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Kommunizierende Räume. Das Museum Stefan Paul »Schaulust«, »Bilderwelten«, »Blickwechsel«, »Sehsucht«, »Der Traum vom Sehen«, »Ich sehe was, was du nicht siehst« – so lauten die Titel viel be- achteter Ausstellungen der letzten Jahre, die den Sehsinn in den Mittel- 1 punkt stellen. Damit folgt der Museumsbereich einem Trend, ohne des- sen Schrittmacher zu sein. Doch diese starke Hinwendung zum Sehen, Schauen und Blicken vernachlässigt eine vermeintlich unbedeutende Tatsa- che: Voraussetzung für das Sehen ist der Raum, und ohne Raum könnte der so hervorgehobene Sinn nicht zur Entfaltung kommen. Diese Tatsache schlägt sich aber nicht in einer besonderen Wertschätzung der Kategorie Raum im Museum nieder. Um es noch schärfer zu formulieren: Jeder ar- beitet mit dem Raum, aber keiner redet darüber. Auch der Fakt, dass Aus- stellungen und Museen im Unterschied zu vielen anderen vermittelnden Medien physisch zu begehen sind, wird in der Regel übersehen. Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass einer der wenigen ernst zu neh- menden Versuche, sich mit dem Thema Raum im Museum zu beschäfti- gen, im Kindermuseum »zoom« in Wien stattfand. Schiefe Häuser stellten dort den Gleichgewichtssinn der Besucher auf die Probe, und überdimen- sionale Schaumstoffkostüme ließen erahnen, was passiert, wenn aus Kör- 2 pern Raum wird. 1 | »Blickwechsel« (Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe 1998); »Sehsucht – Das Panorama als Massenunterhaltung im 19. Jahrhundert« (Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1993); »Der Traum vom Sehen« (Gasometer, Oberhausen 1997); »Ich sehe was, was du nicht siehst! Sehmaschinen und Bilderwelten« (Agfa Foto-Historama im Museum Ludwig, Köln 2002). 2 | In eine ähnliche Richtung geht die Dauerausstellung des Alimentariums in Vevey. Hier wird nicht nur die Kulturgeschichte der Ernährung gezeigt, sondern auch die Dauerausstellung als Ausstellung hinterfragt. Alte Ausstellungselemente werden

Kommunizierende Räume. Das Museum · 2014. 8. 29. · Werk »Mensch und Raum« von Otto Friedrich Bollnow aus dem Jahr 1962, der eine Art Anthropologie des Raumes entwickelte. Bollnow

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  • Kommunizierende Räume. Das Museum | 341

    Kommunizierende Räume. Das Museum

    Stefan Paul »Schaulust«, »Bilderwelten«, »Blickwechsel«, »Sehsucht«, »Der Traum vomSehen«, »Ich sehe was, was du nicht siehst« – so lauten die Titel viel be-achteter Ausstellungen der letzten Jahre, die den Sehsinn in den Mittel-

    1punkt stellen. Damit folgt der Museumsbereich einem Trend, ohne des-sen Schrittmacher zu sein. Doch diese starke Hinwendung zum Sehen,Schauen und Blicken vernachlässigt eine vermeintlich unbedeutende Tatsa-che: Voraussetzung für das Sehen ist der Raum, und ohne Raum könnteder so hervorgehobene Sinn nicht zur Entfaltung kommen. Diese Tatsacheschlägt sich aber nicht in einer besonderen Wertschätzung der KategorieRaum im Museum nieder. Um es noch schärfer zu formulieren: Jeder ar-beitet mit dem Raum, aber keiner redet darüber. Auch der Fakt, dass Aus-stellungen und Museen im Unterschied zu vielen anderen vermittelndenMedien physisch zu begehen sind, wird in der Regel übersehen. Vor diesemHintergrund verwundert es kaum, dass einer der wenigen ernst zu neh-menden Versuche, sich mit dem Thema Raum im Museum zu beschäfti-gen, im Kindermuseum »zoom« in Wien stattfand. Schiefe Häuser stelltendort den Gleichgewichtssinn der Besucher auf die Probe, und überdimen-sionale Schaumstoffkostüme ließen erahnen, was passiert, wenn aus Kör-

    2pern Raum wird. 1 | »Blickwechsel« (Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe

    1998); »Sehsucht – Das Panorama als Massenunterhaltung im 19. Jahrhundert«

    (Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1993); »Der

    Traum vom Sehen« (Gasometer, Oberhausen 1997); »Ich sehe was, was du nicht

    siehst! Sehmaschinen und Bilderwelten« (Agfa Foto-Historama im Museum Ludwig,

    Köln 2002).

    2 | In eine ähnliche Richtung geht die Dauerausstellung des Alimentariums in

    Vevey. Hier wird nicht nur die Kulturgeschichte der Ernährung gezeigt, sondern auch

    die Dauerausstellung als Ausstellung hinterfragt. Alte Ausstellungselemente werden

    2006-08-08 10-02-13 --- Projekt: T312.zeit-sinn-kultur.geppert.ortsgespräche / Dokument: FAX ID 027b123008265394|(S. 341-357) T04_03 paul.p 123008265418

  • 342 | Stefan Paul Diese Befunde signalisieren, was die Kategorie des Raumes für dieKommunikation im Museum bedeutet. Umso überraschender ist die Fest-stellung, dass die Kategorie ›Raum‹ in der deutschsprachigen museologi-schen Literatur so gut wie gar keinen ›Raum‹ einnimmt. Ein Beispiel dafür

    3ist das Handbuch der Allgemeinen Museologie von Friedrich Waidacher. DieKategorie Raum kommt hier zwar hin und wieder vor, aber ein eigenes Ka-pitel wird ihr auf den knapp 800 Seiten des Buches nicht gewidmet. Eineweitaus stärkere, wenngleich nicht zentrale Rolle spielt sie im englischspra-chigen Raum, wo es im Gefolge der Kommunikationstheorie von MarshallMcLuhan in den 60er und 70er Jahren eine intensive Debatte um Kommu-

    4nikationsstrukturen im Museum gab. In den letzten Jahren zeichnet sicheine Entwicklung ab, die von Museumspädagogen forciert wird und in derThemen wie Besucherverhalten, Leitsysteme oder Wahrnehmungspsycho-logie in den Vordergrund treten. Auch hier spielt die englischsprachige For-

    5schung eine wichtige Vorreiterrolle, ohne jedoch die Bedeutung der Kate-gorie Raum wirklich erkannt zu haben. Im vorliegenden Beitrag geht es nicht etwa um eine kritische Ausein-andersetzung mit theoretischen Standpunkten; vielmehr soll versucht wer-den, erste Kriterien für Raum als Kategorie einer Kommunikationsge-

    6schichte des Museums zu entwickeln. Ein Mosaik verschiedener mögli-cher Zugänge soll Einstiege eröffnen und Anregungen für eine weiterfüh-rende Diskussion geben. Zunächst gilt es die Janusköpfigkeit von äußererHülle als Schauseite und der Funktion des Museums als Depot und Ort der

    der neu gestalteten Ausstellung gegenübergestellt. So entsteht eine Art »Ausstel-

    lungslabor«. Vgl. dazu Martin R. Schärer: Ausstellungswanderungen. Notizen muse-

    ologischer Streifzüge durch das Alimentarium, Vevey 2002.

    3 | Friedrich Waidacher: Handbuch der Allgemeinen Museologie, 2. Aufl.,

    Wien, Köln, Weimar 1996.

    4 | Vgl. etwa Duncan F. Cameron: »A Viewpoint: The Museum as a Communi-

    cations System and Implications for Museum Education«, in: Curator 11 (1968) S.

    33-40.

    5 | Vgl. etwa Valorie Beer: »Great Expectations. Do Museums Know what Visi-

    tors are Doing?«, in: Curator 30 (1987), S. 206-215; Kenneth Hudson. A Social History

    of Museums: What the Visitors Thought, London 1975.

    6 | Einen interessanten Ansatz aus dem philosophischen Bereich bietet das

    Werk »Mensch und Raum« von Otto Friedrich Bollnow aus dem Jahr 1962, der eine

    Art Anthropologie des Raumes entwickelte. Bollnow stellt das menschliche Bedürfnis

    nach Bewegung und Ruhe in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Dieser Ansatz

    scheint mir auch für das Museum interessant zu sein, da er sich stärker dem Men-

    schen, sprich: dem Besucher, zuwendet. Museumspädagogik beginne nicht erst mit

    der Vermittlung einer Ausstellung, sondern mit Überlegungen zum menschen-

    freundlichen Raum.

    2006-08-08 10-02-13 --- Projekt: T312.zeit-sinn-kultur.geppert.ortsgespräche / Dokument: FAX ID 027b123008265394|(S. 341-357) T04_03 paul.p 123008265418

  • Kommunizierende Räume. Das Museum | 343

    7Präsentation von Objekten zu thematisieren. Der erste Abschnitt beschäf-tigt sich mit der Architektur des Museums, die raumkonstituierend ist undeinprägsame, repräsentative Aufgaben erfüllt. Hierbei steht die Geschichtedes Museums als Baukörper im Vordergrund. Der zweite Abschnitt wendetsich dem ›Kerngeschäft‹ des Museums zu, der Inszenierung von Innen-räumen, die die Ausstellungsobjekte, frei nach Hermann Hesse, »hebenund weiten« sollen. Raum wird zu einem wesentlichen dramaturgischenElement, das das Museum prägt. Danach folgen drei kurze Ausblicke aufandere zentrale Fragestellungen, die Anregungen für eine vertiefte Debattegeben sollen. Dabei wird im Nachgang zu den Bestrebungen der 60er Jahregefragt, ob der Kommunikationsbegriff heute für das Verhältnis von Raumund Kommunikation noch fruchtbar genutzt werden kann. Die stärkereHinwendung zur Szenographie in den 90er Jahren lässt nach dem Verhält-nis von Theater und Museum fragen. Im letzten Kapitel steht der Begriffder virtuellen Räume im Zentrum – und damit die Frage, ob virtuelle Mu-seen das klassische Museum ergänzen oder in Konkurrenz zu ihm treten.

    1. Einblicke

    1.1 Das Museum als Baukörper – Architektur

    Das Museum als öffentliche Sammlung künstlerischer und wissenschaftli-cher Gegenstände ist eine Erfindung des 18. Jahrhunderts. In dieser Zeitwurde begonnen, die fürstlichen Sammlungen (»Kunstkammern«) öffent-lich zur Schau zu stellen. Die erste staatliche Gründung war das Britische Museum in London(1753). In Deutschland entstand das Kasseler Museum Fridericianum (1769-1779). Die Verschränkung von Raum und Kommunikation in Museen und

    8Ausstellungen hat aber viel ältere Wurzeln. Woher diese älteren Prinzi-pien kommen, lässt sich an den Museumsbauten des 19. Jahrhundertsausmachen, die unser Bild von Museumsräumen bis heute prägen. DerMuseumsbau orientiert sich in seiner äußeren Hülle oft an antiken Tem-

    7 | Diese Doppelfunktion der Architektur belegt Wolfgang Schivelbusch ein-

    drucksvoll an den Bahnhofsbauten des 19. Jahrhunderts, wo die prächtige steinerne

    Außenfassade im Inneren einer modernen funktionalen Industriearchitektur aus

    Stahl gegenübersteht. Vgl. Wolfgang Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise,

    München 1977, S. 152-157.

    8 | Vgl. Paul von Naredi-Rainer: Zwischen Stadt und Kult. Die Sprache mo-

    derner Museumsarchitektur. Siebente Sigurd Greven-Vorlesung, gehalten am 15. Mai

    2003, S. 3f.; Alexis Joachimides: Die Museumsreformbewegung in Deutschland und

    die Entstehung des Modernen Museums 1880-1940, Dresden, Basel 2001.

    2006-08-08 10-02-13 --- Projekt: T312.zeit-sinn-kultur.geppert.ortsgespräche / Dokument: FAX ID 027b123008265394|(S. 341-357) T04_03 paul.p 123008265418

  • 344 | Stefan Paul pelbauten. Der sakrale Bezug ist auch an der Dramaturgie dieser Bauten zuerkennen. Die eindrucksvolle Kubatur mit aufwändig gestalteter Fassadeschafft von außen eine besondere, Ehrfurcht gebietende Atmosphäre, bevordas Gebäude überhaupt betreten wird. Dort findet der Besucher eine Abfolge von Räumen, die beim Heiligs-ten des Tempels enden. Diese Abfolge kennen wir in ähnlicher, etwas ab-gewandelter Form auch von den christlichen Kirchen. Und so ist die Prä-sentation von Schreinen oder wertvollen Monstranzen als erste Form einerAusstellungsstrategie zu begreifen, die sich des Raumes bedient.

    Abbildung 1: Das Museum als Tempel: Die Alte Nationalgalerie in Berlin1839, Gartenansicht

    Quelle: Bildarchiv Marburg.

    Viele Museen folgen dieser ›klassischen‹ Dramaturgie. Der Eingangsbe-reich führt dem Besucher bereits äußerlich die Bedeutung des Raumes vorAugen, der Bewahrer wertvoller, auratischer Objekte ist. Dementsprechendrepräsentativ ist der Zugang zum Gebäude. Ein gutes Beispiel ist die nun-mehr wieder eröffnete Alte Nationalgalerie in Berlin. Die Architektur desGebäudes entspricht in ihrer räumlichen Dramaturgie der eines Tempels.Ein mächtiger Treppenaufgang empfängt den Besucher. Danach folgt einBereich der inneren Einkehr, der im benachbarten Alten Museum in der

    9zentralen Rotunde besteht. Es schließt sich in der Regel ein Rundgang 9 | Die Rotunde im Alten Museum, entworfen von Karl Friedrich Schinkel, ge-

    2006-08-08 10-02-14 --- Projekt: T312.zeit-sinn-kultur.geppert.ortsgespräche / Dokument: FAX ID 027b123008265394|(S. 341-357) T04_03 paul.p 123008265418

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    durch die Ausstellung an, der wieder im imposanten Eingangsbereich en-det. Dieses festgelegte Raumprogramm lässt sich in der Struktur noch heu-te in vielen Museen verfolgen. Die Gestaltung des Eingangs ist oft wenigerrepräsentativ als in den genannten Beispielen, die Funktion ist aber diesel-be. Der Raum der Einkehr hat sich in der Regel in einen Dienstleistungsbe-reich verwandelt. Der Besucher kann sich wie bei den genannten Vorbil-dern orientieren, doch zusätzliche Funktionen ergänzen das Angebot, etwader wohl unvermeidliche Shop, der zum Erwerb vertiefenden Materialsanimieren soll. Aber hier lässt sich die Analogie fortsetzen, denn auch dieVerkaufsstellen von Postkarten und Führern in Kirchenräumen werdenmeistens als Fremdkörper erlebt. Die Tradition der an sakralen Vorbildern ausgerichteten Raumabfolgewird erst durch die fürstlichen und damit weltlichen Wunderkammern des

    1018. Jahrhunderts gebrochen. Nicht eine fest aufeinander abgestimmteDramaturgie bestimmt hier den Gang durch den Raum, sondern das Be-mühen, alle besonderen natürlichen und kulturellen Phänomene der Zeitzu sammeln und auf gleichem Niveau zu präsentieren. Die Sammlung istoft nur in einem Raum mit gleichartigen, großen Schränken verteilt. DieAbfolge der Themen orientiert sich an den antiken Einteilungen der Wis-senschaften. Der Raum verwandelt sich in ein Schaudepot. Das Objekt wirdnicht inszeniert, sondern in seiner dreidimensionalen Form dokumentiert.Damit sind zugleich die beiden zentralen Aktivitäten definiert, die derRaum Museum leisten muss: das Deponieren und das Exponieren von Ob-

    11jekten. Dass neue Aufgaben für die äußere Hülle des Museums hinzugekom-men sind, zeigt der Sprung in die Gegenwart. Ein beeindruckendes Beispielfür die Kategorie Raum als Kommunikationsinstrument ist der Libeskind- hört für postmoderne Architekten wie James Stirling, der dieses architektonische

    Element in der Nationalgalerie aufnahm, zu den Ikonen. Vgl. dazu: Douglas Crimp:

    Über die Ruinen des Museums, Basel 1996, S. 284-319; Dieter Bartetzko: »Das Be-

    wußtsein des Menschen für sich selbst. Das Erbe des postmodernen Museumsbaus

    der achtziger Jahre«, in: Landschaftsverband Rheinland (Hg.), Vom Elfenbein zur

    Fußgängerzone. Drei Jahrzehnte deutsche Museumsentwicklung, Opladen 1996, S.

    85-96.

    10 | Vgl. Jürg Steiner: »Von der Kunst, Wunderkammern zu gestalten«, in:

    Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig (Hg.), Weltenharmonie. Die Kunst-

    kammer und die Ordnung des Wissens, Katalog zur Ausstellung im Herzog Anton

    Ulrich-Museum Braunschweig, S. 376-381.

    11 | Vgl. ebd.; Gottfried Korff: Merkwelt Wissenschaft/Staging Sciene, Vortrag

    Workshop Ausstellungen als Instrument der Wissensvermittlung am 26. u. 27. April

    2002 im Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin,

    unter: www2.rz.hu-berlin.de/kulturtechnik/files/Korff.pdf, S. 2, gesehen am 20. De-

    zember 2003.

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  • 346 | Stefan Paul Bau, das Jüdische Museum in Berlin. Allein die Verwendung zweier Be-zeichnungen für das neue Haus – Libeskind-Bau und Jüdisches Museum –zeigt die zunehmende Bedeutung des Baukörpers und seines Schöpfers,des Architekten. Der Bau in Berlin scheint dieser Tendenz zu folgen und sich als sperri-ger Museumsraum zunächst der Ausstellung zu entziehen. Er ist ein Solitärmit einer starken architektonischen Ausstrahlung. Er besitzt keinen eigenenEingang, was ihn unter den vielen Museumsneubauten einzigartig macht.Der Zugang ist nur über ein historisches Nachbargebäude möglich, welchesvormals das Berlin-Museum beherbergte. Auch durch ein anderes wesentli-ches Merkmal unterscheidet sich das Jüdische Museum von anderen Muse-en. Der Zugang in die Ausstellung (nicht der Eingang) liegt unterhalb desErdgeschossniveaus. Der erhabene Moment des Zugangs, ein wesentlichesElement der Museumsbauten des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, oftsymbolisiert durch eine breite, mächtige Treppe, wird hier konterkariert.Stattdessen erwartet den Besucher ein System aus mehreren Achsen, dasnicht unbedingt eine stringente Besucherführung erlaubt, aber Teil derDramaturgie ist. Der gesamte Bau scheint sich der Kommunikation zu ver-weigern. Dieses Prinzip wird mit so genannten voids, nicht begehbarenLeerräumen, auf eine dramaturgische Spitze getrieben. Wie faszinierenddieser Museums-Raum schon ohne Ausstellung wirkte, zeigt die Tatsache,dass vor seiner Eröffnung mehr als 300.000 Besucher das noch leere Jüdi-sche Museum besucht haben. Der Libeskind-Bau ist ein prägnantes Beispiel für die zunehmendeTendenz der Loslösung der äußeren Hülle des Museums vom Innenleben.Die Übereinstimmung zwischen Baukörper und Innenraum, zwischen Fas-

    12sade und Grundriss fehlt. Zu beobachten ist eine ›Emotionalisierung‹des Raumes. Die äußere Architektur dient nicht mehr als Schutzhülle oderSchatzkästlein, sondern das Gebäude wird Teil des brandings oder, anders

    13formuliert, der Markenkommunikation. Ein ebenso beeindruckendes wieabschreckendes Beispiel ist der Museumsbau von Frank Gehry in Bilbao.Dort ordnet sich in vielen Bereichen die ausgestellte Kunst der Architekturunter. Diese Entwicklung lässt sich nicht allein auf gegenwärtige Strömun-gen innerhalb der Architektur zurückführen. Vielmehr reagieren Architek-ten und Auftraggeber damit auf ein verändertes Kommunikationsbedürfnisder Besucher: Nicht Sammlung und Kontemplation, sondern Erlebnisorien-

    12 | Vgl. dazu Salomon Korn: »Plädoyer fürs Ungewohnte: Die Architektur

    kann uns bereichern – wenn sie mit den vertrauten Normen bricht«, in: Die ZEIT

    vom 21.11.2002, S. 44.

    13 | Vgl. Gert Kähler: »Warnung vor einer Architektur des Spektakels. Sie nutzt

    sich rasch ab und dient nur den Interessen der Stadtvermarkter«, in: Die ZEIT vom

    21.11.2002, S. 44.

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    tierung ist gefragt. Diese Öffnung oder – negativer formuliert – Anpassungder Museen führt aus meiner Sicht in eine Sackgasse. Die Erlebniskomponente unterstützt in vielen Fällen nicht die Vermitt-lung von Inhalten, sondern setzt eigene Akzente. Und die Kategorie Raumist ein wichtiger Agent dieser Entwicklung. Der Raum verliert zunehmendseine dienende Funktion, er emanzipiert sich, fordert und bekommt seineigenes Recht. Damit erfüllen die Architekten und ihre Auftraggeber zwardie Anforderungen des Zeitgeschmacks, verabschieden sich jedoch vomMuseum als einer im besten Sinne aufklärerischen Institution. Das gilt imÜbrigen nicht nur für Neubauten. Die zunehmende Nutzung alter Indus-triebauten als Ausstellungsraum weist in eine ähnliche Richtung. Themen,Installationen und Objekte haben sich am gegebenen Raum zu orientieren

    Abbildung 2: Das Jüdische Museum in Berlin: Außenansicht

    Quelle: Jüdisches Museum Berlin.

    und nicht umgekehrt. Beispiele sind die Zeche Zollverein und vor allem derGasometer in Oberhausen, dessen Hülle zu einer Ikone räumlicher Insze-nierung geworden ist.

    2006-08-08 10-02-14 --- Projekt: T312.zeit-sinn-kultur.geppert.ortsgespräche / Dokument: FAX ID 027b123008265394|(S. 341-357) T04_03 paul.p 123008265418

  • 348 | Stefan Paul Abbildung 3: Das Jüdische Museum in Berlin: Blick in einen »void«

    Quelle: Jüdisches Museum Berlin.

    1.2 Inszenierte Geschichte – Raum als dramaturgisches Element

    Wenn wir uns in das Innere der Museumshülle bewegen, so stellen wir fest,dass die Entwicklungen im Außenraum hier nicht halt machen. Jean-Chris-tophe Amman, der frühere Direktor des Museums für moderne Kunst inFrankfurt, beklagt, dass die sich selbst inszenierenden Museumsarchitektu-ren der letzten Jahre dem täglichen Arbeiten mit Werken und Ausstellun-gen im Wege stehen. Für ihn ist der ideale Ausstellungsraum ein weißer

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    14Resonanzraum für die Werke in einer ihnen dienenden Umgebung. Die-ser Ansatz – ob man ihn nun richtig oder falsch findet – unterscheidet viel-leicht am stärksten das kunsthistorische Museum vom kulturgeschichtli-chen Ausstellungsraum. Die kulturgeschichtlichen Museen aktueller Prä-gung benötigen die veränderbare Kategorie Raum, um Inhalte dauerhaft zuvermitteln. Es ist nicht die Aura des singulären Kunstwerkes, das in Szenegesetzt werden muss, sondern ein in der Regel heterogener Objektbestand,der Bezüge untereinander und damit auch zum Betrachter schaffen soll.Ein wichtiges Hilfsmittel für diese Form der Interpretation ist der Raum.Daher liegt der Fokus der folgenden Betrachtungen auf kulturhistorischenMuseen, die stärker als kunsthistorische Museen mit der Kategorie Raumarbeiten. Kulturhistorische Museen versuchen, komplexe Kontexte und In-halte herauszuarbeiten, während der Anspruch von Kunstmuseen, Werkbe-züge herzustellen, vergleichsweise bescheiden wirkt. Die Ästhetik ist dortwichtiger als die Aufklärung. Wie bestimmt die Raumgestaltung von Museen und Ausstellungen dieDramaturgie der Themen? Wie wird Spannung aufgebaut? Und wie werdenLeitfragen kommuniziert? Der Umgang mit dem Raum ist eines der stärks-ten Werkzeuge der Dramaturgie. Besucher reagieren unmittelbar auf räum-liche Veränderungen. Schafft ein Raum Offenheit, wirkt er eng oder ver-winkelt, ist er begehbar oder abgeschlossen? Diese Eindrücke prägen ganzwesentlich die Atmosphäre von Räumen. Die Kategorie Raum bekommt un-terschiedliche kommunikative Funktionen. Der Raum kann Teil einer In-szenierung sein. Wie die Kulissen in Film und Theater kann er die Besu-cher eintauchen lassen in eine andere Welt. Er lässt sie in eine afrikanischeHütte, ins Innere eines Kraftwerks oder auf dem Passagierdeck eines Oze-andampfers reisen. Der Raum lässt die Objekte stärker zur Geltung kom-men und gewährleistet eine klare Führung der Besucher. Damit beschränkt

    15er sich auf seine dienende Aufgabe als Hülle und Ort. Seit gut dreißig Jahren wird ganz wesentlich mit der Kategorie Raumals Teil der Inszenierung und damit als Teil eines weitergehenden Kom-munikationskonzeptes gearbeitet. Das ist eine Entwicklung, die mehr oderweniger unbewusst Stränge aus dem Ausstellungswesen der 20er Jahre desletzten Jahrhunderts aufnimmt. Wichtige Impulse für die Dramaturgie von 14 | Vgl. Christel Dauster/Claudia Weibel: Tagungsbericht Museum als Medi-

    um – Medien im Museum. Perspektiven der Museologie, 5./6. Juli 2002 in der Staat-

    lichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, unter: www.arthist.net/Wforum

    CoD2.html, gesehen am 20. Oktober 2003.

    15 | Diese Ansätze verfolgte schon in den 30er Jahren Georges Henri Rivières

    am Musée d’Ethnographie, wo er für jedes Exponat eine eigene Gestaltung suchte.

    Wie Libeskind im architektonischen Bereich spielte er mit einer Ästhetik der Leere

    und verbannte Dubletten aus der Ausstellung. Vgl. Nina Gorgus: Der Zauberer der

    Vitrinen. Zur Museologie Georges Henri Rivières, Münster 1999, S. 49.

    2006-08-08 10-02-14 --- Projekt: T312.zeit-sinn-kultur.geppert.ortsgespräche / Dokument: FAX ID 027b123008265394|(S. 341-357) T04_03 paul.p 123008265418

  • 350 | Stefan Paul Ausstellungen kamen von den avantgardistischen Kunstausstellungen inder ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei sei nur an die kleine, damalseher unbeachtete DADA-Messe 1920 in Berlin erinnert, die in den 80er

    16Jahren wieder entdeckt und als räumliche Reproduktion inszeniert wurde.Eine ältere Traditionslinie bilden die Weltausstellungen oder die zahlrei-chen Industrie- und Gewerbeausstellungen, die sich in der zweiten Hälftedes 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreuten. Ihr Einfluss ist nicht ge-nau zu bestimmen. Sie waren inspirierend für die Einführung neuer The-mengruppen innerhalb des Museums. Ihre inszenierten Räume, die unszuweilen an Freiluftmuseen erinnern, könnten ein wichtiger Impulsgeberfür die Einrichtung von »Stuben« in zahlreichen Regionalmuseen und hei-matgeschichtlichen Sammlungen gewesen sein. Auf eine deutliche Verbin-dung von Weltausstellungen und Museen weisen auch institutionelle Ver-knüpfungen hin: So stellen das South Kensington Museum in London(1851), das Field Museum of Natural History in Chicago (1893) oder dasfranzösische Kolonialmuseum in Vincennes (1931) allesamt geplante oder

    17ungeplante Relikte von Großausstellungen dar. Das Ziel der neuen Inszenierungsformen seit den 70er Jahren des letz-ten Jahrhunderts bestand darin, sich von der Vorherrschaft des Objekts zuverabschieden und stärker narrative Strukturen in den Vordergrund zu rü-cken. Ausstellungen sollten Geschichten erzählen und zu einer ›Demokra-tisierung des Museums‹ beitragen. Das bedeutete konkret, breitere Besu-cherschichten in die vermeintlich antiquierte Institution Museum zu lo-cken. Das wurde zunächst über eine neue Themenpalette und ein neuarti-ges Kommunikationsangebot versucht. Die Kultur der breiten Bevölkerung,insbesondere der Unterschichten, der Arbeiter und Bauern, rückte thema-tisch in den Blickpunkt der Museen. Vitrinen wurden immer weniger ak-zeptiert. Das Stichwort »hands on« machte die Runde. Der Besucher sollteaktiv in die Ausstellung einbezogen werden. Das didaktische, kommunika-tive Element wurde zunehmend wichtiger. Die Textmenge in den Ausstel-lungen wuchs, und kleine Inszenierungen sollten Lebenswelten wiederher-

    18stellen. Eine große Neuerung in der Ausstellungspraxis bedeuteten die viel be-achteten kulturhistorischen Ausstellungen seit Ende der 70er Jahre. Hier 16 | Helen Adkins: »Erste internationale Dada-Messe, Berlin 1920«, in: Bernd

    Klüser/Katharina Hegewisch (Hg.), Die Kunst der Ausstellung. Eine Dokumentation

    dreißig exemplarischer Kunstausstellungen dieses Jahrhunderts, Frankfurt am Main,

    Leipzig 1995, S. 70-75.

    17 | Vgl. Alexander C.T. Geppert: »Welttheater. Die Geschichte des europäi-

    schen Ausstellungswesens im 19. und 20. Jahrhundert. Ein Forschungsbericht«, in:

    Neue Politische Literatur 47 (2002), 10-61.

    18 | Vgl. Ellen Spickernagel/Brigitte Walbe (Hg.): Das Museum – Lernort contra

    Musentempel, Gießen 1976.

    2006-08-08 10-02-14 --- Projekt: T312.zeit-sinn-kultur.geppert.ortsgespräche / Dokument: FAX ID 027b123008265394|(S. 341-357) T04_03 paul.p 123008265418

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    wäre die große Ausstellung »Preußen – Geschichte einer Bilanz« von 1981oder die Ausstellung »Berlin-Berlin« im Martin-Gropius-Bau von 1987 zu

    19nennen. Die Ausstellungsarchitektur nahm in der Vermittlung der vielfäl-tigen Themen eine zentrale Stellung ein. Räume sollten Atmosphäre her-stellen, Enge und Weite, Glamour und Alltag. Architekten und Bühnen-bildner wie Hans Dieter Schaal und Jürg Steiner bestimmten die gestalte-rische Sprache in diesem Bereich. Die zweidimensionale Ausstellungsweltder Designer rückte in den Hintergrund. Wie ein vorläufiges Fazit dieserBemühungen lesen sich die Einlassungen von Gottfried Korff, einem derKuratoren beider Ausstellungen:

    »Die Dreidimensionalität der in ihm aufbewahrten Gegenstände macht das Museum

    zum Ort einer raumdeterminierten Wahrnehmung. Der Raum wirkt mit, wenn es

    um die Formierung sinnlicher Erkenntnis geht. So unterscheidet sich das Museum

    von den anderen, an den Sehsinn appellierenden wissensvermittelnden Agenturen,

    durch inszenatorische Möglichkeiten, die auch den Körper in ein Recht setzen. […]

    Authentizität im Museum ist […] eine Sache der Anmutungs- und Erlebnisqualität,20die sich aus dem Bezugssystem von Körper, Gegenstand und Raum ergibt.«

    Diese Ausstellungen hatten auch Konsequenzen für die Neueinrichtung derbeiden großen historischen Museen in den 90er Jahren. Sie verfolgten imGrundsatz weiterhin die Intentionen der Ausstellungsmacher der eben ge-nannten Großausstellungen, die jetzt zum Teil das leitende Personal derneuen Museen stellten. Gemeint sind das Haus der Geschichte in Bonnund das Deutsche Historische Museum in Berlin. Sie arbeiten mit ähnli-chen Raumkonzepten, erweitern diese aber um neue Formen der Mediali-

    21sierung. Dabei scheint auch ein stärker gewordenes Misstrauen gegen-über den Kommunikationsmöglichkeiten dreidimensionaler Objekte zutagezu treten. Der Gebrauch oder die Nutzung der Kategorie ›Raum‹ in Museen ver-folgt unterschiedliche Zwecke. Im Zentrum des Interesses steht dabei –trotz der genannten Einschränkung – immer noch das Objekt. Diese Ob-jektbezogenheit tritt, wie bereits erwähnt, in Kunstmuseen deutlicher her-vor als in historischen Museen, in denen eher spielerisch mit Räumen um-gegangen wird. Eine moderne Ausstellungsplanung geht zunächst von Leit-objekten aus, die die Struktur einer Ausstellung ›kommunizieren‹ sollen. 19 | Vgl. Gottfried Korff: »Zielpunkt: Neue Prächtigkeit? Notizen zur Geschich-

    te kulturhistorischer Ausstellungen in der ›alten‹ Bundesrepublik«, in: Landschafts-

    verband Rheinland (Hg.), Vom Elfenbein zur Fußgängerzone, S. 53-84.

    20 | Vgl. Korff, Museumsdinge oder Merkwelt?, S. 2.

    21 | Vgl. Detlef Hoffmann: »Drei Jahrzehnte Museumsentwicklung in der Bun-

    desrepublik – Trends, Strukturen, Perspektiven«, in: Landschaftsverband Rheinland

    (Hg.), Vom Elfenbein zur Fußgängerzone, S. 16.

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  • 352 | Stefan Paul Um diese Objekte herum werden weitere Objekte mit vermeintlich geringe-rer Bedeutung platziert, die zwar ihren Wert als Objekt behalten, aber einestärker kommentierende Funktion haben. Leitobjekte werden nicht nur in-haltlich bestimmt. Manchmal ist es ihre Größe, ihre Form oder ihre Farbe,die sie ›qualifizieren‹, den Raum und damit die Ausstellung zu gliedern.Was für die äußere Hülle des Museums gilt, wird auch für das Innenlebenvon Ausstellungen wichtiger: Es werden erlebnisorientierte, die Sinne an-sprechende Räume geschaffen. Der Einsatz von Licht, Farbe, Klang und Ge-ruchsstationen soll die Raumerfahrung vertiefen. Vor diesem Hintergrunderklärt sich wohl auch die geradezu inflationäre Einführung von Klang-,Duft- und Tasträumen. Der zweite wesentliche Faktor, der die räumliche Konstellation im Mu-seum prägen kann, ist das Thema. Ein in dieser Hinsicht besonders auffal-lendes Beispiel war die James-Bond-Ausstellung (1998) im HildesheimerRoemer- und Pelizaeus-Museum. Ihr Untertitel »Die Welt des 007« prägtedie Struktur der Ausstellung. Der Eingangsbereich führte durch einen Pis-tolenlauf. Es folgten Orte, die jeder Besucher aus den Bond-Filmen kannte:ein Casino mit Baccara-Tisch, das Vorzimmer von Miss Moneypenny, dasBüro von M, die Werkstatt von Q, eine gigantische Kommandozentrale undschließlich eine Stahlbrücke, die sich über brodelndes Wasser zog. DieseForm des Umgangs mit Raum mag extrem sein, aber sie steht dennoch füreinen vorherrschenden Trend im Ausstellungsbereich. Es werden so ge-nannte Themenräume konzipiert, in denen Geschichten erzählt werden.Die Objekte werden Mittel zum Zweck und sind nicht mehr Gegenstandder ehrfürchtigen Bewunderung. Der Zugang zur Museumspräsentationwird damit wesentlich erleichtert. Ein dritter Faktor ist die zunehmende Medialisierung von Ausstellun-gen. Dabei bestimmen unterschiedliche Konzepte die derzeitige Ausstel-lungspraxis. Eindrucksvoll wurde dies im Jahre 2000 durch die EXPO inHannover und die Ausstellung »Sieben Hügel« im Berliner Gropiusbau

    22manifestiert, die stark auf elektronische Hilfsmittel setzten, um neue Er-23 24lebniswelten zu inszenieren. Bei vielen EXPO-Präsentationen war zu

    22 | Vgl. Bettina Drescher: Im Westen nichts Neues? Themenpark und Sieben

    Hügel. Präsentationsästhetiken im Vergleich, unter: www.ulmer-verein.de/drescher.

    html, gesehen am 11. November 2003.

    23 | Ein vorläufiger Endpunkt dieses ausgereizten Begriffes ist der »Atlas der

    Erlebniswelten«, der den Versuch einer Topographie unserer Welt im Kopf unter-

    nimmt. Vgl. Louise van Swaaij/Jean Klare (Hg.): Atlas der Erlebniswelten, Frankfurt

    am Main 2000.

    24 | Ein konträres Konzept verfolgte die Ausstellung »Theatrum Mundi«, die

    auf die »Sieben Hügel« im Gropiusbau folgte und einen sehr puristischen, objekt-

    zentrierten Blick auf die Wissenschaftsrelikte der Humboldt-Universität richtete: eine

    spannende Ausstellung – trotz oder gerade wegen der vielen Vitrinen.

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  • Kommunizierende Räume. Das Museum | 353

    beobachten, dass die Medialisierung oft mit dem Verlust des physisch er-lebbaren Raumes einhergeht. Räume werden nicht mehr inszeniert, son-dern sind bloß noch Hüllen für immer perfektere Projektionsverfahren.

    2. Ausblicke

    2.1 Ein einfaches Kommunikationsmodell

    Ging es bislang um Raum und den Umgang mit Raum, so steht im Fol-genden der Begriff ›Kommunikation‹ im Zentrum. Ich gehe dabei von ei-nem einfachen Kommunikationsmodell aus, das aber bereits die Komplexi-

    25tät dieser Herangehensweise zeigt, nämlich dem Modell Sender – Medium– Empfänger, das ich mit Objekt – Raum – Besucher gleichsetze. Dabei muss das Medium nicht unbedingt die Kategorie Raum sein.Auch Kategorien wie Thema, Medien, Klang, Licht, Farbe und Text könnenMedium sein. Dieses sehr einfache Kommunikationsmodell schafft bereitseine Fülle von Bezügen, die die Möglichkeiten und Grenzen dieses Ansat-zes erahnen lassen. Übertragen auf die kleinste Ebene der musealen Prä-sentation, nämlich die Zurschaustellung eines Objektes in einer Vitrine,

    26sendet das Objekt eine Botschaft an den Betrachter. Dazwischen liegt nurder Raum, der durch eine Glasscheibe und/oder eine Absperrung unterbro-chen wird. Diese Aufteilung des Raumes schafft Distanz. Die Vitrine alsRaumveränderer hat damit eine zentrale kommunikative Funktion. Ausdieser Sicht können Vitrinen in einer Ausstellung eine bedeutsame Rollespielen, die weit über die Funktion des Schutzes (vor Besuchern, Wärme,Licht oder Feuchtigkeit) hinausgeht. Sie ist auch ein wichtiges dramaturgi-sches Mittel. Die Objekte werden durch Distanz aufgewertet. Aber nichtjedes Objekt gehört in eine Vitrine, wie ein skurriles Beispiel der Ausstel-lung »Mittelalter am Oberrhein« des Badischen Landesmuseums zeigt.Dort wurden Kanonenkugeln unter Glas gesetzt. In dieser einfachen Bezie-hung zwischen Objekt – Raum – Besucher können auch andere »Werk-zeuge« genutzt werden, um Distanz herzustellen. Ähnliche Betrachtungenwie für die Vitrine ließen sich für den Sockel anstellen. Im Museumsraum überlagern sich eine Vielzahl solcher einfacherKommunikationsmuster. Diese Verschränkungen machen das besucherori- 25 | Ein anderer Ansatz findet sich bei Michael Schmolke: Ausstellung und

    Kommunikation der Gesellschaft. Eine Skizze, Vortrag Workshop Ausstellungen als

    Instrument der Wissensvermittlung am 26. u. 27. April 2002 im Helmholtz-Zen-

    trum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin, unter: www2.rz.hu-berlin.

    de/kulturtechnik/files/Schmolke.pdf, gesehen am 20. Dezember 2003.

    26 | Vgl. Der Ausstellungsraum im Ausstellungsraum. Moderne Vitrinentech-

    nik im Museum, Köln 1994, S. 7f.

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  • 354 | Stefan Paul entierte Bauen einer Ausstellung zu einem so schwierigen und kaum plan-baren Unterfangen. Der Gestalter Ralph Appelbaum formulierte dieSchwierigkeit für die Kategorie der »Empfänger« einmal folgendermaßen:»Museumsbesucher sind wie Schafe – man weiß nie, wo sie grasen.« Ähnlich komplex ist die Wirkung auf der Objektebene. Wie wirken Ob-jekte miteinander, die in einer bestimmten Absicht und in einer festgeleg-ten Position in den Raum gestellt werden? Jeder »Empfänger« oder Besu-cher baut sich seinen eigenen Museumsraum. Die Alternative wäre einschmaler Gang, der den Besucher zwar führen, ihn aber kaum noch »he-ben« und »weiten« könnte – es sei denn, man wollte ein Bergwerk insze-nieren. Ein anderer wichtiger Aspekt der Frage nach dem Museumsraum alsKommunikationsmedium, der bisher jedoch in der Planungspraxis vonAusstellungen kaum eine Rolle spielt, ist die der Beziehung der Besucheruntereinander. Sind Museumsräume kommunikationsfeindlich? Noch heu-te gilt der Satz von Paul Valery, dass sich Besucher in Museen zwar »ein

    27wenig lauter als in der Kirche, aber viel ruhiger als im Alltag« verhalten.Die sakrale Tradition der Museumsbauten scheint noch ihre Wirkung zutun.

    2.2 Das Museum als Theater?

    Seit einigen Jahren erfreut sich der Begriff »Szenographie« großer Beliebt-heit. Vielen Gestaltern, Designern und Architekten scheint ihre herkömmli-che Berufsbezeichnung zu langweilig geworden zu sein und sie schmückensich mit dem Begriff Szenograph. Für Martin Roth, den ehemaligen Präsi-denten des Deutschen Museumsbundes und eifrigen Förderer dieser neuenBerufsbezeichnung, ist Szenographie »das Handwerk, dreidimensionaleRäume so zu inszenieren, so einzurichten, dass Inhalte verstärkt durch ge-stalterische Mittel deutlicher und prägnanter in ihrer Wirkung und Aussage

    28werden«. Mit diesem Begriff wird die Nähe zum Theater gesucht. DieAusstellung wird als Bühne begriffen, auf der mit den Objekten ein Stückinszeniert wird und wo eine Vielzahl von Komponenten auf das fertige Pro-dukt wirken. Hier liegen aber auch die Grenzen dieser Analogie. Theaterund Film drängen den Zuschauer in eine eher passive Rolle. Er ist derDramaturgie eines Stücks oder eines Films ausgesetzt. Im Bereich des Mu-seums kommt ihm eine wesentlich aktivere Rolle zu. Der Besucher be-

    27 | Zit. n. Barbara Gehrke: »Museen und Cybernauten. Zukunft hat eine lange

    Vergangenheit«, in: www.ecmc.de/content/new/pub/download/cybernauten.pdf, S. 1,

    gesehen am 10. Dezember 2003.

    28 | Martin Roth: »Scenographie. Zur Entstehung von neuen Bildwelten im

    Themenpark der Expo 2000«, in: Museumskunde (66) 2001, S. 25.

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    stimmt das Tempo und die Vertiefung des Themas. Die Bewegung des Be-suchers im Raum konstituiert die Dramaturgie. Ausstellungsmacher arbei-ten denn auch mit zahlreichen Mitteln, um diesen Gang zielgerichtet zu be-

    29stimmen. Eine räumliche und thematische Struktur wird vorgegeben,aber der Besucher entscheidet, ob er den Vorgaben folgt oder seine eigeneDramaturgie der Ausstellung entwirft. Oder plastischer gesagt: Der Besuchereines Theaters hat nicht die Möglichkeit, den Schluss der Aufführung vor-zuziehen, doch der Besucher eines Museums kann seinen Gang durch dieAusstellung auch am Ende des Rundgangs beginnen. Die These muss daher aus meiner Sicht variiert werden: Das Museumarbeitet, wenn es mit Raum arbeitet, der Institution Theater geradezu ent-gegengesetzt. Der Besucher ist gewissermaßen ein Akteur auf der Bühneder Ausstellung, während die Objekte die passive Rolle von Zuschauerneinnehmen – denen es allerdings versagt ist, der menschlichen Vorführungzu applaudieren.

    2.3 Virtuelle Räume

    Seit dem Aufkommen neuer Medientechniken geistert ein weiteres Schlag-wort durch den Museumsäther: Das klassische Museum sah sich plötzlichbedrängt von virtuellen Museen, die nur noch Netzwerke und Bildschirmebrauchten, um sich von den herkömmlichen Museen zu emanzipieren. DieÜberwindung des Raums durch das Netz schien unmittelbar bevorzuste-hen. So war es nicht weiter verwunderlich, dass der zentrale Museumsser-ver des Deutschen Historischen Museums schon bald eine Sparte mit virtu-ellen Museen anbot. Doch wie es vielen Kindermuseen an Objekten man-gelt und man versucht, diese durch bunte Installationen zu ersetzen, so

    30fehlt den virtuellen Museen auch etwas: der physisch erlebbare Raum. Obdie Räume des Netzes dieses Defizit ausgleichen oder ausgleichen können,vermag ich nicht zu beurteilen. Die Direktorin des Museums für Gestaltungin Zürich, Erika Keil, vergleicht in diesem Zusammenhang die »Konkur-renzprodukte« und sieht die Vorteile des Museums in den Bereichen

    31»Dreidimensionalität« und »Echtheit«.

    29 | Vgl. Duncan F. Cameron: »A Viewpoint. The Museum as a Communications

    System and Implications for Museum Education«, in: Curator 11 (1968) S. 38.

    30 | Ein spannender Brückenschlag zwischen virtuellen Räumen und »histori-

    schen Illusionsräumen« gelingt Oliver Grau. Für ihn haben die vermeintlich innova-

    tiven virtuellen Räume unserer Zeit eine lange historische Tradition, die bis in die

    Antike reicht. Vgl. Oliver Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. Visuel-

    le Strategien, Berlin 2001.

    31 | Vgl. Gespräch mit Erika Keil, unter: edu.gbssg.ch/grf/zeitlos/5recherche/

    gespraeche/keil.htm, gesehen am 12. Dezember 2003.

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  • 356 | Stefan Paul Damit bin ich bei meiner abschließenden These: Raum wird durch

    32»leibliche Anwesenheit« (Gernot Böhme) erfahrbar. Auch die technischausgereiftesten Lösungen im Cyberspace lassen mich eher als passiven Be-trachter enden. Boris Groys spricht sogar von einer Entmündigung des Be-

    33suchers, der einer fremden Lichtgestalt unterworfen werde. Der Raum ist im Bereich der virtuellen Welten nur noch als Hülle fürInstallationen interessant, weniger als dramaturgisches Element. Ein gutesBeispiel ist das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karls-ruhe, das sich der Präsentation neuer Medien verschrieben hat. Hier wirdnicht Raum inszeniert, um die vielfältigen medialen Angebote zur Geltungzu bringen, sondern die Medien inszenieren den Raum. Bei der Daueraus-stellung des ZKM hat der Raum dienende Funktion für die medialenKunstwerke. Die Abfolge der gezeigten Kunstwerke scheint beliebig, undeine Dramaturgie der Ausstellung ist nicht zu erkennen.

    3. Fazit

    An kaum einer anderen Institution lässt sich die Verschränkung von Raumund Kommunikation so gut zeigen wie am Museum. Nichtsdestotrotzscheint das Museum die Kategorie »Raum« erst spät als Faktor der Kom-munikation entdeckt zu haben. Das gilt in erster Linie für die Architekturder Museen, die zunehmend zum Marketinginstrument verkommt. Bei vie-len Neueröffnungen der letzten Jahre – insbesondere bei Kunstmuseen –musste der Eindruck entstehen, dass die Gebäudehülle weitaus wichtigerwar als die präsentierten Objekte. In den kulturhistorischen Museen be-kommt der Raum zunehmende Bedeutung als dramaturgisches Elementder ›erlebnisorientierten‹ Inszenierung. Diese Tendenz ist freilich nichtneu, denn der Raum spielt für die Arbeit der Museen schon immer einezentrale Rolle, sei es als Tempelersatz oder Erlebnisort. Dabei ist die Kate-gorie ›Raum‹ einer stetigen begrifflichen Erweiterung unterworfen, dieaber den Kern des Raumgedankens eher verwässert als schärft – sei es alsvirtuelles Museum oder als Museums-Theater. Die Kategorie des Raumes ist eines der zentralen ›Alleinstellungs-merkmale‹ des Mediums Museum, verlangt dieses Medium doch die struk- 32 | Zit. n. Christian Thomas: Der poröse Leib. Ein Symposium des Deutschen

    Architektur-Museums über »Architektur + Wahrnehmung« in Frankfurt, in: www.

    fr-aktuell.de/fr/140/t140007.htm, gesehen am 16. November 2002.

    33 | Zit. n. einer Besprechung der Tagung »Museum als Medium – Medien im

    Museum. Perspektiven der Museologie« an der Staatlichen Akademie der Bildenden

    Künste Stuttgart von Christel Dauster und Claudia Waibel, Universität Stuttgart, in:

    H-ArtHist (August, 2002); http://www.h-net.org/mmreviews/showrev.cgi?path=289,

    gesehen am 12. Dezember 2003.

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    turierte Bewegung des gesamten Körpers, um sinnvoll genutzt werden zukönnen. Die ›leibliche‹ Form der Raumerfahrung ist für mich ein wesent-licher Ansatz musealer Kommunikation. Wahrnehmung ist ›Ganzkörper-einsatz‹, der nicht nur über den Augensinn gesteuert wird. Das Primat desSehens in der augenblicklichen Diskussion wird nicht durch die Kategoriedes Raumes ersetzt. Eine eindrückliche Erfahrung mit den unterschiedli-chen Räumen des Museums scheint mir aber nur mit physischer Präsenzmöglich, um die virtuelle Welt des Museums erleben zu können.

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