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Leseprobe Watts, Alan Vom Geist des Zen Aus dem Amerikanischen von Julius Schwabe © Insel Verlag insel taschenbuch 3364 978-3-458-35064-4 Insel Verlag

Insel Verlag - Hörbücher · Es bedeutet den unmittelbaren Kontakt mit dem Leben mit dem Ziel,eine nahtlose Verbindung zwischen Ich und Leben zu schaf-fen. Der große amerikanische

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Leseprobe

Watts, Alan

Vom Geist des Zen

Aus dem Amerikanischen von Julius Schwabe

© Insel Verlag

insel taschenbuch 3364

978-3-458-35064-4

Insel Verlag

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Zen �bt einen besonderen Zauber auf ein Denken aus, das der her-kçmmlichen Religion und Philosophie m�de ist, denn es gibt im Zenkeine theoretische Belehrung, kein Studium von Schriften. Zen gr�n-det sich vielmehr auf Praxis und auf persçnliches Erleben der Wirk-lichkeit. Es bedeutet den unmittelbaren Kontakt mit dem Leben mitdem Ziel, eine nahtlose Verbindung zwischen Ich und Leben zu schaf-fen.Der große amerikanische Religionsphilosoph Alan Watts (1915-

1974) hat die vorliegende Einf�hrung in den Geist des Zen und denZen-Buddhismus eigens f�r westliche Leser verfaßt und zeigt ihnenWege auf, wie sie sich diesem vçllig andersartigen Denken des Zenn�hern kçnnen.

Von Alan Watts liegen im insel taschenbuch außerdem vor: Der Laufdes Wassers (it 2939) und Das Tao der Philosophie (it 3053).

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insel taschenbuch 3364Alan Watts

Vom Geist des Zen

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Alan WattsVom Geist des Zen

Aus dem Amerikanischen

von Julius Schwabe

Insel Verlag

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insel taschenbuch 3364Erste Auflage 2008

Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig� 1954 Alan Watts

� 1984 Sphinx, im Heinrich Hugendubel Verlag Kreuzlingen/M�nchenLizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung

des Heinrich Hugendubel Verlags Kreuzlingen/M�nchenAlle Rechte vorbehalten, insbesondere das

des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.Hinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des BandesVertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Umschlag: Michael HagemannSatz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunnDruck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Printed in GermanyISBN 978-3-458-35064-4

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10Die Anf�nge des Zen . . . . . . . . . . . . . . . . . 15Das Geheimnis des Zen . . . . . . . . . . . . . . . . 44Die Technik des Zen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67Leben in einer Zengemeinde . . . . . . . . . . . . . 86Zen und die fernçstliche Kultur . . . . . . . . . . . 104Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 135Verzeichnis und Erkl�rung einiger Sanskrit-

und anderer Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . 138

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Christmas Humphreyszugeeignet

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Vorwort

Ich h�tte dieses Buch niemals schreiben kçnnen ohne dasWerk des ProfessorsDaisetz Teitaro Suzuki von der Buddhi-stischen Otani-Hochschule in Kyoto. Er ist es, dem wir imWesten schier unser gesamtes Wissen von Zen schulden,und ich bin ihm tief dankbar f�r die Erlaubnis, aus seiner�bertragung der Schriften und Ausspr�che von Zenmei-stern, die in den folgenden Bl�ttern erscheinen, zitieren zud�rfen.Mein Buchwird f�rmanche Leser ihre erste Einf�h-rung in das Zen bedeuten, und ich empfehle solchen zumanschließenden Studium nachdr�cklich die drei B�nde vonSuzukis »Essays in Zen Buddhism«, woselbst sie eine er-schçpfende Darstellung des Gegenstandes finden werden.

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Einleitung

Vor kurzer Zeit noch war der Zen-Buddhismus dem We-sten nahezu ganz unbekannt, außer ein paar wenigenOrien-talisten, deren Interesse an dem Gegenstand in erster Linieakademisch war. Unmittelbar vor dem zweiten Weltkrieggab es im ganzen Gebiet der europ�ischen Sprachen nurein einziges Werk �ber Zen – Kaiten Nukariyas »Religionder Samurai« – und ein paar zerstreute Hinweise in B�-chern �ber Buddhismus im allgemeinen. Erst als D. T. Su-zuki aus Kyoto 1927 den ersten Band seiner »Essays inZen Buddhism« verçffentlichte, lag ein Werk vor, welchesdas Interesse des Abendlands nachhaltig zu erregen undgleichzeitig etwas von dem wirklichen Geiste des Zen zu�bermitteln vermochte. In der Folge gab Suzuki zwei weite-re B�nde »Essays« heraus*, und es ist weitgehend seinemWerk zuverdanken,daßwir vondemGegenstand�berhauptetwas wissen. Das Ergebnis seiner m�hevollen Arbeit warein rasch zunehmendes Interesse an Zen, das nicht bloßauf die Fachgelehrten der orientalischen Philosophie be-schr�nkt blieb. Zen ist so auffallend verschieden von jederandern Form des Buddhismus, ja man mçchte sagen vonjeder andern Religionsform, daß es bei vielen, die sich im»unpraktischen« Osten sonst nicht nach praktischer Weis-heit w�rden umtun, neugieriges Aufsehen erregt hat.

Nun die Neugier einmal entfacht ist, h�lt es schwer, siewieder zu beschwichtigen; denn Zen �bt einen eigent�m-lichen Zauber auf ein Denken aus, das der herkçmmlichenReligion und Philosophie m�de ist. Von allem Anfang anverzichtet Zen auf jede Form von Theoretisieren, lehrhaf-

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tem Unterricht, lebensferner Fçrmlichkeit. All das behan-delt es als bloße Sinnbilder der Weisheit, und Zen gr�ndetsich auf Praxis und auf intimes, persçnliches Erleben derWirklichkeit, der die meisten Formen der Religion und Phi-losophie nicht n�her kommen als eine verstandes- odergef�hlsm�ßige Beschreibung. Das soll nicht heißen, Zensei der einzigewahrePfad zurErleuchtung.Manhat gesagt,der Unterschied zwischen Zen und anderen Religionsfor-men liege darin, daß »alle andern Wege sich langsam denBerghang hinaufwinden, Zen jedoch, gleich einer Rçmer-straße, alle Hindernisse beiseite werfend, in schnurgera-dem Lauf das Ziel ansteuert«. Zuletzt sind Glaubensbe-kenntnisse,DogmenundphilosophischeSysteme ebenbloßIdeen �ber die Wahrheit, in derselben Weise wie Wortenicht Tatsachen sind, sondern bloß davon handeln; woge-gen Zen ein kraftvoller Versuch ist, unmittelbaren Kontaktmit derWahrheit selber zu schließen, ohne zwischendenEr-kennenden und das Erkannte Theorien und Sinnbilder tre-ten zu lassen. In gewissem Sinne ist Zen: das Leben f�hlen,statt etwas auf das Leben Bez�gliches f�hlen. Wissen auszweiter Hand, Schilderung eines geistigen Erlebens durcheinen andern oder bloße Begriffe undGlaubensinhalte sindDinge, die es nicht leiden kann. Mag Wissen aus zweiterHand wertvoll sein als Wegweiser, es wird allzu leicht f�rden Weg selber oder gar f�r das Ziel genommen. So vollerTrug und T�cke sind die Wege, auf denen Beschreibungder Wahrheit sich als Wahrheit selber ausgeben mçchte,daß Zen nicht selten zu einer Art Bilderst�rmerei wird,einem Niederreißen bloßer Gedankenbilder von der leben-digen Wirklichkeit, die eben nur durch persçnliche Erfah-rung erkennbar ist.

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Ganz ohnegleichen jedoch ist Zen in seinen Unterrichts-methoden. Es gibt da keine theoretische Belehrung, keinStudium von Schriften, kein regelrechtes Programm geisti-gerAusbildung. Außer ein paar Sammlungen vonPredigtender �lterenZenmeister,den einzigenVersuchen einer ratio-nalenDarstellung ihrer Lehren, sind die uns erhaltenen Ur-kunden �berZenunterricht schier insgesamtDialoge (mon-do) zwischen denMeistern und ihren Sch�lern,Gespr�che,die sich um die �blichen Regeln von Logik und gesundemVerstand so wenig zu k�mmern scheinen, daß sie uns aufden ersten Blick wie reiner Blçdsinn vorkommen. Es gibteine Reihe von Kommentaren zu diesen Dialogen und eineumfangreiche Sammlung von Kurzgedichten, wie man sieauf chinesischen und japanischen Bildern findet; allein,dem verstandesm�ßigen Erfassen bieten sie kaum mehrals die Dialoge selber. So verwirrend sind diese Urkunden,daß Wieger die Zenliteratur kurzerhand als »ZahlreicheInfolios, gef�llt mit Antworten ohne Sinn und Zusammen-hang« bezeichnen konnte. »Es sind nicht, wie man vermu-tet hat, Anspielungen auf interne Angelegenheiten, die mankennen m�ßte, um sie verstehen zu kçnnen. Es sind Aus-rufe, wie sie Verblçdeten entfahren, die man f�r Augen-blicke aus ihrer Schlafsucht riß.«

Doch wird man hier durch �ußerlichkeiten leicht irre-gef�hrt. Und geradewie die hçchsten und die tiefsten Tçnegleichermaßen unhçrbar sind, so mag der grçßte Tiefsinnund der grçßte Unsinn gleich unverst�ndlich erscheinen.Zen versucht freilich gar nicht, verst�ndlich, d.h. dem Ver-stande faßlich zu sein. Seine Methode besteht darin, denVerstand zu verwirren, zu reizen, zu verbl�ffen und zu er-schçpfen, bis man sich klar wird, daß verstandesm�ßiges

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Erfassen bloß ein Denken dar�ber ist. Sie will auch die Ge-f�hle herausfordern, aufbringen und abermals erschçpfen,bis man sich klarmacht, daß die Gef�hlsregungen bloßein F�hlen von etwas sind. Und dann ermçglicht sie, wennder Sch�ler in eine Sackgasse des Denkens und F�hlens ge-raten ist, die Kluft zwischen begrifflichen, bloß mittelba-remKontaktmit derWirklichkeit und Erfahrung aus ersterHand zu �berbr�cken. Solches zu bewerkstelligen, ruft sieein hçheres – als Intuition oder Buddhi bekanntes – Denk-vermçgen auf den Plan, das bisweilen auch »Auge des Gei-stes« genannt wird. Kurzum, Zen verfolgt das Ziel, dieWirklichkeit selber ins Auge zu fassen statt unsere Denk-undGef�hlsreaktionen auf dieseWirklichkeit –wobeiWirk-lichkeit jenes immer wechselnde, immer wachsende unsag-bare Etwas, genannt »Leben«, ist, das keinen Augenblickstillsteht, um sich von uns auf befriedigende Art in irgend-ein starres System von F�chern und begrifflichen Schub-laden einschachteln zu lassen.

Daher hat denn, wer immer �ber Zen zu schreiben ver-sucht, ungewçhnlichen Schwierigkeiten zu begegnen. Erkann niemals Erkl�rungen, er kann nur Hinweise geben.Er kann nur Probleme stellen und Andeutungen machen,die den Leser bestenfalls in hinhaltender Weise der Wahr-heit n�her bringen. Sobald er aber eine bestimmte Defini-tion versucht, entschl�pft ihm das Ding, und die Definitionentpuppt sich als ein philosophischer Begriff und nichtsweiter. Zen l�ßt sich nicht in irgendwelche -ismen und-ologien einpassen. Es ist lebendig und kann nicht wie einLeichnam seziert und zergliedert werden. Darum, wennwir Zweifel hegen am gesunden Sinn der Worte mancherZenmeister, so wollen wir zuerst einmal die Zweifel zu ih-

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ren Gunsten auslegen; wir wollen annehmen, daß in ihrervçlligen Mißachtung der Logik Weisheit liege. Beispiels-weise sagt Meister Wu Tsu: »Laßt mich zur Erl�uterungeine Fabel heranziehen. Eine Kuh geht durch ein Fenster.Ihr Kopf, ihre Hçrner und die vier Beine passieren es ohneSchwierigkeit; nur der Schwanz kann nicht durchkommen.Warum kann er nicht?« Oder dies andre: Ein Mçnch kamzu Meister Chao-chou und fragte: »Ich bin soeben in diesKloster gekommen. Bitte, mçchtet Ihr mir wohl einige Be-lehrung erteilen?« Drauf der Meister: »Hast du schon ge-fr�hst�ckt oder noch nicht?« – »Jawohl, Meister, ichhabe.« – »Dann s�ubre deine Eßschalen.« Es heißt, derMçnch wurde infolge dieses Gespr�chs erleuchtet.

Mag dies Aberwitz sein oder nicht, Tatsache bleibt, daßZen die gesamte Kultur des Fernen Ostens tief beeinflußthat. Und dadurch, daß wir es in Gedanken und Tat um-setzen, m�ssen wir den Wert seines Geistes pr�fen,wie un-begreiflich er uns immer vorkommenmag. ImWestenmußman sich oft verwundert gefragt haben, wie die großenk�nstlerischen Leistungen des Fernen Ostens zu jener un-sagbaren Feinheit kamen, die ihnen einen Ehrenplatz unterden Schçpfungen des menschlichen Geistes verschafft hat.Die Antwort lautet, sie kommt ihnen von Zen – einer Le-bensschule, deren vitale Bedeutung f�r die Kulturgeschich-te Chinas und Japans wir bis in die j�ngsten Jahre sehruntersch�tzt haben; denn erst in allerneuester Zeit wurdeuns ein Schl�ssel in die Hand gegeben zumVerst�ndnis des-sen, was Zen selber ist.

* deutsch unter dem Titel »Die große Befreiung«, Leipzig 1939 undKonstanz 1947 (3. Auflage).

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Die Anf�nge des Zen

Gleich wie es unmçglich ist, einem von Geburt her Blin-den die Pracht eines Sonnenuntergangs zu schildern, sohaben Weise keine Mçglichkeit,Worte zu finden, die ihreWeisheit Menschen von geringerer Einsicht zum Ausdruckbringen kçnnten. Denn die Weisheit der Weisen liegt nichtin ihren Lehren; sonst mçchte jeder Beliebige ein Weiserwerden: bloß dadurch, daß er die Bhagavad-Gita, die pla-tonischen Dialoge oder die buddhistischen Schriften liest.In Wirklichkeit kann man diese B�cher ein Leben lang stu-dieren, ohne dabei anWeisheit im mindesten zu gewinnen.Denn Erleuchtung in Worten und Ideen suchen ist geradeso (mit Trigant Burrow zu reden), wie wenn man erwar-tet, der Anblick der Speisekarte werde gen�gen, das Nah-rungsbed�rfnis eines Hungrigen zu stillen. Nichts ist je-doch leichter, als dieWeisheit einesWeisenmit seinerLehrezu verwechseln; denn wo jede eigne Einsicht in die Wahr-heit fehlt, wird das, was ein andrer Mensch �ber seine Ein-sichten sagt, gar leicht f�r die Wahrheit selber genommen.Und doch ist es damit ebensowenig eins wie ein Wegwei-ser mit dem Ort, auf den er hindeutet. Gautama Buddha(der Erleuchtete) vermied sorgsam jede Aussage �ber dieErleuchtung, die er eines Nachts – unter einem gewaltigenFeigenbaum zu Gaya sitzend – gefunden; und es heißt, alsman ihn �ber die letzten Geheimnisse des Universums be-fragte, habe er ein edles Schweigen bewahrt. Er wurde niem�de zu betonen, daß seine Lehre (Dharma) nur den Wegzur Erleuchtung betreffe, niemals nannte er sie eineOffen-barung derselben. Daher die buddhistischen Verse:

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Wenn sie dich voll Neugier fragen und wissen mçchten,was ES ist,

Sollst du nichts bejahen und nichts verneinen.Denn was immer bejaht wird, ist nicht wahr.Und was immer verneint wird, ist nicht wahr.Wie soll einer wahrheitsgetreu sagen, was DAS ist,Solang er selber das Seiende nicht vçllig erreicht hat?Und nachdem ers gefunden, welch ein Wort soll er senden

aus Hçhen,Wo der Rede Fahrzeug nicht Gleise findet, drauf zu rollen?Drum denn halte den Fragern Schweigen entgegen –Schweigen – und einen Finger, weisend den Weg.

Und dennoch haben die Anh�nger Buddhas die Erleuch-tung in jenem Finger gesucht, statt in das Schweigen einzu-gehn, auf das er hindeutet. Sie haben dem Andenken sei-ner Spr�che gehuldigt und sich darauf gest�tzt, als obseine Weisheit darin beschlossen l�ge. Doch damit habensie jenes Gedenken nicht bloß zum Schreine gemacht, son-dern vollends zum Sarge, worin seiner Weisheit tot’ Ge-rippe begraben liegt. Erleuchtung aber ist lebendig undl�ßt sich nicht in irgendeinem Wortlaut festlegen. Deswe-gen zielt die buddhistischeZenschule darauf hin, �berWor-te und Vorstellungen hinauszukommen, damit Buddhasurspr�ngliche Erkenntnis wiederum aufleben mçge. Siebetrachtendiese Erkenntnis als dasEine,was not tut. Schrif-ten sind weiter nichts als Kunstgriffe, zeitweilige Notbe-helfe, um aufzuzeigen, wo sie gefunden werden mag. Siebegeht niemals denFehler, LehrenmitWeisheit zu verwech-seln; denn Zen ist seinem Wesen nach jenes Etwas, dasden Buddha von einem gewçhnlichen Menschen unter-

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scheidet, es ist Erleuchtung, und damit von bloßer Lehreverschieden.Wie so manche Schl�sselbegriffe der Philosophie des

Ostens hat das Wort Zen in unsrer Sprache keine genaueEntsprechung. Es ist ein japanisches Wort, das sich vomchinesischen Ch’an oder Ch’an-na herleitet. Dies wieder-um ist eine Entstellung aus SanskritDhyana, was �blicher-weise mit »Meditation« oder »Versenkung« �bersetzt wird:eine irref�hrende �bersetzung; denn f�r uns bedeutet Me-ditation kaum mehr als tiefes Denken und Nachdenken,wogegen in der Yogalehre Dhyana ein hoher Bewußtseins-zustand ist, worin man Einung mit der letzten Wirklich-keit des Universums findet. Dasselbe gilt von Ch’an undZen, nur daß die chinesische Mentalit�t es vorzog, dieseEinung weniger durch einsames Meditieren im Dschungelals in der Arbeit des Alltags zu finden. Es gibt nichts »Jen-seitiges« in Zen; denn dieses ist eine fortw�hrende seeli-sche Haltung, ebenso anwendbar beim Waschen der Klei-der wie bei der Verrichtung religiçser Pflichten. Und wennder Yogi sich von der Welt zur�ckzieht, sein Dhyana zuerreichen, begegnet man dem Zen in Mçnchsgemeinden,woMeister und Sch�ler die gesamte Arbeit zum Unterhaltdes Klosters miteinander teilen: Reisanbau, Gartenpflege,Kochen,HolzspaltenundReinhaltenderKlosterr�ume. Sollalso »Zen« �berhaupt verdeutscht werden, so entsprichtihm am n�chsten »Erleuchtung«. Aber gleichwohl ist Zennicht nur Erleuchtung, es ist auch der Weg, auf dem mansie erreicht.

Es gibt eine �berlieferung, wonach Zen in jener Nachtseinen Anfang nahm, als Buddha im 5. Jahrhundert v.Chr.zu Gaya seine tiefste Einsicht in die Mysterien des Lebens

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gewann. Diese Einsicht wurde durch eine Reihe von 28 Pa-triarchen weitergegeben, bis sie an einen gewissen Bodhi-dharma kam, welcher im 6. Jahrhundert n. Chr. Zen nachChina brachte. Die Urkunden sagen, jene Erkenntnis seivon einem auf den andern �bergegangen, ohne jede Ver-mittlung durch Schriften oder lehrhaften Unterricht. Eswar eine »unmittelbare �bertragung«, eine Mitteilung, dieinsgeheim von Geist zu Geist ging, verst�ndlich nur f�rden, der weit genug entwickelt war, seines Meisters Er-leuchtung zu fassen. W�hrend diese »Geheimbotschaft«weitergetragenwurde, fanden sichdieNachfolgerBuddhaszu vielen unterschiedlichen Sekten zusammen, die allesamtunter zwei Hauptrichtungen fallen: Mahayana (grçßeresFahrzeugdesGesetzes) undHinayana (kleineres Fahrzeug).Letzteres war ein Ausdruck der Verachtung, erfunden vonden Anh�ngern des Grçßeren Fahrzeugs. Der Unterschiedzwischen den beiden war weitgehend das Resultat einesStreites �ber die Glaubw�rdigkeit gewisser Textreihen.Keine von Buddhas Reden wurde aufgeschrieben bis min-destens 150 Jahre nach seinem Tod. Vor jenem Zeitpunktwurden sie aus dem Ged�chtnis wiederholt und erhiel-ten dadurch eine tabellarische und mechanische, f�r unsAbendl�nder besonders reizlose Form. Hieraus ergab sichunvermeidlich, daß sie mit Einschiebungen von Mçnchs-hand durchsetzt wurden.1 Und wenn auch allgemein an-genommen wird, die Pali-Version sei urspr�nglicher alsdie Sanskrittexte des Mahayana, so besteht dennoch we-nig Zweifel, daß auch diese sich weit von den wirklichenBuddhaworten entfernt haben. Das Hinayana oder Thera-vada (Weg der �lteren) umfaßt jene Gl�ubigen, die einzigdie Pali-Versionanerkennen.Letztere, bekannt alsTipitaka

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(die drei Kçrbe), besteht aus dreiGruppen vorwiegend ethi-scher Lehren. So fest �berzeugt sind sie, daß diese Fas-sung das letzte Wort von Buddhas Weisheit enthalte, daßsie allen Gedanken oder Vorschriften, die sich darin nichtfinden, die Anerkennung versagen. Und da nun seine Lehrein der Hauptsache ethischen Charakter hat, ist das Hina-yana eine Schule formellen und starren, schier materialisti-schen Denkens geworden. Seit den Tagen seines Ursprungsbis auf unsere Zeit hat seine Philosophie sich weder ge-wandelt noch in irgendeiner bedeutsamen Hinsicht ent-wickelt. Dagegen bestehen die Sanskrittexte des Maha-yana haupts�chlich aus metaphysischen Abhandlungen,welche fortw�hrend bearbeitet und stets wieder frischenDeutungen unterworfen wurden. Geographisch ist dasHinayana auf S�dasien – Ceylon, Burma und Siam – be-schr�nkt, wogegen das Mahayana nordw�rts nach China,Tibet, der Mongolei, Korea und Japan gelangte. W�hrenddas Hinayana von Land zu Land keine wichtigen Unter-schiede zeigt, umschließt das Mahayana eine Anzahl ver-schiedener Sekten, vom hochritualistischen Lamaismus Ti-bets bis zur frischen Unbefangenheit des japanischen Zen.

Hinayana- wieMahayana-Buddhismus haben beide ihregemeinsame Wurzel in den elementaren Grunds�tzen vonBuddhas Lehre. Auf die k�rzeste Formel gebracht, besagtdiese Lehre,daß derMensch leidet,weil erDinge,die ihremWesen nach verg�nglich sind, besitzen und f�r immer fest-halten mçchte. Das erste und wichtigste von diesen Din-gen ist seine eigene Person. Denn mittels ihrer sondert ersich vom �brigen Leben ab; sie ist die Festung, worein ersich zur�ckziehen, von wo er sich gegen �ußere Gewaltenbehaupten kann. Er ist des Glaubens, diese befestigte und

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isolierte Stellung sei das beste Mittel, Gl�ck zu erlangen.Sie ermçglicht ihm, gegen Ver�nderungen zu k�mpfen; siefçrdert sein Bem�hen, Angenehmes f�r sich zu behalten,Leiden auszuschließen und die Umst�nde nach seinemWil-len zu formen. Genug, sie ist seinMittel, demLebenWider-stand zu leisten. Buddha lehrte, alle Dinge, mit Einschlußdieser Festung, seien wesentlich von Unbestand und ent-gleiten dem Menschen, sobald er sie zu besitzen versucht.Dies Vereiteln seinesWunsches nach Besitz ist die unmittel-bare Ursache seines Leidens. Aber Buddha ging noch wei-ter; denn er zeigte, die tiefste Ursache sei der Wahn, derMensch kçnne sich vom Leben absondern. Eine Schein-Isolierung kommt dadurch zustande, daß er sich dieserFestung, seiner Person, gleichsetzt; weil aber die Festungnicht von Dauer ist, hat sie keine bleibende Wirklichkeit,ist sie ohne jede »Selbstnatur« (atta) und ebensowenig dasSelbst wie irgendein andrer ver�nderlicher Gegenstand.Was ist dann aber das Selbst? Buddha blieb stumm, wennman diese Frage an ihn tat. Er lehrte jedoch, der Menschwerde es erst erkennen, wenn er aufhçre, sich seiner Per-son gleichzusetzen, aufhçre, aus seinem Bollwerk herausWiderstand zu leisten und wenn er seiner Feindschaft undseinenRaubz�gen gegen das Leben vollends ein Ende setze.Im Gegensatz zu dieser Philosophie der Absonderung ver-k�ndete Buddha die Einheit aller Lebewesen und verpflich-tete seine Anh�nger, statt solcher Feindschaft gçttlichesMitleid (karuna) zu�ben.DieBefolgungdieser Lehrebringtden Sch�ler in den Zustand von Nirvana, ans Ende desLeidens und zum Erlçschen der Selbstsucht, in den Standewiger Wonne,welche zu schildernWorte nicht f�hig sind.Als Zusatz zu dieser Lebensphilosophie verleibte Buddha

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