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2017
Wien, Juni 2017
Verehrte Leserinnen und Leser, werte Unterstützerinnen und Unterstützer unserer Gemeinschaft, liebe Freundinnen und Freunde!
Dieses Mal erreicht Sie unser Provinzbrief zeitversetzt, was einen ganz einfachen Grund hat: Unser 800-
Jahr-Jubiläum ist erst Anfang des Jahres zu Ende gegangen!
Obwohl unser Heft natürlich nur einen kleinen Ausschnitt wiedergeben kann, bekommen Sie hoffentlich
einen guten Einblick, wie reich und vielfältig es war. Gerade auch die beiden Großveranstaltungen:
die Ausstellung in Regensburg und das Jubiläumsfest in Köln, haben die Bandbreite dominikanischen
Wirkens über diese achte Jahrhunderte eindrücklich nahe gebracht: von unseren Kerngebieten Theologie
und Philosophie über politisch-gesellschaftliches Wirken bis hin zur Verkündigung mit der Kunst. In
unsrem Jubiläum wollten wir aber auch bewusst die Schattenseiten dominikanischer Geschichte nicht
ausblenden. Auch dies gehört zur Devise des Ordens: Veritas - Wahrheit. Gerade in Zeiten religiösen
Fundamentalismus bzw. populistischer Engführungen sind uns die Erkenntnisse und Mahnungen aus
unserer Geschichte als bleibender Auftrag mitgegeben.
Ein besonderes Geschenk dieses Jubiläumsjahres war die Einkleidung von vier jungen Mitbrüdern und
eine Feierliche Profess. So eine erfreulich hohe Zahl an Einkleidungen hatten wir schon sehr lange nicht
mehr! In Zeiten des Nachwuchsmangels in allen Orden ist dies ein besonderes Zeichen der Hoffnung und
für uns ein Grund zur Dankbarkeit.
Diesem Heft haben wir einen Überweisungsträger beigelegt. Alle Erlöse für dieses Heft werden für eine
gute Ausbildung unserer Mitbrüder verwendet. Wenn Sie uns hier unterstützen können, sind wir Ihnen
sehr dankbar. Vergelt s Gott!
Leider vom Ordensjubiläum etwas überblendet wurde der 650. Todestag des großen süddeutschen
Mystikers und Seligen Heinrich Seuse. Diesen für die Spiritualitätsgeschichte sehr einflussreichen
Dominikaner wollen wir Ihnen in diesem Heft etwas näher bringen.
Das nächste Heft wird Sie in veränderter Gestalt unter dem Namen »kontakt« erreichen. Auf verschiedenen
Ebenen verstärken wir gerade unsere Zusammenarbeit mit der norddeutschen Provinz - auch auf der
Ebene der Öffentlichkeitsarbeit. Damit werden Sie einen Überblick über das Wirken der Dominikaner im
gesamten Gebiet Deutschlands und Österreichs erhalten, der für Sie hoffentlich bereichernd sein wird.
Wir hoffen, dass Ihnen das Heft einige Impulse aus unserem Wirken und unserer Spiritualität bieten kann,
wünschen Ihnen alle Gute und bleiben Ihnen im Gebet verbunden!
Ihr
P. Thomas G. Brogl OP,
Provinzial
im Namen aller Dominikaner unser Provinz
Jubiläumsfest
Die beiden zentralen
Veranstaltungen
feierten beide Provinzen
gemeinsam. Vom 3. bis
5. Juni fand in Köln das
große Jubiläumsfest für
alle Dominikanerinnen und
Domininikaner Deutschlands
und Österreichs statt.
ubiläumsfest
Auftakt für das Fest war eine gemeinsame Vesper, zu der sich über 160 Schwestern und Brüder in Heilig Kreuz
versammelten und das in ein gemütliches Beisammensein mündete. Viele hatten sich zum Teil schon seit
Jahrzehnten nicht mehr gesehen und so wurde der Abend noch lang …
Mit viel Prominenz aus Politik und Kirche (u.a. der Apostolische Nuntius, der Kölner Kardinal, die
Oberbürgermeisterin von Köln und der Generalsekretär des ZdK) fand am Samstag-Vormittag der große Festakt
im vollbesetzten Saal des Maternushauses statt. Dabei wurde die 800-jährige Geschichte in Wort, Film, Lesung
und Musik auf kreative Weise lebendig. Danach begann bis spät in die Nacht vor unserer Kirche St. Andreas ein
buntes Straßenfest mit vielen – auch dominikanischen – Einlagen und Beiträgen.
Den Feierlichen Abschluss bildete die Festmesse mit Rainer Maria Kardinal Woelki und dem Apostolischen
Nuntius, Erzbischof Nikola Eterović. Zum Schluss der Festmesse überreichten die beiden Provinziale jeder
dominikanischen Gemeinschaft eine Jubiläumskerze, die sie mit nach Hause nahmen als Erinnerung, weiterhin
»Licht für die Welt« zu sein.
Köln
Mit einem großen und eindrücklichen Fest
feierten die Augsburger Dominikaner am
13. November 2017 das 800-Jahr-Jubiläum.
Unter Teilnahme zweier Weihbischöfe, des
Provinzials, zahlreicher Vertreter des Augs-
burger Klerus und vieler Gläubigen war der
Höhepunkt eine von der Musica Suevica
unter Franz Wallisch festlich gestaltete
Messe.
Nach einem kurzem Imbiss gab es ganz verschiedene
Schlaglichter auf den Dominikanerorden: von historischer
Seite (P. Dr. Wolfram Hoyer), auf die Laiendominikaner
(Provinzpräsidentin Melanie Delpech) und auf den
Rosenkranz (fr. Florian P. Moscher).
Den Abschluss für ein gelungenes Fest bildete eine
eucharistische Andacht in unserer Heilig-Kreuz-Kirche.
Augsburg
Zum 800. Jubiläum des Dominikanerordens luden die Prediger-
brüder unter Leitung von P. Prof. Dr. Hans-Ulrich Steymans OP
am 15. Oktober 2016 in das Augustinermuseum Freiburg ein.
Gleich drei Berufungsurkunden bezeugen die Ambitionen des
Konstanzer Bischofs, der Stadt Freiburg und des Stadtherrn, den
neu gegründeten Orden für die Stadt Freiburg zu gewinnen. Sie
belegen auch, welche Erwartungen in den jungen Orden ge-
setzt wurden, um die Fragen der Zeit zu beantworten.
Eindrucksvoll zeigten die Ausstellungsstücke, auf welche Art und
Weise die vielen dominikanischen Gemeinschaften in Freiburg präsent
waren. Dass sich die Dominikaner von St. Martin in dieser Tradition
sehen, belegt auch ihr heutiges pastorales Wirken, das auf die Fragen
dieser Zeit antworten möchte.
Tim Zimmermann
FreiburgNach der Begrüßung durch den leitenden Direktors des Augustinermuseums, Dr. Tilmann von Stock-
hausen, und den Provinzial der Dominikanerprovinz St. Albert, P. Thomas Brogl OP, wurden in aller
Kürze der Orden und seine Verbindung zu Freiburg aufgezeigt. Im Anschluss konnten die Besucher
der Geschichte des Ordens vor Ort nachgehen. Eigens für diesen Anlass wurden alle Ausstellungsstü-
cke mit dominikanischer Vergangenheit durch einen Mantelwappenaufkleber gekennzeichnet. Zu
Einigen wurden zwischen Eröffnung, Mittagsmesse und Abschlussvesper »Geistliche Impulse« von
Ordensmitgliedern gehalten. Diese reichten von der theologisch-kunstgeschichtlichen Betrachtung
eines Altares über die Personen Maria Magdalena und Heinrich Seuse bis hin zur Untersuchung der
dominikanischen Frauenklöster in Freiburg.
Die Neue Vokalkapelle beim Mission Congress in RomAm 17. Januar 2017 präsentierten sich Sänger der »Neuen Vokalkapelle« von
St. Kajetan unter der Leitung von P. Robert auf internationalem Parkett, als sie
in der Aula Magna der Dominikaneruniversität Angelicum zu Rom J. M. Haydns
Missa In honorem S. Dominici vortrugen. Den Anlass gab die Eröffnung des
Kongresses über die Mission unseres Ordens, mit dem das Jubiläumsjahr »800
Jahre« abschloss. Der vom Ordensmeister Bruno Cadoré und allen Teilnehmern
des Kongresses begeistert aufgenommene Auftritt von P. Robert und seinem
Chor blieb an diesem Tag in Rom aber nicht das einzige mit dem Namen der
Theatinerkirche verbundene Ereignis.
Die Reise in die Ewige Stadt bot auch die Gelegenheit, den Erlös des letztjährigen Benefizkonzertes
der Freunde der Theatinerkirche e.V. in symbolischer Weise an eine irakische Dominikanerin zu
übergeben. Als Mitglied des Generalrates der Kongregation der Hl. Katharina von Siena im Irak
nahm Sr. Luma Khudher OP einen Scheck über 5000 Euro entgegen. Wer die Lage im Nordirak,
wo die Schwestern dieser Kongregation seit dem 19. Jahrhundert apostolisch und sozial vielfältig
wirken, durch die Medien auch nur annähernd kennt, der kann ermessen, dass diese 5000 Euro nur
ein Tropfen auf den heißen Stein sind …
München
Bibelstudium und Predigt bei den Dominikanern – Geschichte, Ideal, Praxis.
Nach den zwei früheren ordenshistorischen Isnard
Frank-Kolloquien von 2011 und 2013 fand vom 27.
bis 29. Oktober 2016 im Wiener Konvent ein drittes
statt, das diesmal dem Thema Bibelstudium und Pre-
digt bei den Dominikanern - Geschichte, Ideal, Praxis
gewidmet wurde. Die Tagung, mit der auch das 800.
Ordensjubiläum gewürdigt werden sollte, wurde ge-
meinsam organisiert vom Historischen Institut des
Dominikanerordens in Rom, dem Institut für Histori-
sche Theologie der Katholisch-Theologischen Fakul-
tät der Universität Wien und dem Wiener Konvent.
Das Thema wurde gewählt im Hinblick auf die auf
einem gründlichen Studium der Heiligen Schrift
basierende Predigt als die raison d‘être des Ordens.
18 dominikanische und nichtdominikanische Histo-
rikerinnen und Historiker, Theologinnen und Theo-
logen aus neun Ländern (Österreich, Deutschland,
England, Italien, Frankreich, Israel, Tschechische Re-
publik, Schweiz und Belgien) präsentierten in ihren
Referaten aktuelle Ergebnisse ihrer Forschung über
verschiedene Gelehrte und Prediger, Traktate und
Predigten aus der langen Geschichte des Ordens seit
Wiendem 13. bis zum 20. Jahrhundert. Hervorzuheben ist die
aktive Teilnahme von Angehörigen mehrerer ordenseige-
ner Forschungsinstitute: neben dem Historischen Institut
waren auch das Institut zur Erforschung der Geschichte
des Dominikanerordens im deutschen Sprachraum, die
Commissio Leonina und die École biblique vertreten.
Die Vorträge zeigten in ihrer Gesamtheit, dass die intel-
lektuellen und Predigtaktivitäten der Brüder in einem
engen Zusammenhang mit spirituellen, kirchlichen und
sozial-politischen Herausforderungen ihrer Zeit standen.
Sie bemühten sich um ein besseres Verständnis des Wor-
tes Gottes, um den Menschen zu zeigen, wie sie auf dem
Weg zum Heil fortschreiten können. Die dominikanische
Ordensgeschichte kannte offensichtlich auch kritische
Perioden, doch es gab immer qualifizierte und tüchtige
Brüder, die es versuchten, ihre Mitbrüder für das Ideal des
Bibelstudiums und der Predigt nach dem Vorbild des hei-
ligen Dominikus und im Geiste der breiten Tradition des
Ordens zu begeistern.
Ein geistliches Konzert mit Meisterstücken der Barock-
musik in der Konventskirche Maria Rotunda und Texten
dominikanischer Autoren über das Bibelstudium und
Predigt bot ein angenehmes kulturelles Intermezzo im
intensiven Arbeitsprogramm.Zum Abschluss feierten die
Teilnehmer gemeinsam die Eucharistie. Der Tagungs-
band wird im Rahmen der vom Historischen Institut des
Ordens herausgegebenen Reihe Dissertationes Historicae
erscheinen.
fr. Viliam Štefan Dóci OP
Jubiläum im Kloster zum Englischen Gruß
Theaterstück Verso l alto. Sel. Pier Giorgio Frassati.
Gelebte Liebe auch für heute noch?
Auch unsere Schwesternklöster haben viele Initiativen zum Jubibläumsjahr
gestartet. Stellvertretend möchten wir eine herausgreifen. Unsere Schwestern
in Altenstadt schreiben:
»Zum Ordensjubiläum und zum Jahr der Barmherzigkeit wurden wir durch den
jugendlichen dominikanischen Terziar sel. Pier Giorgio Frassati (1901–1925)
sehr beschenkt. Er setzte sich für unsere Gemeinschaft so sehr ein, dass wir eine
Theateraufführung über sein Leben in der Klosterkirche am 15. und 16. Oktober
2016 hatten. Pier Giorgio begeisterte alle Anwesenden erneut für Jesus, seine
Mutter, die Rosenkranzkönigin, und für den fröhlich gelebten katholischen
Glauben. Wir sind ihm unendlich dafür dankbar. Sel. Pier Giorgio Frassati
– bitte für uns!«
Feldkirch-Altenstadt
Den »Durst Gottes stillen«
Im Jubiläumsjahr fand das Generalkapitel des Ordens an einem
besonderen Ort statt. Die Provinziale, Vize-Provinziale und Vertreter
aus anderen Zweigen des Ordens versammelten sich in Bologna am
Grab des Hl. Dominikus. Beim Generalkapitel trifft sich der weltweite
Orden, um über aktuelle Fragen zu beraten und die Ausrichtung des
Ordens für die nächsten Jahre zu bestimmen.
Den »Durst Gottes stillen«
Generalkapitel am Grab des Hl. Dominikus
Drei Wochen lang verlangte ein Sitzungsmarathon
in den drei Sprachen des Ordens - häufig nicht
nur den ganzen Tag, sondern auch noch abends -
bei Temperaturen zwischen 30 und 35 Grad den
Teilnehmern einiges an Ausdauer und Beharrlichkeit
ab. Dieses Mal stand vor allem der Abschluss der
Strukturreform, welche die Strukturen des Ordens
überschaubarer und effizienter gestalten soll, und
Ausbildungsfragen im Vordergrund der Beratungen.
Außerdem werden immer auch die Gesetze des
Ordens den aktuellen Gegebenheiten angepasst.
Dabei ist nicht nur der Austausch in den Sitzungen
wichtig, sondern so manche Verbindung und Idee
entsteht zwischen den Sitzungen beim Kaffee
(in Italien natürlich sehr wichtig – und von den
italienischen Studentenbrüdern bestens organisiert).
Dabei wird ein Generalkapitel nicht nur »ab-
gehalten«, sondern »gefeiert«. Höhepunkt waren
die Papstaudienz mit dem Hl. Vater in Rom und die
Abschlussmesse zum Fest des Hl. Dominikus an
dessen Grab mit dem Erzbischof von Bologna.
Ganz wichtig. Das Abstimmungsgerät
Ansprache von
an die Teilnehmer am Generalkapitel des
Dominikanerordens
Papst Franziskus
Liebe Brüder und Schwestern!
Wir könnten diesen Tag heute beschreiben mit »ein Jesuit unter Brüdern«: am Vormittag bei euch und am
Nachmittag in Assisi bei den Franziskanern: unter Brüdern. Ich heiße euch willkommen und danke für die
Begrüßung durch P. Bruno Cadoré, Generalmagister des Ordens, die er in seinem und in euer aller Namen an mich
gerichtet hat, während in Bologna das Generalkapitel zu Ende geht, wo ihr am Grab des heiligen Ordensgründers
eure Wurzeln neu beleben wolltet.
Dieses Jahr hat für eure Ordensfamilie eine besondere Bedeutung, weil 800
Jahre vergangen sind, seit Papst Honorius III. den Predigerorden anerkannt hat.
Aus Anlass des Jubiläums, das ihr aus diesem Grund begeht, schließe ich mich
euch an in der Danksagung für die reichen Gaben, die ihr im Laufe dieser Zeit
empfangen habt. Außerdem möchte ich meiner Dankbarkeit gegenüber dem
Orden Ausdruck verleihen für die bedeutsame Unterstützung der Kirche und für
die Zusammenarbeit mit dem Heiligen Stuhl, die er im Geist des treuen Dienstes
von den Ursprüngen bis heute aufrechterhalten hat.
Dieses 800-Jahr-Jubiläum lässt uns der Männer und Frauen des Glaubens und der
Gelehrsamkeit gedenken, Kontemplative und Missionare, Märtyrer und Apostel
der Nächstenliebe, die die Liebkosung und Zärtlichkeit Gottes überallhin gebracht
haben. So haben sie die Kirche bereichert und neue Möglichkeiten aufgezeigt,
um das Evangelium durch die Verkündigung, das Zeugnis und die Nächstenliebe
zu verkörpern: drei Grundpfeiler, die die Zukunft des Ordens gewährleisten, weil
sie die Frische des Gründungscharismas bewahren.
Gott drängte den heiligen Dominikus, einen »Predigerorden« zu gründen,
da die Predigt die Aufgabe war, die Jesus den Aposteln übertragen hatte. Das
Wort Gottes brennt im Inneren und drängt zum Hinausgehen, um allen Völkern
Jesus Christus zu verkünden (vgl. Mt 28,19-20). Euer Gründervater pflegte zu
sagen: »Zuerst betrachten, dann lehren«. Von Gott evangelisiert sein, um zu
evangelisieren. Ohne eine tiefe Einheit mit ihm kann die Predigt zwar perfekt
sein, gut durchdacht und sogar bewundernswert, aber sie rührt das Herz nicht.
Doch gerade dieses Herz ist das, was sich ändern muss. Unerlässlich ist neben
dem ernsthaften und fortwährenden Studium der theologischen Fächer auch
alles, was es uns ermöglicht, uns der Wirklichkeit zu nähern und dem Volk
Gottes Gehör zu schenken. Der Prediger ist ein Kontemplativer des Wortes Gottes
und auch ein Kontemplativer des Volkes, das erwartet, verstanden zu werden
(vgl. Evangelii gaudium, 154).
Für eine wirksamere Vermittlung des Wortes Gottes ist das Zeugnis erforderlich:
Lehrmeister, der Wahrheit treu sind, und mutige Zeugen des Evangeliums.
Der Zeuge verkörpert die Lehre, macht sie greifbar, anziehend, und er lässt
niemanden gleichgültig. Mit der Wahrheit vereint er die Freude des Evangeliums,
die Freude über das Wissen, von Gott geliebt und Ziel seiner unendlichen
Barmherzigkeit zu sein (vgl. ebd 142). Der heilige Dominikus pflegte zu seinen
Schülern zu sagen: »Barfuß gehen wir predigen.« Das erinnert uns an den
Brennenden Dornbusch, wo Gott zu Mose sagt: »Leg
deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger
Boden« (Ex 3,5). Der gute Prediger weiß, dass er sich auf
heiligem Boden bewegt, weil das Wort, das er bringt,
heilig ist und auch die Empfänger des Wortes heilig sind.
Es ist für die Gläubigen nicht nur notwendig, das Wort
Gottes in seiner Vollständigkeit zu empfangen, sondern
sie müssen auch das Lebenszeugnis dessen spüren, der
predigt (vgl. Evangelii gaudium, 171). Die Heiligen haben
überreiche Frucht gebracht, weil sie mit ihrem Leben und
ihrer Mission die Sprache des Herzens sprechen, die keine
Hindernisse kennt und für alle verständlich ist.
Schließlich müssen der Prediger und der Zeuge dies
in Liebe sein. Ohne diese werden sie umstritten und
fragwürdig sein. Der heilige Dominikus befand sich am
Beginn seines Lebens in einem Zwiespalt, der seine
gesamte Existenz kennzeichnete: »Wie kann ich über toten
Häuten studieren, während das Fleisch Christi leidet?« Der
lebendige und leidende Leib Christi ist es, dessen Schrei
der Prediger hört und der ihm keine Ruhe lässt. Der Schrei
der Armen und Ausgeschlossenen weckt neu das Mitleid,
das Jesus für die Menschen empfand (Mt 15,32), und
macht es verständlich. Wenn wir uns umschauen, dann
stellen wir fest, dass der Mann und die Frau von heute
nach Gott dürsten. Sie sind das lebendige Fleisch Christi,
das schreit: »Mich dürstet« nach einem authentischen und
befreienden Wort, nach einer brüderlichen, liebevollen
Geste. Dieser Schrei fordert uns heraus und muss das
Rückgrat der Mission sein und den pastoralen Strukturen
und Plänen Leben einhauchen. Denkt daran bei euren
Reflexionen über die Notwendigkeit, das Organigramm
des Ordens zu ändern, um die Antwort zu erkennen, die
auf diesen Schrei Gottes gegeben werden muss. Je mehr
wir hingehen, um den Durst des Nächsten zu löschen,
desto mehr werden wir Prediger der Wahrheit sein, jener
mit Liebe und Barmherzigkeit verkündeten Wahrheit,
von der die heilige Katharina von Siena spricht (vgl. Buch
der göttlichen Lehre, 35). In der Begegnung mit dem
lebendigen Fleisch Christi werden wir evangelisiert und
finden die Leidenschaft wieder, Verkünder und Zeugen
seiner Liebe zu sein. Und wir befreien uns von der heute
so aktuellen gefährlichen Versuchung des Gnostizismus.
Liebe Brüder und Schwestern, mit einem dankbaren
Herzen für die vom Herrn für euren Orden und für die
Kirche empfangenen Gaben ermutige ich euch, dem vom
heiligen Dominikus inspirierten Charisma freudig zu
folgen, das von vielen heiligen Männern und Frauen des
Dominikanerordens in verschiedenen Schattierungen
gelebt worden ist. Sein Beispiel ist ein Antrieb, sich
voller Hoffnung der Zukunft zu stellen wissend, dass
Gott stets alles neu macht … und niemals enttäuscht.
Möge unsere Mutter, die allerseligste Jungfrau vom
Rosenkranz, für euch Fürsprache halten und euch
beschützen, damit ihr mutige Prediger und Zeugen der
Liebe Gottes seid. Danke!
Sala Clementina Donnerstag, 4. August 2016
als
Zwei Ausstellungen bildeten publikumswirksame
Schwarz und Weiß
Akzente zum Jubiläumsjahr.
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Die Ausstellung in Regensburg, veranstaltet zusammen mit dem Diözesanmuseum und der Stadt Regensburg,
bot mit zahlreichen kostbaren Leihgaben und vor der beeindruckenden Kulisse des ehemaligen Regensburger
Dominikanerkonvents einen Überblick über das dominikanische Wirken in den letzten 800 Jahren.
Ergänzt wurden die »stummen Zeugen« durch ein vielfältiges Rahmenprogramm, in dem Dominikanerinnen und
Dominikaner aus allen Zweigen des Ordens zusammenwirkten und das facettenreiche Charisma des Ordens zum
Sprechen brachten.
Regensburg
Eine zweite Ausstellung fand in Rom statt, wo zum Abschluss des Ordensjubiläums dominikanische und nicht-
dominikanische Künstler an verschiedenen Orten von S. Sabina, wo unsere Ordensleitung residiert, ausstellten.
An den Fassaden von Kirche und Konvent zeigte unser junger Mitbruder fr. Adam Rokosz, der sich im Jubiläumsjahr
mit der Feierlichen Profess an den Orden gebunden hat, Foto-Kunstwerke zum Thema »Inkarnation«.
Rom
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Sprechen mit Gott
und von Gott
Heinrich Seuse:
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Sprechen mit Gott
und von Gott
Heinrich Seuse: Es gibt wohl kaum eine Kirche, in der
dieses Lied zur Weihnachtszeit nicht
gesungen wird. Sein Text wird dem
Dominikaner Heinrich Seuse zugeschrieben.
Zu hundert Prozent gesichert ist Seuses
Autorenschaft daran nicht, aber der Inhalt
und die dichterische Art, die kunstvolle
Verbindung deutscher und lateinischer
Worte, würden zu ihm passen. Wenn das Lied von Seuse ist, wäre »In dulci
jubilo« sein weltweit bekanntester geistlicher Text – seine restlichen,
weit umfangreicheren Schriften jedoch werden heutzutage nur mehr
von Spezialisten gelesen. Das war nicht immer so. Im 19. Jahrhundert, als
man die mittelalterliche deutsche Mystik wiederentdeckte wurde Seuse
vor Meister Eckhart und Johannes Tauler wegen seiner Gemüthaftigkeit,
Weichheit und Herzenszartheit als geistlicher Minnesänger gepriesen.
Wir Heutigen ziehen die spekulative geistliche Theologie Eckharts oder
ihre lebenspraktische Deutung durch Tauler vor. Seuse wird zwar nicht
abgelehnt, aber seine für unsere modernen Ohren schwülstige Sprache
und seine übertrieben wirkenden Frömmigkeitsübungen machen unseren
Zugang zu ihm schwierig. Aber sagt diese Haltung eher etwas über uns aus,
oder über Seuse?
In dulci jubilo nun singet und seid froh:
Unsers Herzens Wonne liegt in praesepio
und leuchtet wie die Sonne matris in gremio.
Alpha es et O, Alpha es et O.
esser als an Eckhart oder Tauler
lässt sich an Heinrich Seuse etwas
urdominikanisches aufzeigen. Alle drei
waren sie Predigerbrüder, Mitglieder
des Ordens, der sich dem Sprechen
mit Gott und von Gott verschrieben hat. Und abgesehen
von Eckharts Ämtern als Provinzial und Professor, Taulers
Arbeit als Schwesternseelsorger und Seuses Wirken als
Beichtvater und geistlicher Begleiter waren sie in einem
grundsätzlichen dominikanischen Tun vereint: im Gebet.
Der öffentliche Gottesdienst im Feiern der Messe, im
Chorgebet und in den anderen liturgischen Diensten
verband sie, genauso wie ihr privates Beten. Alle drei
suchten Gott und teilten anderen mit, was sie über Gott
herausgefunden hatten. Jedoch im Unterschied zu
Eckhart oder Tauler, von deren religiöser Lebensweise wir
keine Zeugnisse haben, wissen wir hierüber von Seuse
eine ganze Menge. Von Eckhart und Tauler haben wir
Texte, die die Ergebnisse ihrer Gottsuche schildern. Von
Seuse hingegen haben wir Texte, die dieses Gebetsleben
selbst beschreiben, noch dazu eingebettet in das Umfeld
seiner dominikanischen und klösterlichen Lebensweise.
In seinen Schriften legt Seuse sein Innenleben und
seine Gotteserfahrung schonungslos offen. Als geübter
Einzelseelsorger, der Zeit seines Lebens mit zahllosen
Menschen im geistlichen Gespräch stand und noch dazu
eine hohe Sprachbegabung besaß, wusste er auch diese
schwierigen Inhalte so mitzuteilen, dass seine Leser sie
nutzbringend für ihren eigenen Weg mit Gott anwenden
konnten. Von kaum einem anderen Dominikaner lässt sich
daher besser lernen, wie Sprechen mit Gott und Sprechen
von Gott aussehen kann.
einrich Seuse wurde in den 1290er
Jahren am Bodensee geboren – ob
in Überlingen oder in Konstanz
ist nicht sicher. Er entstammte
väterlicherseits der bedeutenden
Patrizierfamilie namens von Berg in Konstanz. Aber
weil er seiner Mutter sehr viel näher stand als seinem
Vater, nahm Heinrich deren Familiennamen an, Suze,
lateinisch Suso. Erst 120 Jahre nach Heinrichs Tod wurde
in der Augsburger Druckausgabe seiner Schriften von
1482, dem dortigen schwäbischen Dialekt entsprechend,
daraus die Namensform Seuse, unter der er bis heute
bekannt ist. Im Alter von 13 Jahren trat Heinrich in den
Dominikanerkonvent von Konstanz ein. Dort nahm
sein Weg den üblichen Gang, er lernte die Bräuche des
Ordens kennen, erhielt eine philosophisch-theologische
Grundausbildung und wurde zum Priester geweiht. Es
ist ein gewöhnliches Klosterleben, wie es viele tausende
Männer zur selben Zeit im Predigerorden führen, durchaus
geprägt vom religiösen Umfeld, spirituell jedoch wenig
herausragend. Dies ändert sich eines Tages – nicht durch
ein Geschehen von außen, sondern durch einen inneren
Vorgang. Seuse nennt dieses Ereignis eine »rasche Umkehr«
und beschreibt sie in seiner Lebensbeschreibung so: »Das
geistliche Leben des Dieners [nämlich Seuses] nahm seinen
Anfang in dessen achtzehntem Lebensjahr. Zwar trug er
damals bereits fast fünf Jahre das Kleid des Ordens, sein
Geist aber war ungesammelt geblieben. ... ein Ungenügen
fand er in sich vor, zu welch begehrenswerten Dingen er
auch immer sich wandte; er meinte, irgendetwas anderes
müsse seinem unsteten Herzen Frieden bringen, und seine
Unruhe schuf ihm Leid. Zwar mühte er sich allzeit innerlich
widerstrebend ab, vermochte aber nicht, sich zu helfen, bis
ihn der gütige Gott durch rasche Umkehr befreite. Die mit
ihm lebten, wunderten sich über die schnelle Änderung,
die mit ihm geschehen war; es sagte der eine dies, der
andere das. Was aber mit ihm vorgegangen, das fand
keiner heraus; auf eine geheimnisvolle, strahlende Weise
hatte Gott ihn gezogen, und dies hatte die rasche Abkehr
von allen Äußeren bewirkt.« (Lebensbeschreibung Kap. 1).
Konkret wird es sich bei diesem Erlebnis um eine Erkenntnis
gehandelt haben, die in Seuse einen tiefen Eindruck
hinterließ und sein Lebensausrichtung veränderte, hin
zu einer Wendung zur ernsthaften Nachfolge Christi, die
man auch äußerlich, in seiner Lebensführung beobachten
konnte – wahrscheinlich als Drang zu ungewöhnlich
strengen asketischen Übungen.
ir wissen nicht genau, wo
Seuse seine Ausbildung erhielt;
er wird wohl in Konstanz an
der dortigen Klosterschule
begonnen haben. Vielleicht
wurde er auch einige Zeit in Straßburg unterrichtet.
Heinrich muss sich aber durch hohe Verstandesqualitäten
ausgezeichnet haben, denn seine Oberen schickten ihn
schließlich ans Generalstudium der Dominikaner nach
Köln, der einzigen deutschen Hochschule dieser Zeit, an der
man einen höheren akademischen Grad erwerben konnte.
Da jedes Predigerkloster der deutschen Ordensprovinz nur
einen oder maximal zwei seiner jungen Brüder dorthin
entsenden durfte, können wir daraus schließen, dass
Seuse für eine nationale oder internationale Lehrkarriere
vorgesehen war. Er verbringt die Jahre von 1323 bis 1327
in Köln. Dort ist Meister Eckhart der wichtigste Lehrer und
Seuse gehört zu dessen engstem Schülerkreis. Eckharts
Gedankengut wirkt stark auf Seuse ein – er studiert bei
diesem Professor nicht nur, um irgendwelche Prüfungen
zu überleben, sondern er verinnerlicht dessen Lehren
zutiefst. Das lässt sich im Werk Seuses an vielen Stellen
nachweisen. Seuses Nähe zu Eckhart ist so bekannt, dass
der Fall seines Lehrers auch Seuse zum Verhängnis wird:
1325/26 wird Eckhart der Häresie, der Abweichung von
der Rechtgläubigkeit angeklagt und 1329 werden 28
Sätze von ihm als häresieverdächtig verurteilt. Zwar war
Eckhart selbst vor der Verurteilung schon verstorben,
aber nun beginnt eine Säuberungsaktion unter den
deutschen Dominikanern. Seuse war 1327, nach
erfolgreichem Abschluss seiner Studien, als Lehrer nach
Konstanz zurückgekehrt. Von dieser Aufgabe wird er
1329 enthoben und 1330 vor das Provinzkapitel zitiert,
um sich zu rechtfertigen. Das Provinzkapitel verurteilt
ihn zwar nicht, allerdings macht es auch die ehrenrührige
Absetzung nicht rückgängig. Das geschieht erst 1334.
Die Jahre zwischen 1329 und 1334 sind für Seuse sicher
eine schwere Zeit. Vielleicht spielt darauf eine Szene
an, die er in seiner Lebensbeschreibung schildert: Eines
Wintermorgens weist ihn eine innere Stimme an, das
Fenster seiner Klosterzelle zu öffnen, zu schauen und
zu lernen. Er sieht einen Hund, der einen Fußlappen
herumwirft und Löcher in ihn beißt. Und die innere
Stimme sagt ihm: »Solch ein Spielzeug wirst du in deiner
Brüder Gerede werden.« (Kap. 20).
b 1334 wirkt Seuse wieder als
Lehrer an der Klosterschule
in Konstanz. Ort und Zeit sind
unruhig: In der Stadt schwelt seit
langem ein Konflikt zwischen
dem Papst und dem Kaiser. Parteinahmen für die
eine oder die andere Seite spalten die Bevölkerung
und die Klöster – die Dominikaner halten zum
Kirchenoberhaupt, die Bevölkerung und die Franziskaner
zum Reichsoberhaupt. Die Pest, die 1348 bis 1350 in der
Region wütet, macht die Lage noch schlimmer. 1338
werden die Prediger aus Konstanz verwiesen; sie gehen
in ein schweizerisches Dominikanerinnenkloster ins
Exil. Interessant ist, dass der Konvent gerade in dieser
Krise 1342 ausgerechnet Heinrich Seuse zum Prior
wählt – offensichtlich war der Mann kein mystischer
Schwärmer mit dem Kopf in spirituellen Wolken, sondern
man traute ihm Führungsqualitäten und diplomatische
Fähigkeiten zu. In dieser Exilzeit ist Seuse viel auf Reisen–
nicht als Volksprediger, wie etwa seine Zeitgenossen,
der Dominikaner Heinrich Tauler oder der Franziskaner
Berthold von Regensburg, sondern als Einzelseelsorger
und Beichtvater in den Frauenklöstern am Oberrhein, im
Elsass und in der Schweiz. Besonders gerne hält er sich
anscheinend im Kloster Töss bei Winterthur auf, wo er
die Schwester Elsbeth Stagel kennen- und schätzenlernt:
Mit Stagel verbindet ihn eine Seelenfreundschaft. 1346
dürfen die Dominikaner unter ihrem Prior Seuse wieder
nach Konstanz zurückkehren. Kurz danach findet Seuse
sich einer Verleumdungsklage ausgesetzt: Eine Frau,
deren Beichtvater er ist, bezichtigt ihn, der Vater ihres
Kindes zu sein – Seuse wird sofort abgesetzt und aller
Aufgaben enthoben. Zwar sprechen ihn seine Oberen
von allen Vorwürfen frei, aber um einen Skandal zu
vermeiden, versetzen sie ihn 1347 nach Ulm.
In Ulm ist Seuse noch lange als Landprediger und wohl
auch als Schwesternseelsorger aktiv. Er stirbt am 25.
Januar 1366 und wird in der dortigen Dominikanerkirche
begraben. Bald beginnt seine Verehrung im Volk, was
durch mehrere Meßstiftungen für den Altar bezeugt
ist, bei dem sein Grab liegt. Da Ulm 1531 protestantisch
wird, müssen die Dominikaner die Reichsstadt verlassen.
Im 17. Jahrhundert baut man über den Ruinen der
Dominikanerkirche eine neues protestantisches
Gotteshaus auf, das bei einem Bombenangriff 1944
zerstört wird. Seither ist Seuses Grab verschollen.
Seliggesprochen wird Heinrich Seuse am 16. April 1831.
ie steht es nun um Seuses
Gebetsleben? Es spiegelt sich in
seinem überlieferten schriftlichen
Werk wieder. Dieses ist nicht
umfangreich. Abgesehen von zwei Briefsammlungen
und zwei sicher von ihm stammenden Predigten
haben wir nur vier Bücher geistlichen Inhalts von ihm.
Obwohl Seuse, trotz aller Einschränkungen, Lehrer an
einer akademischen Schule war, hat er keine gelehrten
philosophisch-theologischen Abhandlungen oder
Bibelkommentare hinterlassen, was ungewöhnlich für
einen Professor ist.
ahrscheinlich war das Büchlein der
Wahrheit sein erstes Werk, entstanden
wohl kurz nach seiner Kölner Zeit,
also etwa 1329 oder 1330. Inhaltlich
ist es sehr deutlich von den Lehren Eckharts abhängig.
Zu Eckhart hat sich Seuse immer bekannt. In seiner
Lebensbeschreibung erklärt er zum Beispiel: »Es war ihm
[Seuse] nichts Ungewöhnliches, dass viele Seelen, die
aus dieser Welt geschieden, vor ihm erschienen und ihm
kündeten, wie es ihnen ergangen sei ... oder wie ihr Leben
vor Gott sei. Unter anderem erschein ihm auch der selige
Meister Eckhart ... Der Meister ließ ihn wissen, er lebe in
überströmender Herrlichkeit, in der seine Seele ganz in
Gott aufgegangen sei. So bat ihn der Diener [Seuse], ihn
zwei Dinge wissen zu lassen; einmal: wie die Menschen
sich in Gott befänden, die der höchsten Wahrheit in
rechter Gelassenheit gern genugtun wollten. Dazu erfuhr
er, dass dieser Menschen Versenkung in den unfassbaren
Abgrund Gottes niemand in Worte fassen könne. Er
fragte aber weiter: was eines Menschen förderlichste
Übung sei, der zu jener höchsten Vereinigung gelangen
wolle? Da erhielt er die Antwort: Er soll sich selbst nach
seinem eigenen Sein in tiefer Gelassenheit entsinken
und alle Dinge als von Gott, nicht von den Geschöpfen
kommend annehmen und sich gegen alle wölfischen
Menschen in Geduld fassen.« (Lebensbeschreibung
Kap. 6). Was Eckhart mit dieser »Gelassenheit des
Menschen« meinte, hat er einmal in seinen Reden der
Unterweisung kurz so zusammengefasst: »Das ist ein
lediges Gemüt, das durch nichts beirrt und an nichts
gebunden ist, das sein bestes an keine Weise gebunden
hat und in nichts auf das Seine sieht, vielmehr völlig in
den liebsten Willen Gottes versunken ist und sich des
Seinigen entäußert hat.« (Reden der Unterweisung Kap.
2). Diese »Gelassenheit« ist nicht nur das Leitmotiv von
Seuses Büchlein der Wahrheit, sondern durchzieht sein
ganzes Werk, besonders seine Lebensbeschreibung.
Eckhart hatte dadurch Seuses »rascher Umkehr« ein Ziel
gewiesen. Worauf sie sich richtete, werden wir unten,
bei Seuses Lebensbeschreibung darlegen. Der Höhe des
Leitmotivs entsprechen auch die anderen Fragen, denen
Seuse im Büchlein der Wahrheit in Form von Gesprächen
zwischen »einem Menschen in Christus« und der ewigen
Wahrheit nachgeht: Gott und Gottes Wesen, Einheit
und Dreieinigkeit, Schöpfung und Menschwerdung,
Vereinigung der Seele mit Gott im Diesseits und im
Jenseits usw. Es ist Seuses einziges Buch spekulativ-
mystischen Inhalts, gleichzeitig auch sein dunkelstes,
am schwersten verständliches. Das lag kaum daran,
dass Seuse nicht wirklich verstanden hatte, worüber er
schreiben wollte; wahrscheinlich wollte er im Büchlein
der Wahrheit sozusagen eckhartisch sprechen – ein Stil,
der ihm nicht lag.
uch an einer etwaig noch mangelnden
Gesprächs- und Seelsorgserfahrung
kann es nicht gelegen haben; das
zeigt sein zweites Buch, das Büchlein
der ewigen Weisheit. Es ist ein klares Werk, das Seuse
wohl 1330 abgefasst hat, also kurz nach seinem Erstling.
Auch dieses Buch ist in Gesprächsform abgefasst: »der
Jünger« spricht mit der ewigen Weisheit. Hauptinhalt
ist die Beschauung des Leidens Christi, woran sich
praktische Ermahnungen über ein reines, frommes
Leben anschließen. Den Grundstock bilden über hundert
Betrachtungen über das Leiden Christi und Mariens,
die am Schluss stehen – sie wurden Seuse, wie er sagt,
»eingeleuchtet«. Das Büchlein ist »für einfache Menschen
bestimmt, die ihre [geistlichen] Mängel noch abzulegen
haben.« (Vorwort), wahrscheinlich hat Seuse dabei an
interessierte Nonnen gedacht. Absicht des Buches ist, das
rechte Verständnis von Jesu Leben auf Erden und unserer
Nachfolge aufzuzeigen, um zum richtigen christlichen
Leben und Sterben anzuleiten: Seuse lässt Christus, in
der Person der ewigen Weisheit, seinen Leidensweg von
Getsemani bis zur Kreuzigung schildern. Die Botschaft
lautet kurz gefasst: Über den menschgewordenen
Gottessohn gelangen wir Menschen zu Gott. Seuse baut
dabei auf der Inkarnationstheologie des Bernhard von
Clairvaux auf, der auch der am häufigsten zitierte Autor im
Weisheitsbüchlein ist. Wie sein Leidensinhalt, so ist auch
die Sprache des Weisheitsbüchleins sehr gefühlsbetont.
Es wurde das im 14. und 15. Jahrhundert das am
meisten verbreitete und gelesene Andachtsbuch. Das
Weisheitsbüchlein ist so häufig abgeschrieben worden,
dass es fast kein deutschsprachiges Frauenkloster gibt, in
dem sich keine Kopie findet. Stark verbreitet war sein 21.
Kapitel als separates »Sterbebüchlein«; auch die hundert
Betrachtungen wurden oft eigens abgeschrieben.
ls lateinische Übersetzung des
Weisheitsbüchleins gilt das dritte
Werk Seuses, das er unter dem
Titel Horologium sapientiae, also
Stundenbuch der Weisheit herausgegeben hat. Tatsächlich
finden sich im Horologium viele Inhalte des Büchleins der
Weisheit, aber das Horologium bietet viel mehr Stoff und
wendet sich an Geistliche, besonders an Ordensleute.
Man hat daher beide Werke, Weisheitsbüchlein und
Horologium, als volkstümliche und als wissenschaftliche
Darstellung desselben Themas aufgefasst. Das
Horologium ist Seuses erfolgreichste Schrift. Aufgrund
des verwendeten Latein wurde es auch außerhalb des
deutschen Sprachraumes abgeschrieben und gelesen.
Besonders verbreitet war es in den Niederlanden.
Insgesamt zählt man heute über 400 Handschriften und
allein zwischen 1480 bis 1539 zehn Drucke.
eine Lebensbeschreibung ist Seuses
viertes Werk. Es ist auch das Buch, aus
dem sich vieles über sein Gebetsleben
erfahren und woraus sich am leichtesten
davon lernen lässt. Im Hintergrund seiner Entstehung
stand Elsbeth Stagel, wie Seuse in der Vorrede der
Lebensbeschreibung berichtet: »In deutschen Landen
lebte ein Predigerbruder [Seuse]. ... Der wäre gar gern
ein Diener der ewigen Weisheit gewesen und auch so
geheißen worden. ... Er lernte eine heilige, erleuchtete
Frau [Stagel] kennen, der in dieser Welt stets Not und viel
Leiden zuteil geworden war. Die bat ihn, ihr aus seinem
eigenen Erleben etwas vom Leiden zu sagen, woraus ihr
duldendes Herz Kraft schöpfen könne; und diese Bitte
wiederholte sie immer wieder. Wenn er sie aufsuchte,
erfuhr sie von ihm, ... wie er sein geistliches Leben
begonnen und wie er darin fortgeschritten sei, auch
dies und das von seinen Übungen, die er vorgenommen
und von den Leiden, die er erduldet. Und davon sprach
er ihr in frommem Vertrauen. Da sie hierdurch Trost
und Hilfe erfuhr, schrieb sie alles auf, sich und anderen
zur Hilfe; das tat sie aber heimlich, so dass er davon
nichts wusste. Als er danach irgendwann einmal von
diesem geistlichen Diebstahl erfuhr, tadelte er sie und
ließ es sich herausgeben. Was er erhielt, verbrannte er
alles. Als sie ihm das übrige gab und er damit genauso
verfahren wollte, ward ihm eine himmlische Botschaft,
die das verhinderte. Und so blieb das Folgende erhalten,
so wie jene Frau es mit eigener Hand geschrieben. Ein
wenig an guter Lehre ward ihm nach ihrem Tode von ihm
beigefügt.« Die Niederschrift der Lebensbeschreibung
ist also von Elsbeth Stagel begonnen worden, war aber
im Gespräch mit Seuse selbst entstanden und wurde von
Seuse redigiert und verlängert.
ie Lebensbeschreibung Seuses ist keine
Biographie im modernen Sinne, kein
dokumentarisches Geschichtsbuch,
obwohl sie viel aus Seuses Leben
berichtet. Stattdessen geht es um die Darstellung
eines geistlichen Entwicklungsweges, nach den drei
traditionellen Schritten vom »beginnenden« über den
»fortschreitenden« bis zum »vollendeten« Menschen.
Ziel Seuses ist es, seine eigenen spirituellen Erfahrungen
zu einer Wegweisung für Andere zu machen. Daher
folgen seine biographischen Meldungen nicht ihrem
tatsächlichen Zeitablauf, sondern er setzt sie dort ein,
wo das Dreischrittschema es erfordert, zum Beispiel
beginnt er nicht mit seiner Geburt, sondern mit
seinem Erlebnis der »raschen Umkehr«, über das die
ersten beiden Kapitel berichten. Die Kapitel 2 bis 18
beschreiben den Weg des beginnenden Menschen als
Leidensweg in der Nachfolge des Leidens Christi. Diese
Kapitel zeigen, wie sehr ernst es Seuse damit war. Die
asketischen Übungen, denen er sich unterwarf – nicht
nur deutliche Einschränkung in der Nahrungsaufnahme
oder strenges Stillschweigen, sondern auch Tragen eines
Bußhemdes oder von Bußgürteln, Schlafen auf rohen
Brettern, mit einem Holzklotz unter dem Kopf u.a.m. –,
mögen uns Heutigen bizarr vorkommen, erklären sich
aber daraus, dass er ja über die ohnehin schon strenge
Lebensweise des Klosters hinaus asketisch leben wollte.
Im 19. Kapitel kommt die Wendung zum fortschreitenden
Menschen. Seuse erzählt von einer Vision, in der er in die
wahre Schule des Jünger Jesu Werdens geführt wird und
wo man ihm erklärt: »Die hohe Schule und ihre Kunst,
die man hier lernt, ist ein gänzliches, völliges Lassen
seiner selbst, derart, dass der Mensch so zunichte wird,
wie Gott sich auch gegen ihn erzeige oder durch seine
Geschöpfe sich ihm gegenüber verhalte in Lieb oder Leid;
er soll sich darum bemühen, allzeit gleich zu bleiben in
völliger Preisgabe des Seinen, soweit es menschliche
Schwachheit vermag, nur auf Gottes Lob und Ehre
sehen, so wie der liebe Heiland es seinem himmlischen
Vater gegenüber tat. ... Diese Kunst bedarf gänzlichen,
vollkommenen Aufgebens seiner selbst; je weniger man
hier Geschäftigkeit entfaltet, umso mehr hat man getan
...« Anders gesagt: Der fortschreitende Mensch trägt
keinen Bußgürtel mehr, sondern übt sich in Gelassenheit.
Grund dafür ist die Erkenntnis, dass selbst die härtesten
asketischen Übungen zur Unterwerfung des Leibes
nur eine andere Art der Beschäftigung mit sich selbst
darstellen – in den Worten Seuses: »ein Tun, bei dem der
Mensch hindernd zwischen sein eigenes Selbst und das
lautere Lob Gottes tritt. ... Schaust du eifrig in dich selbst,
so findest du da noch deinen eigenen Willen und erkennst,
dass du mit all deinen äußeren Übungen, die du dir selbst
aus dem Grunde deiner Seele auferlegt hast, dich nicht
Gott gefügt hast.« Aber die rechte Gelassenheit besteht
nicht aus der Fähigkeit, Schmerzen und Einschränkungen
ertragen zu können, also nicht in einer Coolness im
modernen Sinne gegenüber Einflüssen von außen,
sondern gegenüber inneren (Gemüts)Einstellungen.
So muss sich Seuse in seiner Vision trotz seiner
Ernsthaftigkeit und seinem Streben kritisieren lassen:
»Trifft dich ein Leid, so erschrickst du immer wieder; beim
Anblick deiner Widersacher entfärbst du dich; wenn du
dich Gottes Willen unterordnen sollst, so fliehst du; sollst
du offen vortreten, so verbirgst du dich; lobt man dich, so
erfreut dich das; wenn man dich tadelt, macht dich das
traurig.« Wie Seuse dieses Lassen seiner selbst gelernt
hat, beschreibt er in den Kapiteln 20 bis 30, in den vielen
Leiden, die ihn trafen, im Verlassensein von Gott und der
Welt, in der Verfolgung durch Freunde und Feinde – nach
dem Vorbild Hiobs, aber auch nach den Leiderfahrungen,
die er im eigenen Leben machen musste. Am Ende der
Leidensreise, in Kapitel 31, steht die Erkenntnis, dass
es genau diese inneren Leiderfahrungen sind, die den
Christen Christus ähnlich machen und die deshalb das
reinste und höchste Christus- und Gotteslob darstellen.
Gott, laut dem 32. Kapitel, kommt denen entgegen, die
nach Christusähnlichkeit streben und vereinigt sich mit
ihnen: »Ich will sie so innig durchdringen und so liebevoll
umfassen, dass ich sie und sie ich seien, und wir beide
eine einzige Einheit in alle Ewigkeit bleiben werden.«
Diese Gottesvereinigung macht aus dem fortschreitenden
den vollendeten Menschen. Die Schilderung dieses
Gipfelpunktes der geistlichen Entwicklung bewirkt
auch einen Einschnitt im Buch der Lebensbeschreibung
Seuses. Mit Kapitel 33 beginnt ein zweiter Teil, in dem
es um Anleitungen Anderer geht, die ebenfalls diesen
geistlichen Weg beschreiten wollen. Kapitel 33 und 34
sind Elsbeth Stagel gewidmet, als sozusagen konkretem
Beispiel. Die Kapitel 35 bis 49 bieten theoretische und
praktische Belehrungen, wie der beginnende Mensch
fortschreiten soll. Hier ragen besonders Kapitel 35 und
49 hervor, weil im einen 36 Sprüche von Wüstenvätern
und im anderen etwa 100 kurze, klare Regeln vermittelt
werden. In den Kapiteln 50 bis 53 wird Seuse spekulativ: Er
spricht über das, was er selbst von und über Gott erkannt
hat. Höhepunkt ist Kapitel 52, in dem er »vom höchsten
Flug einer im geistlichen Leben erfahrenen vernünftigen
Seele« spricht, nämlich seiner Erfahrungen im Versinken
in Gott. Kapitel 53 beschließt die Lebensbeschreibung:
Aufgehängt am Tod Stagels und ihrem Eingang in die
Seligkeit erklärt Seuse hier, wie er sich die Schau Gottes
und die Vereinigung mit Gott vorstellt, die allen richtig
lebenden und strebenden Christen nach ihrem Sterben
offenstehen.
ie Lebensbeschreibung beweist, dass
Seuse berechtigterweise zusammen
mit Eckhart und Tauler zum so-
genannten mystischen Dreigestirn
zählt. Hier drückt sich Seuses
Persönlichkeit und eigenes Profil am deutlichsten aus.
Bestimmt man Mystik als das unmittelbare Wahrnehmen
des göttlichen Gnadenwirkens in der Seele, also als
unmittelbar erfahrenes Erlebnis der Gemeinschaft eines
Geschöpfes mit Gott und hält man ferner die »eingegossene
Beschauung« für das entscheidende Kennzeichen des
erlebnismäßig mit Gott vereinten Menschen, »so kann
man nicht umhin, in diesem strengeren Sinn Heinrich
Seuse als den einzigen wirklichen Mystiker jener
genannten Dreiheit zu bezeichnen« – So Georg Hofmann
in seiner Ausgabe der deutschen Seusetexte (S. 419). In
diese Richtung geht auch der letzte Rat Seuses an Stagel
und damit an alle seine Leser (Kap. 53): »Nun denn,
Tochter, löse dich vom Geschöpflichen und lass fernerhin
alle Fragen sein. Höre selbst hin, was Gott in dir spricht.«
bgesehen von ihrem Inhalt zeichnen sich
Seuses deutsche Schriften noch durch
eine weitere Besonderheit aus, nämlich
durch ihre Sprachkunst. Seuse ist ein
Sprachkünstler ersten Ranges und als solcher nur mit
Meister Eckhart vergleichbar, den er allerdings überragt
– so beurteilt ihn Kurt Ruh, der bedeutende Sprach- und
Mystikforscher: »Er [Seuse] beherrscht das Narrative wie
das hymnische Pathos, das realistisch Genrehafte wie
die Aufschwünge der Phantasie, das nüchtern Lehrhafte
wie die musikalische Intonation, den abstrakten Denkstil
wie anschauliche Bildfolgen.« (Geschichte, S. 472). Auch
das Latein im Horologium ist leicht verständlich; es
bietet keine ausgefallenen Wörter, sondern kurze, leicht
aufnehmbare Sprechtakte.
enig bekannt ist, dass Seuse den
deutschen Wortschatz wesentlich
bereichert hat. Laut Ruh begegnet man
in den spekulativen Teilen des Büchleins
der ewigen Weisheit und der Lebensbeschreibung
Neuprägungen deutscher Wörter auf Schritt und
Tritt, so z.B. »Grundbefindlichkeit«, »Entfremdung«,
»Entrückung«, »Einfließung«, »Selbstwirklichkeit«,
»Unermesslichkeit«, »spekulieren« und viele andere
mehr.
nsgesamt ist Seuses Stil vor allem von der
Bildsprache bestimmt. Dabei sind seine
Sprachbilder nicht einfach nur gefällige
Illustrationen in ansonsten trockenen
Abhandlungen, auch keine vielfältig ausgefransten
Wortwölkchen, hinter denen er verbergen möchte, dass
er nicht sagen kann, wovon er sprechen will, sondern sie
sind sein methodisch-geplanter Weg, die an sich bildlose
mystische Wahrheit und Weisheit wenigstens bildlich
auszudrücken. Als geistlicher Mensch hat Seuse erkannt,
dass Christusähnlichkeit – Christi Vorbildlichkeit –
das Ziel der Nachfolge Jesu darstellt, weil nur an der
Ausrichtung am Vorbild Christi der Lassensprozeß
von allen Dingen und von sich selbst gelingen kann:
»Ein gelassener Mensch muss dem Geschöpflichen
entbildet, in Christus gebildet, in der Gottheit überbildet
werden.« (Lebensbeschreibung 49). Und so wie Christus
Vorbild des Glaubenden ist, so ist das Sprachbild die
Orientierungshilfe für das Sprechen von Gott. Davon
spricht und lebt Seuses Spiritualität und Verkündigung.
Aber – um das Schlusswort des Büchleins der Wahrheit
zu zitieren – hiermit sei genug gesagt; »denn nicht mit
Fragen, sondern mit rechter Gelassenheit gelangt man
zu dieser verborgenen Wahrheit.«
Wolfram Hoyer OP
zitierte Seuse-Ausgabe:
Heinrich Seuse. Deutsche mystische Schriften. Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen und herausgegeben von Georg Hofmann. Düsseldorf 1966.
verwendete Literatur:
Herbert Backes: Seuse (Suso) Heinrich, in: Lexikon des Mittelalters. Bd. 7. Stuttgart-Weimar 1999, col. 1801-1803.
Walter Lehmann: Heinrich Seuses deutsche Schriften. 1. Bd. Jena 1922, S. XV ff.
Albrecht Rieber: Auf der Suche nach dem Grab Heinrich Seuses, in: Heinrich Seuse. Studien zum 600. Todestag (1366-1966). Hg. v. Ephräm Filthaut. Köln 1966, SA. 457 ff.
Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Bd. 3. München 1996, S. 415-475.
Illustrationen Ewige Weisheit:
Einsiedeln. Stiftsbibliothek, Codex 710 (332), 15. Jh. http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/sbe/0710
Ein besonderes Geschenk im Jubiläumsjahr 2016 war für uns die Einkleidung von
vier jungen Brüdern - so viele wie schon sehr lange nicht mehr: fr. Thaddäus Gabriel
Paucci Cherubini OP, fr. Benedikt Heinrich Grube OP, fr. Tobias Martin Sieberichs
OP und fr. Gabriel Jordan Theis. Diese Brüder haben am Abschluss ihres Noviziats
2017 die Einfache Profess abgelegt. Auch dieses Jahr haben wir mit Frater Justinus
Grebowicz OP einen Mitbruder, der das Noviziat begonnen hat.
Einkleidung
Ausbildungsbereich
Bitte begleiten Sie unsere junge Mitbrüder besonders mit Ihrem Gebet! Vielen Dank!
Außerdem hat sich im Jubiläumsjahr fr. Adam Rokosz OP mit der Feierlichen Profess an unseren Orden gebunden. Hier sehen Sie
einmal ein Foto, auf dem er auch zu sehen ist. Meistens ist er als Foto-Künstler ja der, der hinter der Kamera steht. Mehr zu einer
Ausstellung von ihm in Rom finden Sie auch in diesem Heft.
und Professen
Studentat
Prolog – Ich bin Ausländer
Die Überschrift mag vielleicht ein wenig befremdlich klingen, doch es stimmt: Offiziell bin ich ein
Ausländer! »Ausländerausweis« steht auf der Dokumentenhülle. Darin steht, dass ich bis 31. 07. 2017
ein Ausländer bin. Ein legaler Ausländer sozusagen. Und dann – illegal? Zumindest verbleibe ich noch
ein gutes halbes Jahr in der Schweiz, genauer gesagt in der französischsprachigen Stadt Fribourg. Hier
verbringe ich seit dem August 2016 ein Studienjahr auf der zweisprachigen (dt./frz.) Universität. Ich
bin also ein Ausländer auf europäischem Boden. Es gilt sensibel zu bleiben, vor allem angesichts der
politischen und sozialen Wetterlage!
Fr. Tarcisius Th. Paukovitsch OP
Hauptstück – Meine Liebesbeziehung
Mit der sehr herzlichen Aufnahme durch die Gemeinschaft
des Konvents von St. Hyazinth zur Mitte des letzten Augusts
begann die Kette an freudigen und bereichernden Eindrücken
und Erfahrungen. Das interprovinzielle Studentat (Frankreich,
Schweiz, Kroatien, Österreich) bietet viel Austausch über die
eigenen Provinzgrenzen hinweg. Zudem will ich nicht jene
Mitbrüder vergessen, die ein besonderer Schatz dieses Hauses,
des Ordens und der gelehrten Welt sind. Um eine Namensliste
zu vermeiden, möchte ich stellvertretend den Senior unter
ihnen fr. Adrian Schenker nennen. Neben der natürlichen
Hilfsbereitschaft und lebhaften Freundlichkeit der Mitbrüder
freute ich mich über die Nuancen der französische Kultur:
leichter Wein zu Mittag, schmackhafte Käsesorten, genussvolle
Schokolade und die Melodie der französischen Sprache!
Vom 03.–10. Oktober war ich auf Pilgerfahrt, auf
Rosenkranzwallfahrt nach Lourdes! 22.000 Pilger, darunter
1.300 Kranke, 2.100 Jugendliche und 4.000 Ehrenamtliche,
nahmen an dieser Wallfahrt teil, die durch die französischen
Provinzen Francia und Toulouse in organisatorischer
Meisterleistung durchgeführt wurde. Das Thema der Pilgerreise
griff das Thema des Heiligen Jahres auf: Barmherzigkeit!
Mein »Werk der Barmherzigkeit« bestand im Dienst als
Krankenhausseelsorger. Der Dienst bestand im Vorbereiten und
Durchführen von Tagesimpulsen, Gebeten und Gesprächen in
einem Speisebereich eines Pflegekrankenhauses. Hierzu gab es
zwei verbindliche Arbeitszeiten: einerseits vor Arbeitsbeginn
mit den Ehrenamtlichen jenes Dienstbereiches, andererseits
zur Mittagszeit mit rund 100 Pflegebedürftigen. Momente
der besonderen Berührung waren die persönlichen Gespräche.
Ein Moment der außerordentlichen Verbundenheit war
jene Eucharistiefeier, in deren Rahmen die Krankensalbung
gespendet wurde und alle Regionen teilgenommen hatten.
Der Auftakt des Novembers bildeten vier Studientage mit den OP-
Studenten der Provinzen Francia und Toulouse in La Tourette (für
Architekturinteressierte: Stichwort »Le Corbusier«). Das Thema
war auch hier »Barmherzigkeit«: Barmherzigkeit in der Predigt
(mittels Predigtanalysen), in der Seelsorge (Gefängnisseelsorge,
Prostituiertenseelsorge, Altenseelsorge), in der Gesellschaft
(Caritas Frankreich), in den Religionen (Islam, Buddhismus)…
Hierzu wurden unterschiedlichste Vortragende eingeladen, deren
Vorträgen Gruppenarbeiten und Plenumsdiskussionen folgten.
Mitte November fuhr das Studentat in die Gegend Flüeli-Ranft auf
»Retraite en silence« (»Wüstentage«), wobei wir uns nicht nehmen
ließen, die Geburts- und Wirkungsstätte des hl. Nikolaus von Flüe
zu besuchen. Ein anderer Ausflugstag führte uns nach St. Maurice,
Standort einer 1500-jährigen Zisterzienserabtei und Martyriumsort
des Hl. Mauritius und seiner Gefährten (3. Jh.).
Beginn Dezember gab es eine Rekreation mit fr. Timothy Radcliffe
OP, dem ehemaligen Ordensmeister. Der Grund seiner Anwesenheit
war die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Fribourg.
Sein durch Erfahrung geprägter Vortrag titelte mit »Hoffnung in der
Wüste: Empfangene Lektionen unserer Brüder und Schwestern«.
Ein Novum im Konventsleben, das mit der Adventszeit eingeführt
wurde, ist ein gemeinschaftlicher »Austausch« über das
Sonntagsevangelium. Ausschlaggebend war, dass die Gemeinschaft
gemerkt hatte, dass es keine gemeinschaftliche »Plattform« gibt,
bei der sich Mitbrüder über das Evangelium und ihre »Früchte der
Meditation und Predigt« austauschen können. Doch nicht nur
ein gegenseitiges Bereichern solle stattfinden, sondern auch ein
mitbrüderliches Kennenlernen und eine Stärkung der Gemeinschaft.
Sehr familiär waren die Weihnachts- und Neujahrtage, die
ich in Fribourg verbrachte. »Neujahr« hatte hierbei eine Art
Scheidecharakter, denn nicht nur das Jahr begann neu, sondern
mit Ende des Intersemesters war die Halbzeit des Auslandsjahres
erreicht.
Im Februar hatte mich das Wiener Studentat besucht. Die Freude,
die sie mir damit machten, und die Freude mit dem hiesigen
Studentat gemeinsam zu beten, studieren und Kultur zu erleben,
war famos! Unter anderem wurden unsere kontemplativen
Schwestern (sprich Nonnen) in Estavayer-le-Lac besucht; aber
auch eine akademische Einheit mit dem Schweizer Provinzial fand
sich mit folgendem Titel auf dem Programm: Two worlds of one
theology? A theological approach from (the myth) »French World”
and »German World«.
Nun stehen wir bereits im März und eine besondere Semesterfreude
ist mir das atl. Seminar »Manger la chair, boire le sang. Racines
bibliques du geste eucharistique.« Generell habe ich aus Liebe zum
Wort Gottes in diesem Studienjahr einen biblischen Schwerpunkt
gesetzt und finde mich noch spätnachts – mit Heiliger Schrift,
Schreibutensil und Bettdecke ausgerüstet – über so manche
Bibelpassage meditierend wieder. Eine Liebesbeziehung
besonderer Art.
Epilog – Ich habe Durst
Es reift in mir die Überzeugung, dass dieses Studienjahr nicht in
jenem mir Freude schenkendem Maße fruchtbar gemacht werden
hätte können, wenn ich nicht all das Erfahrene im Lichte meiner
dominikanischen Berufung verstehen und umsetzen würde. Es ist
eine Berufung, die hinaustreibt zu den Menschen das Evangelium
im Dialog zu verkünden und die durch das Studium und das Gebet
erneut unstillbaren »Durst« hervorruft.
Dominikaner im Kampf für die
Menschenrechte
Dominikaner im Kampf für die
Bei einem der am besten gehütetsten Geheimnisse des Ordens handelt es sich nicht etwa um
einen Goldschatz oder sonstige weltliche Reichtümer, sondern um die ordenseigene NGO, die
den wohlklingenden Namen »Dominicans for Justice and Peace« trägt. Sie ist an allen vier UN
Hauptquatieren vertreten und ist sogar ziemlich aktiv. Seit 3 Jahren existiert nun auch ein Team in Wien,
deren Teamleiter ich bin. Unsere Gruppe besteht derzeit aus 3 Mitgliedern, Margot Kainz, Elisabeth
Vondrous und mir. Gegründet wurde das Team in Wien von dem sehr aktiven Generalpromoter für
Frieden und Gerechtigkeit, P. Mike Deeb. Wir kümmern uns, hier in Wien, hauptsächlich um die
Themen Gefängnisseelsorge und Menschenhandel.
MenschenrechteEin Bericht von Tobias Krachler
P. Mike Deeb hatte auch die Idee, im Jubliäumsjahr
des Ordens eine Konferenz zu organisieren, die sich
ausschließlich mit dem Thema Menschenrechten
befassen sollte. Am 1. September ging es nun
zuerst nach Madrid und von dort aus weiter nach
Salamanca. In Salamanca angekommen, stand neben
der Registrierung und dem Bezug der Quartiere eine
gemeinsame Abendmesse, die Eröffnung durch den
Ordensmeister und anschließed das Eröffnungsdinner
auf dem Programm. Der Konvent in Salamanca war
einfach beeindruckend. Die Kirche war wunderschön,
der Kreuzgang herrlich sonnendurchflutet und man
konnte trotz der Konferenz ruhige Orte finden.
Der erste Morgen begann mit einem Schock. Als der
Wecker um 7 Uhr klingelte, war es vor meinem Fenster
noch stockdunkel. Wie ich später erfuhr, war ich nicht
der einzige Mittel- bzw. Osteuropäer, der im Halbschlaf
gegoogelt hatte, ob er tatsächlich in der richtigen
Zeitzone war. Die gemeinsame Laudes schüttelte auch
den letzten Rest an Schlaf aus den müden Gliedern
der Konferenzteilnehmer und wurde an den drei
Haupttagen der Konferenz jeweils in einer anderen
der offiziellen Ordenssprachen Englisch, Französisch
und Spanisch gebetet. Der erste Tag widmete sich im
Besonderen den vergangenen Leistungen, Einflüssen
aber auch Fehltritten der Dominikanerinnen* im
Bereich der Menschenrechte und deren Einsatz für
Frieden und Gerechtigkeit. Der prächtige Kapitelsaal
aus dem 16. Jahrhundert bildete das Zentrum der
Konferenz, weiter diskutierte man in Workshops und
auf bestimmte Themen konzentrierten Gruppen in
anderen Teilen dieses einzigartigen Konvents. Bereits
am ersten Tag kristallisierte sich Kommunikation – bzw.
der Mangel an Kommunikation – als großes Problem der
effektiven Arbeit im weiten Feld der Menschenrechte
heraus. Oft mussten wir feststellen, dass wir bis jetzt
nichts über die Projekte, Aufgaben oder Probleme des
jeweiligen Gesprächspartners wussten. Da die Konferenz
ursprünglich auf vier Tage angelegt war, es am Ende
aber nur drei Tage wurden, war das Programm relativ
straff gestaltet. Den offiziellen Abschluss bildete immer
das gemeinsame Abendessen um 21 Uhr und das konnte
schon durchaus zwei Stunden in Anspruch nehmen.
Danach traf man sich dann noch zu inoffiziellen Treffen
zusammen; man musste schließlich die begrenzte Zeit
nutzen und es konnte leicht 2 Uhr früh sein, bevor man die
Arbeit ruhen ließ, um sich etwas kurzen, aber erholsamen
Schlaf zu gönnen.
Der zweite Tag beschäftigte sich mit der gegenwärtigen
Situation, bestehenden Projekten, Engagements bei
diversen internationalen Organisationen usw., also
quasi einer ordensinternen Inventur im Bereich der
Menschenrechtsarbeit. An der Konferenz nahmen 200
Dominikanerinnern* aus 50 Ländern teil und man konnte,
bei jeder sich bietenden Möglichkeit, interessante
Menschen und deren Arbeit kennenlernen. Geholfen
hat mir dabei auch meine 10-minütige Präsentation
vor versammeltem Plenum, zugegebenermaßen war
ich dabei auch leicht nervös, es sitzt ja nicht alle Tage
der Ordensmeister im Publikum. An diesem Abend
fand auch das erste informelle Treffen des auf der
Konferenz neu gegründeten, europäischen Teams für
Frieden und Gerechtigkeit statt, unter der Leitung des
europäischen Promoters für Frieden und Gerechtigkeit,
P. Xabier Gomez. Danach blieb noch etwas Zeit, die neu
gewonnenen Bekanntschaften bei einem Glas spanischen
Bieres in der Altstadt Salamancas zu vertiefen. Dort
traf man dann auch auf eine Gruppe südamerikanischer
Dominikanerinnen* und man opferte bereitwillig etwas
der kurzen Nachtruhe für angeregte Gespräche und die
gute Stimmung.
Gruppe und nach drei Tagen Konferenz waren wir alle
nur noch begrenzt aufnahmefähig. Anschließend gab
es ein herrliches Mittagessen in einem klimatisierten
Restaurant mit wohltemperiertem spanischen Rotwein
und lustigen Gesprächen. Bevor es wieder Richtung
Salamanca ging, besuchten wir noch die Abtei mitsamt
einer mehr als gründlichen Führung.
Der letzte Abend verlief entspannt, man traf noch
einmal neue Bekannte, tauschte Kontaktdaten aus und
verbrachte den Abend plaudernd.
Es wurde viel Interessantes und Wichtiges bei der
Konferenz besprochen, aber das Beste an der Konferenz
war es, so viele Brüder, Schwestern und Laien
kennenzulernen. Der Orden besitzt eine unglaubliche
Vielfalt an wunderbaren, engagierten, intelligenten und
kreativen Menschen. Alle drei Gruppen leisten weltweit
hervorragende Arbeit, wenn es darum geht, Menschen
in Not zu helfen. Leider vergisst man bei der Promotion
von Frieden und Gerechtigkeit gerne, zu erwähnen, was
alles schon getan wird. Sollte von den hehren Zielen der
Konferenz nichts Anderes übrigbleiben als die verbesserte
Kommunikation, wäre das in Ordnung.
Im Besonderen möchte ich mich bei P. Thomas Gabriel
bedanken, der mir diese Reise ermöglicht hat. Weiter
möchte ich mich bei dem Generalpromoter, P. Mike Deeb,
der diese Konferenz mit so vielen anderen in unzähligen
Stunden organisiert hat, und dem Ordensmeister Bruno
Cadore, der immer greifbar war, für jeden ein offenes Ohr
hatte und sich trotz der unglaublichen Anzahl der Leute,
mit denen er Gespräche führt, sich an unser Treffen in
Wien vorletzten November erinnern konnte, bedanken.
In den dritten und gleichzeitig letzten Tag der offiziellen
Konferenz starte man zwar etwas müde, aber doch froh
über die neugewonnenen Freunde. Der Abschlusstag
widmete sich der Zukunft im Bereich der Menschenrechte,
das Hauptaugenmerk lag diesmal auf der Arbeit in der
Gruppe, die einem zugeteilt wurde. Diese widmeten sich
ganz speziellen Themen. Meine Gruppe beschäftigte sich
mit der Frage: Wie können Dominikanerinnen* einen
größeren Einfluss auf die Vereinten Nationen, regionale
und internationale Institutionen haben. In der Gruppe
waren auch Vertreter des Teams aus New York, Genf und
Nairobi und viele weitere erfahrene Dominikanerinnen*
aus dem Umfeld ebendieser Organisationen. Wir nutzen
die Zeit, um ein Grundsatzdokument über den Umgang
des Ordens mit solchen Organisationen zu verfassen, was
in der gegebenen Zeit doch relativ stressig war, da der uns
vorgelegte Vordruck leider unbrauchbar war.
Ein Final Statement wurde ebenfalls noch um 19:30
präsentiert, fertiggestellt wurde es um 19:25, weswegen
es noch zweisprachig war, wenige Absätzen hatte und
ohne allzu viel Formatierung auskommen musste,
jedoch inhaltlich Hand und Fuß besaß. Den krönenden
Abschluss bildete die gemeinsame dreisprachige Messe,
nach einigen teilweise recht langen Dankesworten
verschiedener Teilnehmer. Damit war das Ende der
Konferenz erreicht. An diesem Abend trafen sich dann
noch die Mitglieder der NGO zu einem Abendessen mit
P. Mike Deeb (einem Vegetarier), was die Suche nach
einem Lokal zusätzlich erschwerte.
Die Konferenz war zwar vorbei, aber willige Teilnehmer
konnten am vierten Tag noch gemeinsam nach Caleruega
fahren und die Abtei Santo Domingo de Silos besuchen.
Die englischsprachige Gruppe hatte an diesem Tag
wirklich kein Glück. In Caleruega dauerte unsere Führung
fast doppelt so lange wie die Führung der spanischen
* Einfachheitshalber verwende ich immer die Form Dominikanerinnen, damit sind sowohl Schwestern, Brüder als auch Laien gemeint. Ansonsten würde es unlesbar werden.
Unsere UNO-Gruppe
mit dem Promotor für Justice & Peace des Gesamtordens P. Mike Deeb und unserem Provinzial
Das Wort Gottes verkünden – ein Interview mit Melanie Delpech
Frau Delpech, beginnen wir mit Ihrer Person, bitte stellen
Sie sich kurz vor.
Melanie Delpech: Seit Januar 2012 bin ich Präsidentin der Dominikanischen
Laiengemeinschaft (DLG) in der süddeutsch-österreichischen Provinz des Predigerordens.
Dies ist meine zweite Amtsperiode. Von Beruf her bin ich Haushälterin bei einem Priester
des Erzbistums Freiburg. Studiert habe ich in England, an der Loughborough Universität,
Soziologie mit Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.
Wie leben Sie als Mitglied der Dominikanischen
Laiengemeinschaft?
Zuerst lebe ich ein Leben als Ordensmitglied außerhalb eines Konventes. Konkret heißt
dies für mich, dass ich am täglichen Chorgebet der Brüder teilnehme und, so gut wie
es geht, auch täglich zur Eucharistie gehe und eine Zeit des kontemplativen Gebets
einhalte.
Diese Gebetszeiten unterstützen das tägliche Apostolat. Das Apostolat beinhaltet
mitunter, eine wöchentlich stattfindende Bibelgruppe zu leiten, im Pastoralteam des
Konvents mitzuarbeiten und an die »Ränder« der Gesellschaft zu gehen: in Alten- und
Pflegeheime.
Das Wort Gottes verkünden Am 21. Januar ging das Jubiläumsjahr des Dominikanerordens mit einem feierlichen
Gottesdienst in der römischen Lateranbasilika zu Ende. Reguläre Mitglieder des
seit 800 Jahren bestehenden Predigerordens sind auch Laien. Über diese Form
des Ordenslebens sprach Norbert Schmeiser, Gymnasiallehrer in Bad Säckingen,
mit Melanie Delpech, der in Freibug ansässigen Präsidentin der Dominikanischen
Laiengemeinschaft in der Provinz des hl. Albert von Süddeutschland und Österreich,
wie dieser Zweig der Dominikanischen Familie genannt wird.
Laien als volle Mitglieder des Predigerordens.
Ist das nicht ungewöhnlich?
Schon als unser Ordensgründer Dominikus zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Südfrankreich predigte, wurde
er von ledigen und verheirateten Frauen und Männern unterstützt. Nach seinem Tod förderten Laien die
Predigerbrüder. Die Laien schlossen sich zusammen unter anderem als »Brüder und Schwestern von der
Buße des heiligen Dominikus«, einem Vorläufer der Dominikanischen Laiengemeinschaften. Anfang des 15.
Jahrhunderts bekamen sie eine eigene Regel. Sie stellen einen Zweig des Predigerordens dar. Im Zuge des
Zweiten Vatikanischen Konzils erfolgte eine Erneuerung. Bis heute entschließen sich Frauen und Männer,
ob verheiratet, geschieden oder ledig, sich in der Nachfolge Christi vom Charisma des Dominikus leiten zu
lassen. Sie kommen aus verschiedenen Generationen, Nationen, Lebensbereichen und Berufsgruppen – von
der Haushälterin bis zum Universitätsprofessor.
Was bedeutet es, Mitglied der Dominikanischen
Laiengemeinschaften zu sein?
Die dominikanischen Laien leben ihren Glauben in ihrem konkreten Umfeld: in Familie, Beruf, Kirche
und Gesellschaft. Dominikanisches Leben fußt auf den vier Säulen Gebet, Studium, Gemeinschaft und
Verkündigung. Wir pflegen ein intensives Gebetsleben, d.h. jeder einzelne betet nach seinen Möglichkeiten
am Morgen, Mittag und Abend das Stundengebet der Kirche und besucht die Eucharistiefeier. Dadurch
werden wir uns auch der Verbundenheit mit der Weltkirche und dem Orden bewusst. Wer in der Nähe eines
dominikanischen Konvents lebt, schließt sich dazu den Brüdern oder Schwestern an.
Was heißt »Studium« in dem Zusammenhang?
Wird ein akademisches Studium vorausgesetzt?
Nein, vielmehr die Bereitschaft zu stetiger Weiterbildung im Glauben: dazu zählt sowohl die Theologie – vor
allem im dominikanischen Geist – als auch die Entwicklung der Gesellschaft, deren Teil wir Christen sind und
auf die wir reagieren müssen. Das Studium vollzieht sich sowohl in der Lektüre jedes Einzelnen als auch bei
unseren Treffen in den Einzelgruppen und auf Provinzebene.
Was geschieht bei den Zusammenkünften?
Wir beten das Stundengebet und feiern gemeinsam Gottesdienst, lesen in der Bibel und hören Vorträge zu
aktuellen geistlichen, theologischen und für die Gesellschaft bedeutsamen Themen. Anschließend sprechen wir
darüber und sitzen gesellig zusammen. Gebet, Gemeinschaft und Studium bereiten uns für die Verkündigung
vor – die eigentliche Sendung des Dominikanerordens. Denn Dominikus gründete den Predigerorden vor 800
Jahren als Antwort auf die große Sinn- und Glaubenskrise vieler Zeitgenossen.
Was verstehen Sie unter Verkündigung? Sie sind doch Laien. In der Messe
ist die Auslegung der Schrift Priestern und Diakonen vorbehalten…
Predigt umfasst für den Orden schon immer jegliche Verkündigung des Glaubens: durch das Wort des Vortrags
und des Gespräches sowie durch das Beispiel gelebter Nächstenliebe und Armut. So bringt jeder Laie in den
unterschiedlichsten gesellschaftlichen Situationen, im Alltag, am Arbeitsplatz genauso wie in der Freizeit und
in gesellschaftlichen Verpflichtungen das Wort Gottes zu Gehör. In der Vergangenheit gab es verschiedene
Arten, wie Laiendominikaner diese Aufgabe wahrgenommen haben.
Können Sie Beispiele namhafter Persönlichkeiten dafür nennen?
Aldo Moro (geboren 1916), der 1978 von den Roten Brigaden ermordet wurde, setzte sich als italienischer
Politiker dafür ein, dass alle Italiener vom wirtschafltichen Aufschwung profitieren; Pier Frassati (1901-1925)
unterstützte die Armen seiner Heimatstadt Turin, er wurde selig gesprochen und war mehrfach Patron der
Weltjugendtage. Die norwegische Literaturnobelpreisträgerin Sigrid Undset (1882-1949) schrieb in ihren
Romanen über die Kraft der Liebe und des Glaubens. Die Mehrheit von uns sind ganz normale Christen, so auch
bei uns in der Gruppe in Freiburg.
Wie ist die Situation der Dominikanischen Gemeinschaft
im Erzbistum Freiburg?
Unsere Mitglieder sind auf verschiedene Art und Weise in der Verkündigung tätig, manche ehrenamtlich in
einer Pfarrgemeinde, andere hauptberuflich etwa als Gemeindereferent oder Religionslehrer und alle in ihrem
Alltagsleben. Wir haben zehn Mitglieder aus dem ganzen Erzbistum von Heidelberg bis Waldshut. Unser Ort der
»Sammlung« ist die Gemeinschaft der Dominikaner St. Martin in Freiburg. Wir haben uns nach dem zweiten
Ordensmeister »Jordan von Sachsen« benannt.
Wie wächst man in eine solche Gemeinschaft hinein?
Nach einem Hineinschnuppern in die Gruppe, was jederzeit möglich ist, steht eine Phase des gegenseitigen Kennenlernens.
Die Einführungszeit von einem Jahr wird individuell nach den Voraussetzungen des Bewerbers gestaltet. Darin stehen
wichtige Gestalten der dominikanischen Familie wie Dominikus, Thomas von Aquin und Katharina von Siena auf dem
Programm. Zudem wird das Gebetsleben vertieft, indem der Kandidat das Stundengebet, die geistliche Schriftlesung und
Meditation einübt. Er nimmt an den Treffen der Gruppe teil und wird sich seiner Verkündigungsaufgaben bewusst. Nach
einem Jahr legt er ein einjähriges Versprechen ab, dann kann er eines für 3 Jahre ablegen und danach auf Lebenszeit.
Was versprechen die Mitglieder der Laiengemeinschaft?
Sie verpflichten sich, ihr Leben als Christen im Geist des hl. Dominikus zu führen und es nach der Regel für Laien
auszurichten. Durch dieses Versprechen werden sie dem Predigerorden eingegliedert und Mitglied einer
internationalen Ordensfamilie. Es ist also ein Zeichen für die eigenständige und vollwertige Mitgliedschaft im
Dominikanerorden.
Welche Beziehung haben die Laiendominikaner als Teil des Ordens zu den
Brüdern und Schwestern in den Klöstern?
Die Laiengruppen stehen in enger Beziehung zu Klöstern von Dominikanerinnen oder Dominikanern. Eine Schwester
oder ein Bruder begleiten sie geistlich und theologisch. Außerdem ist auf der Provinzebene ein Dominikaner für uns
bestellt, der Provinzpromotor genannt wird.
Wer leitet die Dominikanischen Laiengemeinschaften?
Der Provinzrat der Laien und das von ihm gewählten Präsidium leitet die Geschicke der Gemeinschaften in der Provinz;
er fördert und koordiniert die einzelnen Gruppen; er vertritt alle in den Orden aufgenommenen Mitglieder; er ist
Ansprechpartner des Ordensmeisters. Er stellt Anträge an das Generalkapitel bzw. das Provinzkapitel des Ordens. Er
entsendet außerdem Delegierte zu den europäischen und internationalen Treffen der Dominikanischen Laien. Der
Provinzrat wird vom Provinzkapitel gewählt, das aus Delegierten der Gruppen und Einzelmitgliedern besteht.
Welche Aufgaben haben Sie als Präsidentin?
Die Aufgaben sind sehr vielfältig. Ich berufe die Sitzungen des Provinzrats und Präsidiums ein, leite sie und führe die
Beschlüsse aus, pflege die Kontakte mit den Gruppenleitern, kümmere mich um das Leben in den Gemeinschaften und
wache darüber, dass die Ämter beizeiten besetzt und Wahlen durchgeführt werden. Im Rahmen von Gottesdiensten
nehme ich in manchen Fällen Kandidaten in das Einführungsjahr auf und die Versprechen bzw. deren Erneuerung
entgegen. Noch dazu vertrete ich die Gruppen nach außen und lege am Ende meiner Amtszeit Rechenschaft über
meine Amtsführung ab.
Was muss jemand mitbringen,
der sich für eine Mitgliedschaft
interessiert?
Jeder katholische Christ kann in eine Dominikanische
Laiengemeinschaft aufgenommen werden, wenn er nach
ihrer Regel leben will. Darin heißt es: »Jedes Mitglied des
Dominikanerordens muss fähig sein, das Wort Gottes zu
verkünden«. Neben Interesse an geistlichem Leben und
der geistigen Auseinandersetzung mit dem Glauben und
unserer Zeit sollte die Bereitschaft vorhanden sein, sich
realistisch und aktiv neben Beruf und Familie in eine
Gruppe vor Ort einzubringen.
Erschienen am 26. Februar im Konradsblatt,
der Wochenzeitung für das Erzbistum Freiburg.
Wir danken dem Konradsblatt für die Genehmigung des
Abdrucks.
Wenn Sie nähere Informationen zu den Dominikanischen
Laien wünschen oder nach einer Gruppe in Ihrer Nähe
suchen, finden Sie diese unter:
http://dominikanische-laien.de
Merkmale eines Menschen, der sich in Wahrheit
gelassen hat
Darauf wandte sich der Jünger wieder
… zur ewigen Wahrheit und bat um
Belehrung über die äußeren Merkmale im
Verhalten eines Menschen, der sich der
Wahrheit (Gott) überlassen habe, und fragte so: Ewige Wahrheit, wie
verhält sich ein solcher Mensch einem jeglichen Ding gegenüber?
Antwort: Er entsinkt sich selbst und alles mit ihm.
Frage: Wie verhält er sich zu der Zeit?
Antwort: Er lebt im gegenwärtigen Augenblick ohne selbstsüchtigen
Vorsatz und nimmt sein Höchstes wahr, sei es im Gewöhnlichen oder im
Erhabenen.
Frage: Paulus sagt, für den Gerechten gebe es kein Gesetz (1 Tim 1,9).
Antwort: Ein gerechter Mensch, so wie er geworden ist, verhält sich
unterwürfiger als andere Menschen; er begreift nämlich aus seinem
innersten Grunde, was nach außen hin jedem ziemt, und fasst alle Dinge
so auf; dass er keinem Gesetz unterworfen ist, kommt daher, dass er aus
Gelassenheit vollbringt, was die Allgemeinheit unter Druck tut. …
Frage: Bleibt ein solcher Mensch allzeit untätig, oder womit
beschäftigt er sich?
Antwort: Eines wirklich gelassenen Menschen Tun ist sein Lassen, sein
Werk, sein Müßigbleiben; denn in seiner Tätigkeit bewahrt er die Ruhe
und während seines Wirkens seine Muße.
Frage: Wie verhält er sich gegen seinen Nächsten?
Antwort: Er übt Gemeinschaft mit den Leuten, ohne ihr Bild in sich zu
prägen, erweist Liebe, ohne an ihnen zu hängen, und Mitleiden, ohne
sich zu sorgen in rechter Freiheit.
»Lukas aus der Asche«
»Lukas aus der Asche« Sieben Jahre arbeitete das 3D-Labor der Technischen
Hochschule Deggendorf in einem Forschungsprojekt unter
Leitung des Bildhauers und Professors für 3D-Animation Prof.
Dr. Joerg Maxzin an der Ergänzung der Lukas-Statue aus unserer
Münchner Theatinerkirche.
Der II. Weltkrieg hatte die frühbarocke Figur von Balthasar
Ableithner (+ 1705) wie die gesamte Kirche schwer beschädigt.
Dabei wurde auch die Skulptur zu einem Drittel verbrannt,
schien unrettbar verloren und lagerte lange Zeit in einem
Depot.
Dem Forschungsteam gelang es, die fehlenden Teile nach
historischen Fotografien mit modernen 3D-Techniken bis ins
Detail virtuell nachzubilden, real in Holz wiederherzustellen
und an die Originalskulptur anzufügen. Zu danken ist auch
allen Organisationen und Spendern, die diese aufwendige
Restaurierung ermöglicht haben.
Dazu erschienen ist auch im Kunstverlag
Josef Fink ein Band, der diese
beeindruckende restauratorische
Leistung dokumentiert hat.
Die »Pietà« von Donatus LeicherDas künstlerische Werk des Bildhauers und Dominikaner-Paters Donatus
Leicher (1921-2016), von 1957 bis zu seinem Tode im Freiburger Konvent
wirkend, entstand weitgehend autodidaktisch. Es entsprang aus einem
Können heraus, das sich der gelernte Geselle des Malerhandwerks und
spätere Priester durch »Selbstunterricht« angeeignet hatte. Donatus
Leicher, der auch malte, vertiefte sein Grundkönnen späterhin – in
den Jahren 1968 bis 1983 – durch regelmäßige Weiterbildung an der
Sommerakademie in Salzburg.
Er arbeitete figurativ, war aber kein Bildhauer eines klassischen
Realismus. Dass er in einer Zeit wirkte, in der die Künstler freier mit
der Weltdarstellung umzugehen wussten – bis hin zur Abstraktion,
ist seinen Skulpturen anzusehen. Er war auch kein Kirchen-Künstler
mit Aufträgen zur Ausgestaltung neuer oder restaurierter Kirchen.
Ein einziges Mal hatte er in seinem langen Leben den Auftrag eines
Ordens, ein Kruzifix für die Klosterkirche zu schaffen. Nach zwei Jahren
hat man sein Kreuz abgehängt und auf den Kirchenspeicher gelegt, es
war wohl zu modern oder der Künstler nicht prominent genug. Donatus
Leicher kaufte seine Kreuz-Skulptur in – wie er sagt – »schwierigen
Verhandlungen« zurück.
In seinem Werk schöpft er sehr wohl aus Themen der Verkündigung,
aber dies nicht allein. Der Mensch in seinen Nöten hat ihn vielfach
zu Skulpturen angeregt. Leicher war im Zweiten Weltkrieg von 1941
bis 1945 Soldat. Erst 1947 kam er aus französischer Gefangenschaft
zurück. Aus diesen Erfahrungen heraus suchte er nach Formeln, das
Schreckliche, das den Menschen im Krieg angetan wurde, unmittelbar
darzustellen.
Als Leicher im Jahre 1988 seine Pietà schuf, zeigte er uns eine oft
gestaltete Szene zwischen Mutter und Kind, die uns aus Kunst und
Kirchenkunst geläufig ist: Maria mit dem Leichnam Jesu auf dem Schoß.
Es ist ein Paulowia-Baumstamm, aus dem Leicher dieses Kunstwerk
schöpft. Aber er sieht in dem Werk nicht nur das Leid der Mutter Jesu.
Für den Künstler ist es zugleich Erinnerung an die leidenden Menschen
des 2. Weltkriegs, vor allem an das Leiden aller Mütter, die ihre Söhne
im Krieg verloren hatten. Ein Schicksal, das ihn nie losließ und das ihn
schließlich zu dieser Skulptur geführt hat.
Die »Pietà« von Donatus Leicher Länger als drei Jahre besaß er schon diesen Baumstamm.
Immer wieder fragte er sich: »Was tun mit diesem Holz?«
Der Baumstamm schwieg, ließ ihn lange nicht wissen,
dass er das Pietà-Thema in sich birgt. Schließlich klärte
sich der Gestaltungswille des Bildhauers dahin, wie
Mutter und Sohn in dem verfügbaren Raum des aufrecht
stehenden Stamms unterzubringen seien.
Die Lösung, die er fand, ist so ganz anders, als wir sie mit
diesem Motiv oft gesehen haben. Der Leichnam Christi
liegt nicht quer auf den Oberschenkeln Marias. Die
Darstellung von Mutter und Kind dehnt sich nicht in die
Breite. Wie wäre das auch möglich in einem Baumstamm.
Und sie ist von hohem Abstraktionspotential, weil das
Gestaltungsmaterial diese Lösung am ehesten zulässt.
Solche Wege darf zeitgenössische Kunst gehen: nicht
die Gestaltungsidee, die der Künstler hat, schickt diesen
auf die Suche nach dem passenden Material, sondern
das Material, hier der Paulowia-Baumstamm, zwingt
den Künstler zu einer neuartigen Gestaltung. Die Mutter
hält den toten Sohn nicht nur auf dem Schoß, sie drückt
ihn zugleich an ihr Herz. Der geringe Platz, den der
Baumstamm für die beiden Gestalten im Nebeneinander
zur Verfügung hat, schmiedet Tod und Leben ganz eng
zusammen. Eine wunderbare bildhauerische Metapher
für die Liebe zwischen Mutter und Kind. »Die Mutter«,
sagt Leicher in einem Interview, »hält ihren toten Sohn,
der über sie hinausragt, als lebe er noch«.
Leichers »Pietà« war das bedeutendste Werk in der
Ausstellung »Predigen mit Kunst«, in der das Kölner
Dominikanerkloster Heilig Kreuz im dominikanischen
Jubiläumsjahr 2016 neben Werken von Leicher auch noch
Arbeiten der Künstler-Patres Gerold Bongard (1913-1992)
und Lucas von Knackfuß (1855-1945) gezeigt hat. Unter
dem Titel »Kunst im Kloster« machen die Kölner Patres
seit anderthalb Jahrzehnten ihre Kirchenbesucher mit
moderner und zeitgenössischer Kunst vertraut. Der Autor des Artikels und Initiator der Ausstellung
Walter Vitt mit dem Kölner Prior P. David Kammler OP
Die Schau »Predigen mit Kunst« ist längst abgebaut,
aber eine andere Skulptur von Donatus Leicher ist in
Köln geblieben. Im linken Seitenschiff steht jetzt als
Dauerleihgabe sein Werk »Der Geschundene« von
1989, ebenfalls aus einem Paulowia-Baumstamm
herausgearbeitet. Wieder orientiert sich der Künstler an
einem alten Thema der Kirchenkunst (der »Ecce Homo«-
Darstellung des dornengekrönten Christus – »Sehet –
welch ein Mensch!«), aber gemeint sind bei ihm in erster
Linie die im Krieg geschundenen Soldaten. Sie haben
– unschuldig wie Christus – dessen Leiden ebenfalls
erlebt, wenn auch auf andere Weise. Auch hier dauerte
es seine Zeit, ehe Leicher den im Holz verborgenen
»Geschundenen« entdeckte und die Figur aus dem Stamm
herausholte. Mit diesem künstlerischen Tun habe er
endlich die abgemagerten und ausgemergelten Gestalten
seiner Mitkriegsgefangenen aus seiner Erinnerung
loswerden können.
Leicher hat weder die Ausstellung erlebt noch den Einzug
seines »Geschundenen« ins Kirchenschiff von Heilig Kreuz
zu Köln. Beim Besuch des Kurators in Freiburg im November
2015 zeigte sich der 94jährige sehr bewegt darüber,
dass Teile seines Lebenswerk jetzt öffentlich zu sehen
sein werden und war sich sicher, dass er zur Vernissage
nach Köln reist. Dieser Wunsch wurde ihm nicht erfüllt.
Donatus Leicher stürzte kurz vor Weihnachten 2015 und
erholte sich von diesem Sturz nicht mehr. Er starb am
2. Januar 2016 in Freiburg.
Walter Vitt, Köln
© N
achl
ass d
es Kü
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rs
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Herzlichen Dank an alle Autoren und besonders an Herrn Norbert Aubrunner für die Fertigung des Layout.
Einen ganz besonderen Dank an fr. Adam und alle Personen, die mit ihren Fotografien zum Gelingen dieser Ausgabe beigetragen haben.
Für den Inhalt verantwortlich: P. Thomas G. Brogl OP
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