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Schweiz Mittwoch 28. August 2013 Die Berner Alters- und Pflege- heime sollen künftig weniger Geld für ihre Infrastruktur er- halten: Der Regierungsrat will die Beiträge kurzerhand um 30 Prozent kürzen, um die Ergän- zungsleistungen zu entlasten. Die Branche läuft Sturm. Im Schloss Sumiswald sind die Betagten keine Könige KANTON BERN SPARMASSNAHMEN BEI ALTERS- UND PFLEGEHEIMEN Für einen Sarg zum Beispiel ist der Lift deutlich zu klein. Das ist in einem Altersheim nicht un- problematisch. Auch Betten bringt man nur hinein, wenn man sie zerlegt. Die Angestellten des Pflegeheims Schloss in Sumis- wald müssen viel Treppensteigen und dabei oft schwer tragen. Die Zimmer der 40 Bewohnerinnen und Bewohner sind auf drei Stockwerke verteilt. Nachts hat eine einzige Angestellte Dienst, die dann meist recht viel Sport treibe, wie Enrico Casanovas scherzt, der Präsident des Alters- zentrums Sumiswald. Und wenn jemand stirbt im Schloss, müssen sie den Sarg die Treppen hinun- tertragen. Das Alterszentrum betreibt in Sumiswald drei Pflegeheime mit 130 Plätzen. Jenes im Schloss dürfte es eigentlich nicht mehr geben. Die kantonale Gesund- heits- und Fürsorgedirektion (GEF) schreibt schon lange vor, dass jeder Heimbewohner min- destens 16 Quadratmeter Platz haben muss. Davon ist man hier im Schloss weit entfernt. Die Zweierzimmer sind etwa 20 Qua- dratmeter gross. Wer hier wohnt, muss Nähe vertragen und gut miteinander auskommen. «Wir haben Glück, dass unsere Bewoh- ner genügsame Menschen sind», sagt Geschäftsführer Patrik Wal- ther. «Aber auf Dauer können wir so nicht weitermachen.» 40-Millionen-Projekt in Sumiswald steht auf der Kippe Die Verantwortlichen der Sumis- walder Heime wollen handeln: Für 40 Millionen Franken planen sie einen mehrteiligen Neubau im Dorfzentrum, der zwei der drei heutigen Standorte ersetzen soll. Das Angebot bliebe bei 130 Pflegeplätzen. Es sei ein solides, gutes Projekt ohne jeden Luxus, sagt Casanovas, der als langjähri- ger Präsident der Emmental-Ver- sicherungen weitherum bekannt ist. Auch die Bankfinanzierung sei bereits gesichert – jedenfalls war sie das bis Ende Juni. Seit- dem der Regierungsrat das Spar- paket präsentiert hat, mit dem er die Kantonsfinanzen ins Lot bringen will, steht das Sumiswal- der Projekt auf wackligen Füssen. Das Paket enthält eine Massnah- me, mit der die Regierung die Be- treiber aller Berner Altersheime, die zusammen etwa 15 000 Plätze anbieten, brüskiert hat. Heute erhalten die Heime pro Pflegetag und Bewohner fix 32.75 Franken an die Kosten ihrer In- frastruktur von den Gebäuden bis zum Mobiliar. Diesen Betrag will die Regierung von einem Jahr aufs andere um 10 Franken oder 30 Prozent senken. Damit würden die Heime total knapp 50 von 150 Millionen Franken ver- lieren. Über diese und alle ande- ren Sparmassnahmen entschei- det der Grosse Rat im November. «Wenn sie das durchziehen, können wir unser Projekt beerdi- gen», sagt Casanovas. Dann ma- che die Bank nicht mehr mit. Man mag einwenden, die Sumis- walder müssten einfach ein paar Jahre warten, bis sie die Finan- zierung trotz tieferer Abgeltung stemmen können. «Unmöglich», sagt Geschäftsführer Walther, «so viel Zeit haben wir nicht, der Kanton duldet das Pflegeheim Schloss nur noch auf Zusehen hin.» «Das ist fast schon ein wenig frech» Dass derselbe Kanton, der manch strenge Auflage erlässt und den Heimen sogar die Abschrei- bungszyklen vorschreibt, nun die Beiträge markant kürzen will, lindert den Ärger in der Branche nicht. «Das ist fast schon ein we- nig frech», sagt zum Beispiel Urs Lüthi, der für die sieben Dahlia- Heime im Emmental (als Direk- tor) und im Oberaargau (als VR- Delegierter) tätig ist. Lüthi holt aus: Seit 2011 gilt die neue Pflegefinanzierung, die im Kanton Bern ein neues System zur Finanzierung der Heiminfra- struktur brachte. Zuvor hatte der Kanton die Bauprojekte der öf- fentlichen Heime simpel aus der Kantonskasse finanziert. Neu er- halten die Heime einen fixen Inf- rastrukturbeitrag und sind dafür gehalten, sich eigenverantwort- lich um ihre Anlagen zu küm- mern. Sie sollen für Bauprojekte nicht mehr beim Kanton anklop- fen, sondern diese mit Banken privat finanzieren. Zuvor muss- ten die Heime, denen der Kanton in letzter Zeit Projekte finanziert hatte, einen Teil der Beiträge wieder zurückzahlen. Die Emmentaler Dahlia-Heime etwa mussten über 3 Millionen Fran- ken abliefern, erinnert sich Lü- thi. Deshalb kann er nicht verste- hen, wie die Regierung nun auf die Idee kommt, die Infrastruk- turbeiträge um 30 Prozent zu kürzen. «Eigentlich müsste sie uns einen Teil der 3 Millionen wieder zurückzahlen.» Sowieso sei es ein Verstoss gegen Treu und Glauben, diese Beiträge nach so kurzer Zeit so massiv zu sen- ken, obwohl die Abmachung war, dass sie langfristig stabil sein müssen, damit die Heime mit den Banken ins Geschäft kommen. Plötzlich neue Regeln für 60-Millionen-Bau in Spiez In Spiez werden diese Beiträge zurzeit eifrig verbaut. Hier inves- tiert der Verein Solina, der das ehemalige Krankenheim Spiez und das Ziegelei-Zentrum Stef- fisburg führt, 60 Millionen Fran- ken für zwei grosse Neubauten. Gut möglich, dass die Banker, die diese Projekte finanziert haben, inzwischen etwas nervös sind. «Wir haben bisher nichts von ih- nen gehört», sagt Patric Bhend, Solina-Präsident und SP-Gross- rat. Er erinnert sich gut daran, dass sich die Banken primär für die Höhe und Zuverlässigkeit des Infrastrukturbeitrags interes- siert haben. Wenn die Regierung diesen um 30 Prozent kürzen will, wird ihnen das nicht egal sein. «Wir hoffen, dass wir mit ih- nen notfalls eine Lösung finden», so Bhend. Im schlimmsten Fall – wenn die Kredite gekündigt wür- den – werde man kaum darum herumkommen, den Kanton um Unterstützung zu bitten. Eine Toilette pro Etage muss reichen Im Schloss in Sumiswald kann eine Angestellte Geschäftsführer Walther noch knapp daran hin- dern, die Tür einer Toilette zu öffnen, die gerade besetzt ist. Er wollte den bescheidenen Lokus dem Fotografen zeigen. Dass er besetzt ist, ist kein Zufall. Die 13 bis 14 Frauen und Männer, die auf jeder Etage wohnen, müssen sich zwei Toiletten teilen. «Zeitge- mäss ist das natürlich nicht», seufzt Walther. Später am Sitzungstisch kämpft Präsident Casanovas mit Zahlen und Moral. Erstens seien die Angaben des Kantons zum Lebenszyklus der Altersheim-In- frastruktur falsch (siehe Artikel rechts): Diese liege nicht bei 20 sondern bei durchschnittlich 31 Jahren. Die Abschreibungsdauer weiter zu verlängern, sei nicht zu verantworten. Bei Gebäuden zum Beispiel liege sie bereits bei 50 Jahren, was schon eher mutig sei. Zweitens setze der Kanton Bern die Kosten pro Heimplatz schon heute sehr tief an, etwa 40 DIE SICHT DER REGIERUNG Es ist verlockend, den Sparhebel bei den Ergänzungsleistungen (EL) anzusetzen. Nicht nur, weil sie seit Jahren massiv ansteigen. Sondern auch, weil Kürzungen wegen des enormen Volumens der EL von rund 650 Millionen Franken pro Jahr im Kanton Bern stark «einschenken». So enthält auch das Sparpaket der Regierung einen Vorschlag zu den EL. Betroffen wären jedoch nicht die betagten EL-Empfän- ger, sondern die Alters- und Pfle- geheime. Die Regierung will die Abgeltung, welche die Heime für Gebäude, Einrichtungen und die übrige Infrastruktur erhalten, um 30 Prozent kürzen. Dies ent- lastet Kanton und Gemeinden um je 15 Millionen Franken: Sie finanzieren gemeinsam die EL, die für den Grossteil der Heim- kosten aufkommen. Entlastet werden auch gut situierte Senio- ren, die ihr Heim ohne EL zahlen und deshalb ebenfalls von der Beitragsreduktion profitieren. Die Regierung verteidigt ihren Altersheim-Sparvorschlag: Er bewirke nur, dass die Heime ihre Infrastruktur über längere Zeit abschreiben müssen. Das sei zumutbar. Im Namen der Regierung ver- teidigen das zuständige Mitglied Christoph Neuhaus (SVP) sowie Heiner Schläfli, Leiter der Aus- gleichskasse, den Sparvorschlag. Beide betonen, die Kürzung habe kaum unmittelbare Konsequen- zen: Weder führe sie zu einem Stellenabbau noch treffe sie die Bewohner. Die Folgen seien trag- bar. Nach der Berechnung der Regierung können die Heime mit den heutigen Abgeltungen einen Heimplatz grundsätzlich innert 20 Jahren amortisieren; nach der Kürzung sei eine Zeitspanne von 29 Jahren notwendig, um einen Heimplatz komplett er- neuern zu können. Diese Zahlen sind laut der Branche schlicht falsch (siehe Hauptartikel). Das Sackgeld kürzen? Neuhaus geht davon aus, dass die Heime Unterhaltsarbeiten oder Neubauten weniger rasch an die Hand nehmen könnten als geplant. Er sagt aber, sogar die Gesundheitsdirektion, die jährlich die Tarifverhandlungen mit den Heimen führe und das Ganze abschliessend beurteilen könne, trage den Vorschlag mit. Schläfli betont zudem, dies sei eine der wenigen Möglichkeiten, Lieber bei Infrastruktur sparen als beim Sackgeld der Bewohner wie der Kanton bei den EL über- haupt sparen könne. Der Gross- teil sei durch Bundesvorgaben gebunden. Möglich wäre zwar auch eine Reduktion der Beiträge an die «persönlichen Auslagen» der Heimbewohner – das Sack- geld. Doch dies wäre politisch wohl noch heftiger umstritten. Im Kanton St. Gallen wurde eine solche Sparmassnahme 2012 an der Urne klar verworfen. «Damit müssen wir leben» Den Berner Altersheimen blüht noch eine zweite Budgetkürzung, die neben dem Streit um den Infrastrukturbeitrag fast unter- geht. Die Regierung will die Heimtarife um 1,8 Prozent sen- ken. Da Krankenkassen und Be- wohner weiterhin gleich viel zah- len sollen, profitiert der Kanton überproportional: Seine Beiträge gehen um 5 Prozent zurück. Unbestritten ist, dass Bern für die EL relativ viel ausgibt. Laut Regierungsrat Neuhaus ist das nicht zu ändern: Da es hier relativ viele Betagte gebe und zugleich die Einkommen (und Renten) eher tief seien, liege es auf der Hand, dass der Bedarf nach EL gross sei. «Damit müssen wir le- ben», sagt Neuhaus. fab «Wir hoffen, dass wir mit den Banken notfalls eine Lösung finden.» Patric Bhend, Präsident der So- lina-Heime Spiez und Steffisburg «Wir haben Glück, dass unsere Be- wohner genügsame Menschen sind. Aber auf Dauer können wir so nicht weitermachen.» Patrik Walther, Geschäftsführer Alterszentrum Sumiswald Im Pflegeheim Schloss in Sumiswald müssen sich die 13 oder 14 Bewohnerinnen und Bewohner pro Etage zwei Toiletten teilen. Ob der Neubau realisiert werden kann, hängt nun von der kantonalen Finanzpolitik ab. Thomas Peter Prozent tiefer als Aargau, Basel- land und Solothurn. Und drittens sei es die moralische Pflicht des Staats, die Menschen auch im Al- ter anständig zu behandeln. Weil Appelle an die Moral in Zeiten der Geldnot wenig helfen, zeigen sich Vertreter der Branche kompromissbereit. Vermutlich müsse man einen Beitrag leisten, sagt etwa Peter Keller, Geschäfts- führer des Verbands der Berner Pflegeheime, der jüngst warnte, die Berner Heime würden «ver- lottern». Ein «Deal» scheint denkbar. Im Zentrum stünde die zweite Sparmassnahme, welche die Heime betrifft: Die Regierung will die Pflegetarife um 1,8 Pro- zent senken. Heimvertreter wol- len nun Hand bieten zu einer grösseren Reduktion, wenn dafür die Infrastrukturbeiträge gleich bleiben. «Aber eigentlich ist auch das nicht in Ordnung», beharrt Patrik Walther im Schloss Sumis- wald. Solange die Ansprüche stei- gen und die Kundschaft immer pflegeintensiver werde, liege ei- ne Kürzung nicht drin. «Es sei denn, man steht dazu, dass das eine Qualitätseinbusse bedeu- tet», sagt Walther. «Dass dann vielleicht unsere Leute nicht mehr Zeit haben, jemandem beim Essen zu helfen, sondern einfach ein Plastikgeschirr hin- stellen und die Leute machen lassen.» Fabian Schäfer Zweierzimmer im Pflegeheim Schloss: Geschäftsführer Patrik Walther (l.) und Präsident Enrico Casanovas. Thomas Peter Muss damit rechnen, dass die Banken nervös werden: Patric Bhend, Präsident der Trägerschaft des früheren Krankenheims Spiez, das zurzeit abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wird. Markus Hubacher PIERRE WAUTHIER Vermutlich Suizid Der Finanzchef des Versiche- rungskonzerns Zurich, Pierre Wauthier, hat sich vermutlich das Leben genommen. Dies teilte die Zuger Polizei gestern mit. Sie stützt sich dabei auf Informatio- nen des Instituts für Rechtsme- dizin. Wauthier wurde am Mon- tagmorgen tot in seiner Wohnung im Kanton Zug gefunden (diese Zeitung berichtete). Die Ursache des Todes war zunächst un- klar. sda ZWEITE GOTTHARDRÖHRE Komitee bringt sich in Stellung Das Komitee «Ja zum Sanie- rungstunnel am Gotthard» will «riskante Basteleien» verhin- dern und setzt sich für eine zweite Röhre ohne Kapazitäts- erweiterung ein. «Ein Sanie- rungstunnel ist eindeutig die ver- nünftigste Lösung», sagte Stän- derat Filippo Lombardi (FDP, TI) gestern in Bern. sda AUSWEISUNG Tschagajew nicht mehr in der Schweiz Bulat Tschagajew, ehemaliger Besitzer des Fussballclubs Neu- enburg Xamax, hat die Schweiz verlassen. Sein Schengen-Visum sei abgelaufen, sagte Larisa Vasilievna, Direktorin einer Fir- ma von Tschagajew, zu einer Mel- dung der «Tribune de Genève». Im April dieses Jahres wiesen die Behörden den Tschetschenen mit russischem Pass an, die Schweiz zu verlassen. Tschaga- jew akzeptierte den Entscheid nicht und gelangte ans Bundes- gericht, wo er aber verlor. sda BÜROMATERIAL Biella-Neher: Verlust und Umsatzplus Der Büromaterialhersteller Biel- la-Neher mit Sitz in Brügg konnte im vergangenen Halbjahr den Umsatz zwar steigern, doch nur weil das Unternehmen im Früh- ling 2012 die deutsche Falken- Gruppe zugekauft hatte. Die Um- satzerlöse der Gruppe beliefen sich im ersten Semester 2013 auf 91,2 Millionen Franken – 16 Pro- zent mehr als im Vorjahr. Markt- bedingt habe sich die Nachfrage in der Branche aber spürbar abgeschwächt. sda AWARD Preis für Berner Cascination und das Artorg Cen- ter for Biomedical Engineering der Uni Bern haben den mit 10000 Franken dotierten KTI Medtech Award gewonnen. Ge- meinsam haben die beiden Fir- men ein Navigationssystem für Leberoperationen entwickelt, welches den Chirurgen erlaubt, Streutumore zielsicher zu iden- tifizieren und zu veröden. sda ONLINE-PORTAL Theaterkritik.ch wird eingestellt Mit dem Ziel, eine deutsch-fran- zösischsprachige Plattform für Theater- und Tanzkritik zu schaffen, ging die Website thea- terkritik.ch Anfang November 2011 online. Im Verlauf des Betriebsjahres hat das Interesse der Theatergruppen und Veran- stalter an einer Beteiligung stark abgenommen. Deshalb hat der Vorstand des Trägervereins nun die Einstellung der Seite auf Ende Oktober beschlossen. Eine Schlussaktion in Form eines «Feuerwerks» soll das Projekt würdigen. pd In Kürze 15

KANTON BERN SPARMASSNAHMEN BEI ALTERS- … · geheime. Die Regierung will die Abgeltung, welche die Heime für Gebäude, Einrichtungen und die übrige Infrastruktur erhalten, um 30

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Page 1: KANTON BERN SPARMASSNAHMEN BEI ALTERS- … · geheime. Die Regierung will die Abgeltung, welche die Heime für Gebäude, Einrichtungen und die übrige Infrastruktur erhalten, um 30

SchweizMittwoch28. August 2013

Die Berner Alters- und Pflege-heime sollen künftig wenigerGeld für ihre Infrastruktur er-halten: Der Regierungsrat willdie Beiträge kurzerhand um 30Prozent kürzen, um die Ergän-zungsleistungen zu entlasten.Die Branche läuft Sturm.

Im Schloss Sumiswald sind die Betagten keine KönigeKANTON BERN SPARMASSNAHMEN BEI ALTERS- UND PFLEGEHEIMEN

Für einen Sarg zum Beispiel istder Lift deutlich zu klein. Das istin einem Altersheim nicht un-problematisch. Auch Bettenbringt man nur hinein, wenn mansie zerlegt. Die Angestellten desPflegeheims Schloss in Sumis-wald müssen viel Treppensteigenund dabei oft schwer tragen. DieZimmer der 40 Bewohnerinnenund Bewohner sind auf dreiStockwerke verteilt. Nachts hateine einzige Angestellte Dienst,die dann meist recht viel Sporttreibe, wie Enrico Casanovasscherzt, der Präsident des Alters-zentrums Sumiswald. Und wennjemand stirbt im Schloss, müssensie den Sarg die Treppen hinun-tertragen.

Das Alterszentrum betreibt inSumiswald drei Pflegeheime mit130 Plätzen. Jenes im Schlossdürfte es eigentlich nicht mehrgeben. Die kantonale Gesund-heits- und Fürsorgedirektion(GEF) schreibt schon lange vor,dass jeder Heimbewohner min-destens 16 Quadratmeter Platzhaben muss. Davon ist man hierim Schloss weit entfernt. DieZweierzimmer sind etwa 20 Qua-dratmeter gross. Wer hier wohnt,muss Nähe vertragen und gutmiteinander auskommen. «Wirhaben Glück, dass unsere Bewoh-ner genügsame Menschen sind»,sagt Geschäftsführer Patrik Wal-ther. «Aber auf Dauer können wirso nicht weitermachen.»

40-Millionen-Projekt inSumiswald steht auf der KippeDie Verantwortlichen der Sumis-walder Heime wollen handeln:Für 40 Millionen Franken planensie einen mehrteiligen Neubauim Dorfzentrum, der zwei derdrei heutigen Standorte ersetzensoll. Das Angebot bliebe bei 130Pflegeplätzen. Es sei ein solides,gutes Projekt ohne jeden Luxus,sagt Casanovas, der als langjähri-ger Präsident der Emmental-Ver-sicherungen weitherum bekanntist. Auch die Bankfinanzierungsei bereits gesichert – jedenfallswar sie das bis Ende Juni. Seit-dem der Regierungsrat das Spar-paket präsentiert hat, mit demer die Kantonsfinanzen ins Lotbringen will, steht das Sumiswal-der Projekt auf wackligen Füssen.Das Paket enthält eine Massnah-me, mit der die Regierung die Be-treiber aller Berner Altersheime,die zusammen etwa 15 000 Plätzeanbieten, brüskiert hat.

Heute erhalten die Heime proPflegetag und Bewohner fix 32.75Franken an die Kosten ihrer In-frastruktur von den Gebäudenbis zum Mobiliar. Diesen Betragwill die Regierung von einemJahr aufs andere um 10 Frankenoder 30 Prozent senken. Damitwürden die Heime total knapp 50von 150 Millionen Franken ver-lieren. Über diese und alle ande-ren Sparmassnahmen entschei-det der Grosse Rat im November.

«Wenn sie das durchziehen,können wir unser Projekt beerdi-gen», sagt Casanovas. Dann ma-che die Bank nicht mehr mit.Man mag einwenden, die Sumis-walder müssten einfach ein paarJahre warten, bis sie die Finan-zierung trotz tieferer Abgeltungstemmen können. «Unmöglich»,sagt Geschäftsführer Walther,«so viel Zeit haben wir nicht, derKanton duldet das Pflegeheim

Schloss nur noch auf Zusehenhin.»

«Das ist fast schon einwenig frech»Dass derselbe Kanton, der manchstrenge Auflage erlässt und denHeimen sogar die Abschrei-bungszyklen vorschreibt, nun dieBeiträge markant kürzen will,lindert den Ärger in der Branchenicht. «Das ist fast schon ein we-nig frech», sagt zum Beispiel UrsLüthi, der für die sieben Dahlia-Heime im Emmental (als Direk-tor) und im Oberaargau (als VR-Delegierter) tätig ist.

Lüthi holt aus: Seit 2011 gilt dieneue Pflegefinanzierung, die im

Kanton Bern ein neues Systemzur Finanzierung der Heiminfra-struktur brachte. Zuvor hatte derKanton die Bauprojekte der öf-fentlichen Heime simpel aus derKantonskasse finanziert. Neu er-halten die Heime einen fixen Inf-rastrukturbeitrag und sind dafürgehalten, sich eigenverantwort-lich um ihre Anlagen zu küm-mern. Sie sollen für Bauprojektenicht mehr beim Kanton anklop-fen, sondern diese mit Bankenprivat finanzieren. Zuvor muss-ten die Heime, denen der Kantonin letzter Zeit Projekte finanzierthatte, einen Teil der Beiträgewieder zurückzahlen. DieEmmentaler Dahlia-Heime etwa

mussten über 3 Millionen Fran-ken abliefern, erinnert sich Lü-thi. Deshalb kann er nicht verste-hen, wie die Regierung nun aufdie Idee kommt, die Infrastruk-turbeiträge um 30 Prozent zukürzen. «Eigentlich müsste sieuns einen Teil der 3 Millionenwieder zurückzahlen.» Sowiesosei es ein Verstoss gegen Treuund Glauben, diese Beiträge nachso kurzer Zeit so massiv zu sen-ken, obwohl die Abmachung war,dass sie langfristig stabil seinmüssen, damit die Heime mit denBanken ins Geschäft kommen.

Plötzlich neue Regeln für60-Millionen-Bau in SpiezIn Spiez werden diese Beiträgezurzeit eifrig verbaut. Hier inves-tiert der Verein Solina, der dasehemalige Krankenheim Spiezund das Ziegelei-Zentrum Stef-fisburg führt, 60 Millionen Fran-ken für zwei grosse Neubauten.Gut möglich, dass die Banker, diediese Projekte finanziert haben,inzwischen etwas nervös sind.«Wir haben bisher nichts von ih-nen gehört», sagt Patric Bhend,Solina-Präsident und SP-Gross-rat. Er erinnert sich gut daran,dass sich die Banken primär fürdie Höhe und Zuverlässigkeit desInfrastrukturbeitrags interes-siert haben. Wenn die Regierungdiesen um 30 Prozent kürzenwill, wird ihnen das nicht egal

sein. «Wir hoffen, dass wir mit ih-nen notfalls eine Lösung finden»,so Bhend. Im schlimmsten Fall –wenn die Kredite gekündigt wür-den – werde man kaum darumherumkommen, den Kanton umUnterstützung zu bitten.

Eine Toilette pro Etage mussreichenIm Schloss in Sumiswald kanneine Angestellte GeschäftsführerWalther noch knapp daran hin-dern, die Tür einer Toilette zuöffnen, die gerade besetzt ist. Erwollte den bescheidenen Lokusdem Fotografen zeigen. Dass erbesetzt ist, ist kein Zufall. Die 13bis 14 Frauen und Männer, die aufjeder Etage wohnen, müssen sichzwei Toiletten teilen. «Zeitge-mäss ist das natürlich nicht»,seufzt Walther.

Später am Sitzungstischkämpft Präsident Casanovas mitZahlen und Moral. Erstens seiendie Angaben des Kantons zumLebenszyklus der Altersheim-In-frastruktur falsch (siehe Artikelrechts): Diese liege nicht bei 20sondern bei durchschnittlich 31Jahren. Die Abschreibungsdauerweiter zu verlängern, sei nichtzu verantworten. Bei Gebäudenzum Beispiel liege sie bereits bei50 Jahren, was schon eher mutigsei. Zweitens setze der KantonBern die Kosten pro Heimplatzschon heute sehr tief an, etwa 40

DIE SICHT DER REGIERUNG

Es ist verlockend, den Sparhebelbei den Ergänzungsleistungen(EL) anzusetzen. Nicht nur, weilsie seit Jahren massiv ansteigen.Sondern auch, weil Kürzungenwegen des enormen Volumensder EL von rund 650 MillionenFranken pro Jahr im KantonBern stark «einschenken». Soenthält auch das Sparpaket derRegierung einen Vorschlag zuden EL. Betroffen wären jedochnicht die betagten EL-Empfän-ger, sondern die Alters- und Pfle-geheime. Die Regierung will dieAbgeltung, welche die Heime fürGebäude, Einrichtungen und dieübrige Infrastruktur erhalten,um 30 Prozent kürzen. Dies ent-lastet Kanton und Gemeindenum je 15 Millionen Franken: Siefinanzieren gemeinsam die EL,die für den Grossteil der Heim-kosten aufkommen. Entlastetwerden auch gut situierte Senio-ren, die ihr Heim ohne EL zahlenund deshalb ebenfalls von derBeitragsreduktion profitieren.

Die Regierung verteidigt ihrenAltersheim-Sparvorschlag: Erbewirke nur, dass die Heimeihre Infrastruktur über längereZeit abschreiben müssen. Dassei zumutbar.

Im Namen der Regierung ver-teidigen das zuständige MitgliedChristoph Neuhaus (SVP) sowieHeiner Schläfli, Leiter der Aus-gleichskasse, den Sparvorschlag.Beide betonen, die Kürzung habekaum unmittelbare Konsequen-zen: Weder führe sie zu einemStellenabbau noch treffe sie dieBewohner. Die Folgen seien trag-bar. Nach der Berechnung derRegierung können die Heime mitden heutigen Abgeltungen einenHeimplatz grundsätzlich innert20 Jahren amortisieren; nachder Kürzung sei eine Zeitspannevon 29 Jahren notwendig, umeinen Heimplatz komplett er-neuern zu können. Diese Zahlensind laut der Branche schlichtfalsch (siehe Hauptartikel).

Das Sackgeld kürzen?Neuhaus geht davon aus, dassdie Heime Unterhaltsarbeitenoder Neubauten weniger raschan die Hand nehmen könntenals geplant. Er sagt aber, sogardie Gesundheitsdirektion, diejährlich die Tarifverhandlungenmit den Heimen führe und dasGanze abschliessend beurteilenkönne, trage den Vorschlag mit.

Schläfli betont zudem, dies seieine der wenigen Möglichkeiten,

Lieber bei Infrastruktur sparen als beim Sackgeld der Bewohnerwie der Kanton bei den EL über-haupt sparen könne. Der Gross-teil sei durch Bundesvorgabengebunden. Möglich wäre zwarauch eine Reduktion der Beiträgean die «persönlichen Auslagen»der Heimbewohner – das Sack-geld. Doch dies wäre politischwohl noch heftiger umstritten.Im Kanton St. Gallen wurde einesolche Sparmassnahme 2012 ander Urne klar verworfen.

«Damit müssen wir leben»Den Berner Altersheimen blühtnoch eine zweite Budgetkürzung,die neben dem Streit um denInfrastrukturbeitrag fast unter-geht. Die Regierung will dieHeimtarife um 1,8 Prozent sen-ken. Da Krankenkassen und Be-wohner weiterhin gleich viel zah-len sollen, profitiert der Kantonüberproportional: Seine Beiträgegehen um 5 Prozent zurück.

Unbestritten ist, dass Bern fürdie EL relativ viel ausgibt. LautRegierungsrat Neuhaus ist dasnicht zu ändern: Da es hier relativviele Betagte gebe und zugleichdie Einkommen (und Renten)eher tief seien, liege es auf derHand, dass der Bedarf nach ELgross sei. «Damit müssen wir le-ben», sagt Neuhaus. fab

«Wir hoffen, dasswir mit den Bankennotfalls eine Lösungfinden.»

Patric Bhend, Präsident der So-lina-Heime Spiez und Steffisburg

«Wir haben Glück,dass unsere Be-wohner genügsameMenschen sind.Aber auf Dauerkönnen wir so nichtweitermachen.»Patrik Walther, Geschäftsführer

Alterszentrum Sumiswald

Im Pflegeheim Schloss in Sumiswald müssen sich die 13 oder 14 Bewohnerinnen und Bewohner pro Etage zweiToiletten teilen. Ob der Neubau realisiert werden kann, hängt nun von der kantonalen Finanzpolitik ab. Thomas Peter

Prozent tiefer als Aargau, Basel-land und Solothurn. Und drittenssei es die moralische Pflicht desStaats, die Menschen auch im Al-ter anständig zu behandeln.

Weil Appelle an die Moral inZeiten der Geldnot wenig helfen,zeigen sich Vertreter der Branchekompromissbereit. Vermutlichmüsse man einen Beitrag leisten,sagt etwa Peter Keller, Geschäfts-führer des Verbands der BernerPflegeheime, der jüngst warnte,die Berner Heime würden «ver-lottern». Ein «Deal» scheintdenkbar. Im Zentrum stünde diezweite Sparmassnahme, welchedie Heime betrifft: Die Regierungwill die Pflegetarife um 1,8 Pro-zent senken. Heimvertreter wol-len nun Hand bieten zu einergrösseren Reduktion, wenn dafürdie Infrastrukturbeiträge gleichbleiben. «Aber eigentlich ist auchdas nicht in Ordnung», beharrtPatrik Walther im Schloss Sumis-wald. Solange die Ansprüche stei-gen und die Kundschaft immerpflegeintensiver werde, liege ei-ne Kürzung nicht drin. «Es seidenn, man steht dazu, dass daseine Qualitätseinbusse bedeu-tet», sagt Walther. «Dass dannvielleicht unsere Leute nichtmehr Zeit haben, jemandembeim Essen zu helfen, sonderneinfach ein Plastikgeschirr hin-stellen und die Leute machenlassen.» Fabian Schäfer

Zweierzimmer im Pflegeheim Schloss: Geschäftsführer Patrik Walther (l.)und Präsident Enrico Casanovas. Thomas Peter

Muss damit rechnen, dass die Banken nervös werden: Patric Bhend, Präsident der Trägerschaft des früherenKrankenheims Spiez, das zurzeit abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wird. Markus Hubacher

PIERRE WAUTHIER

Vermutlich SuizidDer Finanzchef des Versiche-rungskonzerns Zurich, PierreWauthier, hat sich vermutlich dasLeben genommen. Dies teilte dieZuger Polizei gestern mit. Siestützt sich dabei auf Informatio-nen des Instituts für Rechtsme-dizin. Wauthier wurde am Mon-tagmorgen tot in seiner Wohnungim Kanton Zug gefunden (dieseZeitung berichtete). Die Ursachedes Todes war zunächst un-klar. sda

ZWEITE GOTTHARDRÖHRE

Komitee bringtsich in StellungDas Komitee «Ja zum Sanie-rungstunnel am Gotthard» will«riskante Basteleien» verhin-dern und setzt sich für einezweite Röhre ohne Kapazitäts-erweiterung ein. «Ein Sanie-rungstunnel ist eindeutig die ver-nünftigste Lösung», sagte Stän-derat Filippo Lombardi (FDP,TI) gestern in Bern. sda

AUSWEISUNG

Tschagajew nichtmehr in der SchweizBulat Tschagajew, ehemaligerBesitzer des Fussballclubs Neu-enburg Xamax, hat die Schweizverlassen. Sein Schengen-Visumsei abgelaufen, sagte LarisaVasilievna, Direktorin einer Fir-ma von Tschagajew, zu einer Mel-dung der «Tribune de Genève».Im April dieses Jahres wiesendie Behörden den Tschetschenenmit russischem Pass an, dieSchweiz zu verlassen. Tschaga-jew akzeptierte den Entscheidnicht und gelangte ans Bundes-gericht, wo er aber verlor. sda

BÜROMATERIAL

Biella-Neher: Verlustund UmsatzplusDer Büromaterialhersteller Biel-la-Neher mit Sitz in Brügg konnteim vergangenen Halbjahr denUmsatz zwar steigern, doch nurweil das Unternehmen im Früh-ling 2012 die deutsche Falken-Gruppe zugekauft hatte. Die Um-satzerlöse der Gruppe beliefensich im ersten Semester 2013 auf91,2 Millionen Franken – 16 Pro-zent mehr als im Vorjahr. Markt-bedingt habe sich die Nachfragein der Branche aber spürbarabgeschwächt. sda

AWARD

Preis für BernerCascination und das Artorg Cen-ter for Biomedical Engineeringder Uni Bern haben den mit10 000 Franken dotierten KTIMedtech Award gewonnen. Ge-meinsam haben die beiden Fir-men ein Navigationssystem fürLeberoperationen entwickelt,welches den Chirurgen erlaubt,Streutumore zielsicher zu iden-tifizieren und zu veröden. sda

ONLINE-PORTAL

Theaterkritik.chwird eingestelltMit dem Ziel, eine deutsch-fran-zösischsprachige Plattform fürTheater- und Tanzkritik zuschaffen, ging die Website thea-terkritik.ch Anfang November2011 online. Im Verlauf desBetriebsjahres hat das Interesseder Theatergruppen und Veran-stalter an einer Beteiligung starkabgenommen. Deshalb hat derVorstand des Trägervereins nundie Einstellung der Seite aufEnde Oktober beschlossen. EineSchlussaktion in Form eines«Feuerwerks» soll das Projektwürdigen. pd

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