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Gynäkologe 2011 · 44:108–115 DOI 10.1007/s00129-010-2686-2 © Springer-Verlag 2011 G. Griesinger Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Universitätsklinikum  Schleswig-Holstein, Campus Lübeck Kontroversen in der Reproduktionsmedizin Kontroversen und Sachstand zu  Metformin bei PCOS, assisted hatching,  Aneuploidiescreening, Blastozystenkultur  und Aneuploidiescreening Leitthema Die Aussicht für ein Paar mit Kinder- wunsch, dass ein Kind geboren wird, unterliegt von Natur aus einer Reihe von Einschränkungen. Auf dem Weg von Ovulation, Konzeption, Einnis- tung, Plazentation bis zur Geburt gibt es eine Vielzahl von Ereignis- sen, in deren Folge eine Schwanger- schaft entweder nicht entsteht oder sich nicht weiter entwickelt. Die Wahrscheinlichkeit einer Schwanger- schaft pro menstruellem Zyklus (mit Geschlechtsverkehr im fruchtbaren Zeitraum) wird bei jungen Frauen (20 bis 34 Jahren) auf lediglich etwa 30% geschätzt [1]. Normofertilität – Infertilität Die menschliche Fortpflanzung zeich- net sich also durch eine große biologische Ineffektivität aus, die durch „Quantität“ (fortwährend wiederholte Ovulationen über den Zeitraum der Geschlechtsreife der Frau, regelmäßigen Geschlechtsver- kehr) kompensiert werden kann. Dement- sprechend wird auch eine Zeit von bis zu 12 Monaten (bei regelmäßig stattfinden- dem, ungeschütztem Geschlechtsverkehr) bis zum erwünschten Schwangerschafts- eintritt als physiologisch betrachtet, und es besteht darüber hinaus ein Kontinu- um von „Normofertilität“, „leichter Sub- fertilität“, „schwerer Subfertilität“ bis zur „Infertilität“ [2]. In Analogie zur natürlichen Situa- tion ist auch die IVF-Behandlung pro Be- handlungszyklus, trotz wesentlicher wis- senschaftlicher und klinischer Bemühun- gen in den vergangenen drei Jahrzehnten, bisher relativ wenig erfolgreich geblie- ben. Nach Daten des deutschen IVF-Re- gisters (2008) liegt die Schwangerschafts- rate (pro Embryotransfer) nach Trans- fer von im Mittelwert zwei Embryonen bei 28,67%. Im europäischen Vergleich ist dies trotz der Einschränkungen des Emb- ryonenschutzgesetzes (ESchG) durchaus nicht schlecht. Im Vereinigten Königreich lag die Schwangerschaftsrate im Jahr 2005 bei 30,3%, in Frankreich bei 27,3% und in Dänemark bei 30,1%. Effiziensteigerung der IVF-Verfahren Es gilt aber die Effizienz der reproduk- tionsmedizinischen Behandlungsmo- dalitäten zu steigern, zumal in einem wirtschaftlich kompetitiven Umfeld die Schwangerschaftsrate als wichtiger Er- folgsparameter eines IVF-Programms ge- handelt wird (ob zu Recht oder Unrecht, sei hier dahingestellt). Die Implementie- rung neuer Methoden kann jedoch auch einen geringeren Behandlungsaufwand, geringere Risiken oder geringere finan- zielle Kosten zum Ziel haben. Von Hoffnung auf Erfolg getragen wurden gerade in der Reproduktionsme- dizin viele neuartige Verfahren rasch in die klinische Anwendung übernommen – häufig ohne zuvor erbrachten Nach- weis eines tatsächlichen Nutzens. Der Bei- trag befasst sich mit folgenden Themen- feldern: F Metformin bei PCOS, F assisted hatching, F Aneuplodiescreening, F Blastozystentransfer und F adjuvanter Akupunktur bei IVF. Sachstand und aktueller Stand der Diskussion werden referiert. Metformin PCOS Das PCOS ist charakterisiert durch Oligo-/ Amenorrhö, Hyperandrogenämie und dem sonomorphologischen Erschei- nungsbild polyzystischer Ovarien. Da bei einem Teil der Patientinnen eine Insu- linresistenz nachgewiesen werden kann, wurde die Gabe von Metformin (einem oralen Antidiabetikum) als effektive Be- handlung vorgeschlagen. Zwei aktuel- le Cochrane-Analysen [3, 4] werteten die verfügbaren Studien zur Verwendung von Metformin bei PCOS aus. Es konnten 27 Studien mit 2150 Patientinnen zur Frage- stellung der Effektivität der Metforminga- be zur Behandlung verschiedener Symp- tome des PCOS in die systematische Aus- Redaktion T. Strowitzki, Heidelberg  K. Diedrich, Lübeck 108 | Der Gynäkologe 2 · 2011

Kontroversen in der Reproduktionsmedizin

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Gynäkologe 2011 · 44:108–115DOI 10.1007/s00129-010-2686-2© Springer-Verlag 2011

G. GriesingerKlinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck

Kontroversen in der ReproduktionsmedizinKontroversen und Sachstand zu Metformin bei PCOS, assisted hatching, Aneuploidiescreening, Blastozystenkultur und Aneuploidiescreening

Leitthema

Die Aussicht für ein Paar mit Kinder­wunsch, dass ein Kind geboren wird, unterliegt von Natur aus einer Reihe von Einschränkungen. Auf dem Weg von Ovulation, Konzeption, Einnis­tung, Plazentation bis zur Geburt gibt es eine Vielzahl von Ereignis­sen, in deren Folge eine Schwanger­schaft entweder nicht entsteht oder sich nicht weiter entwickelt. Die Wahrscheinlichkeit einer Schwanger­schaft pro menstruellem Zyklus (mit Geschlechtsverkehr im fruchtbaren Zeitraum) wird bei jungen Frauen (20 bis 34 Jahren) auf lediglich etwa 30% geschätzt [1].

Normofertilität – Infertilität

Die menschliche Fortpflanzung zeich-net sich also durch eine große biologische Ineffektivität aus, die durch „Quantität“ (fortwährend wiederholte Ovulationen über den Zeitraum der Geschlechtsreife der Frau, regelmäßigen Geschlechtsver-kehr) kompensiert werden kann. Dement-sprechend wird auch eine Zeit von bis zu 12 Monaten (bei regelmäßig stattfinden-dem, ungeschütztem Geschlechtsverkehr) bis zum erwünschten Schwangerschafts-eintritt als physiologisch betrachtet, und es besteht darüber hinaus ein Kontinu-um von „Normofertilität“, „leichter Sub-fertilität“, „schwerer Sub fertilität“ bis zur „Infertilität“ [2].

In Analogie zur natürlichen Situa-tion ist auch die IVF-Behandlung pro Be-handlungszyklus, trotz wesentlicher wis-senschaftlicher und klinischer Bemühun-gen in den vergangenen drei Jahrzehnten, bisher relativ wenig erfolgreich geblie-ben. Nach Daten des deutschen IVF-Re-gisters (2008) liegt die Schwangerschafts-rate (pro Embryotransfer) nach Trans-fer von im Mittelwert zwei Embryonen bei 28,67%. Im europäischen Vergleich ist dies trotz der Einschränkungen des Emb-ryonenschutzgesetzes (ESchG) durchaus nicht schlecht. Im Vereinigten Königreich lag die Schwangerschaftsrate im Jahr 2005 bei 30,3%, in Frankreich bei 27,3% und in Dänemark bei 30,1%.

Effiziensteigerung der IVF­Verfahren

Es gilt aber die Effizienz der reproduk-tionsmedizinischen Behandlungsmo-dalitäten zu steigern, zumal in einem wirtschaftlich kompetitiven Umfeld die Schwangerschaftsrate als wichtiger Er-folgsparameter eines IVF-Programms ge-handelt wird (ob zu Recht oder Unrecht, sei hier dahingestellt). Die Implementie-rung neuer Methoden kann jedoch auch einen geringeren Behandlungsaufwand, geringere Risiken oder geringere finan-zielle Kosten zum Ziel haben.

Von Hoffnung auf Erfolg getragen wurden gerade in der Reproduktionsme-

dizin viele neuartige Verfahren rasch in die klinische Anwendung übernommen – häufig ohne zuvor erbrachten Nach-weis eines tatsächlichen Nutzens. Der Bei-trag befasst sich mit folgenden Themen-feldern: FMetformin bei PCOS,Fassisted hatching,FAneuplodiescreening,FBlastozystentransfer undFadjuvanter Akupunktur bei IVF.

Sachstand und aktueller Stand der Diskussion werden referiert.

Metformin

PCOS

Das PCOS ist charakterisiert durch Oligo-/ Amenorrhö, Hyperandrogenämie und dem sonomorphologischen Erschei-nungsbild polyzystischer Ovarien. Da bei einem Teil der Patientinnen eine Insu-linresistenz nachgewiesen werden kann, wurde die Gabe von Metformin (einem oralen Antidiabetikum) als effektive Be-handlung vorgeschlagen. Zwei aktuel-le Cochrane-Analysen [3, 4] werteten die verfügbaren Studien zur Verwendung von Metformin bei PCOS aus. Es konnten 27 Studien mit 2150 Patientinnen zur Frage-stellung der Effektivität der Metforminga-be zur Behandlung verschiedener Symp-tome des PCOS in die systematische Aus-

RedaktionT. Strowitzki, Heidelberg K. Diedrich, Lübeck

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wertung[3] eingeschlossen werden. Ein Nachweis, dass eine alleinige Metfor-minverabreichung den menstruellen Zy-klus soweit reguliert, sodass die Lebend-geburtswahrscheinlichkeit bei Patientin-nen mit Kinderwunsch erhöht wird, fehlt gänzlich (OR 1,00, 95%-KI 0,16–6,39). Allerdings wird dieser Ergebnisparame-ter in nur zwei Studien angegeben. Der Vergleich von Clomifen vs. Metformin plus Clomifen zeigt keine Erhöhung der Lebendgeburtswahrscheinlichkeit (4 Stu-dien, OR 1,05, 95%-KI 0,75 –1,47). Ledig-lich bei dem Ergebnisparameter klinische Schwangerschaftsrate, der in acht Studien angegeben wird, zeigt sich ein Nutzen von zusätzlicher Metformingabe bei Ovula-tionsinduktion mit Clomifen (8 Studien, OR 1,48, 95%-KI 1,12–1,95).

Ein Nachweis einer BMI (Körper-mas-senindex)-Abnahme durch Metfor-mingabe steht aus. Das Serumtestoste-ron kann jedoch durch Metformingabe im Vergleich zu nihil oder Placebo signi-fikant gesenkt werden. Ebenso kann eine Zyklus regulierung durch Metformin er-zielt werden.

Der Stellenwert von Metformin bei der Behandlung der Infertilität bei PCOS bleibt somit umstritten. Eine Konsensus-Konferenz von ESHRE und ASRM kam jüngst zu folgender Empfehlung[5]: „Met-formin sollte nur bei PCOS Patientinnen mit nachgewiesener Insulinresistenz zu An-wendung kommen. Die routinehafte An-wendung von Metformin zur Ovulations-induktion wird nicht empfohlen“.

Adjuvans bei der IVF

Eine zweite Cochrane-Analyse[4] widme-te sich der Fragestellung, ob die IVF-Be-handlung von PCOS-Patientinnen durch Metforminbehandlung gesteigert werden kann. Weder die Lebendgeburtsrate (3 Stu-dien, OR 0,77, 95%-KI 0,27–2,18) noch die klinische Schwangerschaftsrate (5 Studien, OR 0,71, 95%-KI 0,39–1,28) konnte durch Metforminbehandlung verbessert werden, doch das OHSS (ovarielle Hyperstimula-tion)-Risiko war unter Metformin gerin-ger (OR 0,27, 95%-KI 0,16 to 0,47). Die bis-her vorliegenden Daten rechtfertigen so-mit keinen Einsatz von Metformin zur Er-höhung der Effektivität der IVF-Behand-lung von PCOS Patientinnen.

Assisted hatching

Das assisted hatching (AH, etwa:Schlüpf-hilfe) soll dem heranwachsenden Emb-ryo das Verlassen der Zona pellucida er-leichtern. Es kann mit Hilfe verschiedener Techniken erfolgen:FLaser: Diese Technik ist die sichers-

te, da der Defekt, der in der Glashaut erzeugt wird, sehr gezielt gesetzt wer-den kann. Verletzungen des Embryos sind dabei weitgehend ausgeschlos-sen.

FGlasnadel: Bei der sog. partiellen Zona dissektion wird die Hülle mit einer Nadel angeritzt. Die Ergebnisse sind sehr von der Geschicklichkeit des Embryologen abhängig, und die Verletzungsgefahr des Embryos höher als bei Verwendung eines Lasers. Tiefe und Größe des Defekts sind nicht gut reproduzierbar.

FEnzymatische Ausdünnung der Em-bryonenhülle: Hierbei wird Tyrode-Lösung mit Hilfe einer feinen Pipet-te auf die Hülle gesprüht. Dieses En-zym löst dann die Zona pellucida an dieser Stelle auf. Auch hier besteht der Nachteil, dass der Vorgang nicht ex-akt steuerbar ist und das Enzym Kon-takt mit dem Embryo bekommen kann. Inwieweit dies Risiken birgt, ist ungeklärt.

Die Wirksamkeit des AH ist heftig um-stritten. Studien, die eine Verbesse-rung der Einnistungswahrscheinlich-keit nachweisen, gibt es ebenso wie sol-che, die dies nicht können. Dies mag an unterschiedlichen Studienanordnungen liegen und insbesondere an den unter-schiedlichen Techniken, die zur Anwen-dung kamen.

Indikationen

Folgende Indikationen für das AH finden sich in der Literatur:Fmikroskopischer Nachweis einer

überdurchschnittlich dicken Zona pellucida,

Feingefrorene und wieder aufgetaute Embryonen (Kryotransfer),

Fältere Frauen (>36 bzw. >38 Jahre),Fnach wiederholt erfolglosem Embryo-

transfer (Implantationsversagen).

Ergebnisse 

Eine standardisierte Auswertung der bis-her erschienenen Literatur zum Thema AH wurde 2005 in der Cochrane-Daten-bank[6] veröffentlicht. Die Ergebnisse von 23 Studien wurden in die Analyse aufge-nommen, damit enthielt sie die Daten von 2668 Patientinnen und 849 Schwanger-schaften. Die verwendete Technik (Laser, enzymatisch oder mechanisch) wurde in der Auswertung nicht berücksichtigt. In der Gruppe der Frauen mit AH war die klinische Schwangerschaftsrate höher als in der Kontrollgruppe [23 RCT (rando-misierte, kontrollierte Studien); OR 1,33; 95%-KI 1,12–1,57). Es gab jedoch keinen statistisch signifikanten Unterschied in der Lebendgeburtrate (6 RCT; OR 1,19; 95%-KI 0,81–1,73). Die Abortraten waren in beiden untersuchten Gruppen ähn-lich (12 RCT; OR 1,23; 95%-KI 0,73–2,05). Mehrlingsschwangerschaften waren nach AH deutlich häufiger (9 RCT; OR 1,83; 95%-KI 1,19–2,83).

Die Cochrane-Analyse ergab so-mit keinen wesentlichen Vorteil für die Schlüpfhilfe. Die Schwangerschaftsraten waren zwar nach AH marginal höher als ohne AH, eine Steigerung der Lebendge-burtrate konnte zum damaligen Zeitpunkt (aufgrund zu geringer Fallzahl bzw. zu ge-ringer Effektgröße) nicht dokumentiert werden.

Cochrane-Analyse 2009Im Jahr 2009 wurde eine Aktualisierung der o. g. Cochrane-Analyse[7] veröffent-licht. Die Zahl der verfügbaren Studien war auf 28 angewachsen und enthielt nun Daten von 3646 Frauen und 1228 Schwan-gerschaften. Es fand sich kein Unterschied bei der Zahl der Lebendgeburten zwi-schen den Frauen, bei denen AH ange-wendet wurde und der Kontrollgruppe (7 RCT; OR 1,13; 95%-KI 0,83–1,55; 255 Ge-burten von 719 Frauen). Berücksichtigte man nur die methodisch und statistisch besonders belastbaren Studien, erreichte der Unterschied in der Schwangerschafts-rate gerade eben statistische Signifikanz (16 RCT; OR 1,20; 95%-KI 1,00–1,45; P 0,05). Wurden alle 28 Studien einbezo-gen, war die klinische Schwangerschafts-rate nach AH höher (OR 1,29; 95%-KI 1,12–1,49). Ein Unterschied im Ergeb-

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Leitthema

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nis bei Verwendung eines Lasers oder bei Verwendung von Tyrode-Lösung konnte nicht gezeigt werden.

Es lagen zwar mehr Fehlgeburten in der Gruppe mit AH vor, aber auch hier war der Unterschied zur Kontrollgruppe nicht signifikant (14 RCT; OR 1,13; 95%-KI 0,74–1,73). Eindeutig erhöht war der Anteil an Mehrlingsschwangerschaften, über die in 12 Studien berichtet wurde (12 RCT; OR 1,67; 95%-KI 1,24–2,26).

Zusammenfassend zeigen sich also möglicherweise geringe Vorteile für eine Behandlung mit dem AH. Die beschrie-benen mittleren Effektgrößen sind je-doch in den methodisch hochwertigen Studien klein, und das Konfidenzintervall schließt einen Nulleffekt bei Betrachtung der klinischen Schwangerschaftsrate ein. Trotz Vorliegen einer Vielzahl von rando-misierter Studien ist ein überzeugender Nachweis zum Nutzen des AH (im Sinne der Erhöhung der Lebendgeburtswahr-scheinlichkeit) bisher nicht erbracht wor-den. Dies liegt einerseits daran, dass die Ergebnisse einzelner Studien stark hetero-gen sind, andererseits daran, dass die Fall-zahlen nach wie vor zu gering sind, um eine Erhöhung der Lebendgeburtswahr-scheinlichkeit mit statistischer Signifikanz nachweisen zu können. In der Cochrane-Analyse bleibt offen, ob es Subgruppen gibt, die möglicherweise besonders vom AH profitieren könnten.

Assisted hatching bei dicker Zona pellucida

Eine 2010 veröffentlichte Arbeit von Hagemann et al. [8] zeigte, dass Frauen unter 38 Jahren mit Embryonen mit be-sonders dicker Zona nicht vom AH pro-fitieren. Hagemann et al. führten eine prospektive, randomisierte, doppelblin-de Studie an 121 Frauen durch, die jünger als 38 Jahre alt waren und sich einer IVF-Behandlung unterzogen. Frauen, deren Embryonen eine Zona-pellucida-Dicke von ≥13 µm aufwiesen, wurden in zwei Gruppen randomisiert. Bei einer dieser Gruppen wurde ein AH mit Hilfe einer enzymatischen Ausdünnung der Emb-ryonenhülle durchgeführt, die andere Gruppe erhielt keine „Schlüpfhilfe“. Dabei zeigte sich, dass weder die Implantations-rate noch die Schwangerschaftsrate (47%

Zusammenfassung · Abstract

Gynäkologe 2011 · 44:108–115   DOI 10.1007/s00129-010-2686-2© Springer-Verlag 2011

G. Griesinger

Kontroversen in der Reproduktionsmedizin. Kontroversen und Sachstand zu Metformin bei PCOS, assisted hatching, Aneuploidie­screening, Blastozystenkultur und Aneuploidiescreening

ZusammenfassungTrotz wesentlicher wissenschaftlicher wie  klinischer Bemühungen ist die In-vitro-Ferti-lisation (IVF) pro Behandlungszyklus in den letzten drei Jahrzehnten nach wie vor rela-tiv wenig erfolgreich, die mittlere Schwan-gerschaftsrate pro Transfer liegt bei weniger als 30%. Dargestellt und diskutiert werden verschiedene Ansätze zur Erhöhung der Effi-zienz von reproduktionsmedizinischen Ver-fahren: Metformin beim Syndrom polyzysti-scher Ovarien (PCOS), assisted hatching mit unterschiedlichen Methoden, Aneuplodie-

screening an Eizellen und Embryonen, Blasto-zystentransfer und adjuvante Akupunktur. Unter den Kriterien der evidenzbasierten  Medizin werden dazu jeweils auch Metaana-lysen, so verfügbar auch Cochrane-Analysen, referiert und kritisch besprochen.

SchlüsselwörterEmbryoentwicklung · Kryotransfer ·  Implantationsversagen ·  Polkörperdiagnostik · In-vitro-Fertilisation

Controversies in reproduction medicine. Metformin, assisted hatching and aneuploidy screening

AbstractDespite substantial scientific and clinical ef-forts, in vitro fertilization (IVF) per treatment cycle is still relatively unsuccessful over the last 3 decades and the pregnancy rate per transfer is less than 30%. In this article the various approaches to increase the efficien-cy of IVF procedures will be presented and discussed as well as the use of metformin for polycystic ovarian syndrome (PCOS), assisted hatching using various methods, aneuploi-dy screening of oocytes and embryos, blasto-

cyst transfer and adjuvant acupuncture. Un-der the criteria of evidence-based medicine meta-analyses and when available also Co-chcrane analyses are reported and critical-ly discussed.

KeywordsEmbryonic development · Cryotransfer ·  Implantation failure · Pole body diagnostics · In vitro fertilization

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in der Gruppe mit AH, 50% in der Grup-pe ohne AH) positiv beeinflusst werden konnte. Auch die Lebendgeburtrate konn-te durch das AH nicht erhöht werden (46 vs. 45%). Die Raten ektoper Schwan-gerschaften, spontaner Aborte, Zwillings-schwangerschaften und chromosomaler Störungen unterschieden sich nicht.

Zweifelsohne ist die Fallzahl dieser Studie zu gering, um einen klinischen relevanten Effekt des AH mit Sicherheit ausschließen zu können. Die vorliegen-de Studie, die in der aktuellen Cochrane-Analyse noch nicht berücksichtigt ist, zeigt jedoch, dass auch in der Subgruppe von Patientinnen mit verdickter Zona pellucida ein deutlich positiver Trend zu-gunsten des AH nicht zu erwarten ist.

Aneuploidiescreening an Eizellen und Embryonen

Jenseits des 35. Lebensjahres der Frau nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Konzeption rapide ab. Die Hoffnung vie-ler Paare mit Kinderwunsch ruht dann auf der Reproduktionsmedizin. Das hö-here Alter der Frau hat eine erhöhte Ra-te numerischer Chromosomenaberratio-nen in den Oozyten zur Folge. Bei einer 40- bis 45-jährigen Frau sind 50 bis 70% der reifen Eizellen von einer Aneuploidie betroffen[9].

Eine Möglichkeit Aneuploidien in den Eizellen, die für IVF/ICSI verwendet wer-den, zu identifizieren, besteht in der Chro-mosomenuntersuchung des Polkörpers (PKD). Diese Methode ist in Deutsch-land besonders vorangetrieben worden, da das Embryonenschutzgesetz (ESchG) die genetische Untersuchung früher Em-bryonalstadien selbst zwar nicht verbie-tet, aber eine auf das Ergebnis der geneti-schen Untersuchung basierende Embryo-nenauswahl nicht zulässig ist. Im Ausland wird das Aneuploidiescreening überwie-gend an Embryonen durchgeführt.

Techniken 

Polkörper sind gewissermaßen Abfallpro-dukte der Oogenese. Durch die erste Rei-feteilung gelangt je ein Chromosomen-satz in die Eizelle und den ersten Polkör-per. Wenn im Polkörper ein bestimmtes Chromosom fehlt, muss es zusätzlich in

der Eizelle vorhanden sein. Man kann da-her durch Untersuchung des Polkörpers im Differenzverfahren auf eine Fehlver-teilung von Chromosomen in der Eizelle schließen. Da das Verfahren der Kryokon-servierung von Eizellen Neuland darstellt, muss die PKD unter großem Zeitdruck zwischen intrazytoplasmatischer Sper-mieninjektion (ICSI) und Embryotrans-fer durchgeführt werden. Mit herkömm-lichen Methoden der PKD (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung, FISH) können maximal 9 bis 12 der 23 Chromosomen untersucht werden. Die Darstellung von Chromosomen ist allerdings fehleranfäl-lig. In 2–3% gelingt der Nachweis einzel-ner Chromosomen nicht. Darüber hin-aus können Polkörperbiopsie und Blasto-merenbiopsie Eizelle bzw. Embryo schä-digen.

Ergebnisse

Aneuploidiescreening am EmbryoEine Reihe von größtenteils unkontrol-lierten Studien bzw. Studien mit histori-schen Kontrollen zeigten einen Vorteil für das Aneuploidiescreening. Die Ergebnisse von Van der Ven et al. [10] beispielsweise zeigten, dass bei Frauen, die ein altersbe-dingt erhöhtes Aneuploidierisiko haben, die Abortrate nach PKD niedriger und die Implantationsrate höher ist, und dass eine eine Tendenz zu einer verbesserten Geburtenrate besteht.

Eine Cochrane-Analyse aus 2006 von Twisk et al. [11] fasste erstmalig die Er-gebnisse bisheriger Studien zum Aneu-ploidiescreening am Embryo zusammen. Untersucht wurde die Effektivität des Prä-implantationsscreenings („preimplantati-on genetic screening“, PGS) an Embryo-nen bezogen auf die Lebendgeburtenrate bei Frauen mit IVF- oder ICSI-Behand-lung. Nur zwei randomisierte kontrol-lierte Studien erfüllten die Einschlusskri-terien. In beiden Studien wurde das PGS wegen fortgeschrittenen mütterlichen Al-ters durchgeführt. Die Lebendgeburten-rate in der Gruppe mit Präimplantations-diagnostik betrug 11% (21 von 199), in der Kontrollgruppe 15% (29 von 190; OR 0,65; 95%-KI 0,36–1,19) und unterscheiden sich somit nicht statistisch signifikant.

Durch eine Präimplantationsdiagnos-tik am Embryo konnte die Lebendgebur-

tenrate bei IVF/ICSI nicht erhöht werden. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass nur zwei randomisierte Studien in die Analyse eingeschlossen werden konnten und eine von ihnen Daten von nur 39 Patienten be-inhaltete. Die Autoren empfahlen keine routinemäßige Durchführung eines PGS. Die Conclusio der Cochrane-Arbeit wur-de dementsprechend kritisiert, da zahl-reich vorliegende Daten eines niedrige-ren Evidenzniveaus (Fall-Kontroll-Studi-en, retrospektive Auswertungen, etc.) kei-nen Eingang in die Beurteilung des Ver-fahrens gefunden hatten.

Bis 2008 sind drei weitere randomi-sierte Vergleichsstudien zum PGS er-schienen, die Datenlücke an RCT zur Effizienz des PGS konnte also weitge-hend geschlossen werden. Allerdings entbrannte gleichzeitig eine Diskussion über mögliche methodische Unzuläng-lichkeiten der einzelnen RCT. Während verschiedene Autoren die Durchfüh-rung weiterer RCT zur Beurteilung des Nutzens eines PGS empfahlen, äußer-ten Mastenbroek et al. im Jahre 2008 [12] die Ansicht, dass es ethisch nicht vertret-bar wäre, angesichts der bereits bestehen-den Datenlage zusätzliche randomisier-te Studien durchzuführen. Mastenbro-eks et al. führten eine Metaanalyse ran-domisierter Daten zum Präimplanta-tionsscreening bei der Indikation „fort-geschrittenes mütterliches Alter“ durch. In die Arbeit konnten die Behandlungs-daten von 1334 Patientinnen aus 5 rando-misierten Studien eingeschlossen werden (.Abb. 1). Diese Metaanalyse zeigte eine statistisch signifikante, dramatische Verringerung der Schwangerschaftsrate nach PGS (OR 0,56; 95%-KI 0,46–0,76).

Es sei, so Mastenbroek et al., ethisch nicht zu rechtfertigen, dass Teilnehmer randomisierter kontrollierter Studien einer inzwischen nachgewiesen ineffek-tiven oder gar nachteiligen Behandlung ausgesetzt wären. Darüber hinaus exis-tierten intrinsische Beschränkungen der gegenwärtigen PGS-Techniken, die ein Ansteigen der fortlaufenden Schwanger-schaftsraten in künftigen Studien unwahr-scheinlich machten. Biopsie, Fixierung und FISH, drei wichtige Schritte der PGS, könnten fehlerhaft durchgeführt werden, und die FISH-Analyse könnte Fehldiag-nosen nach sich ziehen. Außerdem sei die

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Leitthema

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Zelle, die im Rahmen der Biopsie gewon-nen werde, häufig nicht repräsentativ für den Genotyp des Embryos. Da alle wich-tigen Studien zum PGS bei fortgeschrit-tenem mütterlichen Alter die gleiche Effektrichtung aufzeigten, sei es gerecht-fertigt, das Outcome dieser Studien zu ge-neralisieren und zu folgern, dass hinsicht-lich der fortlaufenden Schwangerschafts-rate kein vorteilhafter Effekt durch das PGS erzielt werden könne.

Auch die amerikanische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (ASRM) rät in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2008 von der PGS ab. Doch die Debat-te um das PGS am Präimplantationsem-bryo geht weiter: Geltend gemacht wird, dass nur bei hoher technischer Exper-tise ein positiver Effekt erwartet wer-den kann. Die europäische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin hat deshalb eine Studiengruppe eingerichtet, um das PGS weiter zu untersuchen – allerdings nicht am Embryo, sondern an der Eizel-le durch PKD, und nicht durch die FISH, sondern mittels „comparative genomic hybrydization“.

Ergebnisse

Aneuploidiescreening an EizellenZum Polkörper-Aneuploidiescreening liegen noch keine randomisierten kont-rollierten Studien vor. In einer nichtran-domisierten, retrospektiven Studie vergli-chen Haaf et al. [13] das Outcome der ICSI mit und ohne PKD der Oozyten. Die Stu-diengruppe bestand dabei aus 607 Frauen, die sich einer ICSI mit PKD in Deutsch-land unterzogen, die Kontrollgruppe, in der eine ICSI-Behandlung ohne PKD durchgeführt wurde, bestand aus 591. Zu berücksichtigen ist, dass die Frauen in der Gruppe mit PKD durchschnittlich 4 Jahre älter waren als die in der Kontrollgruppe (38 vs. 34 Jahre), sodass eine Altersadjus-tierung zur Auswertung der Daten durch-geführt werden musste. In der Gruppe der Frauen mit PKD waren sowohl die alters-adjustierte Schwangerschafts- (18,4 vs. 51,6%) als auch die Lebendgeburtenrate (12,5 vs. 43,8%) niedriger als in der Gruppe ohne PKD. Die Anzahl der zurückgesetz-ten Embryonen war in der PKD-Gruppe mit PKD etwas geringer (2,02±0,74) als in der Kontrollgruppe (2,20±0,57).

Dieser negative Effekt der PKD auf das Behandlungsergebnis war in allen analy-sierten Untergruppen nachweisbar: Frau-en verschiedener Altersgruppen, Frau-en in einem ersten ICSI-Zyklus, Frauen mit Transfer eines qualitativ hochwertigen Embryos und auch Frauen, die sich aus-schließlich aufgrund einer Zeugungsunfä-higkeit ihres Partners einer ICSI-Behand-lung unterzogen. Auch eine multivaria-te logistische Regressionsanalyse bestätige den negativen Effekt der PKD. Da sich die Anzahl transferierter Embryonen in den beiden Gruppen nur geringfügig unter-schied, ist es unwahrscheinlich, dass die signifikant niedrigere Schwangerschafts- und Lebendgeburtenrate nach PKD haupt-sächlich auf Fehler bei der FISH-Diagno-stik und den fehlerhaften Ausschluss einer großen Zahl euploider Embryonen zu-rückzuführen war. Möglicherweise verrin-gerten Mikromanipulation und Biopsie der Oozyte das Entwicklungspotenzial des re-sultierenden Embryos. Signifikant weni-ger Frauen aus der PKD-Gruppe wurde ein qualitativ hochwertiger Embryo zurückge-setzt als in der Kontrollgruppe.

> Die Polkörperdiagnostik sollte nur noch unter Studienbedingungen durchgeführt werden

Wie erwähnt ist die hier besprochene Studie von Haaf et al. keine randomi-sierte Studie und kann nicht für eine ab-schließende Beurteilung der PKD heran-gezogen werden. Darüber hinaus ist die enorm hohe Schwangerschaftsrate in der Kontrollgruppe unplausibel. Eine weite-

re Durchführung der PKD sollte aber nur unter Studienbedingungen stattfinden, und Patienten müssen über Risiken (Ver-letzung von Eizelle bei Biopsie) und die bisher dokumentierten Nachteile (nied-rigere Schwangerschaftswahrscheinlich-keit) offen aufgeklärt werden.

Blastozystenkultur

Eine umstrittene Variante der Embryonen-auswahl ist die Kultivierung des Embryos bis zum Blastozystenstadium am Tag 5/6 der Präimplantationsentwicklung. Mög-lich wurde die Kultivierung menschlicher Embryonen bis zum Stadium der Blastozy-ste erst durch Entwicklung spezieller Me-dien Ende der 1990er-Jahre, die den unter-schiedlichen metabolischen Bedürfnissen des Embryos in der frühen und der späten Präimplantationsperiode Rechnung tra-gen. Die Theorie des Blastozystentransfer stützt sich auf die Beobachtung, dass sich Präimplantationsembryonen ohne jede transkriptionelle Aktivität bis zum 8-Zell-Stadium entwickeln können. Bis zu die-sem Zeitpunkt ist die Embryonalentwick-lung abhängig von Proteinen, verschiede-nen zytoplasmatischen Faktoren und der Translation von mRNS, die mütterlichen Ursprungs ist, also aus der Eizelle stammt.

EErst ab dem 8-Zell-Stadium erfolgt die Aktivierung des embryonalen Genoms, eine Voraussetzung für die weitere regelrechte Entwicklung und Implantation.

Unterbleibt diese Aktivierung, kommt es zum „embryonic arrest“ am Tag 2 bis 3

Study

Individual RCTs and overall meta-analysis result

CyclesOR (�xed)

95% CIOR (�xed)

95% CI

1 - Staessen 20042 - Stevens 20043 - Mastenbroek 2007 4 - Debrock 20075 - Hardarson 2008

28939

83661

109

1334Total (95% CI)

Test for overall e�ect:

0.1 0.2 0.5 1 2 5 10Favours control Favours treatment

0.67 [0.37, 1.24]0.42 [0.11, 1.62]0.60 [0.41, 0.89]0.36 [0.09, 1.46]0.24 [0.06, 0.94]

0.56 [0.42, 0.76]

Z=3.75(P=0.0002)

Abb. 1 8 Forest plot der Odds Ratio für eine fortwährende Schwangerschaft (>10 SSW) bei Vergleich Präimplantationsscreening (PGS; „treatment“) vs. kein PGS („control“). (Adaptiert nach [12])

113Der Gynäkologe 2 · 2011  | 

Page 7: Kontroversen in der Reproduktionsmedizin

der Kultur und bei Transfer dieser Emb-ryonen in weiterer Folge zum Implanta-tionsversagen. Um den Erfolg der IVF-Behandlung zu erhöhen versucht man, durch Kultivierung bis in das Stadium der Blastozyste die Embryonen zu identi-fizieren, die sich über das 8-Zell-Stadium hinaus entwickeln können und damit das beste Implantationspotenzial besitzen.

Cochrane-Analyse 

Eine systematische Auswertung [14] von 18 Studien, in denen die Patientin-nen entweder zu einem Embryotrans-fer an Tag 2/3 oder an Tag 5/6 randomi-siert worden waren, zeigte, dass die Le-bendgeburtrate nach Blastozystentransfer statistisch signifikant höher war (9 Stu-dien für diesen Ergebnisparameter ver-fügbar; OR 1,35, 95%-KI 1,05–1,74). Aller-dings wurden mehrheitlich Patientinnen mit guter Prognose in die Studien einge-schlossen, sodass die Ergebnisse nicht oh-ne Einschränkung auf die Versorgungs-wirklichkeit übertragbar sind. Darüber hinaus war in den frühen Studien die Zahl der zu transferierenden Embryonen in Studien- und Kontrollgruppe nicht gleich.

Eine jüngere systematische Über-sichtsarbeit und Metaanalyse[15] fasste deshalb nur jene Studien zusammen, bei denen die Anzahl der übertragenen Em-bryonen in Studien- und Kontrollgrup-pe gleich groß war (.Abb. 2). Es zeigte sich eine statistisch signifikante Steige-rung der Lebendgeburtrate mit Blasto-zystentransfer.

Auch wenn die Lebendgeburtswahr-scheinlichkeit bei Betrachtung einer ein-zelnen Embryonenübertragung gering-gradig erhöht ist, liegt ein wesentlicher

Nachteil der Blastozystenkultur dar-in begründet, dass weniger Embryonen für eine Kryokonservierung zur Verfü-gung stehen. Die Zahl der Frauen, die zumindest einen Embryo für eine Kryo-konservierung zur Verfügung haben, ist bei Blasto zystenkultur um mehr als 50% geringer. Bei Zusammenfassung jener Studien, in denen die Schwangerschaf-ten nach Kryokonservierung berück-sichtigt wurden, zeigt sich dementspre-chend nicht nur nicht kein Vorteil der Blasto zystenkultur hinsichtlich einer Er-höhung der Lebendgeburtrate, die Blas-tozystenkultur ist dem herkömmlichen Vorgehen sogar unterlegen. Wie effektiv die Blastozystenkultur ist, wird letztlich auch davon abhängen, wie groß der Ver-lust von Embryonen durch Kryokonser-vierung ist. Da durch die Methode des ul-traschnellen Gefrierens („Vitrifikation“) sehr hohe Überlebensraten von Blasto-zysten erzielbar sind, wird sich hier die Datenlage möglicherweise zugunsten des Blastozystentransfers in Zukunft verän-dern. Bis dahin gilt, dass die Blastozysten-kultur nicht unkritisch zur Anwendung kommen sollte, da ein Nutzennachweis – im Sinne einer Steigerung der Lebend-geburtswahrscheinlichkeit pro IVF-Be-handlung – bisher nicht erbracht wurde.

Akupunktur

Die Akupunktur ist eine mittlerweile auch in der westlichen Medizin etablier-te Methode, die bei der Behandlung einer Vielzahl von Erkrankungen einen festen Platz einnimmt, so auch zunehmend bei der Therapie ungewollter Kinderlosig-keit. Sie soll körpereigene β-Endorphine freisetzen, die möglicherweise durch Aus-

schüttung von GnRH den Menstruations-zyklus positiv beeinflussen können. Ein weiterer, potenziell vielversprechender Wirkmechanismus besteht in der Ver-besserung der Uterusdurchblutung durch Beeinflussung des autonomen Nerven-systems. Die Effizienz der Akupunktur im Rahmen der Kinderwunschbehand-lung wird seit vielen Jahren kontrovers diskutiert.

Metaanalysen 

In den Jahren 2008 und 2009 erschienen insgesamt vier Metaanalysen zur Frage-stellung der Wertigkeit der Akupunk-tur bei IVF, die jedoch im Ergebnis kei-ne Übereinstimmung zeigten. Drei Meta-analysen [16, 17, 18] konnten keine Erhö-hung der Schwangerschaftswahrschein-lichkeit zeigen, eine andere [19] fand eine statistisch signifikante Erhöhung der kli-nischen und fortlaufenden Schwanger-schaftsrate nach Akupunktur.

Zwei im Jahr 2009 publizierte rando-misierte Studien von So et al. [20] sowie Domar et al. [21] scheinen zu bestätigen, dass von der Akupunkturbehandlung kei-ne unmittelbare Erhöhung der Schwan-gerschaftsrate erwartet werden darf.

So et al. [20] untersuchten im Rah-men einer randomisierten Doppelblind-studie den Effekt einer realen Akupunktur verglichen mit einer Placeboakupunktur IVF-Patientinnen. Am Tag des Embryo-transfers wurden 370 Patientinnen in zwei Gruppen randomisiert. Eine Gruppe wur-de akupunktiert, die Patientinnen der an-deren Gruppe erhielten eine Placebo-Akupunktur. Jeweils 25 Minuten vor und nach Embryotransfer erfolgte die Aku-punktur. Vor und nach dieser Behand-

Studyor sub-category

Blastocystn/N

Cleavage stagen/N

OR (xed)95% CI

Weight%

OR (xed)95% CI

Rienzi et al. (2002) 24 / 5024 / 7018 / 6473 / 22638 / 8056 / 175

Van der Auwera et al.(2002)Hreinsson et al.(2004)Kolibianakis et al. (2004)Papanikolaou et al. (2005)Papanikolaou et al. (2006)

Total (95% CI)Total events: 233 (Blastocyst), 192 (Cleavage stage)Test for heterogeneity: x2 = 6.02, df = 5 (P=0.30), l2 =17.0%Test for overall e�ect: Z = 2.80 (P=0.005)

Favours cleavage stage Favours blastocyst105210.1 0.2 0.5

688665

24 / 4817 / 6623 / 8067 / 23423 / 8438 / 176

100.00

21.299.73

36.8212.14

9.5010.52 0.92 [0.42, 2.04]

1.50 [0.72, 3.15]0.97 [0.47, 2.01]1.19 [0.80, 1,77]2.40 [1.25, 4.60]1.71 [1.06, 2.76]

1.39 [1.10, 1.76]Abb. 2 9 Forest Plot der Odds Ratio für eine Le-bendgeburt bei Vergleich von Blastozystentransfer vs. Transfer am Tag 2 oder 3 der Präimplantationsent-wicklung. (Adaptiert nach [15])

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Leitthema

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lung wurden endometriale und subendo-metriale Durchblutung, Serumkortisol-konzentration und das Ausmaß der „an-xiety“ (etwa: Anspannung, Aufregung) bestimmt. Letzterer Parameter wurde mit Hilfe des Trait-State Anxiety Questionnai-re beurteilt.

> Die Relevanz der Akupunktur liegt vielleicht in einer höheren Behandlungsadhärenz

Die Gesamtschwangerschaftsrate war in der Gruppe der Patientinnen mit Pla-cebo-Akupunktur signifikant höher als in der Gruppe mit Akupunktur (55,1 vs. 43,8%; p=0,038; OR 1,578; 95%-KI 1,047–2,378). Bezüglich der Rate fortlaufender Schwangerschaften und der Lebendge-burtrate unterschieden sich die Gruppen nicht signifikant. In beiden Gruppen ver-ringerten sich endometriale und suben-dometriale Durchblutung, Serumkorti-solkonzentrationen und Angstlevel nach Akupunktur, diese Veränderungen waren aber zwischen den Gruppen nicht statis-tisch signifikant.

Domar et al. [21] führten eine pros-pektive, randomisierte Einfachblindstu-die durch, um den Effekt von Akupunk-tur auf das Ergebnis einer IVF-Behand-lung zu überprüfen. Dazu wurden 150 Pa-tientinnen in eine Behandlungs- und eine Kontrollgruppe randomisiert. Die Kontroll gruppe erhielt keine Behandlung vor und nach Embryotransfer, in der an-deren Gruppe wurde jeweils 25 Minuten vor und nach Embryotransfer eine Aku-punkturbehandlung durchgeführt. Alle Patientinnen füllten schließlich einen Fragebogen zu den Themen „anxiety“ und „Optimismus“ aus. Die Schwanger-schaftsraten beider Gruppen unterschie-den sich nicht signifikant, aber akupunk-tierte Patientinnen berichteten nach dem Embryotransfer über signifikant weniger „anxiety“. Zudem blickten sie optimisti-scher in die Zukunft als die Patientinnen der Kontrollgruppe.

Auch wenn die Akupunktur keinen unmittelbaren Einfluss auf die Schwan-gerschaftswahrscheinlichkeit bei IVF hat, liegt ihr Stellenwert möglicherweise eher in einer psychischen Unterstützung für die Patientin, die sich in einer stärken Behandlungsadhärenz (und damit einer

höheren kumulativen Geburtenrate) nie-derschlagen könnte. Ein Nachweis eines solchen Nutzens steht jedoch aus.

Fazit für die Praxis

FWie in allen Fachbereichen gilt, dass neuartige Verfahren erst auf dem Prüfstein klinischer Studien gestellt werden sollten, bevor sie routinehaft am Patienten angewendet werden.

FAuch wenn Paare mit Kinderwunsch mit zunehmender Verzweiflung auch in zunehmendem Maße bereit sind, experimentelle Verfahren in Erwä-gung zu ziehen – und dafür zu bezah-len – so bleibt als ethische Pflicht eine nüchterne Aufklärung über Poten-ziale und Risiken neuartiger Verfah-ren, genauso wie das Streben nach  Erkenntnisgewinn durch Beteiligung an Forschung und Entwicklung.

KorrespondenzadresseProf. Dr. G. GriesingerKlinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein,  Campus LübeckRatzeburger Allee 160, 23538 Lü[email protected]

Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 

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