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L A S T F O L I O Y U R I D O J C2
Die fotografi sche Reise Last Folio von Yuri Dojc ist nach vielen Stationen in der Welt an der
Akademie der bildenden Künste Wien angekommen. Die nunmehrige Station ist die Aula der
Akademie mit den 1880 von Anselm Feuerbach gestalteten Deckenbildern des Titanensturzes,
ein Ort der geradezu prädestiniert für diese Reise ist. Die Reise hat Yuri Dojc, der in Kanada
lebt, in die Slowakei geführt, dort wo er aufgewachsen ist, dort wo er seine Schulzeit verbracht
hat, dort wohin er 1968 nach einem Studienaufenthalt in London nicht mehr zurückkehrte. Er
kam zurück, um in Bardejow, im Osten der Slowakei, nahe der polnischen Grenze dort in einer
Synagoge, in einer verlassenen Schule, shul zu fotografi eren, zu dokumentieren, zu berühren.
Dort in Bardejow, wo vor dem Holocaust mehrere tausende Juden und Jüdinnen lebten, wo
es ein jüdischen Viertel mit einer Synagoge aus dem 18. Jahrhundert gibt, dort wo Juden und
Jüdinnen lebten, dort wo es ein rituelles Badehaus, mikveh, gab, dort wo es koschere Schlachter
gab, dort wo es einen jüdischen Friedhof gibt, dort wo am 12. Mai 1942 die Juden und Jüdinnen
von den Nationalsozialisten zusammengetrieben wurden, dort wo 3.700 Juden und Jüdinnen in
Viehwaggons gedrängt wurden, dort wo sie in die Ghettos und Konzentrationslagern gebracht
wurden und die meisten von ihnen ermordet wurden, dort wo sie alles liegen und stehen lassen
mussten, dort wo sie die Schule, shul, verlassen mussten, dort wo ihre Bücher in den 2000er
Jahren zerfallen, verstaubt, achtlos auf die Böden geworfen zu fi nden sind, dort wo die Bücher
auf ihre Leser vergebens warten.
Die Reise der Bilder dieser Bücher darf nicht aufhören.
Eva Blimlinger
Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien
Last Folio, the photographic journey of Yuri Dojc has reached the Academy of Arts in Vienna
after many stops around the world. The Great Hall of the Academy, with its famous ceiling
mural of the Battle of the Titans, painted in 1880 by Anselm Feuerbach, seems to have been
made for this journey. The journey has led him from Canada where he lives today, to Slovakia,
the country in which he grew up, where he went to school, and which he left behind in 1968
after studying in London.
In 2006 he returned to eastern Slovakia, to the town of Bardejov near the Polish border, where
he stumbled upon an abandoned school, a shul in a synagogue and felt compelled to photograph,
to document, to touch. It was here in Bardejov that in the Jewish quarter over three thousand
men, women and children had lived before the Holocaust, prayed in an 18th century synagogue,
bathed in the mikva ritual bath and were buried in a Jewish cemetery. It was here in Bardejov
that 3 700 Jewish men and women had been assembled on May 12th 1942, dragged into cattle
trains and deported to concentration camps and ghettos where most of them were murdered.
It was here in Bardejov that they were forced to leave all their possessions, to leave behind their
school, the shul, and it is here that the decaying, dusty books lie carelessly scattered on the fl oor
now, in the early 21st century, waiting in vain for their readers.
The images of these books must continue their journey.
Eva Blimlinger
Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien
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Sehr geehrte Damen und Herren, es ist mir eine große Ehre, ein Geleitwort zu einer solch
wichtigen Ausstellung wie die „Last Folio“ von Yuri Dojc zu sprechen.
In heutigem Europa ist es dringender denn je, auf die Humanität des Handelns aufmerksam
zu machen. In dieser Zeit, da wir ständig mit Krisen wirtschaftlichen und politischen Ursprungs
konfrontiert sind, sollten wir uns bewusst machen, wohin Intoleranz führt und welche Katastrophen
sie verursacht. Diese Bilder, die uns zerfallene Bücher präsentieren, oder die uns menschliche
Porträts der Überlebenden aus den KZs entfalten, sind dabei nicht nur die Dokumentation einer
nicht mehr existierenden Gesellschaft, sondern Warnungen vor jeder extremistischen Strömung,
die sich in oft harmlosen Formen auch heutzutage in die zwischenmenschlichen Beziehungen
einschleichen kann.
Der besondere Wert dieser Ausstellung liegt darin, dass sie einen der wichtigsten im Ausland
lebenden slowakischen Fotografen zeigt, Yuri Dojc. Auch nach seiner Emigration nach Kanada hat
er seine Heimat nicht vergessen. Er kehrt immer wieder zurück, um die Orte und die Menschen
zu besuchen, die ihn dazu bewegen, eine so intensive Botschaft der Menschlichkeit zu übermitteln,
die wir in diesen Fotografi en spüren.
Nach New York, Prag, Cambridge, Brüssel, Rom und der Europäischen Kulturhauptstadt Kosice
2013 folgt jetzt Wien. Ich hoffe, dass die Ausstellung in der Akademie der bildenden Künste genau
die Nachricht und die künstlerische Botschaft, die hinter diesem Gedanken steht, auch weitergibt,
und dass sie so wie bisher in allen anderen Metropolen aufgenommen und gewürdigt wird.
Juraj Macháč
Botschafter der Slowakischen Republik in Österreich
Distinguished Ladies and Gentlemen, it is my great pleasure to introduce this outstanding event,
the exhibition of Last Folio by Yuri Dojc.
Today in Europe it seems to be more important than at any other time in history to underline
the need for human fraternity. At a time of seemingly continuous economic and political crisis,
we should more seriously contemplate the catastrophic consequences of intolerance. These
pictures, showing us disintegrated books and portraits of those who survived Nazi concentration
camps, are not only documents of the life of disappeared communities, but they are also
a warning against those extreme currents which have more recently begun to fl ow into the
fragile world of human relations.
From this point of view the exhibition is of great value, even more so since its creator, Yuri Dojc,
is one of the most important and best known Slovak photographers living abroad. Although he
emigrated to Canada, he has never forgotten the country of his birth and regularly returns to
visit those people and places which inspired him to publish the intense testimony to humanity
which can be recognized in these photos.
After New York, Prague, Cambridge, Brussels, Rome, and the European capital of culture 2013
Kosice, Vienna follows. I hope that the exhibition being installed in the Akademie fur bildenden
Kunste mediates exactly this message, this artistic testimony, and that it will be accepted and
evaluated with as much success as it has already experienced in many other places.
Juraj Macháč
Ambassador of the Embassy of the Slovak Republik in Austria
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Der Holocaust darf nie in Vergessenheit geraten. Es ist unsere Pfl icht, für immer die Fragmente
und Überreste der Erinnerungen an Menschen, die wegen mörderischer Ideologien und boshafter
Feindschaft gelitten haben, vom Staub der Vergänglichkeit zu bewahren.
Yuri Dojc ist einer der Künstler, den seine eigene Vergangenheit, seine eigene Identität dazu
bewegt, diese Botschaft des Nicht-Vergessens auf seine eigene Art und Weise weiter zu
modifi zieren und auf sie aufmerksam zu machen. Als Sohn eines Überlebenden war es für
ihn auch ein Akt persönlicher Rechtfertigung gegenüber dem Schicksal der Juden in Europa,
und zwar nicht nur während des Zweiten Weltkriegs, sondern auch in der Zeit danach, bis
heute. Das bezeugt auch die Ausstellung „Last Folio“, in der wir nicht nur der menschlichen
Geschichte eines verfolgten Volkes begegnen, sondern gleichsam einer intimen Sonde in das,
was von einer ganzen Kultur am Rande der Slowakei übriggeblieben ist. Es sind leere Räume,
mit Spinnennetzen bedeckte Regale, verschimmelte Bücher und zerfetzte Seiten, die einem
den Eindruck vermitteln, als ob alles, was den gebildeten und geistigen Menschen ausmacht,
nämlich Literatur, Bibliotheken, Gotteshäuser usw., dem Zerfall geweiht wäre. Das Starke an
den Photographien von Yuri Dojc ist nicht nur die Ästhetik des Vergänglichen, sondern vor
allem dieser Appell zur Erinnerung, Appell, der mit jedem Staubkorn auf den Torarollen zum
Nachdenken anregt, Appell, der mit jedem hebräischen Buchstaben als Menetekel immer
wieder neu erscheint. Eine Warnung vor der Katastrophe, die jederzeit wieder passieren kann,
wenn die Menschen einander vergessen.
Diese Photographien sollen also nicht, in Anführungszeichen, zum „letzten Blatt“ einer tragischen
Geschichte werden; sie zeigen nur, wie vergesslich die Menschen sind, und welche Folgen es hat,
wenn wir etwas unberücksichtigt beiseite lassen, vor allem etwas so Fragiles wie das Wissen, das in
den Worten und Zeilen der Bücher verborgen ist.
Alena Heribanová
Direktorin des Slowakischen Instituts in Wien
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The Holocaust must never be forgotten. It is our task to ensure the survival of those fragments
and remains of the memories of people who suffered at the hands of murderous ideologies
and malicious enmity, maintaining these fragments even through the dust of transience. Yuri
Dojc is one of those artists capable of shifting their identities into their own pasts. He does this
in his own way, something typical for his art, sending a message of unforgettable challenge and
drawing attention to a most painful history. As a son of victims, who were persecuted and who
survived, he himself wants to confront the fate of Jews in Europe during and after the Second
World War.
The exhibition „Last Folio“ testifi es to the story of a persecuted people, and is also an intimate
exploration of what was left of a culture forced to the margins of Slovak life. The exhibition is
made up of empty spaces with cobweb-covered shelves on which mouldy books with tattered
pages give the impression that those things that shape the development of an educated people
and its intellectual life, such as literature, libraries and houses of worship, were condemned to
complete degradation. The photographs of Yuri Dojc are at their strongest not only in their
display of temporal aesthetics, but also in their appeal for factual remembrance, an appeal which
motivates us to think over every grain of dust on the rollers of the Torah and each Hebrew
letter as a new ‘Mene Tekel’ appears: a warning against the disaster that may very easily happen
again, if one forgets others in need.
These photographs should therefore not be framed in quotation marks as the „last folio“ of
a tragic story, rather the opposite: they show us how forgetful people are and what can happen
when we fail to consider something as fragile as the knowledge hidden in the words and lines
of books.
Alena Heribanová
Director of the Slovak Institute in Vienna
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Yuri Dojc über seine Ausstellung:
Im Januar 1997, auf der Beerdigung meines Vaters, traf ich eine beachtliche Person, die Frau Vajnorska. Sie war eines der ersten tausend Mädchen, die mit dem Transport im Jahre 1940 nach Auschwitz verschleppt wurden. Sie verbrachte drei Jahre dort, verlor bis auf ihren Bruder ihre gesamte Familie. Sie erzählte mir, wie sie die anderen Überlebenden tagtäglich besucht. Ich fragte sie, ob ich sie bei ihren Besuchen begleiten dürfte. Sie stimmte zu, und so begann ich, diese Menschen und die Welt, in der sie leben, zu fotografi eren.
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Als die Sowjets im August 1968 die Tschechoslowakei stürmten, wurde Yuri, der Sommerstudent in London, über Nacht zum Flüchtling. Ein Jahr später landete er in Toronto, wo er bis heute lebt. Nach vier Jahrzehnten ist Yuri eine der führenden Persönlichkeiten der weltweiten Fotoszene. Er verdiente sich große Anerkennung mit kommerziellen und auch künstlerischen Werken. Seine Arbeiten erscheinen regelmäßig in Ausstellungen und Publikationen mit der Spannbreite von Porträts kanadischer Kriegsveteranen bis hin zu Stadtbildern. Seine jüngsten Arbeiten aus Ruanda sind in der französischen Tageszeitung Libération unter dem Titel‚ Landscape of Genocide‘ erschienen.
Yuris Spürsinn führte ihn und sein Dokumentaristen-Team in eine vergessene jüdische Schule im Osten der Slowakei, wo die Zeit seit 1942, als die gesamte Besatzung deportiert wurde, stehengeblieben ist. Schulbücher, Essays, Notizen mit Korrekturen, Schulaufgaben, sogar Zucker haben die Zeit in den Schränken überdauert.
Diese zerfallenen Bücher liegen auf staubigen Regalen. Die letzten Zeugen einer einst blühenden Kultur werden von Yuri Dojc wie die einzelnen Überlebenden behandelt. Jedes Buch ist wie in einem Porträt erfasst, in dessen endgültiger Schönheit erhalten. Bilder sagen mehr als tausend Worte.
Unter diesen vielen hundert Büchern und Fragmenten, die Yuri fotografi ert, sticht ein Buch besonders heraus, das auf wundersame Weise den Weg aus einem staubigen Haufen zu seinem wahren Erben fand, und zwar ein Buch, das einst Yuris Großvater Jakub gehörte. Und so schließt sich der Kreis, der mit dem Porträt seines Vaters begann.Das umfangreiche Projekt, das sich über mehr als ein Jahrzehnt ausstreckt, und von dem diese Ausstellung einen Teil zeigt, wurde erstmals mit großem Erfolg im Slowakischen Nationalmuseum in Bratislava präsentiert, danach in Prag und Cambridge, Großbritannien.
Die Ausstellung wurde in den USA und in Kanada im Jahr 2011 in New York eröffnet, dann in Bloomington Indiana und in Ottawa. Weitere Ausstellungsorte waren in der Europäischen Kommission in Brüssel und in der Europäischen Kulturhaupstadt 2013 Košice. In die Akademie der bildenden Künste Wien kommt die Ausstellung nach einem Stopp in der Bilioteca Nazionale in Rom.
Viele dieser aussgestellten Bilder sind bereits im Bestand der Library of Congress in Washington.
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Yuri Dojc about his exhibition:
In January 1997, at the funeral of my father I met a remarkable woman, Mrs Vajnorska.
She was one of the thousand or so girls, who in early 1942 boarded the very fi rst train
to Auschwitz.
She spent three years there, lost her entire family except for her brother.
She told me of her daily home visits to others who survived like she did.
I asked her if I could accompany her on her daily rounds. She agreed.
And so I began photographing these people and the world they live in.
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August 1968, Soviet tanks occupy Czechoslovakia and Yuri’s status of a summer student
in London changes overnight to one of a refugee. A year later he lands in Toronto where
he still lives.
Four decades later Yuri Dojc is a major fi gure on the global photographic scene. He has
earned considerable recognition for both his commercial and artistic ouvre. His work
ranging from portraits of Canadian War veterans to cityscapes is exhibited and published
regularly. His recent work in Rwanda has appeared in the French daily Liberation under
the dramatic headline of “Landscape of Genocide”.
Serendipity led Yuri and the documentary fi lm team to an abandoned Jewish school in
eastern Slovakia, where time had stood still since the day in 1942 when all those
attending it were taken away to the camps… the school books all still there, essay
notebooks with corrections, school reports, even the sugar still in the cupboard…
These decaying books lying on dusty shelves; the last witnesses of a once thriving culture,
are treated by Yuri Dojc as the individual survivors that they are – each book captured
as in a portrait, preserved in their fi nal beauty, pictures speaking a thousand words.
Amongst these many hundreds of books and fragments photographed by Yuri, one
stands out especially – a book that miraculously found its way from a dusty pile to its
rightful heir – a book once owned by Yuri’s grandfather Jakub.
And so a journey which began with the portrait of his father came full circle.
The extensive project, spanning more than a decade, of which this exhibition represents
a part, was fi rst seen at the Slovak National Museum in Bratislava, followed by Prague
and Cambridge UK to a great acclaim.
The tour in the US and Canada opened in New York in 2011 followed by Bloomington
Indiana and Ottawa. It continued its journey to the European Commission in Brussels,
the Pierre Berge Foundation in Brussels, Kosice, the European Capital of Culture 2013.
To the Akademie in Vienna it comes from the Bilioteca Nazionale in Rome.
A number of the images in the current exhibition are already in the Collection of
the Library of Congress in Washington.
Nein, unter fremde Sterne entweichen –kann´s nicht. Fremder Fittich wärmt nicht lang.Damals war ich unter meinesgleichen,dort, wo auch mein Volk ins Unglück sank.
No foreign sky protected me,no stranger´s wing shielded my face.I stand as witness to the common lot,survivor of that time, that place.
Anna Akhmatova / Requiem 1935-1940
LAST FOLIO YURI DOJC
Akademie der bildenden Künste Wien / Academy of Fine Arts Vienna
11. Februar 2014 – 16. März 2014
Mit freundlicher Unterstützung von /
Exhibition and the project generously supported by:
Slowakisches Institut in Wien
Akademie der bildenden Künste Wien
Rothschild Foundation Europe
Lowy Mitchell Foundation
Epson Canada Ltd
Pentagram
Private donors
Botschaft der Slowakischen Republik in Österreich
Slowakisches Nationalmuseum – Museum der jüdischen Kultur
Vienna Insurance Group
Schenker s.r.o.
Ausstellungsdesign / Exhibition designed: Daniel Weil, Pentagram
Gestaltung der Ausstellung und des Dokumentarfi lms / Exhibition
and Documentary fi lm produced: Katya Krausova
Alle Bilder © Yuri Dojc
www.lastfolio.com