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Leseprobe Platon, Das Höhlengleichnis und andere Mythen Ausgewählt und eingeleitet von Bernhard Kytzler © Insel Verlag insel taschenbuch 3428 978-3-458-35128-3 Insel Verlag

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Leseprobe

Platon,

Das Höhlengleichnis

und andere Mythen

Ausgewählt und eingeleitet von Bernhard Kytzler

© Insel Verlag

insel taschenbuch 3428

978-3-458-35128-3

Insel Verlag

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Das Höhlengleichnis ist das berühmteste Gleichnis der antiken Philo-sophie und der Erkenntnistheorie. Platon schildert einige gefangeneMenschen, die in einer Höhle einzig die durch ein Feuer aufgeworfe-nen Schatten der wirklichen Gegenstände sehen können. Da sie nurdiese Schatten wahrnehmen, halten sie sie für die reale Welt.

Platons zentrale Grundgedanken treten in den von ihm erzähltenMythen und Gleichnissen hervor, sie erscheinen in verwandten, aberabgewandelten Bildern: die Wiedergeburt der Seele, das Leben imJenseits, die Geburt des Eros, die Erfindung der Schrift, das Golde-ne Zeitalter und das Höhlengleichnis als Abbilder der menschlichenKenntnis.

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insel taschenbuch 3428Platon

Das Höhlengleichnis

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PLATONDAS HÖHLEN-

GLEICHNISSämtliche Mythen und Gleichnisse

Ausgewählt und eingeleitetvon Bernhard Kytzler

Insel Verlag

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Umschlagabbildung: Bildnis Guillaume Apollinaire, 1914,Centre Georges Pompidou, Paris., VG Bild-Kunst, Bonn 2009

Der Herausgeber dankt der University of KwaZulu/Natal, Durban, RSA,für die bei der Ausarbeitung erfahrene Unterstützung.

insel taschenbuch 3428Erste Auflage 2009

, Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 1997Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlagesreproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.Hinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des BandesVertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Umschlag nach Entwürfen von Willy FleckhausSatz: Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Druck: Druckhaus Nomos, SinzheimPrinted in Germany

ISBN 978-3-458-35128-3

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Inhalt

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Mythen

Vom Ursprung der Tiere und Menschen · Protagoras . 13Zamolxis · Charmides . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20Das Leben im Jenseits · Apologie . . . . . . . . . . . . 24Die Inseln der Seligen und der Tartaros · Gorgias . . . 27Das Faß und das Sieb · Gorgias . . . . . . . . . . . . . 37Die Wiedergeburt der Seele · Menon . . . . . . . . . . 39Das Leben im Jenseits · Phaidon . . . . . . . . . . . . 42Bericht aus dem Jenseits · Der Staat . . . . . . . . . . . 55Die Erdgeborenen · Der Staat . . . . . . . . . . . . . . 68Gyges und sein Ring · Der Staat . . . . . . . . . . . . 72Der Seelenwagen · Phaidros . . . . . . . . . . . . . . . 76Die Zikaden · Phaidros . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94Von der Erfindung der Schrift · Phaidros . . . . . . . . 97Der kugelrunde Urmensch · Symposion . . . . . . . . 101Die Geburt des Eros · Symposion . . . . . . . . . . . . 107Das Goldene Zeitalter · Der Staatsmann . . . . . . . . . 125Atlantis · Timaios und Kritias . . . . . . . . . . . . . . . 141Der Demiurg · Timaios . . . . . . . . . . . . . . . . . 167Das Zeitalter des Kronos · Gesetze . . . . . . . . . . . 177

Gleichnisse

Das Höhlengleichnis · Der Staat . . . . . . . . . . . . 183Das Schiffergleichnis · Der Staat . . . . . . . . . . . . 188Das Ungeheuer, der Löwe und der Mensch · Der Staat 191Der Vogelkäfig · Theaitetos . . . . . . . . . . . . . . . 195

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Die Marionette · Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . 198Der Magnetstein und die Muse · Ion . . . . . . . . . . 203

Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

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Vorbemerkung

Im folgenden werden die Mythen und Gleichnisse in Pla-tons Werk zum ersten Mal gesammelt in deutscher Übertra-gung vorgelegt. Die Zeugnisse seiner bildlichen Rede sind,wie leicht zu sehen, schon quantitativ beeindruckend genug.Mehr noch ist es ihr Inhalt: eine Art Quintessenz seinesDenkens zeichnet sich ab, ein Summarium seines Fragensund Antwortens. Die dem Philosophen wichtigen Problemetreten wiederholt hervor, die Grundgedanken erscheinenmehrfach in verwandten, aber abgewandelten Bildern. Derpoetische Glanz der Rede, die gedankliche Kraft und Tiefeder Vorstellungen machen diese Texte zu einem zentralenZugang zu der Welt des Fürsten der Philosophie, wie kaumein anderer Weg sonst ihn bieten kann.

So ist diese Sammlung mehr als nur eine bunte Bildergale-rie; sie will hinführen zu dem Gedankenreichtum Platons,indem sie mit der einen, der mythischen Seite seines Vortragsvertraut macht und so den Kontakt mit der anderen, demBereich des Logos, vorbereitet und erleichtert. Das Mitein-ander und Ineinander dieser beiden Ebenen im Werk desAtheners, ihr Wirken aufeinander ist ein fesselndes Schau-spiel; ein erster Ansatz zu seiner Betrachtung und Beobach-tung bietet sich hier in diesem Buch an. Alle Teile enthaltendas Ganze; dieses teilt sich mit in unterschiedlicher Gestalt,doch ohne grundsätzlichen Gegensatz, und die einzelnenElemente verstärken und erhellen sich gegenseitig. Der PoetPlaton hat hier seine größte Wirkung, der Philosoph seinepersönlichste Kommunikation. In diesen Bildersaal einzu-treten, ihn zu besuchen, zu besichtigen und zu bedenkenbedeutet Bereicherung eigener Art und Beglückung hohenRanges.

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Mythen

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Vom Ursprung der Tiere und Menschen

Protagoras 320C-323A

Fast in Form einer Fabel führt der Philosoph Platon seinenfrühesten mythologischen Vortrag vor. Die Erzählung rührtan eine gerade heute aktuelle Thematik: Es geht um Arterhal-tung und Umweltanpassung. Bemerkenswert ist zunächst,daß sie nicht von Sokrates selbst berichtet wird, sondern voneinem seiner geistig bedeutendsten Zeitgenossen: Protago-ras.

Dieser, aus Abdera stammend, gilt als erster, vielleichtauch als wichtigster der Sophisten. Er führte ihre Lebensfor-men vor und damit auch ein. Er erteilte Unterricht gegengutes Honorar, um arete zu lehren, »Tugend« oder besser»Tüchtigkeit« bzw. »Effizienz«. Er unternahm Vortragsrei-sen, und er lehrte als Gast bei begüterten bildungsbegeister-ten Familien. Zahlreiche Jahre verbrachte er in Athen; daß erdort wegen seiner skeptischen Götterlehre verbrannt wor-den sei, ist späte Legende. Er war im Gegenteil mit Periklesbefreundet und übte beachtlichen Einfluß aus auf Denkerwie Demokrit, Antisthenes, Euripides und auch Platon, derseinen bedeutendsten Frühdialog nach ihm benannte unddes Sophisten Figur in den Mittelpunkt des Szenarios stellte.Protagoras (ca. 485-415 v.Chr.) war freilich nicht mehr unterden Lebenden, als Platon ihn zur Titelfigur stilisierte; dochwar, ähnlich wie im Falle des Gorgias (s.u. S. 27 ff.), sein Ein-fluß nach einiger Zeit noch immer stark, sein Name klang-voll genug, um ins Zentrum einer Auseinandersetzunggestellt werden zu können.

In der Philosophiegeschichte ist Protagoras vor allemdurch zwei bedeutende Sätze bekannt. Der eine findet sich

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im ersten griechischen Werk ›Über die Götter‹, das er mit derAussage begann: »Über die Götter vermag ich nichts zu er-kennen, weder daß sie sind noch daß sie nicht sind, nochwelcher Gestalt sie sind; denn vieles verhindert das Erken-nen: ihre Nichtwahrnehmlichkeit und auch die Kürze desmenschlichen Lebens.« Noch berühmter ist der sogenanntehomo-mensura-Satz, den Protagoras an den Anfang seinerSchrift ›Die Wahrheit‹ stellte: »Der Mensch ist das Maß allerDinge, für die seienden, daß (wie) sie sind, für die nichtseien-den, daß (wie) sie nicht sind.«

Platon placiert seinen Dialog ›Protagoras‹ kurz vor denBeginn des Peloponnesischen Krieges. Sokrates zählt 432v.Chr. 36 Jahre, Alkibiades 19; Platons Leben beginnt erst 5Jahre später. Die Eingangsszene führt die Aufregung vorAugen, die aufgrund der Ankunft des Stargastes in Atheneingesetzt hat. Im privaten Gespräch eines Elite-Zirkels, denneben Protagoras Namen wie Sokrates und Alkibiades, dieführenden Sophisten Prodikos und Hippias, die PolitikerKallias und Kritias auszeichnen, werden die Positionen ab-gesteckt: In der Fragestellung des Sokrates wird es zweifel-haft, ob die These des Protagoras stichhaltig ist, daß die»Tugenden« – Weisheit, Maß, Gerechtigkeit, Reinheit, Mut –lehrbar sind. Platon läßt nun Protagoras mit einem Mythosfür die Haltbarkeit seiner Auffassung eintreten. Der Sophiststellt zur Disposition, ob er einen logos, eine logisch lehr-hafte Darlegung, einen Lehrvortrag, vorlegen solle oder abereinen mythos, also eine Art Fabel. Protagoras entscheidetsich für die indirekte Erörterung in Fabelform, und Platonmag damit auch eine leise Karikatur des großen Mannes ver-knüpfen, der in seiner etwas simplistischen Aufbereitungeines komplizierten Fragenkomplexes eher einen breiterenSchülerkreis zu fesseln als einen Sokrates oder Platon zu be-eindrucken vermag. Es sei noch vorweggenommen, daß das

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Ende des Dialoges dazu führt, daß Protagoras anerkennenmuß, daß ›Tugend‹ im Wissen besteht; wie anders könnte sielehrbar sein: wohingegen Sokrates seinerseits anerkennenmuß, daß Tugend lehrbar ist.

Der Mythos selbst ordnet sich jenen Ursprungsmythenzu, wie sie schon zuvor bei Hesiod erscheinen und von Pla-ton später mehrfach aufgegriffen und ausgeführt werden.Der Grundgedanke hier ist die physische Schwäche desMenschen im Vergleich zu den anderen Lebewesen und ihreÜberwindung durch die Kulturfaktoren zweierlei Art: zumeinen durch die vielfältigen Fertigkeiten der Handwerkerzum Nutzen des Individuums; zum anderen durch die imStaat verwirklichte Gerechtigkeit als Organisationsprinzipzum Zwecke der Arterhaltung. Unterschiedlich sind dem-nach auch die beiden mythisch-übermenschlichen Gestaltender Stifter, das Brüderpaar Epimetheus (= »Nachbedacht«)und Prometheus (= »Vorbedacht«). Der erste vermag den an-deren Arten viel zu helfen, um ihr Überleben zu sichern,aber er kann sein Werk nicht vollenden und den Menschennicht sichern; der zweite führt die Schöpfung erfolgreich zuEnde, indem er statt der physiologischen Vorteile für denMenschen eine geistige Grundlage gewährt. Sie liegt für deneinzelnen in den Fähigkeiten der Verarbeitung, also der tech-nischen Intelligenz. Hinzu tritt zum anderen für die Erhal-tung der Gattung die Gewährleistung der Gerechtigkeit imRahmen staatlicher Ordnung, die allen die Rettung bietet.Während so die vordergründigen Fähigkeiten des physiolo-gischen Überlebens Resultat des Feuer-Raubes bleiben, istdie große Gabe der Gerechtigkeit eine Gnade des Gottes.

Daß die Figur des Prometheus ein Ursymbol des Abend-landes ist, befragt, nachgestaltet, ausgelegt und stetig umge-formt, beweisen die zahlreichen – fast: zahllosen – Texte vonAischylos und Hesiod über Boccaccio und Bacon bis zu

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Goethe und Nietzsche, Brecht und Artaud, Kafka und Man-delstam; sie sind eben von Wolfgang Storch und BurghardDamerau vorzüglich versammelt und vor Augen gestelltworden (Mythos Prometheus, Leipzig 1995).

Der modern anmutende Bezug, daß Epimetheus natürli-chen Schutz für die Gattungen ersann, »daß nicht eine Artausgetilgt werde«, und daß er »Rettung für die Arten schuf«,darf nicht übersehen, aber auch nicht überzogen werden. DieThese der Arterhaltung hat hier einen gewiß gewichtig grun-dierenden Klang, ist auch für die Spezies der Menschenrelevant; doch steht das nicht im Zentrum der Fragestellung,sondern am Rande. Wichtigstes Resultat der Fabel bleibt,daß kulturelle Leistungen den Menschen zum Überlebenbefähigen, nämlich seine technische Intelligenz und seineBefähigung zum gerechten politischen Handeln.

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Es war einst eine Zeit, wo es Götter zwar gab, sterblicheGeschlechter aber gab es noch nicht; nachdem aber auch fürdiese die vorherbestimmte Zeit ihrer Erzeugung gekommenwar, bildeten die Götter sie innerhalb der Erde aus Erde undFeuer, auch das hinzumengend, was von Erde und Feuer ge-mengt ist. Und als sie sie nun ans Licht bringen sollten,übertrugen sie dem Prometheus und Epimetheus, sie auszu-statten, und die Kräfte unter sie, wie es jedem zukomme, zuverteilen. Vom Prometheus aber erbat sich Epimetheus, erwolle verteilen, und, sagte er, wenn ich ausgeteilt, so kommedu es zu besichtigen. Und so nachdem er ihn beredet, ver-teilte er. Bei der Verteilung nun verlieh er Einigen Stärkeohne Schnelligkeit, die Schwächeren aber begabte er mitSchnelligkeit; Einige bewaffnete er, Anderen, denen er einewehrlose Natur gegeben, ersann er eine andere Kraft zurRettung. Welche er nämlich in Kleinheit gehüllt hatte, denen

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verlieh er geflügelte Flucht oder unterirdische Behausung,welche aber zu bedeutender Größe ausgedehnt, die rettete ereben dadurch, und so auch verteilte er alles übrige ausglei-chend. Dies aber ersann er so aus Vorsorge, daß nicht eineGattung gänzlich verschwände. Als er ihnen nun des Wech-selverderbens Entfliehungen zu Stande gebracht, begann erihnen auch gegen die Zeiten vom Zeus leichte Gewöhnungzu ersinnen durch Bekleidung mit dichten Haaren und star-ken Fellen, hinreichend um die Kälte, aber auch vermögenddie Hitze abzuhalten, und außerdem zugleich jedem, wennes zur Ruhe ging, zur eigentümlichen und angewachsenenLagerbedeckung dienend. Und unter den Füßen versah ereinige mit Hufen und Klauen, andere mit Haaren und star-ken blutlosen Häuten. Hiernächst wies er dem einen diese,dem anderen jene Nahrung an, dem einen aus der Erde dieKräuter, dem anderen von den Bäumen die Früchte, einigenauch verordnete er zur Nahrung anderer Tiere Fraß. Unddiesen letzteren verlieh er dürftige Zeugung, dagegen denvon ihnen verzehrten eine vielerzeugende Kraft dem Ge-schlecht zur Erhaltung. Wie aber Epimetheus doch nichtganz weise war, hatte er unvermerkt schon alle Kräfte aufge-wendet [für die unvernünftigen Tiere;] übrig also war ihmnoch unbegabt das Geschlecht der Menschen, und er warwieder ratlos was er diesem tun sollte. In dieser Ratlosigkeitnun kommt ihm Prometheus die Verteilung zu beschauen,und sieht die übrigen Tiere zwar in allen Stücken weislichbedacht, den Menschen aber nackt, unbeschuhet, unbedeckt,unbewaffnet, und schon war der bestimmte Tag vorhanden,an welchem auch der Mensch hervorgehn sollte aus der Erdean das Licht. Gleichermaßen also der Verlegenheit unterlie-gend, welcherlei Rettung er dem Menschen noch ausfände,stiehlt Prometheus die kunstreiche Weisheit des Hephaistosund der Athene, nebst dem Feuer, denn unmöglich war, daß

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sie einem ohne Feuer hätte können angehörig sein oder nütz-lich, und so schenkt er sie dem Menschen. Die zum Lebennötige Wissenschaft also erhielt der Mensch auf diese Weise,die bürgerliche aber hatte er nicht. Denn diese war beimZeus, und dem Prometheus stand in die Feste, die Behau-sung des Zeus, einzugehen nicht mehr frei, auch warenfurchtbar die Wachen des Zeus. Aber in das dem Hephaistosund der Athene gemeinschaftliche Gemach wo sie ihreKunst übten geht er heimlich hinein, und nachdem er so diefeurige Kunst des Hephaistos und die andere der Athene ge-stohlen, gibt er sie dem Menschen. Und von da an genießtnun der Mensch Behaglichkeit des Lebens; den Prometheusaber hat hernach, so wie erzählt wird, die Strafe für diesenDiebstahl um des Epimetheus willen ergriffen. Da nun aberder Mensch göttlicher Vorzüge teilhaftig geworden, hat erauch zuerst, wegen seiner Verwandtschaft mit Gott das ein-zige unter allen Tieren, Götter geglaubt, auch Altäre undBildnisse der Götter aufzurichten versucht, dann bald dar-auf Töne und Worte mit Kunst zusammengeordnet, dannWohnungen und Kleider und Beschuhungen und Lagerdek-ken und die Nahrungsmittel aus der Erde erfunden. Soausgerüstet wohnten die Menschen anfänglich zerstreut,Städte aber gab es nicht. Daher wurden sie von den wildenTieren ausgerottet, weil sie in jeder Art schwächer waren, alsdiese, und die verarbeitende Kunst war ihnen zwar zur Er-nährung hinreichende Hülfe, aber zum Kriege gegen dieTiere unwirksam; denn die bürgerliche Kunst hatten sie nochnicht, von welcher die kriegerische ein Teil ist. Sie versuchtenalso sich zu sammeln, und sich zu erretten durch Erbauungder Städte; wenn sie sich aber gesammelt hatten, so beleidig-ten sie einander, weil sie eben die bürgerliche Kunst nichthatten, so daß sie wiederum sich zerstreuend auch bald wie-der aufgerieben wurden. Zeus also für unser Geschlecht, daß

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es nicht etwa gar untergehn möchte, besorgt, schickt denHermes ab, um den Menschen Scham und Recht zu bringen,damit diese der Städte Ordnungen und Bande würden, derZuneigung Vermittler. Hermes nun fragt den Zeus, auf wel-che Art er doch den Menschen das Recht und die Schamgeben solle. Soll ich, so wie die Künste verteilt sind, auchdiese verteilen? Jene nämlich sind so verteilt: Einer, welcherdie Heilkunst inne hat, ist genug für viele Unkundige, und soauch die andern Künstler. Soll ich nun auch Recht undScham eben so unter den Menschen aufstellen, oder soll ichsie unter Alle verteilen? Unter Alle, sagte Zeus, und Alle sol-len Teil daran haben; denn es könnten keine Staaten beste-hen, wenn auch hieran nur Wenige Anteil hätten, wie ananderen Künsten. Und gib auch ein Gesetz von meinetwe-gen, daß man den, der Scham und Recht sich anzueignenunfähig ist, töte wie einen bösen Schaden des Staates. Aufdiese Art also, Sokrates, und aus dieser Ursach glauben alleanderen und auch die Athener, daß wenn von der Tugendeines Baumeisters die Rede ist oder eines andern Künstlers,alsdann nur Wenigen Anteil zustehe an der Beratung; undwenn Jemand außer diesen Wenigen dennoch Rat geben will,so dulden sie es nicht, wie du sagst, und zwar ganz mit Recht,wie ich sage. Wenn sie aber zur Beratung über die bürgerlicheTugend gehen, wohin Alles auf Gerechtigkeit und Beson-nenheit ankommt, so dulden sie mit Recht einen Jeden, weiles Jedem gebührt, an dieser Tugend doch Anteil zu haben,oder es könnte keine Staaten geben.

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Zamolxis

Charmides 156D-157C

Von den vier griechischen Grund- oder Kardinaltugendenist die im Dialog ›Charmides‹ diskutierte gewiß die für denmodernen Blick am schwersten faßbare. Sind Werte wie»Tapferkeit« oder »Gerechtigkeit« uns leichter zugänglich,so ist sophrosyne heute schwierig zu übersetzen und nurmühsam einzuordnen. Die Wörterbücher schlagen Bezeich-nungen vor wie Mäßigung, Selbstbeherrschung, Enthalt-samkeit, Sittsamkeit, aber auch umschreibende Doppelbe-griffe wie vernünftige Besonnenheit oder rechter Sinn,gesunder Verstand. Das griechische Wort selbst verbindetden Stamm phronein, denken, mit der Vorsilbe soos, wohlbe-halten, gesund, heil; es weist so auf die Ausgewogenheit desDenkens und Trachtens.

Um die Klärung dieses Begriffes bemühen sich in unseremText vier Personen: Sokrates als der Gesprächsführer, Char-mides als sein Kontrahent im Dialog, ferner noch Chaire-phon und Kritias. Charmides, im Dialog ein intelligenter,gutaussehender junger Mann, war übrigens ein Bruder derMutter Platons, Periktione, und somit sein Onkel. Er wirdhier als Ephebe im Glanz strahlender Schönheit eingeführt;Sokrates sieht ihn voller Begeisterung und Bewunderung,begehrt aber zu wissen, ob der Jüngling auch eine gleicher-maßen schöne Seele besäße.

Da Charmides gerade an Kopfschmerz leidet, stellt Kri-tias ihm Sokrates als Arzt vor. In diese Szene hinein placiertPlaton den Mythos, der den jungen Gesprächspartner vonseinem Interesse an der Heilung zur Anteilnahme am philo-sophischen Gespräch hinführen soll. Selten wird die propä-

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