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Hofgang im Handstand

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Uwe Woitzig

HOFGANG IM HANDSTAND

Mein Weg in die Freiheit

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Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifi zierte Papier

EOS liefert Salzer, St. Pölten.

Integral VerlagIntegral ist ein Verlag der Verlagsgruppe Random House GmbH.

ISBN 978-3-7787-9224-7

Erste Aufl age 2011Copyright © 2011 by Integral Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbHAlle Rechte sind vorbehalten. Printed in Germany.

Einbandgestaltung: Guter Punkt, München Gesetzt aus der Minion Pro von EDV-Fotosatz Huber/

Verlagsservice G. Pfeifer, GermeringDruck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

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INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Vom Staatsempfang zum Hofgang – Wie man damit umgeht, wenn das Ego in einem See versenkt wird . . . . . . . 15

Ground Zero – Wie man sich fühlt, wenn man am Grund eines Sees sitzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Reanimation – Wie man anfängt, das Leben in der Egolosigkeit zu verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

Bewusstheit – Wie man begreift , dass man nur ohne Ego grundlose Freude empfi nden kann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

Knöpfe drücken – Wie man lernt, von der Schachfi gurzum Spieler zu werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

Schuld und Karma – Wie man erkennt, dass alles dem Gesetz von Ursache und Wirkung unterliegt . . . . . . . . . . . . 177

Die andere Seite des Knastes – Wie man seine Situation durch Rebellion akzeptiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Die Lebendigkeit der Monotonie – Wie man entdeckt, wie vielfältig ein Mikrokosmos sein kann . . . . . . . . . . . . . . . 209

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Hofgang im Handstand – Wie man Mauern transzendiert,indem man sich auf den Kopf stellt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

Das Leben ist schön – Wie man in der Auster die Perle fi ndet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

Recht und Gerechtigkeit – Wie man aufh ört, zu werten und zu urteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

Knastkarrieren – Wie man scheinbar keine Chance hat und sie doch nutzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Lockerungen – Wie man seine wiedergefundene Freiheiterlebt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

Resozialisierung – Wie man zum Tänzer jenseits der Normen der Gesellschaft wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

Liebe ist eine Blume der Freiheit – Wie man die Sonne in sein Herz lässt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

Die Tür öff net sich … – Wie man lächelnd zu neuen Ufern aufb richt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

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VORWORT

Das Leben hält für jeden von uns eine Reihe von Schicksalsschlä-gen bereit. Dieses Buch will zeigen, wie man Schicksalsschläge als Chance nutzen kann, als eine Chance, das freie fröhliche Kind, das in uns allen ist, wieder zum Leben zu erwecken.

Zwei elementare Katastrophen sind es, die den Menschen seit jeher schicksalhaft heimgesucht haben: Krankheit und Krieg. Beide haben den Menschen immer wieder dazu veranlasst, not-wendige Fragen zu stellen, nach dem Lebenssinn, nach der Be-deutung der Freiheit, nach dem, »was die Welt im Innersten zu-sammenhält«.

Es gibt noch eine dritte elementare Katastrophe: das Gefäng-nis.

»Ein Leben ohne Knast ist wie ein Schiff ohne Mast«, las ich mal auf einer Zellenwand. Das ist eine tiefsinnige Heiterkeit. Ein Schiff ohne Mast kann keine Segel hochziehen und liegt deshalb im Hafen fest. Erst der Mast erlaubt den Aufb ruch in die Weiten des Ozeans.

Ins Gefängnis zu kommen ist wie ein kleiner Tod. Der Inhaf-tierte wird jäh aus seiner gewohnten Umgebung gerissen, sämt-liche sozialen Bindungen werden gekappt, die regelmäßige Kom-munikation mit seinen Bezugspersonen auf ein Minimum redu-ziert und überwacht. Er darf nur eine Stunde pro Monat Besuch haben und nur gelegentlich unter Aufsicht telefonieren. Er hat keinen Zugang zum Internet und seine Post wird gelesen, sodass ein Brief innerhalb Deutschlands wegen der überlasteten Post-

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kontrolle bis zu drei Wochen unterwegs sein kann. Der Gefange-ne wird in eine ungefähr acht Quadratmeter große Zelle gesperrt. Wenn er Glück hat und das Gefängnis nicht hoff nungslos über-füllt ist, bekommt er eine Einzelzelle. Ansonsten muss er die acht Quadratmeter mit einem ihm wildfremden Menschen teilen, der vielleicht rülpst, furzt, laut halluziniert (weil er auf Drogenentzug ist) oder sonstige üble Eigenschaft en besitzt. Das gesamte Privat-leben des Gefangenen wird auf diese winzige Fläche reduziert, sein gewohnter Lebensrhythmus zerstört. Er muss sich einem ri-giden Tagesablauf anpassen, der mit dem Wecken um sechs Uhr beginnt, damit die dreiundzwanzig Stunden, die ein Untersu-chungshäft ling in seiner Zelle eingesperrt ist, auch ja voll ausge-kostet werden. Jede seiner Bewegungen außerhalb dieses Raumes wird kontrolliert und gesteuert, er darf im wahrsten Sinne des Wortes keinen eigenen Schritt mehr machen, ohne dass ihn ein Beamter begleitet und überwacht.

Doch kann man diese Gefängnissituation nicht in gewisser Weise auch im Alltag des Durchschnittsmenschen wiederfi nden?

Der Knast ist ein exaktes Spiegelbild der Gesellschaft , alle Schichten sind vertreten. Wie in der sogenannten Freiheit gibt es da wenig Berührungen der Schichten untereinander. Schon bald hat jeder seinen »Kreis« von Männern   gefunden, in die nur »passende« Neuzugänge aufgenommen werden. Betrüger, Steu-erhinterzieher und sonstige »white collar criminals« spielen in einer ganz anderen Liga als Dealer, Zuhälter und Bankräuber. Es gibt aber durchaus »Grenzüberschreitungen«. Letztendlich zählt nur die Persönlichkeit. Ist jemand authentisch, hat er nie ein Pro-blem. Wichtig ist, dass man sich gegenseitig respektiert und je-den sein Ding machen lässt.

Da ich nie was mit Drogen zu tun hatte, geriet ich auch nie in den Strudel der Abhängigkeiten, Unterdrückungen und Gewalt, den es zweifellos gibt. Aber den gibt es in jeder Drogenszene, draußen auch, mit der ich ebenfalls nie etwas zu tun hatte.

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In Haft war ich zweieinhalb Jahre, weil ich als einer der wenigen in Bayern die sogenannte Halbstrafe bekommen habe, unter ande-rem wegen der »Schadenswiedergutmachung«. Davon sechszehn Monate im off enen Vollzug und Freigang. Also eff ektiv eingesperrt hinter Mauern war ich die vierzehn Monate bis zur Verhandlung.

Wir leben in einer Zeit der untergehenden Egomanen und zu-sammenbrechenden Strukturen. Erdbeben, Tsunamis und sonsti-ge Umweltkatastrophen gehören inzwischen zum medialen All-tag und nach dem Zusammenbruch des Kommunismus steht jetzt auch der Kapitalismus vor dem Kollaps. Die Lebensentwürfe aller sind betroff en und müssen täglich überprüft und den sich verändernden Lebensumständen angepasst werden. Nix ist mehr fi x, die einzige Sicherheit ist die Unsicherheit.

In Afrika werden gerade reihenweise Diktatoren gestürzt, er-mordet oder verhaft et und ins Gefängnis geworfen. Ob zu Recht sei dahingestellt, auf jeden Fall sind es unglaubliche Abstürze, die diese machtgewohnten Männer erleben, die teilweise jahr-zehntelang ihr Land beherrschten und deren Wille Befehl war.

Aus eigener Erfahrung weiß ich genau, was in einem Menschen vorgeht, wenn er von der einen Sekunde zur anderen alles ver-liert, was er sich materiell und geistig angeeignet und aufgebaut hat. Wenn sein Lebenskonstrukt zusammenbricht und er sämtli-che Prägungen, Ideale und Ziele seines Lebens plötzlich infrage stellen muss und er verzweifelt, ratlos und verwirrt wie einst So-krates erkennen muss, dass er jetzt weiß, dass er nichts weiß.

Eine Verhaft ung ist ein massiver Eingriff in das Leben aller da-durch Betroff enen, deren gewohntes Leben völlig auf den Kopf gestellt wird. Aber sie ist auch eine Riesenchance, wenn man es im Sinne des freudschen Über-Ichs versteht, das sich selbst be-straft , um ein schuldhaft es Verhalten zu kompensieren und wie-der eine ausgeglichene Lebensbilanz zu haben. Und um sich eine Chance für einen radikalen Kurswechsel zu schaff en.

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Ich habe dieses Buch aus der Sicht eines Mannes geschrieben, der vorher jahrelang nur auf der Sonnenseite des Lebens zwi-schen den Schönen, Mächtigen und Reichen dieser Welt unter-wegs war und der eines Tages im Knast landete. Mein Anliegen war es, zu beschreiben, wie ich zu verkraft en lernte, dass mir mein aufgeblasenes Ego und mein Leben in der Talmi-Welt des internationalen Jetsets um die Ohren gefl ogen war, und wie ich ähnlich wie der Graf von Monte Christo schließlich die unge-ahnte große Chance ergriff en habe, die ein Leben im Knast bie-tet: meinen persönlichen »Schatz«, meinen Weg zur inneren Freiheit zu fi nden.

Unter einer Regierung, die jemanden ungerechterweise ein-kerkert, kann der wahre Ort für einen aufrechten Mann auch ein Gefängnis sein, sagte Henry D. Th oreau, ein amerikanischer Phi-losoph und Mystiker des 19. Jahrhunderts. Das kann auch für jemanden gelten, der berechtigterweise hinter Gittern sitzt.

Im Internet habe ich folgenden humoristischen Vergleich von Büroarbeit und Gefängnis gefunden: 1. Gefängnis: Du verbringst die meiste Zeit in einer zwei mal

vier Meter großen Zelle. Büro: Du verbringst die meiste Zeit an einem Platz von zwei

mal zwei Meter.2. Gefängnis: Du bekommst drei Mahlzeiten umsonst pro Tag. Büro: Du bekommst nur eine kurze Pause für eine einzige

Mahlzeit und musst auch noch für sie bezahlen.3. Gefängnis: Bei gutem Betragen bekommst du Urlaub. Büro: Für gutes Betragen wirst du mit mehr Arbeit bestraft .4. Gefängnis: Der Wächter schließt und öff net alle Türen für

dich. Büro: Du musst eine ID tragen und alle Türen selbst öff nen.5. Gefängnis: Du kannst fernsehen und Spiele spielen. Büro: Du wirst sofort gekündigt, wenn du fernsiehst oder

Spiele spielst.

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6. Gefängnis: Du hast eine eigene Toilette. Büro: Du musst die Toilette mit vielen teilen. 7. Gefängnis: Freunde und Verwandte dürfen dich besuchen. Büro: Du darfst nicht einmal mit deiner Familie reden.8. Gefängnis: Es ist alles durch Steuergelder bezahlt und du

brauchst nicht einmal für Unterkunft und Essen zu arbei-ten.

Büro: Du musst für die Spesen selbst aufk ommen und dann zieht man dir vom Lohn noch Steuern ab, mit denen man für die Gefangenen aufk ommt.

9. Gefängnis: Dort hast du Wachpersonal. Büro: Hier nennt man sie »Manager«.

Die große Frage ist, wie gehe ich mit dieser Situation um, und wie schaff e ich es, meine Freiheit zu erlangen und zu erhalten? Die Antwort lautet: durch eine Veränderung der Sichtweise. Der gesamte Sinn eines Ereignisablaufs hängt von dem Erklärungs-prinzip ab, das ihm der Beobachter sozusagen überstülpt.

Eine Laborratte erklärt einer anderen Ratte das Verhalten des Versuchsleiters:

»Ich habe diesen Mann so trainiert, dass er mir jedes Mal Fut-ter gibt, wenn ich diesen kleinen Hebel drücke.«

Dasselbe Ereignis hat für die Ratte eine vollkommen andere Gesetzmäßigkeit und Kausalität als für den Versuchsleiter. Ge-nauso sollte ein Mensch denken, der sich in seinem virtuellen oder echten Gefängnis befi ndet und keinen Ausweg mehr sieht. Ein real Inhaft ierter könnte sich bewusst machen, dass der Knast nicht die Gesellschaft vor ihm, sondern ihn vor der Gesellschaft schützt.

Schwieriger ist es bei denen, die unbewusst im Hamsterrad und in ihren selbst erzeugten Abhängigkeiten leben. Sie sehen keine Notwendigkeit, etwas zu verändern, solange der Kühl-schrank voll ist, das Auto aufgetankt und der Fernseher fl im-

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mert. Die ab und zu auft retende Unzufriedenheit mit dem eige-nen Leben wird durch die Anschaff ung eines neuen Spielzeugs kompensiert, und damit herrscht wieder trügerische Ruhe, weil der bekannte Trott weitergeht. Bis das Schicksal sich meldet und die ganze liebgewonnene Ordnung über den Haufen wirft . Ir-gendwann passiert es.

Das Leben ist kein Wunschkonzert und kein Freizeitpark. Es ist nicht starr, sondern fl ießend. »Alles ist im Fluss«, sagt der griechische Philosoph Heraklit. Unsere sogenannte Wirklichkeit verändert sich, unentwegt, sie bleibt niemals die gleiche, nicht eine Stunde lang. Sie ist lediglich das Ergebnis unserer individu-ellen Prägung durch Umwelt und Erziehung, die in der Regel auf einer diktatorischen Moral beruht.

Der Glaube, dass es nur eine Wirklichkeit gibt, ist eine gefähr-liche Selbsttäuschung. Vielmehr gibt es zahllose Wirklichkeits-auff assungen, die sehr widersprüchlich sein können, die alle das Ergebnis von subjektiver Einschätzung sind und nicht der Wi-derschein ewiger, objektiver Wahrheiten.

Wir alle, in unserem virtuellen wie im realen Gefängnis, erle-ben unsere eigene Wirklichkeit und entwickeln unsere eigenen Methoden, mit der ständigen Fremdbestimmung umzugehen. Die einfacher Gestrickten arrangieren sich durch kleine Witz-chen und ständigem unterwürfi gem Lächeln mit ihren Vorge-setzten oder den sie bewachenden Beamten. Die Klugen sehen in den Managern die Leute, die ihnen Verantwortung abnehmen und ihnen zu ihrem Lohn verhelfen, ebenso wie sie im Knast die »Wachtl«, wie sie karikierend despektierlich im bayrischen Jar-gon heißen, als ihr Servicepersonal ansehen und distanziert, aber höfl ich mit ihnen umgehen. Die Weisen aber sehen sowohl die Vorgesetzten als auch die Justizbeamten als bloße »Werkzeu-ge des Schicksals«. Sie sind Knopfdrücker, dazu da, um den vir-tuellen oder realen Gefangenen an seinen empfi ndlichsten Stel-len zu treff en und sein Ego zu dämpfen und zu zertrümmern.

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Auf der physischen Ebene gibt es im üblichen, durchschnitt-lichen Alltag wie im Knast als Umwelt nur einen eintönigen Ta-gesablauf, wobei es in letzterem noch weitere Einschränkungen des Lebens durch routiniert agierendes Wachpersonal, Gitter und weiße Mauern gibt. Tabula rasa, wenn man so will. Dies führt zu einer Orientierungslosigkeit, die manche mit der Zeit resignieren lässt. Sie werden zu Knastleichen, die wie Zombies herumschleichen, sehr leise sprechen, gespenstisch bleich sind und nie an die frische Luft gehen.

Einige fangen an, ununterbrochen ihren Körper zu beobach-ten. Sie empfi nden schon den kleinsten Pickel als lebensgefährli-che Bedrohung und gehen pausenlos mit irgendwelchen Be-schwerden zum Gefängnisarzt, der ihr wichtigster und einziger Vertrauter ist. Nicht wenige bringen sich in ihrer Zelle um. Die Selbstmordrate im Knast wird verschwiegen, aber sie ist nicht unerheblich. Andere fangen an, ihre Körper zu trainieren und alle möglichen Sportarten zu treiben, um ihr angeschlagenes Ego mithilfe ihres befriedigten Narzissmus wieder zu stabilisieren. Wieder andere beschaff en sich Drogen und fl iehen vor der Rea-lität mithilfe von Rauschmitteln aller Art.

All diese Verhaltensstrukturen lassen sich eins zu eins auf das Leben in der sogenannten Freiheit übertragen. Alle so agieren-den und vor der Realität fl iehenden Menschen übersehen und verpassen eine Riesenchance. Wer sie hingegen nutzt, hat die Ge-legenheit, die weißen Flächen seiner Existenz mit einer Energie, die aus dem wahren Selbst kommt, neu zu beschreiben. Sich ein ganz neues, originäres Weltbild zu schaff en. Innen wie außen.

Jedes Gefängnis bietet einem darin Lebenden die Möglichkeit der Entwicklung zu einem psychisch stabilen Menschen mit Selbstvertrauen, der Bereitschaft , Entscheidungen zu treff en, der Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, der Lust an der Her-ausforderung und am Erfolg. Ein Nelson Mandela hat auf diese Weise seine Gefängniszeit genutzt, weil er etwas besaß, das man

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»Resilienz« nennt. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Werkstoff physik und bezeichnet dort die Eigenschaft eines elas-tischen Materials, wie etwa Gummi, nach einer Phase großer Spannung wieder unversehrt in die alte Form »zurückzusprin-gen«.

Auch der im Alltag verhaft ete Mensch besitzt diese psychische Widerstandsfähigkeit. Er kann jederzeit, in jeder Phase seines Lebens, die spirituellen und magischen Fähigkeiten, die in jedem von uns existieren, zum Leben erwecken und so die Türen seines inneren Gefängnisses öff nen. Wie ein Phönix aus der Asche, ge-stärkt an Körper, Seele und Geist, selbst-bewusst – das heißt, sich seines Selbst bewusst – wieder aufstehen aus den Trümmern ei-nes dahindämmernden Lebens, um – ein Bild wieder aufgrei-fend – den Mast zu setzen, den Anker zu lichten und den alten Hafen mit den durch die Familie, Schulen und Universitäten er-zeugten Programmierungen und den angenommenen roboter-haft en Verhaltensautomatismen zu verlassen.

Um von nun an authentisch, das heißt natürlich und gelöst, zu leben. Und dadurch nicht nur die Früchte der bedingungslosen Liebe zu pfl ücken, sondern auch das Glück des inneren Gleich-muts und der individuellen Freiheit erfahren zu können.

Die in diesem Buch erzählte Geschichte möchte dazu ermuti-gen, den ersten Schritt dieser Reise in die Freiheit zu wagen.

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VOM STAATSEMPFANG ZUM HOFGANG

Wie man damit umgeht,

wenn das Ego in einem See versenkt wird

Die wahre Lebenskunst lässt sich in einem Satz zusammenfas-sen: »Nimm alles, was dir widerfährt, dankbar an.« Aus dieser Haltung wächst dir eine Kraft zu, die deinem Leben eine positive Qualität gibt. Alle Ereignisse, mögen sie auch auf den ersten Blick widrig erscheinen, zeigen über kurz oder lang positive Aus-wirkungen.

Ich saß auf der harten Holzbank in einer ehemals weiß gestriche-nen Wartezelle der JVA Stadelheim, deren schmutzige Wände mit Obszönitäten vollgekritzelt waren. Der quadratische Raum hatte kein Fenster und wurde von einer durch einen Gitterkäfi g geschützten Neonröhre in ein grelles Licht getaucht. Auf mei-nem Schoß hielt ich meine mir soeben ausgehändigte Habe, die aus einem Plastikkorb mit Decken, Bettzeug, Knastkleidung, Ge-schirr, Besteck und einer Anstaltsordnung bestand, und betrach-tete mit leerem Blick die anderen Neuankömmlinge in Bayerns größter Justizvollzugsanstalt, die wie ich heute hier eingeliefert worden waren. Ich fühlte mich, als sei ich von einem unendli-chen Strudel durch ein dunkles Loch gezogen worden, und dach-te zurück an die Geschehnisse der letzten Wochen.

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Aristoteles Onassis pfl egte zu sagen, dass »ein wirklich erfolg-reicher Mann immer einen braunen Teint, immer einen leeren Schreibtisch und immer Zeit hat«. Diese Kriterien erfüllt jeder Penner dieser Welt, aber natürlich meinte der gute Ari die gro-ßen Lenker und Gestalter aus Wirtschaft und Politik. Ich gehörte zwar nicht zu den Rockefellers, Rothschilds und Onassis dieser Welt, doch immerhin hatte ich es mit meinen fünfunddreißig Jahren zum geschäft sführenden Gesellschaft er eines Brokerhau-ses gebracht, das etwa zweihundert Millionen D-Mark verwalte-te und Büros in New York, Chicago, Monte Carlo, München und Athen besaß. Ich steuerte als Mehrheitsgesellschaft er die Geschi-cke einer feinen bayerischen Privatbank mit einer Bilanzsumme von sechshundert Millionen D-Mark und lenkte als Mitgesell-schaft er einen vom Sohn des bayerischen Ministerpräsidenten gegründeten Privatfernsehsender.

Außerdem hatten einfl ussreiche Freunde mich zum Vizepräsi-denten der European Heritage Foundation gemacht, einer Toch-ter der überaus mächtigen American Heritage Foundation, die direkten Einfl uss auf die Wahl des US-Präsidenten nimmt. Ge-sellschaft lich und fi nanziell bewegte ich mich daher in den obe-ren Ligen dieser Welt. Meine politischen Verbindungen reichten bis in die höchsten Parteikreise und ich besaß exzellente interna-tionale Geschäft sbeziehungen. Zu meinen Geschäft spartnern ge-hörten prominente Künstler, Politiker, Akademiker, Wirtschaft s-tycoone und griechische Reeder.

Dank der freundschaft lichen Beziehungen zu Letzteren saß ich an einem lauen Sommerabend auf einer der Steinbänke im Am-phitheater am Fuß der Akropolis. Anlässlich des Staatsbesuches von Bundespräsident Richard von Weizsäcker in Athen hatte mich mein griechischer Partner unserer gemeinsamen Firma in Monte Carlo, Anastase Sarantakos, einer der reichsten Männer Griechenlands, zu dem Staatsempfang des hohen Gastes mitge-nommen, über dessen Niveau ich mich nur wundern konnte.

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Das Programm des Empfangs begann mit einer Auff ührung der Wuppertaler Choreographin Pina Bausch. Bei dem Anblick der in weiße Sackkleider gehüllten knochigen Tänzerinnen, die sich zu atonaler Musik spastisch bewegten, schauderte es mich.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, raunte mir der rechts neben mir sitzende Anastase ins Ohr:

»Mein Gott, Uwe, wo haben sie denn in eurem Land mit den schönsten Frauen der Welt diese schrecklichen Gestalten gefun-den?«

»Unser Staat hat wie viele seiner Bürger fürchterliche Angst, man könne ihm Reichtum, Überfl uss und Verschwendung vor-werfen. Nur beim Bestrafen und im Krieg ist er sehr großzügig«, pfl ichtete ich ihm bei. Ich hatte keine Ahnung, welche propheti-schen Worte ich gerade gesprochen hatte.

Meine links von mir sitzende Frau Viktoria, die meine Worte gehört hatte, lächelte mich an. Verheiratet war ich selbstver-ständlich auch, und zwar – wie die Münchner Abendzeitung spä-ter schreiben würde – mit »der bildschönen Tochter einer der angesehensten Unternehmerfamilien Bayerns, die ihm (damit war ich gemeint) mit der Hochzeit den Ritterschlag zum Eintritt in die Gesellschaft erteilt hatte.« Diese Prinzessin des Großbür-gertums also saß neben mir in einem schwarz-weiß getupft en Seidenkleid, das ihren kurvenreichen Körper mit den makello-sen Brüsten sinnlich umschmeichelte. Ihre vollen Lippen verzo-gen sich zu einem spöttischen Lächeln. Leise fl üsterte sie mir ins Ohr: »Ich fi nde das auch peinlich, dass sich Deutschland in die-sem Land der Kultur und Sinnesfreude so verklemmt und pseu-domodern präsentiert.«

Nach der Auff ührung spazierten wir weiter den Hügel hinab zu dem kleinen Kolosseum unterhalb der Akropolis, in dessen rundem Innenhof mit seinen Arkaden zur Sättigung der Staats-gäste ein original bayerisches Buff et aufgebaut worden war. Als sie das erblickten, schauten mich meine griechischen Geschäft s-

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freunde feixend an. Sie waren alle Hunderte von Millionen schwere Reeder oder Eigentümer von international tätigen Kon-zernen. Außerdem Stammgäste in den feinsten Gourmettempeln der Welt und Chefs von einigen der besten Köche dieses Plane-ten, die sie privat bekochten. Sie kannten meine ebenso erlese-nen Essgewohnheiten.

»Darf ich dir einen Teller zusammenstellen, Uwe?«, fragte mich ein Reeder mit vierundzwanzig Tankern, einer eigenen Flugzeugfl otte bestehend aus einer umgebauten Boeing 737, ei-nem Learjet und einem Hubschrauber sowie einem riesigen Ge-schäft shaus in der Mitte von Athen in seinem perfektem Deutsch spöttisch. »Am besten etwas von diesem vorzüglichen fetten Schweinebraten und dazu ein paar saft ige Schweinswürste mit Speckkraut?«

Natürlich wusste er, dass ich Vegetarier war. »Wie immer folge ich dem Beispiel des großen Gourmets und

werde nur das nehmen, was du selbst zu essen gedenkst«, ant-wortete ich lächelnd.

»Dann wirst du hungern müssen, bis wir hier wegkommen«, fl üsterte er mir zu, denn in diesem Augenblick traten der deut-sche Außenminister und der Innenminister in Begleitung des griechischen Ministerpräsidenten zu uns. Ich wurde ihnen vor-gestellt und wir fi ngen an, uns über meine geschäft lichen Aktivi-täten in Griechenland und in der Welt zu unterhalten.

Nichts existiert wirklich, sondern alles ist im Fluss und verändert sich. Es gibt keinen Stillstand, weil ständig alles neu geboren wird, sich im Wachstum oder Vergehen befi ndet. In dem Augen-blick, wo etwas seinen Höhepunkt erreicht hat, beginnt der Ver-fall. Nach dem Gesetz des »wie im Großen, so im Kleinen« ana-log zum Universum, das auf dem Zenit seiner Ausdehnung anfängt, sich wieder zusammenzuziehen. Selbstverständlich galt diese Wahrheit auch für mich. Aber ich ahnte noch nicht, dass

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dieser Staatsempfang der Höhepunkt meines Geschäft slebens gewesen war und gleichzeitig der Beginn des Zusammenbruchs meiner geschäft lich und bürgerlich normierten Existenz begon-nen hatte.

Ungefähr zwei Wochen nach dem Staatsempfang fl og ich mit Anastase und unseren beiden monegassischen Direktoren nach Chicago, um dort mit einem der größten und angesehensten Bro-kerhäuser einen Kooperationsvertrag zu unterzeichnen, der uns nicht nur zu ihrem »European Representative Partner« machte, sondern in dem sich mein griechischer Kompagnon auch ver-pfl ichtete, innerhalb eines Jahres mindestens hundert Millionen Dollar bei uns zu investieren.

Die Verhandlungen über den gut vorbereiteten Vertragsinhalt verliefen schnell und unkompliziert und nach wenigen Stunden waren wir uns einig. Dann gab es eine erfreuliche Überraschung: Wegen der Bedeutung des Vertrages auch für ihre Firma hatte das Brokerhaus für den Abend eine Vierzig-Meter-Yacht gechar-tert, auf der wir den Vertrag feierlich unterzeichnen würden, um dann bei Sonnenuntergang auf dem Lake Michigan zu kreuzen.

Als ich nach dem Meeting in mein Hotelzimmer im exklusiven Union League Club zurückkam, rief ich meinen Partner in Mün-chen an, um ihm von dem Erfolg zu berichten.

»Das ist toll«, erwiderte er leise, »aber du kannst es vergessen. Ich habe heute Mittag einen Wechsel über zwei Millionen unter-zeichnet und meine Firmenanteile verpfändet. Unsere drei größ-ten Kunden sind ins Büro gekommen und haben mich massiv unter Druck gesetzt. Entweder der Wechsel oder Anzeige bei der Staatsanwaltschaft . Ich wusste nicht mehr ein noch aus, also habe ich unterschrieben. Der Laden gehört uns nicht mehr …«

Ich sagte nichts und legte auf. Ich wusste, das war das Ende. Zwei Stunden später unterzeichneten wir auf der Yacht den

Vertrag. Anschließend genossen wir Köstlichkeiten von einem

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reichhaltigen Buff et im Kreise des Vorstands und der schönsten weiblichen Angestellten des Brokerhauses. Alle waren bester Stimmung, es wurde gelacht, gefl irtet und getrunken, und wir gratulierten uns immer wieder gegenseitig zu dem Vertrag, der uns allen ein sagenhaft es Einkommen garantierte. Ich ließ mir nichts anmerken, war charmant und geistreich wie immer und spielte perfekt meine Rolle als strahlender Inhaber eines interna-tionalen Finanzhauses, der gerade den Deal seines Lebens ge-macht hatte. Doch als der tiefb laue Himmel über dem See sich zum Sonnenuntergang in ein prächtiges Farbenfeuerwerk ver-wandelte, nahm ich mir ein Glas Champagner und stellte mich allein an den Bug der Yacht.

Die Sonne versank blutrot hinter der Skyline von Chicago, das luxuriöse Boot schaukelte leise auf den Wellen, Musik und die fröhlichen Stimmen der anderen Passagiere drangen an mein Ohr. Ich leerte in kleinen Schlucken genießerisch mein Glas und dachte lächelnd: »Was für ein wundervoller Abgang!«

Statt Verzweifl ung und Trauer fühlte ich Erleichterung. Schon längst war mir bewusst geworden, dass ich zwar äußeren Wohl-stand und gesellschaft liches Ansehen erlangt hatte, doch im sel-ben Maße sich innere Armut und Leere entwickelt hatte.

An einem Samstagnachmittag, an dem ich im Basement mei-nes Grünwalder Achthundert-Quadratmeter-Hauses schwimmen wollte, stellte ich fest, dass in meinem Swimmingpool die Ge-genstromanlage defekt war. Ich kroch in den Servicetunnel des Pools und wechselte die ausgefallene Sicherung aus. Zusam-mengekauert in dem Gang kniend und an dem Sicherungskasten herumfummelnd begriff ich. Durch eine Blechwand von den Wassermassen des Pools getrennt, wurde mir bewusst, dass auch meine Sicherungen durchgebrannt waren und die Jagd nach Geld und Ansehen die Barriere war, die mich von meinen Emo-tionen trennte und mich innerlich erst arren ließ. Auch meine Ge-genstromanlage war ausgefallen.

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An Vorzeichen hatte es nicht gefehlt. Eines Nachts wachte ich schweißgebadet durch einen merkwürdigen Traum auf. Mit vie-len anderen Menschen hatte ich mich in einem Teerloch befun-den. Wir waren alle von Kopf bis Fuß mit dem klebrigen Zeug bedeckt, unfähig, schnell von einem Platz zum anderen zu wech-seln, weil die schwarze Masse so zäh und dickfl üssig war und unsere Bewegungsfreiheit auf ein Minimum reduzierte. Dieser Traum symbolisierte den inneren Zustand, den ich nach den ers-ten fünfunddreißig Jahren meines Lebens erreicht hatte.

Versonnen hielt ich das kunstvoll geschliffene Champagner-glas gegen die untergehende Sonne und beobachtete fasziniert, wie sich in seiner Oberfl äche das Sonnenlicht in die Farben des Spektrums brach und sich ein Feuerwerk des bunten Lichts ent-faltete. Auch du müsstest geschliffen werden, damit das in dir vorhandene Feuerwerk endlich gezündet werden kann. Aber wie sollte das geschehen?, fragte ich mich und seufzte leise. Einem plötzlichen Impuls folgend warf ich das Kristallglas in hohem Bogen in die Fluten des Lake Michigan.

Am nächsten Tag fl ogen wir zurück nach Europa. Weil Anasta-se und die beiden Monegassen über Nizza nach Monte Carlo reisten und ich direkt nach München fl og, verabschiedeten wir uns am Flughafen O’Hare mit herzlichen Umarmungen. Nur ich wusste, dass wir uns nie wieder sehen würden.

Trotzdem fühlte ich beim Abschied statt Trauer eine große Er-leichterung, als sei ein ungeheurer Ballast von mir genommen worden, und ich freute mich auf den Flug in der ersten Klasse der Boeing 747 der Luft hansa wie nie zuvor. Während mir die Stewardess einen eisgekühlten Begrüßungschampagner servier-te, ließ sich eine braungebrannte Blondine in den freien Sitz ne-ben mir fallen und nickte mir kurz zu.

Nach dem Start des Flugzeugs wurde das Menü mit erlesenem Kaviar eröff net. Dazu reichte mir die servil lächelnde Stewardess fein zerschnittenes Eigelb und gewürfeltes Eiweiß, klein gehackte

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Zwiebeln und Crème fraîche. Ich spülte alles mit einem eiskalten Wodka hinunter und beugte mich zu meiner Nachbarin hinüber.

»Sind Sie Mitglied im High-Miles-Club?« Sie schaute mich verdutzt an und fragte irritiert zurück: »Nein,

was ist das?« Ich grinste dreist und dachte: Entweder bekommst du jetzt

eine geknallt oder es wird ein aufregender Flug. »In den High-Miles-Club wird man aufgenommen, wenn man

über den Wolken Sex gehabt hat.« Sie lachte schallend. Und während uns der Rest des Abendes-

sens serviert wurde, überlegten wir sehr angeregt, wie wir am geschicktesten das nötige Aufnahmeritual vollziehen könnten. Schließlich warteten wir ungeduldig darauf, dass endlich das Licht in der Kabine zum Schlafen abgedunkelt wurde. Als es so-weit war, ließen wir uns zwei Wolldecken geben und brachten unsere Sitze in Liegeposition. Ich stieg zu ihr hinüber, legte mich neben sie und wir breiteten die Decken über uns. In dieser Nacht wurde meine Nachbarin gleich mehrfach in den High-Miles-Club aufgenommen und von mir beim Frühstück zum Premi-um-Mitglied ernannt.

Nach der Landung in München am nächsten Morgen verab-schiedeten wir uns mit zärtlichen Küssen. Ich lief lächelnd zum Parkhaus und stieg in meinen dunkelblauen Mercedes 500 SEC. Der Wagen startete mit dem leisen Brummen der vielen PS unter der Haube. Ich fuhr direkt zu unserem Bogenhausener Büro-haus.

Als ich das Radio einschaltete, schallte mir der Hit von Boney M. »I’m born again, I feel free« entgegen. Ich sang aus vollem Halse mit.

Alles im Universum schwingt wie das Pendel von Pol zu Pol. Im Zyklus eines Lebens bilden sich diese Schwingungen des Pendels durch Geburt, Leben, Zerfall und Tod ab. Auch die Gezeiten und

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die Jahreszeiten sind Beispiele für dieses Gesetz. Die beiden Pole auf unserer geistigen Ebene sind das wahre Selbst und das Ego. Solange wir uns des Prinzips der Polarität und des Rhythmus nicht bewusst sind, schwingt das Pendel völlig unbeeinfl usst und frei zwischen dem Höheren und dem Niederen hin und her. Das spiegelt sich bei den unbewussten Menschen im ständigen Wech-sel zwischen Depression und Euphorie wider.

Ein Meister aber macht sich von der Bewegung des Pendels frei. Er befi ndet sich am oberen Ende, der Aufh ängung des Pen-dels, und schaut gelassen zu, wie sich das untere Ende zwischen Krise und Glück hin- und herbewegt. Als bewusster Beobachter fragt er sich lediglich, was ihn diese Situation lehren wird. Sein wahres Selbst bleibt dabei teilnahmslos und hält sich vollkom-men zurück, um nicht durch zu viel Anteilnahme die anstehende neue Erkenntnis zu verwässern. Denn wie jeder Naturwissen-schaft ler weiß, beeinfl usst der Beobachter das Experiment durch seine Anwesenheit.

In unserem Offi ce angekommen, begab ich mich sofort zu mei-nem Partner. Wir besprachen ohne Umschweife die Modalitäten unserer bevorstehenden Flucht. Es war vollkommen klar, dass wir den Bettel hinschmeißen würden. In einer Firma zu arbeiten, die uns nicht mehr gehörte, dazu verspürten wir beide keinerlei Lust.

Den Nachmittag verbrachten wir damit, so viel Geld wie mög-lich von unseren Brokerkonten in den USA auf unsere Banken nach München zu transferieren. Wir wollten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: zum einen uns die Taschen füllen, um uns für unsere fast zehnjährige Maloche zu belohnen, und zum anderen der undankbaren, gierigen und blasierten Münchner Schickeria, die fast komplett zu unseren Kunden gehörte, einen gehörigen Tritt in den Arsch versetzen, indem wir ihre Kohle stahlen. Denn diese Leute hatten es wahrlich nicht besser ver-dient. Ich dachte zum Beispiel an jenen Kunden, der nach Erhalt

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Uwe Woitzig

Hofgang im HandstandMein Weg in die Freiheit

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 336 Seiten, 13,5 x 21,5 cmISBN: 978-3-7787-9224-7

Integral

Erscheinungstermin: September 2011

Die außergewöhnliche Geschichte einer radikalen Umkehr Ein tiefer Fall: von einem Leben unter den Reichen und Schönen in den Knast. DerFinanzjongleur Uwe Woitzig sitzt wegen Betrugs in dreistelliger Millionenhöhe ein. In jahrelangerHaft lernt der erfolgsverwöhnte Narziss eine ganz andere Seite des Lebens kennen: erniedrigtund gedemütigt zu werden, ausgeliefert und absolut fremdbestimmt zu sein. Doch Uwe Woitzigbegreift, dass ihn die Machenschaften der Finanzwelt und die ungeschriebenen Gesetzedes Lebens im internationalen Jetset wesentlich stärker in Unfreiheit gehalten haben, als dieihn umgebenden Gefängnismauern und die Zwänge des Gefängnisalltags. Somit eröffnetihm die extreme Situation der Haft eine einzigartige Chance: Sein mächtig aufgeblasenesEgo zerplatzt wie eine Seifenblase und zum ersten Mal erkennt er sein wahres Selbst. In derZwangsgemeinschaft der Häftlinge vermag er authentische Beziehungen und Freundschaftenaufzubauen, was er bei seiner Jagd nach dem großen Geld fast verlernt hatte. Er verlässt dasGefängnis als ein Mensch, der darin gelernt hat, statt seinem Verstand seinem Herzen zu folgen.Endlich kann Uwe Woitzig sein Leben vom Kopf auf die Füße stellen …