kreditbanken. 1973 trat währendeiner Geiselnahme hier erstmals das„Stockholm-Syndrom“ auf, das als krassesGegenteil zu freiheitlichen Prinzipien wieHygge und Lagom steht. Das gibt es hieralso auch. Vielleicht sind die Verkäuferdeshalb so sympathisch, denke ich mir.Jedenfalls durfte ich hier schon öftermeine gesamten Stockholm-Einkäufestundenlang stehen lassen.

Die Entwürfe von Acne sind pur, trag-bar, bequem – und trotzdem nicht lang-weilig. So wie die femininen Kleider derschwedischen Designerin Carin Rodebjer.Auch die Mitarbeiterinnen von „Ett Hem“tragen übrigens überwiegend Rodebjerund sehen allesamt großartig darin aus.Es sind Stücke, in denen man am liebstensofort losziehen würde, raus an die Luft,runter zum nahegelegenen Strandvägen,wo noch immer die weißen Dampfer inden Schärengarten ablegen, eine Wasser-

welt mit rund 24.000 Inseln,die nur zum Teil bewohntsind. Dort draußen kommtman dem Lagom-Gefühlnoch besser auf die Spur.Zum Beispiel im „Artipe-lag“, das auf der großenInsel Värmdö liegt undim Sommer von Stock-holm aus mit der Linie„Waxholmsbolaget“gut zu erreichen ist.„Artipelag“ setzt sichaus „Art“ (Kunst),„Activities“ (Aktivi-täten) und „Archi-pelago“ (Schären-garten) zusam-men. Es bieteteine moderne

Blick über die Stadt. Der Anstieg über dieTreppen ist mühsam, die Aussicht danngrandios. Als einziger Störfaktor kreisenschmutzig-schwarze Kolkraben über denTischen, zum Sturzflug bereit. Ansonstenist das Idyll perfekt. Die Gästeschar wirktbunt gemischt. Und wegen der günstigenPreise und guten Qualität zieht das LokalRentner, Hipster, Büromenschen, Studen-ten und Familien gleichermaßen an.Nach dem Essen stellt jeder sein Geschirrzurück, und alle wirken zufrieden.

„Eine offene und allen zugänglicheEsskultur reduziert unser instinktives Be-dürfnis, allzu viel zu konsumieren oder zuhorten“, konstatiert Lagom-Autorin LolaÅkerström. „In Schweden weiß man: Wasman braucht, das wird man zur rechtenZeit bekommen.“

Sogar der Luxus übt sich hier inLagom. Stockholms schönstes Nobel-Hotel, das „Ett Hem“ im großbürgerlichenStadtteil Östermalm, ist wie eine freund-liche Familienvilla gestaltet, in der jederwillkommen ist. Zum Frühstück gibt eskein überbordendes Buffet, sondern Gra-nola mit frischem Obst und Joghurt, gutesBrot und Butter, Marmeladen, Honigund ein Stück Käse. Nichtzu wenig, aberauch nicht zuviel. Später zumLunch schlendernauch Nicht-Hotel-gäste in gemüt-licher Kleidung her-bei, so wie zu gutenFreunden nachHause.Hauptsache gelassenund niemals überdreht.Schwedens angesagteModemarke Acne ist in-sofern ein landestypischerAusstatter. Der Flagship-Store des Labels liegt etwa20 Gehminuten vom „Ett

schwedische Gerichte wieKöttbullar (Fleischklöße),Stekt Strömming (Brat-hering) und Pfannkuchen.Wenn man Glück hat, singen

die gut gelaunten Köchinnen dazu Abba-Lieder. Mehr Lagom geht nun wirklichnicht.

Die Insel diente einst der schwe-dischen Krawattenmacherin AmandaChristensen als Sommerresidenz. Heutegehört sie der Stiftung Schärengarten, dieetwa zwölf Prozent der gesamten Flächeder Schären besitzt und dazu beiträgt,dass die einzigartige Landschaft intaktbleibt. Daher sind die Auflagen überallstreng. Meine Familie hat das zu spürenbekommen, als wir hier unser Sommer-haus kauften. Zum Wassergrundstück ge-hörten drei Stege, von denen zwei marodewaren. Wir beschlossen, sie zu erneuernund zu verlängern. Nach endlosen Ver-handlungen wurde es gestattet. Allerdingskostete es einen Steg. Um den Eingriff indie Landschaft durch die Verlängerungwieder auszugleichen, musste diese dritte„Brygga“ abgerissen werden.

Heute blicken wir von unserem Hausauf zwei schöne neue Holzstege. Den drit-ten vermissen wir überhaupt nicht mehr.Wer braucht schon drei Anleger? Über-haupt haben wir die strengen Auflagenbeim Bauen mittlerweile schätzen gelernt.Der Schärengarten bleibt so ausnehmendschön, wie er schon zu Astrid LindgrensZeiten war. Das liegt im Interesse aller.Denn durch das „Allemansrätt“ – das manals „Jedermannsrecht“ übersetzen könnte– darf jeder diese großartige Landschaftnutzen und zelten, wo er mag, ins Wasserspringen, sofern er außer Sichtweite desHauses ist, Beeren und Pilze sammeln.Wer niemanden stört, darf bleiben. DieNatur, das wahrscheinlich größte schwe-dische Luxusgut, soll eben für alle reichen.Auch im Grünen gilt Lagom.

Lagom ist überall: DerBegriff aus Schwedenmacht jetzt auch in densozialen Medien dieRunde. Wir zeigen hier,was Instagram-Userdarunter verstehen.

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58 REISE

Grüßeaus

Das Bemalen von Elefantenmit Pflanzenfarbe hat inRajasthan Tradition. DieKünstlerin Sarah Illenbergernimmt es gleich mal alsInspiration. Zum Tempelgefahren hat uns der lustigewie kompetente FahrerKailash Singh, zu buchenüber Pink Elephant Tours.

Im Ursprungsland des Yogasollte man es auf jeden Fallauch mal praktizieren!Eine ganzheitliche,sinnliche Erfahrung, dieweit weg ist von dem,was bei uns unterrichtetwird. Privatlehrer sind überdie Unterkunft zu finden,Studios über die Website„Yoga in Jaipur“.

Der Stadtpalast hat noch jedenBesucher fasziniert. Das liegtvermutlich an den prächtigenInnenhöfen und der dominieren-den Farbe Rotpink. Der Teil, dernicht vom Maharadscha bewohntwird, kann besichtigt werden.Obacht bei den Geschäften: Alles,was hier verkauft wird, ist dreimalso teuer wie auf den Märkten.

Der Mann auf dem Bild ist MunnuKasliwal, der verstorbene Gründerdes „Gem Palace“. Er verpassteindischen Juwelen einen modernenSchliff und eröffnete mit einerFranzösin den Conceptstore „HotPink“. Die Auswahl an Kaftansund Kleidern ist schön, aber teuer.

Das Jobner Bagh, das zentral, aber verstecktan einer kleinen Straße liegt, ist mit seinen zehnZimmern eher ein luxuriöses Gästehaus als einHotel. Der Besitzer Shiva hat lange in Italiengearbeitet und weiß, was europäische Gästewünschen. Das Frühstück wird im Gartenserviert, der Sundowner auf der Terrasse.

Der Pool des Hotels Amanbagh ist33 Meter lang! Wem das noch nichtreicht, der bucht einen der 16 Pool-Pavillons. Die Reise von Jaipur lohntsich, die Geisterstadt Fort Bhangarhliegt auf dem Weg. Und wer nichtüber Nacht bleibt, trinkt im traum-haft schönen Garten eine TasseMasala-Chai-Tee oder gönnt sicheine Ayurveda-Massage im Spa.

Das Laxmi Misthan Bhandar Hotel,kurz LMB, ist bekannt für seinenSüßwarenladen im Erdgeschoss undfür sein vegetarisches Restaurant imStil der fünfziger Jahre. Ein guterOrt, um ein Thali, also verschiedeneGerichte in kleinen Metallschälchen,auszuprobieren. Für Kinder sind sieallerdings zu scharf. Zum Glück gibtes auf der Karte auch Pommes.

Der zweite Name der Hauptstadtvon Rajasthan lautet Pink City.

Ihrem Ruf wird sie gerecht.Von Antje Wewer

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59PFLEGE

elbst die simple Feuchtigkeitscreme ist auf dembesten Weg, höhere Aufgaben zu erfüllen. Schonjetzt soll sie erkennen können, an welchen Stellendie Haut ihre Eigenschaften gebrauchen kann,und dann soll sie dort wirken. Gut möglich also,dass die Feuchtigkeitscreme in Zukunft zu jenenProdukten gehören wird, die intelligenter sind alsder Mensch. So klingt es jedenfalls, wenn AndreaWeber, Direktorin des Forschungszentrums der

Schönheitsmarke Babor, über ihre Cremes spricht. „Früherhaben wir gedacht, dass es einfach darum geht, viel Feuchtig-keit von außen aufzutragen“, sagt sie. Wasser und Glycerinwaren wichtige Bestandteile. Doch in den vergangenenJahren hat sich viel getan. „Es geht darum, dass die Feuchtig-keit nicht nur in den oberen Schichten verbleibt, sonderndass die Wirkstoffe tiefer transportiert werden und dafürsorgen, dass Feuchtigkeit besser gespeichert wird.“ Mitdem, was man der Haut von außen zuführt, soll sie innenetwas anstellen. Die Feuchtigkeitscreme ist also schon jetzthigh-tech.

Sie ist eines der wichtigsten Produkte im Badezimmer-schrank, jedenfalls für Frauen. Interessanterweise trifft dasbesonders auf deutsche Frauen zu. Dass es weder der roteLippenstift noch das Deodorant mit der Bedeutung derFeuchtigkeitscreme aufnehmen kann, das weiß auchAndrea Weber – das Sortiment von Babor besteht zu gut60 bis 70 Prozent aus Feuchtigkeitsprodukten. „Es liegtdaran, dass es sehr viele Frauen betrifft und eine großeZahl von ihnen damit schon sehr früh anfängt.“

Auch eine Studie des MarktforschungsunternehmensMintel bestätigt diesen Befund. Bei 66 Prozent aller Pro-dukte, die auf der Welt im Jahr 2012 auf dem Hautpflege-markt eingeführt wurden, handelte es sich demnach umFeuchtigkeitsprodukte. Das ist zunächst einmal eine guteNachricht, denn Feuchtigkeit auf der Haut ist ein Grund-bedürfnis – anders als zum Beispiel das Verlangen, mit einerCreme konkret gegen Falten anzugehen oder gegen einengenetisch angeblich zu dunkel geratenen Teint, worunterviele Frauen in afrikanischen und asiatischen Ländern zuleiden glauben. Selbst der intelligenteste moisturizer wirdnicht schädlicher sein als ein Bleichmittel.

Das Shopping-Unternehmen QVC ist mit einer Studieim vergangenen Jahr ebenfalls zu diesem Ergebnis gekom-men. Zusammen mit Statista hat QVC mehr als 3000Frauen in Deutschland zu ihren Ritualen und Produkten

befragt. Die Feuchtigkeitscreme landete auch dabei aufPlatz eins. Isabell Hendrichs, Direktorin für den Beauty-Einkauf, hat das nicht sonderlich überrascht. Das Verhältnisder deutschen Frauen zu Schönheit ist eben minimalis-tisch, trotz der 90 Produkte, die jede von ihnen im Durch-schnitt im Badezimmer stehen hat. Oder zu pragmatisch,je nachdem, wie man es sieht. Ein weiteres Ergebnis derStudie: Jede vierte Frau gab an, jeden Tag ohne Make-updas Haus zu verlassen. Also muss die Feuchtigkeitscremeals Basis schon deshalb wichtiger werden.

„Die Feuchtigkeitscreme ist ein entscheidender Faktor,wenn es um ein gepflegtes, einheitliches Hautbild geht“,sagt Isabell Hendrichs. Im Vergleich dazu gingen Frauenin den Vereinigten Staaten mutiger mit Farben um, Stich-wort dekorative Kosmetik. Auch in Großbritannien sei dieBetonung von Augen und Lippen eher ein Thema als hier-zulande. Man sehe schon, dass Frauen in Deutschland imHinblick auf das Make-up viel zurückhaltender vorgehen.Was nicht bedeuten soll, dass alle immer ungeschminktsind. Das Straßenbild zeige es: Häufig sei eine Stelle imGesicht besonders betont. Die Augenbrauen, die Lippen.Mehrere zugleich eher nicht.

Aber hat die Feuchtigkeitscreme, das unangefochteneLieblingsprodukt, überhaupt einen Sinn? Wenn Männersie nicht so konsequent verwenden, könnte das ein Zeichendafür sein, dass die Haut von Frauen sich einfach zu sehrdaran gewöhnt hat. „Das ist schlichtweg falsch“, sagtChristiane Bayerl, Direktorin der Dermatologie an denHelios-Kliniken in Wiesbaden. „Es gibt Frauen undMänner, die ein Leben lang ohne Creme sein können, diegenügend eigene Lipidproduktion haben. Aber man mussder Haut geben, was sie verlangt.“ Wenn sie Lipide brauche,verwöhne man sie mit einer Creme jedenfalls nicht.

Besondere Hautbedürfnisse, sagt die Dermatologin,hätten demnach gut 50 Prozent der Frauen. „Sie brauchenetwas, was die Haut stabilisiert, die oberste Hornschichtzum Quellen bringt und die Zellen aufpolstert.“ Daskönne man nicht von innen erreichen, etwa indem manmehr Wasser trinkt. Und: Frauen brauchten diese Produktetatsächlich öfter als Männer. „Die haben zwar nicht mehrTalgdrüsen, aber sie sind größer“, sagt Christiane Bayerl.„Darüber wird die Haut mehr mit Lipiden versorgt.“ Lipideund Fette, darum geht es. Wenn irgendetwas in der Cremezudem noch intelligent ist, wird das der Haut jedenfallsnicht schaden.

Die Feuchtigkeitscreme istbei deutschen Frauen eines derbeliebtesten Produkte. Aber hatsie überhaupt einen Sinn?Von Jennifer Wiebking

Gut durchfeuchtet: Cremes von Babor, L’Occitane, Shiseido, Kneipp und Clarins Foto Martin Ly

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60 SCHÖNHEIT

Beauty-Quereinsteigersetzen auf dezente Farben,pflanzliche Inhaltsstoffe undden Online-Verkauf. Aberwelche Standards müssendie jungen Labels erfüllen?Von Julia Stelzner

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Millennial-Pink auf Glasflakon:Es kommt nicht nur auf den Inhaltan – auch die Verpackung ist beiMarken wie Merme (links) und GirlSmells (unten) wichtig.

lles begann mit dem Auftrag fürClaire Ralston, bei der PariserModewoche zu laufen. DieAustralierin modelte schon,seit sie 15 Jahre alt war.

Bevor sie nun in Paris ankam, sollte esnach Berlin gehen, wo sie sich auf Europaeinstimmen wollte. Sie knabberte nurKarotten, um sich auf Pariser Modelmaßeherunterzuhungern. Dennoch forderteihre Modelagentur, sie solle weitere vierKilogramm abnehmen. Das war zu vielfür Claire Ralston. Die Australierin verab-schiedete sich kurzerhand von ihrer Agen-tur und ihrer Modelkarriere – und bliebin Berlin.

Ihre neuenMitbewohner, zwei Gründervon Start-ups, regten sie zu dem Gedankenan, sich selbständig zu machen. So tauschteClaire Ralston im Jahr 2014 das Modelngegen ein Beauty-Start-up ein. Sie wollteKosmetik produzieren, auch wenn siekeine Berufserfahrung als Dermatologinhatte.Mehr als zehn Jahre lang hatte RalstonHaut und Haare, die vom vielen Schminkenund Frisieren geschädigt waren, mit orga-nischen Ölen gepflegt. Daran wollte sieanknüpfen.

Wie aber macht man aus dem persön-lichen Schönheitsrezept ein Beauty-Pro-dukt für den Massenmarkt? Claire Ralstonhatte keine Ahnung. Noch weniger wusstesie, wie deutsche und europäische Be-hörden arbeiten. Nicht jeder, der sichim Zuge von Do-it-yourself-Experimenteneine eigene Lotion aus Pflanzenöl, Emul-gator und ätherischem Öl zusammen-mischt, darf damit auch handeln – dasgibt Konsumenten eine gewisse Sicherheit.

Claire Ralston stellte also einen Busi-ness-Plan auf, suchte sich einen Notarund gründete unter dem Namen Mermeeine Unternehmensgesellschaft (UG). „DerEintrag ins Handelsregister ermöglichte esmir, die richtig guten Öle einzukaufen“,sagt sie. Als Motto für Merme formuliertesie: one ingredient. Soll heißen: In die apo-thekerglasbraunen Flaschen und Ampullenmit dem rosafarbenen Etikett kommennur reines Hagebuttenöl (als Pflege gegenHautalterung), Süßmandelöl (für denKörper) oder Kaktusfeigenöl (für dieAugenpartie) – und keine weiteren Kon-servierungsstoffe.

Der Duft ist im Vergleich zu den Ölen,die man sonst kennt, dezent – Mandelriecht nicht nach Marzipan oder Amaretto.

Dafür ist der Preis deutlich höher: Es gehtbei 29 Euro los. Zu Beginn füllte Ralstondie aus Südamerika oder Spanien impor-tierten Öle noch selbst ab. Diese Tätigkeitmachte sie zum Kosmetikhersteller, undals solcher braucht es ein Gesundheits-zeugnis und ein Labor mit abwaschbarenTischen,Wänden, Böden – undmit Fliegen-gittern vor dem Fenster. „Das wurde allesvom Gesundheitsamt kontrolliert“, sagtdie Gründerin.

Ein unabhängiges Forschungslabor tes-tete anschließend, ob die Öle auch strengenSicherheitsauflagen standhalten. Das euro-päische Cosmetic Products NotificationPortal (CPNP) prüfte dann die Verträglich-keit anhand der Inhaltsstoffe und gabsie letztlich zum Verkauf frei. 2015 gingMerme an den Markt. Inzwischen ist dieNachfrage so groß geworden, dass Ralstonvon einem kommerziellen Labor abfüllenlässt und sich nur noch um Marketing undVertrieb kümmert.

Biokosmetik boomt. Das sieht manschon am Platz, den die Produkte mitökologischem Anspruch neuerdings imDrogeriemarkt einnehmen. Sie passen zumnachhaltigen Zeitgeist und sehen zudemso gut aus, dass man sie gerne ins Bad stelltoder sogar auf Instagram präsentiert. Dieminimalistisch gehaltene, ökologisch kor-rekte Creme als Symbol eines kuratiertenLebensstils passt in das Bild einer an-spruchsvollen urbanen Elite, die zum Bei-spiel auch ihre Matratze nicht beim Dis-counter an der Ecke kauft.

Daniela Mellis lernte Claire Ralstonbei der Eröffnung ihres „Treat CollectionBeauty-Lofts“ in Prenzlauer Berg kennen.Zuerst verkaufte sie die Produkte derAustralierin, dann schmiedeten die beidengemeinsam Ideen für neue Kosmetik-produkte. In dem Berliner Hinterhof-Loftfehlt der klinische Eindruck, den man ge-meinhin von Kosmetikstudios kennt, undes fehlt auch der beißende Geruch vonNagellack – denn Daniela Mellis befasstesich 2012 mit schadstofffreien Produkten.

„Ich habe mich nach zwei Fehlgeburtenintensiv mit den Schadstoffen im Nagel-lack beschäftigt“, sagt Mellis, die heuteMutter von Zwillingen ist. „Danach warmir klar, dass ich für den deutschen Markteinen Lack ohne giftige Inhaltsstoffe ent-wickeln wollte.“ Das Prenzlauer-Berg-Pub-likum schätzt den Öko-Ansatz. Zusammenmit Claire Ralston schuf sie die Girl-Smells-

NurschönoderschonBio?

61SCHÖNHEIT

Muti: Alexander Scholz Merme: Claire Ralston

Treat Collection: Daniela Mellis Friedman Berlin: Friedemann Seith

CPNP. Im Anschluss überprüfte das Kreis-verwaltungsreferat München die konkre-ten Muster. Die Zertifizierung als Natur-kosmetik ließ Scholz bewusst aus. „Mirgeht es um Verträglichkeit“, sagt er, „unddafür ist Naturkosmetik nicht zwingendein Garant.“

Mit ihrer Zurückhaltung im Hinblickauf Biosiegel sind Mellis und Scholz nichtallein. Für Christina Kraus, die Betreiberindes Naturkosmetik-Shops „Green Glam“aus Augsburg mit dem entsprechendenOnline-Angebot, ist ein Siegel nicht aus-schlaggebend, um ein Produkt ins Sorti-ment aufzunehmen. Nach ihren Erfahrun-gen können sich das gerade junge Kos-metiklabels oft nicht leisten. Für Kraus,die eigentlich Apothekerin ist, hat in

Kollektion, aluminium- und alkoholfreiesDeodorant in trendigem Millennial-Pink,das es seit einigen Monaten zu kaufen gibt.Auf die Verpackung mit rosafarbener Luft-polsterfolie und Glitzerkuvert wird dabeigenauso viel Wert gelegt wie auf den In-halt. Produziert wird in externen Manu-fakturen. „Nach fünf Jahren bin ich Profi,was Briefings mit Produzenten angeht“,sagt Daniela Mellis. „Wenn beim zweitenSample nicht alles passt, wird das auchnichts mehr.“

Heute dauert es bei ihr nicht längerals ein Jahr, ein Produkt zu lancieren. Einhalbes Jahr davon verschlingen die Tests,um ein Produkt auf den Markt bringenzu können. Allerdings sind Bio-Siegel fürDaniela Mellis nicht so wichtig. Sie werdezwar von Organisationen angeschrieben,die ihr Siegel für eine Gebühr von 2000Euro anbieten, doch die Berlinerin sagt:„Ein Ecocert-Label würde mich einschrän-ken, da ich dann nur Rohstoffe von geliste-ten Zulieferern einkaufen dürfte.“

Alexander Scholz sieht es ähnlich. SeinMünchner Unisex-Label Muti hat er fastzur selben Zeit gegründet wie Merme.Auch er ist ein Quereinsteiger. In seinemersten Berufsleben kümmerte sich Scholzvor allem um Bilanzen. Im zweiten sitzter mit sieben Angestellten mitten in derMünchner Innenstadt. „Meine Markesollte leicht verständlich sein und sich desDesignthemas annehmen“, sagt Scholz.Die Tiegel sind weiß, die Schrift und dieAussage minimalistisch. Auf dem Deckelmarkieren zarte Pastellfarben den Anwen-dungsbereich. Der Geruch: ein Hauch vonNichts.

Die Cremes von Muti stehen auch inConcept-Stores wie dem von Andreas Mur-kudis in Berlin. Mit Preisen von 39,50 Eurofür eine Tagescreme liegen die Produkteauf dem Niveau einer internationalenMarke wie Kiehl’s. Nur steht hinter Mutieben kein Großkonzern wie L’Oréal.„Man darf nicht unterschätzen, wie langees dauert, ein Kosmetikprodukt marktreifzu machen“, sagt Alexander Scholz. „Füreinen Laien sind die Regularien in derKosmetikbranche nicht ganz einfach zuverstehen.“

Frühzeitig hatte er sich deshalb mit einerBeraterin aus der Kosmetikbranche sowieeinem Lohnhersteller zusammengetan, derihm die Rezepturen entwickelte. Dannging auch seine finale Inhaltsliste ans

solchen Fällen Transparenz bei den Inhalts-stoffen Priorität. Aber es geht auch darum,dass die Produkte innovativ sind und sogut aussehen, dass sich Christina Kraussie selbst gerne ins Bad stellen würde. Siesagt aber auch: „Wenn die Inhaltsstoffenicht passen, hilft die schönste Verpackungnichts.“

Was genau versprechen die Siegel fürNaturkosmetik überhaupt? Ecocert etwawurde als Kontroll- und Zertfizierungs-verband für ökologische Produkte 1991in Frankreich gegründet. Das Label wirdan Kosmetikprodukte vergeben, die nurhöchstens fünf Prozent synthetische In-haltsstoffe verwenden und auf erneuerbareRessourcen und Inhaltsstoffe aus ökologi-schem Anbau setzen. Es sind Produkte, die

nur dann tierische Inhaltsstoffe einsetzen,wenn es keine gleichwertigen pflanzlichenAlternativen gibt. Die Interessengemein-schaft Natrue hingegen, die sich aus füh-renden deutschen Naturkosmetikfirmenwie Dr. Hauschka, Lavera und Weledaformiert, gilt als weniger streng und hatdrei Qualitätsstufen festgeschrieben: fürNaturkosmetik, Naturkosmetik mit Bio-anteil und Biokosmetik.

Außerdem gibt es das BDIH-Emblemdes Bundesverbands Deutscher Industrie-und Handelsunternehmen für Arzneimittel,Reformwaren, Nahrungsergänzung undKörperpf lege. Cremes, Lotionen undShampoos im Naturkostladen haben inder Regel ein solches Siegel. Davon abge-sehen sind die Begriffe „Naturkosmetik“und „Bio“ in der Branche bislang gesetz-lich nicht geschützt.

Friedemann Seith von der Männer-marke Friedman Berlin hat sich von An-fang an um ein Bio-Etikett gekümmert.„Dass ich kein Dermatologe oder Chemikerbin, sieht man mir wahrscheinlich schonan“, sagt er zur Begrüßung. Seith ist Be-triebswirt und hat vor der Gründung seinerFirma zweieinhalb Jahre lang gelernt, wieman Start-ups aus der Taufe hebt. EineApp oder Software erschien ihm wenigreizvoll – Seith wollte ein richtiges Produktlancieren.

Wenn er von seiner Zielgruppe spricht,erwähnt er oft den modernen Mann. Wiesich Friedemann Seith moderne Männergenau vorstellt, war in Berlin zuletzt beider Modewoche im Januar zu sehen, alsseine Plakate an prominenten Stellen hingen.Man konnte die reduzierten Schwarz-Weiß-Porträts von Berlinern jeglichen Altersleicht für die neue Werbung der Schau-bühne halten, des renommierten Theatersam Kurfürstendamm. Als Absender zeich-nete aber einfach nur: Friedman Berlin.Statt auf Wirkversprechen setzte Seith aufBranding.

Kommt man auf die Produktentwick-lung zu sprechen, verweist FriedemannSeith ebenfalls auf die Zusammenarbeitmit einem Labor. Für ihn stand jedochfest, dass sein Produkt auch 100 ProzentBio sein müsse. „Ohne braucht man heut-zutage ja gar nicht mehr anzutreten“, sagter. Seine Produkte haben also das Natrue-Siegel. Die nächsten Neueinführungensind schon geplant. In Berlin riecht es malwieder nach mehr.

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62 DÜFTE

Wohin in den Urlaub? Und wie?Und welches Parfum passt dazu?Typfrage! Eine Kategorisierung.

Von Isabelle BraunIllustrationen Jan-Hendrik Holst

MallorcaSie müssen nicht 25 Stunden nach Lombokreisen, um dann auf Instagram mit der Magieeiner Insel zu prahlen, während Sie sich voll-kommen erschöpft den entzündeten Selfie-Arm massieren lassen. Sie wissen ganz genau,was Sie wollen, und erkennen die Schönheit imEinfachen. Unkompliziert statt exaltiert, keingroßes Tamtam, keine Abenteuer-Expedition,sondern Verlässlichkeit. So sieht für Sie derperfekte Urlaub aus. Abfällige Kommentareüber die „Ballermann-Insel“ prallen an Ihnendarum genauso ab wie Parfumwerbung: Siebleiben dem Klassiker treu.

Parfum: Jil Sander SunUnterkunft: Zimmer mit Meerblick, dankGutschein ohne AufpreisUrlaubsalbtraum: vier Stunden Busfahrt überbucklige Feldwege

WeltreiseJedes Jahr in denselben griechischen Fischerort?Keine Chance, denn nach drei Tagen kommtIhnen die Aussicht so schal vor wie anderen derGeschmack eines Kaugummis nach zwei Stunden.Reisen ist Ihr Hobby, und das heißt: die Weltentdecken. Je ungewöhnlicher, desto besser.Pseudo-Entdecker, die zwar den 60-Liter-Ruck-sack umschnallen, aber alle Hotels vorbuchen,verachten Sie. Die Weltreise steht als ultimative„Traveller-Experience“ darum schon lange aufder Wunschliste, dafür verkneifen Sie sich denüberteuerten Cappuccino am Morgen gerne.Dazu passt: ein Duft, so vielfältig wie dieStempel in Ihrem Reisepass.

Parfum: Kenzo World von KenzoUnterkunft: was sich ergibt, zur Not im ZeltUrlaubsalbtraum: Pauschalreise

Südtirol„Berge sind stille Meister und machen schweig-same Schüler“, sinnierte Goethe einst. „Wiewahr“, denken Sie jedes Mal, wenn Sie einenGipfel erklimmen. Nirgends ist man demHimmel und sich selbst so nah, jeder Ausflugist Erholung und zugleich Erhellung. Es sollja Leute geben, die behaupten, Urlaub ohneStrandliege sei kein Urlaub. Wenn ein Familien-mitglied zaghaft vorschlägt, in diesem Jahr malein Ziel in Erwägung zu ziehen, an das mankein Outdoor-Equipment mitnehmen muss,schnauben Sie hingegen verächtlich. Die vieltiefere Sonnenbräune bekommt man schließ-lich in den Alpen.

Parfum: Cloud Collection von Zarko PerfumeUnterkunft: Annas Hütte, seit 20 JahrenUrlaubsalbtraum: Handtuch-Tetris amsardischen Strand

Amalfi-KüsteSie lieben die Sonne und das Salz auf der Hautund verachten jene, die um 6.30 Uhr routiniertzum Frühstücksbuffet gehen und vorher schondie Liege reserviert haben. Ihr Motto? La dolcevita! Mehr ist mehr, das gilt vor allem beimEssen. Kulinarischer Genuss ist Ihnen fastnoch wichtiger als die Wassertemperatur. Undwährend Sie mit Ihrer Vespa (natürlich einOriginal, kein Roller im Retro-Look) an derKüste entlangbrausen, ist da nur ein Gedanke:„Arbeit wird überbewertet.“ Wenn das Sommer-gefühl doch nur langlebiger wäre! Der passendeDuft hilft beim Zurückträumen.

Parfum: Sole di Positano von Tom FordUnterkunft: inhabergeführtes Boutique-Hotel,Tipp von Francesco beim Espresso an der BarUrlaubsalbtraum: Zimmer ohne Aussicht imBeton-Bunker

KanadaWenn Naturliebhaber vom heimischenNadelwald gelangweilt sind, aber eine ausge-prägte Amerika-Abneigung haben, dann locktein Trip nach Kanada. Mit dabei: Partner,Hund und Teva-Sandalen. Weit weg vomGroßstadtlärm, beim Picknick am Flussufer ineinem der 47 Nationalparks, stellen Sie dannfest, dass eine Nacht unterm Sternhimmel dochweniger romantisch ist, als es in der Netflix-Doku aussah. Augen zu, nicht an den Bärendenken und tief einatmen. Mit dem Duft vonTanne, Zeder und Moos in der Nase klapptdas mit dem Eskapismus sogar in der Stadt.

Parfum: Soul of the forest von MaisonMargiela ReplicaUnterkunft: umgebauter SchulbusUrlaubsalbtraum: eine Lonely-Planet-Empfeh-lung nach der nächsten abzuklappern

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Amerikanischer WestenEin Roadtrip durch Kalifornien, Nevada undArizona ist dank GPS undW-Lan imMiet-wagen kein Wagnis mehr, aber trotzdemaufregend genug, um bei Stadtpflanzen dieSehnsucht nach Abenteuer zu stillen. DieKontraste zwischen Glanz und Glitzer in LasVegas und karger Schluchtenlandschaft amGrand Canyon sind so einnehmend, dass Siedirekt „Green Card USA“ googeln und vomHolzhaus mit Veranda träumen, obwohlhier alles so verdammt teuer ist. Passend zumLebensgefühl und wirksam, um die amerika-nischen Waffengesetze zu verdrängen?Ein Duft so warm, weich und luftig wie dieuntergehendeWüstensonne.

Parfum: Arizona von Proenza SchoulerUnterkunft: Airbnb im Mid-Century-StyleUrlaubsalbtraum: All-Inclusive-Kinderhotel

Tel AvivEine hippe Stadt, das Meer vor der Tür undhervorragende Restaurants. Städtereise?Strandurlaub? Geht hier beides, und zwarzusammen. Außerdem steigt jede Nachtirgendwo eine gute Party, und die Bars aufdem Rothschild Boulevard sind immerrandvoll. Hier bleibt niemand lang allein,und das hat der Stadt an der Mittelmeerküsteden Ruf als Single-Hochburg eingebracht –zu Recht. Klingt wie Mykonos? Israel ist vielkultivierter! Schließlich macht man aucheinen Tagesausflug nach Jerusalem.

Parfum: Daisy von Marc JacobsUnterkunft: Eigentlich egal, ist ja nur zumSchlafenUrlaubsalbtraum: Flitterwochenparadies mitCéline-Dion-Sound

MiamiDie kühleren Monate gehören im Sunshine-State schon lange den Rentnern. Aber jetztentdecken auch immer mehr junge Menschendie Gegend. Genau genommen reisen sie nachMiami, denn aus der einstigen Drogenhoch-burg ist ein glamouröses Kunst-Mekka mitkaribischem Flair geworden. Das passendeBeach-Outfit ist ein durchorchestriertes Setaus It-Pieces. Der Athleisure-Look passt zumhandgebrühten Filterkaffee für zwölf Dollar.Und zum Duft nach Avantgarde.

Parfum: Concrete von Comme des GarçonsUnterkunft: Soho Beach HouseUrlaubsalbtraum: Koffer weg

JapanZeit für ein Sabbatical! Sie haben die steileKarriere und Milestones im Lebenslauf schonhinter sich gebracht. Und von zehn JahrenOchsentour im mittleren Management erholtman sich eben nicht in 14 Tagen. Jetzt stehtdie Auszeit an, Japan, für mindestens dreiMonate, geflogen wird natürlich in derBusiness-Class, zu viel Abstand vom Executive-Level muss ja auch nicht sein. Damit dieErholung nachwirkt, wenn schon wieder derMeeting-Koller ruft, decken Sie sich mit einemDuft ein, der Spaziergänge durch die üppigejapanische Vegetation einfängt.

Parfum: HWYL von AesopUnterkunft: Fünf Sterne mit Zen-GartenUrlaubsalbtraum: Kinderhotel in denSommerferien

ParisGewappnet mit Ringelshirt und Reiseführerklappern Sie alle Sehenswürdigkeiten ab,machen mindestens 70 Fotos vor dem Eiffel-turm und üben das perfekt gehauchte „Oui“mit einer App. Croissants zum Frühstück,Macarons zum Kaffee und literweise Sancerrezu Steak frites – Sie tauchen nicht nur in denfranzösischen Lebensstil ein, Sie verkörpernihn. Oder zumindest Ihre Idee davon. Ihrtypisches Mitbringsel? Ein T-Shirt, auf dem„La Parisienne“ steht. Die Einstimmung aufden Mädchentraum an der Seine gelingt schonmit einem Duft, so urtypisch französisch-feminin wie das berühmte „Je ne sais quoi!“

Parfum: Coco Mademoiselle von ChanelUnterkunft: Romantik-Hotel mit Spring-brunnen im InnenhofUrlaubsalbtraum: ein leerer Handyakku

MarrakeschDie Perle des Orients am Fuß des Atlas-Gebirgesist ein beliebtes Ziel, wenn es in Südeuropanoch kühl ist. Aber Vorsicht! Wer sonst eherGran Canaria gewohnt ist, dem kann dieWüstenstadt im nordafrikanischen KönigreichMarokko und ihr Zauber aus TausendundeinerNacht schnell zu viel sein. Die kräftigenFarben, das Stimmengewirr und die schwerenGerüche der Gewürzberge in den Souks sindschier überwältigend. Die intensive Umge-bung des „Paris der Sahara“ verlangt nacheinem frischen, unaufdringlichen Duft –schließlich sind die Sinne berauscht genug.

Parfum: Un Jardin sur le Nil von HermèsUnterkunft: ein Riad in der MedinaUrlaubsalbtraum: Schneeschuhwandern imAtlas-Gebirge

DÜFTE

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64 MOOD/MUT

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DAS ERWACHEN DER MACHTDie Bäume, die Tiere, die Natur. So recht passenDüfte nicht in diese Reihe, aber auch dahinter soll einegeheime Macht stehen. Auf deren Spur begibt sich derBuchautor Robert Müller-Grünow („Die geheimeMacht der Düfte – Warum wir unserem Geruchssinnmehr vertrauen sollten“, Edel, 304 Seiten, 17,95 Euro).Am Ende steht ein Dufttagebuch, damit jeder LeserGerüche im Alltag besser wahrnimmt.

BITTE NICHT SCHLINGENAuch beim Essen ist ein bisschenmehr Achtsamkeit gesund. Daswollen japanische Wissenschaftlerder Kyushu-Universität nunherausgefunden haben. Dazuuntersuchten sie die Aussagen von60.000 Diabetes-Patienten überderen Essverhalten. Schnelle Essersind demnach etwa doppelt so häufigübergewichtig wie langsame Esser.

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Bedeutende Dinge,Menschen, Ideen,Orte und weitere

Kuriositäten,zusammengestellt vonJennifer Wiebking

Die amerikanische Autorin Rebecca Sullivan hat verstanden, dass die Welt kein weiteres Kochbuchbraucht. Also gibt sie Rezepte für Schönheitsmittel heraus. („Natürlich leben“, Knesebeck)

Hier zu sehen sind alle Utensilien, die es für den Bau einer Bombe braucht, also einer Badebombe(Naissance).

Nagellack gehtauch sauber.Die Produkte vonLakur sind freivon Giftstoffen,Weichmachern,Harzen undEntfettern.

Die Ansprüche aneine Gesichtsmaskesind heute hoch:Sie muss reinigen,pflegen – und für einSelfie taugen. MitGlitzerpartikeln(Glamglow) keinDing.

Das Alter, ein großes Thema.Im Gasometer Berlin istdazu vom 17. Mai an eineganze Ausstellung zu sehen.Der Titel: „Ey Alter“.

Eine Sheet-Maske ist heute auch ein ernst-zunehmendes Mitbringsel – statt Blumen.Die Produkte von Dewy Tree sind so aufwendiggestaltet, dass es nicht mal mehr eine Schleifebraucht.

Diese Marke muss nicht neu erfundenwerden. Aber etwas Neues kann sichBirkenstock offensichtlich doch ausdenken,zum Beispiel Bio-Handcreme.

Das Oberlid und die eigenen vier Wände habendieser Tage viel gemeinsam: Sie könnendurchaus ein bisschen Farbe vertragen. AlexaChung zeigt es, mit ihrem Make-up.

Und noch einBeispiel für eineBeauty-Marke, diesich in Verzicht übt:Leo & Pincky ausBerlin kommt ganzohne Palmöl aus.

MOOD

MUT

65HAARE

„ES FÜHLTSICHSEIFIGAN“Früher verwendete sie mal Shampoo gegen fettige Haare, mal gegen schuppige.

Zufrieden war die Siebenunddreißigjährige nie.Bis sie auf Roggenmehl stieß. Über eine Entdeckung.

ätte mir früher jemand erzählt, wie gut dasfunktioniert, ich hätte es bestimmt nicht ge-glaubt. Aber seit fast anderthalb Jahren wascheich mir meine Haare mit Roggenmehl. Ich

bin selbst überrascht, aber es geht, definitiv. Ich glaube, dieStärke im Mehl bindet den überschüssigen Talg, also das,was die Haare fettig macht. Meine Haare sind hinterherfrisch und sauber, wie mit normalem Shampoo auch,fluffig, weich und griffig. Sie fühlen sich gut an. Und sieriechen nach nichts.

Ich habe langes, dunkelblondes Haar, das früher oftentweder schuppig oder fettig war. Wenn ich Schuppenhatte, nahm ich ein Shampoo gegen schuppige Haare,wenn ich fettige Haare hatte, aggressives Zeug gegen dasFett. Das war wie ein Kreislauf: Weil die Chemie gegen dieSchuppen so radikal war, musste die Kopfhaut mehr Talgproduzieren. Das Shampoo gegen fettige Haare wiederumtrocknete so aus, dass die Schuppen wiederkamen. Späterbin ich auf natürliche, milde Shampoos umgestiegen, ohneSilikone und ohne spezielle Wirkung, ich habe immer malneue Produkte ausprobiert. Eine Weile hat sich das Haarganz gut arrangiert. Irgendwann fing es wieder anmit meinemalten Problem. Seit ich das Roggen-Shampoo benutze, istdieser Kreislauf durchbrochen. Roggenmehl hat den gleichenpH-Wert wie die Haut. Es greift die Kopfhaut nicht an, dieKopfhaut kann sich vielmehr regenerieren und in Ruheihre natürliche Arbeit tun.

Ich bin 37 Jahre alt, Personalentwicklerin, und kommeaus Hannover. Ich wusste schon länger, dass es Leute gibt,die ganz auf Shampoo verzichten. In einem Urlaub inNorwegen dann habe ich mir recht selten die Haare ge-waschen. Beim Zelten in der freien Natur hatte ich nichtdie Gelegenheit, und auf den Campingplätzen mussteman jedes Mal teuer bezahlen. Ich habe mir meine Haareangeguckt und gemerkt: ungefähr einmal die Woche, dasreicht. Später habe ich mich im Internet mit dieser„No poo“-Bewegung beschäftigt. „Poo“ ist das englische

Wort für Kacke oder steht eben für Shampoo. In einemBlog bin ich auf die Methode mit demMehl gestoßen.

Daraufhin bin ich in den nächsten Bioladen gegangenund habe ein Kilo Roggenvollkornmehl gekauft. Damithabe ich es eine Weile versucht. Es blieben aber immernoch Restbestandteile imHaar, die musste man auskämmen.Später empfahl mir jemand feineres Mehl. Seit ich Roggen-mehl Typ 1150 verwende, bin ich sehr, sehr zufrieden.Ich wasche meine Haare jetzt alle drei bis vier, teilweiseauch nur alle fünf Tage. Früher war das definitiv alledrei Tage nötig.

Eine Kilo-Packung kostet etwas mehr als einen Euround reicht für zwei bis drei Monate. Das Mehl steht in derKüche neben der Spüle. Ich habe es abgefüllt in ein Glas-gefäß, weil es sich dann besser portionieren lässt und schöneraussieht. Daraus löffele ich vielleicht zwei Fingerbreit ineine kleine Schale und vermische es mit lauwarmemWasser,bis eine sämige Konsistenz entsteht, so ein bisschen gelartig.Wenn es schnell gehen muss, rühre ich das Mehl erst unterder Dusche an. Die Mehlmasse benutze ich genau wieShampoo: Ich verteile sie, spüle sie wieder aus, und es istgut. Es schäumt halt nicht, die Masse ist eher trocken, undes riecht auch nicht. Aber es dauert nicht länger als mitnormalem Shampoo auch, und es fühlt sich durchaus einbisschen seifig an.

Außerdem enthält Roggenmehl natürliche Proteineund andere Stoffe, die Shampoos beigemischt werdenmüssen. Dadurch hat es einen pflegenden Aspekt. Manch-mal lasse ich das angerührte Mehl auch zwei Stunden stehen,weil sich dann angeblich noch mehr gute Pflegebestand-teile lösen. Ich brauche jedenfalls keine Spülung mehr.Meine Haare sehen trotzdem gesund aus.

Es muss übrigens auf jeden Fall Roggenmehl sein. BeiWeizen und Dinkel ist der Glutenanteil zu hoch. Dannerhält man eine Pampe, die sich nicht wieder aus den Haarenentfernen lässt. Das habe ich zum Glück nie ausprobiert.Einmal allerdings hat mein Freund aus Versehen Roggen-

schrot gekauft. Das war furchtbar. Erst habe ich das Zeugkaum in die Haare gekriegt, anschließend kaum wiederraus. Ich habe noch versucht, den Schrot zu mörsern.Kein Spaß.

Inzwischen benutze ich mein Roggenmehl-Shampooauch als Duschbad, weil ich merke, dass es besser ist fürdie Haut. Früher hatte ich immer sehr trockene Haut, vorallem an den Unterschenkeln. Das ist besser geworden –nicht wie eingecremt, aber nicht mehr ganz so trocken.Auch meine Gesichtshaut spannt weniger, seit ich dieMehlmasse beim Duschen im Gesicht wie eine Maske ver-wende. Vor allem im Winter hatte ich trockene Stellen imGesicht. Die sind jetzt weg. Mein Freund hat sogar seinteures Bart-Shampoo ersetzt. Mit normalem Shampoowurde sein Vollbart eher strohig. Mit dem Roggenmehl ister sehr zufrieden. Nur als Duschgel nutzt er es nicht, weiler meint, das bringt es nicht, es ist anscheinend nicht starkgenug. Er macht viel Sport, da braucht er Seife.

Für mich ist Roggenmehl-Shampoo einfach praktisch.Ich sehe, dass es meinen Haaren und meiner Kopfhaut guttut. Und ich verwende weniger Plastik. Ich versuchegrundsätzlich, nachhaltiger zu leben und auf Plastik zuverzichten. Ich gehe oft auf dem Markt einkaufen undhabe meistens Stoffbeutel dabei. Unsere Biomülltütenfalte ich mir aus Zeitungen, für das Baby nutze ich Stoff-windeln. Und ich kaufe viel Secondhand. Die Ressourcensind begrenzt, das kann ich alleine nicht ändern, aber ichkann zumindest etwas tun, indem ich zusehe, dass mög-lichst wenig für mich produziert werden muss.

Aber meine Haare sind mir schon sehr wichtig. Wenndie nicht gut aussähen, würde ich das mit dem Mehl nichtmachen. Wenn ich demnächst anfange, meinem Baby dieHaare zu waschen, werde ich auch Roggenmehl benutzen.Warum soll ich Chemie an diese zarte Haut lassen, wennes auch natürlich geht?

Aufgezeichnet von Julia Schaaf.

Es muss auf jedenFall Roggenmehlsein: Bei Weizenund Dinkel ist derGlutenanteil zuhoch – die Pampebekäme man nichtwieder aus denHaaren.

FotosDaniel Pilar

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FRAGEBOGEN66

Was essen Sie zum Frühstück?Am liebsten Rührei, dazu Toast mit Erdbeermarmeladeund Orangensaft.

Wo kaufen Sie Ihre Kleidung ein?Ich liebe Vintage, die Läden am Magnolia Boulevard inLos Angeles sind dafür super. Vor allem Playclothes, da binich seit meiner frühen Jugend Stammkundin. Dort habeich sogar schon Halloween-Kostüme gekauft.

Hebt es Ihre Stimmung, wenn Sie einkaufen?Ich bin jedenfalls keine Online-Shopperin, dafür gehe ichzu gerne in Läden. Ich bin nicht shoppingsüchtig undmuss schon in Stimmung sein, um etwas anzuprobieren.Ich schaue mir auch gerne an, was so Neues auf denLaufstegen gezeigt wird.

Was ist das älteste Kleidungsstück in Ihrem Schrank?Von meiner Großmutter habe ich ein Ballkleid, aus denFünfzigern, türkis und trägerlos. Sie trug es damals mit16 Jahren zum Abschlussball. Das müsste ich eigentlichmal tragen, habe ich noch nie gemacht.

Was war Ihre größte Modesünde?Ich bin ziemlich mutig, was die Wahl meiner Kleidungangeht. Deshalb: alles zu seiner Zeit. In der Highschoolhatten wir eine Schuluniform. Nur freitags durfte mantragen, was man wollte. Ich war immer die ganzeWoche am Planen. Entsprechend verrückt waren danndie Outfits, dafür wurde ich auch öfters ausgelacht.

Tragen Sie zu Hause Jogginghosen?Manchmal ja, am liebsten von Adidas.

Haben Sie Stil-Vorbilder?Für den roten Teppich auf jeden Fall Grace Kelly.Da bin ich gerne klassisch. Für den Alltag: Jane Birkinund Alexa Chung. Und Rihanna.

Haben Sie jemals ein Kleidungs- oder Möbelstück selbstgemacht?Ich hatte mal eine Phase, da wollte ich Modedesignerinwerden. Ein T-Shirt ist übriggeblieben. Rot, von Gap.Ich habe es ganz zerschnitten und neu zusammengenäht.

Besitzen Sie ein komplettes Service?Meine Mutter ist eine große Sammlerin. Deswegenbekommen wir seit Jahren zu WeihnachtenErbstücke geschenkt. Auf meinem sind viele Blumen.

Mit welchem selbst zubereiteten Essen konnten Sieschon Freunde beeindrucken?Ich hatte mal eine Backphase. Damals waren Blaubeer-muffins mein Ding. Und ich mache ein gutes Steak.Ich mag es raw: drei Minuten auf jeder Seite, dann achtMinuten im Ofen.

Welche Zeitungen und Magazine lesen Sie?Die „Vogue“ ist wichtig für mich. Aber ehrlich gesagt:Aktuelle Nachrichten bekomme ich nur noch überInstagram. Oh Gott, das klingt so jung.

Welche Websites und Blogs lesen Sie?Instagram! Einen Facebook-Account hatte ich nie.

Wann haben Sie zuletzt handschriftlich einen Brief verfasst?Erst in der vergangenen Woche, eine Dankeskarte anAlessandro Michele, den Kreativ-Direktor von Gucci.Er hatte mir nämlich zuvor einen wirklich coolen Jogging-anzug geschickt.

Welches Buch hat Sie am meisten beeindruckt?Mein Lieblingsbuch ist „Das Zeiträtsel“ von MadeleineL’Engle. Bald kommt der Film dazu raus, darauf freueich mich.

Ihre Lieblingsvornamen?Meine Schwester ist von Vornamen besessen. Sie wüsstejetzt sehr viele. Natürlich halten wir Kindernamen,die irgendwann mal möglich sein könnten, streng geheim.Aber ein Name, der mir gut gefällt, ist Gretel. Sehr süß.

Ihr Lieblingsfilm?Da gibt es viele, aber ich liebe „The Virgin Suicides“.

Fühlen Sie sich mit oder ohne Auto freier?Ohne. Ich habe zwar einen Führerschein, aber ich fahrenie. Ich nehme Uber oder lasse mich von Freunden fahren.

Tragen Sie eine Uhr?Nein, ich schaue einfach auf mein Handy.

Tragen Sie Schmuck?Ja, allerdings eher Ketten und Ringe. Ich habe keineOhrlöcher. Alle sagen mir, ich solle sie nicht stechenlassen, aber ich bin hin- und hergerissen. Es gibt so vieleschöne Ohrringe. Für den roten Teppich trage ichClips, manchmal fertigen Designer mir die extra an.

Haben Sie einen Lieblingsduft?Ich habe keinen speziellen Duft. Bei Make-up bin ichfestgelegt, auf die Augen: Kajal, Mascara, rosige Wangen.

Was ist Ihr größtes Talent?Was viele nicht wissen: Ich kann gut singen. Früher habeich auch im Schulchor gesungen und Gesangsunterrichtgenommen. Jetzt habe ich gerade einen Film gedreht, indem ich auch singen durfte. Ich habe vier Monate geprobt.

Was ist Ihre größte Schwäche?Ich lasse mich recht leicht stressen.

Womit kann man Ihnen eine Freude machen?Ich lache gern und bin ein ganz glücklicher Mensch. Alsomit Witzen und lustigen Geschichten.

Was ist Ihr bestes Smalltalk-Thema?Jedenfalls nicht Filme. Ich habe nämlich noch gar nichtso viele gesehen. Witzig, oder? Vielleicht liegt es daran,dass ich so nicht aufgewachsen bin. Meine Eltern warenbeide Sportler, also waren wir immer eher draußen alsim Kino. Mein Smalltalk-Thema ist Musik.

Sind Sie abergläubisch?Ja, total. Bei mir würde nie ein Hut auf dem Bett liegen,und ich würde nie unter einer Leiter hindurchgehen. Zer-brochene Spiegel, schwarze Katzen – das ganze Programm.

Wo haben Sie Ihren schönsten Urlaub verbracht?Ich war noch gar nicht so viel im Urlaub. Wenn ich wegbin, dann immer für die Arbeit, deshalb bleibe ich mitallen zu Hause in L.A., wenn ich mal Zeit habe.

Wo verbringen Sie Ihren nächsten Urlaub?Ich würde gerne nach Island, Griechenland, Mexiko.

Was trinken Sie zum Abendessen?Cola mit viel Eis. Nicht die Light-Version, es muss dierichtige sein.

Aufgezeichnet von Jennifer Wiebking.

Elle Fanning ist am 9. April geradeeinmal 20 Jahre alt geworden. Seit17 Jahren steht sie vor der Kamera.2008 spielte sie ihre erste Hauptrollein „Phoebe im Wunderland“ sowiean der Seite von Cate Blanchett undBrad Pitt in „Der seltsame Fall desBenjamin Button“. Im Instagram-Zeitalter ist Elle Fanning aber mehrals nur eine Schauspielerin: Im Märzlief sie, bei der Schau von Miu Miu,zum ersten Mal als Model überden Laufsteg. Und für L’Oréal istsie als Markenbotschafterin tätig.Klar, dass Haare und Make-upzum Interview in Berlin sitzen.

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„OH GOTT,DAS

KLINGTJUNG“

E X K L U S I V E F. A . Z . E D I T I O N

Die Pigmentdrucke auf weißem Büttenpapier zeigen bunte Blasen, die durch Pusten von Seifenblasen auf das Papier gebrachtwerden. Jiri Dokoupils Bubbles machen den Künstler weltberühmt. 1954 in Krnov geboren gilt er als einer der innovativsten undvielseitigsten Künstler der heutigen Zeit. Die ersten Editionen weltweit werden als F.A.Z. Editionen angeboten.

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