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Lorenzer KommentarGottesdienste zu Ereignissen der Zeit seit 1969 ___________________________________________________________________________ _ Sonntag, 17. Februar 2019, 11.30 Uhr Lorenzkirche – Nürnberg Freiheit, die ich meine – Tempolimit – Kommentare: Hans-Peter Kastenhuber Journalist, Nürnberger Nachrichten Andreas Krieglstein Stadtrat, CSU-Fraktion Nürnberg Theologischer Kommentar und Leitung: Pfarrerin Claudia Voigt-Grabenstein St. Lorenz _____________________________________________________________________ www.lorenzkirche.de : Kommentargottesdienst

Lorenzkirche Nürnberg Freiheit, die ich meine Tempolimit · Mein Damen und Herren, sie werden jetzt sagen, daran ist ja nur die Au-tomobilindustrie schuld, die mit dem Ziel der Gewinnmaximierung

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Lorenzer KommentarGottesdienste zu Ereignissen der Zeit

seit 1969 ___________________________________________________________________________

_

Sonntag, 17. Februar 2019, 11.30 Uhr Lorenzkirche – Nürnberg

Freiheit, die ich meine

– Tempolimit –

Kommentare: Hans-Peter Kastenhuber Journalist, Nürnberger Nachrichten Andreas Krieglstein Stadtrat, CSU-Fraktion Nürnberg Theologischer Kommentar und Leitung: Pfarrerin Claudia Voigt-Grabenstein

St. Lorenz _____________________________________________________________________

www.lorenzkirche.de : Kommentargottesdienst

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„Freiheit, die ich meine…“ Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hat im März 2019 eine öffentliche Petition gestartet mit dem Ziel, ein Tempolimit von 130 km/h in ganz Deutschland einzuführen. (https://www.ekmd.de/aktuell/projekte-und-aktionen/petition-tem-polimit/). Die EKM bezeichnet dieses Tempolimit als einen sofort umsetzbaren und kostengünstigen Beitrag, um die CO²-Emissionen zu reduzieren. Ein Tempolimit sorge auch für einen gleichmäßigeren Verkehrsfluss. Die Verkehrssicherheit werde erhöht und das Tempolimit führe zu einem entspannteren Fahren. Doch wie ist es mit der Freiheit bestellt? Benimmt sich der Staat schon wieder wie ein „Schutzmann“ und gängelt seine Bürger? Führt das Tempolimit nicht dazu, dass der hohe Qualitätsstandard der deut-schen Autos sinkt? Der verkehrspolitische Sprecher der CSU-Stadtratsfraktion in Nürn-berg, Andreas Krieglstein, und der Nürnberger Journalist Hans-Peter Kastenhuber hatten die Argumente, die sie in diesem Heft nachlesen können. Pfarrerin Voigt-Grabenstein beleuchtete den theologischen Aspekt. Die Kollekte wurde erbeten für das Martin Luther-Haus der Stadtmission in Nürnberg, das auch über eine Fahrradwerk-statt verfügt Spendenkonto: Stadtmission Nürnberg e.V. IBAN: DE71 5206 0410 1002 5075 01 Evangelische Bank eG, Verwendungszweck: Martin-Luther-Haus Selbstverständlich erhalten Sie eine Spendenquittung!

ViSdP: Wolfram Steckbeck, Laufamholzstr.1, 90482 Nürnberg – Die einzelnen Beiträge geben die Meinung der Kommentatoren wieder – nicht die der Kirchengemeinde St. Lorenz oder des Lorenzer KommentarTeams.

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Kommentar von Andreas Krieglstein, verkehrspolitischer Spre-cher der CSU-Stadtratsfraktion in Nürnberg: Es gibt wieder einen neuen Rekord in der Autobranche zu vermelden: Durchschnittlich 153 PS leistete ein deutscher Neuwagen im vergangenen Jahr. In den Straßen Nürnbergs ragen immer mehr tonnenschwere Ge-fährte auf die Bürgersteige. Und die Menschen dort müssen sich vorbei-drücken. Eine unverantwortliche Entwicklung? Denn eigentlich wird der Platz auf den Straßen immer knapper und auch mit der Energie gilt es hauszuhalten, egal ob das Auto mit Diesel, Benzin oder Strom betrieben wird. Mein Damen und Herren, sie werden jetzt sagen, daran ist ja nur die Au-tomobilindustrie schuld, die mit dem Ziel der Gewinnmaximierung diese PS-starken Fahrzeuge herstellt. Ich kann als Kaufmann nur sagen, es gilt wie immer in der Wirtschaft, das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Was heißt das nun für unseren heutigen Dialog hinsichtlich des Tempolimits? Warum ist denn ein generelles Tempolimit in Deutschland nicht sinnvoll? Stellen Sie sich eine dreispurige Autobahn vor, z.B. die A9 von München nach Nürnberg. Es ist Mittagszeit, Sie sind auf der Rückfahrt, die Straße ist vollkommen frei und es gibt ein Tempolimit von 120 km/h. Wie Sie sich verhalten, kann ich nicht beantworten. Studien haben aber ergeben, dass eine eintönige Fahrweise dazu führt, dass die Fahrer ihr Großhirn abschal-ten und die Anzahl der Unfälle zunimmt. Zudem weiß man nach Versuchen

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mit generellem Tempo 30 aus Schweden, dass „generelle Lösungen“ Ag-gressionen beim Autofahrer schüren. Also alles eine Frage des individuellen Verhaltens, der eigenen Einstellung, der Selbstverantwortung!? Befürworter des Tempolimits beziehen sich gerne auf die Statistik. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich zunächst persönlich klarstellen, dass jeder Verkehrstote ein Toter zu viel ist. Gemäß statischem Bundesamt waren im Jahr 2017 3.180 Verkehrstote zu beklagen. Die Zahl sank damit auf den niedrigsten Stand seit mehr als 60 Jahren! Im Jahr 1953, wofür erstmals die Zahl der Verkehrstoten vorliegt, waren es 12.631 Verkehrstote. Der traurige Rekord war 1970 erreicht worden: 21.332 Menschen hatten ihr Leben bei Verkehrsunfällen verloren. Seitdem ist die Zahl der Getöteten im Straßenverkehr kontinuierlich gesunken. Re-gierungshandeln und technologischer Fortschritt haben zu der positiven Entwicklung beigetragen: Beispiele für diesen Fortschritt in der Verkehrssicherheit sind: Absenkung der Promille-Grenzen, die Gurt- bzw. Helmpflicht, die Entwick-lung von Sicherheitssystemen in den Fahrzeugen Dennoch gibt es auch heute noch zu viele Unfallopfer. Auch hier möchte ich aus dem statistischen Jahrbuch folgende Zahlen zitieren: Unfalltote in 2017: 3.180, davon auf Landstraßen: 1.795; davon innerorts: 976 und auf Autobahnen: 409. Wie gesagt: jeder einzelne Tote ist einer zu viel! Die eigentliche Schwachstelle in Sachen Verkehrssicherheit sind nach wir vor die Landstraßen. Im Vergleich mit den anderen Europäischen Ländern liegt Deutschland auf Rang 9 von 28 EU-Ländern. Und vergleichen wir uns mit Ländern die bereits ein Tempolimit eingeführt haben, beispielsweise Österreich, Frankreich und Italien: Es kann nur schwer ein Zusammenhang zwischen dem Tempolimit und der Entwick-lung der Verkehrstoten festgestellt werden. Das Zitat unseres Verkehrsmi-nister „Deutsche Autobahnen sind die sichersten Straßen weltweit“ ist da-her nicht falsch. Neben diesen Zahlen werden weitere Argumente für ein Tempolimit vor-getragen: Es gebe weniger Staus. Verkehrsexperten betrachten dies als unwahrscheinlich. Besser sind flexible Tempoleitsysteme, die wenn es die Verkehrssituation erfordert, Tempo 100 km/h oder 80 km/h vorgeben. Und ein weiteres Argument: der CO²-Ausstoß wird reduziert. Nach Schät-zungen würde der Anteil um maximal 0,3 – 0,5 Prozentpunkte sinken, bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 km/h. Mit Tempo 130 km/h wäre der Effekt noch geringer. Ich glaube, wir haben in Deutschland mit der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h eine gute Basis und wer120 km/h fahren will der kann auch 120

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km/h fahren. Deshalb sind ideologische Verbotsdiskussionen aus meiner Sicht nicht zielführend. Wie sieht das eigentlich die Bevölkerung? Umfragen belegen seit Jahren eine Mehrheit für ein Tempolimit, ist das so? Ja richtig, in einer Umfrage haben sich zuletzt 51 % der Befragten für ein Tempolimit ausgesprochen, eine knappe Mehrheit. Im Internet kursieren Umfragen, bei denen Sie ein Tempolimit selbst festlegen können. Ich glaube, dass diese Diskussion irreführend ist. Bereits heute gibt es auf knapp 30 % aller Autobahnen ein dauerhaftes Tempolimit. Hinzu kommen noch die baustellenbedingten Geschwindigkeitsbeschränkungen. Es gibt bereits verschiedene Abschnitte im Autobahnnetz, wo aus Lärmschutz-gründen (wie z.B. auch hier rund um Nürnberg) ein Limit von 120 km/h festgelegt wird. Oder dort, wo es der Verkehrsfluss erfordert, wie auf der A 73 zwischen Hafen und Zollhaus. Dort wurde eine intelligente Geschwindigkeitsbeein-flussungsanlage installiert. Meines Erachtens ist das der richtige Weg. Was bleibt am Ende, bei der Betrachtung dieser Argumentationsketten? Ist das wirkliche eine erstrebenswerte, zielführende Diskussion, die uns in Sachen Klimaschutz und Verkehrssicherheit wesentlich voranbringt? Oder doch eine Phantomdebatte, die wie die Diskussion um den Diesel, einem Feldzug gegen die freie Mobilitätswahl der Menschen gleicht? Ich persönlich setze auf den Glauben an die Menschen und ein entspre-chendes umwelt- und sicherheitsbewusstes Verhalten. Also Vertrauen, aber mit den erforderlichen Kontrollen! Auch in Nürnberg haben wir uns für diesen pragmatischen Weg entschie-den, d.h. Angebote schaffen statt Verbote. Nürnberg gilt als eine der lebenswertesten Städte in Deutschland. Zugleich gibt es bereits viele Orte, an denen Abgasbelastung, Staulängen und Ver-spätungen den Menschen sehr viel zumuten. Nürnberg wächst und damit die Zahl der Verkehrsteilnehmer. Ideologische Konzepte, wie von politi-schen Wettbewerbern euphorisch vorgetragen, helfen uns auch in Nürn-berg nicht weiter: Ampelschaltungen, die immer noch nicht aufeinander abgestimmt sind, oder die Forderung, dass eine Spur auf dem Ring dem Autoverkehr entzo-gen werden soll sowie die Forderung nach Tempo 30 im gesamten Stadt-gebiet, die nur zur Folge hätte, dass sich dann Autofahrer neue Wege durch die Wohngebiete suchen. Und denken Sie an das Stop-and-Go auf dem Frankenschnellweg. Das darf schon aus ökologischen Gründen so nicht auf Dauer bleiben. Diese Streitpunkte, aber auch Diskussionen über gesperrte Straßen, wie in Hamburg oder Stuttgart, stellen keine zufrieden-stellenden Lösungen dar.

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Wir benötigen einen Masterplan für den Verkehr der Zukunft. Was bedeu-tet das: Es geht um eine optimale Vernetzung der Verkehrssysteme: Bus, U-Bahn, Straßenbahn beispielweise mit Park-and-Ride-Plätzen aber auch um die Integration von technologischen Entwicklungen wie Elektromobilität und autonomes Fahren und Carsharing und vor allem eine intelligente Ver-kehrssteuerung auf unseren Straßen und Autobahnen. Lassen sich mich bitte zusammenfassen: Hat unsere Freiheit ein Limit? Natürlich „die Selbstverantwortung“. Eigenes Handeln und verantwortungsbewusstes Verhalten im Straßenver-kehr. Und das fängt bereits an, wenn wir frühmorgens in unser Auto ein-steigen und losfahren. Ich wünsche mir mehr Rücksicht und Verständnis für andere Verkehrsteilnehmer, vor allem für die schwächsten in unserer Stadt für die spielenden Kinder, Fußgänger und Radfahrer. Selbstverant-wortung, das ist die Freiheit, die ich meine.

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Kommentar von Hans-Peter Kastenhuber, Journalist Wie schnell sollen wir auf Autobahnen fahren dürfen? Gibt es nicht wirklich wichtigere Themen bei uns im Land? Die Wohnungsnot. Den Skandal der schnurstracks auf bittere Altersarmut zusteuernden Geringverdiener. Die

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nicht abzusehenden Folgen der weiteren Digitalisierung der Welt. Das dro-hende Scheitern des großartigen Friedensprojekts eines Vereinten Euro-pas. Oder den – wie ich finde – sehr beunruhigenden Umstand, dass zwar unsere Abiturientenquote enorm angestiegen ist, das Bildungsniveau aber irgendwie nicht. Alles das wären wichtige Themen! Und wir reden darüber, mit welcher Geschwindigkeit man künftig auf der Autobahn unterwegs sein darf. Müs-sen wir uns darüber wirklich Gedanken machen? Wir müssen nicht, aber es kann sich trotzdem lohnen, wenn wir es tun. Es hätte vor 10 Jahren auch wichtigere Themen gegeben als das Rauchen in öffentlichen Gaststätten. Wir haben uns dennoch die Köpfe heiß geredet darüber, haben abgestimmt, das Rauchen in Lokalen verboten - und in-zwischen finden wir es alle wunderbar, nicht immer mit verqualmten Kla-motten nach Hause zu kommen, wenn wir in einer Gaststätte zum Essen waren. Wir werden nicht seriös benennen können, wie vielen Menschen das Rauchverbot in Kneipen das Leben gerettet bzw. es um ein paar Jahre verlängert hat. Wichtig ist auch etwas ganz anderes: Eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger würde heute der Aussage zustimmen, dass das Rauchverbot unser Zusammenleben etwas freundlicher, entspannter, rücksichtsvoller gemacht hat. Mancher wird sich jetzt vielleicht denken: Wann kommt der endlich zum Thema? Ich bin mitten drin. Ich glaube nämlich, dass auch ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen vor allem unserem Umgang miteinander guttäte. Bei dieser These kann ich mich nicht auf wissenschaftliche Studien stützen. Nur auf eigene Er-fahrungen. Die aber vermutlich nicht so viel anders aussehen, als die Er-fahrungen der meisten von Ihnen auch. Beruflich und privat bin ich immer wieder auf Autobahnen unterwegs. Mal kürzere Strecken, mal längere. Bei solchen Fahrten hat man zwei Möglich-keiten: Entweder: so schnell fahren, wie es Auto und Verkehrslage zulas-sen – sprich kräftig Gas geben (das passiert mir leider gelegentlich, wenn ich beruflich im Dienstauto unterwegs bin). Oder man ist vernünftig und hält sich ungefähr an die unverbindliche Richtgeschwindigkeit von 130 km/h (das gelingt mir vor allem bei privaten Fahrten, weil dann meist meine Frau neben mir sitzt, die vernünftig ist und schnelles Fahren hasst). In welchem Fall geht es einem nach vier, fünf Stunden Fahrt besser? Das ist interessanterweise gar nicht so leicht zu sagen. Weil nämlich beide Va-rianten zu Ärger und Stress führen. Wenn ich sehr schnell fahre, ärgere

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ich mich irgendwann über mich selber – über meine Ungeduld und Unver-nunft. Und fünf Stunden Gas geben, das strengt auch mächtig an, das stresst, weil es fünf Stunden höchste Aufmerksamkeit bedeutet. Und wer gemütlich mit 120 oder 130 km/h auf deutschen Autobahnen unterwegs ist, der steigt leider meist auch nicht entspannt aus dem Auto. Weil er sich über mit Lichthupe von hinten heranschießende Vollgas-Fah-rer ärgern muss, und weil es genauso stressig sein kann, im von großen Tempounterschieden geprägten deutschen Autobahnverkehr zu den eher langsamen Fahrern zu gehören. Ein generelles Tempolimit – behaupte ich – könnte uns entspanntere Au-tofahrten bescheren. Wer da Zweifel hat, der kann – und das ist das Schöne bei diesem Thema – sehr leicht den Praxistest machen. Egal, in welche Himmelsrichtung Sie von hier aus losfahren, irgendwann landen Sie in einem Nachbarstaat mit Tempolimit. Wir sind nämlich so ziemlich die Einzigen, die keines haben. Ganz egal, ob man also in der Schweiz, in Österreich, in Tschechien, in Polen, in Dänemark oder in Frankreich unterwegs ist, ganz egal, ob mit 120 oder 130 – das Autofahren ist wesentlich entspannter als bei uns. Den Unterschied bemerkt man oft erst so richtig, wenn man nach einer Ur-laubsreise zurückkommt nach Deutschland und 500 Meter hinter der Grenze wieder der Tempokampf losgeht. So viel zu den „weichen Argumenten“ für ein Tempolimit. In der aktuellen Debatte geht es aber auch um andere, „harte Fakten“. Die – witzigerweise ja vom Bundesverkehrsminister, der sich jetzt so ärgert, selbst eingesetzte – Kommission, die das Tempolimit in ihren vorläufigen Vorschlagskatalog aufgenommen hat, ist die „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ (so heißt die). Und sie soll sich unter anderem um die Frage kümmern, welche Maßnahmen in unserem Verkehrswesen ergriffen werden müssen, damit wir unsere sogenannten Klimaziele erreichen. Konkret: Was ist zu tun, da-mit der CO²-Ausstoß wirksam gesenkt wird. Bei dieser Themenstellung kann man ja schon mal darauf kommen, über den Autoverkehr nachzudenken. Zumal es Hochrechnungen des Bundes-umweltamtes gibt, wonach ein durchgängiges Tempo 120 auf deutschen Autobahnen den CO²-Ausstoß jährlich um drei Millionen Tonnen senken würde. Das entspricht einer Reduktion um neun Prozent. Die Zahlen, die dieser Hochrechnung zugrunde liegen, stammen aus dem Jahr 1996 – ak-tuellere liegen nicht vor. Und man kann jetzt darüber spekulieren, ob diese neun Prozent zu hoch angesetzt sind, weil die Motoren seither schadstoff-ärmer wurden. Oder ob wir weit mehr als drei Millionen Tonnen CO² ein-sparen könnten, weil nämlich seit 1996 auch die Motoren immer noch PS-stärker wurden.

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Bleiben wir einfach bei den neun Prozent, und schauen wir lieber auf die Argumente der Tempolimit-Gegner, allen voran – Überraschung, Überra-schung – die deutsche Automobilindustrie. Die rechnen uns nämlich vor, wie völlig vernachlässigenswert neun Prozent C0²-Reduktion im Auto-bahnverkehr letztlich seien. Weil doch viel mehr Kilometer auf Landstraßen und in Städten gefahren würden, und – überhaupt – für den Ausstoß ge-fährlicher Klimagase noch ganz andere Verursacher verantwortlich seien - wie beispielsweise die großen Frachtschiffe und die Tierhaltung der Land-wirtschaft. Am Ende solcher Sankt-Florians-Rechnungen ist die eigene Verantwortung immer wunderbar heruntergerechnet. Dummerweise verstehen sich aber auch die Lobbyisten der Schifffahrt oder der Landwirtschaft auf solche Ta-schenspielertricks. Wenn wir ernsthaft daran interessiert sind, unsere Klimaprobleme in den Griff zu bekommen, werden wir nicht die Zeit haben, ständig die Schuld von einem zum anderen zu schieben, sondern wir werden in allen Berei-chen etwas ändern und verbessern müssen. Ganz ähnlich wie beim Argument CO²-Ausstoß läuft die Debatte um ein Tempolimit, wenn man auf die Zahl der Verkehrstoten zu sprechen kommt. Im Jahr 2017 starben auf deutschen Autobahnen 409 Menschen. Die Tem-polimit-Gegner sagen: Das sind ja nur 13 Prozent der Verkehrstoten ins-gesamt, obwohl sich auf den Autobahnen über 30 Prozent des Verkehrs abspielen. Ergo: Nirgends fahre man sicherer als auf deutschen Autobah-nen. Das klingt dann fast so, als könne es mit Tempolimit künftig gefähr-licher werden. Dass Autobahnen sicherer als Landstraßen sind, sollte eigentlich nieman-den überraschen. Schließlich hat man hier – wenn nicht gerade Geister-fahrer unterwegs sind – keinen Gegenverkehr, keine Kreuzungen, keine scharfen Kurven, keine Bäume am Rand und keine Mofa- oder Fahrrad-fahrer auf der Fahrbahn. Tatsache ist aber leider auch, dass laut Statistischem Bundesamt jeder dritte Autobahnunfall auf zu schnelles Fahren zurückzuführen ist und dass eben diese Unfälle für fast die Hälfte der Autobahn-Toten verantwortlich sind. Wer über das Elend der Raser-Unfälle Näheres erfahren will, der spreche mit Polizeibeamten oder mit Rettungsdienst-Mitarbeitern, zu deren Job es gehört, regelmäßig Tote aus völlig zertrümmerten Autos zu bergen – be-ziehungsweise das, was von einem Menschen nach solch fürchterlichen Karambolagen noch übrig ist. Nachdem heute schon gelegentlich Prozentrechnung und Mathematik Thema war, noch ein kurzer, aber sehr hilfreicher Exkurs in die Welt der

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Physik. Die Aufprallenergie wächst in Relation zur Geschwindigkeit nicht linear, sondern im Quadrat an. Bei einer Verdoppelung der Geschwindig-keit vervierfacht sie sich. Und für den Bremsweg auf trockener Fahrbahn gilt laut Standardformel: Bei Tempo 130 beträgt er rund 170 Meter, bei Tempo 160 schon knapp 260 Meter. So viel zu den ganz harten Fakten. Tatsächlich, auch das haben wir bei der aktuellen Tempolimit-Debatte ler-nen dürfen, geht es ja aber um etwas ganz anderes. Es geht um unseren Wohlstand, für den bekanntlich vor allem die deutsche Automobilindustrie sorgt. Ihre Existenz, so wird gewarnt, setzen wir aufs Spiel, wenn wir auf deutschen Autobahnen eine generelle Höchstgeschwindigkeit einführen. Leider kann einem aber niemand erklären, warum Audi, BMW und Daimler ihre 300- oder 400-PS-Karossen nach wie vor so prächtig ins von Tempo-limit gegeißelte Ausland verkaufen können. (Über die ganz generelle Sinn-haftigkeit solcher Pkw-Produktion wollen wir hier jetzt besser nicht auch noch diskutieren.) Und – neben unserem Wohlstand – geht es angeblich auch um Freiheit. Ich weiß, dass vor allem junge Männer ihren Drang nach Freiheit gern dadurch ausleben, sich in riskante Unternehmungen zu stürzen. Das war bei mir einst auch nicht anders. Ich war als begeisterter Motorradfahrer und als Drachenflieger unterwegs. Ob es immer schlau war, dabei im Übermut manchmal mit dem eigenen Leben zu spielen – vermutlich nicht. Aber ich habe mir nur die Freiheit genommen, mit dem eigenen Leben zu spielen. Wer mit 200 über die Autobahn heizt, gefährdet das Leben ande-rer. Schränkt ein Tempolimit wirklich unser Freiheitsrecht ein? Meine Damen und Herren, wenn wir wirklich so weit sind, dass wir im Land Immanuel Kants einen Begriff wie Freiheit auf dem Tachometer messen wollen, dann muss ich meine eingangs eher nebenbei geäußerte Anregung, in diesem Kreis mal der Frage nach dem bedenklichen Zustand unseres Bildungsni-veaus nachzugehen, wirklich ernsthaft und mit Nachdruck wiederholen. Aber eigentlich möchte ich viel versöhnlicher enden und etwas ganz an-deres anregen. Hören wir doch einfach auf unsere Frauen. Nicht nur ich scheine nämlich eine sehr vernunftbegabte Beifahrerin zu haben, die das Tempogebolze auf deutschen Autobahnen hasst. Laut jüngster Umfrage sind 70 Prozent der Frauen im Land für ein Tempolimit. Das sollte uns zu denken geben. Frauen verstehen was vom friedvollen, entspannten und rücksichtsvollen Miteinander.

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Theologischer Kommentar von Pfarrerin Claudia Voigt-Graben-stein: Das Thema Tempolimit ist hoch aufgeladen. Für viele geht es zuallererst um mich und meine ganz persönliche Angelegenheit. „Ob ich mit 110 oder 160 an den Baum fahre, ist doch egal. Ich bin so oder so tot.“ So meinte kürzlich der Stauforscher Schreckenberg. Es ist sein ganz eigenes Problem, und wenn da plötzlich ein Baum steht, dann ist‘s eben aus. Ich weiß ja nicht, welche Staus er da im Blick hat. Die Sorge um das eigene Wohl treibt die Menschen. Beim Thema Windrad ist‘s ja ähnlich. Grundsätzlich sind wir dafür, aber bittet nicht so nah an meinem Haus. Und natürlich sollen bitte keine Autos mehr rund um die Schule fahren, das ist so gefährlich für die Kinder. Sprach‘s und lässt das Kind aus dem SUV springen, direkt vor der Schultür. Ich will ja, dass es sicher ankommt. Es geht um unsere eigenen Bedürfnisse. Um mich. Ich selbst gestalte mein Leben, wie ich es für richtig halte, das ist mein Recht. Das ist meine Frei-heit, die ich mir herausnehme. Kein Wunder, dass der Verkehrsminister bei der Diskussion um das Tempolimit das Ende „ständiger Gängelung“ wünscht: Lasst mir – bitte schön – meine Freiheit!

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Bei diesem Verständnis der Freiheit, hat das Thema Gemeinwohl keinen Platz mehr. Die Freiheit definiert sich allein nach dem eigenen Wohlfühl-faktor. Hauptsache, mir geht es gut. Hauptsache, ich kann mir das neh-men, was ich zum Leben brauche. Diese Haltung prägt zunehmend unsere Gesellschaft. Und zeigt sich letzt-lich in der Aggressivität und Rücksichtslosigkeit, die sich in unterschied-lichsten Bereichen unseres Lebens breit macht. Gut, das mag unterschiedliche Ursachen haben. Aber man hat das Gefühl, dass mancher, um zu überleben, nur noch dran ist, das Eigene zu retten: und dazu gehört eben auch die eigene Freiheit. Die lass ich mir nicht nehmen. Es ist erschreckend zu erleben, wie der Blick auf das Gesamte, in dem wir uns befinden, der Blick auf das Gemeinwohl verloren geht. Meine Freiheit steht gegen die Freiheit der anderen. Die alten Griechen haben im Rahmen ihrer jungen Demokratie den Begriff der Freiheit mit Heimat gleichgesetzt. Gemeint war damit „der Bereich, wo einer sein und bleiben kann.“ Frei war, wer in der Stadt leben durfte, denn dort galt ein Maß der Freiheit, das durch Recht beschränkt war. Miteinan-der leben bedeutet da, die eigene Freiheit um der Freiheit der anderen willen beschränken. Ihr ein Maß geben. Ein ähnliches Maß sind übrigens auch die Zehn Gebote in der Bibel. Auch sie regeln das Zusammenleben einer Gruppe von Menschen, indem die individuelle Freiheit beschränkt wird (du sollst nicht töten). Diese Regeln oder Gebote dienen letztlich einem guten Miteinander. In dem Sinn sind sie keine Verbote sondern Lebensregeln. Und wenn man dann den großen Sprung zu Luther macht, zum Thema der Freiheit, dann bringt er genau diese Ambivalenz der eigenen Freiheit und der eigenen Begrenzung um der anderen willen. Da heißt es: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“ „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht al-ler Dinge und jedermann untertan.“ Protestantisches Grundprinzip. Egal wie man es nennt: die eigene Freiheit hat ihre Grenzen in der Ver-antwortung dem anderen gegenüber. Nur so kann eine Gemeinschaft ge-lingen. Eine Stadtgesellschaft, ein Staat. Das Problem nur: man hat aktuell das Gefühl, dass viele dieses Gemein-wohl nicht mehr zu schätzen wissen, sich daran nicht mehr orientieren

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wollen. Viele Einzelne in unserer insgesamt gereizten Gesellschaft wollen vor allem eines: das Beste für sich rausholen. America first – „ich zuerst“: das ist geradezu Wasser auf die Mühlen. Die überaus emotional geführte Diskussion um das Tempolimit bedient sich eines Freiheitsbegriffes, der allein auf diese individuelle Freiheit zielt: Ich lass mir das nicht nehmen. Parallel zu: „My home is my castle“ heißt es jetzt: „My car is my castle“. Das ist meins. Hier bin ich Herr über all die Schalthebel. Da kann man sich ausleben und freuen über das, was man da um sich hat. Und das ist auch in Ordnung, solange das Auto im Garten steht oder in der Garage. Innen-drin ist Raum genug, sich zu bewegen. Das Problem ist nur, wenn sich das Auto auf die Straße begibt. Die Autos sind inzwischen so groß, dass man gar nicht mehr sieht, ob jemand am Steuer sitzt. Es ist doch kein Wunder, dass ich so den Kontakt zu den anderen Ver-kehrsteilnehmern verliere, wenn ich so weit oben sitze. Apropos oben: es entsteht so ein Geschmäckle, weil‘s plötzlich wieder oben und unten gibt: Da sind die, die es sich leisten können und die an-deren, die nach zehn Jahren immer noch dasselbe Auto fahren. Und spä-testens auf der dreispurigen Autobahn zeigt sich, wer zu den Oberen, den Dritte-Spur-Fahrern gehören darf und wer nicht. Wenn ich mich mal auf diese Spure wage, weil zwei Laster nebeneinander sind, da muss ich dann die Ohren anlegen und entschuldige mich sofort bei meinem Hintermann, weil ich ihn kurzfristig aufgehalten habe. Ja, ihn in seiner Freiheit beschnit-ten habe. Und wenn Herr Scheuer sagt: wer 120 fahren will hat die Freiheit dies zu tun, wie auch der, der 180 fahren will, dann kann ich nur sagen: nein, haben wir beide nicht, weil wir irgendwie miteinander auskommen müssen. Sie merken, dass ich den Streit um das Tempolimit nicht auf Zahlen be-schränken möchte und darauf, wer besser rechnen kann: Lungenärzte oder Ingenieure. Die Frage nach mehr oder weniger Unfällen soll hier nicht genannt sein. Für mich ist diese ganze Diskussion um das Tempolimit viel grundsätzli-cher. Denn hier geht es um die Frage der gegenseitigen Achtung und der wohlgemerkt gemeinsamen Verantwortung, die wir auf der Straße, im Mit-einander, gerade auch im zunehmenden Verkehr haben. Früher war es selbstverständlich, dass man sich an dem schwächsten Glied orientiert hat.

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Was für ein Wahnsinn, dass es Hotels gibt, in denen Gäste als Inklusiv-paket einen Ferrari oder Audi 8 anmieten können, um mal „dem Alltag wegzurasen“. Das ist unsere Freiheit! Und die sind dann auf derselben Straße unterwegs, wie die Familie mit drei Kindern, die ein gemeinsames Wochenende plant, die Studentin, die mit dem angemieteten Lieferwagen ihren Umzug organisiert und der polnische Lastwagenfahrer kurz vor dem Einschlafen. Ich bin auch für Freiheit! Aber für eine aufgeklärte Freiheit, das ist eine, die sich aus freien Stücken um der Freiheit der anderen willen begrenzt. Bzw. begrenzen lässt: Damit jeder leben kann. Und das gilt gerade auch für unsere Straßen. Ich bin klar für ein Tempolimit! *********************************************************** Aus einem Testbericht in den Nürnberger Nachrichten vom 23.02.2019 über eine Pkw-Serie, bei der es auch Hybride – Fahrzeuge, die wahlweise mit Strom oder Benzin fahren – gibt: „Manko: Beide Hybride laufen nur 180 km/h …“

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Pressespiegel:

Gereizte Gesellschaft St. Lorenz thematisiert Tempolimit auf Autobahnen

VON HARTMUT VOIGT

Tempolimit auf Deutschlands Autobah-nen: Der Lorenzer KommentarGottes-dienst nahm sich am Sonntag des stark emotional befrachteten Themas an. Pro- und Kontra-Argumente steuerten Hans-Peter Kastenhuber, Redakteur der Nürnber-ger Nachrichten, und Andreas Krieglstein, verkehrspolitischer Sprecher der CSU Stadt-ratsfraktion, bei. Eine Geschwindigkeitsbe-schränkung auf 120 km/h sei nicht sinnvoll, weil eine eintönige Fahrweise die Konzent-ration der Pkw-Lenker herabsetze, meint Kommunalpolitiker Krieglstein: „Außerdem schüren generelle Verbote die Aggression.“ Bestehende Tempolimits in den Nachbarlän-dern würden dort nicht zu weniger Verkehrs-unfällen führen, so sein Argument. Und auch der CO² Ausstoß sei nur um 0,3 bis 0,5 Pro-zent geringer, wenn man auf eine Höchstge-schwindigkeit von 120 km/h setzen würde. Aus Sicht des CSU-Manns ist das kein durchschlagender Beitrag zur Klimapolitik: „Verbote sind nicht zielführend, man muss vielmehr Angebote schaffen.“ Er hält eine in-telligente Verkehrssteuerung für deutlich sinnvoller als das gesetzliche Festlegen ei-nes Tempolimits. Es komme auf Selbstverantwortung im Stra-ßenverkehr an, auf mehr Rücksicht und Ver-ständnis für andere, wirbt der gelernte Kauf-mann: „Selbstverantwortung ist die Freiheit, die ich meine“, schloss Krieglstein in Anspie-lung auf den Titel des Gottesdienstes „Frei-heit, die ich meine – Tempolimit“. Sein Kontrahent Kastenhuber unterstreicht das Argument des Klimaziels: Drei Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid weniger durch ein

Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen entspräche einer Verringerung von 9 Pro-zent. „Hier muss ich die Aussage von Herrn Krieglstein korrigieren.“ Gegner eines Tem-polimits brächten außerdem Einwände, dass für den Ausstoß der gefährlichen Klimakiller auch andere Verursacher verantwortlich sind – etwa die Tierhaltung der Landwirt-schaft oder große Frachtschiffe. „Am Ende solcher St.-Florians-Rechnungen ist die ei-gene Verantwortung immer wunderbar her-untergerechnet“, resümiert der Redakteur.

Er regt an, sich selbst zu fragen, wann es ei-nem selbst nach fünf Stunden Autobahn besser geht: Wenn man ohne Limit aufs Gas drückt oder wenn man sich entspannt und vernünftig an die Richtgeschwindigkeit 130 km/h hält? Seine Antwort: Beides bringt mo-mentan Stress und Ärger. Denn im ersten Fall braucht man höchste Aufmerksamkeit. Doch auch die Variante sorge für Anspan-nung, weil man mit 130 km/h auf deutschen Autobahnen eher langsam unterwegs ist und die Lichthupe des Hintermanns zu spüren bekommt. Kastenhuber plädiert für ein Ge-schwindigkeitslimit und für ein „entspanntes und rücksichtsvolles Miteinander“. Die Lorenzer Pfarrerin Claudia Voigt-Gra-benstein sieht in der Tempolimit-Diskussion ein Symptom für die Gesellschaft: „Es geht für viele zu allererst um sie selbst, um ihr ei-genes Wohl. Es ist erschreckend, dass der Blick aufs Gemeinwohl zunehmend verloren geht.“ Die evangelische Theologin diagnos-tiziert eine „gereizte Gesellschaft“. Man müsse daran erinnern, dass die eigene Frei-heit ihre Grenzen in der Verantwortung ge-genüber den Mitmenschen findet.

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Lorenzer KommentarGottesdienste zu Ereignissen der Zeit

Die KommentarGottesdienste 2019:

Sonntag, 17.02., 28.04.,26.05., 16.06., 21.07.,

29.09., 20.10. und 17.11.2019

– jeweils um 11.30 Uhr in der Lorenzkirche –

der besondere KommentarGottesdienst am

Aschermittwoch, 06.03.2019, um 18:00 Uhr.

http://www.lorenzkirche.de

Sehen, Hören, Erleben Gottesdienste

Lorenzer Kommentar