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 Keramische Implantate für Jedermann In den vergangenen Wochen wurde in den Medien berichtet, dass die Verfügbarkeit von Endoprothesen für einige Patientengruppen demnächst aus Kosten-/Nutzenabwägungen eingeschränkt werden könnte. Dies wurde aus Kreisen des betreffenden Bundesministeriums umgehend dementiert. Dennoch sollte dies als Denkanstoß begriffen werden, dass ein dringender Bedarf besteht, die Kosten für die Versorgung mit Hüft- und Kniegelenksimplantaten etc. kritisch zu hinterfragen. Das Thema besitzt für die medizinische Versorgung auch über den Standort Deutschland hinaus große gesellschaftspolitische Relevanz, denn im Bereich von Entwicklungs- und Schwellenländern sind Implantate    zumal aus Keramik    für viele Bevölkerungsschichten weitgehend unerschwinglich. Aus Kostengründen werden auch heute routinemäßig Implantate aus Spezialstahl und NDPE- Kunststoffgegenkörper eingesetzt, deren Gebrauchsdauer je nach Belastung bei 10   15 Jahren  begrenzt ist. Bessere Werkstoffqualitäten aus Keramik, die deutlich langlebiger sind, ermöglichen eine Reduktion des Verschleißes und eine bessere Biokompatibilität (Verträglichkeit) des Implantates, wodurch Entzündungen im Gewebe vermindert und die Implantatlockerung verlangsamt werden. Die vorteilhaften Eigenschaften hinsichtlich der Wechselwirkungen mit dem umgebenden Gewebe führen auch zu beschleunigtem Einwachsen, was insbesondere der schnelleren Mobilisierung von Patienten nach der Operation zugute kommt. Am Institut für Fertigungstechnologie keramischer Bauteile (IFKB) hat man sich der Thematik angenommen und versucht, durch einen deutlich preiswerteren Fertigungsweg Keramikimplantate einem größeren und weniger vermögenden Patientenkreis zugänglich zu machen. Das Projekt wird am IFKB durch M.Sc. Mohammed Abou El-Ezz im Rahmen einer Doktorarbeit in der Graduate School of Excellence in advanced Manufacturing Engineering (GSaME) durchgeführt, durch die Hans-Böckler-Stiftung finanziert und von Prof. Dr. Dr. Rainer Gadow und Dr. Frank Kern betreut. Die Herausforderung in der Fertigungstechnologie besteht in einem neuen Ansatz für die Werkstoff- und Prozessentwicklung    entlang der Prozesskette von der Rohstoffkonditio- nierung über das Formgebungsverfahren bis zur Endbearbeitung   , der die erforderlichen hohen Qualitäten implantatkeramischer Produkte mit den Kostenzielen für einen breiteren Markt in Einklang bringt. Ziel ist es, durch die Anwendung des keramischen Spritzgießens Implantate in endkonturnaher Geometrie herzustellen und so weitgehend auf die sehr kostenintensive Endbearbeitung der harten und zähen Keramik zu verzichten. Durch das Potential zur Net-shape-Formgebung des keramischen Spritzgießens wird die Taktzeit sowie die Nacharbeit erheblich reduziert, dafür ist verfahrensbedingt der Anteil an Binde- und Hilfsstoffen höher, wodurch sich die gesamte Wärmebehandlung und chemische Technik komplizierter gestalten. Im Rahmen des Projektes wurden zunächst für die Spritzgießtechnik geeignete hochfeste und zähe Mischoxidkeramiken entwickelt. Aluminiumoxid-Zirkonoxid-Nanokomposite sind keramische Hochleistungswerkstoffe für biomedizinische Anwendungen, die eine hohe Festigkeit, Biokompatibilität und Härte besitzen. Dadurch sind sie metallischen Werkstoffen in orthopädischen Anwendungen überlegen. Die üblichen Nachteile der Keramiken, insbesondere die Sprödbruchanfälligkeit, können durch die Anwendung von

Keramische Implantate Für Jedermann

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spritzgegossenen keramischen Hüftgelenkskopf

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  • Keramische Implantate fr Jedermann

    In den vergangenen Wochen wurde in den Medien berichtet, dass die Verfgbarkeit von

    Endoprothesen fr einige Patientengruppen demnchst aus Kosten-/Nutzenabwgungen

    eingeschrnkt werden knnte. Dies wurde aus Kreisen des betreffenden Bundesministeriums

    umgehend dementiert.

    Dennoch sollte dies als Denkansto begriffen werden, dass ein dringender Bedarf besteht, die

    Kosten fr die Versorgung mit Hft- und Kniegelenksimplantaten etc. kritisch zu

    hinterfragen. Das Thema besitzt fr die medizinische Versorgung auch ber den Standort

    Deutschland hinaus groe gesellschaftspolitische Relevanz, denn im Bereich von

    Entwicklungs- und Schwellenlndern sind Implantate zumal aus Keramik fr viele Bevlkerungsschichten weitgehend unerschwinglich.

    Aus Kostengrnden werden auch heute routinemig Implantate aus Spezialstahl und NDPE-

    Kunststoffgegenkrper eingesetzt, deren Gebrauchsdauer je nach Belastung bei 1015 Jahren begrenzt ist. Bessere Werkstoffqualitten aus Keramik, die deutlich langlebiger sind,

    ermglichen eine Reduktion des Verschleies und eine bessere Biokompatibilitt

    (Vertrglichkeit) des Implantates, wodurch Entzndungen im Gewebe vermindert und die

    Implantatlockerung verlangsamt werden. Die vorteilhaften Eigenschaften hinsichtlich der

    Wechselwirkungen mit dem umgebenden Gewebe fhren auch zu beschleunigtem

    Einwachsen, was insbesondere der schnelleren Mobilisierung von Patienten nach der

    Operation zugute kommt.

    Am Institut fr Fertigungstechnologie keramischer Bauteile (IFKB) hat man sich der

    Thematik angenommen und versucht, durch einen deutlich preiswerteren Fertigungsweg

    Keramikimplantate einem greren und weniger vermgenden Patientenkreis zugnglich zu

    machen. Das Projekt wird am IFKB durch M.Sc. Mohammed Abou El-Ezz im Rahmen einer

    Doktorarbeit in der Graduate School of Excellence in advanced Manufacturing Engineering

    (GSaME) durchgefhrt, durch die Hans-Bckler-Stiftung finanziert und von Prof. Dr. Dr.

    Rainer Gadow und Dr. Frank Kern betreut.

    Die Herausforderung in der Fertigungstechnologie besteht in einem neuen Ansatz fr die

    Werkstoff- und Prozessentwicklung entlang der Prozesskette von der Rohstoffkonditio-nierung ber das Formgebungsverfahren bis zur Endbearbeitung , der die erforderlichen hohen Qualitten implantatkeramischer Produkte mit den Kostenzielen fr einen breiteren

    Markt in Einklang bringt. Ziel ist es, durch die Anwendung des keramischen Spritzgieens

    Implantate in endkonturnaher Geometrie herzustellen und so weitgehend auf die sehr

    kostenintensive Endbearbeitung der harten und zhen Keramik zu verzichten. Durch das

    Potential zur Net-shape-Formgebung des keramischen Spritzgieens wird die Taktzeit sowie

    die Nacharbeit erheblich reduziert, dafr ist verfahrensbedingt der Anteil an Binde- und

    Hilfsstoffen hher, wodurch sich die gesamte Wrmebehandlung und chemische Technik

    komplizierter gestalten.

    Im Rahmen des Projektes wurden zunchst fr die Spritzgietechnik geeignete hochfeste und

    zhe Mischoxidkeramiken entwickelt. Aluminiumoxid-Zirkonoxid-Nanokomposite sind

    keramische Hochleistungswerkstoffe fr biomedizinische Anwendungen, die eine hohe

    Festigkeit, Biokompatibilitt und Hrte besitzen. Dadurch sind sie metallischen Werkstoffen

    in orthopdischen Anwendungen berlegen. Die blichen Nachteile der Keramiken,

    insbesondere die Sprdbruchanflligkeit, knnen durch die Anwendung von

  • Verstrkungsmechanismen auf der Gefgeebene vermieden werden, welche zu einer

    Steigerung der Bruchzhigkeit, Hrte und Dauerfestigkeit dieser Werkstoffe fhren.

    Im laufenden Forschungsvorhaben gilt es, nach den werkstofftechnischen Vorarbeiten die

    fertigungstechnische Umsetzung voranzutreiben, um die Grenzen und Mglichkeiten des

    Verfahrens fr die Herstellung von Hftgelenksimplantaten auszuloten. Prozess- und

    Materialoptimierungen auf der Basis detaillierter Analysen der Bauteilgefge und

    Versagenskriterien sollen letztendlich dazu fhren, dass preiswerte Implantate hoher

    Zuverlssigkeit in groen Stckzahlen hergestellt werden knnen.

    Erste, spritzgegossene Hftgelenksimplantate aus ZTA-Verbundkeramik wurden in diesem

    Frhjahr am IFKB auch mit Untersttzung von dem HBW-Gubesch Egypt-Unternehmen

    hergestellt. Die Ergebnisse sind vielversprechend und lassen hoffen, dass diese neue

    Prozessroute fr keramische Implantate einen groen Einfluss auf die Kosten dieser Produkte

    haben wird und sich dadurch der Kreis der Patientengruppen, die von dieser modernen

    Werkstofftechnologie in der Medizintechnik profitieren, erheblich erweitert. Durch die

    Erhhung der Lebensdauer der Prothesen steigt nicht nur die Lebensqualitt der Betroffenen,

    sondern die Gesundheitskosten werden real gesenkt, da weniger Ersatzoperationen und

    Nachsorgemanahmen notwendig werden. Bei einer demografischen Entwicklung mit einer

    steigenden Anzahl alter Menschen ist dies von erheblichem gesellschaftlichem Interesse, was

    die Bedeutung von Forschung und Entwicklung vom Werkstoff bis zur industriellen

    Fertigungstechnik nicht nur fr den Standort Baden-Wrttemberg unterstreicht.

    spritzgegossenen keramischen Hftgelenkskopf