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Das FiT Programm
Frauen in Handwerk und
Technik
10 FRAUEN
ERZÄHLEN
VON IHREN
ERFAHRUNGEN
IMPRESSUM
MedieninhaberIn und HerausgeberIn: Arbeitsmarktservice Österreich
Treustraße 35 – 43
1200 Wien
Interviews und Text:Dr.in Susanne Feigl
Fotos:Dr.in Susanne Feigl
Kompetenzzentrum Holz GmbH (S. 22 und 23)
Grafische Gestaltung:Lisi Breuss
Druck:Ferdinand Berger & Söhne, 3580 Horn
Dezember 2011
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Das FiT Programm
Frauen in Handwerk und
Technik
10 FRAUEN
ERZÄHLEN
VON IHREN
ERFAHRUNGEN
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Liebe Leserinnen!
Mit dieser Broschüre wollen wir 10 erfolgreiche Beispiele aus dem AMS Programm FiT – Frauen in Hand-
werk und Technik – vorstellen.
Seit 6 Jahren wird das Programm in ganz Österreich durchgeführt und mehr als 3300 Frauen haben
inzwischen eine handwerklich-technische Ausbildung erhalten: Die Frauen machten eine Lehre, besuchten
eine berufsbildende Schule oder auch eine Fachhochschule.
Das AMS unterstützt diese Ausbildungen, weil sich noch immer zu wenige Frauen eine handwerklich-
technische Ausbildung zutrauen und damit auch Chancen vergeben. Arbeitsstellen in diesem Bereich
zeichnen sich nämlich durch höhere Löhne und bessere Aufstiegsmöglichkeiten aus und können somit
dazu beitragen, dass sich die Situation der Frauen am Arbeitsmarkt verbessert.
Die vorgestellten Frauen haben den Schritt in technisch-handwerkliche Tätigkeitsbereiche bereits gemacht
und berichten über ihre Arbeit und ihren Erfahrungen. Ergänzt werden diese Ausführungen von kurzen
Gesprächen mit Personen, welche die Frauen während ihrer Ausbildung beispielsweise als Ausbildungs-
leiter oder Firmenchef begleitet haben.
Wir möchten mit dieser Broschüre noch mehr Frauen dazu ermuntern, den Schritt in ein neues Berufsfeld
zu wagen. Das AMS wird sie bestmöglichst dabei unterstützen.
Eva Egger & Margot Puck
AMS Österreich, Abteilung Arbeitsmarktpolitik für Frauen
3
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Inhalt
Das FiT-Programm des AMS 4
Silvia Breiml, Lehrausbildung Karosseriebautechnik:
„Muskelkater haben die männlichen Lehrlinge anfangs auch“ 6
Barbara Tresky, Uhrmachermeisterin:
„Uhren sind inzwischen meine Leidenschaft“ 10
Georgina Bezuh, Zerspanungstechnikerin:
„Wenn ich was schaffen will, schaffe ich es auch“ 14
Tanja Scheil, Bautechnische Zeichnerin:
„Mein Leben hat sich von Grund auf geändert“ 18
Romana Welser, Chemielabortechnikerin:
„Im Moment bin ich sehr zufrieden“ 22
Eveline Prochaska, Studentin der Informationstechnologien und Telekommunikation:
„Für einen Neustart braucht es sehr viel Eigeninitiative“ 25
Sandra Schmid, Mechatronikerin:
„Mir gefällt es, wenn ich körperlich arbeiten kann. Ich mag das“ 30
Anita Wechselberger, Kraftfahrzeugtechnikerin:
Als erste Frau in der Werkstatt 34
Nuray Isik, Speditionskauffrau:
„Ich bin froh, dass mir diese Chance geboten wurde“ 38
Nina Klaus, Maschinenfertigungstechnikerin:
„Es geht auch mit Kindern“ 42
4
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Das FiT-Programm des AMS
2006 startete das Arbeitsmarktservice (AMS) das Programm „Frauen in Handwerk und
Technik“ (FiT). In den Jahren 2006 bis 2010 schlossen bereits mehr als 3.300 Frauen im
Rahmen des FiT-Programms eine handwerkliche oder technische Ausbildung ab.
Das Ziel des Programms
Ziel dieses Programms ist es, Frauen zu ermutigen, handwerkliche oder technische Berufe zu ergreifen und
sie dabei zu unterstützen. Denn handwerkliche und technische Berufe bieten gute Verdienstmöglichkeiten
und auch in Zukunft die Chance auf einen sicheren Arbeitsplatz (Stichwort: Fachkräftemangel).
Die Benachteiligung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt hat zwei Gründe:
Die Berufswahl. Allzu viele Frauen entscheiden sich, einen der traditionellen Frauenberufe zu
ergreifen (z.B. Friseurin, Bürokauffrau, Tätigkeiten im Handel und im Gastgewerbe). Tradi-
tionelle Frauenberufe aber sind häufig schlecht bezahlt und bieten selten Aufstiegschancen.
Die Tatsache, dass zumeist die Mütter für die Betreuung von Kindern zuständig sind, und es mitunter
schwierig ist, dies mit einer Vollzeitarbeit zu vereinbaren.
Die Folge davon sind gravierende Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern.
Wer kommt für eine Teilnahme in Frage?
Zielgruppe des FiT-Programms sind alle beim AMS als arbeitsuchend vorgemerkten Frauen, die Interesse
an einer handwerklichen oder technischen Ausbildung haben.
Das FiT-Programm im Detail
BerufsorientierungDer Besuch eines Berufsorientierungskurses vermittelt einen umfassenden Überblick über die Vielzahl an
handwerklichen und technischen Berufen und erweitert damit die beruflichen Perspektiven der Teilnehme-
rinnen. Die Berufsorientierungskurse werden im Auftrag des AMS von verschiedenen Bildungseinrichtungen
durchgeführt (z.B. abz*austria, bfi, WIFI)
Technische VorqualifizierungBei Interesse für einen handwerklichen oder technischen Beruf erhalten die Teilnehmerinnen eine Basis-
qualifizierung in jenen Bereichen, die sie später in der Ausbildung und im Beruf benötigen (z.B. Mathematik,
EDV, technisches Englisch). Schnuppertage oder aber ein zwei bis vier Wochen dauerndes Praktikum in
einem einschlägigen handwerklichen oder technischen Betrieb sollen die endgültige Entscheidungsfindung
erleichtern. Die technische Vorqualifizierung wird so wie die Berufsorientierung im Auftrag des AMS von
verschiedenen Bildungseinrichtungen durchgeführt und durch die Möglichkeit eines Praktikums auf
betrieblicher Ebene ergänzt.
-
-
5
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Berufsausbildung
Das FiT-Programm ermöglicht eine Ausbildung im handwerklichen oder technischen Bereich, die mit einem
Lehrabschluss oder einem vergleichbaren schulischen Abschluss endet. Gefördert wird die Ausbildung
von Frauen in handwerklichen und technischen Berufen, in denen der Frauenanteil an den Lehrlingen oder
an den Studierenden unter 40 Prozent liegt. Unter Umständen ist auch eine Ausbildung an einer naturwis-
senschaftlich-technischen Fachhochschule, an einer Höheren technischen Lehranstalt (HTL) oder einem
technischen Kolleg möglich. Die Lehrausbildungen können direkt in einem Betrieb stattfinden oder in Aus-
bildungseinrichtungen. Facharbeiterinnen-Intensiv-Ausbildungen finden meist in Ausbildungszentren statt.
Und die Kosten?
Die gesamten Kosten für Berufsorientierung, Berufsvorbereitung und Berufsausbildung übernimmt das
AMS. Für die Dauer der Teilnahme am FiT-Programm beziehen Frauen ihr Arbeitslosengeld weiter oder
eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts.
Was tun im Falle von Problemen?
Beginnend von der Berufsorientierungsphase bis zum Abschluss der Berufsausbildung steht den Teilneh-
merinnen am FiT-Programm eine kompetente Beraterin zur Seite. Mit ihr können mögliche familiäre Belas-
tungen, Probleme in Zusammenhang mit der Organisation und Finanzierung der Kinderbetreuung, Lern-
schwierigkeiten und Konflikte mit KollegInnen besprochen werden.
Nähere Informationen Persönliche Beratung erhalten Sie in der für Ihren Wohnort zuständigen
Regionalen Geschäftsstelle des AMS
Allgemeine Informationen erhalten Sie unter folgenden Internetadressen:
www.ams.at/frauen
www.ams.at/fit
www.fit-gehaltsrechner.at
www.berufskompass.at
www.ams.at/qualibarometer
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Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
„Ich brauche den Kontakt mit Leuten. Allein in einem
Büro zu sitzen, wäre nichts für mich.“ Silvia Breiml,
eine vor Vitalität sprühende fröhliche junge Frau,
wohnhaft in Klagenfurt, weiß, was sie will, und sie hat
dieses Bedürfnis in ihrem Berufsleben auch immer
berücksichtigt. Ursprünglich machte sie im elter-
lichen Betrieb die Lehrausbildung zur Kellnerin. „Mit
Lehrabschluss und allem Drum und Dran.“ Danach
arbeitete sie jahrelang im Gastgewerbe, zwischen-
durch auch im Handel. Von ihrer letzten Arbeitsstelle
im Gastgewerbe wurde sie gekündigt. Der Grund?
„Am Neuen Platz in Klagenfurt war eine Zeitlang eine
Großbaustelle, und der Umsatz in dem Lokal, in dem
ich gearbeitet habe, ging rapide zurück.“ Etwa zur
gleichen Zeit waren ihre Probleme mit der Schulter
immer ärger geworden. „Ich habe mitunter nicht
einmal einen Glasteller aufheben können, solche
Schmerzen hab ich gehabt.“ Silvia Breiml ging zum
Arzt und ließ sich untersuchen. Der Arzt sagte ihr, es
sei an der Zeit, mit der Arbeit im Gastgewerbe aufzu-
Silvia Breiml (Jahrgang 1976) Lehrausbildung zur Karosseriebautechnikerin
hören, sonst würde es immer schlimmer, und schrieb
ihr auch ein entsprechendes Attest. Daraufhin konnte
sie über das Berufliche Bildungs- und Rehabilita-
tionszentrum (BBRZ) einen Kurs zur Umschulung
machen. Sie konnte sich zwischen kaufmännischen
und technischen Berufen entscheiden, entschied sich
für die technischen und machte im Rahmen dieser
Umschulung ein Praktikum in einer großen Firma,
und zwar im Metallbereich. Dort lernte sie die Tätig-
keit des Drehers bzw. der Dreherin ein wenig kennen.
Gleichzeitig aber war klar, dass die Firma im Moment
niemanden aufnimmt, weil sie genug Personal hat.
„Dann war der Kurs aus und ich hatte noch immer
keinen Job.“
In dieser Situation entdeckte sie die
AMS-Broschüre „Frauen mit Zukunft“
und fragte ihre AMS-Beraterin, ob
das FiT-Programm nicht auch für
sie was wäre. Das bedurfte erst der Klärung. „Aber
nachdem ich eher hartnäckig bin, konnte ich dann
bei dem Auswahlverfahren mitmachen. Das fand in
Villach statt. Von den 50 Bewerberinnen wurden 15
bis 20 ins Programm aufgenommen.“ Silvia Breiml
war eine davon.
Anschließend besuchte sie den Berufsorientierungs-
kurs in Villach, wobei für sie schon klar war, welche
Ausbildung sie machen wollte – Karosseriebau-
technik. „Ich habe mich immer schon für Autos inter-
essiert. Und wenn es möglich war, habe ich Kleinig-
keiten bei meinen Autos selbst repariert.“ Um einen
Praktikumsplatz müssen sich die Teilnehmerinnen des
Berufsorientierungskurses selber kümmern.
Silvia Breiml fand zwei Betriebe, absolvierte die
Praktika, wurde aber von jedem Betrieb „hinaus-
getröstet“, wie sie sagt. Immer hieß es: „Im Moment
brauchen wir niemanden, aber vielleicht in einem
An Autos war Silvia Breiml immer schon interessiert.
„Muskelkater haben die männlichen Lehrlinge anfangs auch“
FiT-Programm
7
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
halben Jahr.“ Das heißt, Lehrstelle in dem von ihr
angestrebten Beruf hatte sie keine. „Das war nicht
sehr aufbauend. Ich habe mich damals noch einmal
mit meiner AMS-Beraterin, einer Vertreterin der
Kärntner Arbeitsstiftungen und meiner Kursleiterin
beraten. Und dann habe ich mir aus dem Internet
eine Liste mit allen Karosseriebetrieben in Klagenfurt
und in Klagenfurt Umgebung ausgedruckt und habe
die Betriebe einfach aufgesucht. Ich bin in sämtliche
Betriebe, auch jene, von denen ich schon telefonisch
Absagen gekriegt habe, persönlich hingefahren und
habe nach einer Lehrstelle gefragt. Da habe ich
gemerkt, wie wichtig der persönliche Kontakt ist.“
Auf diese Weise kam sie auch zur Firma Waldemeier,
von der sie zuvor bereits eine telefonische Absage
erhalten hatte. „Ich bin ins Büro gegangen, hab
gefragt, ob der Chef oder die Chefin da ist. Der Chef,
Wolfgang Waldemeier, war da. Ich hab ihn gefragt
wegen eines Praktikums in Hinblick auf eine Lehr-
stelle. Er war damit einverstanden. Ich habe mir
gedacht, ich mache zuerst eine Woche Praktikum.
Das ist auch für den Betrieb eine gewisse Sicher-
heit. Damit sieht der Chef, wie ich mich anstelle, und
ich sehe, wie ich mit den Leuten zurechtkomme. Wir
haben also vereinbart, dass ich eine Woche Prakti-
kum mache und wir uns am letzten Tag der Woche
nochmals zusammensetzen. Am Mittwoch kommt der
Chef vorbei, ich frage ihn, ob er am Freitag da sein
wird. Er bejaht und fragt, wie es mir gefällt. Ich sage:
Mir gefällt es super. Mit den Leuten komme ich auch
spitze aus. Sagt er: Passt. Ich sage: Reden wir am
Freitag weiter. Darauf antwortet er nicht, macht zwei
Schritte weg von mir, dreht sich dann um und teilt mir
mit, dass er mich ab Montag als Lehrling beschäftigen
wird. Ich hab gar nicht gewusst, was ich sagen soll.
Ich hab nur ein ‚Okay’ herausgebracht.“ Silvia Breiml
war total überrascht, positiv versteht sich. Denn
insgeheim hatte sie befürchtet, es würde ihr in der
Firma Waldemeier so ergehen wie in den anderen
Firmen.
Seit dieser „Schnupperwoche“ ist sie durchgehend
in der Firma Waldemeier beschäftigt. Zum Zeitpunkt
des Interviews hat sie das zweite Lehrjahr nahezu
beendet.
Silvia Breiml ist die einzige Frau in der Werkstatt. Mit
den Kollegen hat sie überhaupt keine Probleme. „Es
gibt keine blöden Sprüche, gar nichts, im Gegenteil.
Wahrscheinlich ist es ein Vorteil, wenn man selber
nicht mehr blutjung ist und ein gewisses Durchset-
zungsvermögen hat.“ Die Zusammenarbeit mit den
Kollegen funktioniert bestens. Wenn sie Unterstüt-
zung braucht, kriegt sie diese. „Die Firma ist wie eine
große Familie. Da geht alles Hand in Hand. So wie es
eigentlich sein sollte.“ Silvia Breiml strahlt, wenn sie
von ihrer Arbeit erzählt.
Auch in der Berufsschule gibt es keine Probleme.
„Die Mitschüler fragen mich eher, ob ich ihnen helfen
kann.“ Manche KundInnen, so Silvia Breimls Erfah-
rung, schauen zwar erst einmal, wenn sie eine Frau
in der Werkstatt sehen, aber es gibt keine negativen
Reaktionen. Auch die Reaktionen der Familie und des
Freundeskreises auf ihre Berufsentscheidung waren
positiv. „Eigentlich haben mir alle dazu gratuliert. Sie
sagten: Wenn du das machen willst, mach es, bitte.“
„Es ist ein Vorteil, wenn man nicht mehr
blutjung ist“
Das Arbeitsgebiet der KarosseriebautechnikerInnenDas Arbeitsgebiet der KarosseriebautechnikerInnen ist vor
allem die Wartung und Reparatur der Karosserien von Kraft-
fahrzeugen (der Motor hingegen gehört zu den Arbeitsge-
bieten von Kfz-TechnikerInnen). Dazu gehört das Montieren
und Demontieren von Fahrzeugteilen, das Ausrichten defor-
mierter Blechteile, der Oberflächenschutz durch Hohlraum-
versiegelung sowie das Kitten, Lackieren und Schleifen. In
diesem Zusammenhang sind verschiedenste Materialien –
nicht nur Metall, sondern auch Kunststoff oder Glas – mit
den entsprechenden Verfahren zu bearbeiten.
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Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Der Betrieb, in dem Silvia Breiml arbeitet, ist spezi-
alisiert auf die Instandsetzung von Autokarosserien
nach Unfällen (Versicherungsschäden) bis hin zum
Beheben von Kratzern, Dellen und Lackschäden, die
nicht Folgen von Unfallschäden sind.
„Im Moment“, so erzählt Silvia Breiml, „arbeite ich
hauptsächlich in der Spenglerei. Wenn wir aber
beispielsweise in der Spenglerei wenig zu tun haben,
in der Lackiererei aber viel, dann geh ich in die
Lackiererei.“
Die wesentlichen Voraussetzungen für den Beruf der
Karosseriebautechnikerin sind in ihren Augen:
- Technisches Interesse („Schon in der Schule
war mir Werken lieber als Handarbeiten“) und
- speziell ein Gespür für Autos: „Wenn man ein
Auto zerlegt, muss man es auch wieder
zusammenbauen können. Das heißt, man
muss sich merken, wo hab ich welche
Schrauben rausgedreht.“
Eine gewisse Körperkraft ist für den Beruf ohne
Zweifel ebenfalls erforderlich. Im ersten Lehrjahr
hatte Silvia Breiml des öfteren Muskelkater. „Aber den
haben die männlichen Lehrlinge auch.“ Inzwischen
hat sie keinen Muskelkater mehr und ist auch ihre
Schulterbeschwerden los. „Die kamen vom Servieren,
von der dauernden einseitigen Belastung.“ Was ihr
auffällt: „Bei den typischen Frauenberufen ist über-
haupt nie die Rede davon, wie körperlich belastend
die sein können. Davon wird immer nur geredet, wenn
Frauen in sogenannte Männerberufe vordringen.
(KarosseriebautechnikerIn ist ein Beruf, bei dem der
Männeranteil an den Lehrlingen österreichweit mehr
als 97 Prozent beträgt.) Sie selbst weiß, dass die
Arbeit im Gastgewerbe körperlich außerordentlich
anstrengend sein kann. Und nicht nur die im Gastge-
„In den typischen Frauenberufen ist von
körperlicher Belastung nie die Rede“
Ihr gefällt, dass man in dem Beruf nie auslernt.
Silvia Breiml (Jahrgang 1976) Lehrausbildung zur Karosseriebautechnikerin
Früher gab es, so erklärt Silvia Breiml, Autospengler
und Lackierer. Da war auch Autospengler allein
ein Lehrberuf. Heute umfasst die Lehrausbildung
KarosseriebautechnikerIn die Spenglerei und das
Lackieren. Für Lackierer gibt es allerdings noch eine
Einfachlehre. Zum Berufsbild der Karosseriebautech-
nikerInnen gehört auch der Umbau von Karosserien
(z.B. Einbau von Schiebedächern) oder die Produk-
tion von Karosserien für Spezialfahrzeuge (serienge-
fertigte Fahrzeuge werden hingegen vollautomatisch
am Fließband produziert).
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Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
werbe. „Ich habe eine Zeitlang in einem Supermarkt
gearbeitet. In der Fleischabteilung. Da gibt es Kisten,
wenn die voll mit Wurstzeug sind, sind sie nur mit
allergrößter Anstrengung hochzuheben.“
Dass sich Frauen unter Umständen davon abhalten
lassen, den Beruf der Karosseriebautechnikerin zu
ergreifen, weil sie sich dabei auch schmutzig
machen, ist für Silvia Breiml nicht nachvollziehbar: „Es
gibt ja Wasser. Und zwar ausreichend. Und duschen
muss man sich – egal welchen Beruf man hat.“
Was ihr an ihrem Beruf besonders gefällt: „Es ist ein
Beruf, in dem man nie auslernt. Weil sich ständig was
ändert. In den neueren Autos ist beispielsweise viel
mehr Elektronik, darauf muss man auch Rücksicht
nehmen.“
Silvia Breimls Erklärung dafür, warum es in ihrem
Beruf für Frauen eher schwierig ist, eine Lehrstelle
zu finden: „Der überwiegende Teil der einschlä-
gigen Betriebe ist diesbezüglich sehr konservativ und
scheut sich vor jeglicher Veränderung. Die meisten
reden sich darauf aus, dass es dann getrennte sani-
täre Einrichtungen geben müsse. Aber das stimmt
nicht. Wenn nicht mehr als fünf Frauen beschäftigt
sind, reicht ein WC, das zum Absperren ist.“
Für die Frage nach Zukunftsperspektiven ist es im
zweiten Lehrjahr im Grunde genommen noch zu früh.
Nicht so für Silvia Breiml. Sie denkt sehr wohl an die
Zukunft. Vor allem hofft sie, nach der Lehrabschluss-
prüfung in der Firma Waldemeier bleiben zu können.
Und sie kann sich vorstellen, nach einiger Zeit der
Praxis die Meisterprüfung zu machen. Und danach
eventuell noch die Ausbildung zur Kfz-Sachverstän-
digen ... „Man wird ja schließlich nicht jünger. Und ich
möchte in meinem erlernten Beruf bleiben.“
Die Sicht des Werkstättenleiters
Entscheidend ist: Wie greift wer was an
Die Firma Waldemeier, Autospenglerei und Autolackiererei in Klagenfurt, besteht seit nahezu 50 Jahren. Derzeit hat
die zweite Generation die Geschäftsführung inne, und die dritte Generation arbeitet bereits mit. Im Betrieb gibt es
18 Beschäftigte. In der Werkstatt ist Silvia Breiml die einzige Frau. Vor etwa 15 Jahren hat schon einmal eine Frau in
der Werkstatt gearbeitet, ihre Lehre aber abgebrochen.
Christian Käfer ist seit Anfang 2010 Werkstättenleiter in der Firma. Seiner Meinung nach ist für die Ausübung
des Berufs nicht das Geschlecht ausschlaggebend, es kommt vielmehr darauf an, wie eine Person sich anstellt.
„Entscheidend ist: Wie greift wer was an. In unserem Beruf ist sehr viel handwerkliches Geschick erforderlich
und speziell bei der Lackierung von Autos auch Feinfühligkeit. Da merkt man schon, dass Frauen sehr gut sind.
Speziell wenn es um die Abschlussarbeiten beim Lackieren geht. Das ist eine genaue Arbeit.“
Bei körperlich anstrengenden Arbeiten helfen die Kollegen im Normalfall zusammen. In einem Pkw-Betrieb sieht
Christian Käfer für Frauen diesbezüglich keine Probleme. In einem Lkw-Betrieb wäre seiner Meinung nach die
Arbeit für eine Frau zu schwer.
10
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
zehn. Ich bin nicht multitasking-bereit. Fähig mögli-
cherweise schon, aber ich will es nicht. Man redet
den Frauen ja ständig ein, dass sie multitasking-fähig
seien und alle möglichen Aufgaben gleichzeitig erle-
digen können. Das ist wie ein Zwang. Und manche
Frauen sind dann auch noch stolz darauf.“
Barbara Tresky wandte sich ans AMS und konnte
einen Berufsorientierungskurs speziell für Frauen
besuchen. „Die Kursleiterin hat uns Frauen total unter-
stützt. Sie hat sich bemüht, dass die Teilnehmerinnen
im Anschluss wirklich die Ausbildung machen können,
die sie machen wollen.“ Aber so einfach ging es dann
doch nicht. Barbara Tresky wusste zwar sehr schnell,
welchen Beruf sie erlernen wollte – Uhrmacherin. In
den Unterlagen des AMS war sie auf ein Inserat der
Uhrmacherlehrwerkstätte der Stadt Wien gestoßen.
Dort rief sie umgehend an, bekam einen Termin bei
Harald Rinder, dem Leiter der Lehrwerkstätte, und
der sagte ihr nach dem Gespräch zu, dass er sie auf-
nimmt. Bis sie die Uhrmacherlehre im Rahmen des
FiT-Programms tatsächlich beginnen konnte, verging
allerdings ein Dreivierteljahr.
Da die Uhrmacherlehrwerkstätte keine Lehrlingsent-
schädigung zahlte, konnte Barbara Tresky mit der
Ausbildung nicht beginnen. „Ich hätte keine Lehr-
lingsentschädigung bekommen, kein Arbeitslosen-
geld, keine Sozialhilfe. Von nichts aber kann ich nicht
leben.“
Barbara Tresky war klar, dass sie eine Ausbildung
machen und auch abschließen musste. Sie versuchte,
eine Lehrstelle in einer Bibliothek zu finden, in einer
Bücherei, auch in der Metallbranche, die sie damals
schon interessierte, aber überall hieß es, sie sei mit
ihren 23 Jahren zu alt. „Das war schon frustrierend.
Barbara Tresky (Jahrgang 1982) Uhrmachermeisterin
Ursprünglich wollte Barbara Tresky nach der Matura
„etwas Künstlerisches“ machen. Das hat nicht funk-
tioniert. Also begann sie an der Universität Wien
Kunstgeschichte und Soziologie zu studieren, brach
das Studium aber ab, weil es ihr zu theoretisch war.
Sie ging zum AMS, erhielt eine Büroausbildung,
erwarb EDV-Kenntnisse und arbeitete in der Folge die
meiste Zeit in Büros, bis ihr klar wurde, dass sie bei
dieser Tätigkeit nicht bleiben, sondern was anderes
machen will.
Was ihr an der Büroarbeit nicht gefiel? „Dass die
Arbeit nie erledigt ist. Büroarbeit ist wie Hausarbeit.
Kaum meint man, die Arbeit beendet zu haben, fängt
das Ganze von vorn an. Ich konzentriere mich bei
meiner Arbeit gern auf eine Tätigkeit und nicht auf
Barbara Tresky arbeitet mit Klein- und mit Großuhren.
„Uhren sind inzwischen meine Leidenschaft“
„Büroarbeit ist wie Hausarbeit. Kaum
hat man die Arbeit beendet, fängt das
Ganze von vorne an“
Barbara Tresky (Jahrgang 1982) Uhrmachermeisterin
11
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Später, als ich dann in der Berufsschule war, zeigte
sich, dass die Älteren deutlich motivierter und ambiti-
onierter sind.“
Zwischendurch besuchte Barbara Tresky noch einen
Kurs des Berufsförderungsinstituts (bfi). „Da ging es
zwar um die Förderung von Frauen in technischen
Berufen. Aber eine Uhrmacherlehre stand nicht zur
Wahl. „Ich aber wollte wenn irgend möglich die Uhr-
macherlehre in der Lehrwerkstätte machen.“ Bei
einem Gesprächstermin im abz*austria1 fand die
Beraterin heraus, dass der Beruf UhrmacherIn einen
Frauenanteil von weniger als 40
Prozent hat und eine Förderung der
Ausbildung daher im Rahmen des
FiT-Programms möglich sein müsse.
Sie motivierte Barbara Tresky erst einmal, eine Mappe
auszuarbeiten zum Berufsbild UhrmacherIn mit
umfassenden Informationen einschließlich Interviews
und Inseraten etc. „Das habe ich gemacht, und dann
hat sie sich total für mich eingesetzt.“
Mit vereinten Kräften – sprich dank dem Einsatz der
abz-Mitarbeiterin, des Leiters der Uhrmacherlehrwerk-
stätte und der Beraterin des AMS, mit der Barbara
Tresky inzwischen Kontakt hatte – konnte sie letzt-
lich die Uhrmacherlehre an der Lehrwerkstätte der
Stadt Wien im Rahmen des FiT-Programms absol-
vieren. Damit war das finanzielle Problem gelöst, denn
während einer Lehrausbildung im Rahmen des FiT-
Programms wird Arbeitslosengeld oder ein Beitrag zur
Deckung des Lebensunterhalts bezahlt.
Dreieinhalb Jahre dauerte die Ausbildung in der Lehr-
werkstätte in der Mollardgasse, die quasi den Ausbil-
dungsbetrieb ersetzt. Die Berufsschule besuchen
Uhrmacherlehrlinge in Wien in der Hütteldorferstraße.
Unmittelbar nach Ablegung der Lehrabschlussprü-
fung im März 2011 begann Barbara Tresky als Gesel-
lin in der Firma Reich in der Schönbrunnerstraße zu
arbeiten, einer Firma, die ihr bereits vertraut war. Sie
hatte dort zwei Sommer lang als Ferialpraktikantin
gearbeitet und sie arbeitete dort während ihrer Ausbil-
dung in der Lehrwerkstätte regelmäßig an ihren freien
Samstagen. Friedrich Reich, der Firmenchef, ist nicht
nur Uhrmacher, sondern auch Uhrenrestaurator. Uhren-
restaurator ist kein eigener Lehrberuf, und es ist eine
Tätigkeit, die nur von sehr wenigen UhrmacherInnen
ausgeübt wird. Das dafür erforderliche Wissen muss
man sich in Eigenregie aneignen. Friedrich Reich,
der den Betrieb von seinen Eltern übernommen hat,
hat sich in jüngeren Jahren ganz gezielt Kenntnisse
der Holz- und der Metallrestaurierung angeeignet
und noch zusätzlich eine Goldschmiedeausbildung
gemacht, um die Voraussetzung für die Restaurie-
rung alter und auch wertvoller Großuhren (z.B. Wand-,
Pendel-, Stand- und Tischuhren) zu haben und auch
selbst Ersatzteile herstellen zu können.
„Mit Herrn Reich habe ich ein Riesenglück. Er hat
seinerzeit sofort zugestimmt, als ich bei ihm ein Prak-
tikum machen wollte. Und er hat mir während meiner
Ausbildung immer geholfen, egal womit ich zu ihm
„In meiner Klasse hat sich gezeigt,
dass die Älteren motivierter und
ambitionierter sind“
FiT-Programm
1 Non-Profit-Verein für die Förderung von Frauen in den Bereichen Bildung und Arbeit.
Das Arbeitsgebiet der UhrmacherInnen
Der wesentliche Bereich der Tätigkeit von UhrmacherInnen ist
die Wartung und Reparatur von Uhren. Aufgrund der Verwen-
dung kleinster Werkzeuge handelt es sich bei der Tätigkeit
der UhrmacherInnen um Feinmechanikerarbeit. Bei der
Reparatur einer (mechanischen) Uhr öffnen UhrmacherInnen
das Gehäuse mit einem speziellen Werkzeug, stellen fest,
was offensichtlich kaputt ist, nehmen das Uhrwerk heraus,
kontrollieren die Abnützung der Lager und der Wellen und die
Verzahnung der Räder. Schauen, ob noch alles gut vernietet
ist. Eventuell muss nachgenietet werden. Wenn ein Zahnrad
beschädigt ist, wird entweder ein einzelner Zahn neu einge-
setzt oder es wird ein ganzes Rad neu gefräst. Geprüft wird
auch die Ganggenauigkeit.
12
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
der Geschichte zum Funktionieren gebracht worden
sind, wie sich das weiterentwickelt hat. Das ist ja eine
unglaubliche Entwicklung bis hin zu den heutigen
Kleinuhren.“ Das macht ihre Tätigkeit auch so
abwechslungsreich. „Keine Uhr gleicht der anderen.“
Welche Voraussetzungen braucht man für den Beruf
der Uhrmacherin? Dazu Barbara Tresky:
„Technisches Interesse braucht man schon. Aber viel-
leicht schreckt die Formulierung „technisches Inter-
esse“ Frauen eher ab. Ich denke, Frauen sollten sich
einfach mal anschauen, wie eine Uhr funktioniert, mit
welchen Maschinen und Werkzeugen Uhrmache-
rInnen arbeiten. Das ist alles nichts Übernatürliches.
Man braucht auch keine Scheu zu haben vor Maschi-
nen. Ich selber verbinde Maschinen zwar auch eher
mit Männerarbeit, aber sobald man sich drauf einlässt
und anfängt, mit Bohrmaschinen oder Drehbänken zu
arbeiten, entwickelt man auch ein Gefühl dafür und
das finde ich sehr positiv. In gewisser Weise baut man
auch zu Maschinen eine Beziehung auf. Ich habe
beispielsweise Lieblingsmaschinen und Maschinen,
die ich gern und solche, die ich weniger gern putze.“
Barbara Tresky hat einiges an Umwegen zurückge-
legt und einiges Durchsetzungsvermögen gebraucht,
um Uhrmacherin zu werden. Sie schließt zwar nicht
aus, dass mancher Umweg auch einen Sinn haben
kann. Hilfreich für die Schul- und Berufswahl aber
wäre es ihrer Meinung nach, wenn junge Leute mehr
Informationen hätten und sich selbst ein realistisches
Bild von verschiedenen Tätigkeiten machen könnten.
„Bei uns an der Schule waren zwar zwei Vertreter der
Österreichischen Hochschülerschaft und haben uns
verschiedene Studienrichtungen vorgestellt. Aber
wirklich vorstellen kann man sich dadurch nicht, wie
es an einer Universität zugeht. Andere Schulen gehen
mit den SchülerInnen an die Universität und schauen
sich das live an. Das ist sicher sinnvoller. Ich selbst
habe beispielsweise zuerst nicht gewusst, dass ich
nach der Matura noch eine Lehre beginnen kann.
Ich habe gedacht, das geht nicht. Und ganz wichtig
ist es auch, selbst etwas ausprobieren zu können.“
gekommen bin. Auch wenn er selbst oft seine Arbeit
unterbrechen musste und unter ziemlichem Zeitdruck
stand, weil so viel zu tun war im Betrieb.“ Barbara
Tresky hat von ihrem Chef viel gelernt und wusste
das immer zu schätzen. „Überdies kommen wir sehr
gut miteinander aus.“ Lediglich was den Bereich
Ordnung betrifft, haben die beiden, so erklären sie
schmunzelnd, unterschiedliche Vorstellungen. „Aber
inzwischen akzeptiert er meine Ordnung, und ich
akzeptiere sein Chaos. Jeden Samstag wird die
Werkstatt ohnehin komplett aufgeräumt und geputzt.“
Was Barbara Tresky besonders gefällt an ihrem Beruf:
„Es geht nicht nur um die Bearbeitung von Materia-
lien, sondern um das Funktionieren eines Gerätes.
Das Faszinierende ist die Technik hinter dem Ganzen,
dass man etwas wieder zum Laufen bringt, dass es
wieder so funktioniert, wie es funktionieren soll. Die
Beschäftigung mit alten Uhren macht auch sichtbar,
auf welch unterschiedliche Art Uhrwerke im Laufe
„Es ist ein Erfolgserlebnis, etwas
wieder zum Laufen zu bringen“
Ihre Erfahrung: Auch zu Maschinen baut man eine Beziehung auf.
Barbara Tresky (Jahrgang 1982) Uhrmachermeisterin
13
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Barbara Tresky hat sich immer vorgestellt, dass sie
gern mit Holz arbeiten würde. Nach einem einzigen
Tag in einer Tischlerwerkstatt im Zuge des Berufsori-
entierungskurses wusste sie es besser. Sie hatte das
Gefühl, an dem Holzstaub zu ersticken. „Man sollte
die Chance nützen, etwas an Ort und Stelle auszu-
probieren.“
Zukunftsperspektiven? Barbara Tresky möchte weiter reparieren; sie möchte
keinesfalls in den Verkauf. „Zuerst möchte ich das
Handwerk der Uhrmacherei richtig beherrschen und
dann hoffe ich, dass Herr Reich noch Zeit findet,
mir das Sanieren der Gehäuse beizubringen. Einst-
weilen repariere ich nur die Uhrwerke. Die Gehäuse
saniert alle er.“ Die Großuhren sind Barbara Tresky
jedenfalls zunehmend ans Herz gewachsen. „Wenn
ich mich schnell genug entwickle, und ich hoffe, das
werde ich, würde ich gern versuchen, selbständig zu
sein, wobei ich ehrlich sagen muss, ich habe großen
Respekt davor. Denn die Selbständigkeit birgt auch
ein hohes Risiko, nicht zuletzt ein finanzielles. Und
ich habe keinerlei Rücklagen. Deshalb muss ich mir
das gut überlegen. Ich habe aber auch kein Problem
damit, angestellt zu sein. In jedem Fall möchte ich die
Meisterprüfung machen.“
Im August 2011 – wenige Wochen nach dem Inter-
viewtermin – hat Barbara Tresky wie geplant die
Meisterprüfung abgelegt.
Die Sicht des Ausbildungsleiters
„Eine solche Schülerin würde ich mir wieder wünschen!“
Der Anteil der Frauen an den Uhrmacherlehrlingen beträgt nur knapp 30 Prozent. Das ist schade. Denn: „Frauen
stellen sich in dem Beruf zum Teil viel geschickter an und sind viel einfühlsamer.“ Harald Rinder weiß dies aufgrund
langjähriger Erfahrung. Seit 1991 ist er Lehrer und seit 2003 Leiter der Uhrmacherlehrwerkstätte der Stadt Wien.
Diese überbetriebliche Ausbildungsstätte, ausgestattet mit den modernsten Maschinen und Geräten, wurde bereits
1903, also vor mehr als hundert Jahren gegründet, und ist untergebracht im Berufsschulgebäude in der Mollard-
gasse. Die Hälfte der AbsolventInnen bleibt in der Branche. Das ist – verglichen mit anderen Lehrausbildungen –
ein hoher Prozentsatz.
Pro Jahr werden – nach Ablegung einer Aufnahmsprüfung – zwölf Lehrlinge aufgenommen. Anders als noch vor
wenigen Jahren, als Barbara Tresky mit der Ausbildung begann, werden seit 2010 nur noch InteressentInnen aus
Wien aufgenommen, die nicht älter als achtzehn Jahre alt sind. Die Vermittlung erfolgt über das AMS für Jugend-
liche. Die Lehrlinge erhalten nun eine Ausbildungsbeihilfe, sind kranken- und unfallversichert und müssen pro Jahr
zwölf Wochen Praktikum in einem Fachbetrieb absolvieren. Innerhalb der ersten eineinhalb Jahre der dreieinhalb-
jährigen Ausbildung fertigt jeder Lehrling selber eine sogenannte Lehruhr an, das heißt, die Lehrlinge lernen auch
die für die Herstellung von Uhren erforderliche Bearbeitung von Rohmaterialien und nicht nur das Reparieren von
Uhren. Das ist speziell für UhrenrestauratorInnen wichtig, die oft vor dem Problem stehen, dass es für eine Uhr
keine Ersatzteile mehr gibt.
Für Harald Rinder ist der Beruf der UhrmacherIn und ZeitmesstechnikerIn ein Beruf mit Zukunft. „Der Trend geht
zurück zur mechanischen Uhr, die man reparieren und servicieren kann. Es ist fast eine Renaissance!“ Barbara
Tresky hat er in sehr guter Erinnerung. „Ihr Wunsch, Uhrmacherin zu werden, war sehr ausgeprägt. Sie war sehr
motiviert, sehr wissbegierig. Sie hat die Holschuld geholt und die Bringschuld eingefordert. Sie hat alles hinterfragt.
Und ich habe es als meine Aufgabe gesehen, sie zu unterstützen. Eine solche Schülerin würde ich mir wieder
wünschen!
14
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Im Alter von vierzehn Jahren kam Georgina Bezuh mit
ihren Eltern von Kroatien nach Österreich, und zwar
ins Südburgenland. Hier besuchte sie die Polytech-
nische Schule. Im Anschluss daran absolvierte sie
eine Lehre als Restaurantfachfrau. Georgina Bezuh
hatte bereits während ihrer Schulzeit in Kroatien
einige Jahre Deutschunterricht gehabt; sie musste
mit dem Deutschlernen daher in Österreich nicht an
einem Nullpunkt beginnen. Das erleichterte ohne
Zweifel den schulischen Einstieg. Die allermeisten
Fachbegriffe des Gastgewerbes waren ihr dennoch
vollkommen fremd. „Die konnte ich nur auswendig
lernen.“ Nichtsdestotrotz bestand sie die Lehrab-
schlussprüfung zur Restaurantfachfrau in Bad
Gleichenberg mit Auszeichnung. Ganz offensichtlich
ist Georgina Bezuh sehr sprachbegabt. Heute spricht
sie ohne Akzent, auch Dialekt. Vor allem aber:
Georgina Bezuh lässt sich nicht unterkriegen.
Georgina Bezuh (Jahrgang 1977) Zerspanungstechnikerin
Von sich selbst sagt sie: „Wenn ich was schaffen will,
schaffe ich es auch.“
Knappe zehn Jahre lang war sie im Gastgewerbe
tätig, dann bekam sie Probleme mit der Lungen-
funktion. Offenbar vom Rauch in den Lokalen. Aus
gesundheitlichen Gründen sah sie sich gezwungen,
den Beruf zu wechseln, sich umschulen zu lassen.
Sie wandte sich ans AMS und wurde – inzwischen
wohnte sie in Bad Blumau in der Steiermark – an die
„Alternative“ in Gleisdorf verwiesen, ein Zentrum für
Ausbildungsmanagement, das – im Auftrag des AMS
und des Landes Steiermark – die Qualifizierung von
(arbeitslosen) Frauen fördert, um deren Chancen
auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Um sich beruflich
neu orientieren zu können, erhalten die Frauen die
Möglichkeit, in Bildungseinrichtungen oder Betrieben
verschiedene Tätigkeiten auszuprobieren und ihre
Eignung dafür in der Praxis zu testen.
Das Angebot der „Alternative“ umfasst nicht zuletzt
Ausbildungen im Metallbereich. Die Metallbranche
hätte Georgina Bezuh immer schon interessiert. Aber
in der Polytechnischen Schule, die sie besucht hat,
gab es damals für Mädchen nur die Möglichkeit, in
Friseurbetrieben oder im Gastgewerbe „zu schnup-
pern“. Sie selbst wollte daher zuerst Friseurin werden,
fand aber keine Lehrstelle, und entschied sich dann
fürs Gastgewerbe, denn irgendeine Ausbildung wollte
sie in jedem Fall machen. Ihrer Erfahrung nach wäre
es ganz wichtig, dass Mädchen im Rahmen der
Berufsorientierung in der Hauptschule und in der
Polytechnischen Schule die Möglichkeit haben, in
unterschiedliche Betriebe – auch in handwerklich-
technische – zu kommen, damit sie sehen, dass es
auch was anderes gibt als den Beruf der Friseurin,
Georgina Bezuh wechselte vom Gastgewerbe in die Metallbranche.
„Wenn ich was schaffen will, schaffe ich es auch“
15
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
der Verkäuferin und der Kellnerin. Nur so könnten sie
feststellen, was ihnen tatsächlich liegt und was nicht.
„Und dann sollte man den Mädchen sagen: Macht
das, was Euch interessiert!“
Ein halbes Jahr lang konnte Georgina Bezuh an der
Höheren Technischen Lehranstalt in Weiz, die mit
dem Ausbildungszentrum in Gleisdorf zusammenar-
beitet, die Grundlagen der CNC -Technik1 erlernen.
Letztlich war ihr das aber zu wenig, sie begnügte sich
nicht damit, sondern entschloss sich, die Lehrausbil-
dung zur Zerspanungstechnikerin2 zu machen. Die
Ausbildung, die in Form von Modulen erfolgt, absol-
vierte sie – nach Ablegung einer Aufnahmsprüfung
– im Schulungszentrum Fohnsdorf-Oststeiermark in
Fürstenfeld. Der Anteil der Frauen an den Lehrlingen
beträgt im Lehrberuf ZerspanungstechnikerIn öster-
reichweit nicht einmal sechs Prozent.
Im Rahmen der Ausbildung lernte Georgina Bezuh
sowohl die Bearbeitung von Werkstücken mit konven-
tionellen als auch mit CNC-Maschinen und Fertigungs-
anlagen. Parallel dazu erfolgte der Unterricht in Fach-
kunde, Fachzeichnen, Fachrechnen etc.
Im Mai 2010, ein Jahr und neun Monate nach Beginn
ihrer Ausbildung, bestand sie die Lehrabschluss-
prüfung mit Auszeichnung. „Ich wollte auch die
Zerspanungstechnik mit Auszeichnung machen.
Und das habe ich gemacht.“
Unmittelbar danach verschickte sie erst einmal 56
Bewerbungsschreiben. Seit Juli 2010 arbeitet sie –
als Leiharbeitskraft – in der Austria Druckguss GmbH
und Co KG in Gleisdorf. Austria Druckguss ist in
erster Linie ein Zulieferbetrieb für die Autoindustrie.
Die Zahl der Beschäftigten beträgt 236, dazu
kommen etwa 25 Leiharbeitskräfte. Insgesamt beträgt
der Frauenanteil in der Fertigung rund 14 Prozent.
Wie in den meisten Betrieben der Metallbranche ist
der Anteil der angelernten Arbeiterinnen deutlich
höher als jener der Facharbeiterinnen: Von den 28
Frauen, die bei Austria Druckguss angestellt und in
der Fertigung tätig sind, sind nur drei Facharbeite-
rinnen, 25 sind angelernt. Allerdings bildet Austria
Druckguss inzwischen auch weibliche Lehrlinge in
technischen Berufen aus – zur Zeit eine Werkzeug-
bautechnikerin und eine Mechatronikerin.
Georgina Bezuh bearbeitet bei Austria Druckguss
Werkteile, konkret: Leiterrahmen V6 für Automotoren
(Audi). Sie arbeitet Vollzeit. Die Fertigung erfolgt im
Schichtbetrieb, das heißt, es wird immer wieder auch
in der Nacht und an Wochenenden gearbeitet. „In der
Metallbranche ist es eben so. Das war mir von Anfang
an klar. Im Gastgewerbe habe ich auch oft in der
Nacht und an Sonn- und Feiertagen gearbeitet. Mit
dem Unterschied, dass hier die Arbeitszeit geregelt
ist und auch entsprechend bezahlt wird.
Dazu kommt, dass Metallberufe grundsätzlich besser
bezahlt sind als die traditionellen Frauenberufe.“
„Hier ist die Nachtarbeit geregelt
und wird auch entsprechend bezahlt“
Das Arbeitsgebiet der ZerspanungstechnikerInnen
1 CNC ist die Abkürzung von Computerized Numerical Control, zu deutsch: computerisierte numerische Steuerung. Heute sind nahezu alle neu
entwickelten Werkzeugmaschinen mit einer CNC-Steuerung ausgestattet, da diese sowohl die Serienfertigung als auch die Einzelfertigung von
Metall- und Kunststoffwerkstücken bei hoher Bearbeitungsgenauigkeit beschleunigt und daher rationalisiert.2 Mit 1. Juni 2011 wurde der Lehrberuf „ZerspanungstechnikerIn“ in der gegenwärtigen Form aufgelassen und durch den neuen Lehrberuf
„MetalltechnikerIn - Zerspanungstechnik“ ersetzt.
ZerspanungstechnikerInnen sind zuständig für die Formung
und Bearbeitung von Metall- und Kunststoff-Bauteilen mittels
spanabhebender Werkstoffbearbeitung. Beispielsweise werden
zu diesem Zweck mittels Drehen oder Fräsen Späne von der
Oberfläche der Werkstücke abgehoben. Die Bearbeitung
erfolgte in der Vergangenheit mit konventionellen, inzwischen
fast ausschließlich mit rechnergestützten CNC-Maschinen.
Während der Bearbeitung steuern und über-wachen Zerspa-
nungstechnikerInnen die Maschinen und
kontrollieren die Ergebnisse (Qualitätssicherung).
16
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Welche Voraussetzungen jemand für den Beruf
braucht? Dazu Georgina Bezuh:
- Technisches Interesse
- Interesse mit Metall zu arbeiten
- Räumliches Vorstellungsvermögen (z.B. um
sich aufgrund von Zeichnungen das Werk-
stück vorstellen zu können)
- Keine Abneigung gegenüber Rechnen
(Formeln und Gleichungen)
Durchhaltevermögen ist, so ergänzt sie, während
der Ausbildung ebenfalls erforderlich. „Denn ständig
wird man mit Neuem konfrontiert und kennt sich
erst einmal nicht aus. Man muss sich immer wieder
bemühen, es zu verstehen. Wenn man es dann kann
und verstanden hat, fällt es einem leicht.“
Sie selbst ist froh, die Ausbildung zur Zerspanungs-
technikerin gemacht zu haben. Ihre Familie hat die
neuerliche Berufswahl sehr positiv aufgenommen.
Ebenso ihr Freund, obwohl sie während der Ausbil-
dung sehr beschäftigt war und wenig Freizeit hatte.
„Bis zwei Uhr war ich jeden Tag im Schulungszentrum
und danach habe ich gelernt.“
Bei manchen Freundinnen ist die Berufsentscheidung
hingegen erst einmal auf wenig Verständnis gestoßen.
„D a s interessiert dich?“, wurde sie mitunter erstaunt
gefragt. „Ja, das interessiert mich“, antwortete sie
selbstbewusst. „Gärtnerin zu werden, würde mich
hingegen überhaupt nicht interessieren. Aber es ist
gut, dass nicht alle das Gleiche interessiert.“ Lieber
allerdings wäre es ihr gewesen, hätte sie die Möglich-
keit gehabt, die Ausbildung zur Zerspanungstechni-
kerin schon im Alter von 15 Jahren zu beginnen.
„Alles was man kann und verstanden
hat, fällt einem leicht“
Ihr Arbeitsgebiet: Die Bearbeitung von Leiterrahmen für Automotoren.
Mit den Kollegen im Betrieb kommt sie – als eine
der wenigen Facharbeiterinnen – gut aus. „Wenn
die sehen, dass man was kann, respektieren sie das
auch.“ In der Fertigungshalle ist es auffallend laut.
Georgina Bezuh aber findet den Lärm nicht schlimm.
„Man gewöhnt sich dran. Außerdem tragen alle
Beschäftigten Gehörschutz.“
Georgina Bezuh (Jahrgang 1977) Zerspanungstechnikerin
17
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
„Ohne den Umweg übers Gastgewerbe hätte ich jetzt
schon viele Jahre praktische Erfahrung in meinem
Beruf.“
Trotz ihrer relativ kurzen Berufserfahrung in der
Metallbranche werden ihre Fähigkeiten schon jetzt
auch außerbetrieblich geschätzt. Inzwischen wurde
sie bereits mehrmals als Trainerin für Metalltechnik ins
Schulungszentrum in Fürstenfeld geholt.
Die Sicht des Ausbildungsleiters
„Eine Paradeteilnehmerin...“Das Schulungszentrum Fohnsdorf mit dem Außenstandort Fürstenfeld, wo Georgina Bezuh ihre Ausbildung
absolviert hat, ist eine Erwachsenenbildungseinrichtung, die vom AMS finanziert wird. Das Zentrum bietet die
Möglichkeit, in verkürzter Form – andere Ausbildungen und berufliche Erfahrungen werden angerechnet – in
einem Modulsystem eine Lehrausbildung nachzuholen oder sich aufbauend auf eine vorhandene Ausbildung
höher qualifizieren zu lassen. In enger Zusammenarbeit mit den Betrieben der Region werden auch „maßge-
schneiderte“ Trainings- und Ausbildungseinheiten angeboten.
Im Jahr 2010 machten am Standort Fürstenfeld insgesamt 179 Personen eine Metall- und Elektroausbildung, der
Frauenanteil betrug 22 Prozent. Zwölf Frauen und 18 Männer beendeten 2010 ihre Ausbildung mit einer Lehrab-
schlussprüfung.
Vor dem Einstieg in die Ausbildung bedarf es allerdings zumeist, so Franz Hartinger, Leiter des Schulungszentrums
in Fürstenfeld, einer intensiven organisatorischen Vorbereitung, vor allem was die Mobilität und die Vereinbarkeit
mit familiären Aufgaben betrifft, denn die Ausbildung findet täglich zwischen 6 Uhr früh und 14 Uhr am Nachmittag
statt. Ist die Entscheidung zur Teilnahme an der Ausbildung aber gefallen, steigt kaum eine Frau vorzeitig aus.
Wesentliche Motive für die Ausbildung sind technisches Interesse, geregelte Arbeitszeiten in der Industrie und gute
Verdienstmöglichkeiten. Hinsichtlich Vermittelbarkeit gibt es laut Franz Hartinger keine oder kaum Unterschiede
zwischen Frauen und Männern, vorausgesetzt die Frauen sind ebenso flexibel. Die Beschäftigung erfolgt zumeist
ausbildungsadäquat im Industriebereich, zu Beginn allerdings häufig über Leiharbeitsfirmen.
Georgina Bezuh war, so Franz Hartinger, geradezu eine „Paradeteilnehmerin“. Beeindruckt hat sie sowohl in fach-
licher als auch in menschlicher Hinsicht. Ihr Interesse, ihre Fähigkeiten, ihre Einsatzfreude und ihre kommunikative
Art sind der Grund, dass sie inzwischen fallweise als Trainerin im Schulungszentrum herangezogen wird.
18
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Tanja Scheil wuchs in Obertrum nördlich der Stadt
Salzburg auf. Nach der Pflichtschule besuchte sie
zwei Jahre lang eine Höhere Lehranstalt für wirtschaft-
liche Berufe, hörte dann mit dem Schulbesuch auf
und absolvierte eine dreijährige Lehre zur Hotel- und
Gastgewerbeassistentin im Hotel Schloss Fuschl.
1993 legte sie die Lehrabschlussprüfung ab. Sie
hätte zwar ursprünglich gern einen technischen
Beruf erlernt, hatte als Mädchen damals aber keine
Chance, eine Lehrstelle zu finden. Einem beruflichen
Eignungstest zufolge galt sie als geeignet für den
Beruf der technischen Zeichnerin und für den Dienst-
leistungsbereich.
Nach etlichen Jahren im Gastgewerbe wechselte sie
1996 in den Großhandel, zur Firma Metro in Salzburg.
„Ich brauche immer wieder neue Herausforderungen.“
2003 übersiedelte sie mit ihrem späteren Ehemann,
Tanja Scheil (Jahrgang 1974) Bautechnische Zeichnerin
einem Wiener, den sie in Salzburg kennengelernt
hatte, in den Osten Österreichs. Die beiden ließen
sich erst im Süden von Wien nieder und zogen später
nach Bad Pirawarth ins Weinviertel. Tanja Scheil
arbeitete in Wien vier weitere Jahre bei Metro in ver-
schiedenen Abteilungen. Ihre nächste Arbeitsstelle
war ein österreichisches Großhandelsunternehmen
in Wien, das gerade im Aufbau war. „Ich habe mich
dort sehr wohl gefühlt, die Kollegen waren total nett,
aber nach einiger Zeit hat einer angefangen mich
zu mobben. Das ging so weit, dass ich einen nervli-
chen Zusammenbruch hatte. Ich konnte mit keinem
Kunden mehr reden, ohne dass mir die Tränen
gekommen sind.“ Sie ersuchte ihren Chef um eine
einvernehmliche Auflösung ihres Dienstvertrages.
„Ich wusste, ich muss raus aus dem Job und einmal
abschalten.“
Durch eine Bekannte erfuhr sie, dass das AMS die
Ausbildung in technischen Berufen fördert. Nähere
Informationen über das Programm „Frauen in Hand-
werk und Technik“ holte sie sich aus dem Internet.
Mit diesem Wissen ging sie zum AMS Gänserndorf
und fragte, ob es möglich sei, an dem FiT-Programm
teilzunehmen. „Schließlich habe ich seit meinem
sechzehnten Lebensjahr gearbeitet und noch nie
eine Schulung, Aus- oder Weiterbildung finanziert
bekommen.“ Im FiT-Zentrum in der Brünner Straße in
Wien konnte sie im September 2009 an einem Berufs-
orientierungskurs teilnehmen. Allerdings wusste sie
zu dem Zeitpunkt bereits bzw. meinte
zu wissen, dass sie einen Metall-
beruf ergreifen wollte. Anschließend
besuchte sie die im FiT-Programm
Tanja Scheil absolvierte eine FacharbeiterInnen-Intensivausbildung.
„Mein Leben hat sich von Grund auf geändert“
FiT-Programm
„Schnuppertage sind ganz wichtig“
19
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
vorgesehene Basisqualifikation, in deren Rahmen
Englisch-, Mathematik- und EDV-Kenntnisse vermittelt
bzw. aufgefrischt werden und die Teilnehmerinnen
auch sozialpädagogische Unterstützung erhalten.
Letzteres wusste Tanja Scheil sehr zu schätzen. „Für
mich war das nach meiner Mobbingerfahrung wie
eine psychologische Betreuung. Von da an ging es
bergauf. Ich fühlte mich psychisch gestärkt.“
Da sie in der Metallbranche arbeiten wollte, konnte
Tanja Scheil während der Basisqualifikation einen
Schnuppertag in der Firma Philips machen. „Das war
entscheidend. Ich hab einen Tag dort verbracht und
wusste: Nein, das will ich nicht.“ Schnuppertage hält
Tanja Scheil aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung für
ganz, ganz wichtig.
Im ersten Moment war der Schnuppertag für Tanja
Scheil allerdings eine ziemliche Frustration. Sie
wusste plötzlich nicht mehr, was sie beruflich machen
sollte. In dieser Situation war die sozialpädagogische
Unterstützung für sie sehr hilfreich. Im Laufe der
Gespräche mit der Sozialpädagogin erinnerte sich
Tanja Scheil daran, dass es einer ihrer frühen Berufs-
wünsche gewesen war, Bautechnische Zeichnerin zu
werden. Das hatte sie völlig vergessen. Statt dessen
war sie fixiert gewesen auf die Metallbranche, in der
ihr Vater, zu dem sie eine eher ambivalente Beziehung
hatte, tätig gewesen war.
„Als mir das bewusst wurde, war es, als hätte ich
einen neuen Anfang gemacht, einen Schritt in ein
neues Leben. Ich bin dann zu einem Info-Tag in das
Ausbildungszentrum Bauakademie Wien Lehrbauhof
Ost in Guntramsdorf gefahren und war in meinem
Element. Ich habe mir gesagt: Genau das ist es!
Das will ich machen. Zurück im FiT-Zentrum habe
ich meine Bewerbung neu geschrieben. Es gab 25
Bewerbungen für die Ausbildung und nur 12 Frauen
wurden aufgenommen. Eine Woche später wusste
ich, dass ich mit der Ausbildung beginnen kann.
Gleichzeitig habe ich auch panische Angst gehabt.
Als Bautechnische Zeichnerin braucht man viel
Mathematik. Und ich war in Mathematik nie beson-
ders gut. Aber die Sozialpädagogin sagte mir: Du
schaffst das.“
An und für sich dauert die Lehre in dem Beruf drei
Jahre. „Was ich gemacht habe, ist eine Facharbeite-
rInnen-Intensivausbildung. Man lernt in einem Jahr,
was andere in drei Jahren lernen. Aber es ist sehr viel
Stoff. Man muss wirklich vom ersten Tag an mitlernen
und man muss sich auch viel selbst erarbeiten. Unter-
richt war jeden Tag von 8.30 Uhr bis 14 Uhr, an einem
Tag bis 17 Uhr. Ich bin jeden Tag von Guntramsdorf
nach Hause gefahren, nach Bad Pirawarth, bin eine
Runde mit meinem Hund gegangen und habe danach
bis 21 Uhr gelernt. Und ich habe mir auch viele Infor-
mationen aus dem Internet geholt.“ Für Tanja Scheil
ist es, wie sie sagt, wichtig, Dinge anschauen und
angreifen zu können, um sie zu begreifen.
Bereits zu Anfang der Ausbildung wurden die Teil-
nehmerinnen dazu ermuntert, in die Werkstätten des
Bauhofs zu gehen und sich ein Bild von dem zu
machen, was sie im Unterricht hören. „Ich bin mindes-
tens zweimal pro Woche in den Werkstätten gewesen
und habe mir angeschaut, wie man Beton mischt oder
wie man Künetten gräbt und Rohre verlegt.
Ich habe dann auch einen Gipskurs gemacht. Und
alles, wo ich mir nicht sicher war, ob ich es richtig
verstanden habe, habe ich mir in den Werkstätten
nochmals erklären lassen oder angeschaut. Ich bin ja
als total Branchenfremde dahin gekommen.“
„Ich habe mich im FiT-Programm gut
aufgehoben gefühlt“
20
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
eine Stunde hingesetzt und es mir erklärt. Und wenn
ich es noch immer nicht verstanden habe, haben sie
es mir anders zu erklären versucht, und eine Variante
habe ich immer verstanden. Sie haben sich die Zeit
dafür genommen. Aber man musste selber sagen:
Helft mir.“
Nachdem Tanja Scheil im November 2010 die Lehr-
abschlussprüfung abgelegt hatte, begann sie Bewer-
bungsschreiben zu verschicken. Seit Februar 2011
arbeitet sie in der Abteilung „Bauplanung und Bau-
technik“ im Raiffeisen- Lagerhaus Weinviertel Nordost
in Poysdorf.
Sie ist begeistert vom Arbeitsklima. „Ich habe mich
hier vom ersten Moment an wohlgefühlt, habe Zeit,
mich einzuarbeiten und kriege viel Unterstützung.“
Tanja Scheils unmittelbarer Chef im Lagerhaus ist
Baumeister. Ihre konkrete Tätigkeit besteht vor allem
darin, nach den Handskizzen beispielsweise für einen
Zubau zu einem Einfamilienhaus, die der Baumeister
vor Ort anfertigt und mit Maßen versieht, mit Hilfe
eines Computerprogramms einen Entwurf zu machen,
mit Grundriss und Aufriss, sodass sich der Kunde
oder die Kundin darunter was vorstellen kann.
Der Entwurf wird nochmals kontrolliert, allenfalls
abgeändert und umgezeichnet.
Bautechnische ZeichnerInnen entwerfen, zeichnen und
ändern Baupläne und übernehmen unter Umständen auch
organisatorische und kaufmännische Aufgaben bei der
Bauausführung. Sie erstellen Reinzeichnungen wie Lage-
pläne von Gebäuden und Grundstücken, Entwurfszeich-
nungen, Einreichpläne zur Vorlage bei Bauämtern. Die
Pläne fertigen sie meist aufgrund genauer Anweisungen
der ProjektleiterInnen über Funktion, Form, Lage und Größe
eines Bauobjektes an. Baupläne werden sowohl im Grund-
riss wie im Aufriss gezeichnet und sind mit Maßangaben
versehen. Das händische Zeichnen von Bauplänen wurde
inzwischen weitgehend durch das CAD-System1 abgelöst.
Baupläne werden heute mit Hilfe von Computerprogrammen gezeichnet.
Mit den Ängsten bezüglich Mathematik hat Tanja
Scheil umgehen gelernt. „Seit ich in das FiT-Programm
gekommen bin, hat sich mein Leben von Grund auf
verändert. Mir kann man seither nicht so leicht was
anhaben. Ich hatte zwar immer ein sicheres Auftreten,
war aber in Wirklichkeit sehr schnell zu verunsichern,
und habe mir oft nichts sagen getraut, aus Angst, ich
könnte einen Blödsinn sagen. Unsere Trainer in der
Schule haben von Anfang an gesagt: Wenn Ihr was
nicht versteht, sagt es uns, dann erklären wir es noch
einmal. Ich war die einzige, die sich zu sagen getraut
hat, dass ich was nicht verstehe. Die Trainer haben
sich dann nach dem Unterricht, in ihrer Freizeit, noch
Tanja Scheil (Jahrgang 1974) Bautechnische Zeichnerin
Das Arbeitsgebiet der Bautechnischen ZeichnerInnen
1 CAD ist die Abkürzung von Computer Aided Design, zu deutsch: Computergestütztes Design
21
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Bautechnische ZeichnerInnen entwerfen, zeichnen und
ändern Baupläne und übernehmen unter Umständen auch
organisatorische und kaufmännische Aufgaben bei der
Bauausführung. Sie erstellen Reinzeichnungen wie Lage-
pläne von Gebäuden und Grundstücken, Entwurfszeich-
nungen, Einreichpläne zur Vorlage bei Bauämtern. Die
Pläne fertigen sie meist aufgrund genauer Anweisungen
der ProjektleiterInnen über Funktion, Form, Lage und Größe
eines Bauobjektes an. Baupläne werden sowohl im Grund-
riss wie im Aufriss gezeichnet und sind mit Maßangaben
versehen. Das händische Zeichnen von Bauplänen wurde
inzwischen weitgehend durch das CAD-System1 abgelöst.
Danach erstellt Tanja Scheil den Einreichplan, in vier-
facher Ausführung und gebunden, den reicht der
Kunde bzw. die Kundin bei der Gemeinde ein. Unter
Umständen hat der Baumeister auch die Bauauf-
sicht. Danach ergeht die Fertigstellungsanzeige an
die Gemeinde. Ein solches Gesamtpaket bietet das
Lagerhaus seinen KundInnen jedenfalls an.
Daneben zeichnet Tanja Scheil auch Deckenpläne
und rechnet entsprechend der Spannweite aus,
welche Träger und welches Material verwendet
werden muss. Inzwischen zeichnet sie auch Pläne
für den Neubau von Einfamilienhäusern sowie von
Lagerhallen.
Ob es ihr leid tut, erst auf Umwegen zu ihrem jetzigen
Beruf gekommen zu sein? „Nein. Alles im Leben hat
seinen Sinn, und Erfahrungen bringen einen weiter.
Hätte ich nicht im Gastgewerbe gearbeitet und im
Handel, hätte ich nicht erst in Salzburg und dann in
Wien gearbeitet, hätte ich nicht das Wissen, das ich
jetzt habe.“
Zukunftsperspektiven? „Ursprünglich wollte ich
gleich nach der Ausbildung die Werkmeisterschule
machen, dann hätte ich in der Berufsschule unter-
richten können. Das hätte mich gereizt. Ich habe
während meiner Ausbildung zwei Wochen lang ein
Praktikum als Trainerin gemacht, da habe ich eine
Gruppe unterrichtet. Wissen weiterzugeben, würde
mir gefallen. Aber damals hat es geheißen, das könne
nicht gefördert werden, ich müsse zuerst einmal in
meinem erlernten Beruf arbeiten. Das sehe ich ein.
Ich nütze jetzt einmal die Chance, hier möglichst
viel zu lernen. Und wer weiß, vielleicht mache ich in
einigen Jahren die Werkmeisterprüfung.“
Wiedereinsteigerinnen bevorzugt
„Frauen mit Kindern wissen einen Arbeitsplatz vor der Tür zu schätzen“, so die Erfahrung von Ing. Josef
Thalhammer. Er ist seit 1994 Direktor des Raiffeisen-Lagerhauses Weinviertel Nordost in Poysdorf. Das Lager-
haus mit 22 Einzelstandorten hat rund 200 Beschäftigte. 20 Prozent davon sind Frauen. Frauen finden sich kaum
im Arbeiterbereich, sondern vor allem im Angestelltenbereich des Lagerhauses, und zwar nicht nur in untergeord-
neten Positionen.
Seit vielen Jahren werden der Baumarkt und die Sparte Baustoffe von einer Frau geleitet. Lange Jahre war die
Chefsekretärin auch Betriebsratsobfrau im Lagerhaus. Die momentane Stellvertreterin des Betriebsratsobmanns ist
auch Kammerrätin der Landarbeiterkammer und leitet im Lagerhaus das Kreditmanagement. Inzwischen gibt es
auch eine Frau im Controlling. Tanja Scheil ist die erste bautechnische Zeichnerin im Lagerhaus. „Und sie ist auch
eine, die auf die Baustelle geht.“ Junge Mädchen nach der Schule nimmt Ing. Thalhammer üblicherweise nicht auf.
„Junge Leute können auch pendeln. Für Wiedereinsteigerinnen, für Frauen mit Familie, mit Kindern ist ein Arbeits-
platz in der Nähe hingegen ein Gewinn an Lebensqualität. Und als Genossenschaft haben wir auch eine gewisse
soziale Verantwortung.“
„Wissen weiterzugeben, würde mir
gefallen“
Die Sicht des Direktors
22
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Romana Welser arbeitet im Kompetenzzentrum Holz
in Linz als Chemielabortechnikerin. Sie ist Russin.
Geboren wurde sie im Süden Russlands. Aufge-
wachsen ist sie ganz im Norden. In Murmansk. Dort
ging sie zur Schule und studierte einige Jahre an der
Universität.
2005 machte die Studentin Urlaub in Österreich. Bei
dieser Gelegenheit lernte sie ihren späteren Ehemann
kennen. 2006 kam sie wieder nach Österreich, heira-
tete und blieb hier. Durch die Übersiedlung nach
Österreich hat Romana Welser ihr Studium nicht
abgeschlossen, sondern nur ungefähr bis zur Hälfte
absolviert.
Als Romana Welser nach Österreich kam, sprach sie
kein Deutsch. Sie belegte daher sofort nach ihrer
Heirat einen Deutschkurs am Berufsförderungsinstitut
(bfi). „Nachdem ich den Grundkurs absolviert hatte,
der für ein Visum nötig ist, habe ich weitergemacht,
Romana Welser (Jahrgang 1980) Chemielabortechnikerin
denn je besser man Deutsch kann, desto leichter
tut man sich. Insgesamt habe ich fünf Monate lang
Deutschkurse besucht. Das war ziemlich intensiv.“
Das Spezialvokabular, vor allem technische
Ausdrücke lernte sie später im Zuge ihrer Ausbildung
und ihrer Berufstätigkeit. Abgesehen von einem Hauch
von Akzent ist inzwischen nicht mehr merkbar, dass
Deutsch nicht Romana Welsers Muttersprache ist.
In Murmansk hatte Romana Welser zuerst begonnen,
Technologie zur Verarbeitung von Fischprodukten zu
studieren. „Das hat mir gar nicht gefallen. Die Techno-
logie ist zwar sehr interessant, aber nicht mit Fisch.“
Danach sattelte sie um auf Chemie. „Chemie hat
mich schon in der Schule interessiert.“ In Russland
waren, jedenfalls zu ihrer Schulzeit, so erinnert sich
Romana Welser, technische Unterrichtsgegenstände
in der Schule stark vertreten. „Das heißt, am Ende der
Schulzeit weiß man, was einem liegt. Das erleichtert
die Entscheidung für die Berufs- oder Studienwahl.“
Grundsätzlich arbeiten, so ihr Eindruck, in Russland
mehr Frauen in technischen Bereichen, umgekehrt
gibt es viele Männer, die Sprachen studieren. „Die
Arbeitswelt ist in Russland ziemlich durchmischt.“
Nach Abschluss der Deutschkurse am bfi, wandte
sich Romana Welser erst einmal ans AMS. „Ich habe
ursprünglich schon überlegt, in Österreich weiter-
zustudieren. Aber ich war nicht sicher, ob meine
Sprachkenntnisse dafür ausreichen.“ Da sie Interesse
an einer technischen Ausbildung bzw. einem techni-
schen Beruf hatte, verwies ihre AMS-Beraterin sie an
die FEM Implacement-Stiftung. „Diese Stiftung unter-
stützt Frauen, die eine technische Ausbildung absol-
vieren wollen.“
Romana Welser kam von Murmansk nach Linz.
„Im Moment bin ich sehr zufrieden“
„Chemie hat mich schon in der Schule
interessiert“
Chemielabortechnikerinnen führen chemische, physikalisch-
chemische, biochemische und biotechnologische Untersuch-
ungen und Versuche an verschiedenen Stoffen (Materialien,
Zwischen- und Fertigprodukten, Abfällen) durch. Sie beschäf-
tigen sich mit der Beschaffenheit, der Bildung und Zerlegung
sowie der Verwendbarkeit von Stoffen. Sie arbeiten in Gewerbe-
und Industriebetrieben, in Forschungseinrichtungen oder
öffentlichen Prüfstellen.
23
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Während des Berufsorientierungskurses entschied
sich Romana Welser für die Ausbildung zur Chemiela-
bortechnikerin. Um einen Platz für ein mehrwöchiges
Praktikum in dem angestrebten Beruf mussten sich
die Teilnehmerinnen selbst bewerben. Romana
Welser erhielt einen Praktikumsplatz im Kompetenz-
zentrum Holz. Dort konnte sie, was sie sehr freute, im
Anschluss ans Praktikum auch ihre Lehrausbildung
machen. Und dort ist sie, nachdem sie im Februar
2011 ihre Lehrabschlussprüfung abgelegt hat, nun
als Chemielabortechnikerin angestellt. Sie arbeitet
40 Stunden die Woche und verdient mehr als sie in
einem der typischen Frauenberufe verdienen würde.
„Und das Einkommen wird steigen.“
Die Ausbildung zur Chemielabortechnikerin ist ihr
nicht schwer gefallen. „Was wir in der Berufsschule
im theoretischen Teil gelernt haben – Organische
Chemie und Elementkunde – das habe ich schon in
den letzten beiden Schulklassen in Russland gelernt.
Was den praktischen Teil der Ausbildung betrifft, war
für mich aber alles neu.“
Die Scheu mancher Frauen vor der Technik hält
sie für übertrieben: „In Wirklichkeit sind technische
Ausbildungen nicht so schwierig wie man meint.
Frauen sollten keine Angst haben und es wenigstens
probieren. Aufhören können sie immer noch.“
Romana Welsers Arbeitsgebiet ist die Produktion und
die Prüfung von Prüfkörpern:
„Ich produziere Prüfkörper und prüfe sie auf unter-
schiedliche Art und Weise. Prüfkörper werden aus
Gemischen unterschiedlicher Stoffe in unterschied-
licher Zusammensetzung gebildet. Die Prüfungen
machen sichtbar, wie belastbar die neuen Materialien
sind, welche Eigenschaften sie haben, wie sie sich
beispielsweise bei unterschiedlichen Temperaturen
verhalten. Bei den von mir hergestellten Prüfkörpern
handelt es sich um Holz-Kunststoffverbindungen für
Bauteile.“
Im Beruf ständig mit anderen Leuten zusammen zu
sein und reden zu müssen, wäre nichts für Romana
Welser. „Ich stehe im Labor und mache was mit
meinen Händen. Das passt für mich.“ An ihrer Tätig-
keit gefällt ihr vor allem, dass das Ergebnis ihrer
Arbeit weiterverwendet werden kann bzw. aufgrund
der Ergebnisse neue Materialien mit neuen Eigen-
schaften entwickelt werden.
„In Wirklichkeit sind technische Aus-
bildungen nicht so schwierig wie man
meint“
Chemielabortechnikerinnen führen chemische, physikalisch-
chemische, biochemische und biotechnologische Untersuch-
ungen und Versuche an verschiedenen Stoffen (Materialien,
Zwischen- und Fertigprodukten, Abfällen) durch. Sie beschäf-
tigen sich mit der Beschaffenheit, der Bildung und Zerlegung
sowie der Verwendbarkeit von Stoffen. Sie arbeiten in Gewerbe-
und Industriebetrieben, in Forschungseinrichtungen oder
öffentlichen Prüfstellen.
Das Arbeitsgebiet der Chemielabortechnikerinnen
Das Tragen einer Schutzbrille ist im Labor Pflicht.
24
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Romana Welser (Jahrgang 1980), Chemielabortechnikerin
Die Sicht des Geschäftsführers
2009: Staatspreis für Chancengleichheit
Das Kompetenzzentrum Holz wurde im Jahr 2000 gegründet. Es ist innerhalb Österreichs die größte Forschungs-
einrichtung im Bereich Holz, Holzverbundstoffe und Holzchemie. Das Zentrum hat vier Standorte (Linz, Lenzing,
St. Veit an der Glan und Wien) und ist in Form einer GmbH organisiert, die ausschließlich öffentliche Eigentümer
hat. Der größte ist über seine Tochtergesellschaften das Land Oberösterreich mit 48 Prozent.
Insgesamt sind im Kompetenzzentrum rund 80 Personen beschäftigt. Dazu kommt eine enge Zusammenarbeit mit
einschlägigen Unternehmen und WissenschaftlerInnen aus dem universitären Bereich, speziell mit Professoren der
Johannes Keppler Universität in Linz und der Universität für Bodenkultur in Wien. Unter den im Kompetenzzentrum
beschäftigten Personen beträgt der AkademikerInnenanteil 75 Prozent. 40 Prozent davon sind Frauen.
Ziel des Forschungsprogramms ist es, Wirtschaft und Wissenschaft zusammenzubringen. Ausgehend von den
Bedürfnissen von Unternehmen werden Forschungsziele definiert und längerfristige Projekte entwickelt. Die reichen
von der chemischen Holzzerlegung bis zur Möbelproduktion. Oft werden Projekte auch in Form einer Dissertation
ausgearbeitet, was, wie DI Boris Hultsch, Geschäftsführer des Zentrums, erklärt, Vorteile für alle Beteiligten hat.
„Die Dissertanten sind bei uns angestellt, werden aber von der Universität betreut und arbeiten an einem Thema,
das für ein oder mehrere Unternehmen von Interesse ist. Für die jungen Leute ist das insofern interessant, weil sie
angefangen von den ersten Versuchen im Labor die Projektentwicklung bis hin zur Produktion im Industrieunter-
nehmen mitverfolgen können. So stehen sie mit einem Bein im Wirtschaftsleben und durch die Projektpräsenta-
tionen entstehen enge Kontakte zu den Unternehmen, von denen sie zum Teil später übernommen werden.“ Die
Universitäten wiederum werden auf diese Weise mit den für Unternehmen aktuellen Themen konfrontiert und
bleiben somit technologisch am neuesten Stand.
2009 hat das Kompetenzzentrum den Staatspreis für Chancengleichheit bekommen. „Chancengleichheit ist uns
ein Anliegen“, so Boris Hultsch. „Wir haben gezielt dafür gesorgt, dass der Frauenanteil an den Beschäftigten
hoch ist. Und wir sind äußerst flexibel was Arbeitszeitmodelle betrifft. Wir haben uns gesagt: Wenn wir das nicht
schaffen, wer sonst? Zwar ist bei uns die inhaltliche Arbeit nicht genau planbar. Aber wir sind kein Produktions-
betrieb, wo man Tag für Tag unter Termindruck steht, sondern wir haben langfristige Forschungsprojekte, das heißt
man kann sich die Arbeit zeitlich gut einteilen. Es ist für uns auch kein Problem, wenn jemand halbtags arbeitet. Wir
bemühen uns jedenfalls, Bedingungen herzustellen, dass die Arbeitszeit auch mit den Bedürfnissen von Mitarbei-
terInnen, die Kinder haben, kompatibel ist.“ Gibt es Männer in Karenz? „Das ist in den letzten zwei Jahren in Mode
gekommen, aber sie bleiben meist nicht sehr lang.“
Zukunftsperspektiven? „Ich bin im Moment sehr
zufrieden mit der Situation wie sie ist. Ich habe drei
Jahre Ausbildung hinter mir, ich habe einen Betrieb
gefunden, in dem es angenehm zu arbeiten ist. Mit
netten KollegInnen. Jetzt schalte ich erst einmal
ein bisschen zurück, denn die letzten beiden Jahre
waren sehr anstrengend. Ich habe an beiden Beinen
eine Operation gehabt. Aber längerfristig schließe ich
nicht aus, dass ich noch an die Universität gehe und
Chemie (fertig) studiere.“
25
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Die Sicht des Geschäftsführers
Eveline Prochaska lebt schon seit Jahren in Wien,
kommt ursprünglich aber aus Niederösterreich, aus
dem Pielachtal. Nach der Hauptschule wechselte
sie in die Handelsakademie, brach die Ausbildung
aber ab. „Ich bin das dritte von sechs Kindern. Meine
Eltern haben sich einfach nicht leisten können, dass
wir höhere Schulen besuchen. Bis auf eine meiner
Schwestern hat in unserer Familie niemand die Matura
gemacht.“
Eveline Prochaska erlernte in einer Firma für Haus-
technik in St. Pölten den Beruf der Bürokauffrau,
schloss die Lehre mit der Lehrabschlussprüfung ab,
begann dann aber, weil ihr im Büro langweilig war,
im selben Betrieb im technischen Büro zu arbeiten.
„Ich denke, ich habe was gesucht, wo ich selber
was machen kann, wo ich selber bestimmen kann.
Als Bürokauffrau musste ich ja immer ausführen, was
mir wer anderer anschafft. Als technische Zeichnerin
hingegen konnte ich mir bei einem Projekt selber
überlegen, wie ich es anlege.“ Was ihr damals schon
unangenehm auffiel: „Im Büro mussten wir um Punkt
acht Uhr da sein, die Techniker konnten auch später
kommen, die hatten ja auch außer Haus zu tun,
konnten sich daher manches einteilen. Sie waren ein
bisschen freier und hatten mehr Ansehen. Erstens als
Frau und zweitens im Büro war man auf einer niedri-
geren Stufe der Hierarchie verglichen mit Technikern
oder Installateuren. Das hat mich gestört.“
1996 legte sie ihre zweite Lehrabschlussprüfung ab,
die zur technischen Zeichnerin. Daran, dass sie Frau
war, änderte allerdings auch das technischen Büro
nichts. „Ich habe zwar zumindest gleich viel gear-
beitet wie meine Kollegen, aber weit weniger verdient
und blieb immer die Kleine. Auf Dauer habe ich mich
nicht wohlgefühlt in dieser Situation. Ich musste raus
dem Betrieb.“
Eveline Prochaska suchte sich eine neue Aufgabe
und wurde Lehrlingsausbildnerin in Wien bei Jugend
am Werk. Die Mobile Berufsausbildung war eine
Ausbildungsoffensive, die unter Bundeskanzler
Vranitzky gestartet wurde. Ihr Ziel: Alle Jugendlichen
sollte einen Lehrplatz haben. Eveline Prochaska war
im Rahmen dieses Projektes zuständig für Bürokauf-
leute, technische ZeichnerInnen, Einzelhandel etc.
Bald schon war sie auch in einer leitenden Funk-
tion. „Wir bildeten die Jugendlichen aus und mussten
Lehrbetriebe finden, in denen die Jugendlichen
ein Praktikum machen oder eine Lehre absolvieren
konnten. Wir waren ziemlich erfolgreich und hatten
eine hohe Vermittlungsquote. Es war eine sehr inter-
essante Tätigkeit, eine Herausforderung, denn es war
ja ein völlig neues Projekt, das wir zum Teil erst entwi-
ckeln mussten. Es war aber auch anstrengend. Viele
der Jugendlichen kamen aus schwierigen Familien-
verhältnissen, waren Schulabbrecher, und ich selbst
Der Besuch eines Gymnasiums war Eveline Prochaska nicht möglich.
„Für einen Neustart braucht es sehr viel Eigeninitiative“
Eveline Prochaska (Jahrgang 1975) Studentin der Informationstechnologien und Telekommunikation
26
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
die meisten Kollegen hatten große Probleme, einen
neuen Arbeitsplatz zu finden.“
Ursprünglich hatte ich ja nach einem Jahr wieder
arbeiten gehen wollen, aber letztlich blieb ich fünf
Jahre zu Hause. Das hat einfach gepasst. Meine
größere Tochter ist ein sehr anhängliches Kind, für
sie wäre es problematisch gewesen, von jemandem
Fremden betreut zu werden. 2007 kam meine zweite
Tochter zur Welt. Die Kleinere ist ganz anders, sie
ist lockerer und macht es mir leichter. Ich war gern
bei den Kindern zu Hause. Aber irgendwann war
es genug. Ich wollte unbedingt wieder was anderes
machen.“
Im Herbst 2009 wurde Eveline Prochaska initiativ. „Ich
habe im Internet recherchiert und bin auf den Termin
einer Informationsveranstaltung für Wiedereinsteige-
rinnen des waff1 gestoßen. Ich ging hin. Daneben
fand eine Informationsveranstaltung „Frauen in die
Technik“ statt, die interessierte mich mehr. Ich hab
mich reingesetzt, und als auf einen Workshop an der
Fachhochschule (FH) Campus Wien hingewiesen
wurde, habe ich mich dafür angemeldet und bin
auch hingegangen. Das war ein Elektronik-Workshop.
Zu Beginn des Workshops stellte sich allerdings
heraus, dass ich die erforderlichen Kriterien dafür
nicht erfülle. Ich war beim AMS nicht vorgemerkt und
an der Fachhochschule überdies fehl am Platz, weil
ich keine Matura hatte. Ich war ziemlich verzweifelt
darüber, so schnell an Grenzen zu stoßen. Glück-
licherweise habe ich bei dem Workshop den Studien-
gangsleiter, Professor Walzer, kennengelernt, und der
hat mich dann unterstützt, sodass ich, obwohl ich
nicht ganz ins Schema gepasst habe, mich noch vor
war noch sehr jung, ich war auch sehr engagiert.
Irgendwann war es mir aber zu viel. Trotz Supervision
und Coaching fiel es mir schwer, mich abzugrenzen.“
2001 wechselte Eveline Prochaska in eine Druckerei,
also ins grafische Gewerbe, in den Verkaufsinnen-
dienst. „Ich habe KundInnen beraten bezüglich
Druckaufträgen, das waren Banken, Museen,nKünstler.
Damals habe ich das erste Mal richtig gut verdient.“
Die Druckerei wurde allerdings bald von einer
anderen Druckerei gekauft, in der Eveline Prochaska
anfangs weiterarbeitete. „Dann kam mein erstes
Kind. Offenbar genau im richtigen Moment, denn
bald darauf ging diese Druckerei in Konkurs und
„Ich war gern bei den Kindern zu
Hause, aber irgendwann war es
genug“
Fernziel: Die Verbindung von Informationstechnologie und Medizin.
Eveline Prochaska (Jahrgang 1975) Studentin der Informationstechnologien und Telekommunikation
1 Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds
27
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Studienbeginn auf die Studienberechtigungsprüfung
vorbereiten und diese auch ablegen konnte.
Mehr oder weniger parallel dazu absolvierte Eveline
Prohaska den Vorqualifikationskurs, der jedes
Jahr speziell für die Frauen, die im
Rahmen des FiT-Programms ein Fach-
hochschulstudium aufnehmen wollen,
abgehalten wird. Dieser Kurs dauert
drei Monate und ist eine Art Vorbereitung aufs
Studium, er konfrontiert die Frauen mit inhaltlichen
Bereichen, mit denen sie sich im Studium, vor allem
im ersten Semester auseinandersetzen müssen.
Darauf folgte der – für alle InteressentInnen verbind-
liche – Aufnahmetest sowie ein Aufnahmegespräch.
Weder im Vorqualifikationskurs noch beim Aufnahme-
test stieg im Jahrgang von Eveline Prochaska eine
der der FiT-Frauen aus. Im Verlaufe des ersten
Studienjahres allerdings reduzierte sich ihre Zahl
deutlich. Das mag damit zu tun haben, dass die
TeilnehmerInnen des FiT-Programms älter und dem
Lernen eher entwöhnt sind. Es kann aber auch
daran liegen, dass – wie Eveline Prochaska – meint,
sehr viel Eigeninitiative und enorm viel Disziplin und
Energie erforderlich sind, um durchzuhalten, vor
allem für Frauen mit Kindern. Eveline Prochaska ist
verheiratet, aber ihr Mann ist nur begrenzt familiär
einsetzbar. Er ist selbständig und viel außerhalb von
Wien unterwegs. Sie aber kann eine Babysitterin, eine
Studentin, bezahlen, die bei der Kinderbetreuung
einspringt. „Das ist schon ein großer Vorteil gegen-
über vielen meiner Kolleginnen, die teilweise Allein-
erzieherinnen sind und weniger Arbeitslosengeld
haben.“
Der Organisationsaufwand für eine Frau mit Kindern
ist jedenfalls groß. „Ich darf nicht weiter als vier Tage
voraus denken. Sonst wird es zu stressig. Aber man
wächst mit der Aufgabe. Vor zwei Jahren hätte ich mir
nicht vorstellen können, dass sich das alles zeitlich
ausgehen kann.“ Das Lernen für eine Prüfung kann
sich Eveline Prochaska beispielsweise nicht bis zum
Schluss aufheben. „Denn wenn ein Kind drei Tage
vorher krank wird, komme ich nicht mehr dazu. Ich
muss wesentlich früher anfangen zu lernen.“
Ihre kleinere Tochter geht heuer in einen Kinder-
garten, der schon um sieben Uhr aufmacht und bis
17 Uhr offen hat. „Im Vorjahr war sie in einem Kinder-
garten, der nur bis 16 Uhr offen hat. Das war ein
Horror. Das sind so Kleinigkeiten, aber die sind ganz
entscheidend. Wenn die Rahmenbedingungen nicht
stimmen, ist es nicht zu schaffen, drei oder vier Tage
bzw. mindestens 25 Wochenstunden an der Fach-
hochschule zu sein. Wir haben ja Anwesenheits-
pflicht! Wir müssen im ersten Jahr meist um acht Uhr
dort sein, und ich habe fast eine Stunde Fahrzeit zum
Campus.“
Die Anwesenheitspflicht gilt nur für Frauen, die im
Rahmen des FiT-Programms studieren. „Man kann
sich ja fragen, warum ich mir drei Jahre lang diktieren
lasse, wann ich wo zu sein habe. Andererseits: Ich
könnte mir das Studium nicht leisten, wenn das AMS
mich nicht unterstützt.“
Obwohl Eveline Prochaska quer durch Wien fahren
muss und daher viel Zeit verfährt, ist sie froh, sich für
ein Studium an der Fachhochschule Campus Wien im
10. Bezirk entschieden zu haben. „Es gibt dort eine
eigene Abteilung Gender & Diversity Management,
und wir erhalten sehr viel Unterstützung. In meinem
Jahrgang sind wir immerhin noch eine Gruppe von 12
Frauen, die im Rahmen des FiT-Programms studieren.
„Vor zwei Jahren hätte ich mir nicht
vorstellen können, dass sich das zeit-
lich ausgehen kann“
FiT-Programm
28
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Aufgrund ihrer eigenen Biographie weiß Eveline
Prochaska, wie wichtig es ist, bereits Kindern und vor
allem Mädchen zu zeigen, was es alles an Möglich-
keiten gibt. „Ich versuche, meinen Kindern beispiels-
weise auch zu vermitteln, dass es selbstverständlich
ist, an die Pflichtschule eine weitere Ausbildung anzu-
schließen. Für mich war das nicht selbstverständlich.
Ich möchte, dass das in ihrem Denken verankert ist.
Und das ist es auch. Die Ältere weiß schon heute,
was eine Universität ist und was man dort macht.
Mir war das fremd. Und genauso möchte ich auch,
dass Mädchen wissen, wie ein Schalter funktioniert
und dass sie sich später dran erinnern, so was schon
einmal ausprobiert zu haben.“ Ihre ältere Tochter ist
von den technischen Fähigkeiten ihrer Mutter jeden-
falls angetan. „Sie gibt immer damit an, dass ihre
Mama die Autobatterie selber gewechselt hat.“
Zukunftsperspektiven? Eveline Prochaska kann
sich nach Ende des ersten Studienjahres durchaus
vorstellen, an das Bachelor-Studium (Dauer: 6
Semester), das sie im Rahmen des FiT-Programms
absolviert, noch ein Master-Studium anzuschließen.
Inhaltlich tendiert sie zu einer Verbindung von Infor-
mationstechnologie und Medizin. Bereiche, die sie
interessieren, sind:
- Telemedizin, mit deren Hilfe beispielsweise
ältere Leute länger zu Hause bleiben oder
seltener zur Kontrolle ins Spital transportiert
werden müssen, weil MedzinerIn und PatientIn
mittels Computer in Verbindung sind und
relevante Informationen übertragen können
- Security, sprich: die Netzsicherheit in Bezug
auf Patientendaten (E-Cards und elektronische
Gesundheitsakte)
- Mikroelektronik zur Steuerung von Prothesen
Darüber hinaus wäre es ihr wichtig, nach dem Studi-
um projektbezogen arbeiten zu können, was im
Bereich der Informationstechnologie üblich ist.
Das heißt, wenn es Probleme gibt, werden wir auch
gehört. Außerdem ist die Fachhochschule neu und
wunderbar ausgestattet. Wir arbeiten an lauter neuen
Geräten.“
Ob es ihr leid tut, dass sie erst auf Umwegen zu ihrem
Studium gekommen ist? „Nein. Ich war zwar traurig,
dass ich kein Gymnasium besuchen konnte. Aber
ohne den Weg, den ich zurückgelegt habe, wäre ich
jetzt nicht da, wo ich bin.“ In ihrem ersten Studien-
jahr hat Eveline Prochaska mitgekriegt, dass viele
ihrer Studienkolleginnen Mathematik für ihr Haupt-
problem halten. Offenbar wird vielen Frauen von klein
auf die Botschaft vermittelt, dass das Scheitern an
der Mathematik weiblich sei. Die Frauen setzen sich
selber dadurch so sehr unter Druck und konzent-
rieren sich oft nur noch auf Mathematik, was dazu
führen kann, dass sie nicht in Mathematik, sondern
in einem anderen Fach scheitern. Manche Frauen
haben, so die Beobachtung von Eveline Prochaska,
auch Schwierigkeiten aufgrund mangelnder Englisch-
kenntnisse. „Es gibt ZuwandererInnen, die in der
Schule kaum Englisch gelernt haben. Das Englisch,
das in diesem Studiengang vorausgesetzt wird, ist
aber nicht in ein, zwei Semestern zu erlernen. Der
Großteil der Fachliteratur ist in Englisch.“
Um auch Mädchen von klein auf spielerisch mit
Technik vertraut zu machen, geht Eveline Prochaska
am EMU-Tag2 in die Volksschule ihrer Tochter und
zeigt den Kindern beispielsweise, wie man Lichter
zum Leuchten bringt, wie der elektrischer Strom funk-
tioniert, in welche Richtung er fließt, wofür man Wider-
stände braucht. Ich bringe ihnen ein Schaltbrett mit
und versuche, ihnen Elektronik nahezubringen. „Ich
möchte, dass Mädchen sehen, dass es ihnen im
Bereich Technik nicht anders geht als Buben.“
„Den Kindern zeigen, wie man Lichter
zum Leuchten bringt!“
Eveline Prochaska (Jahrgang 1975) Studentin der Informationstechnologien und Telekommunikation
2 EMU = Eltern machen Unterricht
29
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Die Sicht des Studiengangsleiters
„Tüchtig, engagiert und gut organisiert“
FH-Professor DI Johann Walzer leitet seit 2003 den Studiengang Informationstechnologien und Telekommunikation
(ITTK) an der Fachhochschule Campus Wien: „Der Frauenanteil an den Studierenden war in dieser Studienrichtung
trotz aller Kampagnen ‚Mehr Frauen in die Technik’ in der Vergangenheit sehr gering. Es gab Jahrgänge ganz ohne
Frauen oder nur mit ein oder zwei Frauen.“ Seit im Rahmen des FiT-Programms auch das Studium der Informations-
technologien und Telekommunikation vom AMS gefördert wird, hat sich die Situation deutlich verändert. Der Frauen-
anteil an den Studierenden stieg auf 30 Prozent. „Verändert hat sich dadurch die Altersstruktur, die Gruppe der
Studierenden ist vielfältiger geworden und bringt unterschiedliche Perspektiven ein.“
Zumindestens einige der im Folgenden genannten Voraussetzungen für ein ITTK-Studium sollten laut Professor
Walter vorhanden sein:
- Freude an der Beschäftigung mit Computern oder anderen technischen Geräten
- Interesse an technischen Zusammenhängen
- Grundverständnis für Mathematik
- Neugierig sein und ergründen wollen, wie etwas funktioniert
- Aufgeschlossenheit gegenüber technischen Neuerungen
- Eventuell auch praktische Erfahrungen im Programmieren, Basteln, Reparieren, Einrichten von
Netzwerken....
Die Frauen, die im Rahmen des FiT-Programms ein ITTK-Studium beginnen, erhalten im Frühjahr vor Studien-
beginn eine drei Monate dauernde Vorqualifizierung im Ausmaß von 630 Stunden, in der sie auf den Aufnahme-
test und das Studium vorbereitet werden. „Grundsätzlich sollten alle, die zum Vorqualifizierungskurs kommen, eine
Matura oder Studienberechtigungsprüfung haben. In der Realität ist dies, wie sich gezeigt hat, nicht immer der
Fall. „Eveline Prochaska hatte keine Matura, sie hat am Vorqualifizierungskurs teilgenommen und an der Fachhoch-
schule im September vor Studienbeginn die Studienberechtigungsprüfung abgelegt. Und es schaut nicht so aus,
als ob dies zu einem Problem führen würde. Eveline Prochaska weiß, was sie will, sie ist sehr tüchtig, sehr enga-
giert und sehr gut organisiert. Immerhin schafft sie das mit zwei kleinen Kindern.“
Die gesamte Ausbildung (drei Monate Vorqualifizierung und drei Jahre Bachelor-Studium) der Frauen, die im
Rahmen des FiT-Programms ein technisches Fachhochschul-Studium (Frauenanteil unter 40%) absolvieren, wird
vom AMS gefördert.
Projektbezogene Arbeit heißt, Zielvorgaben zu haben,
die in einem gewissen Zeitraum erreicht werden
müssen, sich aber selber einteilen können, wann an
dem Projekt gearbeitet wird. „Ich möchte schon auch
Zeit haben für meine Kinder. Sonst sind die, noch ehe
ich mich beruflich verwirklicht habe, aus dem Haus.“
30
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
2003 kam Sandra Schmid aus Deutschland nach
Österreich. Davor hatte sie eine vierjährige Fach-
schule für Formenentwurf und Formenbau abge-
schlossen. „Das war eine künstlerische und zugleich
handwerkliche Ausbildung. Wir haben von der Pieke
auf gelernt, wie man Porzellansachen macht, wie man
Rohlinge herstellt. Wir haben auch mit dem Werkstoff
Clay gearbeitet, einem Aluminiumsilikat, das auch in
der Autoindustrie verwendet wird. 1:1-Modelle von
Autos werden erst einmal in Clay erstellt.“ Danach
begann sie in einem Designunternehmen im Bundes-
land Salzburg zu arbeiten. Letztlich aber stieß sie
in dem Betrieb an Grenzen. Sie wollte einen CNC-
Kurs1 machen und lernen, mit computergesteuerten
Maschinen Formen zu erstellen. Der Kursbesuch
wurde von der Firma jedoch nicht bewilligt. „Das
hat mich schon geärgert, und es war auch diskrimi-
nierend, dass sie mich als Frau da nicht ranlassen,
Sandra Schmid (Jahrgang 1978) Mechatronikerin
männliche Kollegen aber schon. Als ein junger
Mann, der zwei Jahre später dieselbe Schule abge-
schlossen hatte wie Sandra Schmid, in dem Unter-
nehmen, in dem sie arbeitete, sogleich Modellbau-
chef wurde, reichte es ihr. „Ich habe da keine Zukunft
für mich gesehen.“ Sie wollte Kenntnisse in Mecha-
tronik erwerben. Mechatronik ist eine Kombination
der ehemals getrennten Berufsbereiche Mechanik
und Elektronik, ergänzt durch Steuerungstechnik und
Informationstechnik. Zuerst versuchte sie auf eigene
Faust eine Lehrstelle zu finden. „Das war aber in
meinem Alter, wie sich zeigte, recht schwierig.“ Ihre
AMS-Beraterin machte sie auf die Implacement-Stif-
tung aufmerksam, deren Ziel nicht nur die Integration
arbeitsloser ArbeitnehmerInnen ist, sondern zugleich
„die Schaffung eines Fachkräftepotentials durch eine
nachfrageorientierte und arbeitsplatzgenaue Ausbil-
dung“. Sandra Schmid meldete sich bei der Implace-
ment-Stiftung an und besuchte dann
einen Kurs des AMS-Programms
„Frauen in Handwerk und Technik“.
Vierzehn Tage danach teilte ihr die
Stiftung mit, die Firma EMCO-TEST in Kuchl – sie stellt
Härteprüfmaschinen her – würde sich für sie interes-
sieren, sie solle sich mit dem Leiter der Fertigung in
Verbindung setzen.
Das Motiv für die Lehrausbildung in Mechatronik
war Sandra Schmids Wunsch, die CNC-Technologie
kennenzulernen. „Mir gefällt das einfach. Ich habe
schon als Kind mit Lego Technic-Produkten gespielt.
Und ich habe immer schon gern gebastelt. Der
Meister hört das zwar nicht gern, wenn ich von
Basteln rede, im Endeffekt aber ist die Arbeit für
Schon als Kind war Sandra Schmid technisch interessiert.
„Mir gefällt es, wenn ich körperlich arbeiten kann.
Ich mag das“
„Das Genialste war der Kabelmüll“
1 CNC ist die Abkürzung von Computerized Numerical Control, zu deutsch: computerisierte numerische Steuerung.
Siehe auch Anmerkung 1 auf Seite 15.
FiT-Programm
31
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
mich nichts anderes als ein – wenn auch genaueres
– Basteln. Ich habe zwar als Kind auch eine Barbie-
Puppe gehabt und mit den Freundinnen Puppen
gespielt. Aber genauso gern mit meinem Vater mit
Autos. Und dann ist das Pneumatik-Spielzeug raus-
gekommen. Ein Wahnsinn!“ Auch ihr Vater, so erin-
nert sie sich, sei extrem vielseitig gewesen. „Er hat
geschnitzt und gemalt und war handwerklich und
elektronisch sehr versiert.“
Beruflich war ihr Vater bei der Post. „Auf dem
Betriebsgelände gab es jedes Jahr ein Firmenfest.
Da haben wir Kinder immer mit den Kabeltrommeln
gespielt. Da gab es Kabeln mit ganz dünnen Quer-
schnitten und dann wieder Rollen mit dicken Kabeln
drauf. Und das Genialste war der Kabelmüll. Das hört
sich blöd an, aber es war uns das Liebste, aus den
bunten Kabeln was Tolles zu basteln.“
2007 begann Sandra Schmid ihre Lehrausbildung zur
Mechatronikerin bei EMCO-TEST. Sie war und ist nicht
nur die einzige Frau in der Werkstatt, sondern auch
die erste Frau. Sandra Schmid stört dies nicht. Im
Gegenteil. Sie hat jetzt sogar einen eigenen Umklei-
deraum. „In der Werkstatt wurde ich gleich einem
ganz lieben Kollegen zur Seite gestellt, der mir viel
beigebracht hat. Das war einsame Spitze.“
Aber auch die anderen waren nett. „Sicher braucht
man Selbstvertrauen unter lauter Männern. Und
Durchsetzungsvermögen. Denn am Anfang testen
die Kollegen erst einmal aus, wie man reagiert. Aber
es ist sicher ein Vorteil des höheren Alters, dass man
ernsthafter an alles herangeht.“
Der Nachteil: In der Berufsschule fühlte sie sich
manchmal wie im Kindergarten.
Für Mechatronik hatte sich Sandra Schmid schon in
Deutschland interessiert, zu jener Zeit, als der Beruf
gerade aufkam, das war Ende der 1990-er Jahre.
„Aber damals war es geradezu suspekt, wenn eine
Frau für einen sogenannten Männerberuf Interesse
zeigte. Bei einem Bewerbungsgespräch wurde mir
dann auch klipp und klar gesagt, sie wollen keine
Frau als Lehrling, denn die wird dann schwanger und
bleibt drei Jahre zu Hause...“
Derzeit sind österreichweit 8,2 Prozent der
Mechatronik-Lehrlinge Frauen.
Die Arbeit macht Sandra Schmid Freude. „Mir gefällt
es, wenn ich körperlich arbeiten kann. Ich mag das,
wenn ich einmal im Sitzen arbeite, dann wieder stehe
oder rumlaufe. Ich könnte nicht die ganze Zeit nur
vorm Computer sitzen. Nur stehen wäre auch nichts.
Mir ist die Abwechslung wichtig. Auch dass manch-
mal feinere Arbeiten zu erledigen sind, dann wieder
handfestere, grobe. Und ganz wichtig ist auch, dass
die Arbeit ein Ergebnis hat – ein funktionierendes
Gerät!“
Sandra Schmid arbeitet Vollzeit. Im Betrieb gibt es
eine Gleitzeitregelung mit einer Kernarbeitszeit von
9 bis 15 Uhr. Freitag ist um 12.30 Uhr Arbeitsschluss.
„Abwechslung ist mir wichtig“
Das Arbeitsgebiet der MechatronikerInnenMechatronikerInnen sind für die Herstellung, Montage, Über-
prüfung und Instandhaltung mechatronischer Systeme zustän-
dig. Mechatronische Systeme spielen im Maschinen-, Anlagen-
und Gerätebau eine große Rolle. MechatronikerInnen stellen
mechatronische Teile her, bearbeiten sie, bauen mechatroni-
sche Baugruppen zusammen und gleichen sie ab. Mechatro-
nikerInnen bauen elektrische, pneumatische und hydraulische
Steuerungen nach Schaltplänen auf. Ihre Tätigkeiten reichen
weit in den EDV-Bereich hinein. Sie stellen beispielsweise
System-Komponenten zusammen, passen Software an und
installieren sie. Sie programmieren mechatronische Systeme.
32
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
wieder! Was sich die Kassiererinnen alles anhören
müssen! Und Friseuse? Wenn ich denke, wie
ungern ich zum Friseur gehe. Diese zwanghaften
Gespräche...“
Im April 2010 legte Sandra Schmid die Lehrab-
schlussprüfung ab und blieb in der Ausbildungs-
firma. Sie ist in der Entwicklung, vor allem aber
im Zusammenbau von Härteprüfmaschinen tätig.
Dazu gehört die Vormontage von Baugruppen, der
Aufbau der kompletten Maschine, das Installieren
von Softwarekomponenten und die Inbetriebnahme
einschließlich der Funktionsprüfung.
Genaugenommen hätte Sandra Schmid parallel zur
Lehre gern auch die Berufsreifeprüfung gemacht.
Diese Möglichkeit wird vom Bund gefördert und ist
daher für Lehrlinge kostenfrei.
Da jedoch bereits ihre Lehrausbildung im Rahmen
des FiT-Programms gefördert wurde, war dies nicht
möglich. „Doppelförderungen sind nicht vorgesehen.“
Früher hatte es Sandra Schmid für sinnlos gehalten,
die Matura zu machen. „Ich wollte ja nicht studieren.“
Inzwischen interessiert sie sich allerdings dafür, da
sie gemerkt hat, dass viele Firmen Wert auf eine
Matura legen. Auch in Hinblick auf ein Lehramt wäre
eine Reifeprüfung erforderlich. „Jetzt habe ich mich
einmal schlau gemacht, was das kostet.“ Die Kosten
sind nicht gering. Das gilt auch für die Meisterprü-
fung. „Die würde das Einkommen erhöhen.“ Fest
steht, Sandra Schmid würde ihr Wissen längerfristig
noch gern erweitern. „Ich bin nicht so, dass ich etwas
lerne und mich dann auf ewig damit zufrieden gebe.
Dafür bin ich viel zu neugierig.“
„Früher habe ich die Matura für sinnlos
gehalten...“
Wichtig ist, dass die Arbeit ein Ergebnis hat – ein funktionierendes Gerät!
Die Bezahlung ist deutlich besser als in typischen
Frauenberufen. Das Geld allein wäre für Sandra
Schmid aber nicht ausschlaggebend. Entscheidend
ist auch die Art der Arbeit. Und da wären die traditi-
onellen Frauenberufe für sie nie in Frage gekommen.
„Den ganzen Tag lächeln müssen? Nein, das möchte
ich nicht. Ich habe einmal in einem Kaufhaus an der
Kasse gearbeitet, das war für mich ein Trauma. Nie
Sandra Schmid (Jahrgang 1978) Mechatronikerin
33
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Die Sicht des Fertigungsleiters
„Sie macht ihre Sache sehr gut“
Standort der Firma EMCO-TEST Prüfmaschinen GmbH ist seit 2001 Kuchl im Bundesland Salzburg. Das Unter-
nehmen stellt Härteprüfmaschinen her, welche die Härte von metallischen Werkstoffen überprüfen. Verwendung
finden die Prüfmaschinen vor allem in der Automobilindustrie und in der Stahlerzeugung. 95 Prozent der Produkte
gehen in den Export, ein großer Teil nach Deutschland. EMCO-TEST entwickelt und fertigt die Prüfmaschinen, das
heißt, die Maschinen werden in Kuchl zusammengebaut, die Herstellung der einzelnen Bauteile erfolgt im Wesent-
lichen in österreichischen Partnerfirmen. Derzeit hat EMCO-TEST 38 MitarbeiterInnen. In der Fertigung ist Sandra
Schmid die einzige Frau. Im Angestelltenbereich (Assistenz der Geschäftsführung, Einkauf, Angebotswesen etc.)
gibt es acht Frauen.
Als sich Ing. Bernd Schrattenecker, Leiter der Fertigung, vor einigen Jahren an die Implacement-Stiftung in Salz-
burg wandte, weil er auf der Suche nach einem Mechatroniker-Lehrling war, wurde ihm Sandra Schmid empfohlen.
Sie kenne sich im Formenbau aus, hieß es. Nach Rücksprache mit der Geschäftsführung entschlossen sie sich,
es erstmals mit einer Frau zu versuchen. Der Versuch ist gelungen. Ing. Schrattenecker ist voll der Anerkennung.
„Sandra Schmid hat die Ausbildung super gemacht. Sie war sehr motiviert, und sie ist auch sehr geschickt und
sehr geduldig. Sie gibt nicht auf, bevor sie es geschafft hat. Sie macht ihre Sache wirklich sehr gut.“
Nach Abschluss der Lehrausbildung, die Sandra Schmid im Rahmen des FiT-Programms absolviert hat, wurde sie
im Unternehmen angestellt. „Sie ist sehr gut integriert. Sie wurde aber auch von den Kollegen gut aufgenommen
und ihre Fähigkeiten werden anerkannt. Auch von der Entwicklungsabteilung wird sie aufgrund ihrer Qualifikation
und Feinmotorik immer wieder herangezogen, beispielsweise wenn es sich um die Herstellung von sehr filigranen
Prototypenbauteilen handelt. Sie weiß, worauf es ankommt.“
Seinerzeit als der Firmensitz gebaut worden war, hatte niemand daran gedacht, in der Fertigung getrennte Toiletten-
anlagen und Umkleidekabinen vorzusehen. „Im Zuge der Büro- und Produktionserweiterung haben wir das nun
berücksichtigt. Und gleich mehrere Spinde in die Garderoben eingebaut. Wir sind offen für mehr Frauen.“
34
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Schon im Alter von 16 Jahren, nach Abschluss der
Polytechnischen Schule, wäre Anita Wechselberger
gern Kraftfahrzeugtechnikerin1 geworden. Doch ihre
Suche nach einer Lehrstelle verlief erfolglos. Von allen
drei Werkstätten im Raum Vöcklabruck, in denen
sie sich vorstellte, erhielt sie Absagen. Statt dessen
machte sie schließlich in einem Hotel in Seewalchen
am Attersee die Lehrausbildung zur Köchin. Das ent-
sprach eher dem Geschmack ihrer Mutter als ihren
eigenen Wünschen. Nebenbei reparierte sie immer
wieder Mopeds, das eigene und die von Freundinnen.
Nach Abschluss der Lehre ging sie mit ihrer Cousine
auf Saison nach Kärnten und Salzburg, später auch
nach Tirol, ins Zillertal, wo sie ihren (inzwischen: Ex-)
Mann kennenlernte, heiratete, zwei Kinder bekam,
eine Tochter und einen Sohn, und wo sie heute noch
lebt.
Anita Wechselberger (Jahrgang 1968) Kraftfahrzeugtechnikerin
Anita Wechselberger unterbrach ihre Berufstätigkeit
bis der Sohn, das jüngere der Kinder, in den Kinder-
garten kam und begann dann zuerst halbtags und
nach der Scheidung ganztags zu jobben – zu putzen,
zu waschen, zu kochen, zu kellnern. „Im Zillertal
sind die Arbeitsmöglichkeiten gering.“ Irgendwann
hatte sie genug vom Gastgewerbe, arbeitete andert-
halb Jahre im Lager einer Apothekerzulieferfirma und
anschließend doch wieder im Gastgewerbe, in einem
Café an einer Tankstelle. Unmittelbar gegenüber gab
es ein Zweiradgeschäft plus Werkstatt, in dem sie
bald schon in ihrer Freizeit ein wenig mitzuarbeiten
bzw. auszuhelfen begann. Ihr Interesse an Kraftfahr-
zeugen hatte sie nicht verloren.
Als sie mit ihrem Motorroller unverschuldet einen
Unfall hatte und sechs Wochen krankgeschrieben
wurde, war dies ihrem Chef offenbar zu viel. Kaum
war sie zurück im Café, erhielt sie die Kündigung.
Anita Wechselberger ging zum AMS. „Das war an
einem Mittwoch. Ich erinnere mich noch gut. Ich habe
die Beraterin gefragt, ob es nicht möglich wäre, was
anderes zu machen, und habe ihr gesagt, dass ich
bereit wäre zu einer Umschulung. Zuerst fragte sie
mich, ob ich an einem Sozialberuf interessiert sei.“
Anita Wechselberger verneinte. „Das ist nichts für
mich.“ Daraufhin wurde sie gefragt, ob sie tech-
nisches Interesse hätte. „Sag ich. Ja, sicher.“ Da
sagte ihr die Beraterin, dass es an diesem Tag einen
Vortrag über „Frauen in Handwerk und Technik“ im
AMS Schwaz gebe. „Ich ging sofort hin. Der Vortrag
hatte schon begonnen. Im Anschluss
fand ein Eignungstest statt, den habe
ich erfolgreich bestanden und damit
war ich in das FiT-Programm aufge-
nommen. An diesem Tag hat sich wirklich eins ins
andere gefügt.“
Nach 25 Jahren ging Anita Wechselbergers Berufswunsch in Erfüllung.
Als erste Frau in der Werkstatt
FiT-Programm
1 Der Lehrberuf hieß damals noch Kraftfahrzeugmechaniker.
35
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Danach besuchte Anita Wechselberger in Wörgl
den Berufsorientierungskurs im Rahmen des FiT-
Programms, den die Bildungseinrichtung ibis acam
im Auftrag des AMS durchführte. Dieser Kurs sollte
Frauen die Möglichkeit geben, draufzukommen,
welche Tätigkeit sie wirklich interessiert, welchen
Beruf sie tatsächlich erlernen wollen. Für diesen
Beruf war auch eine Basisqualifizierung in Form eines
Praktikums vorgesehen. Anita Wechselberger war
eine der wenigen Teilnehmerinnen, der vom ersten
Tag an klar war, was sie will. Sie wollte – wie schon
25 Jahre davor – Kraftfahrzeugtechnikerin werden.
Kraftfahrzeugtechnik ist nach wie vor eine „traditi-
onelle Männerdomäne“. Der Anteil der Frauen an
den Lehrlingen beträgt derzeit österreichweit noch
immer weniger als drei Prozent. Anita Wechselberger
schaffte es auch, eine dreiwöchige Praxisstelle zu
finden, und zwar im Autohaus Schick in Schwaz, einer
Peugeot-Vertretung, wo sie schon zuvor manchmal
Teilstücke für das Zweiradgeschäft im Zillertal besorgt
hatte. „Das war ganz unkompliziert.“
Nach dem Praktikum fragte sie den Chef, ob sie ihre
Lehrausbildung in seinem Betrieb machen könne. Der
Chef, Günther Schick, willigte ein, nachdem er sich
in der ArbeitsmarktförderungsGmbH (AMG) – sie ist
für die Teilnehmerinnen am FiT-Programm während
ihrer Berufsausbildung zuständig – nach den näheren
Konditionen erkundigt hatte. Für den Betrieb war dies
ein absolutes Novum. Nie zuvor hatte in der Werkstatt
des Autohauses eine Frau gearbeitet. Anfang 2009
begann Anita Wechselberger mit der Lehrausbildung;
nahezu zeitgleich nahm ihr Sohn die Ausbildung zum
Tischler auf. Manche Kunden des Autohauses waren
anfangs ein wenig irritiert. So mancher Kunde wollte
ihr – ganz Kavalier alter Schule – erst einmal helfen
beim Öffnen der Motorhaube oder beim Wechseln
der Reifen. Möglicherweise misstraute er aber auch
nur ihren Fähigkeiten. Einer meinte, dass er Frauen
normalerweise nicht mit seinem Auto fahren ließe,
dass dies also ein besonderes Entgegenkommen
sei.... „Beim nächsten Mal aber war’s für ihn schon
selbstverständlich.“ Größtenteils waren die Reakti-
onen der Kunden positiv, zumal wenn ihnen im Büro
gesagt worden war, dass die Mitarbeiterin den Beruf
im zweiten Bildungsweg erlernt. Kundinnen, so die
Erfahrung Anita Wechselbergers, wissen es in jedem
Fall zu schätzen, wenn ihnen jemand in einer auch
für sie verständlichen Sprache erklärt, was warum zu
reparieren ist. In der Werkstätte unter den Kollegen
wurde zwischendurch auch geblödelt, grenzwer-
tige Sprüche gab es, aber eher selten. Anita Wech-
selbergers Kommentar: „Auch im Gastgewerbe
braucht man eine dicke Haut.“ Dass sie nicht mehr
ganz jung ist, sieht sie in diesem Zusammenhang als
Vorteil. „Dann ist es leichter, sich gegenüber männ-
lichen Kollegen zu behaupten.“ Gleichzeitig wusste
sie immer, dass sie mit der Hilfe und Unterstützung
all ihrer Kollegen rechnen konnte. Besonders hilfreich
war der Werkstättenleiter. „Er hatte eine Engelsgeduld
mit mir und immer versucht, mir zu erklären, warum
etwas so ist wie es ist, auch wenn ich dreimal gefragt
habe.“
Eine andere ihrer Erfahrungen: „Grundsätzlich ist man
als Lehrling in der Rangordnung ganz unten. Das
muss einem klar sein. Fürs Aufräumen sind die Lehr-
linge zuständig. Egal wie alt sie sind.“
„Fürs Aufräumen sind die Lehrlinge
zuständig. Egal wie alt sie sind“
Das Arbeitsgebiet der KraftfahrzeugtechnikerInnenKraftfahrzeugtechnikerInnen kontrollieren die Verkehrs- und
Betriebssicherheit von Kraftfahrzeugen (Lkws, Pkws sowie
Motorräder und Mopeds), überprüfen Kraftfahrzeuge in
Hinblick auf allfällige Schäden und führen die Wartung und
Reparatur der Fahrzeuge durch. Die Elektronik hat in diesem
Bereich in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung
gewonnen.
36
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Schon bald wurde Anita Wechselberger angeleitet,
einfache Reparaturen zu machen, Servicearbeiten
durchzuführen, Bremsscheiben und Zündkerzen
auszutauschen, Bremsflüssigkeit, Bremsklötze und
Reifen zu wechseln, kleine Lackschäden auszubes-
sern etc. Auch für die Auslieferung von Neuwagen
wurde sie herangezogen, bei denen mit Hilfe des
Computers noch einmal überprüft wird, ob auch alles
in Ordnung ist.
Die Reaktionen ihrer Umgebung auf ihren Berufs-
wunsch? „Ein Bekannter formulierte es drastisch.
Er sagte mir, wenn ich die Lehrabschlussprüfung
schaffe, frisst er einen Besen.“ Trotzdem verfolgte
er ihre Ausbildung mit Interesse und gratulierte ihr
schließlich herzlich zur bestandenen Lehrabschluss-
prüfung. „Den Besen habe ich ihm dann erlassen.“
Unterstützung erhielt Anita Wechselberger von ihren
Kindern, vor allem von der Tochter, die damals bereits
von zu Hause ausgezogen und berufstätig war. Die
Reaktionen ihrer Freundinnen reichten von Skepsis
bis Bewunderung. Allerdings stellt Anita Wechsel-
berger inzwischen fest, dass die Kontakte mit Frauen
immer geringer werden, seitdem sie mit immer mehr
Männern zusammenarbeitet. „Die wenigsten Frauen
interessieren sich für Autos. Und ich bin am Thema
Heiraten und Kinderkriegen nicht mehr wirklich
interessiert.“
Schwer ist ihr die Ausbildung nicht gefallen. „Der
Stoff war schon sehr umfangreich, aber wenn einen
was interessiert, fällt einem das Lernen auch leichter.
Überdies hatte ich Lehrer, die mich sehr unterstützt
haben. Durchhaltevermögen habe ich während der
Ausbildung nur in finanzieller Hinsicht gebraucht. Das
Arbeitslosengeld war knapp.
„Wenn ich die Lehrabschlussprüfung
schaffe, frisst er einen Besen“
Die Ausbildung von Anita Wechselberger umfasste
noch Nutzfahrzeuge, Personenkraftwägen und Motor-
räder, wobei der Schwerpunkt auf Pkws lag. „Inzwi-
schen hat sich das geändert. Jetzt wird im zweiten
Lehrjahr die Ausbildung gesplittet. Die Lehrlinge
können sich entscheiden zwischen Lkw, Pkw und
Motorrad.“
Anita Wechselberger (Jahrgang 1968) Kraftfahrzeugtechnikerin
Jetzt möchte Sie in ihrem Beruf viel praktische Erfahrung sammeln.
37
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Da war die Ausbildungszeit für mich als Alleinerzie-
herin schon eine Durststrecke. Als außerordentliche
Berufsschülerin durfte ich in Innsbruck auch nicht
im Lehrlingsheim wohnen, sondern musste mir ein
Privatquartier suchen. Die letzten beiden Berufsschul-
termine bin ich dann, um zu sparen, zwischen dem
Zillertal und Innsbruck gependelt.“
Im Jänner 2011 legte Anita Wechselberger die Lehr-
abschlussprüfung ab und blieb anschließend noch
ein halbes Jahr im Autohaus Schick. Inzwischen
wechselte sie in das Zweiradgeschäft, in dem sie
schon früher ausgeholfen hat. Dieser Betrieb liegt
ihrem Wohnort viel näher. Nach Schwaz musste sie
täglich 40 Minuten fahren. „Ich bin jetzt wieder beim
Lernen. Ich mache zwar im Grunde die gleichen
Tätigkeiten wie im Autohaus, Pickerlüberprüfung,
Reifen wechseln etc., aber mit einspurigen Fahr-
zeugen zu arbeiten, ist doch was anderes. Außerdem
ist es ein kleiner Betrieb, wo du alles selber machen
musst, von der Annahme bis zur Besorgung der
Ersatzteile.“
Anita Wechselberger ist sehr froh, die Ausbildung
gemacht zu haben und endlich in dem Beruf arbeiten
zu können, den sie sich immer gewünscht hat. Das
Wichtigste ist ihr im Moment, möglichst viel prakti-
sche Erfahrung zu sammeln. „Ich denke mir schon
oft, was ich heute in meinem Alter an Wissen haben
könnte, was ich an Entwicklungen mitgekriegt hätte,
wenn ich die Ausbildung in meiner Jugend hätte
machen können. Speziell in der Autobranche gibt es
ja ständig Veränderungen. Was im letzten Jahr neu
war, ist heuer schon wieder alt.“
Die Sicht des Firmenchefs
„Sie hätte auch im Betrieb bleiben können“Das Autohaus Schick in Schwaz, eine Peugeot-Vertretung, hat insgesamt – in Büro, Lager, Neuwagen- und
Gebrauchtwagenverkauf sowie Werkstatt – zwölf Beschäftigte. Der Geschäftsleiter, Günther Schick, hat mit Frauen
im Büro gute Erfahrungen. Inzwischen auch mit einer Frau in der Werkstatt, wo Frauen bekanntlich Seltenheitswert
haben.
Seine Erklärung, warum sich für den Beruf der Kraftfahrzeugtechnikerin so wenig Frauen finden: „Ich denke, es
schreckt schon viele Frauen ab, dass es sich um eine Arbeit handelt, bei der man sich auch schmutzig macht. Und
dass es sich zum Teil um körperlich schwere Arbeit handelt. Eher als Städterinnen eignen sich dafür wohl Frauen
aus ländlichen Gegenden, die an körperliche Arbeit gewöhnt sind und denen der Umgang mit Landmaschinen
nicht fremd ist.“
Seine Erfahrungen mit Anita Wechselberger bezeichnet er als sehr positiv. Sie hätte bei ihm auch weiterarbeiten
können. Er schließt nicht aus, wieder eine Frau in der Werkstatt zu beschäftigen, allerdings eher eine Frau, welche
die Ausbildung im Zweiten Bildungsweg macht so wie Anita Wechselberger als eine ganz junge.
38
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Nuray Isik wurde in Schwarzach im Pongau geboren.
Als drittes Kind ihrer Eltern. Diese waren in den
1970-er Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach
Österreich gekommen. Im Alter von fünf Jahren kam
Nuray mit ihrer Schwester und ihrem Bruder zu den
Großeltern in die Türkei, und zwar nach Izmit, eine
Stadt in der Nähe von Istanbul, denn die Betreuung
der Kinder war mit der Berufstätigkeit der Eltern nicht
vereinbar. Drei Jahre lang besuchte Nuray in der
Türkei die Grundschule. Im Alter von acht Jahren kam
sie zurück nach Österreich, die Familie wohnte inzwi-
schen in der Stadt Salzburg, und Nuray stieg – ohne
ein Wort Deutsch zu können – in die zweite Klasse
Volksschule ein. „Diese Zeit war sehr schlimm“,
erinnert sie sich. „Meine einzige Freundin in den
folgenden Jahren war meine Klassenlehrerin. Meine
Mitschüler und Mitschülerinnen sprachen nicht
mit mir, weil ich Ausländerin war.“ Ich habe Haus-
Nuray Isik (Jahrgang 1981) Speditionskauffrau
aufgaben oft nicht machen können, weil ich die
Aufgaben nicht verstanden habe. Ich habe statt-
dessen aber immer andere Übungen gemacht und
habe meiner Lehrerin auch erklärt warum. Sie hat
meine Bemühungen anerkannt und mich unterstützt.“
Nuray Isik kam von der Volksschule ins Gymnasium.
Da allerdings zeigte sich, dass ihre Sprachkenntnisse
nicht ausreichten, um dem Unterricht zu folgen. Nach
der ersten Klasse wechselte sie in die 2. Klasse
Hauptschule. Dort war die Situation zwar anders, aber
ebenso schwierig wie in der Volksschule. Von den
20 Kindern der Klasse hatten 16 eine andere Mutter-
sprache als Deutsch. „Es war die Zeit des Krieges in
Ex-Jugoslawien, als viele Familien nach Österreich
flüchteten.“
„Meine Eltern konnten mit uns Kindern zwar nicht
lernen, aber sie haben uns auf andere Weise zu
unterstützen versucht, denn sie wollten, dass wir eine
gute Ausbildung haben. Drei, vier Jahre lang haben
sie mir und meiner Schwester Nachhilfeunterricht
bezahlt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“
Die Hauptschule schloss Nuray Isik mit gutem Erfolg
ab. Anschließend besuchte sie eine Handelsakade-
mie. Die Sprachschwierigkeiten aber waren nicht
wirklich überwunden. „Ich hatte damals auch kein
Selbstvertrauen, ich war sehr schüchtern oder eher
eingeschüchtert. Ich habe mir immer gesagt: Ich
rede nicht, denn wenn ich rede, mache ich Fehler.
Und dann werde ich ausgelacht. Am schlimmsten
Nuray Isik hatte lange Zeit Probleme mit der deutschen Sprache.
„Ich bin froh, dass mir diese Chance geboten wurde“
„Früher habe ich mir immer gesagt:
Ich rede nicht, denn wenn ich rede,
mache ich Fehler. Und dann werde ich
ausgelacht“
39
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
waren für mich Präsentationen oder Referate. Da
habe ich gezittert, weil ich reden musste. Ich war so
nervös. Sobald ich gemerkt habe, dass irgendwer
lacht, habe ich aufgehört.“ Die dritte Klasse HAK
musste Nuray Isik wiederholen. Und dann wollte bzw.
konnte sie irgendwann nicht mehr. Sie verließ die
Schule, besuchte auf Wunsch der Eltern, die wollten,
dass sie ihre Ausbildung abschließt, noch eine Zeit-
lang die Abendschule, gab dann aber endgültig auf.
„Ich habe mit Deutsch immer wieder Schwierigkeiten
gehabt und immer wieder einen Fünfer auf einen
Aufsatz bekommen. Irgendwann ist mir dann die Lust
am Lernen total vergangen.“
Heute ist Nuray Isik eine eloquente junge Frau, hell-
wach und temperamentvoll. Keine Spur von Sprach-
schwierigkeiten und Schüchternheit.
„Erst seit drei, vier Jahren kann ich gut Deutsch. Jetzt
habe ich auch mehr Kontakt zu ÖsterreicherInnen.
Und während meiner Ausbildung zur Speditionskauf-
frau habe ich auch zum ersten Mal begonnen, Dialekt
zu sprechen. Jetzt sage ich mir: Deutsch ist nicht
meine Muttersprache. Es ist normal, dass ich Fehler
mache. Es gibt auch Menschen, deren Muttersprache
Deutsch ist, und die trotzdem Fehler machen.“
Erwerbstätig war Nuray Isik bereits parallel zu ihrem
Schulbesuch. „Meine Mutter war voll dagegen, dass
ich neben der Schule arbeite, aber ich wollte mein
eigenes Geld verdienen.“ Nuray Isik arbeitete bei
McDonald’s an der Kasse. Zuerst im Rahmen eines
Ferialjobs, dann parallel zur Schule als geringfügig
Beschäftigte und später Teilzeit. Nachdem sie die
Schule verlassen hatte, stieg sie auf Vollzeit um und
wurde bei McDonald’s Assistentin (= Schichtführerin).
„Da habe ich viel gelernt – betreffend Personal,
Sicherheit und Sauberkeit.“ Nach einem Jahr hörte
sie auf und arbeitete in der Folge in verschiedensten
Bereichen, unter anderem als Kellnerin, nebenbei
auch als Reinigungsfrau. „Ich habe mir immer gesagt,
man muss alles mal kennenlernen.“ Letztlich verein-
barte sie telefonisch Liefertermine für eine Firma, die
Matratzen erzeugt. Nach einem Monat fand sie das
nur noch langweilig.
In dieser Situation machte ihre ehemalige Nachhilfe-
lehrerin – sie ist inzwischen Abgeordnete zum Salz-
burger Landtag und im Integrationsbüro der Stadt
Salzburg tätig – Nuray aufmerksam auf das AMS-
Programm „Frauen in Handwerk und Technik“. „Sie
sagte mir, ‚Nuray, ich versteh nicht, warum du dir
solche Jobs antust. Du bist doch gescheit! Aber viel-
leicht bist du faul...‘“
Das ließ sich Nuray Isik nicht zweimal
sagen. Ziemlich umgehend nahm sie
teil an einem drei Monate dauernden
Berufsorientierungskurs. Zuerst über-
legte sie noch, ob sie im Rahmen von FiT eine Aus-
bildung im Bereich Recycling machen soll, entschied
sich dann aber für eine Ausbildung zur Speditions-
kauffrau, da in diesem Beruf – wie ihr gesagt wurde
– ihre Zweisprachigkeit von Vorteil sein könnte. Im
Herbst 2008 begann sie mit der Ausbildung zur
Speditionskauffrau am Berufsförderungsinstitut (bfi)
in Salzburg, absolvierte ein 45 Wochen dauerndes
Berufspraktikum in der Spedition Gebrüder Weiss
und legte Anfang Oktober 2010 ihre Lehrabschluss-
prüfung ab. Tags darauf begann sie an ihrem jetzigen
Arbeitsplatz in der Spedition Roland in Wals Siezen-
heim, in unmittelbarer Nähe der Stadt Salzburg, zu
arbeiten.
Die Ausbildung hat sie in bester Erinnerung. „Ich
habe mir überhaupt nicht schwer getan. Ich war 27
Jahre alt, als ich begonnen habe, und habe gewusst,
was ich will. Und vor allem: Es hat mich interessiert.
FiT-Programm
40
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
war sehr aktiv im Unterricht. Ich habe mich immer in
die erste Reihe gesetzt und wenn ich die Erklärung
nicht verstanden habe, habe ich ein zweites Mal
nachgefragt.
Gelernt hat sie in der Ausbildung sehr viel. „Geogra-
phie, Buchhaltung, kaufmännisches Rechnen, Zoll-
bestimmungen und vor allem die Kalkulation, Organi-
sation und Abwicklung von Gütertransporten mittels
Schiff, Bahn oder Lkw einschließlich der Erstellung
von Frachtbriefen. Ich habe den EDV-Führerschein
gemacht und den Staplerschein. Auch während des
Praktikums in der Firma Gebrüder Weiss habe ich
sehr viel gelernt, ich wurde nicht mit Kaffee kochen
oder Akten schlichten etc. beschäftigt, sondern schon
sehr früh angeleitet, Aufträge zu bearbeiten.“
Nuray Isik hätte auch in der Spedition Gebrüder
Weiss weiterarbeiten können, aber sie entschied
sich für den Umstieg in eine kleinere Spedition. In
der kriege sie, so meint sie, mehr mit. In der Spedi-
tion Roland ist sie für Import und Export zuständig. In
größeren Speditionen seien das hingegen, so erklärt
sie, getrennte Bereiche. An ihrem jetzigen Arbeits-
platz besteht ihre Arbeit im wesentlichen darin,
Container zu disponieren, von einem Seehafen zum
Kunden und vom Kunden zum Seehafen. Diese
Containertransporte erfolgen üblicherweise per Bahn
von einem Seehafen in Deutschland nach Wien, Salz-
burg, Linz, Graz, Enns bzw. nach Slowenien und
Italien, jedenfalls an Orte, wo es Terminals gibt. Von
dort geht die Fracht unter Umständen per Lkw weiter
an den endgültigen Bestimmungsort.
Nuray Isik ist zufrieden mit ihrer Arbeitssituation, hat,
wie sie sagt, einen netten Chef und ebensolche Kolle-
„Ich liebe meine Arbeit. Man lernt in
dem Beruf jeden Tag etwas dazu.
Jeden Tag“
In der Spedition ist sie für Import und Export zuständig.
Ich habe diesen Beruf nicht mit Zwang und nicht mit
Druck, sondern mit Freude erlernt. Die Referenten am
bfi haben uns sehr unterstützt. Sie haben uns alles
erklärt, bis wir es verstanden haben. Früher hätte
ich mich nicht zu fragen getraut, wenn ich was nicht
verstanden habe. Bei dieser Ausbildung schon. Ich
Nuray Isik (Jahrgang 1981) Speditionskauffrau
41
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
gInnen, und freut sich darüber, immer wieder was
Neues zu lernen. „Ich arbeite sehr gern. Ich liebe
meine Arbeit. Man lernt in dem Beruf jeden Tag etwas
dazu. Jeden Tag.“
Und es gibt auch Anerkennung: Als sie kürzlich erst-
mals auf Urlaub war, haben ihre Kunden sie vermisst.
Sie ist sehr froh, die Möglichkeit gehabt zu haben, im
zweiten Bildungsweg einen Beruf zu erlernen, und
würde Frauen gern dazu ermuntern, die Chance, die
das FiT-Programm bietet, zu nützen, anstatt zu Hause
zu bleiben oder als Hilfsarbeiterin zu arbeiten. „So
eine Möglichkeit hat man nicht überall. Man bekommt
während der Ausbildung das Arbeitslosengeld
bezahlt und noch einen Zuschuss für die Ausbildung.
Und kann nebenbei auch noch geringfügig arbeiten.“
Die Erfahrung, imstande zu sein, eine Ausbildung ab-
zuschließen, hat ihr Selbstvertrauen enorm gestärkt.
„Jetzt hab ich vor gar nichts Angst.“
Befragt nach beruflichen Zukunftsperspektiven sagt
sie, sie könne sich jetzt auch vorstellen, die Matura
nachzumachen. „Ich denke, das würde ich schaffen.“
Durchaus möglich wäre es auch, mit ihrer Ausbildung
eine Zeitlang in der Türkei zu arbeiten. „Aber lieber
wäre es mir, hier beschäftigt zu sein und mit der Türkei
zu kooperieren.“ Und nicht zuletzt hat sie auch noch
vor, Mutter zu werden. „Ein bisschen Stress habe ich
ganz gern.“
Die Sicht des Ausbildners
„Sie war Teil des Teams“Gebrüder Weiss ist Österreichs größtes Transport- und Logistikunternehmen. Es agiert global und transportiert
auch Seefracht und Luftfracht. Der Konzern beschäftigt insgesamt rund 4.500 Mitarbeiterinnen, allein in Österreich
sind es 2.500.
Am Salzburger Standort des Unternehmens hat Nuray Isik ein knappes Jahr lang ihr Praktikum absolviert. Manfred
Gillhofer, Nuray Isiks Ausbildner bei Gebrüder Weiss, erinnert sich genau. „Der Leiter der Ausbildung für Speditions-
kaufleute innerhalb des bfi hat mich einmal daraufhin angesprochen, ob das Unternehmen nicht bereit wäre, Prak-
tikantinnen aufzunehmen. So kam auch Nuray Isik zu uns. Inzwischen beschäftigt Gebrüder Weiss laufend Prak-
tikantinnen. Ich sehe das absolut positiv. Ich bin ein Befürworter dieser Praktika. Diese Frauen sind nicht mehr
16, sie wissen was sie wollen. Sie haben ein Ziel vor Augen. Für mich war von Anfang an klar, dass die Praktikan-
tinnen nicht nur untergeordnete Arbeiten verrichten sollen wie beispielsweise die Ablage betreuen oder kopieren.
Ich habe das auch mit dem bfi abgeklärt, dass die Praktikantinnen in den Betrieb integriert werden und auch Leis-
tungen erbringen müssen. Tatsächlich sind sie schon bald vollwertige Mitarbeiterinnen. Wir geben aber auch sehr
viel an Know-how weiter. Auch Nuray Isik war Teil des Teams. Am Tag nach der Lehrabschlussprüfung hatte sie
schon einen Job. Aber auch wir hätten sie weiterbeschäftigt.“
42
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Nina Klaus ist als Facharbeiterin in der Stanzerei der
Firma Domoferm in Gänserndorf (NÖ) beschäftigt.
Sie arbeitet Vollzeit, von sieben bis fünfzehn Uhr. In
die Arbeit fährt sie von ihrem Wohnort – der ist 15 km
entfernt – mit dem Auto. Ihre beiden Söhne, geboren
2005 und 2006, besuchen derzeit noch den Kinder-
garten in ihrem Wohnort, der ältere steht vor dem
Schuleintritt. Der Kindergarten öffnet erst um sieben
Uhr. Daher holt eine Tagesmutter die Kinder in der
Früh ab und bringt sie dann in den Kindergarten.
Diese Regelung kostet zwar Geld, aber sie hat sich
bewährt. Nina Klaus ist froh, dass sie ihren Arbeits-
beginn in der Firma der Kinder wegen ganz ohne
Probleme von sechs auf sieben Uhr hatte verlegen
können. Und sie weiß auch zu schätzen, das es in
der Stanzerei nur eine Schicht gibt, nämlich die Früh-
schicht, denn so bleibt am Nachmittag noch Zeit für
die Kinder. „Das ist super.“
Nina Klaus (Jahrgang 1983) Maschinenfertigungstechnikerin
Nicht immer aber war alles super. Nina Klaus hatte
eine Reihe von Hürden zu überwinden und sie hat
keine Mühen gescheut, um das Beste aus ihrer
Situation zu machen.
Aufgewachsen ist Nina Klaus in Wien, wo sie die
Volksschule besuchte, dann zwei Jahre das Gymna-
sium und anschließend die Hauptschule. Danach
wäre sie zwar gern weiter zur Schule gegangen. Aber
es hieß: Du musst was lernen und Geld verdienen.
Sie lernte Köchin. „Mein Vater, der damals zwar nicht
mehr bei uns gewohnt hat, war im Gastgewerbe tätig.
Und ich habe echt nicht gewusst, was ich sonst
machen soll.“ Zwei Jahre lernte sie in einem Restau-
rant, das dritte Jahr in der Zentralküche des Allgemei-
nen Krankenhauses. Als die Lehrzeit zu Ende war,
legte sie die Lehrabschlussprüfung nicht ab. Der
Grund? „Jugendlicher Leichtsinn.“ Sie hatte auch das
Interesse an der Tätigkeit verloren. Eine Zeitlang blieb
sie zu Hause, dann nahm sie an einer Umschulung
zu Büroberufen teil. „Obwohl es für mich genauge-
nommen unvorstellbar ist, ständig am Schreibtisch zu
sitzen und mich nicht zu bewegen.“
Im Zuge der Umschulung machte sie drei Prak-
tika in verschiedenen Firmen, fand anschließend
aber keine Arbeitsstelle und war wieder arbeitslos.
„Ein paar Jahre lang habe ich dann als Kellnerin in
verschiedenen Lokalen gearbeitet.“ Dann bekam sie
ihre beiden Kinder und übersiedelte nach Nieder-
österreich, ins Weinviertel. Zuerst nach Dürnkrut.
„In der Karenz habe ich mir dann Gedanken zu
machen begonnen: Wie soll das weitergehen? In
meinem letzten Job hatte ich € 800,- verdient. Und 40
Stunden die Woche gearbeitet. Mir war klar, so geht
das nicht mehr. Und als Köchin hätte ich nur wenig
Einen Lehrabschluss nachzuholen, war Nina Klaus wichtig.
„Es geht auch mit Kindern“
43
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
mehr verdient und die Arbeitszeiten wären mit der
Kinderbetreuung nicht vereinbar gewesen. Im letzten
Karenzjahr hat mich der Vater der Kinder verlassen,
ich war also allein für mich und die beiden Kinder
verantwortlich. Mir war klar, so kann das nicht weiter-
gehen. Ich muss einen Beruf erlernen, wo ich ausrei-
chend verdiene. Nur Herumtümpeln ist nicht meine
Art.“ Nina Klaus hatte zu diesem Zeitpunkt keinen
Führerschein, geschweige denn ein Auto und der
kleinere Sohn war noch keine drei Jahre alt, hatte also
noch nicht das für den Kindergarten in Dürnkrut erfor-
derliche Alter. „Ich war wirklich verzweifelt.“ In dieser
Situation begann sie alle Informationen zu sammeln,
die sie bekommen konnte. Sie recherchierte in der
Geschäftsstelle des AMS im Internet. Dort entdeckte
sie eine AMS-Broschüre über technische Berufsaus-
bildungen für Frauen, die vom AMS gefördert werden.
„Das war für mich eine Art Wegweiser. Ich habe mir
gedacht, dass hört sich nicht schlecht an. Ich bin
nicht ungeschickt und ich habe Power.“
Auf keinen Fall wollte sie irgendwas mit Kunden-
kontakt zu tun haben. „In der Karenz habe ich eine
Zeitlang in einem Supermarkt als Kassiererin gear-
beitet. Das war ein Horror. Das möchte ich nie wieder
machen. Mir tun diese Frauen so leid. Ich bin immer
überfreundlich, wenn ich einkaufen gehe, denn die
meisten Leute sind extrem unfreundlich zu den
Kassiererinnen.“
Es gelang Nina Klaus, ins FiT-
Programm aufgenommen zu werden.
Der Berufsorientierungskurs aller-
dings fand in Wien statt, das bedeu-
tete, dass sie in aller Früh von zu Hause weg musste
und erst spät am Abend heimkam und das kleinere
Kind von einem Tag zum anderen zehn Stunden
täglich bei einer Tagesmutter untergebracht werden
musste. „Einerseits hat es mir urleid getan, dass ich
den Kleinen kaum noch sehe. Andererseits habe
ich in dieser Zeit schon das erhöhte Arbeitslosen-
geld gekriegt und die Kosten für die Kinderbetreuung
wurden zum Teil vom AMS übernommen. So gesehen
war ich zufrieden.“
Schon zu Beginn des Kurses war Nina Klaus klar,
dass sie in einem Metallberuf arbeiten will. „Metall
finde ich gut. Manche Frauen wollen nicht mit Metall
arbeiten. Mir gefällt es. Überdies sind Tätigkeiten in
der Holzbranche schlechter bezahlt. Das Einkommen
war für meine Entscheidung schon auch ausschlag-
gebend.“
Das Kurzpraktikum im angestrebten Beruf organi-
sierte sie sich bei der Firma Instantina in Dürnkrut.
Dort „schnupperte“ sie in der Schlosserei. „Dorthin
musste ich nur zwei Minuten zu Fuß gehen! Das war
ideal.“
Die Ausbildung zur Maschinenfertigungstechnikerin
sollte und wollte sie im Ausbildungszentrum des AMS
NÖ in Zistersdorf machen, einem Nachbarort von
Dürnkrut, elf Kilometer entfernt. Vorher aber musste
sie sich einem Aufnahmetest unterziehen. Ohne Auto,
mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätte sie von Dürnkrut
nach Zistersdorf zwei Stunden gebraucht. „Ich habe
mit dem Ausbildner gesprochen und habe ihm ge-
sagt, ich will das unbedingt machen, aber ich weiß
nicht, wie ich hinkomme. Und ich hab ihn gefragt, ob
es im Zentrum nicht jemanden gibt, der in Dürnkrut
vorbeifährt, der mich mitnehmen kann. Er hat das
dann organisiert. Und das hat ursuper geklappt.“
Den Test bestand Nina Klaus, aber gleichzeitig
machte sie sich Sorgen, was mit der Ausbildung
werden soll, denn vierzehn Tage bevor die
„Ohne Auto bist du am Land verloren“
FiT-Programm
44
Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Obwohl sie den Anfang versäumt hatte, gefiel Nina
Klaus die Ausbildung, in der sowohl Praxis als auch
Theorie vermittelt wird, sehr gut. „Wir haben auch
sehr viel gelernt. Im März 2009 habe ich angefangen.
Im Oktober des gleichen Jahres machte ich ein
Praktikum. Den Praktikumsplatz habe ich mir in
einer kleinen Schlosserei, mit drei, vier Mitarbei-
tern und einem jungen Chef in einem Nachbarort
gesucht. In diesem Betrieb habe ich dann auch
neben der Ausbildung jeden Freitag gearbeitet. Ich
hab mir gedacht, es ist gut, einen Betrieb kennenzu-
lernen. Ich hab in der Werkstatt gearbeitet, bin auf
Montage gefahren, war in Fertighäusern, wo man nur
noch Feinarbeiten erledigt, beispielsweise Geländer
montiert. Da habe ich in kurzer Zeit sehr viel Erfah-
rungen gesammelt. Vorher habe ich noch den Führer-
schein gemacht, denn sonst wäre ich gar nicht in die
Schlosserei gekommen. Die war zwar nur sieben Kilo-
meter entfernt, aber öffentlich praktisch nicht zu errei-
chen. Weder das Ausbildungszentrum Zistersdorf
noch das Praktikum wäre erreichbar gewesen.“
Während ihrer Ausbildung machte Nina Klaus vier
Wochen lang eine Zusatzausbildung für ein Schweiß-
Zertifikat für WIG-Schweißen1. „Das können relativ
wenige Leute, weil man dafür ruhige Hände haben
muss und beide Hände dafür braucht. Die meisten
Menschen sind nicht imstande, mit jeder Hand was
anderes zu machen. Bei mir hat das von Anfang an
geklappt.“
Nina Klaus in der Stanzerei: Ihr gefällt es, mit Metall zu arbeiten.
Ausbildung begann, wurde eines ihrer Kinder krank,
musste am Kopf operiert werden. Sie wollte zwei
Wochen im Krankenhaus beim Kind bleiben, dadurch
aber würde sie die erste Woche der Ausbildung
versäumen.
„Der Ausbildner hatte Verständnis. Er sagte: Auch
wenn Sie drei Wochen beim Kind bleiben müssen,
bleiben Sie. Er hat selber zwei kleine Kinder und war
total nett.“
Nina Klaus (Jahrgang 1983) Maschinenfertigungstechnikerin
Das Arbeitsgebiet der MaschinenfertigungstechnikerInnen
MaschinenfertigungstechnikerInnen stellen Maschinen, Geräte
und Apparate her, halten sie instand und reparieren sie. Sie
bearbeiten mechanische Bauteile und Automatisierungs-
vorrichtungen, bauen sie zusammen und montieren sie in
Maschinen und Geräte. Anschließend prüfen und justieren sie
diese und sorgen für die Instandhaltung und Instandsetzung
von Automatisierungsvorrichtungen, Maschinen und Geräten.
1 Wolfram-Inertgasschweißen
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Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Im Mai 2010 bestand Nina Klaus die Lehrabschluss-
prüfung mit gutem Erfolg. „Alle Frauen, die gleich-
zeitig mit mir die Ausbildung gemacht haben, haben
sie mit gutem Erfolg abgeschlossen. Bis auf eine,
die war älter, 52 oder 53 Jahre, die hat die Lehrab-
schlussprüfung sogar mit ausgezeichnetem Erfolg
bestanden! Von dieser Frau erzähle ich allen, die mir
sagen, sie seien schon zu alt, um sich weiterzubilden.
Ich denke, dass sich viel zu viele Menschen zu früh
damit abfinden, HilfsarbeiterInnen zu sein. Einen
Lehrabschluss nachholen, bedeutet mehr Wissen und
auch mehr Geld.“
Nach der Lehrabschlussprüfung arbeitete Nina Klaus
weiter in der kleinen Schlosserei, in der sie schon
neben ihrer Ausbildung tätig gewesen war. Allerdings
ging dies nicht auf Dauer gut. Der Grund? Innerhalb
kürzester Zeit wurde ihr kleinerer Sohn dreimal krank.
Nina Klaus hatte zwar vereinbart, dass ihr Über-
stunden nicht ausbezahlt werden, sondern im Falle
einer Krankheit eines ihrer Kinder dafür Zeitaus-
gleich gewährt wird, aber als es dann soweit war, war
davon keine Rede mehr. „Obwohl ich was die Arbeits-
stunden betrifft nicht im Minus war.“
Fazit: Nina Klaus fuhr nach Wien und setzte sich
mit ihrer ehemaligen Betreuerin im FiT-Programm
zusammen. Die beiden studierten Inserate, suchten
einschlägige Firmen heraus, die von Nina Klaus, die
inzwischen mit Kindern und neuem Partner in der
Nähe von Gänserndorf wohnt, nicht allzu weit entfernt
sind, und verfassten und verschickten jede Menge
Bewerbungsschreiben.
Eine der Firmen, die sie angeschrieben hatte, war
Domoferm. Nina Klaus arbeitet dort seit November
2010 in der Stanzerei. Sie ist eine der sechs Frauen
unter den 220 MitarbeiterInnen der Fertigung. Der
technische Leiter der Domoferm-Zentrale, ist aller-
dings sehr aufgeschlossen für Veränderungen,
Umstrukturierungen und Verbesserungen aller Art,
einerseits was den Betrieb, vor allem die Sauberkeit
und die ergonomische Arbeitsgestaltung betrifft, aber
auch in Hinblick auf die Beschäftigung von Frauen.
Eine stärkere Durchmischung des Betriebes ist ihm
ein Anliegen.
Von Nina Klaus erwartet er sich unter anderem, wie
er bei der Anstellung sagte, dass sie frischen Wind
in den Betrieb bringt. Beim Einstellungsgespräch
machte er ihr gegenüber auch kein Hehl daraus,
dass sie in eine Abteilung kommt, die sich eher
gegen Veränderungen sträubt und in der eine Frau
nicht unbedingt erwünscht ist. Erfreuliche Tatsache
ist, dass Nina Klaus inzwischen zusammen mit einem
Kollegen die Partieführung übernommen hat.
In der Stanzerei ist Nina Klaus derzeit für drei
verschiedene Aufgabenbereiche zuständig:
- Sie erledigt die Büroarbeit, weil sie sich mit
dem Computer am besten auskennt, bucht
Stunden und Materialien, schreibt Bestel-
lungen und Infos per E-Mail.
- Sie produziert in der Stanzerei, rüstet Stanzen
um und betreibt automatische Stanzen
- Sie ist zuständig für Logistik und Belieferung
von zwei Hallen mit den für sie erforderlichen
Stanzteilen (insgesamt gibt es davon 450),
sodass die einzelnen Mitarbeiter an ihrem
Arbeitsplatz in kleinen Kisten griffbereit haben,
was sie brauchen und effizienter und zugleich
bequemer arbeiten können.
Nina Klaus findet es erfreulich, drei Arbeitsbereiche
zu haben. Sie empfindet das als eine ausgewogene
Situation. „Und durch die Belieferung lerne ich die
ganze Halle kennen, ansonst würde ich mich immer
nur in der Stanzerei aufhalten.“
„Je mehr ich mich am Tag bewege,
desto besser schlafe ich“
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Frauen in Handwerk und Technik – das FiT-Programm des AMS
Maschinenfertigungstechnik ist ein Lehrberuf, in dem
nicht einmal sechs Prozent der Lehrlinge österreich-
weit Frauen sind. Und es ist ein zum Teil auch körper-
lich anstrengender Beruf. Nina Klaus ist zwar sehr
sportlich und betont, dass sie sich gern körperlich
betätigt, dass sie dies für ihr körperliches und psychi-
sches Wohlbefinden geradezu braucht.
„Je mehr ich mich am Tag bewege, desto besser
schlafe ich.“ Zu Beginn ihrer Berufstätigkeit hat sie
ihrer Osteopathin gegenüber trotzdem gewisse
Zweifel angemeldet: Ewig werde ich diese körper-
liche Beanspruchung wohl nicht aushalten? „Sie hat
mir entgegnet, ‚Wieso nicht? Wenn Sie jeden Tag
diese Arbeit machen und sich nicht überanstrengen,
sondern ein paar Tipps befolgen, bauen Sie Muskeln
auf und werden kräftiger.‘ Das stimmt. Ich kann inzwi-
schen Hebel bedienen, die ich anfangs nicht hätte
runterdrücken können.“
Zukunftsperspektiven?„Ich möchte auf keinen Fall einfache Arbeiterin
bleiben. Im März hat mich die Firma auch bereits auf
eine Weiterbildung geschickt, in diesem Seminar ging
es um innerbetriebliche Verbesserungen. Das war
sehr interessant. Ich habe auch kein Problem damit,
Verantwortung zu übernehmen. Daheim habe ich die
auch. Organisieren habe ich auch gelernt. Und ich
weiß, wie belastbar ich bin.“
Das Einzige was Nina Klaus abgeht, sind mehr
Frauen im Betrieb. „Manchmal mache ich einen
Abstecher und besuche eine der anderen Frauen,
die in der Nähe arbeitet. „Mit einer Frau zu reden, das
fehlt mir schon.“ Männer, so ihre Erfahrung, sind eher
einsilbig und wortkarg.
Nina Klaus (Jahrgang 1983) Maschinenfertigungstechnikerin
„Diese gängigen Vorurteile habe ich nicht“Die Firma Domoferm stellt Stahltüren, Stahltore und Stahlzargen her. Sie umfasst vier Produktionsbetriebe, zwei in
Deutschland, einen in Tschechien und die Zentrale des Unternehmens in Gänserndorf (NÖ). Der Standort
Gänserndorf hat 350 Beschäftigte. 220 davon arbeiten in der Produktion. 214 davon sind Männer, etwa die Hälfte
davon sind angelernt, die anderen sind Facharbeiter.
Den technischen Bereich am Standort Gänserndorf leitet seit 2010 Robert Weninghofer. Wichtig ist ihm vor allem,
das Fördern und Fordern der MitarbeiterInnen, Sensibilität für wertschätzende Kommunikation sowie Abbau
demotivierender Faktoren. „Unser erklärtes Ziel ist es, dass alle MitarbeiterInnen wissen, wie sie zum Unter-
nehmenserfolg beitragen und ihre Stärken besser einsetzen können.“
Ein Anliegen von Robert Weninghofer ist auch die Erhöhung des Facharbeiterinnenanteils. „Wir achten darauf,
dass Frauen, die sich bewerben, in jedem Fall mitbewertet werden. Bei den Lehrstellensuchenden in technischen
„Ich habe kein Problem damit,
Verantwortung zu übernehmen“
Die Sicht des technischen Leiters
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Bereichen überwiegen allerdings bei weitem die männlichen Interessenten. Wir bilden derzeit neun Lehrlinge im
Fertigungstechnischen Bereich aus – darunter ist nur ein weiblicher Lehrling.“
Seiner Erfahrung nach sind die – wenigen – Frauen im Betrieb extrem offen für Veränderungen, bereit, Verbesse-
rungen zu unterstützen und diesbezüglich auch erfreulicherweise sehr beharrlich.
Die Ansicht, dass Frauen technische Berufe körperlich zu anstrengend seien, teilt er nicht. „Das stimmt heute nicht
mehr. Wir leben in einer Zeit, in der es Hilfs- und Hebemittel gibt, die sollte man nützen.“
Und der Einwand, bei jungen Frauen wisse man nie, ob sie Kinder kriegen und wie lange sie dann zu Hause
bleiben...? Diese gängigen Vorurteile, so Robert Weninghofer, habe er nicht. „Aufgrund der Väter- bzw. Eltern-
karenz ist das sicher kein Einstellungskriterium.“
Dass Nina Klaus im Betrieb angestellt wurde, führt er auf ihre Motivation für die Art der Tätigkeit zurück. „Es ist im
Gespräch sehr klar herausgekommen, dass sie weiß, was sie will und was sie kann, und dass sie bereit ist, sich
weiterzuentwickeln. In der Einarbeitungsphase hat sie sich bestens bewährt und schnell ins Team integriert.“
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IMPRESSUM
MedieninhaberIn und HerausgeberIn: Arbeitsmarktservice Österreich
Treustraße 35 – 43
1200 Wien
Interviews und Text:Dr.in Susanne Feigl
Fotos:Dr.in Susanne Feigl
Kompetenzzentrum Holz GmbH (S. 22 und 23)
Grafische Gestaltung:Lisi Breuss
Druck:Ferdinand Berger & Söhne, 3580 Horn
Dezember 2011
www.ams.at/frauen
www.ams.at/fit
www.fit-gehaltsrechner.at
www.berufskompass.at
www.ams.at/qualibarometer
Allgemeine Informationen erhalten Sie unter folgenden Internetadressen:
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Arbeitsmarktservice