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Zbl. Bakt. Hyg., LAbt. Orig. A 247,35-42 (1980) Aus dem Institut fiir Medizinische Mikrobiologie und Epidemiologie (Direktor: OMR Prof. Dr. sc. med. G.Naumann) des Bereiches Medizin der Wilhelm-Pieck-Universitat Rostock, DDR K-Antigen, Adharenzfaktor, Dulcitol-Abbau und Hamolysin- Bildung bei E. coli-R-Stammen aus Urin 1 K Antigen, Colonization Factor Antigen, Dulcitol Fermentation, and Hemolysin Production in E. coli Rough Strains Isolated from Urine Specimens WOLFGANG NIMMICH, GUNTER NAUMANN, ECKHARD BUDDE und EBERHARD STRAUBE Eingegangen am 2. November 1979 Abstract E. coli rough strains (as determined by spontaneous agglutination of in boiled saline suspension) isolated in significant amounts (> 10 5 /ml) from patients with urinary tract infections were investigated for some factors possibly related to virulence. The frequencies of capsular antigen, colonization factor antigen (CFA I), dulcitol fermentation, and hemo- lysin production are summarized in table 1. 270 (66.2%) out of 408 strains were found to be encapsulated as determined by the inagglutinability of the living strains in saline. 180 (44.1%) strains were able to ferment dulcitol, and evidence for hemolysin production could be demonstrated in 146 (35.8%) strains. The CFA I (demonstrated by a mannose resistant hemagglutination of human red blood cells) was detected in 62 (15.2%) of the E. coli rough strains tested. The frequency of single properties in the presence or absence of capsular antigen is shown in table 2 demonstrating no significant differences in both groups. The most frequent single factor was found to be the capsular antigen with 22.1 %, followed by the double combination capsular antigen/dulcitol fermentation (16.7%), dul- citol fermentation alone (10%), and capsular antigen/hemolysin production (9.8%). There were only 5 strains possessing all four factors tested. On the other hand we found 35 (8.6%) rough strains with none of the properties. Some aspects of virulence of E. coli rough strains are discussed. Zusammenfassung Aus Urin von Patienten mit Harnweginfektionen isolierte E. coli-Rauhstamme (spontan- aggll1tinierende Keimsl1spensipn in isoton. Kochsalzlosl1ng nach Erhitzen) sind auf das 1 Herrn OMR Prof. Dr. sc. med. Alfred Kaeding zum 60. Geburtstag.

K-Antigen, Adhärenzfaktor, Dulcitol-Abbau und Hämolysin-Bildung bei E. coli-R-Stämmen aus Urin

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Page 1: K-Antigen, Adhärenzfaktor, Dulcitol-Abbau und Hämolysin-Bildung bei E. coli-R-Stämmen aus Urin

Zbl. Bakt. Hyg., LAbt. Orig. A 247,35-42 (1980)

Aus dem Institut fiir Medizinische Mikrobiologie und Epidemiologie (Direktor: OMR Prof. Dr. sc. med. G.Naumann) des Bereiches Medizin der Wilhelm-Pieck-Universitat Rostock, DDR

K-Antigen, Adharenzfaktor, Dulcitol-Abbau und Hamolysin­

Bildung bei E. coli-R-Stammen aus Urin 1

K Antigen, Colonization Factor Antigen, Dulcitol Fermentation, and Hemolysin Production in E. coli Rough Strains Isolated from Urine Specimens

WOLFGANG NIMMICH, GUNTER NAUMANN, ECKHARD BUDDE und EBERHARD STRAUBE

Eingegangen am 2. November 1979

Abstract

E. coli rough strains (as determined by spontaneous agglutination of in boiled saline suspension) isolated in significant amounts (> 105 /ml) from patients with urinary tract infections were investigated for some factors possibly related to virulence. The frequencies of capsular antigen, colonization factor antigen (CFA I), dulcitol fermentation, and hemo­lysin production are summarized in table 1.

270 (66.2%) out of 408 strains were found to be encapsulated as determined by the inagglutinability of the living strains in saline. 180 (44.1%) strains were able to ferment dulcitol, and evidence for hemolysin production could be demonstrated in 146 (35.8%) strains. The CFA I (demonstrated by a mannose resistant hemagglutination of human red blood cells) was detected in 62 (15.2%) of the E. coli rough strains tested. The frequency of single properties in the presence or absence of capsular antigen is shown in table 2 demonstrating no significant differences in both groups.

The most frequent single factor was found to be the capsular antigen with 22.1 %, followed by the double combination capsular antigen/dulcitol fermentation (16.7%), dul­citol fermentation alone (10%), and capsular antigen/hemolysin production (9.8%). There were only 5 strains possessing all four factors tested. On the other hand we found 35 (8.6%) rough strains with none of the properties. Some aspects of virulence of E. coli rough strains are discussed.

Zusammenfassung

Aus Urin von Patienten mit Harnweginfektionen isolierte E. coli-Rauhstamme (spontan­aggll1tinierende Keimsl1spensipn in isoton. Kochsalzlosl1ng nach Erhitzen) sind auf das

1 Herrn OMR Prof. Dr. sc. med. Alfred Kaeding zum 60. Geburtstag.

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Vorhandensein einiger mit der Virulenz von E. coli zusammenhangender Faktoren unter­sucht worden. 270 (66,2%) der untersuchten 408 R-Stamme waren von der Platte in­agglutinabel in Salzlosungen und wurden deshalb als bekapselt angesehen. Die Fahigkeit zum Dulcitol-Abbau wurde bei 180 (44,1 %) Stammen und zur Hamolysin-Bildung bei 146 (35,8%) Stammen nachgewiesen.

Bei 62 (15,2 %) R -Stammen fan den wir den Adharenzfaktor 1. Ordnet man die Ergebnisse nach einzelnen und kombiniert vorhandenen Virulenzfaktoren (Tab. 3), so findet man am haufigsten K-Antigen als Einzeleigenschaft mit 22,1 %, gefolgt von der Zweifachkombina­tion K-Antigen /Dulcitol-Abbau mit 16,7%, Dulcitol~Abbau mit 10% und K-Antigen/Ha­molyse mit 9,8%. Bei nur 5 Scammen waren aile 4 Virulenzfaktoren nachweisbar.

35 (8,6%) R-Scamme hatten keine der getesteten Eigenschaften.

E. coli ist bei wei tern der haufigste Erreger von Harnweginfektionen (HWI). Bei der Serotypisierung dieser Keime sind bestimmte O-Gruppenantigene besonders haufig nachgewiesen worden, was den AnlaB gab, ihnen eine spezielle Pathogenitat fur den Harntrakt zuzuschreiben bzw. sie als Ausdruck ihrer Haufigkeit in der Darmflora anzusehen. Den R-Stammen ist hierbei kaum Beachtung geschenkt wor­den, obwohl sie regelmaBig bei Patienten mit HWI gefunden werden. Die Angaben uber ihre Haufigkeit bei HWI unterscheiden sich betrachtlich und hangen offenbar auch vom zugrundeliegenden Krankheitsbild ab (4, 23). Bettelheim u. Taylor (1) berichteten bei chronis chen HWI uber 7,4% E. coli R-Stamme, wahrend Lidin­Janson et al. (18) bei Madchen mit asymptomatischer Bakteriurie 45,2% R-Formen nachweisen konnten. 1m Rahmen unserer routinemaBigen bakteriologischen Urin­diagnostik wurde festgestellt, daB 14,8% der in signifikanter Keimzahl isolierten Coli-Stamme in der Rauhform vorlagen (25).

1m Zusammenhang mit der pathogenetischen Bedeutung von E. coli fur Infek­tionen der Harnwege sind in den letzten Jahren bestimmte Eigenschaften, die mit der Virulenz der Keime in Zusammenhang gebracht werden, in den Vordergrund des Interesses geriickt (12,21,26). Besondere Bedeutung wird dabei dem K-Antigen beigemessen, das insbesondere in Abhangigkeit von der Menge virulenz-fordernd sein solI (14, 19). Der bei enterotoxinbildenden E. coli erstmalig nachgewiesene Adharenzfaktor (8), der fur das Haftvermogen der Keime an Schleimhauten verant­wortlich gemacht wird, ist kiirzlich von Minshew et al. (20) sowie Naumann et al. (22) auch bei einigen aus Urin isolierten Colistammen nachgewiesen worden. Weiter­hin wird der Hamolysin-Bildung (7,20,30) und der Fahigkeit zur Dulcitol-Fermen­tation (15) Bedeutung als Marker zugesprochen.

Auf Grund des relativ haufigen Vorkommens von E. coli R-Stammen im Urin bei Patienten mit HWl haben wir R-Stamme auf das Vorhandensein von K-Antigen und Adharenzfaktor sowie hinsichtlich ihrer Fahigkeit zur Dulcitol-Spaltung und Hamolysin-Bildung untersucht.

Material und Methoden

Es standen 408 E. coli R-Stamme zur Verfiigung, die in signifikanter Keimzahl (> 105

Keime /ml) aus Urin von Patienten mit HWI angeziichtet worden waren.Der Rauh-Charak­ter der Stamme wurde durch Spontanagglutination von Keimsuspensionen in 0,9%iger Kochsalzlosung nach zweistiindigem Erhitzen auf 100°C im Dampftopf festgestellt (25). Die ldentifizierung als E. coli erfolgte nach Beurteilung der fermentativen Leistungen.

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Virulenz-Faktoren VOIl E. coli R-Stammen 37

Auf das Vorhandensein von K-Antigen schlossen wir bei den Stammen durch die In· agglutinabilitat von Nahragar hergestellter lebender Keimsuspensionen in 0,9- und 3,5-prozentiger Kochsalzlosung auf dem Objekttrager.

Die Hamolysin-Bildung wurde nach 48std. Bebriitung auf Nahragar mit Zusatz von 5% Schaferythrozyten bestimmt.

Zur Feststellung des Dulcitol-Abbaus wurde eine Pepton-Kochsalz-Bouillon mit 0,75 % Dulcitol und Bromthymolblau als Indikator verwendet. Die endgiiltige Ablesung erfolgte nach 72 Std. Bebriitung bei 37 °C.

Zum Nachweis des Adharenzlaktors (CFA I) wurden Keimsuspensionen in isotonischer Kochsalzlosung von 18 Std. bei 37 °C inkubierten Nahragarplatten mit 3%igen Suspen­sionen humaner Erythrozyten der Blutgruppen OD und AId mit und ohoe Zusatz von 0,5% Mannose auf Objekttragern zur Reaktion gebracht. Stamme, die eine Mannose­resistente Hamagglutination hervorriefen, wurden erneut auf diese Eigenschaft iiberpriift (nach Ziichtung auf Nahragar bei 18 °C und in Bouillon bei 37 °C sowie nach einstiindigem Erhitzen einer Keimsuspension auf 65 °C (8)).

Ergebnisse

Es wurden 408 E. coli R-Stamme auf die Anwesenheit von K-Antigen und Ad­harenzfaktor I sowie auf die Fahigkeit zur Fermentation von Dulcitol und zur Hamolysinbildung iiberpriift. Die Keime wurden von Patienten mit Harnweginfek­tionen isoliert. Eine signifikante Bakteriurie (> 105 Keime/ml) war Voraussetzung zur Aufnahme der R-Stamme in die vorliegende Untersuchung.

Tabelle 1. Eigenschaften von 408 E. coli R -Stammen

Anzahl %

Stamme mit K-Antigen 270 66,2 Hamolysin 146 35,8 Dulcitol-Abbau 180 44,1 Adharenz£aktor I 62 15,2

Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 zusammengefaiSt. Von den untersuchten Stam­men waren 138 (33,8%) von der Platte in 0,9- und 3,5%iger KochsalzlOsung agglu­tinabel. Bei den verbleibenden 270 Stammen (66,2%) wurde auf Grund ihrer In­agglutinabilitat in den Salzlosungen auf Vorhandensein von K-Antigen geschlossen. Relativ haufig mit 44,1 % ist unter den R-Stammen die Fahigkeit, Dulcitol zu fer­mentieren. Die Bildung von Hamolysin ist bei mehr als einem Drittel (35,8%) der Stamme nachweisbar. 62 R-Stamme (15,2%) zeigten eine Mannose-resistente Ham­agglutination von humanen Erythrozyten und weisen demnach den Adharenzfak­tor I auf.

Schliisselt man die Befunde nach An- und Abwesenheit von K-Antigen auf, so erhalt man die in Tabelle 2 dargestellte Verteilung. Es ist ersichtlich, daiS sich hierbei keine signifikanten Unterschiede ergeben. Bei den Stammen mit K-Antigen tritt etwas hiiufiger der Adharenzfaktor auf, wahrend bei den unbekapselten Stammen die Hamolysin-Bildung mehr in Erscheinung tritt.

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Tabelle 2. Haufigkeit einzeiner Eigenschaften von E. coli R-Stammen

Hamoiysin Dulcitoi-Abbau Adharenzfaktor I

mit K-Antigen (n = 270) Anzahi %

87 114 46

32,2 42,2 17,0

ohne K-Antigen (n = 138) Anzahi %

59 66 16

42,8 47,8 11,6

T abelle 3. Einzeln und mehrfach vorhandene Eigenschaften von 408 E. coli R-Stammen

Anzahl %

K-Antigen, Hamolysin, CFA I, Duicitoi-Abbau 5 1,2 K-Antigen, Hamoiysin, CFA I 16 3,9 K-Antigen, Hamolysin, Dlllcitoi-Abbau 26 6,4 K-Antigen, CFA I, Dulcitol-Abbau 15 3,8 Hamolysin, CFA I, Dlllcitol-Abball 3 0,7

K-Antigen, CFA I 10 2,5 K-Antigen, Hamolysin 40 9,8 K-Antigen, Dlllcitol-Abbau 68 16,7

Hamolysin, CFA I 10 2,5 Hamolysin, Dlllcitol-Abball 21 5,1 CFA I, Dlllcitol-Abbau 1 0,2

K-Antigen 90 22,1 Hamolysin 25 6,1 CFAI 2 0,5 Dllicitol-Abbau 41 10,0 keine 35 8,6

CFA (colonization factor antigen): AdharenZ£aktor

Auskunft iiber den Anteil einzelner und mehrerer zugleich vorhandener Eigen­schaften gibt Tabelle 3. Bemerkenswert ist, daS es nur sehr wenige R-Stamme in dem untersuchten Material gibt, die iiber aIle vier Charakteristika verfiigen. An­dererseits war bei nur 8,6% der Stamme keines der getesteten Merkmale nachweis­bar. Am haufigsten fanden wir K-Antigen als Einzeleigenschaft bei 90 Stammen (22,1 %). Es folgen dann mit 16,7% Anteil die Zweifach-Kombination K-Antigenl Dulcitol-Abbau, Dulcitol-Abbau als Einzeleigenschaft mit 10% sowie kombiniert K-Antigen/Hamolysin mit 9,8% . Unter den Dreifachkombinationen war das gleich­zeitige Vorhandensein von K-Antigen, Adharenzfaktor und Hamolysin-Bildung bei 26 R-Stammen (6,4%) feststellbar.

Diskussion

Ais Erreger von HWI spielt E. coli eine dominierende Rolle. Fiir diese Infektionen werden mit bestimmten 0 - (und K-)Antigenen ausgestattete Wildstamme verant-

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Virulenz-Faktoren von E. coli R-Stammen 39

wortlich gemacht, wobei heute noch nicht endgultig geklart ist, ob den haufig bei HWI gefundenen O-Gruppen eine pathogenetische Bedeutung zukommt oder ob es sich lediglich um eine Widerspiegelung ihrer Haufigkeit im Darm handelt.

E. coli R-Stammen kommt in dieser Beziehung sicher eine untergeordnete Rolle zu, obwohl sie regelmaBig, wenn auch in unterschiedlicher Haufigkeit, aus Urin von Patienten mit HWI angezuchtet werden (25). In der vorliegenden Arbeit wurden 408 aus Urin in signifikanter Keimzahl (> 105/ml) isolierte Coli-R-Stamme hinsicht­lich einiger Parameter untersucht, die in der letzten Zeit im Schrifttum oft mit Fra­gen der Virulenz von E. coli in Zusammenhang gebracht werden (12, 21, 26). Bei 270 Stammen (66,2%) konnte das Vorhandensein von K-Antigen und bei 62 Stam­men (15,2%) det Adharenzfaktor I nachgewiesen werden. Der Nachweis der Hamo­lysin-Bildung fiel bei 146 Stammen (35,8%) und die Dulcitol-Fermentation bei 180 R-Stammen (44,1 %) positiv aus.

R-Stamme sind offensichtlich in der Lage, eine chronische HWI zu unterhalten. Bei Patienten mit langjahrig bestehender chronischer Pyelonephritis konnten wir uber mehrere Jahre R-Stamme aus dem Urin und auch homo loge Antikorper im Serum nachweisen (24). Interessante Aspekte ergeben sich aus der Fragestellung, ob R-Formen als solche in der Lage sind, Infektionen der Harnwege auszulosen oder ob sie im Verlaufe der Infektionen als Produkt der Auseinandersetzung von Wirt und Wildstamm gebildet werden.

Eng verbunden mit dieser Problematik ist die Haufigkeit des Vorkommens von E. coli R-Stammen uberhaupt und die Frage nach ihrer Virulenz. Dber den Anteil von R-Stammen in Fazes - dem Erreger-Reservoir fur HWI - liegen nur wenige Ergebnisse im Schrifttum vor. Aus Untersuchungen von Bettelheim et al. (2) ist bekannt, daB R-Stamme einen wesentlichen Teil der Coli-Darmflora ausmachen. Bei 4 von 9 Proband en wurden R-Stamme als residente Keime festgestellt und bei weiteren 3 standen R-Stamme an zweiter Stelle der Haufigkeit. R-Stamme gehen schon bei der Geburt von der Mutter auf das Kind uber, wo sie zum Teil im Speichel und im Stuhl nachgewiesen wurden (3). Vosti et al. fan den etwa in gleicher Haufig­keit von 6-7% R-Stamme in Stuhlproben von Gesunden und Patienten mit HWI wie im Urin von HWI-Patienten (31).

Wenn auch die gleichen Coli-O-Antigene bei HWI sowohl bei Stammen aus dem Urin als auch aus dem Stuhl nachgewiesen werden (29, 31), scheinen die "common serovars" die Coli-Darmflora keineswegs zu bestimmen (10,32).

Es muB damit gerechnet werden, daB R-Stamme bei der Wirt-Erreger-Wechsel­wirkung gebildet werden (5, 17). Bettelheim u. Taylor haben bei Frauen mit chro­nischer HWI an biochemisch und serologisch definierten Colistammen im Verlaufe mehrerer Rezidive O/R-Variationen nachweis en konnen (1). Hanson erklart die hohe Rate von 24% R-Stammen bei Schulmadchen mit asymptomatischer Bak­teriurie damit, daB sich die Erreger der Wirtsabwehr anpassen und in eine weniger virulente Form ubergehen, die ihnen ein Dberleben gewahrleistet (12). Unbeantwor­tet bleibt dabei, wieso sie von den Abwehrmechanismen nicht vollig ausgeschaltet werden, da R-Stamme generellieichter phagozytiert werden und sehr empfindlich gegenuber der Serumbakterizidie sind (17).

Eine besondere Beziehung zur Virulenz wird dem K-Antigen zugesprochen. 1m Tierversuch wurde fur bekapselte E. coli S-Stamme (Glatt-Formen) eine hohere Virulenz ermittelt als fur unbekapselte (13, 16,33). AuBerdem scheint eine Korrela­tion zur Antigen-Menge zu bestehen (14, 19). Glynn et al. (9) wiesen bei HWI mit Nierenbeteiligung haufiger K-Antigen-reiche Colistamme nach als bei Zystitis und

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in Stuhlproben von Schwangeren und Gesunden. Glatt-Stamme mit viel K-Antigen verfiigen demnach tiber eine groBere Invasivitat fiir die Niere und sind dadurch in der Lage, mit groBerer Wahrscheinlichkeit eine Pyelonephritis hervorzurufen. In­wieweit diese Ergebnisse auch fiir bekapselte R-Stamme zutreffen, mussen weitere Untersuchungen zeigen.

Bemerkenswert ist, daB bekapselte R-Stamme in der Lage sind, eine Meningitis bei Sauglingen auszulosen. Nach Sarff et al. (27) sowie Cheasty et al. (6) wurden spontanagglutinierende Colistamme mit Kl-Antigen haufig als Erreger einerneo­natalen Meningitis gefunden. Die aus dem Liquor angezuchteten Keime wurden zum Teil auch aus dem Blut und von Rektalabstrichen des Sauglings sowie Rektal­abstrichen der Mutter isoliert (27).

Als ein weiterer Virulenz-Faktor wird neuerdings die Fahigkeit zum Abbau von Dulcitol diskutiert. Guze et al. (11) fanden eine Korrelation von Virulenz und dem Fermentationsvermogen von Dulcitol fiir Colistamme. In weiteren Untersuchungen von der gleichen Arbeitsgruppe wurde festgestellt, daiS Dulcitol-fermentierende Stamme signifikant virulenter fiir Mause sind und deshalb mit groBerer Wahrschein­lichkeit HWI hervorrufen konnen als Stamme, denen diese Eigenschaft fehlt (15). Von oberen HWI isolierte Stamme brachten die gleichen Ergebnisse wie die von unteren HWI isolierten.

Nach Ansicht mehrerer Autoren kommt der Hamolysin-Bildung durch E. coli­Stamme Bedeutung fur ihre Virulenz zu. Generell scheint die Fiihigkeit, Hamolysin zu bilden, bei den von extraintestinalen Infektionen isolierten Colistiimmen starker ausgepragt zu sein als bei Stammen aus dem Stuhl (7,20, 30). Vahlne fand 26% hiimolysierende Colis tam me bei HWI (30). Die von Cooke u. Ewins aus Urin iso­Iierten Stamme zeigten in 56% eine I-Iamolyse-Bildung (7). Minshew et al. (20) konnten bei 49% der Colistamme bei HWI hamolysierende Eigenschfaten nach­weisen. Bei den von Cooke u. Ewins (7) untersuchten R-Stammen hatten nur 16% die Fahigkeit zur Hamolyse. Wir konnten in der vorliegenden Arbeit bei 146 von 408 E. coli R-Stammen (35,8%) eine Hamolysin-Bildung nachweisen.

Der Haftfiihigkeit von E. coli an den Schleimhiiuten der Harnwege kommt mog­licherweise fur die Pathogenese von HWI Bedeutung zu. Hierfiir werden einerseits Fimbrien und andererseits Adharenzfaktoren verantwortlich gemacht. Svanborg­Eden u. Hansson haben festgestellt, daiS das Haftvermogen von E. coli an uro­epithelialen Zellen mit der Anwesenheit von Fimbrien ("common pili") korreliert (28). Diese lassen sich durch eine Mannose-empfindliche Hiimagglutination von Meerschweinchen-Erythrozyten nachweisen. Die Haftfiihigkeit kann aber auch von morphologisch iihnlichen Gebilden, den sogenannten "colonisation factor antigens" (CFA) oder Adharenzfaktoren vermittelt werden, die durch eine Mannose-resistente Hamagglutination von humanen Erythrozyten nachweis bar sind. Der bei entero­toxinbildenden E. coli-Stammen entdeckte CFA 1(8) wurde kiirzlich auch bei Urin­stammen nachgewiesen (20,22). Bei den von uns untersuchten R-Stammen war der Adharenzfaktor zu 15,2% nachweis bar.

In der vorliegenden Arbeit wird auf E. coli Rauh-Stamme aufmerksam gemacht, die von Patienten mit HWI isoliert wurden. Dber ihre Bedeutung fur die Pathogenese der HWI ist nichts bekannt. Allgemein werden R-Stamme als avirulent angesehen. Inwieweit das auch fur Stamme zutrifft, die iiber Virulenz-Kriterien verftigen, muiS in weiteren Untersuchungen geklart werden. Nur 35 der 408 untersuchten Stamme verfugten uber keine der vier getesteten Eigenschaften. Die vorgelegten Ergebnisse sollten darauf hinweisen, daiS fur R-Stamme mit Virulenz-fordernden Eigenschaften

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die Wahrscheinlichkeit, eine HWI auszulosen oder zu unterhalten, zunimmt. Dabei sind wir uns im klaren dariiber, daR diese Frage nicht einseitig yom Keim aus zu betrachten ist, sondern daR auch der Wirt mit seinen Abwehrmechanismen bei die­ser Problematik nicht unberiicksichtigt bleiben dar£.

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Doz. Dr. sc. med., Dr. ref. nat. Wolfgang Nimmich, Institut fiir Medizinische Mikro­biologie und Epidemiologie des Bereiches Medizin der Wilhelm-Pieck-Universitat Rostock, LeninaIIee 70,25 Rostock, DDR